Friedrich List (1789-1846) |
Note: This has been given only a first rough edit. Errors still remain.
Friedrich List, Das nationale System der Politischen Oekonomie von Friedrich. Neudruck nach dem Ausgabe letzter Hand, eingerichtet von Professor Dr. Heinrich Waentig. Zweite Auflage. Zweite Auflage (Jena: Verlag von Gustav Fischer, 1910). In Sammlung sozialwissenschaftler Meister III. Herausgegeben von H. Waentig.
"W." List iii-xii
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Vorrede 1
Inhalts-Anzeige 47
Einleitung 49
Friedrich List wurde als Sohn eines AVeißgerber- meisters am 6. August 1789 zu Reutlingen geboren. Hier verbrachte er auch seine Kindheit, und niemand konnte ahnen, daß jener Knabe, der vierzehnjährig die Lateinschule seiner Vaterstadt mit mäßigen Erfolge verließ, und den man, da ihm der väterliche Beruf nicht zusagte, zur Vorbereitung auf die Beamtenlaufbahn in eine jener von ihm später so gründ- lich gehaßten Schreibstuben steckte, einst ein großer Den- ker, Schriftsteller und Politiker werden würde, dessen Name mit der Geschichte seines Volkes für immmer unlöslich verknüpft ist. Im Jahre 1806 finden wir ihn in der Stadtschreiberei von Blaubeuern, von wo er, die bureaukratische Stufenleiter lang- sam aufwärts klimmend, zunächst nach Ulm, dann nach Schelklingen und endlich, ein entscheidender Wendepunkt in seinem Dasein, im Jahre 1813 an die Oberamtskanzlei von Tübingen versetzt wurde. Denn hier fand er die lang ersehnte Gelegenheit, durch den Besuch von Vorlesungen an der Universität und durch fleißige Privatlektüre in seinen Mußestunden die tiefen Lücken seiner Bildung auszufüllen, um, der nüchternen Schreiberexistenz entfliehend, sich zu höherem Schaffen vorzubereiten.
Lists wechselvoller Lebenslauf zerfällt fortan in drei scharf gegliederte Abschnitte. Der erste, eingeleitet durch seine Übersiedelung nach Stuttgart im Jahre 1816 und seine Wirksamkeit im Sinne des liberalen Ministeriums Wangen-
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heim, im besonderen auch als Professor in der damals neugegründeten staatswirtschaftlichen Fakultät der Universi- tät Tübingen, erhält seine Signatur durch Lists begeistertes Eintreten für den Zollvereinsgedanken, für den er, wie Ehe- berg betont, gleich am Ajfang der Entwickelung vielleicht mehr geleistet als irgend ein anderer. Seine Teilnahme an dem im Jahre 1819 gegründeten deutschen Handels- und Gewerbeverein, die am 21. Mai 1820 seine Entlassung aus Staatsdiensten nach sich zog, sein Eintritt in die "Württem- bergische Kammer als liberaler Abgeordneter, seine Agitation für freiheitliche Verfassungsreformen, seine Verurteilung am 6. Dezember 1822 wegen Aufreizung gegen die bestehenden Staatseinrichtungen, seine heimliche Flucht und sein un- stetes Umherschweifen im Elsaß, in Baden und in der Schweiz, seine reumütige Eückkehr in die Heimat, seine Einsperrung auf dem Asberg und seine schließliche Befrei- ung unter der Bedingung, nach Amerika auszuwandern, bil- den die äußeren Etappen eines Lebens, das, wie selten eines ganz dem Dienste des Vaterlandes geweiht, vom Staate mit schnödem Undank belohnt wurde.
Am 10. Juni 1825 erreichte er New York. Und gerade dieser zweite Lebensabschnitt, der die in der Fremde ver- brachten Jahre umfaßt, ist von größter Bedeutung für Lists innere Entwickelung geworden. Zunächst beschäftigungslos, dann Farmer bei Harrisburg in Pennsylvania, hierauf Zeitungsredakteur in Reading, endlich erfolgreicher Berg- werksunternehmer, konnte er, ein deutscher Kleinbürger, befreit von Zwang und Überlieferung in einen breiten Strom moder- nen Lebens untertauchen. Eigene Erfahrung und der vertrau- liche Verkehr mit lebenskundigen Kaufleuten und Gewerbe- treibenden erweiterten seinen Gesichtskreis, schärften sein Urteil und führten jenen charakteristischen Wandel in seinen vormals von der liberalen Schule allein beeinflußten An- schauungen herbei, wie er in den beiden 1827 auf fremde
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Veranlassung hin verfaßten Broschüren Outlines of American political economy in a series of letters, addressed by Frede- rick List to Charles I. Ingersoll, und Appendix to tlie out- lines of American political economy in three additional letters to C. I. Ingersoll zum ersten Male deutlich hervortrat. Ehre und Reichtum ward ihm zuteil; aber das deutsche Herz wollte nicht zur Ruhe kommen. Die Hoffnung, sich als amerikanischer Konsul im Dienste des eigenen Volkes eine angesehene Stellung in der Heimat erwerben zu können, ließ ihn den Sprung ins Ungewisse wagen. Am 20. Dezem- ber 1830 landete er in Havre, kehrte jedoch erst im Sommer 1832 nach mannigfachen Verzögerungen endgültig nach Deutschland zurück.
Ein Leben in bunter Vielgeschäftigkeit, die sich noch steigerte, als durch den Rückgang seiner amerikanischen Berg- werksunternehmungen die ihm von dort zufließenden reichen Einnahmen in Wegfall kamen, charakterisiert auch diesen letzen Abschnitt seines Daseins. Der Plan zu einem enzyklopädischen Werke über die gesamten Staatswissenschaften, der unter seiner Mitwirkung 1834 von anderer Seite auch tatsächlich aus- geführt wurde, die unermüdliche Agitation für den Ausbau eines deutschen Eisenbahnnetzes, die Gründung von Zeit- schriften und Vereinen, vielseitige journalistische Tätigkeit, Reisen nach Belgien, Oesterreich-Üngarn und England lösten einander ab. Im Mittelpunkte seines praktischen Wirkens aber standen für List damals die Fragen des internationalen Handels und der Handelspolitik. Sie waren es, die schließ- lich auch seine wissenschaftlichen Bestrebungen neubeleb- ten. Angeregt durch eine von der Pariser Akademie aus- geschriebenen Preisaufgabe über die zweckmäßigste Art des Überganges vom Schutzzoll zum Freihandel, versuchte er dieses Problem zunächst in einer Frage von Spezial- artikeln, dann auf breitester empirisch-geschichtlicher Grund- lage in einem besonderen Werke, dem „Nationalen System
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der politischen Ökonomie" definitiv zu lösen, dessen erster Band Ende 1840 erschien und in kurzer Zeit drei Auflagen erlebte. Er sollte es nicht beenden. Wachsende Nahrungs- sorgen, peinigende körperliche Leiden und eine tiefe Melan- cholie, die ihn mitten in seinen Kämpfen an dem Werke seines schöpferischen Lebens verzweifeln ließ, haben den Unermüdlichen in den Tod getrieben. Eine Pistolenkugel setzte am 30. November 1846 in der Nähe von Kufstein seinem rastlosen Streben ein Ziel.
Unvollendet in einem höheren Sinne wie Lists Leben, ist auch sein wissenschaftliches Hauptwerk, „Das Nationale System der politischen Ökonomie", ein Torso geblieben. Nur seinen ersten Band mit dem Titel „Der internationale Handel, die Handelspolitik und der deutsche Zollverein" hat er uns hinterlassen. Zur Abfassung des zweiten, der „Die Politik der Zukunft", und des dritten, der „Die Wirkung der poli- tischen Institutionen auf den Reichtum und die Macht der Nation" darstellen sollte, ist er nicht gekommen. Und die uns erhalten gebliebenen kleineren Schriften, wie „Das Natio- nale Tran Sportsystem" von 1838, „Die Ackerverfassung, die Zwergwirtschaft und die Auswanderung" von 1842, und „Die politisch-ökonomische Nationaleinheit der Deutschen" von 1846 vermögen uns nicht darüber zu trösten. Das hat nicht wenig dazu beigetragen, uns Nachgeborenen den Den- ker List in erster Linie als Schutz zolltheoretiker erscheinen zu lassen, wobei man häufig übersieht, wie wenig aus melir als einem Grunde gerade seine Theorie von den Schutz- zölluern der Gegenwart zur Begründung ihrer Forderungen angeführt werden dürfte.
Jedenfalls war List, wie dies mit besonderem Nachdruck Schmoller hervorgehoben hat, unendlich mehr als ein bloßer Schutzzöllner. Denn seine weit ausgreifende Darstellung erschöpft sich nicht in der Behandlung jener aktuellen Fragen der Handelspolitik, die sein patriotisches Herz so tief
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bewegten; vielmehr gaben sie ihm den Anlaß zur Entwicke- lung einer ganzen Sozialtheorie. Darum sollte man Lists wiösenschaflliche Bedeutung überhaupt weniger in dem er- blicken, was er über die Abfolge der Wirtschaftsstufen und ihre verschiedene Bevölkerungskapazität, über soziale Arbeits- teilung und Arbeitsvereinigung in Raum und Zeit, über die Theorie der produktiven Kräfte im Gegensatz zur Tausch- werttheorie usw. gelehrt, als in der neuen Art seiner Frage- stellung, „in dem Mut, mit dem er in das Steuer griff und dem ganzen Schiff der Wissenschaft eine ganz andere Rich- tung gab." Er selber ist sich dessen klar bewußt geworden. „Der Verfasser'', so charakterisiert er seine Aufgabe, „wird im direkten Widerspruch mit der Theorie aller- erst die Geschichte um ihre Lehren befragen, daraus seine Fundamentalgrundsätze ableiten ; nach Ent- wickelung derselben die vorangegangenen Systeme einer Prü- fung unterwerfen und am Ende, da seine Tendenz durchaus eine praktische ist, den neuesten Stand der Handelspolitik darlegen."
Und was lehrte ihn nun die Geschichte? „Überall und zu jeder Zeit sind Intelligenz, Moralität und Tätigkeit der Bürger mit dem Wohlstand der Nation in gleichem Verhält- nis gestanden, haben die Reichtümer mit diesen Eigen- schaften zu- oder abgenommen ; allein nirgends haben Arbeit- samkeit und Sparsamkeit, Erfindungs- und Unternehmungs- geist der Individuen Bedeutendes zustande gebracht, wo sie nicht durch die bürgerliche Freiheit, die öffentlichen Insti- tutionen und Gesetze, durch die Staatsadministrationen und durch die äußere Politik, vor allem aber durch die Einheit und Macht der Nation unterstützt gewesen sind. Die Ge- schichte lehrt also, daß die Individuen den größten Teil ihrer produktiven Kraft aus den gesellschaftlichen Institu- tionen und Zuständen schöpfen." Mit anderen Worten, List erfaßte, wie Schmoller es formuliert, „mit der intuitiven
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Kraft des Genius den Gedanken, daß nicht die Individuen, sondern die sozialen Gemeinschaften es sind, die in der Ge- schichte der Volkswirtschaft handelnd auftreten; er begriff, daß die Institutionen, welche den sozialen Gemeinschaften einheitliches wirtschaftliches Leben geben, welche aus großen Gesamtinteressen herauswachsen, den Kern aller wirtschaft- lichen Politik ausmachen,"
Daß List in dieser Auffassung tatsächlich den Angel- punkt seiner Lehre erblickte, erklärte er schon in der Ein- leitung seines Werkes. „Als charakteristischer Unterschied des von mir aufgestellten Systems", heißt es hier, „bezeichne ich die Nationalität. Auf die Natur der Nationalität als des Mittelgliedes zwischen Individualität und Menschheit ist mein ganzes Gebäude gegründet." Ganz originell freilich war er darin nicht. Schon die „Romantiker", vor allem Adam Müller in seinen „Elementen der Staatskunst" von 1809, hatten, wohl im Anschluß an Edmund Burke, sich gegen die atomistische Gesellschaftslehre Adam Smith's ge- wandt und die Bedeutung der spezifisch sozialen Erschei- nungen gerade für das Wirtschaftsleben hervorgehoben. List, der, wie er selbst erzählt, gelegentlich seiner Anwesen- heit auf dem Wiener Ministerkongreß von 1820 viel mit V. Gentz und Müller debattierte, dürfte dabei auch manche ihrer Anschauungen in sich aufgenommen haben. Während diese jedoch, bei der romantischen Schule mit allerhand unverdaulichem Beiwerk belastet, ihre Wirkung auf weitere Kreise zunächst fast völlig verfehlt hatten, wurden sie bei List, von der agitatorischen Schwungkraft handelspolitischer Ideen getragen, schnell zur Geltung gebracht.
Man hat geglaubt, Lists Wirtschaftstheorie in ihrer be- sonderen Anwendung auf die Zustände seiner Zeit als Neo- merkantilismus kenn zeichen zu dürfen. Und sicher wird sich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen seinen Ideen und den von Antonio Serra bis James Steuart vertretenen nicht
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ableugnen lassen. Stand doch, genau betrachtet, das Deutsch- land Lists, bei aller Höhe seiner Geisteskultur, politisch- ökonomisch etwa auf derselben Stufe wie die Fortgeschrit- tensten seiner Rivalen dreihundert Jahre zuvor. Infolge jener Politik, so schildert List die Ergebnisse des Merkanti- lismus, „trat an die Stelle der Handels- und Manufaktur- stadt und der meistenteils außerhalb ihres politischen Ver- bandes stehenden Agrikulturprovinz der Agrikultur-Manu- fakturhandelsstaat, — die ein harmonisches, ein geschlossenes Ganzes bildende — in sich selbst vollkommene Nation, in welcher sich einerseits die zwischen Monarchie, Feudal- aristokratie und Bürgertum zuvor herrschend gewesene Dissonanzen in einem harmonischen Akkord auflösten, andererseits Agrikultur, Manufakturen und Handel in die innigste Verbindung und Wechselwirkung traten. Es war dies ein unendlich vollkommeneres Gemeinwesen als das früher bestandene, weil es die zuvor in der städtischen Republik auf engem Raum beschränkt gewesene Manufaktur- kraft auf ein weiteres Gebiet ausdehnte, alle darauf befind- lichen Hilfsquellen ihr zur Disposition stellte, die Teilung der Arbeit und die Konföderation der produktiven Kräfte, in den verschiedenen Manufakturzweigen sowohl als im Acker- bau, in einem unendlich großen Maßstab bewerkstelligte, die zahlreiche Klasse der Agrikulturisten politisch und kommer- ziell mit den Manufakturisten und Kaufleuten in Verbindung stellte, dadurch gleichsam den ewigen Frieden unter ihnen herstellte, somit die Wechselwirkung zwischen Agrikultur- und Manufakturkraft verewigte und für immer verbürgte und endlich die Agrikulturisten aller mit den Manufakturen und dem Handel verbundenen Zivilisationsvorteile teilhaftig machte." Dieses Produkt der Merkantilpolitik, den „Agri- kulturmanufakturhandelsstaat", auch in Deutschland zu folge- richtiger Entwickelung zu bringen, schien List die wich- tigste Aufgabe seiner Zeit. Wie aber hätte das Streben
nach dem gleichen Ziele nicht auch ähnliche Methoden zeitigen sollen !
Sieht man nun freilich näher zu, so erkennt man auch die Kluft, die List von den reinen Merkantilisten trennte. Ihr Endziel war ihm Durchgangsstufe! „Daß es überhaupt infolge der gänzlichen Verkennung des kosmopolitischen Prinzips nicht in der künftigen Union aller Nationen, in der Herstellung des ewigen Friedens und der allgemeinen Handels- freiheit das Ziel erkennt, nach welchem alle Nationen zu- streben und dem sie mehr und mehr sich zu nähern haben", darin sah er mit Recht den schwächsten Punkt des Systems. Wenn auch widerwillig, war er nicht umsonst bei Adam Smith in die Lehre gegangen. An Stelle einer alles andere verschlingenden oder doch in ihren Dienst pressenden ab- soluten Staatsgewalt, die sich im Grunde als Selbstzweck, die Volkswirtschaft mehr oder weniger nur als eine Maschine zur Füllung der fürstlichen Schatz- und Rentkammer be- trachten wollte, ist bei List die „Nation", das Volk mit all der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit seiner Kulturbedürfnisse zum eigentlichen Subjekt des öffentlichen Lebens geworden, dessen souveränen Zwecken auch die staatliche Machtpolitik zu dienen hat. An Stelle einer Zwangsorganisation ewig bevormundeter Staatsbürger als idealen Mittels zur Lösung sozial- und wirtschaftspolitischer Aufgaben, ist der aus freier Selbstbestimmung erwachsende Zusammenschluß aufgeklärter, unabhängiger und unternehmender Volksgenossen getreten.
In einem ganz besonderen Sinne war List Freiheits- fanatiker. In der amerkanischen Union geschult und erprobt, mußte er es sein. An unzähligen Stellen seines Werkes tritt diese viel zu wenig beachtete Grundstimmung seiner Sozialpolitik immer wieder hervor. „Wir sind weit entfernt", sagt er au einem entscheidenden Punkte seines Buches, „die absolute Vorzüglichkeit einer Regierungsform vor der anderen behaupten zu wollen, und offenbar ist diejenige
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Regierungsform die beste, welche den moralischen und mate- riellen Zuständen einer gegebenen Nation, und ihrer künf- tigen Fortschritte am meisten entspricht. Fortschreiten sah man die Völker unter allen Regierungsformen; einen hohen Grad der ökonomischen Entwicklung hat man sie aber nur in denjenigen Ländern erreichen sehen, denen die Regierungsform einen hohen Grad von Freiheit und Macht, Stetigkeit der Gesetze und der Politik und tüchtige Institutionen verbürgte." Gerade die Freiheit näm- lich war für List die wichtigste Quelle der nationalen Macht. „Es ist vorzüglich die geistige und bürgerliche Freiheit", heißt es anderwärts, „es ist die Verfassung und die Vor- trefTIichkeit der politischen Institutionen überhaupt, wodurch es der englischen Handelpolitik möglich geworden ist, die Naturreichtümer des Landes auszubeuten und die produk- tiven Kräfte der Nation zur Entwickelung zu bringen". Und mit Emphase betont er namentlich, wie der Einfluß der Freiheit, der Intelligenz und Aufklärung auf die Macht und folglich auf die produktive Kraft und den Reichtum der Nation sich nirgends so klar herausstelle als in der Schiff- fahrt, wie unter allen Gewerbezweigen sie am meisten Energie, persönlichen Mut, Unternehmungsgeist und Ausdauer er- fordere, Eigenschaften, die offenbar nur in der Luft der Freiheit gedeihen könnten, daher denn auch die Geschichte kein einziges Beispiel aufweise, daß ein versklavtes Volk sich in der Schiffahrt hervorgetan hätte.
Einem Manne aber, der als letzte Quelle der nationalen Macht die Freiheit, die Intelligenz, die Aufklärung der ein- zelnen Volksgenossen betrachtete, mußte, ein echt moderner Gedanke, die nationale Größe als ein Werk der Erziehung der Massen, die richtige Volkswirtschaftspolitik als ein sozialpädagogisches Problem erscheinen. In der Tat ist Lists Schutzzolltheorie nur von diesem Standpunkte aus recht zu würdigen, wobei hier dahin gestellt bleiben
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darf, inwieweit die Anwendung seines Prinzipes in diesem besonderen Falle vor der Kritik zu bestehen vermag. Das Prinzip selbst wird davon nicht berührt. Ein politischer Seher, dessen geistiges Auge die künftige Entwickelung der Nationen mit bewunderungswürdiger Klarheit überblickte, ein Märtyrer seiner Überzeugungen, ist List für uns zum Führer und Wegweiser auf der Bahn zu nationaler Größe und edlem Menschentume geworden. „Et la patrie et l'humanite!" Dies Motto seines Buches, der Wahlspruch seines Lebens darf auch der unsere sein.
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Wenn, wie man sagt, die Vorrede die Entstehungsge- schichte des Buches enthalten soll, so muß ich in dieser fast mein halbes Leben beschreiben; denn mehr als dreiund- zwanzig Jahre sind verflossen, seitdem der erste Zweifel an der Wahrhaftigkeit der herrschenden Theorie der politischen Ökonomie in mir aufstieg, seit ich mich abmühe, ihre Irr- tümer und deren Grundursachen zu erforschen. Beklagens- wert wäre ich in der Tat, ergäbe es sich am Ende, daß ich diese lange Zeit nur Hirngespinsten nachgejagt, da ich weder durch Überschätzung meiner Kräfte, noch durch über- triebenen Ehrgeiz verleitet worden bin, mir ein so hohes Ziel zu stecken und es so beharrlich zu verfolgen. Es war mein Beruf, der mir die erste Veranlassung dazu gab; es war mein Schicksal, das mich Widerspenstigen mit unwider- stehlicher Gewalt zu weiterer Verfolgung der betretenen Bahn des Zweifels und der Forschung spornte. Deutsche Zeitgenossen werden sich erinnern, welche tiefe Ebbe im Jahr (VI) 1818 in Deutschlands Wohlstand eingetreten war. Damals sollte ich mich auf Vorlesungen über die politische Ökonomie vorbereiten. Gelernt hatte ich so gut. wie andere, was darüber gedacht und geschrieben worden war, aber es genügte mir nicht, die Jugend über den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu unterrichten, ich wollte sie auch lehren,
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wie auf nationalökonomischem Wege Deutschlands Wohl- stand, Kultur und Macht zu fördern sei. Die Theorie wies auf das Prinzip der Handelsfreiheit. Vernunftgemäß schien mir dieses Prinzip allerdings, und auch durch die Erfahrung erprobt, wenn ich die Wirkungen der Aufhebung der fran- zösischen Provinzialdouanen und der Vereinigung der drei Königreiche des Inselreichs in Betrachtung zog. Allein die erstaunlichen Wirkungen des Kontinentalsystems und die zerstörenden Folgen seiner Aufhebung lagen damals noch zu nahe, als daß ich sie hätte übersehen können, sie schienen mir mit jenen Beobachtungen in grellem Widerspruch zu stehen, und- im Bestreben, mir den Grund dieser Wider- sprüche klar zu machen, kam ich auf den Gedanken: das alles sei nur wahr, wenn alle Nationen wechsei- se it ig dasPrinzip der Hand eisfreiheit befolgten, wieesvonjenenProvinzen wechselseitigbefolgt worden sei. Durch (VII) diesen Gedanken ward ich auf die Natur der Nationalität geleitet; ich sah: die Theorie habe vor lauter Menschheit, vor lauter Individuen die Nationen nicht gesehen; es ward mir klar, daß unter zwei in der Kultur weit vorgerückten Nationen freie Konkurrenz für beide nur dann wohltätig wirken könne, wenn beide sich auf einem ungefähr gleichen Standpunkt der industriellen Bildung befänden, und daß eine durch unglückliche Schick- sale in Industrie, Handel und Schiffahrt weit zurückgebliebene Nation, wenn sie übrigens die zu deren Ausbildung erforder- lichen geistigen und materiellen Hilfsmittel besitze, sich allererst durch eigene Kraftanstrengung befähigen müsse, mit weiter vorgerückten Nationen freie Konkurrenz zu halten. Mit Einem Wort: ich kam auf den Unterschied zwischen der kosmopolitischen und politischen Ökonomie; es entstand in mir die Idee: Deutsclüand müsse seine Provin- zialdouanen aufheben und durch ein gemeinschaftliches Han- delssystem nach außen denjenigen Grad von industrieller
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und kommerzieller Ausbildung zu erreichen streben, den andere Nationen durch ihre Handelspolitik errungen hatten. Anstatt aber durch fortgesetzte Studien diese Idee weiter zu verfolgen, drängte mich mein praktischer Sinn, sie ins Leben einzuführen; ich war noch jung.
(VIII) Man muß sich im Geiste in die Periode von 1819 zurückversetzen, um sich meine nachfolgenden Bestrebungen zu erklären. Regierende und Regierte, Edelleute und Bürger, Staatsbeamte und Gelehrte — alle trugen sich damals in Deutschland mit Vorschlägen und Projekten zu neuen poli- tischen Gestaltungen. Deutschland glich einer durch Krieg zerrütteten "Wirtschaft, deren frühere Eigentümer, jetzt eben wiederum zu ihrem Besitztum gelangt und Meister desselben geworden, im Begriff stehen, sich aufs neue häuslich einzu- richten. Die einen verlangten die früher bestandene Ord- nung mit allem alten Geräte und Gerumpel; die andern vernunftgemäße Einrichtungen und ganz neue Instrumente. Die, welche der Vernunft und Erfahrung gleichmäßig Gehör gaben, begehrten Vermittlung zwischen den alten Ansprüchen und den neuen Bedürfnissen. Überall herrschte AViderspruch und Meinungskampf, überall bildeten sich Vereine und Ge- sellschaften zum Behuf der Verfolgung patriotischer Zwecke. Die Bundesverfassung selbst war eine neue Form, die, in der Eile entworfen, sogar den aufgeklärten und denkenden unter den Diplomaten nur als ein Embryo erschien, dessen Ausbildung zu einem wohlorganisierten Körper von seinen Urhebern selbst beabsichtet und den Fortschritten der Zeit (IX) vorbehalten sei. Ein eigener Artikel (der neunzehnte) hatte ausdrücklich Raum gelassen zu Gestaltung eines natio- nalen Handelssystems. Mir schien dieser Artikel ein Fundament abgeben zu können, auf welches die künftige in- dustrielle und kommerzielle Prosperität des deutschen Vater- landes zu gründen sei, und diese Überzeugung führte mich zu der Idee der Stiftung eines Vereins deutscher Kaufleute
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und Fabrikanten,*) der sich zum Zwecke setzen sollte, (X) die Aufhebung der deutschen Provinzialdouanea und die Her-
*) In den früheren Ausgaben des Konversationslexikons ist Herr J. M. Elch von Kaufbeuren als Stifter dieses Vereins genannt, mir dagegen ist nicht nur eine sehr untergeordnete Teilnahme an der Stiftung desselben und an seinen spätem Be- strebungen zugeschrieben, sondern es wird mir auch der Vor- wurf gemacht, ich habe mir in Führung seiner Geschäfte große Nachlässigkeiten zuschulden kommen lassen. Als ich , ins deutsche Vaterland zurückgekehrt, nach dem Verfasser jenes Artikels forschte, nannte man mir einen Namen, der mir diese Fassung erklärlich machte, da er einem Mann angehört, der Herrn J. M. Elch große Vei'pflichtungen hat und der selbst in dieser Sache um so größer erscheint, je mehr meine Bestrebungen verkleinert werden. Wenig von Ehrgeiz geplagt, habe ich nicht der Mühe wert geachtet, gegen diesen Artikel Reklamation zu erheben. Neuerlich sehe ich mich aber in die unumgängliche Notwendigkeit versetzt, die Sache öffentlich zur Sprache zu bringen. Bekanntlich hat mich vor kurzem die Juristenfakultät von Jena mit dem Doktordiplom beehrt, und der Jenaische Korrespondent der Allgemeinen Zeitung von Augsburg bemerkte bei dieser Gelegenheit: ich habe zuerst die Idee einer Ver- einigung der deutschen Staaten zum Behuf eines gemeinschaft- lichen deutschen Zollsystems ausgesprochen. Dagegen ist nun bei der Redaktion gedachter Zeitung folgende Reklamation ein- gekommen:
„Der Bericht aus Jena vom 1. Dezember 1840 in der All- gemeinen Zeitung Nr. 344: daß Herr Friedrich List die erste Idee der Handelsfreiheit im Innern und nach außen ausgesprochen habe, ist dahin zu berichtigen, daß die Ehre dieser ersten Idee dem Großhändler J. M. Elch in Kaufbeuren gebührt, w^elcher in der Frankfurter üstermesse 1819 durch ein Zirkular mehrere Kaufleute aus allen deutschen Staaten einlud, eine beabsichtigte Bittschrift an die hohe Bundesversammlung über diesen Gegen- stand mit zu unterzeichnen. Der Zufall führte einige Tage später den damaligen Herrn Professor List aus Tübingen nach
Stellung eines gemeinschaftlichen deutschen Handelssystems zu erwirken. Wie dieser (XI) Verein zustande gekommen und
Frankfurt, welcher, von dieser Idee begeistert, es übernahm, die Bittschrift zu verfassen, welche Aufgabe derselbe alsdann meisterhaft ausführte und sich einen berühmten Namen machte. Nachdem der Verein sich konstituiert hatte, wurde Herr Prof. List als Vertreter desselben erwählt und machte in Begleitung des nun verstorbenen Herrn Schnell aus Nürnberg Reisen an die deutschen Höfe, um bei solchen die Wünsche des Vereins zu unterstützen."
Ich habe nur die Geschichte der Stiftung dieses Vereins in Kürze anzuführen, um die Ansprüche des Herrn Elch, oder die seiner Wortführer, auf ihr gebührhches Maß zurückzuführen. Daß ich durch Privatangelegenheiten im Frühjahr 1819 nach Frankfurt a. M. geführt worden bin, ist wahr, eben so wahr ist aber auch, daß die Idee eines solchen Vereins längst in mir aus- gebildet war, noch ehe ich diese Reise unternahm. Noch leben Männer, mit denen ich vor und während meiner Reise nach Frankfurt davon gesprochen habe, und unter der Korrespondenz des verstorbenen Freiherrn v. Cotta dürften sich schriftliche Be- weise darüber finden. In Frankfurt angekommen, vertraute ich meinen Plan Herrn Schnell aus Nürnberg, der mir als ein ein- sichtsvoller und patriotischer Kaufmann gerühmt worden war. Schnell ergriff ihn mit Feuer, sprach mir von den HH. Bauereis in Nürnberg, Weber in Gera, Arnoldi in Gotha, die ihm Klagen über den neuen preußischen Zolltarif mitgeteilt hätten , und äußerte, die Sache werde unter den zur Messe in Frankfurt an- wesenden Kaufleuten und Fabrikanten um so mehr Anklang finden, als ein Herr Elch aus Kaufbeuren, ein Leinwandhändler, im Begriff stehe, Unterschriften zu sammeln für eine Petition an den deutschen Bundestag, worin auf abhilfliche Maßregeln gegen die inneren Handelsbeschränkungen Deutschlands ange- . tragen sei. Auf mein Betreiben durch Schnell mit Herrn Elch bekannt geworden, kommunizierte mir dieser den Entwurf zu einer Eingabe an den Bundestag (oder die Materialien dazu), der, wenn ich nicht irre, noch unter meinen Papieren sich be-
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auf das Zustandekommen einer Vereinigung zwischen den (XII) beiden erleuchteten und hochsinnigen Regenten
findet. Es war darin hauptsächlich von den Hemmnissen die Rede, welche Osterreich vor kurzem der Ausfuhr oberschwä- bischer Leinwand nach Italien in den Weg gelegt habe — alles ganz schlicht und im Kontorstil dargestellt. Infolge unserer Verabredung zogen wir noch andere Fabrikanten unsern Be- ratungen bei, namentlich die HH. Leisler und Blachiere von Hanau, Hartmann aus Heidenheim, Herrose aus Aarau usw. Von der Stiftung eines Handelsvereins war aber immer noch nicht die ßede. Erst als die Eingabe an den Bundestag ent- worfen und dieser Entwurf mit großem Beifall aufgenommen worden war, rückte ich mit meinen weiteren Vorschlägen hervor. Niemand wird in Abrede zu stellen vermögen, daß alle die Stif- tung und Organisation des Vereins betreffenden Vorschläge von mir allein ausgegangen, und schon die kurze Zeit, in welcher ich meine Entwürfe vorbrachte, beweist, daß sie von mir präme- ditiert gewesen sind.
Nun bitte ich, die obige Reklamation zugunsten des Herrn Elch wiederum nachzulesen, und man wird sich wundern, daß der Grund des Widerspruchs zwischen mir und Herrn Elch nicht eigentlich in den Tatsachen, sondern einzig in der totalen Ver- schiedenheit unserer Logik liegt. Als sein Verdienst spricht Herr Elch an, daß er die „Idee der Handelsfreiheit im Innern und nach außen" zuerst ausgesprochen habe. Dies ist ein Anspruch, den ich nicht mache und nicht machen kann, weil diese Idee, lange bevor wir beide in Frankfurt zusammen- gekommen sind, von den HH. Gournay, Quesnay und Adam Smith ausgesprochen gewesen ist, und weil ich niemals bloße Handelsfreiheit im Verhältnis mit fremden Nationen, sondern im Gegenteil stets ein tüchtiges und nationalesHandels- system verlangt habe. Als sein weiteres Verdienst spricht Herr Elch an, daß er bei den zur Messe in Frankfurt anwesend gewesenen Xaufleuten ein Zirkular in Umlauf gesetzt habe, um sie zum Beitritt zu einer von ihm beabsichtigten, auf Handels- freiheit abzielenden Petition an den Bundestag einzuladen. Dieses
von Bayern und Württemberg (XITI) und später des deutschen Zollvereins gewirkt hat, ist bekannt.
Als Konsulent des deutschen Handelsvereins hatte ich
Faktum leugne ich nicht; jedermann wird aber einseben, daß, gesetzt auch, Herr Elch hätte seine beabsichtigte Petition wirk- lich zustande gebracht, gesetzt, er hätte wirklich eine Menge Unterschriften dafür gewonnen, gesetzt, Herr E!ch wäre wirkbch imstande gewesen, eine die öffentliche Aufmerksamkeit in An- spruch nehmende Petition zu verfassen, damit doch ganz und gar nichts wäre ausgerichtet gewesen. Das ist auch, was ich den Unterzeichnern meines Petitionsentwurfs begreifhch zu machen suchte, nachdem er unterzeichnet war. Ich sagte ihnen: „hier liegt die Petition: sprechen wird sie von sich macheu, weil sie von einem nationalen Gesichtspunkt ausgeht und etwas ein- dringlich abgefaßt ist, aber liegen wird sie bleiben wie hundert andere Petitionen an den Bundestag. Um etwas zu erreichen, müssen wir alle deutschen Fabrikanten und Kaufleute zu dem gemeinschaftUchen Zweck vereinigen, die deutschen Regierungen und Behörden für unser System zu gewinnen, die Höfe, die Ständeversammlungen, die Kongresse durch unsere Abgeordneten zu beschicken, Tatsachen, die für uns sprechen, zu sammeln und bekannt zu machen, talentvolle Schriftsteller zu vermögen, daß sie für uns schreiben, durch Herausgabe eines Vereinsblattes und durch Zeitschriften und Zeitungen die öffentliche Meinung für uns zu gewinnen und jedes Jahr auf diesem Meßplatz wieder zusammen zu kommen, um den Bundestag wieder und wieder zu petitionieren." Von diesem allem hat Herr Elch nichts getan. Gleichwohl bin ich in der angeführten Reklamation dar- gestellt, als sei ich zufällig nach Frankfurt gekommen, als sei ich, von Heri'n Elchs sublimen Ideen begeistert zufälligerweise zu der Ehre gekommen, dieselben in Worte einzukleiden, als habe ich nachher nichts weiter getan, als den Herrn Schnell • nach den deutschen Höfen begleitet. Daß ich dieser Sache meine Anstellung, meine Laufbahn, meine Ruhe aufgeopfert, daß ich ein bedeutendes Kapital zu Bestreitung der ersten Kosten vor- geschossen, daß ich bis zum Jahre 1821 alle Ausfertigungen und
einen harten Stand. Allen -wissenschaftlich gebildeten Staats- beamten, Redakteuren von Zeitungen und Zeitschriften und allen politisch-ökonomischen Schriftstellern, erzogen in der kosmopolitischen Schule wie sie waren, schien jeglicher Zollschutz ein theoretischer Greuel. Dazu kam das Interesse Englands und der Trödler der englischen Industi-ie in den deutschen See- und Meßstädten. Bekannt ist, welche Mittel das (XIV) englische Ministerium, nie gewohnt zu knickern, wo es seine Handelsinteressen zu fördern gilt, in seinem secret Service money besitzt, um allerwärts im Ausland der öffent- lichen Meinung unter die Arme zu greifen. Eine Unzalü von Korrespondenzen und Flugschriften, von Hamburg und Bremen, von Leipzig und Frankfurt ausgegangen, erschien gegen das unvernünftige Begehren der deutschen Fabrikanten um gemeinschaftlichen Zollschutz und gegen ihren Ratgeber, dem insbesondere mit harten und höhnischen Worten vor- geworfen ward, er kenne nicht einmal die ersten von allen wissenschaftlich Gebildeten anerkannten Grundsätze der politischen Ökonomie, oder habe doch nicht Kopf genug, sie zu fassen. Diese Wortführer der englischen Interessen hatten um so leichteres Spiel, als ihnen die herrschende Theorie und die Überzeugung der deutschen Gelehrten zur Seite stand. Im Innern des Vereins selbst gab es große Meinungsverschiedenheit. Die einen verlangten nur Freiheit des Handels im Innern, die offenbar ohne Schutz nach außen unter den herrschenden Verhältnissen noch schlimmer gewesen wäre als das Fortbestehen der Provinzialdouanen — es waren die in dem deutschen Meß verkehr und im Kolonialwarenhandel Beteiligten. Die andern dagegen, die deutschen Fabrikanten nämlich, verlangten das Prinzip der Retorsion, als (XV) das einleuchtendste, vorteilhafteste und ge-
Deduktionen entworfen, und wie ich sie entworfen habe, wird gänzlich mit Stillschweigen übergangen. —
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rechteste. Der letzteren wareii wenige, und diese wenigen waren zum Teil schon durch die englische Konkurrenz halb oder ganz niedergebrochen. Gleichwohl hatte der Konsulent ihnen zu folgen, wenn er überhaupt eine Partei für sich haben wollte. Politische wie überhaupt gemeinsame Wirk- samkeit ist nur möglich durch Transaktion zwischen den Meinungsverschiedenheiten derjenigen , die zunächst ein gleiches Ziel verfolgeii. Das nächste Ziel in diesem Falle aber war: Aufhebimg der Provinzialdouanen und Her- stellung einer Nationaldouane. Waren nur einmal die Innern Schlagbäume gefallen, so vermochte kein Gott sie wiederum aufzurichten. War nur einmal die National- douane hergestellt, so war es immer noch Zeit, ihrer falschen Basis eine bessere zu substituieren, und in dem vorliegenden Fall um so mehr, als das Retorsion sprin zip für den Augenblick mehr gewährte, als das Schutzprinzip verlangte.
Offenbar ward dieser Kampf mit ungleichen Waffen ge- führt: auf der einen Seite eine nach allen Teilen ausge- bildete, in unwidersprochenem Ansehen stehende Theorie, eine geschlossene Schule, eine mächtige Partei, die in allen gesetzgebenden Körpern und Dikasterien ihre Sprecher hatte, vor allem aber die große bewegende (XVI) Kraft — Geld,*) auf
*) Auch Senümentalität und Romantik spielten dabei keine kleine Roil>", wie überall, wo die natürlichen Zustände von den künstlichen verdrängt werden. Ihnen ist das furchenpfliigende Ochsengespann ein viel schönerer Anblick als der länderpflügende Dampfwagen, und je weiter sie in der Kultur zurückgehen, desto edler erscheinen ihnen die Zustände. Nach ihrer Art zu sehen, haben sie auch vollkommen recht. Um wieviel malerischer er- scheint nicht das Schäfer- und Hirtentum, als die prosaische Ackerwirtschaft, und um wie viel romantischer der hosenlose Wilde mit Pfeil und Bogen, als der Schäfer und Hirte? Noch 15 Jahre später, als es sich um den Anschluß Badens an den
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der andern Armut und Not, Meinungsverschiedenheit, innerer Zwiespalt und gänzlicher Mangel an einer theoretischen Basis. Dieser Kampf wirkte sehr vorteilhaft auf meine weiteren Forschungen, aber sehr nachteilig für meinen Ruf. Im Verlauf der täglichen Kämpfe, die ich zu bestehen hatte, kam ich auf den Unterschied zwischen der Theorie der Werte und der Theorie der produktiven Kräfte, und hinter das falsche Spiel, welches die Schule mit dem Wort Kapital treibt; ich lernte die Unterschiede zwischen der Manufakturkraft und der Agrikultur- kraft kennen; ich kam jenen falschen Argumenten auf den Grrund, welche die Schule damit führt, daß sie Gründe, die nur für den freien (XVII) Agrikulturproduktenhandel sprechen, auch für die Freiheit des Manufakturproduktenverkehrs geltend machen will ; ich fing an das Prinzip der Tei- lung der Arbeit besser kennen zu lernen, als es von der Schule dargestellt worden war, und einzusehen, in- wiefern es auf die Zustände ganzer Nationen anwendbar sei. Allein mieine Darstellungen waren un- vollkommenes Stückwerk, und so wenig Ruhm erwarb ich mir durch meine redlichen Bestrebungen, daß das Konver- sationslexikon, während meiner Abwesenheit von Deutsch- land, meine ganze Wirksamkeit als Konsulent des deutschen Handelsvereins in einem sehr ungünstigen Licht darstellen und sogar behaupten durfte: ich habe mit fremden Kälbern gepflügt.*) — Später habe ich Österreich, Norddeutschland,
deutschen Zollverein handelte, sprach ein sentimentaler Depu- tierter in der badischen Kammer von „Rasenteppich" und „Morgen- tau" und „ßlumenduft" und „Farbenschmelz".
*) In einer früheren Note habe ich bereits dieses intriganten Artikels erwähnt, und ich fordere hiermit den Verfasser des- selben auf ihn öffentlich, und unter seinem Namen zu i-echt- fertigen.
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Ungarn und die Schweiz, Frankreich und England bereist und überall durch Beobachtung der Zustände wie durch Schriften mich zu belehren gesucht. Als hierauf mein Ge- schick mich nach Nordamerika führte, ließ ich alle Bücher zurück; sie hätten mich nur irreleiten können. Das beste Werk, das man in diesem neuen Land über politische Ökonomie lesen kann, (XVIII) ist das Leben. Wildnisse sieht man hier reiche und mächtige Staaten werden. Erst hier ist mir die stufenweise Entwicklung der Volksökonomie klar geworden. Ein Prozeß, der in Europa eine Reihe von Jahrhunderten in Anspruch nahm, geht hier unter unsern Augen vor sich — nämlich der Übergang aus dem wilden Zustand in den der Viehzucht, aus diesem in den Agrikulturzustand und aus diesem in den ]\[anufaktur- und Handelsstand. Hier kann man beobachten, wie die Rente aus dem Nichts all- mählich zur Bedeutendheit erwächst. Hier versteht der einfache Bauer sich praktisch besser auf die Mittel, die Agrikultur und die Rente zu heben, als die scharfsinnigsten Gelehrten der alten Welt — er sucht Manufakturisten und Fabrikanten in seine Nähe zu ziehen. Hier treten die Gegensätze zwischen Agrikultur- und Manufaktur- nationen einander aufs schneidendste gegenüber und verur- sachen die gewaltigsten Konvulsionen. Nirgends so wie hier lernt man die Natur der Transportmittel und ihre Wir- kung auf das geistige und materielle Leben der Völker kennen. Dieses Buch habe ich begierig und fleißig gelesen und die daraus geschöpften Lehren mit den Resultaten meiner früheren Studien, Erfahrungen und Reflexionen in Einklang zu stellen gesucht. Daraus ist, wie ich hoffe, ein System entstanden, das, wie mangelhaft es (XIX) zurzeit noch erscheinen mag, doch nicht auf bodenlosen Kosmopolitismus, sondern auf die Natur der Dinge, auf die Lehren der Ge- schichte und die Bedürfnisse der Nationen gegründet ist. In ihm ist die Möglichkeit gegeben, die Theorie mit der
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Praxis in Einklang zu stellen und die politische Ökonomie, an welcher bisher durch ihre scholastische Schwülstigkeit, ihre Widersprüche und ihre grundfalsche Terminologie der gesunde Menschenverstand irre geworden, jedem gebildeten Verstand zugänglich zu machen — Aufgaben, die mir seit der Stiftung des deutschen Handels Vereins vorschwebten, an deren Lösung ich aber nicht selten verzweifelte.
Mein Schicksal wollte, daß ich in Nordamerika uner- wartete Aufmunterung zur Verfolgung meiner Ideen fand. Mit den angesehensten Staatsmännern der Union, insbesondere mit dem Präsidenten der pennsylvanischen Gesellschaft zur Beförderung der Manufakturen und Künste, Chr. J. In ger- soll, in Verbindung gekommen, war mein früheres Wirken im Fach der politischen Ökonomie bekannt geworden. Als nun im Jahr 1827 die amerikanischen Fabrikanten und Be- förderer der einheimischen Industrie aus Veranlassung der Tariffrage durch die Anhänger des freien Handels sehr ge- drängt wurden, erging von Hrn. Ingersoll an mich die Auf- forderung, in dieser Frage das Wort zu ergreifen. Ich (XX) tat es mit einigem Erfolg, wie die beigefügte Urkunde zeigt.*) Die zwölf Briefe, in welchen ich mein System entwickelte, sind nicht nur in der Nationalzeitung von Philadelphia ab-
*) Extrakt des Protokolls der Gesellschaft für Beförderung der Manufakturen und Künste in Philadelphia.
Beschlossen, öffentlich zu erklären, daß Professor Friedrich List durch seine auf die Natur der Dinge gegründete Unter- scheidung der politischen von der kosmopolitischen Ökonomie und der Theorie der produktiven Kräfte von der Theorie der Werte, und durch die darauf basierten Argumente ein neues naturgemäßes System der politischen Ökonomie begründet und sich dadurch um die Vereinigten Staaten höchlich verdient ge- macht habe.
Beschlossen, den Professor List aufzufordern, zwei Bücher -:u verfassen : ein wissenschaftliches, in welchem seine Theorie
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gedruckt, sondern auch von mehr als fünfzig Provinzial- zeitungen nachgedruckt und von der Gesellschaft für Be- förderung der Manufakturen unter dem Titel: outlines of a new System (XXI) of political economy besonders als Broschüre herausgegeben und in vielen tausend Exemplaren verbreitet worden. Auch erhielt ich Beglückwünschungen von den angesehensten Männern des Landes, wie z. B. von dem alten ehrwürdigen James Madison, von Henry Clay, Edward Livingston usw.
Während ich aufs eifrigste beschäftigt war, den AVünschen der Gresellschaft zu Beförderung der Manufakturen und Künste in Philadelphia gemäß, ein größeres Werk über politische Ökonomie auszuarbeiten, und nachdem schon die Einleitung dazu gedruckt war, bot sich mir ein Unternehmen dar, das mich für lange Zeit verhinderte, meine Zeit lite- rarischen Beschäftigungen zu widmen. Politik und Schrift- stellerei sind in Nordamerika wenig lukrative Beschäftigungen ; wer sich ihnen widmen will, aber nicht von Hause aus Yerraögen besitzt, sucht allererst durch irgend eine Unter- nehmung seine Existenz und seine Zukunft sicher zu stellen.
gründlich entwickelt werde, und ein populäres, welches dazu diene, sein System in den Schulen zu verbreiten.
Beschlossen, von seite der Gesellschaft auf fünfzig Exemplare dieser Schriften zu subskribieren und die Gesetz- gebungen der bei dem amerikanischen (Industrie-) Systeme in- teressierten Staaten aufzufordern, ein gleiches zu tun und auch sonst zu Verbreitung dieses Werkes auf jede mögliche Weise tätig zu sein.
Beschlossen, dem Professor List zum Behufe der öffent- lichen Anerkennung seiner Verdienste auf Kosten der Gesell- schaft im Hotel des Herrn Head ein Gastmahl zu geben und dazu unsere angesehensten Mitbürger einzuladen.
Ch. J. Ingersoll, Präs.
Redwood Fisher, Sekr
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Auch ich fand für gut, diese Maxime zu befolgen, und Ge- legenheit dazu gab meine Bekanntschaft mit den Eisen- bahnen, die ich früher schon in England gemacht hatte, eine glückliche Auffindung neuer Steinkohlenflötze und ein nicht minder glücklicher Ankauf der dazu gehörigen sehr bedeutenden Ländereien.
(XXII) Indessen ward diese ganz materielle, anscheinend mit meinen literarischen Tendenzen in keiner Verbindung stehende Unternehmung Veranlassung zu bedeutenden Fort- schritten in meinen Studien und politisch-ökonomischen Ein- sichten. Früher hatte ich die Wichtigkeit der Transport- mittel nur gekannt, wie sie von der Wertetheorie ge- lehrt wird; ich hatte nur den Effekt der Transportanstalten im einzelnen beobachtet und nur mit Rücksicht auf Er- weiterung des Marktes und Verminderung des Preises der materiellen Güter. Jetzt erst fing ich an, sie aus dem Ge- sichtspunkt der Theorie der produktiven Kräfte und in ihrer Gesamt Wirkung als Nationalt ransports 3' stem, folglich nach ihrem Einfluß auf das ganze geistige und politische Leben, den geselligen Verkehr, die Produktivkraft und die Macht der Nationen zu betrachten. Jetzt erst er- kannte ich, w^elche Wechselwirkung zwischen der Manu- fakturkraft und dem Nationaltransportsystem bestehe , und daß die eine ohne das andere nirgends zu hoher Vollkommenheit gedeihen könne. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt, diese Materie — ich darf es wohl behaupten — umfassender abzuhandeln als irgend ein anderer National- ökonom vor mir, und namentlich die Notwendigkeit und Nütz- lichkeit ganzer (XXIII) Nationaleisenbahnsj^steme in ein klares Licht zu stellen, noch ehe irgend ein National- ökonom in England, Frankreich oder Noitlamerika daran gedacht hatte, sie aus diesem höhern Gesichtspunkte zu be- trachten. Ich müßte mich in der Tat um dieser Behaup- tung willen selbst der Ruhmredigkeit anklagen, fühlte ich
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mich nicht dazu notgedrungen durch vielfältige Verun- glimpfungen und Mißhandlungen, die ich infolge meiner Be- strebungen als Wortführer eines deutschen Eisenbahnsystems habe erdulden müssen. Man hat mich im Publikum als einen Mann dargestellt, der nur durch laute Anpreisungen und Deklamationen zugunsten einer neuen Sache sich An- sehen, Wichtigkeit, Einfluß und Geldgewinn verschaffen wolle. Ein norddeutsches sonst sehr respektables Literatur- blatt hat mich, nach ziemlich oberflächlicher Beurteilung meines Artikels: Kanäle und Eisenbahnen im Staats- lexikon, als eine Art Enthusiasten dargestellt, dessen er- hitzte Phantasie alles im vergrößerten Maßstabe sehe und eine Menge Dinge erblicke, die andern Leuten mit gewöhn- lichem Auge nicht wahrnehmbar seien. Yiele vor vier bis fünf Jahren aus Leipzig datierte, in Nürnberger und Frank- furter Blättern erschienene Artikel haben mich sogar noch weit tiefer herabgewürdigt ; *) man hat die Unwissenheit (XXIV) und Insolenz so weit getrieben, mich als eine Art politisch-ökonomischen Marktschreier oder Projektenmacher dem deutschen Publikum vorzustellen. Ja, der Artikel Eisen-
*) Ich kann hier nicht unerwähnt lassen, daß bei meinem Auftreten in Leipzig (1833) mein Name aus der Erinnerung jener, deren Vorurteile und Privatinteressen ich früher (1821) als Konsulent des Handelsvereins zu bekämpfen hatte, noch so wenig verschwunden war, daß die aus diesem Kampf bei meh- reren einflußreichen Männern jener Stadt gegen mich früher ent- standenen Animositäten wieder auflebten und wohl auch zu der nachfolgenden Disharmonie zwischen mir und den Häuptern des dortigen Handelsstandes den Grund gelegt haben mögen. Man wird dies um so wahrscheinlicher finden, wenn man berücksich- tigt, daß der große deutsehe Handelsverein erst während meiner Anwesenheit in Leipzig zum Vollzug kam, also bei meinem ersten Auftreten daselbst sein Einfluß auf das Wohl oder Wehe dieses Meßplatzes noch gänzlich im Zweifel schwebte.
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bahnen im Konversationslexikon der neuesten Zeit und Literatur durfte mir sogar vorwerfen: hauptsächlich durch meine Veranlassung seien jene elenden Stockjobbereien ent- standen, die nach Effektuierung der ersten Leipziger Sub- skription diese Unternehmungen so sehr in Verruf gebracht hätten, während doch in der Tat das Gegenteil der Fall war, während ich mir eben durch meine kräftige Opposition gegen die Stockjobberei das Mißfallen der Stockjobber zu- gezogen habe. Mein oben erwähnter Artikel spricht in dieser Beziehung zu klar sich aus, als daß es nötig wäre, mich hier gegen (XXV) dergleichen nichtswürdige Vorwürfe und Verkleinerungen zu verteidigen. Nur das darf und muß ich sagen, daß ich mißhandelt, auf unverantwortliche Weise mißhandelt worden bin, weil ich gewissen Personen und Privatinteressen im Wege stand, und daß man nachher, gleichsam als Zugabe, mich öffentlich verunglimpfte, weil man, aus Furcht, ich werde die gegen mich gespielten In- triguen in ihrer ganzen Nacktheit ans Licht stellen , bei dem deutschen Publikum glaubte das Prävenire spielen zu müssen. Meine Gegner, zumeist mehr Getäuschte als Täu- schende, kannten weder meine Sinnesart, noch meine Stellung, noch den Umfang meiner Mittel. Weit entfernt, das deutsche Publikum mit dergleichen elenden Privatstreitigkeiten be- helligen zu wollen, war ich schon im Anfang dieser Intri- gen zu dem- festen Entschluß gekommen, alle öffentlichen und Privatverleumdungen stillschweigend über mich ergehen zu lassen : einmal um die gute Sache, welcher ich nun schon so viele Jahre meines Lebens und so bedeutende Summen meines sauren Erwerbs zum Opfer gebracht, nicht in ein nach- teiliges Licht zu stellen, sodann um mir die zur Verfolgung meines Ziels erforderliche Geistesruhe nicht zu rauben, und endlich weil ich der getrosten Hoffnung war, und es noch immer bin, daß mir am Ende doch in jeder Beziehung Gerechtig- keit werde zuteü werden. Unter (XXVI) solchen Umständen
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darf ich wohl auch nicht befürchten, der Ruhmredigkeit angeklagt zu werden, wenn ich die in den Leipziger Be- richten enthaltenen nationalökonomischen Argu- mente und Darstellungen, mit Ausnahme der die Lokal- verhältnisse betreffenden Notizen, als eine ausschließlich mir angehörige Arbeit in Anspruch nehme; wenn ich sage, daß ich — ich allein — es bin, der von Anfang an der Wirk- samkeit des Leipziger Eisenbahnkomitees jene nationale Tendenz und Wirksamkeit gab, die in ganz Deutschland so großen Anklang gefunden und so reiche Früchte getragen hat; daß ich während der verflossenen acht Jahre Tag und Nacht tätig gewesen bin, um durch Aufforderungen und Korrespondenzen und Abhandlungen die Sache der Eisen- bahnen in allen Gegenden Deutschlands in Bewegung zu bringen. Ich spreche alles dies mit der vollkommenen Über- zeugung aus, daß mir kein Mann von Ehre aus Sachsen öffentlich uudunter seinemNamen in irgend einem der angeführten Punkte wird widersprechen können oder wollen.
In den hier gerügten Umtrieben mag hauptsächlich der Grund liegen, weshalb die deutschen nationalökonomischen Schriftsteller bis jetzt meinen Arbeiten über das Eisenbahn- wesen so wenig Gerechtigkeit haben widerfahren lassen, daß (XXVII) sie in ihren Schriften, statt das in den meinigen enthaltene Neue und Originelle anzuerkennen, mich entweder ganz mit Stillschweigen übergingen, oder doch nur im all- gemeinen zitierten.*)
Die angeführten Bestrebungen, ein deutsches Eisenbahn- system ins Leben zu rufen — ein Zweck, der allein mich
*) Herrn Staatsrat Nebenius habe ich von diesem Vorwurf
ausdrücklich auszunehmen. Die Bescheidenheit verbietet mir,
was er mir in dieser Beziehung mündlich sagte, hier wörtlich anzuführen.
List', Nationalökonomie. 2
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bewegen konnte, glänzende Verhältnisse in Nordamerika für eine Reihe von Jahren zu verlassen und nach Deutschland zurückzukommen — diese Bestrebungen und meine früheren praktischen Beschäftigungen in Nordamerika verhinderten mich, meine schriftstellerischen Arbeiten fortzusetzen, und vielleicht hätte dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt, wäre ich nicht durch die erwähnten Mißhandlungen ge- schäftlos und aufgestachelt w^orden, meinen Namen zu retten.
Um meine diu"ch viele Arbeit und unsäglichen Ver- druß zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen, reiste ich im Spätjahr 1837 nach Paris. Zufällig hörte ich hier, daß eine die Handelsfreiheit und die Handelsbeschränkungen be- treffende, früher schon gestellt gewesene Preisfrage der Aka- demie der politischen Wissenschaften in Paris aufs neue aufge- geben worden sei. Dadurch gereizt, entschloß (XXVIII) ich mich, das Wesentliche meiner Ideen niederzuschreiben. Da ich aber, nicht im Besitz meiner früheren Arbeiten, alles aus der Erinnerung zu schöpfen hatte, da mir ferner zu dieser Arbeit bis zum Ablauf des peremtorischen Termins nur un- gefähr vierzehn Tage vergönnt waren, so konnte sie natür- lich nicht anders als sehr unvollkommen ausfallen. Gleichwohl stellte die Kommission der Akademie meine Ar- beit unter die drei ersten von sieben und zwanzig, die im ganzen eingelaufen waren.*) Mit diesem Resultat durfte ich "vvohl zufrieden sein — in Betracht der Flüchtigkeit meiner Arbeit und daß der Preis überhaupt nicht zuerkannt ward — vorzüglich aber in Betracht des literarischen Glau- bens der Preisrichter, die sämtlich der kosmopolitischen Schule angehörten. In der Tat, mit der Theorie der politischen Ökonomie in Beziehung auf den internationalen Han-
*) Meine Abhandlung führte die den Charakter meines Systems bezeichnende Devise: „Et la patrie et l'humamte,"
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del und die Handelspolitik steht es zurzeit in Frankreich fast noch schlimmer als in Deutschland. Herrn Rossi, einem Manne von bedeutenden Verdiensten um die Staatswissenschaften überhaupt und insbesondere um die Aus- bildung vieler einzelnen Materien in der politischen Ökonomie, aber gebildet in kleinen italienischen und helvetischen Städten, wo man (XXIX) Industrie und Handel in nationalem Maßstab und Verhältnis unmöglich kennen und beurteilen lernen kann,*) wo man also notgedrungen seine Hoffnungen auf die Verwirklichung der Idee der allgemeinen Handels- freiheit stellen muß, wie jene, die in dieser Welt keinen Trost mehr finden, ihre Hoffnungen auf die Freuden der zukünftigen zu stellen pflegen — Herrn Rossi ist noch kein Zweifel an dem kosmopolitischen Prinzip, noch kein Gedanke gekommen, daß die Geschichte in dieser Beziehung andere Aufschlüsse geben könne als die, welche man bei Adam Smith findet. Herr Blanqui, Deutschland durch seine Ge- schichte der Nationalökonomie bekannt, hat von jeher seine Ambition darauf beschränkt, J. B. Say, den Verwässerer des Adam Smith, noch fernerweit zu verwässern. Dem, der un- parteiische selbstprüfende Blicke auf die Handels- und In- dustriegeschichte der Nationen geworfen hat, begegnen in seinen Büchern ganze Strömungen der fadesten Gewässer. (XXX) Von diesen beiden rührt nun gewiß nicht das günstige Urteil über meine Schrift her; ich schreibe es dem Baron Dupin zu. Dieser inzwischen, aller Theorie abhold, obwohl
*) Aus demselben Grund sind auch die politisch-ökonomischen Schriften des als Historiker so verdienten Herrn Simonde de Sismondi in Beziehung auf den internationalen Handel und die Handelspolitik ohne allen Wert. Herr von Sismondi sieht mit ■dem leiblichen Auge alles Rote schwarz, mit gleichem Fehler scheint sein geistiger Blick in Sachen der politischen Ökonomie behaftet zu sein. Er will z. B., daß dem Erfindungsgeist Zaum lind Gebiß angelegt werde ! !
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ein tiefdenkender, vielerfahrener Mann, liat sich nie auf die Systeme eingelassen, ungeachtet er, da ihm Frankreich eine faktische und statistische Darstellung seiner Nationalpro- duktivkraft verdankt, notwendig auf die Theorie der produk- tiven Kräfte hätte kommen müssen, wäre ihm anders mög- lich gewesen, seinen Widerwillen gegen die Theorien zu überwinden. In der Vorrede zu dem angeführten Werk spricht Herr Dupin diesen Widerwillen unverhohlen aus. Er hat dort den J. B. Say auf dem Korn, wenn er höhnisch sagt: nie habe er sich die törichte Eitelkeit beigehen lassen, Systeme zu schmieden und die Verhältnisse aller Nationen über Einen Leisten zu schlagen. Gleichwohl ist nicht ein- zusehen, wie ohne tüchtige Theorie zu einer konsequenten Praxis zu gelangen sei. Freilich könnte man sagen, die englischen Staatsmänner seien jahrhundertelang ohne Theorie in der Praxis gut genug gefahren; dagegen aber ließe sich einwenden: die Maxime Manufakturwaren verkau- fen, Rohstoffe kaufen, habe bei den Engländern jahr- hundertelang die Stelle einer ganzen Theorie vertreten. Dies wäre jedoch nur zum Teil wahr, indem bekanntlich die (XXXI) angeführte Maxime England nicht gegen den groben Verstoß geschützt hat, daß zu verschiedenen Zeiten die Einfuhr von Getreide und andern Agrikulturprodukten prohibiert worden. Dem sei, wie ihm wolle, Dupins Scharfblick, wie ich aus seinen mündlichen Äußerungen schließen darf, konnte die Verwandtschaft seiner statistischen Darstellungen mit meiner Theorie nicht entgehen — daher sein beifälliges Ur- teil. Außer den Genannten waren noch andere Preisrichter da, die über politische Ökonomie geschrieben hatten ; schlug man aber ihre Schriften nach, um etwas, das einem eigenen Gedanken ähnlich sähe daraus zu zitieren, so fand man, sie enthielten nichts als political economy made easy, wie die Engländer zu sagen pflegen — Dinge für politisierende Damen, Pariser Stutzer und andere Dilettanten — ferner-
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weite Ver Wässerungen früherer Yer Wässerungen des Adam Smith — eigene Gedanken standen ferne — man mußte lachen.
Diese französische Arbeit ist indessen so wenig ohne Nutzen für mich gewesen als die frühere englische. Nicht nur ward ich in meiner anfänglichen Ansicht bestärkt, ein tüchtiges System müsse durchaus eine tüchtige historische Grundlage haben ; ich fand auch, meine historischen Studien seien noch immer nicht weit genug gegangen. Als ich daher nach weiterer Fortsetzung derselben (XXXII) späterhin meine in englischer Sprache geschriebenen Arbeiten, namentlich die fünf Bogen starke geschichtliche, bereits gedruckte Einlei- tung wieder durchlas, fand ich sie — erbärmlich. Vielleicht wird der geneigte Leser sie im deutschen Gewände noch so finden. Auch gestehe ich offen und ohne Ziererei — was manche vielleicht mir gar zu gerne glauben — daß ich sie wiederum so fand, als ich nach Bearbeitung des letzten Kapitels die ersten wiederum durchlas, ja daß ich nahe da- ran war, diese deutsche Arbeit, wie früher die englische und französische, zu kassieren. Doch besann ich mich eines andern. "Wer fortstudiert, kommt immer weiter, und das Umarbeiten muß doch ein Ende nehmen. So trete ich nun vor das Publikum mit dem demütigenden Gedanken, daß man vieles an meiner Arbeit zu tadeln finden werde, ja daß ich selbst jetzt, da ich diese Vorrede schreibe, vieles hätte besser machen und sagen können, und nur der Gedanke stärkt mich, man möchte nebenbei doch in meinem Buche manches Neue und Wahre und auch einiges finden, das meinem deutschen Vaterlande zu besonderem Nutzen gereichen dürfte. Hauptsächlich dieser Absicht ist es zuzuschreiben, daß ich vielleicht oft zu keck und zu entschieden über die An- sichten und Leistungen einzelner Autoren und ganzer Schulen ein Verdammungsurteil fällte. (XXXIII) Wahrlich, es geschah dies nicht aus persönlicher Arroganz, sondern über-
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all in der Überzeugung, die getadelten Ansichten seien ge- meinscliädlich, und um in solchem Falle nützlich zu wirken, müsse man seine entgegengesetzte Meinung unumwunden und auf energische Weise aussprechen. Gewiß ist es auch eine falsche Ansicht, wenn man glaubt, Männer, die in den Wissenschaften Großes geleistet, seien darum auch in An- sehung ihrer Irrtümer mit großem Respekt zu behandeln; sicher ist just das Gegenteil wahr. Berühmte und zur Auto- rität gelangte Autoren schaden durch ihre Irrtümer un- endlich mehr, als die unbedeutenden, und sind daher auch um so energischer zu widerlegen. Daß ich durch eine mildere, gemäßigtere, demütigere, hinlänglich verklausulierte, links und rechts Komplimente ausstreuende Einkleidung meiner Kritik in Ansehung meiner Person besser gefahren wäre, weiß ich wohl ; auch weiß ich, daß wer richtet, wieder gerichtet wird. Aber was schadet's? Ich werde die strengen Urteile meiner Gegner benutzen, um meine Irrtümer wieder gut zu machen, im Fall, was ich kaum zu hoffen wage, dieses Buch eine zweite Auflage erleben sollte. So werde ich doppelt nützen — wenn auch nicht mir selbst.
Für billige und nachsichtige Richter, welche die (XXXIV) vorerwähnte Entschuldigung gelten lassen wollen, bemerke ich, daß ich auf die eigentliche Abfassung dieses Buches keines- wegs so viele Zeit verwendet habe als auf die Forschungen und Reflexionen ; daß die einzelnen Kapitel zu verschiedenen Zeiten und oft flüchtig bearbeitet worden sind und daß ich weit entfernt bin, mir einzubilden, ich sei von der Natur mit Geistesgabeu besonders ausgestattet. Diese Bemerkungen stehen hier, damit man von einer so schwierigen Geburt nach einer so langwierigen Schwangerschaft keine allzu- großen Erwartungen hege ; damit man erklärlich finde, wenn ich hier und da von einer halb oder längst vergangenen Zeit als von der Gegenwart spreche, und damit man mir öftere Wiederholungen oder gar einzelne Widersprüche nicht
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allzuhoch anrechne. Das Kapitel der Wiederholungen be- treffend, so ist jedem in der politischen Ökonomie etwas Bewanderten bekannt, wie vielfältig in dieser Wissenschaft alle einzelnen Materien ineinandergreifen, und daß es un- gleich besser ist, dieselbe Sache zehnmal zu wiederholen als nur einen Punkt im Dunkeln zu lassen. Welche Meinung ich selbst übrigens von meinen Kräften hege, mag besser als aus meinen Worten aus dem obigen Geständnisse erhellen, daß ich so viele Jahre gebraucht habe, um etwas Leid- liches zustande zu bringen. Große Geister (XXXV) produzieren schnell und leicht — gewöhnliche bedürfen langer Zeit und harter Arbeit. Aber auch sie können, von den Umständen begünstigt, zuweilen etwas Außerordentliches leisten, zumal wenn sie eben eine zum Umsturz reife Theorie vorfinden und wenn die Natur sie mit etwas Urteilskraft und mit einiger Beharrlichkeit in Verfolgung ihrer Zweifel begabt hat. Auch der arme Mann kann reich werden, wenn er den Pfennig zum Pfennig, den Taler zum Taler legt.
Um dem Verdacht des Plagiats vorzubeugen, ist zu be- merken, daß ich die in dieser Schrift entwickelten Ideen großenteils schon seit Jahren in deutschen und französischen Journalen und Zeitungen, namentlich in der „Allgemeinen Zeitung" vielfältig, zum Teil jedoch in sehr flüchtigen Um- rissen, durch Korrespondenzartikel zur Sprache gebracht habe. Bei dieser Veranlassung kann ich nicht umhin, meinem geistreichen und gelehrten Freund Dr. Kolb meine Dankbarkeit öffentlich dafür zu bezeugen, daß er es über sich genommen hat, meinen anfänglich oft so gewagt scheinen- den Behauptungen und Argumenten in diesem berühmten Blatte Raum zu gönnen. Zu gleicher Dankesbezeugung ver- . pflichtet fühle ich mich gegen den Freiherrn von Cotta, der mit so rühmlichem Eifer überall in die Fußstapfen seines um (XXXVI) die industriellen Fortschritte wie um die Literatur des deutschen Vaterlandes so hoch verdienten Vaters tritt. Ich
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fühle mich gedrungen, es hier öffentlich auszusprechen, daß der gegenwärtige Besitzer der berühmtesten Buchhandlung der Welt mir in der Sache der deutschen Eisenbahnen mehr Beistand geleistet hat, als irgend jemand in Deutschland, und daß ich durch ihn aufgemuntert worden bin, mit einer Skizze meines Systems in der A''ierteljahrsschrift und hierauf mit dem gegenwärtigen Buch herauszutreten.
Damit mir nicht ungerechterweise Mangel an Voll- ständigkeit vorgeworfen werde, ist hier vorzumerken, daß ich plangemäß in diesem ersten Bande zusammendrängen wollte, was ich über den internationalen Handel und die Handelspolitik und insbesondere zugunsten der Ausbildung eines nationalen deutschen Handelssystems Neues und Ori- ginelles zu sagen hatte, indem ich auf diese Weise in dem gegenwärtigen entscheidenden Zeitpunkt weit mehr für die Sache der deutschen Industrie wirken zu können glaubte, als wenn ich Neues mit Altem, Entschiedenes mit Zweifel- haftem vermischt und hundertmal Gesagtes wieder aufgewärmt hätte. Dabei mußte noch manches, was ich infolge meiner Be- obachtungen und Erfahrungen, meiner (XXXVII) Reisen und Studien in andern Fächern der politischen Ökonomie ge- funden zu haben glaube, zurückgewiesen werden. Nament- lich habe ich über die Agrarverfassung und Güterarron- dierung, über die Pflanzung der Arbeitsfähigkeit und die Erweckung des deutschen Unternehmungsgeistes, über die mit dem Fabrikwesen verbundenen Übelstände und die Mittel, ihnen abzuhelfen und vorzubeugen, über die Aus- wanderung und Kolonisation, über die Pflanzung einer deutschen Marine und die Mittel zur Ausdehnung des aus- wärtigen Handels, über die Wirkungen der Sklaverei und die Mittel, sie aufzuheben, über die Stellung und die wahren Interessen des deutschen Adels usw. Studien gemacht, deren Resultate, sollte anders dieses Buch nicht unge-
bührlich ausgedehnt Averden, hier unmöglich eine Stelle finden konnten.
Durch die obenerwähnten Artikel in der Yierteljahrs- schi'ift*) habe ich gleichsam bei der öffentlichen Meinung von Deutschland anfragen wollen, ob es erlaubt und nicht an- stößig sei, Ansichten und Prinzipien aufzustellen, die von denen der herrschenden Schule der politischen (XXXVIII) Ökonomie von Grund aus verschieden seien. Zugleich wollte ich da- mit den Anhängern dieser Schule Gelegenheit geben, mich, hätte ich die Pfade des Irrtums betreten, auf den rechten Weg zurückzubringen. Diese Artikel sind aber nun schon seit zwei Jahren im Publikum, ohne daß auch nur Eine Stimme darüber oder dagegen laut geworden wäre. Meine Eigenliebe sagt mir, man habe mich unwiderleglich ge- funden ; meine Zweifelsucht dagegen flüstert mir zu, man achte mich zu gering, um mich einer Widerlegung zu würdigen. Wem soll ich glauben? ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß in einer Frage, bei welcher es um Wohl oder Wehe, um Sein oder Nichtsein einer Nation, und zwar unserer Nation — der deutschen — sich handelt, auch die Meinung des Geringsten Beachtung oder mindestens WiderleguQg verdient.
„Aber — könnte die Schule sagen, wie sie denn auch oft schon gesagt hat — das sogenannte Merkantilsystem ist in hundert und aberhundert Schriften, Artikeln und Reden von uns siegreich bekämpft worden, sollen wir zum tausendsten Mal das neu Aufgewärmte widerlegen?" Das wäre freilich schlagend, hätte ich nur das sogenannte Merkantil- system wieder aufgewärmt. Man braucht bloß die
*) „Die Nationalökonomie aus dem historischen Gesichts- punkt betrachtet," Vierteljahrsscbrift 5. Heft, und „Über das Wesen und den Wert einer nationalen Gewerbsproduktiv- kraft," Vierteljahrsschrift 9. Heft.
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nachfolgende Einleitung zu lesen, um sich zu (XXXIX) über- zeugen, daß ich von diesem so verschrieenen System nur das Brauchbare in das meinige aufgenommen, dagegen aber alles Falsche verworfen habe; daß ferner dieses Brauchbare von mir auf eine ganz andere Basis gestellt wurde als von der so- genannten merkantilischen Schule — nämlich auf die Basis der Geschichte und der Natur — und daß ich mit dem Agrikultursystem und dem sogenannten Industriesystem, das fälschlicherweise seinen Namen mit dem des sogenannten Merkantilsystems verwechselt hat, auf gleiche Weise ver- fahren bin ; ja daß ich noch mehr getan • — daß ich jene von der kosmopolitischen Schule tausendmal angeführten Argumente zum erstenmal mit der Natur der Dinge und mit den Lehren der Geschichte widerlegt, daß ich das falsche Spiel, das sie mit einem bodenlosen Kosmopolitismus, mit einer zweideutigen Terminologie und mit grundfalschen Argumenten spielt, zum erstenmal ans Licht gezogen habe. — Das möchte doch wahrlich der Beachtung der Schule und einer gründlichen Replik nicht unwert sein! Wenigstens hätte der Mann, der zunächst jenen Artikel hervorgerufen, den ihm von mir dargeworfenen Handschuh nicht liegen lassen sollen.
Zum Verständnis vorstehender Bemerkung habe ich frühere Vorgänge in Erinnerung zu bringen. In meinen Berichten an die (XL) Allgemeine Zeitung über die Pariser Gewerbeausstelluug von 1839 hatte ich mir beigehen lassen, einige schiefe Blicke auf den gegenwärtigen Stand der Theorie zu werfen, namentlich auf die französische Schule. Darüber nun ward ich durch einen Korrespondenten „vom Rhein" in demselben Blatt in einem Ton und mit Argumenten zurechtgewiesen, die mir deutlich sagten, eine der ersten deutschen Schulautoritäten habe sich mir gegenübergestellt. Er schien übel aufzunehmen, daß ich, von der herrschenden Theorie sprechend, nur Smith und Say genannt, und gab
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mir zu verstehen, auch Deutschland besitze weltberühmte Theoretiker. Aus jedem seiner Worte sprach jene Zuver- sicht, die eine zur unbestrittenen Herrschaft gelangte Theorie ihren Jüngern einflößt, zumal Zweiflern gegenüber, denen sie keine gründliche Kenntnis ihrer eingelernten Lehre zu- trauen. Indem er die bekannten Schulargumente gegen das sogenannte Merkantilsystem wiederholt, unwillig darüber, hundertmal Gesagtes und allgemein als unbestrittene Wahr- heit Anerkanntes noch einmal sagen zu müssen, ruft er aus: „Jean Paul selbst habe irgendwo gesagt, eine falsche Theorie lasse sich nur durch eine bessere ersetzen."
Ich weiß nicht, wo und in welcher Verbindung Jean Paul die angeführte Sentenz (XLI) ausgesprochen hat, das aber glaube ich behaupten zu können, daß sie — sowie der Kor- respondent „vom Rhein" sie hingestellt hat — einem Gemein- platz ganz ähnlich sieht. Etwas Schlechtes läßt sich frei- lich überall nur durch etwas Besseres mit Vorteil ersetzen. Daraus folgt aber keineswegs, daß man etwas Schlechtes, das bisher als gut und tüchtig gegolten, nicht in seiner wahren Gestalt darstellen dürfe. Noch viel weniger folgt daraus, daß man eine als falsch erkannte Theorie nicht aller- erst über den Haufen zu werfen habe, um Raum für eine bessere zu gewinnen oder die Notwendigkeit einleuchtend zu machen, daß eine bessere gefunden werden müsse. Ich für meinen Teil bin nicht dabei stehen geblieben, die herrschende Theorie als eine falsche und unhaltbare nach- zuweisen, ich habe in dem angeführten Artikel der Viertel- jahrsschrift auch die Umrisse einer neuen Theorie, die ich für eine bessere halte, dem Publikum zur Prüfung vorgelegt ; ich habe also geleistet, was die Sentenz Jean Pauls — im strengsten Sinne verstanden — verlangt. Gleichwohl hat jene hohe Autorität der kosmopolitischen Schule diese zwei Jahre still geschwiegen.
Streng genommen dürfte es übrigens nicht genau wahr
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sein, daß über die beiden Vorläufer meiaes Buches noch keine Stimme sich habe (XLII) vernehmen lassen. Irre ich nicht, so hat der Verfasser eines Aufsatzes in einem der neuesten Hefte einer in hohem Ansehen stehenden Zeitschrift auf mich gezielt, wenn er von Angriffen auf das herrschende nationalökonomische System spricht, die von außen („nicht von Männern des Fachs") kämen, von Leuten, „die geringe Kenntnis des von ihnen angefochtenen Systems verrieten, das sie in seinem Ganzen gar nicht und auch im einzelnen meist unrichtig erfaßt hätten" usw.
Diese hochtheoretische Polemik ist so sehr in scholastische Phrasen und dunkle Orakelsprüche eingehüllt, daß außer mir kaum noch jemand auf den Gedanken kommen dürfe, sie gelte mir und meinen Aufsätzen. Darum, und weil ich in der Tat selbst nicht ganz gewiß bin, ob ich wirklich ge- meint sei, will ich, getreu meinem Vorsatz, keinen lebenden deutschen Schriftsteller in diesem Buche namentlich anzu- greifen oder herauszufordern, meinen Gegner oder seinen Aufsatz nicht näher bezeichnen. Doch darf ich ihn auch nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, um nicht bei dem Verfasser selbst, im Fall er mich gemeint hätte, dem AVahne Nahrung zu geben, als habe er mir schlagende Dinge ge- sagt. In diesem Falle dürfte ihm, ohne nähere Bezeichnung, klar genug sein, daß e r es ist, den (XLIII) ich meine. Freimütig sage ich also diesem Gegner, daß ich so gut in die tiefen Geheimnisse seiner Wissenschaft eingeweiht zu sein glaube als er selbst; daß Orakelsprüche und tiefsinnig scheinende, aber im Grund nichtssagende Phrasen, wie sie in dem Ein- gang zu seinem Aufsatz schichtenweise aufeinander gehäuft sind, in der politischen Ökonomie das seien, was im ge- meinen Verkehr die falschen Münzen; daß so allgemeine Behauptungen und dergleichen Ansprüche auf besonderes Wissen nichts beweisen als das Bewußtsein eigener Schwäche ; daß es nicht mehr an der Zeit sei, dem Adam Smith
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Sokratische Weisheit zuzuschreiben und Lotz, dessen deut- schen Yerwässerer, als ein großes Licht zu preisen ; daß er, der Gegner, wenn er sich von solchen zum großen Teil un- brauchbaren Autoritäten sollte emanzipieren können, freilich zu der niederschlagenden Überzeugung kommen müsse, seine eigenen zahlreichen Schriften bedürfen einer bedeutenden Revision; daß aber ein so heroischer Entschluß ihm mehr zu Ehre und Ruhm gereichen dürfte, als eigensinniges Be- harren auf seinem eingelernten Schulwissen, indem er dann mächtig dazu beitragen könnte, angehende praktische National- ökonomen über die wahren Interessen ihres Vaterlandes aufzuklären, anstatt sie fernerhin theoretisch zu stultitizieren. (XLIV) In der Tat, eine solche Bekehrung möchte für einen nicht geringen Nationalgewinn zu achten sein; denn man weiß, welchen großen Einfluß selbst angehende Lehrer der politischen Ökonomie, zumal wenn sie angesehenen und vielbesuchten Hochschulen angehören, auf die öffentliche Meinung der gegenwärtigen und der künftigen Generation ausüben. Ich kann daher nicht umhin, dem Mann, den ich meine, soweit es in einer Vorrede angeht, aus seinem theoretischen Traume zu helfen. Er spricht unaufhörlich von einer Gut er weit. In diesem Wort liegt eine Welt von Irrtum — es gibt keine Güter weit! Zu dem Begriff von Welt gehört geistiges und lebendiges Wesen, wäre es auch nur Tierleben oder Tiergeist. Wer möchte z. B. von einer Mineral weit sprechen? Nehmt den Geist hinweg, und alles, was ein Gut hieß, wird zur toten Materie. — Oder was ist aus dem Reichtum von Tyrus und Karthago ge- worden, was aus dem Wert von Venedigs Palästen, seitdem der Geist aus jenen Steinmassen entflohen ist? — Mit eurer Güterwelt wollt ihr die Materie zur Selbständigkeit er- heben — darin liegt euer ganzer Irrtum. Ihr seziert uns tote Körper und zeigt uns den Bau und die Bestandteile seiner Glieder, aber diese Gliedmaßen wieder zu einem
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Körper (XLV) verbinden, ihm Geist einhauchen, ihn in Aktion setzen, das könnt ihr nicht — eure Güter weit ist
eine Chimäre! ■
Nach diesen Bemerkungen wird man mir gerne glauben, wenn ich sage, daß nicht Furcht der Beweggrund ist, wes- halb ich vermied, in diesem Buche von den Arbeiten der deutschen Nationalökonomie zu sprechen. Nur nutzlose oder schädliche Polemik wollte ich vermeiden. Denn erst seit der Gründung des Zollvereins ist es den Deutschen mög- lich geworden, die politische Ökonomie aus dem natio- nalen Gesichtspunkt zu betrachten; seitdem mag wohl mancher frühere Lobpreiser des kosmopolitischen Systems anderen Sinnes geworden sein, und offenbarer Mutwille wäre es unter so bewandten Umständen, der Bekehrung solcher Männer durch persönlichen Tadel entgegenzutreten.
Indessen kann dieser Grund nur von lebenden Schrift- stellern gelten, aber, offen gestanden, an den Toten war nicht viel Absonderliches zu widerlegen, da sie alle Irrtümer von Smith und Say geteilt und im Grunde nichts wesent- lich Neues beigebracht haben. Wohl zu merken, wie über- all in diesem Buche, so auch hier, beschränkt sich unser Urteil lediglich auf die Lehre vom internationalen Handel und von der Handelspolitik — überall lassen wir (XL VI) folglich Ver- dienste, die sich hingegangene wie lebende Schriftsteller in an- deren Teilen der politischen Ökonomie erworben haben mögen, auf ihrem Wert beruhen. Man lese in dieser Beziehung die Schriften von Lotz, Pölitz, Rotteck, Soden usw. — von den gar zu seichten wie Krause, Fulda usw. nicht zu reden — und man wird finden, daß sie in der angegebenen Beziehung blinde Nachtreter von Smith und Say, oder daß ihre Urteile, da wo sie von jenen abweichen, ohne Wert sind. Gleiches ist sogar von dem geistreichen Weitzel, einem der vorzüglichsten politischen Schriftsteller der Deutschen, zu sagen, und selbst der vielerfahrene und liell-
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denkende Rudhart hat in dieser wichtigen Materie nur hier und da helle Zwischenräume.
Mir tut es sehr leid, in dem Augenblicl', wo Beiträge zu Rottecks Denkmal gesammelt werden, öffentlich das Urteil über ihn aussprechen zu müssen, er habe weder von dem internationalen Handel noch von der Handelspolitik, weder von den Systemen noch von der Praxis der poli- tischen Ökonomie eine klare Anschauung gehabt, • Billiger- weise wird man mich deshalb entschuldigen, w^enn man aus der angeführten, einem seiner letzten Werke entnommenen Stelle ersieht, daß Rotteck mich und mein AVirken nicht allein hart, sondern auch ganz falsch (XL VII) beurteilt*) und somit in die Notwendigkeit der Abwehr versetzt habe. Rottecks
*) Siehe Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie, ange- fangen von Freiherrn von Aretin, fortgesetzt von Karl v. Rottek. Leipzig 1839. S. 300. „Nicht eben zugunsten der einheimischen Fabrikanten wird solcher Entschluß (Handelsbeschränkung) gefaßt werden, denn für die Gesamtheit ist es wohl vorteilhaft, wenn die freie Einfuhr fremder Produkte die einheimischen Pro- duzenten zur Vervollkommnung der Industrie spornt und zu Herabsetzung des Preises nötigt, sondern um die durch das Ausströmen des Geldes ohne Möglichkeit des Rückflusses ent- stehende Verarmung des Staates zu hindern und dergestalt von allen Bürgern, von den Konsumenten wie von den Pro- duzenten, ein schweres Übel abzuwenden. Diesen Gesichts- punkt hätten der „allgemeine deutsche Handelsverein" und sein Wortführer List vor Augen halten sollen, anstatt nur über eigenen Notstand zu klagen. Alsdann wäre die öffent- liche Meinung ihnen beifälliger, und die Waffen ihrer Gegner stumpfer . gewesen, wiewohl nicht zu verkennen ist, daß wegen besonderer, die Wahrheit der im Texte aufgestellten allge- meinen Grundsätze keineswegs berührender Umstände und Ver- hältnisse Deutschlands und des deutschen Handels das System des genannten Handels Vereins teils unausführbar, teils mit mancherlei Nachteil verknüpft gewesen wäre,"
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Vorwurf, ich habe nur über den Notstand der Fabrikanten, anstatt über das Ausströmen des baren Geldes und die Ver- armung des Staats geklagt, und das System des deutschen Han- delsvereins sei teils unausführbar, teils sei es mit mancherlei Nachteilen verknüpft gewesen — dieser Vorwurf trägt kein anderes (XLVIII) Gepräge als das meiste, was Rotteck in seinem Kapitel über den Staatshaushalt sagt — das der Unkenntnis. Wenn man mein Buch gelesen hat und dann jenes Kapitel liest, so wird man, wie ich hoffe, dieses Ur- teil nicht ungerecht finden. Man lese nur, was in meinem XXVII. Kapitel über das Retorsionsprinzip gesagt ist, und prüfe dann die Ansichten Rottecks, so wird man sich über- zeugen, daß Rotteck eine reine Frage der industriellen Erziehung der Nationen ungebührlicherweise auf den Boden des Rechts hinübergezogen, daß er sie, statt als Nationalökonom, nur als Staatsrechtsgelehrter beurteilt habe. Diese gänzliche Verkennung meines Wirkens und meines Wertes als Nationalökonom — dieser Angriff dürfte mich wohl auch rechtfertigen, wenn ich sage : es wäre klüger gewesen. Rotteck hätte in seinen Schriften, wie in seinen Reden als Deputierter, freimütig bekannt, er besitze nicht die geringste praktische Erfahrung in Sachen des inter- nationalen Handels und der Handelspolitik, und das Gebiet der politischen Ökonomie sei ihm ein gänzlich fremdes, als daß er in beiden das Wort auf eine Weise führte, die seinen übrigen Verdiensten offenbaren Abbruch tat. Man wird sich erinnern, daß die Herren v. Rotteck und Welcker, un- geachtet sie früher erklärt hatten, sie verständen nichts vom Handel, (XLIX) gleichwohl in der badischen Kammer dem An- schluß Badens an den großen deutschen Zollvei-ein aufs heftigste sich widersetzten. Mit beiden wohl bekannt, nahm ich auf das Gerücht, sie würden diese Partei ergreifen, mir die Freiheit, ihnen deshalb eindringliche Vorstellungen zu machen, worauf mir eine ziemlich empfindlich lautende
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Antwort zuteil ward. Ob diese Vorstellung auf das miß- liebige Urteil Rottecks Einfluß gehabt habe oder nicht, will ich dahingestellt sein lassen.
Pölitz, in keinem Fache origineller Denker und über- all ohne Erfahrung, war ganz besonders in diesem nur Kom- pilator. Welche Urteile dieser geistlose Inhaber von Deutsch- lands erstem politischen Lehrstuhl in politisch-ökonomischen Dingen besaß, davon weiß ich ein Beispiel zu erzählen. — In der Zeit, da ich in Leipzig über meine Vorschläge zu einer Leipzig-Dresdener Eisenbahn und über mein deutsches Eisenbahnsystem von den klugen Leuten noch verspottet ward, ersuchte ich Herrn Pölitz um Beistand und Gutachten, worauf er den Bescheid vernehmen ließ: es könne jetzt noch gar nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, wiefern dieses Unternehmen nützlich und notwendig sei, denn man könne nicht wissen, welche Richtung inskünftige der Waren- zug nehme. Diese (L) tief theoretische Ansicht ist nachher, wenn ich nicht irre, in seine traurigen Jahrbücher über- gegangen.
Als ich mit Lotz das erstemal persönlich zusammen traf, nahm ich mir die Freiheit, ihm bescheidentlich von einigen neuen Ansichten in der politischen Ökonomie zu sprechen, in der Absicht, die seinigen zu vernehmen und die meinigen zu berichtigen. Herr Lotz ließ sich in keine Erörterung ein, dagegen drückte sich auf seinem Gesicht ein Gemisch von Vornehmheit und Ironie aus^ das mir deutlich sagte, er halte seine Stellung für zu erhaben, als daß er, ohne sich zu vergeben, mit mir in eine Diskussion sich einlassen könne. Auch ließ er wirklich einiges ver- lauten, dessen Sinn dahin ging, daß Diskussionen zwischen Dilettanten in der Wissenschaft und den Tief ein geweihten zu nichts führen könnten. Seit fünfzehn Jahren hatte ich damals Herrn Lotz' Bücher nicht wieder gesehen, mein Respekt vor ihrem Verfasser war also von sehr altem Datum.
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Dieses Benehmen aber setzte mich über den wahren Wert der Lotzschen Schriften ins Klare, noch bevor ich sie wiederum angesehen hatte. Wie kann, dachte ich, in einer Erfahrungswissenschaft, was doch die poHtische Ökonomie ist, ein Mann etwas Tüchtiges leisten, der in dieser Art die Erfahrung von sich weist? Als ich später seine dicken Bücher wieder zu Gesicht bekam, ward mir Herrn Lotz' (LI) Benehmen ganz erklärlich. Nichts ist natürlicher, als daß Autoren, die bloß ihre Vorgänger abgeschrieben oder er- läutert und all ihr Wissen aus Büchern geschöpft haben, höchlich beunruhigt und verblüfft werden, wenn ihnen lebendige, ihrem Schulwissen widerstreitende Erfahrungen und ganz neue Ideen gegenübertreten.
Graf Soden, den ich viel kannte, war dagegen un- gleich lehrreicher im Umgang als in seinen Schriften und gegen Zweifel und Widerspruch ungemein liberal. Das Neue dieser Schriften bestand hauptsächlich in der Methode und in der Terminologie. Leider ist aber letztere weit schwül- stiger als die früheren und würde die Wissenschaft noch tiefer in den Schlamm der Scholastik führen als die von Smith und Say.
W e i t z e 1 beurteilt in seiner Geschichte der Staatswissen- schaften sämtliche national- ökonomische Schriftsteller ganz wie die kosmopolitische Schule.
Wenn ich aus bereits angeführten Gründen mich alles Tadels gegen die noch lebenden national-ökonomischen Schriftsteller Deutschlands enthalte, so hindert das nicht, daß ich dem Trefflichen und Guten Gerechtigkeit wider- fahren lasse, das in den Schriften von Nebenius, Hermann, Mohl u. a. enthalten ist.
Mit Nebenius' Buch über den (LH) deutschen Zollverein stimme ich, wie man sehen wird, in Beziehung auf das von demselben zunächst zu befolgende System großenteils über- ein. Da dieses Buch offenbar in der Absicht geschrieben
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ist, für den Augenblick auf die weitere Ausbildung des Vereins zu wirken, so war es ganz zweckmäßig, daß der scharfsinnige und um die deutsche Industrie so hoch ver- diente Verfasser Theorie und Geschichte gänzlich beiseite liegen ließ. Darum hat es aber auch alle Vorzüge und alle Mängel einer Gelegenheitsschrift. Denn wenn es für den Augenblick kräftig zu wirken imstande ist, so schützt es doch nicht gegen künftige Verirrungen. Nehmen wir z. B. den Fall an, die Engländer und Franzosen schafften alle Zölle auf deutsche Agrikultur- und Forstprodukte ab, so würde nach Nebenius' Argumenten kein Grund mehr vor- handen sein, das deutsche Schutzs^^stem fortzusetzen. Mohls Polizeiwissenschaft enthält sehr viele richtige Ansichten über das Schutzsj^stem, und von Hermann ist bekannt, wie kräftig er praktisch für die Ausbildung des deutschen Zollvereins und für die Entwicklung der bayerischen In- dustrie insbesondere wirkt.
Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, des Um- standes zu gedenken, daß die Deutschen, hierin verschieden von allen andern Nationen, (LIII) die politisch- ökonomischen Dinge in zwei verschiedenen Disziplinen abhandeln : unter der Benennung Nationalökonomie, politische Ökonomie, Staatswirt- schaft usw. lehren sie die Theorie des kosmopolitischen Systems nach Smith und Say; in der Polizeiwissenschaft untersuchen sie, inwiefern die Staatsgewalt auf die Produk- tion, Verteilung und Konsumtion der materiellen Güter ein- zuwirken berufen sei. Say, der überall um so bestimmter urteilt, je weniger er die Sachen kennt, wirft den Deutschen höhnisch vor, sie vermischten die politische Ökonomie mit der Lehre von der Administration. Da Say kein Deutsch verstand, und keines der deutschen national-ökonomischen Werke ins Französische übersetzt ist, so muß er durch irgend ein reisendes Pariser Genie zur Kenntnis dieser Tat- sache gelangt sein. Im Grunde genommen beweist aber
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diese Trennung der Wissenschaft, die allerdings bisher zu vielen Mißverständnissen und Widersprüchen Veranlassung gegeben, nichts anderes, als daß die Deutschen lange vor den Franzosen gefühlt haben, es gebe eine kosmopolitische und eine politische Ökonomie ; sie nannten jene National- ökonomie, diese Polizeiwissenschaft.
Während ich Vorstehendes niederschreibe, kommt mir ein Buch zu Händen, das mich zu dem Geständnis veranlaßt, daß ich Adam Smith viel (LIV) gelinder beurteilt habe, als ich nach meiner Überzeugung hätte tun sollen. Es ist dies der zweite Teil der „Galerie von Bildnissen aus Raheis Um- gang und Briefwechsel", herausgegeben von Varnhagen von Ense. Ich wollte dort nachlesen, was über Adam Müller und Friedrich Gentz, die ich beide persönlich kannte, gesagt sei,*) fand aber die Perlen ganz anderswo als da, wo ich sie suchte, nämlich in dem Briefwechsel zwischen Elahel und Alexander von der Marwitz. — Dieser geistreiche junge Mann hatte als Vorbereitung zu seinem Examen den
*) Späterhin dürfte sich mir vielleicht Gelegenheit darbieten, über die höchst merkwürdigen Ansichten und Verhältnisse dieser beiden Männer hinsichtlich der deutschen Handelspohtik einigen Aufschluß zu geben. Beide habe ich während meiner Anwesen- heit auf dem Ministerkongreß in Wien (1820) persönlich kennen gelernt. Müller, mit welchem ich bei dem verstorbenen Herzog von Anhalt-Köthen, der damals gegen Preußen Opposition machte, viel zusammen war, würdigte mich sogar seines Vertrauens. Gentz war infolge seiner Stellung und seiner Verhältnisse mit England weniger zugänglich; doch ließ er sich zu wiederholten Malen mit mir in Diskussionen ein, die, obwohl nicht von ge- ringem Interesse, so wenig zu einer Übereinstimmung führten, daß er, unmittelbar nach meiner Abreise von Wien, in der All- gemeinen Zeitung eine anonyme Polemik gegen mich eröffnete, die ich, wie ich mir schmeichle, nicht mit Unehre be- standen habe.
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Adam Smith gelesen und nebenbei kritisiert. In der beige- fügten Note ist zu lesen, was er während seines Studiums über diesen Schriftsteller und dessen deutsche Schule (LV) niederschrieb. *) Und dieses Urteil — ein Urteil, das in
*) A, a. 0. Seite 57. „Alle ihre Weisheit haben sie aus Adam Smith, einem beschränkten, aber in seiner beschränkten Sphäre scharfsinnigen Mann, dessen Grundsätze sie bei jeder Gelegenheit mit langweiliger Breite und schülerhaft nachbetend proklamieren. Seine Weisheit ist sehr bequem, denn er kon- struiert, unabhängig von allen Ideen, losgerissen von allen anderen Richtungen des menschlichen Daseins „einen allgemeinen" — für alle Nationen und alle Verhältnisse „gleichpassenden Handels- staat", dessen Kunst darin besteht, „die Leute machen zu lassen, wie sie wollen". „Sein Gesichtspunkt ist der des Privatinteresses ; daß es einen höhern für den Staat geben müsse, daß er kraft dieses höhern auch dem sämtlichen Erwerb eine ganz andere Richtung geben soll, als derjenige wünsche, der nnr gemein genießen will, das ahnet er nicht. Wie sehr muß eine solche Weisheit mit einem Scharfsinn, den nur der Tiefsinn ver- nichten kann, .mit Kenntnis, ja mit Gelehrsamkeit ausgeführt, dem Jahrhundert einleuchten, welches ganz von dem nämlichen Standpunkt ausgeht. Ich lese und kritisiere ihn. Er liest sich langsam, denn er führt durch ein Labyrinth wüster Ab- straktionen, künstlicher Verschlingungen der sinnlich pro- duzierenden Kräfte, wo es nicht sowohl schwer als ermüdend ist, ihm nachzugehen." — Seite 61. „Mit Adam Smith bin ich bald fertig zu meiner nicht geringen Freude; denn gegen das Ende, wo er auf große Staatsangelegenheiten, Kriegführung, Rechts- pflege, Erziehung zu sprechen kommt, wird er ganz dumm. . . Ich werde zusehen, daß ich einmal ausführlich über ihn schreibe, es ist der Mühe wert; denn neben Napoleon ist er jetzt der mächtigste Monarch in Europa." (Wörtlich wahr.) -^ Seite 73. „Über Adam Smith bin ich auf dem sechsten Bogen und werde wohl morgen fertig werden. Ich bringe sie Ihnen mit nach Berlin." Seite 56 . . . „wie über den Staatswirt Krause, der den Adam Smith auf die geistloseste und impertinenteste Weise
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zwanzig Zeilen alles — alles zusammenfaßt, was sich über Smith und seine Schule (LVI) sagen läßt — fällte Marwitz, nachdem er Adam Smith zum erstenmal gelesen hatte. Er, ein Jüngling von vierundzwanzig Jahren, umgeben von Schriftgelehrten, die dem Adam Smith göttliche Verehrung beweisen, — er allein — wirft mit starker und sicherer Hand ihr Idol über den Haufen, daß es in tausend Stücke zerbricht, und lacht der Torheit seiner Anbeter. Und ihn
— berufen, seinem Vaterlande — der Welt — die Augen zu öffnen — ihn haben sie mit den stupidesten Fragen halb tot examiniert, daß er froh war, nur „durchzukommen" — und der mußte sterben — sterben, noch bevor er seinen großen Beruf erkannt hatte.
Deutschlands größter Nationalökonom — sein einziger in gewissem Betracht — mußte sterben auf fremder Erde.
— Vergebens sucht Ihr sein Grab — Rahel allein war sein Publikum, und drei flüchtig hingeschriebene Bemerkungen in seinen vertraulichen Briefen an sie waren seine Werke — doch — was sage ich ? — hat nicht (LVII) Marwitz sechs Bogen, voll geschrieben, über Adam Smith an Rahel geschickt"? Möchten sie sich noch unter Raheis nachgelassenen Papieren finden, und möchte es Herrn v. Varnhagen gefällig sein, sie dem deutschen Publikum mitzuteilen.
Wahrhaftig, in meinem Leben habe ich mich nie so klein gefühlt, als beim Lesen dieser Briefe von Marwitz. Er — ein bartloser Knabe — soll in vierzehn Tagen dahin gekommen sein, dem Götzenbilde der kosmopolitischen Schule den Schleier zu lüften, wozu mir im reifen Alter eine Reihe von Jahren vonnöten gewesen. Besonders bewundernswert
abschreibt, so gemein, daß er zwar dieselben Beispiele gebraucht, aber wo Adam Smith etwa einen Tuchmacher nennt, setzt er einen Leinweber; wo Adam Smith sagt: Calecut und London — er: Trankebar und Kopenhagen." Beides wörtlich wahr.
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ist die Parallele zwischen Napoleon und Adam Smith, die er mit den zwei Worten zieht: „sie seien die beiden mächtigsten Monarchen der Erde" — Länder- verwüster hätte er ohne Zweifel gesagt, wäre nicht dieser Ausdruck im Jahre 1810 ein halsbrechender gewesen. — Welch ein Überblick der großen Weltverhältnisse — welch
ein Geist!
Nach diesen Äußerungen will ich das freimütige Ge- ständnis ablegen, daß ich das von Adam Smith handelnde Kapitel dieses Buches, nachdem es bereits geschrieben war, wieder ausgestrichen habe, einzig aus übertriebenem Respekt für einen berühmten Namen, und weil ich befürchtete, man möchte mir mein unumwundenes Urteil als Arroganz auslegen.
(LVIII) Was ich in dieser ersten Bearbeitung gesagt habe, kann ich hier nicht vollständig wiederholen, ohne meine Vorrede wieder zu einem Buche anzuschwellen, indem ich wenigstens sechs gedruckte Bogen auf einen reduzierte ; ich muß mich auf einen kurzen Auszug beschränken. Gesagt hatte ich, die politische Ökonomie habe in ihren wichtigsten Teilen, nämlich in Beziehung auf den internationalen Handel und die Handelspolitik, durch Adam Smith unermeß- liche Rückschritte gemacht; durch ihn sei ein Geist der Sophistik — der Scholastik — der Unklarheit — der Ver- stellung und Heuchelei in diese Wissenschaft gekommen — sei die Theorie ein Tummelplatz zweifelhafter Talente und eine Vogelscheuche für die meisten Männer von Geist, Er- fahrung, gesundem Menschenverstand und richtigem Urteil geworden — er habe die Sophisten mit Argumenten ver- sorgt, um die Nationen um ihre Gegenwart und ihre Zu- ■ kunft zu betrügen. In Erinnerung gebracht hatte ich aus Dugald Stewards Biographie, wie dieser große Geist nicht ruhig habe sterben können, bis alle seine Manuskripte verbrannt gewesen, womit ich habe zu verstehen geben wollen, wie
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dringend der Verdacht sei, daß diese PajDiere Beweise gegen seine Aufriclitigkeit enthielten. Nachgewiesen hatte ich, wie von Pitt bis Melbourne seine Theorie von den englischen (LIX) Ministern benützt worden sei, um andern Nationen zum Vorteil Englands Sand in die Augen zu streuen. Einen Beobachter hatte ich ihn genannt, dessen Blick nur einzelne Sandkörner, Erdschollen, Gräser oder Gesträuche, nicht aber ganze Gegenden aufzufassen vermochte — als einen Maler hatte ich ihn dargestellt, der zwar Einzelheiten mit be- wunderungswürdiger Genauigkeit zu zeichnen, sie aber nicht zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden gewußt, und der so ein Monstrum gemalt, dessen vortrefflich gezeichnete Glieder verschiedenartigen Körpern angehört haben.
Als charakteristischen Unterschied des von mir aufge- stellten Systems bezeichne ich die Nationalität. Auf die Natur der Nationalität als des Mittelgliedes zwischen Individualität und Menschheit ist mein ganzes Ge- bäude gegründet. Lange habe ich angestanden, ob ich es nicht das natürliche System der politischen Ökonomie nennen solle, welche Benennung sich gleichfalls, und viel- leicht in gewisser Beziehung besser als die gewählte, hätte rechtfertigen lassen, insofern ich alle vorangegangenen Systeme als nicht aus der Natur der Dinge geschöpft, als den Lehren der Geschichte widersprechend darstelle; allein von diesem Vorhaben ward ich durch die Bemerkung eines Freundes zurückgebracht : es könnte Oberflächlichen, welche die Bücher hauptsächlich nach (LX) ihrem Aushängeschilde beurteilen, als eine bloße Aufwärmung des physiok ratischen Systems erscheinen.
Bei dieser Arbeit ist es mir weder darum zu tun ge- wesen, mich in eine gelehrte Kamaraderie einzuschmeicheln, noch mich für einen Lehrstuhl der politischen Ökonomie zu habilitieren, noch künftig als Verfasser eines von allen Kathedern adoptierten Kompendiums zu glänzen, noch auch
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darum, meine Brauchbarkeit zu einem hohen Staatsamt dar- zutun; ich hatte einzig dabei die Förderung der deutschen Nationalinteressen im Auge, und dieser Zweck forderte ge- bieterisch, daß ich meine Überzeugung frei und ohne Bei- mischung von süßlichen, den Geschmacks- und Geruchs- nerven zwar schmeichelnden, aber den Effekt beeinträch- tigenden Ingredienzen aussprach, und vor allem — daß ich populär schrieb. Sollen in Deutschland die Nationalinter- essen durch die Theorie der politischen Ökonomie gefördert werden, so muß diese aus den Studierstuben der Gelehrten, von den Kathedern der Professoren, aus den Kabinetten der hohen Staatsbeamten in die Kontore der Fabrikanten, der Großhändler, der Schifi'sreeder, der Kapitalisten und Bankiers, in die Bureaus aller öffentlichen Beamten und Sachwalter, in die Wohnungen der Gutsbesitzer, vorzüglich aber in die Kammern der Landstände (LXI) herabsteigen, mit einem Wort, sie muß Gemeingut aller Gebildeten in der Nation werden. Denn nur wenn dies geschieht, wird das Handelssystem des deutschen Zollvereins diejenige Stabilität erlangen, ohne welche, selbst bei den besten Absichten, von den begab- testen Staatsmännern nur Unheil und Yerderben angerichtet wird. Die Notwendigkeit einer solchen Stabilität und die Nützlichkeit einer durch freie Diskussion erleuchteten und gestärkten öffentlichen Meinung tritt nirgends in helleres Licht als bei den Handelsverträgen. Methuenverträge können nur in Ländern geschlossen werden, wo die Ansicht der Kabinette alles, die öffentliche Meinung nichts ist. Die neueste Geschichte der deutschen Handelspolitik hat die Wahrheit dieser Bemerkung in ein eklatantes Licht gestellt. Wenn irgendwo die Publizität eine Garantie der Throne ist (und sie ist es überall, wo sie die Nationalkraft belebt, die öffentliche Einsicht vermehrt und die Administration im Interesse der Nation kontrolliert), so ist sie es in den An- gelegenheiten der Industrie und der Handelspolitik. Die
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deutschen Fürsten können ihre dynastischen Interessen in keiner "Weise besser fördern, als indem sie die öffentliche Diskussion über die materiellen Interessen der Nation nicht allein zulassen, sondern . nach Möglichkeit hervor- rufen und begünstigen. Damit dies aber auf eine einsichts- volle Weise (LXII) geschehe, ist nichts so sehr vonnöten, als daß die Theorie der politischen Ökonomie und die praktischen Erfahrungen anderer Völker Gemeingut aller Denkenden in der Nation werden.
Aus diesem Grund ist es bei Abfassung dieser Schrift meine angelegentlichste Sorge gewesen, klar und deutlich zu sein, selbst auf Kosten des Stils und auf die Gefahr hin, nicht gelehrt oder nicht tief zu erscheinen. Ich erschrak, als ein Freund, der einige Kapitel durchlas, mir sagte: „er habe schöne Stellen darin gefunden." Ich wollte keine schönen Stellen schreiben. Schönheit des Stils gehört nicht in die Nationalökonomie. Sie ist nicht nur kein Vorzug, sie ist ein Fehler in nationalökonomischen Werken, indem sie nicht selten dazu mißbraucht wird, eine ungesunde oder schwache Logik zu verdecken und sophistische Argumente als gründliche und tiefsinnige geltend zu machen. Klarheit, Gemeinverständlichkeit sind in dieser Wissenschaft Haupt- erfordernisse. Tiefsinnig scheinender Deduktionen, hoch- trabender Phrasen und erkünstelter Redensarten bedienen sich nur die, denen es an Scharfsinn mangelt, der Natur der Dinge auf den Grund zu sehen, die, welche sich selbst nicht klar sind und daher auch nicht die Mittel besitzen, sich andern klar zu machen.
Auch der Mode des Vielzitierens bin ich nicht (LXIII) ge- folgt. Ich habe hundertmal mehr Schriften gelesen, als von mir angeführt worden sind. Allein ich glaube bemerkt zu haben, daß den meisten Lesern, welche von der Wissenschaft nicht Profession machen, und vielleicht den verständigsten und wißbegierigsten, angst und bange wird, wenn man ihnen die
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literarischen Eideshelfer und Gezeugen legionenweise vor- führt. Zudem durfte ich den mir so nötigen Raum nicht nutzlos vergeuden. Damit will ich jedoch keineswegs be- haupten, daß vielfache Zitate bei Handbüchern und Werken der Geschichtsforschung usw. nicht ihren großen Wert haben; ich will nur bemerklich machen, daß ich kein Hand- buch habe schreiben wollen.
Man sollte denken, ich erweise der deutschen Bureau- kratie eben keinen geringen Dienst, wenn ich ihr eine zu ihrer Praxis passende Theorie liefere und dagegen die Irr- tümer derer ans Licht stelle, von welchen sie niemals mit sonderlichem Respekt behandelt worden ist. Gewiß war die Spaltung zwischen Theorie und Praxis der Kanzleiautorität nie sonderlich günstig. Der unerfahrenste Auskultant, dessen kosmopolitische Hefte kaum trocken gewesen , glaubte den Mund etwas ins Verächtliche verziehen zu müssen, so oft ein erfahrener Rat oder ein tüchtiger und denkender Ge- schäftsmann von Schutzzöllen sprach.
Nicht geringer taxieren wir unsere Ansprüche (LXIV) auf die Beistimmung des begüterten und nicht begüterten Adels deutscher Nation. Ihm haben wir gezeigt, daß er durch seine eigenen Brüder in England — die Tories — zum Teil arm oder bankerott und güterlos geworden, und daß wir — die Industriellen und ihre Wortführer — ihm durch unsere Bestrebungen während des verflossenen Jahrzehnts wiederum auf die Beine verhelfen; wir haben ihm dargetan, daß der ansehnlichste und beste Teil des Honigs, den wir zum Stock bringen, ihm zuteil wird — dadurch daß wir so emsig an der Vermehrung seiner Grundrente und des Wertes seiner Besitzungen arbeiten — daß wir ihm die Töchter unserer reichsten Industriellen zuführen und so die durch Aufhebung der Abteien, Bistümer und Erzbistümer des Deutschen Reichs versiegten Quellen seiner Wohlhabenheit und der Versorgung seiner nachgebornen Söhne und seiner erblosen Töchter
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reichlichst ersetzen — seine Stammbäume wirksamst arro- sieren. Der deutsche Adel braucht nur einen Blick auf den englischen zu werfen, um einzusehen, was innerer Reichtum, großer auswärtiger Handel, Schiffahrt, Flotten und fremde Kolonien auch ihm werden könnten und sollten. "Wohin aber rohe Agrikultur, ein bettelhafter und rechtloser Bürger- stand, bäuerliche Leibeigenschaft, Erhebung des Adels über das Gesetz, Feudalwesen und alle jene Herrlichkeiten führen, wovon (LXV) hochgeborne laudatores temporis acti noch in den letztverflossenen Zeiten geträumt haben, mag ein einziger Blick auf den polnischen Adel und seine gegenwärtigen Zu- stände lehren. Möge also der deutsche Adel unsere Be- strebungen ferner nicht mit neidischem oder gehässigem Auge betrachten. Möge er parlamentarisch und vor allem durch und durch national werden; möge er sich uns nicht gegenüber, sondern an die Spitze unseres National- aufschwungs stellen: das ist seine wahre Bestimmung. Überall und zu jeder Zeit sind die glücklichsten Zeiten der 'Nationen diejenigen gewesen, wo Adel und Bürgertum ver- eint nach Nationalgröße strebten ; überall waren die traurigsten jene, wo sie den Vernichtungskampf gegeneinander führten. Der Kriegsdienst hat längst aufgehört, die Aristokratie zu fundieren, und wie lange wird es noch anstehen, bis Physik, Mechanik und Chemie fast allen persönlichen Mut ersetzen — ja vielleicht den Krieg selbst zerstören? Kurz, wir haben gezeigt, daß es ohne nationalen Aufschwung im Ackerbau, Industrie und Handel, ohne innigen Anschluß an seine In- teressen kein Heil für die deutsche Aristokratie gebe.
Noch haben wir einiges zum richtigen Verständnis zweier Worte voranzuschicken, die an einigen Orten dieses Buches vorkommen — der Worte: Freiheit, National- einheit.
(LXVI) Kein Vernünftiger wird für Deutschland eine andere Freiheit oder eine andere Regierungsform in Anspruch
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nehmen als diejenige, welche den Dynastien und dem Adel nicht allein den höchsten Grad von Prosperität, sondern, was ungleich mehr ist, Fortdauer garantiert, unserer An- sicht nach würde den Deutschen eine andere als die kon- stitutionell-monarchische Regierungsform nicht minder Un- heil bringen, als den Vereinigten Staaten von Nordamerika die monarchische, als den Russen die konstitutionelle. Unserer Ansicht nach ist diejenige Regierungsform die beste, welche dem Geist und den Verhältnissen der Nation, und insbesondere der Kulturstufe, worauf sie steht, am besten entspricht. "Wenn wir aber das Bestreben in Deutschland) die monarchische Gewalt und die Existenz des Adels zu untergraben, für ein gemeinschädliches und törichtes halten, so erscheint uns Haß, Mißtrauen, Eifersucht gegen das Auf- kommen eines freien, industriellen und reichen Bürgertums und gegen die Gesetzesherrschaft als ein noch größerer Fehler, weil in ihnen für Dynastie und Adel die Haupt- garantie ihrer Prosperität und Fortdauer liegt. Ein solches Bürgertum in zivilisierten Ländern im gesetzlichen Wege nicht wollen, heißt der Nation die Wahl stellen zwischen fremdem Joch oder innerlichen Konvulsionen. (LXVII) Darum ist es auch so traurig, wenn man die Übel, womit in unsern Tagen die Industrie begleitet ist, als Motive geltend machen will, die Industrie selbst von sich abzuweisen. Es gibt weit größere Übel, als einen Stand von Proletariern : leere Schatzkammern — Nationalunmacht — Nationalknechtschaft — Nationaltod.
Kein Wohldenkender und Vernünftiger wird ferner in Deutschland eine andere Nationaleinheit verlangen als jene, die jedem einzelnen Staat und Volksstamm Selbständig- keit, freie Bewegung und Wirksamkeit in seinem besondern Kreise garantiert und ihn nur in Beziehung auf die National- interessen und Nationalzwecke dem Gesamtwillen unter- ordnet — jene, die den Dynastien, weit entfernt, sie zu
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unterdrücken oder zu zerstören, einzig und allein Existenz und Fortdauer verbürgen kann — jene, die in dem ur- eigensten Geist der Söhne Teuts begründet ist — in einem Geist, der in dieser Beziehung in der republikanischen Regierun gs form (Schweiz, Nordamerika) wie in der mon- archischen sich gleich bleibt. Wohin aber Scherben- Nationalität, die sich zur nichtzerstückelten Nationalität verhält wie die Scherben eines zerbrochenen Gefäßes zum ganzen — wohin die Nationalzersplitterung führe, schwebt noch in jedermanns Erinnerung. Noch ist kein Menschenalter ver- flossen, seitdem alle deutschen üferlande die (LXVIII) Namen französischer Departements trugen, seit Deutschlands heiliger Strom dem unseligen Vasallenbund eines fremden Eroberers den Namen gab, seit Deutschlands Söhne auf dem heißen Sande des Südens wie auf des Nordens Eisfeldern für fremden Ruhm und fremde Herrschaft ihr Blut verspritzten. Eine Nation aleinheit, die uns und unsere Industrie und unsere Dynastien und unsern Adel gegen die Wieder- kehr solcher Zeiten schütze, meinen wir — keine andere.
Ihr aber, die ihr gegen die Wiederkehr gallischer Herr- schaft eifert, solltet ihr erträglicher oder ruhmvoller finden, daß eure Ströme und Häfen, eure Ufer und Meere fortan unter dem Einfluß der britischen stehen?
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Einleitung 49
Erstes Buch. Die Geschichte.
Zweites Buch. Die Theorie.
Drittes Buch. Die Systeme.
Viertes Buch. Die Politik.
In keinem Zweige der politischen Ökonomie herrscht so große Verschiedenheit der Ansichten zwischen den Theore- tikern und den Praktikern, wie in betreff des internatio- nalen Handels und der Handelspolitik. Zugleich gibt es keine Frage auf dem Gebiete dieser AVissenschaft, die in Hinsicht auf Wohlstand und Zivilisation der Nationen, so wie in Beziehung auf ihre Selbständigkeit, Macht und Fortdauer von so hoher Bedeutung wäre. Arme, unmäch- tige und barbarische Länder sind hauptsächlich infolge ihrer weisen Handelspolitik von Reichtum und Macht strotzende Reiche geworden, und andere aus dem entgegengesetzten Grunde von einem hohen Standpunkt nationaler Geltung zur Unbedeutenheit herabgesunken ; ja, man hat Beispiele erlebt, daß Nationen hauptsächlich darum ihrer Selbständigkeit und sogar ihrer politischen Existenz verlustig geworden, weil ihre Handelssysteme der Entwicklung und Kräftigung ihrer Nationalität nicht förderlich gewesen sind.
Mehr als zu irgend einer andern Zeit hat in unsern Tagen vor allen andern der politischen Ökonomie angehörigen Fragen die vorliegende ein überwiegendes Interesse erlangt. Denn je rascher der Geist industrieller Erfindung und Ver- besserung, der Geist gesellschaftlicher und (2) politischer Ver-
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vollkommnung vorwärts schreitet, desto größer wird der Abstand zwischen den stillstehenden und den fortschreitenden Nationen, desto gefährlicher das Zurückbleiben. Bedurfte es einst Jahrhunderte, um den bedeutendsten Manufakturzweig früherer Zeiten, die Wollfabrikation, zu monopolisieren, so genügten später Jahrzehnte bei der ungleich wichtigeren Baumwollmanufaktur, und in unsern Tagen dürfte ein Yorsprung von wenigen Jahren Großbritannien in den Stand setzen, die ganze Linnenindustrie des europäischen Kontinents an sich zu reißen.
Auch hat die Welt zu keiner andern Zeit eine Manu- faktur- und Handelssuprematie gesehen, welche, gleich der unserer Tage mit so unermeßlichen Kräften aus- gestattet, ein so konsequentes System verfolgt und so ge- waltig dahin gestrebt hätte, alle Manufakturindustrie, allen großen Handel, alle Seeschiffahrt, alle bedeutenden Kolonien, alle Herrschaft der Meere zu monopolisieren und alle übrigen Nationen wie die Hindus sich mauufaktur- und handels- untertäoig zu machen.
Erschreckt durch die Wirkungen dieser Politik — nein — notgedrungen durch die Konvulsionen, die sie verursachte, sah man noch in der neuesten Zeit eine durch ihre Kultur zur Manufakturindustrie wenig berufene Kontinentalnation — die russische — in dem von der Theorie so vervs'^orfeuen Prohibitivsystem ihre Rettung suchen, und was war die Folge? — Nationalprosperität.
Angereizt durch die Verheißungen der Theorie, ließ andererseits das vermittels des Schutzsystems hoch auf- strebende Nordamerika sich verleiten, den englischen Manu- fakturwaren seine Häfen weiter aufzuschließen, und welche Früchte trug dort die freie Konkurrenz? — Konvulsion und Ruin.
(3) Erfahrungen solcher Art sind wohl geeignet, Zweifel zu erregen, ob die Theorie so unfehlbar sei, als sie vermeine,
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ob die Praxis so töricht sei, als sie von der Theorie ge- schildert werde; Besorgnisse zu erwecken, unsere Natio- nalität möchte am Ende Gefahr laufen, an einem Denkfehler der Theorie zu sterben, gleich jenem Patienten, der, ein ge- drucktes Rezept befolgend, an einem Druckfehler starb — ja, den Verdacht in uns zu erzeugen, ob nicht gar jene ge- priesene Theorie nur darum so weitbauchig angelegt und so hoch aufgetürmt sei, damit sie als ein anderes hellenisches ßoß Waifen und Männer berge und uns verleite, unsere eigenen Schutzmauern mit unsern eigenen Händen nieder- zureißen.
Wenigstens ist so viel ausgemacht, daß, nachdem die große Frage der Handelspolitik seit mehr als einem halben Jahrhundert bei allen Nationen, in Schriften und gesetz- gebenden Körpern, von den scharfsinnigsten Köpfen dis- kutiert worden, die Kluft, welche seit Quesnay und Smith zwischen Theorie und Praxis besteht, nicht nur nicht ge- schlossen, sondern von Jahr zu Jalir weiter aufgeklafft ist. Was aber soll uns eine Wissenschaft, die nicht den Weg beleuchtet, den die Praxis wandeln soll? Und wäre ver- nünftigerweise anzunehmen, der Verstand der einen sei so unendlich groß, daß er überall die Natur der Dinge richtig erkenne, der Verstand der andern dagegen so unendlich klein, daß er, unfähig die von jenen entdeckten und ans Licht gestellten Wahrheiten zu begreifen, ganze Menschen- alter hindurch oifenbare Irrtümer als Wahrheiten betrachten könne? Oder sollte nicht vielmehr anzunehmen sein: die Praktiker, wenn auch in der Regel allzusehr geneigt, sich an das Gegebene zu halten, könnten doch der (4) Theorie so lange und so beharrlich nicht widerstreben, widerstrebte nicht die Theorie der Natur der Dinge?
In der Tat glauben wir nachweisen zu können, daß die Schuld des Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis in
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der Handelspolitik ebensowohl an den Theoretikern als an den Praktikern liege.
Die politische Ökonomie muß in Beziehung auf den internationalen Handel ihre Lehren aus der Erfahrung schöpfen, ihre Maßregeln für die Bedürfnisse der Gegenwart und die eigentümlichen Zustände jeder besonderen Nation berechnen, ohne dabei die Forderungen der Zukunft und der gesamten Menschheit zu verkennen. Sie stützt sich dem- nach auf Philosophie, Politik und Geschichte.
Im Interesse der Zukunft und der gesamten Mensch- heit fordert die Philosophie: immer größere Annäherung der Nationen zueinander, möglichste Vermeidung des Kriegs, Begründung und EntAvicklung des internationalen Rechtszu- standes, Übergang aus dem, was man jetzt Völkerrecht nennt, in ein Staatenbundesrecht, Freiheit des internationalen Ver- kehrs in geistiger wie in materieller Beziehung, endlich Vereinigung aller Nationen unter dem Rechtsgesetz, die Universalunion,
Im Interesse jeder besonderen Nation fordert dagegen die Politik: Garantien für ihre Selbständigkeit und Fort- dauer, besondere Maßregeln zur Beförderung ihrer Fort- schritte in Kultur, Wohlstand und Macht und zur Ausbil- dung ihrer gesellschaftlichen Zustände als eines nach allen Teilen vollständig und harmonisch entwickelten, in sich selbst vollkommenen und unabhängigen politischen Körpers.
(5) Die Geschichte an ihrem Teil spricht unleugbar zugunsten der Forderungen der Zukunft, indem sie lehrt, wie jederzeit die materielle und geistige Wohlfahrt der Menschen in gleichem Verhältnis mit der Ausdehnung ihrer politischen Einigung und ihrer kommerziellen Verbindung gewachsen ist. Sie bestätigt aber auch die Forderungen der Gegenwart und der Nationalität, indem sie lehrt, wie Nationen, die nicht vorzugsweise die Beförderung ihrer eigenen Kultur und Macht im Auge gehabt, zugrunde ge-
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gangen sind ; wie zwar der ganz unbeschränkte Verkehr mit weiter vorgerückten Nationen jedem Volk in den ersten Stadien seiner Entwicklung förderlich gewesen, wie aber jede Nation auf einen Punkt gekommen ist, wo sie nur ver- mittels gewisser Beschränkungen ihres internationalen Ver- kehrs zu höherer Ausbildung und zur Gleichstellung mit anderen weiter vorgerückten Nationalitäten gelangen konnte. Die Geschichte weist somit auf Vermittlung zwischen den beiderseitigen Forderungen der Philosophie und der Politik.
Allein Praxis und Theorie der politischen Ökonomie, wie sie gegenwärtig beschaffen sind, nehmen auf das ein- seitigste Partei, jene für die besonderen Forderungen der Nationalität, diese für die einseitigen Forderungen des Kos- mopolitismus.
Die Praxis, oder mit andern Worten das sogenannte Merkantilsystem, begeht den großen Irrtum, die ab- solute und allgemeine Nützlichkeit und Notwendigkeit der Beschränkung zu behaupten, weil sie bei gewissen Nationen und in gewissen Perioden ihrer Entwicklung nützlich und not- wendig gewesen ist. Sie sieht nicht, daß die Beschränkung nur Mittel, die Freiheit aber (6) Ziel ist. Nur die Nation, nir- gends die Menschheit, nur die Gegenwart, nirgends die Zu- kunft beachtend, ist sie ausschließlich politisch und national, fehlt ihr der philosophische Blick, die kosmopolitische Tendenz.
Die herrschende Theorie dagegen, wie sie von Ques- nay geträumt und von Adam Smith ausgebildet worden, faßt ausschließlich die kosmopolitischen Forderungen der Zukunft, ja sogar die der entferntesten Zukunft ins Auge. Die Universalunion und die absolute Freiheit des internationalen Handels, zurzeit bloß eine vielleicht erst nach Jahrhunderten realisierbare kosmopolitische Idee, be- trachtet sie als jetzt schon realisierbar. Die Bedürfnisse der Gegenwart und die Natur der Nationalität verkennend,
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ignoriert sie sogar die Existenz der Nation und damit das Prinzip der Erziehung der Nation zur Selbständig- keit. Ausschließlich kosmopolitisch, beachtet sie überall nur die gesamte Menschheit, die Wohlfahrt des ganzen Ge- schlechts, nirgends die Nation und die Nationalwohlfahrt, perhorresziert sie die Politik, erklärt ^e Erfahrung und Praxis für verwerfliche Routine. Die Geschichte nur be- achtend, insoweit sie ihrer einseitigen Tendenz entspricht, ignoriert oder entstellt sie ihre Lehren, wo sie ihrem System widerstreiten, sieht sie sich in die Notwendigkeit versetzt, die Wirkungen der englischen Navigationsakte, des Methuen- vertrags und der englischen Handelspolitik überhaupt zu leugnen und die aller Wahrheit widersprechende Behauptung aufzustellen : England sei nicht durch, sondern trotz seiner Handelspolitik zu Eeichtum und Macht gelangt.
Erkennen wir so die Einseitigkeit beider Systeme, (7) so können wir uns nicht mehr wundern, daß die Praxis, ihrer bedeutenden Irrtümer ungeachtet, sich von der Theorie nicht reformieren lassen wollte und konnte; so Avird uns klar, warum die Theorie weder von der Geschichte und Erfahrung, noch von der Politik und der Nationalität etwas wissen w^ollte. Wurde gleichwohl diese bodenlose Theorie in allen Gassen und von allen Dächern gepredigt, und zwar am eifrigsten bei denjenigen Nationen, deren Nationalexistenz am meisten dadurch gefährdet ward, so liegt der Grund davon in der vorherrschenden Neigung der Zeit zu philan- thropischen Experimenten und zur Lösung philosophischer Probleme.
Allein im Leben der Nationen wie in dem der Indivi- duen gibt es gegen die Illusionen der Ideologie zwei kräftige Heilmittel: die Erfahrung und die Notwendigkeit. Täuschen wir uns nicht, so stehen alle diejenigen Nationen, welche in der neuesten Zeit im freien Verkehr mit der herrschenden
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Manufaktur- und Handelssuprematie ihr Heil zu finden glaubten, auf dem Punkt, wichtige Erfahrungen zu machen.
Es ist reine Unmöglichkeit, daß die nordamerikanischen Freistaaten bei der Fortdauer ihrer gegenwärtigen nationalen Handelsverhältnisse zu einer leidlichen Ordnung in der Nationalökonomie gelangen. Es ist absolute Notwendigkeit daß sie zu ihrem früheren Zolltarif zurückkehren. Ob auch die Sklavenstaaten sich dagegen sträuben, ob auch die herr- schende Partei ihnen beistehe, die Macht der Yerhältnisse wird stärker sein als die Parteipolitik. Ja, wir fürchten : Kanonen werden früher oder später die Frage lösen, die der Gesetzgebung ein gordischer Knoten war; Amerika (8) werde seinen Saldo an England in Pulver und Blei ab- tragen ; das faktische Prohibitivsystem des Kriegs werde die Fehler der amerikanischen Zollgesetzgebung remedieren ; die Eroberung von Kanada werde dem von Huskisson prophe- zeiten großartigen Konterbandesystem Englands für immer ein Ende machen.
Möchten wir uns täuschen! Für den Fall aber, daß unsere Prophezeiung in Erfüllung gehen sollte, wollen wir der Theorie des freien Handels die Urheberschaft dieses Krieges vindizieren. Seltsame Ironie des Schicksals, daß eine auf die große Idee des ewigen Friedens basierte Theorie einen Krieg zwischen zwei Mächten entzünden soll, die, wie die Theoretiker behaupten, ganz für den Handel miteinander geschaffen sind, fast so seltsam als die Wirkung der philan- thropischen Abschaffung des Sklavenhandels, infolge welcher nun Tausende von Negern in die Tiefe der See versenkt werden.*)
*) Wäre es wohl nicht vernünftiger gewesen, man hätte allererst die Sklavenstaaten vermocht, Glesetze zu geben, nach welchen die Grundeigentümer verpflichtet worden wären, den Sklaven ein beschränktes Eigentum in dem Boden, den sie be-
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(9) Frankreich hat im Laufe der verflossenen fünfzig Jahre (oder eigentlich nur der verflossenen fünfundzwanzig Jahre, indem die Zeit der Revolution und der Kriege kaum in An- schlag zu bringen ist) mit dem System der Beschränkungen, mit allen seinen Irrtümern, Auswüchsen und Übertreibungen ein großes Experiment gemacht. Sein Erfolg muß jedem Unbefangenen in die Augen springen. Daß die Theorie ihn in Abrede stelle, erfordert freilich die Konsequenz des Systems. Wenn sie schon die verzweifelte Behauptung auf- stellen und die Welt glauben machen konnte: England sei nicht durch, sondern trotz seiner Handelspolitik reich und mächtig geworden, wie sollte sie Anstand nehmen, die viel leichter zu beweisende Behauptung auszusprechen : Frankreich wäre ohne Schutz seiner inneren Manufakturen ungleich reicher und blühender geworden, als es gegen-
bauen, einzuräumen und ihnen einen beschränkten Grad von persönlicher Freiheit zu gewähren, mit einem Wort eine milde Leibeigenschaft mit der Aussicht auf künftige Emanzipation einzuführen und die Neger auf diese Weise zur vollen Freiheit vorzubereiten und heranzubilden? Oder wären etwa die Neger unter ihren Despoten in Afrika weniger Sklaven als in den Pflanzungen der Amerikaner? Wäre der Übergang aus der natürlichen Freiheit in die zivilisierte möglich, ohne daß ein barbarisches Volk die Schule der strengen Untertänigkeit durch- gemacht hätte? Hat man durch Parlamentsakten die west- indischen Xeger plötzlich in freie arbeitsame Menschen zu meta- morphosieren vermocht? Ist nicht auf diesem Wege das ganze menschliche Geschlecht zur Arbeit und Freiheit erzogen worden ? Gewiß ist den Engländern die Kulturgeschichte der Menschheit nicht so fremd, daß sie sich diese Fragen nicht schon längst genügend beantwortet hätten. Offenbar hat das, was sie in Be- ziehung auf die Abschaffung der Negersklaverei getan haben und heute noch tun, ganz andere Motive als rein philanthropische, wie von uns anderswo erörtert werden wird.
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wärtig ist? Genug, die Behauptung wird von vielen als unterrichtet und klug geltenden für bare Münze genommen, wenn auch einsichtsvolle Praktiker dagegen ankämpfen, und gewiß ist die Sehnsucht nach den Segnungen eines freien Verkehrs mit England gegenwärtig in Frankreich ziemlich allgemein verbreitet. Auch läßt sich kaum in Abrede stellen — und wir werden (10) anderswo darüber ausführlicher sprechen — daß zum Vorteil beider Nationen ihr wechselseitiger A^er- kehr in mancherlei Weise zu fördern wäre. Von englischer Seite ist es jedoch offenbar darauf abgesehen, nicht bloß Rohstoffe, wie z. B. Roheisen, sondern hauptsächlich große Quantitäten von Manufakturwaren des allgemeinen Ver- brauchs gegen französische Agrikultur- und Luxusprodukte abzusetzen. Inwiefern man von seite der Regierung und Gesetzgebung Frankreichs in dieses Ansinnen einzugehen geneigt ist oder eingehen wird, ist zurzeit noch nicht vor- auszusehen. Sollte man aber wirklich in derjenigen Aus- dehnung darauf eingehen, wie England beabsichtigt, so wird dadurch der Welt ein neues Beispiel für oder gegen die große Frage gewonnen werden: inwiefern es unter den ob- waltenden Verhältnissen möglich und vorteilhaft sei, daß zwei große Manufakturnationen, wovon die eine zurzeit noch gegen die andere in Ansehung der Produktions- kosten und der Ausdehnung des auswärtigen Manufaktur- warenmarktes in entschiedenem Vorteil stehe, miteinander auf ihren eigenen inneren Märkten in freie Konkurrenz treten und welches die Wirkungen einer solchen Kon- kurrenz seien.
In Deutschland sind die eben erwähnten Fragen erst mfolge der Handelsunion praktische National fragen geworden. Wenn in Frankreich der Wein die Lockspeise ist, womit England zum Abschluß eines Handelsvertrages reizen will, so sind es in Deutschland Getreide und Holz. Hier ist indessen alles nur noch Hypothese, da man zurzeit noch
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niclit wissen kann, ob die dementierten Tories so weit zur Vernunft zu bringen sind, um der Regierung in Erleichterung der Zufuhr deutschen Getreides und Holzes Konzessionen zu machen, welche (11) gegen die Union geltend zu machen wären. Denn so weit ist man in Deutschland doch schon in der Handelspolitik gekommen, um die Zumutung, man möchte sich für solide Gold- und Silberbarren in Mondschein und Hoffnungen bezahlen lassen, lächerlich, wo nicht im- pertinent zu finden. Vorausgesetzt, daß dergleichen Kon- zessionen von dem Parlament gemacht werden, dürften die wichtigsten Fragen der Handelspolitik in Deutschland un- verweilt zur öffentlichen Diskussion kommen. Dr. Bowrings neuester Bericht .gibt uns bereits einen Vorgeschmack von der Taktik, welche England in diesem Fall einschlagen wii-d. England wird nämlich diese Konzession nicht als ein Äqui- valent für die überwiegenden Vorteile betrachten, welche es noch immer auf dem deutschen Manufakturmarkt besitzt; nicht als ein Handgeld, um Deutschland zu verhindern, daß es nach und nach sein Bedürfnis an Baumwollengarn selbst spinnen lerne, daß es die dazu erforderlichen Rohstoffe un- mittelbar aus den Ländern der heißen Zone beziehe und sie in eigenen Manufakturwaren bezahle; nicht als ein Aus- gleichungsmittel des noch immer bestehenden Ungeheuern Mißverhältnisses zwischen der wechselseitigen Einfuhr und Ausfuhr beider Länder — nein! England wird das Recht, Deutschland mit Baumwollengarn zu versehen, als ein jus quaesitum betrachten und für jene Konzessionen ein neues Äquivalent verlangen , das in nichts Geringerem bestehen soll als in der Aufopferung seiner Baumwoll- und Woll- manufakturen usw.; es wird Deutschland jene Konzessionen als ein Linsengericht vorsetzen und sich dafür die Ab- tretung seines Erstgeburtsrechts bedingen. Hat Dr. Bowring sich während seines Aufenthalts in Deutschland nicht ge- täuscht, hat er nicht etwa — was (12) wir stark vermuten
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— Berlinische Courtoisie für baren Ernst genommen, so wandelt mau in der Tat in jenen Regionen, wo die Politik der deutschen, Handelsunion geformt wird, noch so ziemlich auf den Wegen der kosmopolitischen Theorie, d. h. man macht noch keinen Unterschied zwischen Manufakturwaren- und Agrikulturproduktenausfuhr ; man glaubt die National- zwecke fördern zu können, vermittels Erweiterung dieser auf Kosten jener; man hat das Prinzip der industriellen Erziehung der Nation noch nicht als Grundprinzip der Handelsunion anerkannt; man trägt kein Bedenken, In- dustrien, die infolge vieljährigen Schutzes so emporgebracht worden sind, daß die innere Konkurrenz bereits die Preise tief herabgedrückt hat, der fremden Konkurrenz zu opfern und damit den Unternehmungsgeist der Deutschen an der Wurzel zu gefährden, weil jede infolge von Schutzvermin- derungen oder überhaupt durch Regierungsmaßregeln ruinierte Fabrik wie ein aufgehängter Kadaver wirkt, der alle lebendigen Wesen ähnlicher Art weit und breit ver- scheucht. Wir sind, wie bemerkt, weit entfernt, diese Ver- sicherungen für gegründet zu halten, aber schon daß sie öffentlich gemacht worden sind und gemacht werden konnten, ist schlimm genug, indem schon dadurch dem Vertrauen in den Bestand des Zoll Schutzes , folglich dem industriellen Unternehmungsgeist Deutschlands ein empfindlicher Stoß beigebracht wird. Der nämliche Bericht läßt uns auch vor- läufig ahnen, in welcher Form den deutschen Manufakturen das tödliche Gift beigebracht werden soll, damit die Ur- sache der Zerstörung nicht allzu klar ans Licht trete und um so sicherer bis zur Urquelle des Lebens dringe. Die Gewichtzölle sollen durch ad valorem-Zölle ersetzt werden, auf daß (13) dem Konterbandehandel Englands und der Zolldefraudation Tor und Angel geöffnet werden, und zwar just in den Artikeln des allgemeinen Verbrauchs, des ge- ringeren Spezialwertes und des höchsten Totalbetrages, also
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in denjenigen Artikeln, welche die Basis der Manufaktur- industrie bilden.
Man sieht, von welcher praktischen Wichtigkeit gerade gegenwärtig die große Frage der internationalen Handels- freiheit, und wie nötig es sei, daß endlich einmal gründlich und unparteiisch untersucht werde, ob und inwiefern Theorie und Praxis in dieser Beziehung sich haben Irrtümer zu- schulden kommen lassen, daß endlich einmal die Aufgabe, beide miteinander in Übereinstimmung zu bringen, gelöst oder doch Avenigstens in ernstliche Anregung gebracht werde.
Wahrlich, es ist nicht affektierte Bescheidenheit, sondern wirklich tiefgefühltes Mißtrauen in seine Kräfte, wenn der Verfasser versichert, daß er nur nach vieljährigem Wider- streben gegen sich selbst, nur nachdem er die Richtigkeit seiner Ansichten hundertmal in Zweifel gezogen und hundert- mal bestätigt gefunden, nur nachdem er die ihm entgegen- stehenden Ansichten und Gründe ebenso oft geprüft und ebenso oft als unrichtig erkannt hatte, zu dem Entschluß gekommen ist, die Lösung dieser Aufgabe zu wagen. Er fühlt sich frei von dem eitlen Bestreben, alte Autoritäten zu widerlegen und neue Theorien zu gründen. Wäre der Verfasser ein Engländer, er hätte schwerlich das Grund- prinzip der Adam Smithschen Theorie in Zweifel gezogen. Es waren die vaterländischen Zustände, welche ihn seit dieser (14) Zeit vermochten, in vielen anonymen Artikeln und zuletzt unter seinem Namen in größeren Aufsätzen seine der Theorie entgegenstehenden Ansichten zu ent- wickein. Heute noch ist es hauptsächlich das Interesse Deutschlands, das ihm den Mut gegeben hat, mit dieser Schrift herauszutreten, obwohl er nicht leugnen kann, es habe dabei ein persönlicher Grund mitgewirkt, nämlich die von ihm erkannte Notwendigkeit, endlich einmal durch eine
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größere Schrift darzutun, daß er nicht ganz unberufen sei, in Sachen der politischen Ökonomie ein Wort mit zu reden.
Der Verfasser wird im direkten Widerspruch mit der Theorie allererst die Geschichte um ihre Lehren befragen, daraus seine Fundamentalgrundsätze ableiten, nach Entwicklung derselben die vorangegangenen Systeme einer Prüfung unterwerfen und am Ende, da seine Tendenz durch- aus eine praktische ist, den neuesten Stand der Handels- politik darlegen.
Zu größerer Klarheit läßt er hier eine Übersicht der Hauptresultate seiner Forschungen und Reflexionen folgen:
Einigung der individuellen Kräfte zur Ver- folgung gemeinsamer Zw^ecke ist das mächtigste Mittel zur Bewirkung der Glückseligkeit der Individuen. Allein und getrennt von seinen Mitmenschen, ist das Individuum schwach und hilflos. Je größer die Zahl derer ist, mit welchen es in gesellschaftlicher Verbindung steht, je vollkommener die Einigung, desto größer und vollkommener das Produkt, die geistige und körperliche Wohlfahrt der Individuen,
Die höchste, zurzeit realisierte Einigung der Indi- viduen unter dem Eechtsgesetz ist die des Staats und der Nation; die höchste gedenkbare (15) Vereinigung ist die der gesamten Menschheit. Gleichwie das Indi- viduum im Staat und in der Nation seine individuellen Zwecke in einem viel höheren Grade zu erreichen vermag, als wenn es allein stände, so würden alle Nationen ihre Zwecke in einem viel höheren Grade erreichen, wären sie durch das Rechtsgesetz, den ewigen Frieden und den freien Verkehr miteinander verbunden.
Die Natur selbst drängt die Nationen allmählich zu dieser höchsten Vereinigung, indem sie durch die Ver- schiedenheit des Klimas, des Bodens und der Produkte sie zum Tausch, und durch Übervölkerung und Überfluß an Kapital und Talenten zur Auswanderung und Kolonisierung
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antreibt. Der internationale Handel, indem er durch Hervorrufung neuer Bedürfnisse zur Tätigkeit und Kraftan- strengung anreizt und neue Ideen, Erfindungen und Kräfte von einer Nation auf die andere überträgt, ist einer der mächtigsten Hebel der Zivilisation und des Nationalwohl- standes.
Zurzeit aber ist die durch den internationalen Handel entstehende Einigung der Nationen eine noch sehr unvollkommene, denn sie wird unterbrochen oder doch ge- schwächt durch den Krieg oder durch egoistische Maßregeln einzelner Nationen.
Durch den Krieg kann die Nation ihrer Selbständig- keit, ihres Eigentums, ihrer Freiheit, ihrer Unabhängigkeit, ihrer Verfassung und Gesetze, ihrer Nationaleigentümlich- keiten und überhaupt ihres bereits errungenen Grades von Kultur und Wohlstand beraubt, kann sie unterjocht werden. Durch egoistische Maßregeln Fremder kann die Nation in ihrer (16) ökonomischen Vervollkommnung gestört oder rück- wärts geführt werden.
Erhaltung, Ausbildung und Vervollkommnung der Na- tionalität ist daher zurzeit ein Hauptgegenstand des Strebens der Nation, und muß es sein. Es ist dies kein falsches und egoistisches, sondern ein vernünftiges, mit dem wahren Interesse der gesamten Menschheit vollkommen im Einklang stehendes Bestreben; denn es führt naturgemäß zur endlichen Einigung der Nationen unter dem Rechts- gesetz, zur Universalunion, welche der Wohlfahrt des menschlichen Geschlechtes nur zuträglich sein kann, wenn viele Nationen eine gleichmäßige Stufe von Kultur und Macht erreichen, wenn also die Universalunion auf dem AVege der Konföderation realisiert wird.
Eine aus überwiegender politischer Macht, aus überwiegendem Reichtum einer einzigen Nation hervor- gehende, also auf Unterwerfung und Abhängig-
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keit der andern Nationalitäten basierte Univer- salunion dagegen würde den Untergang aller National- eigentümlichkeiten und alles Wetteifers unter den Völkern zur Folge haben; sie widerstritte den Interessen wie den Gefühlen aller Nationen, die sich zur Selbständigkeit und zur Erreichung eines hohen Grades von Reichtum und politischer Geltung berufen fühlen ; sie wäre nur eine "Wiederholung dessen, was schon einmal dagewesen, des Versuchs der Römer, jetzt mit Hilfe der Manufakturen und des Handels statt früher durch kalten Stahl ins Werk ge- setzt, darum aber nicht minder zur Barbarei zurückführend.
Die Zivilisation , die politische Ausbildung und die Macht der Nationen werden hauptsächlich durch (17) ihre ökonomischen Zustände bedingt, und um- gekehrt. Je mehr ihre Ökonomie entwickelt und vervoll- kommnet ist, desto zivilisierter und mächtiger ist die Nation; je mehr ihre Zivilisation und Macht steigt, desto höher wird ilire ökonomische Ausbildung steigen können.
In Beziehung auf die nationalökonomische Ausbildung sind folgende Hauptentwicklungsgrade der Nationen anzunehmen: wilder Zustand, Hirtenstand, Agri- kulturstand, Agriku Iturmanufaktu rstand,-Agri- kulturmanufakturhandelsstand.
Offenbar ist diejenige Nation, welche auf einem aus- gedehnten, mit mannigfaltigen natürlichen Hilfsquellen aus- gestatteten Territorium und bei einer großen Bevölkerung Ackerbau, Manufakturen, Schiffahrt, Innern und äußern Handel vereinigt, ungleich zivilisierter, politisch gebildeter und mächtiger als die bloße Agrikulturnation. Die Manu- fakturen aber sind die Basis des Innern und äußern Handels, der Schiffahrt und des verbesserten Ackerbaues, folglich der Zivilisation und der politischen Macht ; und eine Nation, welcher es gelänge, die ganze Manufakturkraft des Erdballs zu monopolisieren und die übrigen Nationen
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derart in ihrer ökonomischen Entwicklung niederzuhalten, daß bei ihnen nur Agrikulturprodukte und Rohstoffe erzeugt und die nötigsten Lokalgewerbe betrieben würden, müßte notwendig zur Universalherrschaft gelangen.
Jede Nation, für welche Selbständigkeit und Fortdauer einigen Wert haben, muß daher trachten, so bald als mög- lich von einem niedrigen Kulturstand in einen höheren überzugehen, so bald als möglich Agrikultur, (18) Manufak- turen, Schiffahrt und Handel auf ilirem eigenen Territorium zu vereinigen.
Die Übergänge der Nation vom -wilden Zustand in den Hirtenstand und vom Hirtenstand in den Agri- kulturstand und die ersten Fortschritte in der Agrikultur werden am besten durch freien Handel mit zivilisierteren, d. h. mit Manufaktur- und Handelsnationen bewirkt.
Der Übergang der Agrikulturvölker in die Klasse der Agrikulturmanufaktur- und Handels- nationen würde bei freiem A^erkehr nur in dem Fall von selbst stattfinden können, wenn bei allen zur Emporbringung einer Manufakturkraft berufenen Nationen zu gleicher Zeit der gleiche Bildungsprozeß stattgefunden hätte, wenn die Nation^ einander in ihrer ökonomischen Ausbildung keinerlei Hindernisse in den Weg legten, wenn sie nicht durch Krieg und Douanensysteme einander in ihren Fortschritten störten.
Da aber einzelne Nationen, durch besondere Verhältnisse begünstigt, vor andern einen Vorsprang in Manufakturen, in Handel und Schiffahrt gewonnen, da dieselben frühzeitig in diesen Vervollkommnungen das wirksamste Mittel er- kannt haben, politisches Übergewicht über andere Nationen zu erlangen und zu behaupten, so haben sie Einrichtungen getroffen, die darauf berechnet waren und es noch sind, ein Monopol der Manufakturen und des Handels zu erlangen und minder vorgerückte Nationen in ihren Fort-
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schritten aufzuhalten. Den Komplex dieser Einrichtungen (Einfuhrverbote, Einfuhrzölle, Schiffahrtsbeschränkungen, Ausfuhrprämien usw.) nennt man das Douanensystem.
Durch die früheren Fortschritte anderer Nationen, durch die fremden Douanensysteme und (19) den Krieg werden die minder vorgerückten Nationen genötigt, in sich selbst die Mittel zu suchen, um den Übergang vom Agrikulturstand in den Manufakturstand zu bewerkstelligen und den Handel mit weiter vorgerückten und nach dem Manufakturmonopol strebenden Nationen, insofern er ihnen darin hinderlich ist, durch ein eigenes Douanensystem zu beschränken.
Das Douanensystem ist demnach nicht, wie man be- hauptet hat, eine Erfindung spekulativer Köpfe, es ist eine natürliche Folge des Strebens der Nationen nach den Grarantien der Fortdauer und Pro- sperität oder nach überwiegender Macht.
Dieses Streben ist aber nur insofern ein legitimes und vernünftiges, als es der Nation selbst, die es ergreift, in ihrer ökonomischen Entwicklung nicht hinderlich, sondern förderlich ist, und als es dem höheren Zweck der Mensch- heit, der künftigen üniversalkonföderation , nicht feindlich entgegentritt.
Gleichwie die menschliche Gesellschaft unter einem gedoppelten Gesichtspunkt zu betrachten ist, nämlich unter dem kosmopolitischen, welcher die gesamte Menschheit ins Auge faßt, und unter dem politischen, welcher die besonderen Nationalinteressen und Nationalzustände berück- sichtigt, so ist alle Ökonomie, die der Privaten wie die der Gesellschaft, unter zwei Hauptgesichtspunkten zu betrachten, nämlich mit Pücksicht auf die persönlichen, gesell- schaftlichen und materiellen Kräfte, wodurch die Reichtümer hervorgebracht werden, oder mit Rücksicht auf den Tauschwert der materiellen Güter.
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Es gibt demnach eine kosmopolitische und eine politische C)konomie, eine Theorie der Tausch- werte und eine Theorie der produktiven Kräfte (20), Doktrinen, die, voneinander wesentlich verschieden, selbständig entwickelt werden müssen.
Die produktiven Kräfte der Völker sind nicht allein durch Fleiß, Sparsamkeit, Moralität und Intelligenz der In- dividuen oder durch den Besitz von Naturfonds oder mate- riellen Kapitalien bedingt, sondern auch durch die gesell- schaftlichen, politischen und bürgerlichen Institutionen und Gesetze, vor allem aber durch die Garantien der Fortdauer, Selbständigkeit und Macht ihrer Nationalität. Wie fleißig, sparsam, erfinderisch, unternehmend, moralisch und intelli- gent die Individuen seien, ohne Nationaleinheit und ohne nationale Teilung der Arbeit imd nationale Konföderation der produktiven Kräfte wird die Nation nie einen hohen Grad von Wohlstand und Macht erlangen oder sich den fortdauernden Besitz ihrer geistigen, gesellschaftlichen und materiellen Güter sichern.
Das Prinzip der Teilung der Arbeit ist bisher unvollständig aufgefaßt worden. Die Produktivität liegt nicht allein in der Teilung verschiedener Geschäftsoperationen unter melu'eren Individuen, sie liegt mehr noch in der geistigen und körperlichen Vereinigung dieser Individuen zueinemgemeinschaftlichenZ weck.
Dieses Prinzip ist demnach nicht bloß auf die einzelne Fabrik oder Landwirtschaft, es ist auch auf die ganze Agri- kulturmanufaktur- und Handelskraft einer Nation anwendbar.
Teilung der Arbeit und Konföderation der Produktivkräfte im nationalen Maßstab besteht, wenn in der Nation die geistige Produktion mit der materi- ellen in richtigem Verhältnis steht, wenn (21) Ackerbau, Gewerbe und Handel in der Nation gleichmäßig und har- monisch ausgebildet sind.
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Bei der bloßen Agrikulturnation, selbst wenn sie mit Manufaktur- und Handelsnationen freien Verkehr treibt, liegt ein großer Teil der produktiven Kräfte und der natürlichen Hilfsquellen müßig und un- benutzt. Ihre intellektuelle und politische Ausbildung, ihre Verteidigungskräfte sind beschränkt. Sie kann keine bedeutende Schiffahrt, keinen ausgebreiteten Handel besitzen. All ihr Wohlstand, insofern er die Frucht des internationalen Verkehrs ist, kann durch fremde Maßregeln und durch Kriege unterbrochen, gestört, vernichtet werden.
Die Manufakturkraft dagegen befördert Wissenschaft, Kunst und politische Vervollkommnung, vermehrt den Volks- wohlstand, die Bevölkerung, das Staatseinkommen und die Macht der Nation, gewährt ihr die Mittel, ihre Handelsver- bindungen auf alle Teile der Erde auszudehnen und Kolonien anzulegen, nährt Fischereien, Schiffahrt und Kriegsmarine. Durch sie allein wird der innere Ackerbau auf eine hohe Stufe der Ausbildung gehoben.
Agrikulturkraft und Manufakturkraft in ei nerundderselbenNation,unterd ernämlichen politischen Gewalt vereinigt, leben im ewigen Frieden, können durch Kriege und fremde Handelsmaß- regeln in ihrer Wechselwirkung nicht gestört werden, garan- tieren folglich der Nation den unaufhörlichen Fortschritt in Wohlstand, Zivilisation und flacht.
Manufaktur- und Agrikulturkraft sind durch die Xatur bedingt, aber die Bedingungen sind verschieden.
Zu Entwicklung der Manufakturkraft sind in Beziehung auf die natürlichen Hilfsmittel die Länder (22) der gemäßigtenZone Vorzugs weise berufen; denn das gemäßigte Klima ist die Zone der geistigen und körperlichen Anstrengung.
Wenn dagegen die Länder der heißen Zone in Hinsicht auf die Manufakturen wenig begünstigt sind, so be-
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sitzen sie ihrerseits ein natürliches Monopol in Ansehung wertvoller, den Ländern der gemäßigten Zone angenehmer Agrikulturprodukte. Aus dem Tausch von Manufaktur- produkten der gemäßigten gegen die Agrikulturprodukte der heißen Zone (Kolonialwaren) entsteht hauptsächlich die kosmopolitische Teilung der Arbeit undKräfte- konföderation, der großartige internationale Handel.
Es wäre ein dem Lande der heißen Zone selbst höchst nachteiliges Beginnen, wollte es eine eigene Manufaktur- kraft pflegen. Yon der Natur dazu nicht berufen, wird es in seinem materiellen Reichtum und in seiner Kultur weit größere Fortscliritte machen, indem es stets die Manufaktur- produkte der gemäßigten Zone gegen die Agrikulturprodukte seiner Zone eintauscht.
Allerdings geraten die Länder der heißen Zone dadurch in die Abhängigkeit der Länder der gemäßigten Zone. Diese Abhängigkeit wird aber unschädlich oder vielmehr aufgehoben, wenn in der gemäßigten Zone mehrere Nationen erstehen, die sich in Manufakturen, Handel, Schiffahrt und politischer Macht das Gleichgewicht halten, wenn es also nicht allein in dem Interesse, sondern auch in der Macht mehrerer Manufaktur- nationen liegt, zu verhindern, daß keine von ihnen ihre Über- macht gegen die raindermächtigen Nationen der heißen Zone mißbrauche. Gefährlich und schädlich wäre dieses Über- gewicht nur, wenn alle Manufakturkraft, aller große Handel, (23) alle große Schiffahrt und Seemacht von einer einzigen Nation monopolisiert würde.
Nationen dagegen, welche ein großes, mit mannigfaltigen natürlichen Hilfsquellen ausgestattetes Territorium der ge- mäßigten Zone besitzen, würden eine der reichsten Quellen des Wohlstandes, der Zivilisation und Macht unbenutzt lassen, wenn sie nicht strebten, die Teilung der Arbeit und die Konföderation der produktiven Kräfte im nationalen Maßstab zu realisieren, sobald sie die dazu erforderlichen
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ökonomischen , geistigen und gesellschaftlichen Hilfsmittel besitzen.
Unter den ökonomischen Hilfsmitteln verstehen wir eine ziemlich weit vorgerückte Agrikultur, die durch Aus- fuhr von Produkten nicht mehr bedeutend gefördert werden kann. Unter den geistigen Hilfsmitteln verstehen wir eine weit vorgerückte Bildung der Individuen. Unter den gesellschaftlichen Hilfsmitteln verstehen wir Insti- tutionen und Gesetze, welche dem Bürger Sicherheit der Person und des Eigentums, den freien Gebrauch seiner geistigen und körperlichen Kräfte sichern. Anstalten, Avelche den Yerkehr regeln und erleichtern, sowie die Abwesenheit von Industrie-, Freiheit-, Intelligenz- und Moralität-störenden Institutionen, z. B. des Feudalwesens usw.
In dem Interesse einer solchen Nation liegt es, dahin zu streben, daß sie allererst ihren eigenen Markt mit eigenen Manufakturprodukten versorge, und dann, daß sie mit den Ländern der heißen Zone mehr und mehr in unmittelbare Verbindung trete, daß sie ihnen auf eigenen Schiffen Manu- fakturwaren zuführe und die Produkte ihrer Zone entgegen- nehme.
Im Yergleich mit diesem Verkehr zwischen den Manu- fakturländern der gemäßigten und den (24) Agrikulturländern der heißen Zone ist aller internationale Handel, mit Aus- nahme weniger Artikel, z. B. des Weins von untergeordneter Bedeutung.
Die Produktion an Rohstoffen und Nahrungsstoffen ist bei großen Nationen der gemäßigten Zone nur hinsichtlich des Innern Handels von großem Belang. Durch Ausfuhr von Getreide, Wein, Flachs, Hanf, Wolle usw. kann eine rohe oder arme Nation im Anfang der Zivilisation ihren Ackerbau bedeutend heben, aber noch nie hat sich dadurch eine große Nation zu Reichtum, Zivilisation und Macht er- hoben.
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Man kann als Regel aufstellen, daß eine Nation um so reicher und mächtiger ist, je mehr sie Manufakturprodukte exportiert, je mehr sie Rohstoffe importiert und je mehr sie an Produkten der heißen Zone konsumiert.
Die Produkte der heißen Zone dienen den Manufaktur- ländern der gemäßigten Zone nicht bloß als Produktivstoffe oder Nahruügsstoffe, sondern hauptsächlich auch als Reiz- mittel zur Agrikultur- und Manufakturproduktion. Man wird daher immer finden, daß in derjenigen Nation, welche die größten Quantitäten von Produkten der heißen Zone konsu- miert, auch verhältnismäßig die größten Quantitäten an eigenen Manufaktur- und Agrikulturprodukten hervorgebracht und konsumiert werden.
In der nationalökonomischen Entwicklung der Nationen, vermittels des internationalen Handels, sind demnach vier verschiedene Perioden erkennbar; in der ersten wird die innere Agrikultur durcli Einfuhr fremder Manufakturwareu und durch die Ausfuhr einheimischer Agrikulturprodukte und Rohstoffe gehoben; in der zweiten erheben sich die Innern Manufakturen neben der Einfuhr auswärtiger Manu- fakturwaren, in der dritten versorgen (25) die inländischen Manufakturen den inländischen Markt zum größten Teil; in der vierten werden große Quantitäten inländischer Manu- fakturwaren exportiert und fremde Rohstoße und Agrikultur- produkte importiert.
Das Douanensj'stem, als Mittel, die ökonomische Entwicklung der Nation vermittels Regulierung des aus- wärtigen Handels zu fördern, muß stets das Prinzip der industriellen Erziehung der Nation zur Richt- schnur nehmen.
Die innere Agrikultur durch Schutzzölle heben zu wollen, ist ein törichtes Beginnen, weil die innere Agrikultur nur durch die inländischen Manufakturen auf ökonomische Weise gehoben werden kann,
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und weil durch die Ausschließung fremder Rohstoffe und Agrikulturprodukte die eigenen Manufakturen des Landes niedergehalten werden.
Die uationalökonomische Erziehung der auf einer niedrigen Stufe der Intelligenz und der Kultur stehenden, oder der im Verhältnis zu dem Umfang und der Produk- tivität ihres Territoriums an Bevölkerung noch armen Nationen wird am besten durch freien Handel mit sehr kultivierten, reichen und gewerbfleißigen Nationen befördert. Jede Be- schränkung des Handels einer solchen Nation, in der Ab- sichtangeordnet, um bei ihr eine Manufakturkraft zu pflanzen, ist voreilig und wirkt nachteilig nicht nur auf die Wohlfahrt der gesamten Menschheit, sondern auch auf die Fortschritte der Nation selbst. Erst alsdann, wenn die intellektuelle, politische und ökonomische Erziehung der Nation infolge des freien Handels so weit gediehen ist, daß sie durch die Ein- fuhr fremder Manufakturwaren und durch den Mangel an hinlänglichem Absatz für ihre Produkte in (26) ihren weitern Fortschritten aufgehalten und behindert wird, sind Schutz- maßregeln zu rechtfertigen.
Eine Nation, deren Territorium nicht von großem Um- fang ist, nicht mannigfaltige natürliche Hilfsquellen darbietet, nicht im Besitz der Mündungen ihrer Ströme oder sonst nicht gehörig arrondiert ist, kann das Schutzsystem entweder gar nicht oder nicht mit vollem Erfolg in Anwendung bringen. Eine solche Nation muß allererst durch Eroberung oder Ver- trag dergleichen Mängel zu heilen suchen.
Die Manufaktur kraft umfaßt so viele Zweige des Wissens und des Könnens, setzt so viele Erfahrungen, Übungen und Gewohnheiten voraus, daß die industrielle Bildung der Nation nur allmählich vonstatten gehen kann. Jede Übertreibung und Übereilung des Schutzes straft sich selbst durch Verminderung des eigenen Wohlstandes der Nation. Am schädlichsten und verwerflichsten ist die plötzliche
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und gänzliche Abschließung der Nation durch Prohi- bitionen, Jedoch sind auch diese zu rechtfertigen, wenn die Nation, durch langen Krieg von andern Nationen ge- trennt, in den Zustand einer unfreiwilligen Prohibition der Manufakturprodukte fremder Nationen und in die absolute Notwendigkeit versetzt worden ist, sich selbst zu ge- nügen.
In diesem Fall ist ein allmählicher Übergang vom Prohibitivsystem in das Schutzsystem durch lange vorherbestimmte, allmählich sich ver- mindernde Zollsätze zu bewerkstelligen. Eine Nation dagegen, welche aus dem Zustande der Nichtprotektion in den Zustand der Protektion übergehen will, muß von geringen Zollsätzen ausgehen, die allmälilich und nach einer voraus- bestimmten Stufenleiter steigen.
(27) Die auf diese Weise vorherbestimmten Zollsätze sind von der Staatsgewalt unverbrüchlich einzu- halten. Sie kann die Sätze nie vor der Zeit vermindern, wohl aber erhöhen, im Fall sie ihr nicht zureichend er- scheinen.
Allzu hohe Einfuhrzölle, welche die auswärtige Konkurrenz gänzlich ausschließen, sind der Nation selbst, die sie anlegt, schädlich, indem dadurch der Wetteifer der Manufakturisten mit dem Auslande ausgeschlossen und Indo- lenz genährt wird.
Wenn bei ansehnlichen, allmählich steigenden Zollsätzen die inländischen Manufakturen nicht gedeihen, so ist dies ein Beweis, daß die Nation die erforderlichen Hilfsmittel noch nicht besitzt, um eine eigene Manufaktur- kraft zu pflanzen.
Der Schutzzoll für einen einmal beschützten Indu- striezweig darf nie so weit fallen, daß diese Industrie durch fremde Konkurrenz in ihrem Bestand gefährdet werden kann. Erhaltung des Bestehenden, Beschützung der
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Wurzeln und des Stammes der Nationalindustrie muß un- verbrüchlicher Grundsatz sein.
Die fremde Konkurrenz kann demnach bloß zur Teilnahme an dem jährlichen Konsumtions- zuwachs zugelassen werden. Die Zollsätze müssen steigen, sobald die auswärtige Konkurrenz den größeren Teil oder das Ganze des jährlichen Zuwachses gewinnt.
Eine Nation wie die englische, deren Manufakturkraft einen weiten Vorsprung vor der aller andern Nationen ge- wonnen hat, erhältunderweitertihreManiifaktur- und Handelssuprematie am besten durch mög- lichst freien Handel. Bei ihr ist das kosmopolitische Prinzip und das politische eines und dasselbe.
(28) Hieraus erklärt sich die Vorliebe aufgeklärter englischer Staatsökonomen für die absolute Handelsfreiheit, imd die Abgeneigtheit einsichtsvoller Staatsökonomen anderer Länder, dieses Prinzip unter den bestehenden Weltverhält- nissen in Anwendung zu bringen.
Seit einem Vierteljahrhundert wirkt das englische Pro- hibitiv- und Schutzsystem gegen England und zum Vorteil der neben ihm aufstrebenden Nationen.
Am nachteiligsten wirken gegen England seine eigenen Einfuhrbeschränkungen fremder RohstotTe und Lebensmittel.
Handelsunionen und Handels vertrage sind die wirksamsten Mittel, den Verkehr zwischen verschiedenen Nationen zu erleichtern.
Handelsverträge sind aber nur legitim und von Bestand, wenn die Vorteile wechselseitig sind. Schädliche illegitime Handelsverträge sind solche, wodurch eine be- reits in der Entwicklung begriffene Manu- fakturkraft einer andern Nation zum Opfer gebracht wird, um Konzessionen für die Ausfuhr von Agrikulturprodukten zu erlangen, die Methuen-, die Löwenverträge. ' S c
Ein solcher Löwenvertrag war der zwischen Eng-
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land und Fraakreich im Jahre 178G abgeschlossene. Alle Anträge, welche seitdem von England an Frankreich und an andere Nationen gestellt worden, sind von derselben Natur.
Wenn der Schutzzoll für einige Zeit die inländischen Manufaktur waren verteuert, so gewährt er in Zukunft wolil- feilere Preise, infolge der inländischen Konkurrenz; denn eine zur vollständigen Ausbildung (29) gelangte Industrie kann die Preise ihrer Fabrikate um so viel wohlfeiler stellen, als die Verführung der Rohstoffe und Lebensmittel imd die Einführung der Fabrikate an Transport und Handels- gewinsten kostet.
Der durch die Schutzzölle verursachte Verlust der Nation besteht jedenfalls nur in Werten, dagegen gewinnt sie Kräfte, vermittels welcher sie für ewige Zeiten in den Stand gesetzt wird, unberechenbare Summen von Werten zu produzieren. Dieser Aufwand an Werten ist demnach nur als der Preis der industriellen Erziehung der Nation zu betrachten.
Der Schutzzoll auf Manufakturwaren fällt nicht den Agrikulturisten der beschützenden Nation zur Last. Durch das Emporkommen einer inländischen Manufakturkraft wird der Reichtum, die Bevölkerung und damit die Nachfrage nach Agrikulturprodukten, folglich Rente und Tauschwert des Grundeigentums außerordentlich vermehrt, während mit der Zeit die Manufakturbedürfnisse der Agrikulturisten im Preise fallen. Diese Gewinste übersteigen die durch vor- übergehende Erhöhung der Manufakturwarenpreise den Agri- kulturisten zugehenden Verluste zehnfältig.
Ebenso gewinnt der äußere und innere Handel infolge des Schutzsj^stems, denn nur bei Nationen, welche ihren innern Markt selbst mit Mauufakturprodukten versorgen, ihre Agrikulturprodukte selbst konsumieren und fremde Roh- stoffe und Lebensmittel gegen ihren eigenen t'berfluß an Manufakturwaren vertauschen, ist der innere und äußere
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Handel von Bedeutung. Bei bloßen Agrikulturnationen der gemäßigten Zone sind beide unbedeutend, und der auswärtige Handel solcher Nationen befindet sich in der Regel in den Händen der mit ihnen in Verkehr stehenden Manufaktur- und Handelsnationen.
(30) Das zweckmäßige Schutzsj'stem gewährt den inländischen Manufakturisteu kein Monopol, sondern nur eine Garantie gegen Verluste denjenigen Individuen, die ihre Kapitalien, Talente und Arbeitskräfte neuen, noch unbekannten Industrien widmen.
Es gewährt kein Monopol, weil die inländische Konkurrenz an die Stelle der auswärtigen tritt, und weil es jedem Mitglied der Nation freisteht, an den von der Nation den Individuen gebotenen Prämien teilzunehmen.
Es gewährt nur ein Monopol den Angehörigen der eigenen Nation gegen die Angehörigen fremder Nationen, die bei sich selbst ein ähnliches Monopol besitzen.
Dieses Monopol ist aber ein nützliches, w^eil es nicht nur in der Nation schlafende und müßig liegende Produktiv- kräfte weckt, sondern auch fremde Produktivkräfte (materielle sowohl als geistige Kapitalien, Unternehmer, Techniker und Arbeiter) ins Land zieht.
Dagegen stellt das Nichtemporkommen einer eigenen Manufakturkraft jede Nation alter Kultur, deren produktive Kraft nicht mehr bedeutend durch die Ausfuhr von Roh- stoffen und Agrikulturprodukten und durch die Einfulir fremder Manufakturwaren gefördert werden kann, mannig- faltigen und großen Nachteilen bloß.
Die Agrikultur eines solchen Landes muß notwendig verkrüppeln, w^eil der Zuwachs der Bevölkerung, welcher bei dem Emporkommen einer großartigen eigenen Manu- fakturindustrie in den Gewerben Unterkommen finden und großartige Nachfrage nach Agrikulturprodukten erzeugen, folglich den Ackerbau im großen gewinnreich machen und
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begünstigen würde, sich nunmehr bloß auf den Ackerbau wirft und eine der Macht und der Zivilisation wie dem Reichtum der Nation höchst (31) schädliche Grüterzer- stückelung und Kleinwirtschaft erzeugt.
Ein größtenteils aus Kleinbauern bestehendes Agrikultur- volk kann weder große Quantitäten von Produkten in den Innern Handel werfen, noch eine bedeutende Nachfrage nach Fabrikaten veranlassen. Jedes Individuum ist hier zum größten Teil auf seine eigene Produktion und Konsumtion beschränkt. Unter solchen Verhältnissen kann sich nie ein vollkommenes Trans^jortsystem in der Nation bilden, kann die Nation nie in den Besitz der damit verbundenen, un- ermeßlichen Vorteile gelangen.
Nationalschwäche, geistige wie materielle, individuelle wie politische, ist davon die notwendige Folge. Diese Wirkungen sind um so gefährlicher, wenn benachbarte Nationalitäten, die entgegengesetzte Richtung einschlagen, wenn sie in jeder Beziehung vorwärts gehen, wo wir rück- wärts schreiten ; wenn dort die Hoffnung einer besseren Zu- kunft den Mut, die Kraft und den Unternehmungsgeist der Bürger erhöht, während hier Geist und Mut durch den Blick in eine nichts versprechen de Zukunft mehr und mehr erstickt werden.
Die Geschichte liefert sogar Beispiele, daß ganze Nationen zugrunde gegangen sind, weil sie nicht zu gehöriger Zeit die große Aufgabe zu lösen verstanden, durch Pflanzung eigener Manufakturen und eines kräftigen Gewerbe- und Handelsstandes, sich ihrer geistigen, ökonomischen und poli- tischen Selbständigkeit zu versichern.
Die Geschichte.
(35) Erstes Kapitel. Die Italiener.
Bei dem Wiederaufleben der Kultur in Europa befand sich in kommerzieller und industrieller Beziehung kein Land in so günstiger Lage wie Italien. Die Barbarei hatte die altrömische Kultur nicht bis auf die Wurzeln zu zerstören vermocht. Ein günstiger Himmel und ein fruchtbarer Boden gewährten auch bei kunstlosem Betrieb des Ackerbaues reichliche Mittel zur Ernährung einer dichten Bevölkerung. Die notwendigsten Künste und Grewerbe waren so wenig zu- grunde gegangen als die altrömische Munizipalverfassung. Eine reiche Küstenfischerei diente überall zur Pflanzschule von Seefahrern, und die Schiffahrt längs der ausgedehnten Seegestade ersetzte den Mangel an innern Transportmitteln reichlich. Die Seeverbindung und die Nähe des griechischen Reichs, Yorderasiens und Ägyptens gewährten dem Lande entschiedene Yorteile in dem orientalischen Handel, der früher, wiewohl nicht in großer Ausdehnung, über Rußland nach den nordischen Ländern betrieben worden war. Durch diesen Verkehr mußte Italien notwendig auch zum Besitz
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derjenigen Wissenschaften, Künste und Manufakturen ge- langen, (36) welche Griechenland aus der Kultur des Alter- tums gerettet hatte.
Seit der Emanzipation der italienischen Städte durch Otto den Großen hatte sich auch hier bewährt, was früher und später die Geschichte so oft dargetan, daß nämlich Freiheit und Industrie unzertrennliche Gefährten sind, wenn auch nicht selten die eine vor der andern ins Leben tritt. Kommen Handel und Industrie irgendwo auf, so darf man gewiß sein, daß ihr die Freiheit nicht ferne steht, entfaltet irgendwo die Freiheit ihr Panier, so ist dies ein sicheres Zeichen, daß früher oder später die Industrie ihren Einzug halten wird. Denn nichts ist so naturgemäß, als daß der Mensch, nachdem er materiellen und geistigen Reichtum er- worben, auch nach Garantien strebt, um diese Errungen- schaft auf die Nachkommen zu vererben, oder daß er, nach- dem er der Freiheit teilhaftig geworden, alle seine Kräfte aufbietet, um seine physischen und geistigen Zustände zu verbessern.
Zum erstenmal, seit dem Untergang der Freistaaten des Altertums, gewähren jetzt die Städte Italiens der Welt wiederum den Anblick freier und reicher Gemeinwesen. Städte und Länder erheben sich wechselseitig zur Blüte und werden in diesem Bestreben durch die Kreuzzüge mächtig unterstützt. Der Transport der Kreuzfahrer und ihre Yer- proviantierung befördert nicht aUein ihre Navigation, er gibt Veranlassung und Gelegenheit zur Anknüpfung folgenreicher Handelsverbindungen mit dem Orient, zur Einführung neuer Gewerbe, Verfahrungsweisen und Pflanzen und zur Bekannt- schaft mit neuen Genüssen. Andererseits wird die drückende Feudalherrschaft zugunsten des freien Ackerbaues und der Städte in mannigfaltiger Weise dadurch geschwächt.
(37) Neben Venedig und Genua zeichnet sich besonders Florenz durch seine Manufakturen und seinen Geld verkehr
aus. Schon im zwölften und dreizehnten Jahrhundert stehen seine Seiden- und Wollmanufakturen in hoher Blüte, nehmen die Korporationen dieser Gewerbe teil an der Regierung, bildet sich unter ihrem Einfluß die Eepublik. Zweihundert Fabriken zählt allein die Wollindustrie; 80000 Stück Tücher werden jährlich verfertigt, wozu man den Rohstoff aus Spanien bezieht. Überdies werden jährlich für 300 000 Gold- gulden rohe Tücher aus Spanien, Frankreich, Belgien und Deutschland eingeführt, die, nachdem sie hier appretiert worden, nach der Levante ausgeführt werden. Florenz ist die Bankhalterin von ganz Italien ; man zählt hier 80 Bank- comptoirs.*) Der Staat besitzt ein jährliches Einkommen von 300 000 Goldgulden (15 Millionen Franken unseres Geldes), also weit mehr als die Königreiche Neapel und Aragonien in damaliger Zeit und mehr als Großbritannien und Irland zur Zeit der Königin Elisabeth.**)
So sehen wir schon im zwölften und dreizehnten Jahr- hundert Italien im Besitz aller Elemente national-ökonomischer Wohlfahrt, und in kommerzieller wie in industrieller Be- ziehung in weitem Vorsprung vor allen andern Nationen. Sein Ackerbau und seine Manufakturen dienen den übrigen Ländern zum Muster und zur Nacheiferung. Seine Straßen und Kanäle sind die vollkommensten in Europa. Yon ihm hat die zivilisierte Welt die Banken, die Boussole, den (38) verbesserten Schiffbau, die Wechsel und eine Menge der nützlichsten Handelsgebräuche und Handelsgesetze, sowie einen großen Teil ihrer städtischen und staatlichen Einrich- tungen. Seine Schiffahrt und Seemacht ist bei weitem die bedeutendste in den südlichen Gewässern. Es befindet sich im Besitz des Welthandels; denn mit Ausnahme des noch
*) De l'Ecluse, Florence et ses vicissitudes, pag. 23, 26, 32, 103, 213.
**) P 6 chic, Histoire de l'Economie politique en Italic.
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imbedeutenden Verkehrs auf den nordischen Gewässern be- schränkt sich derselbe auf das mittelländische und schwarze Meer. Es versorgt alle Länder mit Manufakturwaren, mit Luxusartikeln und den Produkten der heißen Zone und wird von ihnen mit Rohstoffen versehen. Nur eines fehlt dem Lande, um zu werden, was England in unsern Tagen ge- worden ist, und weil es dieses eine nicht besitzt, geht ihm alles andere wieder verloren: es fehlt ihm National e in- heit und die daraus entspringende Kraft.
Italiens Städte und Magnaten betrachten sich nicht als Glieder eines Körpers, sondern bekriegen und zerstören wechselseitig einander als unabhängige Mächte und Staaten, Neben diesen Kämpfen nach außen ist jedes Gemeinwesen noch den "Wechselfällen der Innern Kämpfe zwischen Demo- kratie, Aristokratie und Alleinherrschaft unterworfen. Ge- nährt und verstärkt werden diese wohlfahrtstörenden Kämpfe durch fremde Mächte und ihre Invasionen und durch eine einheimische Priesterherrschaft und ihre Bannstrahlen, wo- durch die einzelnen Glieder unter sich und in sich selbst wiederum in zwei feindliche Parteien gespalten werden.
Wieso Italien sich selbst aufreibt, zeigt am besten die Geschichte seiner Seemächte. Erst sehen wir A m a 1 f i (vom achten bis elften Jahrhundert) groß und mächtig.*) (39) Seine Schiffe bedeckten die Meere, und alles in Italien und der Levante zirkulierende Geld ist amalfisches. Amalfi besitzt die zweckmäßigste Schiffahrtsgesetzgebung, und in allen mittelländischen Häfen gilt das amalfische Seerecht.
*) Amalfi zählte zur Zeit seiner Blüte 50000 Einwohner: Flavio Guio, der Erfinder der ßoussole, war ein Bürger dieser Stadt. Bei der Plünderung von Amalfi durch die Pisaner (1135 oder 1137) ward jenes alte Buch gefunden, das der Preiheit und Energie Deutschlands später so verderblich geworden ist — die Pandekten.
— Si- lin zwölften Jahrhundert wird diese Seemacht durch Pisa vertilgt; dagegen fällt Pisa unter den Streichen Genuas, Genua selbst aber muß nach hundertjährigem Kampfe sich vor Venedig beugen.
Auch Venedigs Untergang erscheint als eine mittel- bare Folge dieser beschränkten Politik. Einem Bunde von italienischen Seemächten hätte es nicht schwer fallen können, das Übergewicht Italiens in Griechenland, auf den Inseln, in Vorderasien und Ägypten nicht bloß aufrecht zu erhalten, sondern mehr und mehr auszudehnen und zu befestigen, den Fortschritten der Türken und ihren Seeräubereien Schranken zu setzen und sogar den Portugiesen den Weg um das Kap streitig zu machen. Wie aber die Sachen standen, war Venedig nicht allein auf seine eigenen Kräfte reduziert, es fühlte sich auch nach außen gelähmt durch die Bruderstaaten und die benachbarten europäischen Mächte.
Einem wohlorganisierten Bunde italienischer Landmächte hätte es nicht schwer fallen können, die Selbständigkeit Italiens gegen die großen Monarchien zu behaupten. Die Stiftung eines solchen Bundes ward 1526 versucht, aber erst im Augenblick der Gefahr und nur zum Behuf momen- taner Verteidigung. Lauheit und (40) Verrat seiner Glieder und Führer hatten die Unterjochung Mailands und den Sturz der toskanischen Republiken zur Folge. Von dieser Zeit an datiert sich der Verfall der Industrie und des Han- dels von Italien.*)
*) So -ward Karl V. der Zerstörer des Handels und der Industrie in Italien, wie er es in den Niederlanden und in Spanien war. Mit ihm kam der Briefadel und die Idee auf, daß es für den Adel schimpflich sei, Handel und Gewerbe zu be- . treiben — eine Idee, welche den zerstörendsten Einfluß auf die Nationalindustrie übte. Früher war die entgegengesetzte Meinung herrschend; die Mediceer trieben noch Handel, nachdem sie längst Souveräne geworden waren,
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Früher wie später wollte Venedig für sich allein eine Nation sein. Solange es nur mit italienischen Stück- nationalitäten oder mit dem abgelebten Griechenland zu tun hatte, konnte es ihm nicht schwer fallen, die Manufaktur- und Handelssuprematie in den Uferländern des mittelländi- schen und schwarzen Meeres zu behaupten. Als aber ganze und lebenskräftige Nationen auf die politische Bühne traten, zeigte sich, daß Venedig nur eine Stadt, Venedigs Aristo- kratie nur eine städtische war. Zwar hatte es viele Inseln und weite Provinzen erobert, dieselben aber stets als er- oberte Länder regiert und so nach dem Zeugnis aller Ge- schichtschreiber mit jeder neuen Eroberung seine Schwäche statt seine Macht vermehrt.
Zu gleicher Zeit erstarb im Innern der Republik allmählich der Geist, durch den sie gi'oß geworden war. Macht und Wohlstand Venedigs, das Werk einer patriotischen und heldenmütigen Aristokratie, hervorgegangen aus einer ener- gischen und freiheitliebenden Demokratie, erhielt sich und wuchs, solange die Freiheit der (41) demokratischen Ener- gie Nalirung gab und diese durch den Patriotismus, die Weisheit und den Heldengeist der Aristokratie geführt ward ; je mehr aber die Aristokratie in eine despotische, alle Frei- heit und Energie des Volkes tötende Oligarchie ausartete, um so mehr schwanden die Wurzeln von Macht imd Wohlstand, wenn auch Äste und Krone noch eine Zeitlang fortblühten.*)
„Eine in Knechtschaft verfallene Nation," sagt Montes-
*) Quand les nobles, au Heu de verser leur saug pour la patrie, au lieu d'illustrer l'etat par des victoires et de l'agrandir par des conquetes. n'eurent plus qu'ä jouir des honneurs et ä se partager des impöts, on dut se demander pourquoi il }• avait huit ou neuf cents habitants de Venise qui se disaient proprie- taires de toute la Republique. Daru, Histoire de Venise, Vol. IV. c. XVIII.
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quieu, „strebt mehr das Erworbene zu erhalten als zu er- werben; eine freie im Gegenteil trachtet mehr zu erwerben als zu erhalten." *) Dieser Beobachtung voll "Wahrheit hätte er hinzufügen können: und indem man nur zu erhalten, nicht aber zu erwerben strebt, geht man zugrunde; denn jede Nation, die nicht vorwärts schreitet, sinkt tiefer und tiefer und muß zuletzt versinken. Weit entfernt, ihren Handel auszudehnen und neue Entdeckungen zu machen, ließen die Venetianer sich nicht einmal einfallen, aus den Entdeckungen anderer Nationen Nutzen zu ziehen. Daß sie durch Auffindung des neuen Handelsweges vom ostindischen Handel ausgeschlossen werden könnten, kam ihnen noch nicht in den Sinn, als er schon aufgefunden war. Was alle Welt sah, wollten sie nicht glauben. Und als sie anfingen, die nachteiligen Folgen des Umschwungs der Dinge zu ver- spüren, suchten sie den alten Weg aufrecht zu (42) erhalten, statt an den Yorteilen des neuen teilzunehmen — trach- teten sie durch kleinliche Intriguen zu erhalten und zu er- ringen, was nur durch weise Benutzung der veränderten Verhältnisse, durch Unternehmungsgeist und Tapferkeit zu erzielen war. Und als sie endlich verloren hatten, was sie besaßen, und die Reichtümer Ost- und Westindiens nach Cadiz und Lissabon, statt nach ihrem Hafen flössen, nahmen sie wie Einfältige oder Verschwender zur Alchymie ihre Zuflucht.**)
In den Zeiten des Wachstums und Flors der Republik war die Einzeichnung in das goldene Buch als ein Preis für ausgezeichnete Leistungen im Handel, in der Industrie
*) Montesquieu, Esprit des lois, p. 192. **) Ein gemeiner Charlatan, Marco Brasadino, der die Kunst des Goldmachens zu besitzen vorgab, ward von der Aristokratie wie ein Erlöser aufgenommen. Daru, Histoire de Venise, Vol. III. c. XIX.
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oder im Staats- und Kriegsdienst betrachtet worden. Unter diesen Bedingungen wird sie sogar Fremden, z. B. den an- gesehensten der aus Florenz eingewanderten Seiden fabri- kanten zuteil.*) Geschlossen ward aber dieses Buch, als man anfing, Ehrenstellen und Staatseinkommen als Familien- erbgut des Patriziats zu betrachten. Später, weil man die Notwendigkeit erkannte, das verarmte und entartete Patriziat (43) aufzufrischen, ward das Buch wieder geöffnet. Aber nicht Verdienste um den Staat wie in frühern Zeiten, son- dern Reichtum und altadelige Geburt ward jetzt zur Haupt-, bedingung der Aufnahme gemacht. Indessen war die Ehre des goldenen Buches schon so sehr im Preise gefallen, daß es ein Jahrhundert lang fast vergeblich offen stand.
Fragt man nun die Geschichte nach den Ursachen des Verfalls dieser Republik und ihres Handels, so gibt sie zur Antwort: sie liegt zuerst in der Torheit, Erschlaffung und Feigheit einer entarteten Aristokratie und in der Apathie eines in Knechtschaft versunkenen Volkes. Venedigs Handel und Manufakturen hätten zugrunde gehen müssen, wäre auch der Weg um das Kap nie gefunden worden.
Sodann liegt sie, wie überhaupt der Verfall aller übrigen italienischen Republiken, in dem Mangel an Nationaleinheit, in der fremden Oberherrschaft, in der einheimischen Priester- herrschaft und in dem Aufkommen großer, kräftiger und vereinigter Nationalitäten in Europa.
Betrachtet man insbesondere Venedigs Handelspolitik,
*) Venedig, wie später Holland und England, benützte jede Gelegenheit, Gewerbe und Kapitalien aus fremden Staaten an sich zu ziehen. Auch aus Lucca, wo schon im dreizehnten Jahr- hundert die Sammet- und ßrokatefabrikation in hoher Blüte stand, zog eine ansehnliche Zahl von Seidenfabrikanten nach Venedig, infolge der Bedrückungen des lucchesischen Tyrannen Castruccio Castraccani, San du, Histoire de Venise, Vol, I, p. 247-256.
— So- so überzeugt man sich auf den ersten Blick, daß die der modernen Handels- und Manufakturmächte nur eine Kopie der venetianischen im vergrößerten, d. h. im nationalen Maßstab ist: Navigationsbeschränkungen und Einfuhrzölle begünstigen die eigenen Seefahrer und die Innern Manu- fakturen vor den fremden, und schon früh besteht die Maxime, vorzugsweise fremde Rohstoffe einzuführen und Manufakturwaren auszuführen.*)
(44) Man hat neuerlich zur Unterstützung des Prinzips der absoluten Handelsfreiheit behaupten wollen, der Fall Venedigs sei in diesen Beschränkungen zu suchen. Man hat damit etwas Wahrheit mit vielem Irrtum vermischt. Prüfen wir die Geschichte Venedigs mit unbefangenem Blick, so finden wir, daß hier, wie später in den großen Reichen, die Freiheit und die Beschränkung des internatio- nalen Verkehrs der Macht und Prosperität der Nation zu verschiedenen Zeiten förderlich oder hinderlich gewesen sind. Günstig war der Republik unbeschränkte Freiheit des Handels in den ersten Zeiten ihres Aufschwungs. Wie anders hätte sie von einem Fischerdorf zu einer Handels- macht sich emporschwingen können? Nützlich wurden ihr aber auch die Beschränkungen, als sie eine gewisse Stufe der Macht und des Reichtums erreicht hatte; denn ver- mittels derselben erhob sie sich zur Manufaktur- und Handelssuprematie. Schädlich wurden ihr die Beschrän- kungen erst, als ihre Manufaktur- und Handelsmacht zur Suprematie gelangt war; denn dadurch ward der Wetteifer mit andern Nationen ausgeschlossen und Indolenz genährt. Nicht also die Einführung der Beschränkungen, sondern ihre Beibehaltung, nachdem der Grund ihrer Einführung
*) Sismondi, Histoire des republiques italiennes, P. I. p. 285.
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längst aufgehört hatte, ist den Venetiaaern schädlich ge- wesen.
Sodann leidet dieses Argument an dem großen Ge- brechen, daß es das Aufkommen der großen Nationalitäten unter der Erbmonarchie nicht berücksichtigt. Venedig — wenn auch Herrscherin über Provinzen und Inseln, doch immer nur eine italienische Stadt — stand bei seinem Auf- schwung als Manufaktur- und Handelsmacht nur andern italienischen Städten gegenüber, und seine ausschließende Handelspolitik konnte jedenfalls (45) nur so lange eine wirk- same sein, als nicht ganze Nationen mit vereinigter Kraft ihm gegenübertraten. Sobald dies geschah, konnte es seine Suprematie nur behaupten, wenn ihm gelang, an die Spitze eines vereinigten Italiens zu treten und seine Handelspolitik auf die ganze italienische Nation zu erstrecken. Keine Handelspolitik aber war weise genug, die Handelssuprematie einer einzelnen Stadt vereinigten Nationen gegenüber auf die Dauer zu behaupten.
Aus dem Beispiel Venedigs, insofern es in unsern Tagen als Beweis gegen die beschränkende Handelspolitik benutzt werden will, kann daher nichts mehr und nichts weniger gefolgert werden, als daß eine einzelne Stadt oder ein kleiner Staat, großen Staaten und Reichen gegenüber, dieses System nicht mit Erfolg anstellen und behaupten kann, und daß; eine vermittels Beschränkungen zur Manu- faktur- und Handelssuprematie gelangte Macht, nachdem sie ihre Zwecke erreicht hat, mit Vorteil wieder zum Prinzip der Handelsfreiheit zurückkehrt.
Bei diesem Argument, wie überall, wo die internatio- nale Freiheit des Handels zur Frage kommt, stoßen wir auf eine durch das Wort Freiheit veranlaßte Begi'iffsverwechs- lung, die schon große Irrtümer verursacht hat. Man spricht von der Handelsfreiheit wie von der reKgiösen und bürger- lichen Freiheit. Die Freunde und Wortführer der Freiheit
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überhaupt halten sieh für verpflichtet, die Freiheit iu allen ihren Formen zu verteidigen, und so ist auch die Handels- freiheit populär geworden, ohne daß man zwischen der Freiheit des Innern Handels und der des inter- nationalen Handels unterschieden hätte, während doch beide nach Wesen und Wirkung himmelweit voneinander verschieden (46) sind. Denn wenn die Beschränkungen des Innern Handels nur in wenig Fällen mit der individuellen Freiheit der Bürger verträglich sind, so kann im auswärtigen Handel der höchste Grad der individuellen Freiheit neben einem hohen Grad von Beschränkung bestehen. Ja, es ist sogar möglich, daß der höchste Grad von Freiheit des internationalen Handels nationale Knechtschaft zur Folge hat, wie wir dies später von Polen nachweisen werden. In diesem Sinne sagt schon Montesquieu: der Handel unterliege nirgends größern Beschränkungen als bei freien Nationen ; nirgends sei er minder beschränkt als bei despotisch regierten.
(47) Zweites Kapitel. Die Hausen.
In Italien zur Herrschaft gelangt, überstieg der Geist der Industrie, des Handels und der Freiheit die Alpen, durchzog er Deutschland, erbaute er sich einen neuen Thron an den Ufern der nordischen Meere.
Schon Heinrich I., Yater des Befreiers der italienischen Munizipalitäten, beförderte die Anlegung neuer und die Er- weiterung alter Städte, die sich zum Teil schon an den Orten der alten römischen Kolonien und auf den kaiserlichen Domänen gebildet hatten.
Gleich den spätem Königen von Frankreich und Eng-
land betrachteten er und seine Nachfolger die Städte als das tüchtigste Gegengewicht gegen die Aristokratie, als die reichste Quelle des Staatseinkommens, als eine neue Grund- lage der Nationalverteidigung. Infolge ihrer Handelsver- bindungen mit den italienischen Städten, ihres "Wetteifers mit der italienischen Industrie und ihrer freien Institutionen gelangten diese Städte bald zu einem hohen Grad von Wohl- stand und Zivilisation. Das gesellschaftliche Zusammen- leben erzeugte den Geist des Fortschreitens in den Künsten und Gewerben und das Bestreben, sich durch Reichtum (48) und durch Unternehmungen auszuzeichnen, während der materielle Reichtum das Streben nach Bildung und nach Verbesserung der politischen Zustände im Gefolge hatte.
Stark durch die Kraft jugendlicher Freiheit und blühen- der Industrie, aber bedrängt von Räubern zu Land und zu Wasser, fühlten die norddeutschen Seestädte bald die Not- wendigkeit einer engern Verbindung zu Schutz und Wehr. Zu diesem Behufe schlössen Hamburg und Lübeck im Jahre 1241 einen Bund, der noch im nämlichen Jahrhundert alle Städte von einiger Bedeutung an der Küste der Nordsee und des Baltischen Meeres, an den Ufern der Oder und Elbe, der Weser und des Rheins in sich aufnahm — an der Zahl fünfundachtzig. Die Konföderation nannte sieh die Hansa, welches Wort im Niederdeutschen einen Bund bedeutet.
Schnell begreifend, welche Vorteile die Privatindustrie aus der Vereinigung der Kräfte zu ziehen vermöge, säumte die Hansa nicht, eine Handelspolitik zu entwickeln und aus- zubilden, deren Wirksamkeit sich in einer bis dahin bei- spiellosen Handelsprosperität kundgab. Einsehend, daß, wer großen Seehandel aufbringen und behaupten will, die Mittel besitzen muß, ihn zu verteidigen, schufen die Hansen .eine mächtige Marine; wahrnehmend, daß die Seemacht eines Landes je nach dem Verhältnis seiner Handelsschilf-
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fahrt und seiner Fischereien stark oder schwach ist, er- ließen sie das Gesetz, daß hansisches Gut nur auf hansischen Schiffen verführt werden dürfe , legten sie große See- fischereien an. Die englische Navigationsakte ist der (49) hansischen nachgebildet, wie diese eine Nachahmung der venetianischen ist.*)
England folgte darin nur dem Beispiel derer, die ilim in der Suprematie zur See vorangegangen waren. Auch war zur Zeit des langen Parlaments der Vorschlag zur Erlassung einer Navigationsakte nichts weniger als neu, Adam Smith scheint bei Beurteilung dieser Maßregel**) nicht gewußt oder doch verschwiegen zu haben, daß schon Jahrhunderte vorher und zu wiederholten Malen der Versuch gemacht worden war, eine solche Beschränkung einzuführen. Auf den Vorschlag des Parlaments von 1461 war sie von Hein- rich VI. und auf den Vorschlag Jakobs I. hinwiederum von dem Parlament (1622) verworfen,***) ja sie war sogar lange vor diesen beiden Versuchen (1381) von Riehard. II. wirklich eingefühi't worden, jedoch bald wiederum außer Wirkung und in Vergessenheit gekommen. Offenbar war das Land damals noch nicht reif für diese Maßregeln. Navigations- akten wie Schutzmaßregeln jeder andern Art liegen so sehr in der Natur von Nationen, die ein Vorgefühl künftiger Handels- und Gewerbsgröße haben, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht sobald ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, als sie auch schon auf den Vorschlag von James Madison Schiffahrtsbeschränkungen bei sich ein- führten, und zwar, wie man aus einem folgenden Kapitel ersehen wird, (50) mit noch ungleich größerem Erfolg als anderthalb Jahrhunderte zuvor England,
*) Anderson, Origin of commerce, Part. 1. p. 46. **) Wealth of Nations, book IV. eh. 2.
***) Hume, Geschichte von England IV. Teil. Xap. XXI p. 350.
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Die nordischen Fürsten, angereizt durch die Vorteile, die ihnen der Handel mit den Hansen versprach, indem er ihnen Gelegenheit verschaffte, nicht allein die überflüssigen Produkte ihres Landes zu verwerten und sich dagegen viel vollkommenere Fabrikate, als die in ihrem eigenen Lande produzierten, einzutauschen, sondern auch vermittels der Ein- und Ausfuhrzölle ihre Schatzkammer zu füllen*) und ihre dem Müßiggang, der Völlerei und Raufhändeln nach- hängenden Untertanen an Arbeitsamkeit zu gewöhnen, be- trachteten es als ein Glück, daß die Hansen Comptoire bei ihnen anlegten, und suchten sie durch Privilegien und Begünstigungen jeder Art dazu aufzumuntern. Vor allen zeichneten sich in dieser Hinsicht die Könige von Eng- land aus.
(51) „Der englische Handel ," sagt Hume , „war vor- mals ganz in den Händen der Fremden, besonders aber der Easterlings , **) welche Heinrich III. als Korporation kon-
*) Die Einkünfte der Könige von England flössen zu jener Zeit mehr aus den Exporten als aus den Importen. Die freie Ausfuhr und die beschwerte Einfuhr, namentlich der Fabrikate, setzt schon eine vorgerückte Industrie und eine erleuchtete Staatsadministration voraus. Regierungen und Länder im Norden standen damals ungefähr auf derselben Stufe der Kultur und der Staatsweisheit, auf welcher wir in unsern Tagen die hohe Pforte stehen sehen. Bekanntlich hat der Großherr vor kurzem Handelsverträge abgeschlossen, wonach er sich verpflichtet, die Exporte an Rohstoffen und Fabrikaten nicht höher als zu 14 Proz., die Importe aber nicht höher als zu 5 Proz. zu besteuern. Dort steht demnach dasjenige Zollsystem, welches das Staatseinkommen hauptsächlich ins Auge faßt, in seiner vollen Blüte; Staats- männer und Schriftsteller, welche dieses System befolgen oder verteidigen, sollten sich nach der Türkei begeben, dort ständen sie wahrlich auf der Höhe der Zeit.
**) Easterlings oder östliche Kaufleute wurden die Hausen
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stituiert, ihnen Privilegien erteilt und sie von Beschrän- kungen und Einfuhrzöllen, denen andere fremde Kaufleute unterworfen gewesen, befreit hatte. So unerfahren im Handel waren damals die Engländer, daß von Eduard II. an die Hansen, bekannt unter dem Namen „Kaufleute des Stahlhofes", den ganzen auswärtigen Handel des Königreichs monopolisierten. Da sie dazu nur ihre eigenen Schiffe ver- wendeten, so befand sich auch die englische Schiffahrt in einem sehr elenden Zustande."*)
Nachdem einzelne deutsche Kaufleute, namentlich die von Köln, schon lange zuvor mit den Engländern in Handels- verbindungen gestanden waren, gründeten sie endlich im Jahr 1250 auf die Einladung des Königs in der Hauptstadt London jenes unter dem Namen Stahlhof (steel-yard) so be- rühmte Comptoir, das anfänglich so großen Einfluß auf die Beförderung der englischen Kultur und Industrie übte, bald aber so große Nationaleifersucht erregte und 375 Jahre nach seiner Entstehung bis zu seiner erfolgten Auflösung zu so heftigen und langen Kämpfen Veranlassung gab.
England war damals den Hansen, was später (52) Polen den Holländern oder Deutschland den Engländern geworden ist ; es lieferte ihnen Wolle, Zinn, Häute, Butter und andere Bergwerks- und Agrikulturprodukte und nahm dagegen Manufaktur waren. Die Rohstoffe, welche die Hansen in England und in den nordischen Reichen erhandelt hatten, brachten sie nach ihrem Etablissement in Brügge (errichtet 1252) und vertauschten sie hier gegen belgische Tücher und Manufakturwaren und gegen die aus Italien kommenden
damals in England genannt im Gegensatz zu den westliehen oder "Belgiern und Holländern ; daher auch Sterling oder Pfund Sterling, eine Abkürzung des Wortes Easterling, weil alles damals in England zirkulierende Geld hansisches war,
*) Hume, Geschichte von England, Kap. XXXV.
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orientalischen Produkte und Fabrikate, die sie hinwiederum nach allen an den nordischen Meeren gelegenen Ländern verführten.
Ein drittes Comptoir in Nowogorod in Rußland, er- richtet im Jahr 1272, erhandelte Pelzwaren, Flachs, Hanf und andere Rohstoffe gegen Manufakturwaren.
Ein viertes Comptoir in Bergen in Norwegen, errichtet im Jahr 1278, beschäftigte sich vorzüglich mit dem Fisch- fang und mit dem Tran- und Fischhandel.*)
Die Erfahrung aller Nationen und Zeiten lehrt, daß die Völker, solange sie sich im Zustand der Barbarei befinden, von dem freien, unbeschränkten Handel, welcher ihnen Jagd-, Weide-, Forst- und Agrikulturprodukte, überhaupt Rohstoffe jeder Art abnimmt und dagegen vollkommenere Kleidungsstücke, Maschinen und Gerätschaften und das große Instrument des Verkehrs, edle Metalle, liefert, uner- meßliche Vorteile ziehen, daß sie ihn daher im Anfang gerne sehen. Sie lehrt aber auch, daß dergleichen Völker, je mehr sie selbst in der Industrie und Kultur Fortschritte machen, diesen Handel um so weniger mit günstigen Augen betrachten, und daß sie zuletzt dahin (53) kommen, ihn für schädlich und ihren weiteren Fortschritten für hinderlich zu halten. Gleiches war der Fall mit dem Handel zwischen England und den Hansen. Kaum war ein Jahrhundert nach Gründung des Etablissements im Stahlhof verflossen, so war auch schon Eduard III. der Meinung, eine Nation könne Nützlicheres und Vorteilhafteres tun, als rohe Wolle ausführen und Wollentücher einführen. Durch Ver- günstigungen aller Art suchte er flandrische Tuchmacher ins Land zu ziehen, und als eine bedeutende Anzahl dieser Gewerbe im Gange w'ar, erließ er ein Verbot gegen das Tragen aller ausländischen Tücher.**)
*) M. s. Sartorius, Geschichte der Hansa. **) IL Edward III. chap. V.
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Diese weisen Maßregeln dieses Königs wurden durcli das törichte Benehmen anderer Regenten aufs wunder- vollste unterstützt, wie denn überhaupt dieser Fall in der Industriegeschichte gar nicht selten vorkommt. Hatten die früheren Regenten von Flandern und Brabant alles mögliche getan, um die Industrie in ihrem Lande zur Blüte zu bringen, so taten die späteren alles, um die Unzufriedenheit der Handel- und Gewerbetreibenden zu erregen imd sie zur Auswanderung zu veranlassen.*)
Im Jahre 1413 hatte die Wollindustrie von England schon so bedeutende Fortschritte gemacht, daß Hume von dieser Periode sagen konnte : „eine große Eifersucht herrschte zu dieser Zeit gegen die fremden Kaufleute, und eine Menge Beschränkungen wurden dem fremden Handel in den Weg gelegt; wie z. B., daß sie für alles Geld, das sie aus ihren (54) Importen erlöst, im Lande produzierte Waren zu kaufen hätten."**)
Unter Eduard IV. stieg die Eifersucht so hoch, daß die Einfuhr fremder Tücher nebst andern Artikeln gänzlich verboten ward.***)
*) Rymer's Foed. pag. 496. De Witte , Interest of Holland pag. 45.
**) Hume, History of England, chap. XXV, ***) 3. Edward IV. chap. IV. Der Eingang dieses Gesetzes ist so charakteristisch, daß wir uns nicht enthalten können, ihn wörtlich mitzuteilen : „Whereas the said parliament, by the arti- ficers men and women, inhabitant and resident in the city of London and other cities, towns, boroughs and villages within this Realm and Wales, it has been piteously showed and com- plaiued how that all they in general and every of them be greatly impoverished and much injured and prejudiced of their worldly increase and living by the great multitude of divers chaffers and wares pertaining tho their mysteries and occupations being fuUy wrought and ready made to sale as well as by the
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Obschon der König von den Hansen später gezwungen ward, dieses Verbot zurückzunehmen und sie in ihre frühern Privilegien einzusetzen, so scheint doch dadurch die eng- lische Wollfabrikation bedeutend (55) befördert worden zu sein : denn Hume bemerkt bei Heinrich VII., der ein halbes Jahrhundert nach Eduard IV. regierte:
„Die Fortschritte in Gewerben und Künsten setzten auf viel wirksamere Weise als die Strenge der Gesetze der schädlichen Gewohnheit der Edelleute, eine große Zahl Dienstleute zu halten, Schranken. Anstatt in der Zahl und Tapferkeit ihrer Dienstleute miteinander zu rivalisieren, griff nun bei den Edelleuten ein anderer, dem Geist der Zivilisation besser entsprechender Wetteifer Platz, indem sieh jetzt einer vor dem andern durch die Pracht der Hotels, durch die Eleganz der Equipagen und durch die Kostbarkeit der Gerätschaften auszuzeichnen suchte. Da nun das Volk nicht mehr im Dienste der Häuptlinge und Patrone dem schädlichen Müßiggang nachhängen konnte, so ward es genötigt, durch Erlernung irgendeines Handwerks sich selbst und dem Gemeinwesen nützlich zu werden. Es wurden abermals Gesetze gegeben, um die Ausfuhr der
band of strangers being tbe kings ennemies as others brought into this Realm und Wales from beyond the sea as well by merchant strangers or denizens or other persons, whereof the greatest part is deceatful and nothing worth, in regard of anyman's occupation or profits by occasions whereof the Said artificers cannot live by theyr luysteries and occupations as they used to de in times past, but divers of thern as well house- holders as hirelings and other servants and apprentices in great number be at this day unoccupied and do hardly live in great idleness, poverty and ruin, whereby many inconveniences have grown before this time and hereafter more the like to come (which üod defend), if due remedy be not in their behalf provided,"
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edeln Metalle, sowohl gemünzter als ungemünzter, zu ver- liinclera; da man dieselben aber als unwirksam erkannte, so wurde den fremden Kaufleuten aufs neue die Verpflich- tung auferlegt, für allen Erlös von importierten Waren ein- heimische zu kaufen." *)
Unter Heinrich VIII. waren bereits durch die große Zahl der fremden Manufakturisten in London die Preise aller Lebensmittel bedeutend gesteigert worden, ein sicheres Zeichen der großen Vorteile, die dem inländischen Acker- bau aus der Entwicklung der innern Gewerbsindustrie er- wachsen waren.
(56) Der König jedoch, die Ursachen und die "Wirkungen dieser Erscheinungen gleich falsch beurteilend, gab den un- gerechten Klagen der englischen Manufakturisten gegen die ausländischen, von welchen jene sich in Geschicklichkeit, Fleiß und Frugalität noch immer übertroffen sahen, Gehör und verordnete durch Kabinettsbefehl die Vertreibung von 15000 belgischen Fabrikanten, „weil dieselben alle Lebensmittel verteuert und das Land der Ge- fahr einer Hungersnot ausgesetzt hätten". Um das Übel aus dem Grunde zu heilen, wurden sofort Auf- wandsbeschränkungsgesetze , Kleiderordnungen , Tarife für die Preise der Lebensmittel und Taglöhne erlassen. Diese Politik erhielt natürlich den vollkommenen Beifall der Hansen, die diesem König mit derselben Bereitwilligkeit, welche sie gegen alle frühern ihnen geneigten Könige von England bewiesen hatten und w^elche wir in unsern Tagen die Engländer gegen die Könige von Portugal beweisen sahen, ihre Kriegsschiffe zur Disposition stellten. Während dieser ganzen Regierung war der Handel der Hansen mit England noch sehr lebhaft. Sie hatten noch SchiiTe und Geld und wußten mit nicht geringerer Geschicklichkeit als
*) Hume, chap. XXVI,
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in unsern Tagen die Engländer sich Einfluß bei Völkern und Regierungen zu verschaffen, die ihre Nationalinteressen nicht wahrzunehmen verstanden. Nur hatten ihre Argu- mente eine ganz andere Basis als die der heutigen Handels- monopolisten. Die Hansen leiteten ihr Recht, fremde Länder mit Fabrikwaren zu versorgen, aus Verträgen und aus einem unvordenklichen Besitze her, während heutzutage die Eng- länder es durch eine Theorie begründen wollen, die einen ihrer eigenen Douanenbeamten zum Urheber hat. Diese verlangen im (57) Namen einer vorgeblichen Wissenschaft, was jene im Namen der Verträge und des Rechts begehrten.
Unter der Regierung Eduards VI. suchte und fand in- dessen der geheime Rat Vorwände zur Aufhebung der Privi- legien der Kaufleute des Stahlhofs. „Die Hansen machten starke Vorstellungen gegen diese Neuerung. Aber der geheime Rat beharrte bei dem gefaßten Entschluß, und bald zeigten sich die wohliätigsten Wirkungen für die Nation. Die englischen Kaufleute besaßen im Ankauf des Tuches, der Wolle und anderer Waren infolge ihrer Ver- hältnisse als Inländer entschiedene Vorteile vor den Fremden, Vorteile, die ihnen bis dahin nicht hinlänglich eingeleuchtet hatten, um sie zu bewegen, mit einer so reichen Kompagnie in Konkurrenz zu treten. Aber von der Zeit an, da alle fremden Kaufleute den gleichen Beschränkungen unter- worfen wurden, fühlten sich die Engländer zu Handels- unternehmungen angespornt, und der Unternehmungsgeist erwachte sofort im ganzen Königreich."*)
Nachdem sich die Hansen von einem Markt, den sie drei Jahrhunderte lang so unbeschränkt beherrscht halten, als in unsern Tagen die Engländer den von Amerika und Deutschland beherrschen, etliche Jahre lang gänzlich aus- geschlossen gesehen, wurden sie auf die Vorstellungen des
*) Hume,chap. XXXV,
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deutschen Kaisers voa der Königin Maria wieder in ihre alten Privilegien eingesetzt,*)
Aber ihre Freude war diesmal von kurzer Dauer. „Be- strebt, diese Privilegien nicht bloß zu erhalten, sondern noch zu vermehren, beschwerten sie sich zu (58) Anfang der Regierung der Königin Elisabeth höchlich über die Be- handlung, die ihnen unter Eduard und Maria widerfahren wäre. Die Königin gab ihnen klüglich zur Antwort: sie hätte keine Gewalt, irgend etwas zu ändern, wollte aber gerne die Hansen in Besitz derjenigen Privilegien und Im- munitäten belassen, die sie bereits besäßen. Diese Antwort befriedigte sie jedoch keineswegs. Einige Zeit nachher ward ihr Handel aufs neue suspendiert, zum großen Vor- teil der englischen Kaufleute, welche nun Gelegenheit hatten zu zeigen, was sie leisten könnten; sie bemächtigten sich des ganzen auswärtigen Handels, und ihre Bemühungen wurden mit vollständigem Erfolg gekrönt; sie teilten sich hierauf in residierende und wagende Kaufleute; jene be- trieben den Handel zu Hause, diese versuchten ihr Glück in fremden Städten und Ländern mit Tüchern und andern englischen Waren. Dieser Erfolg erregte so sehr den Neid der Hansen, daß sie kein Mittel unversucht ließen, die eng- lischen Kaufleute bei andern Nationen in Mißkredit zu bringen. Auch erlangten sie ein kaiserliches Edikt, welches den Eogländern allen Handel innerhalb des Deutschen Reiches untersagte. Die Königin suchte Repressalien gegen diese Maßregel zu nehmen, indem sie 60 hansische Schiffe, welche mit den Spaniern Konterbandehandel trieben, weg- nehmen ließ. Sie hatte dabei anfänglich nur die Absicht, die Hansen zu einem gütlichen Übereinkommnis geneigter zu machen. Auf die Nachricht aber, daß in der Stadt Lübeck
*) Hunie, chap. XXXVIL Heylen, p. 108. Heyward, p. 224.
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ein Hansetag gehalten werde, um Maßregeln in Beratung zu ziehen, wodurch der auswärtige Handel der Engländer gestört werden könnte, ließ sie alle diese Schiffe mit ihren (59) Ladungen konfiszieren; nur zwei gab sie davon frei, die sie mit der Botschaft nach Lübeck schickte, daß sie für die Hansa und ihre Verhandlungen und Maßregeln die tiefste Verachtung hege." *)
So behandelte Elisabeth jene Kaufleute, die ihrem A^'ater und so vielen Königen von England ihre Schiffe geliehen hatten, um ihre Schlachten zu schlagen; welchen von allen Potentaten von Europa der Hof gemacht worden war; welche die Könige von Dänemark und Schweden jahr- hundertelang als Vasallen behandelt und sie nach Belieben aus- und eingesetzt, alle südöstlichen Küstenländer der Ost- see kolonisiert und zivilisiert und alle Meere von Piraten befreit hatten; die nicht gar zu lange vorher mit dem Schwert in der Faust einen König von England gezwungen hatten, ihre Privilegien anzuerkennen; denen mehr als ein- mal die Könige von England ihre Krone für gemachte An- lehen in Versatz gegeben und die einmal ihre Grausamkeit und Insolenz gegen England so weit getrieben hatten, daß sie hundert englische Fischer, weil sie gewagt hatten, ihrem Fischereirevier nahe zu kommen, ertränken ließen. Zwar besaßen die Hansen noch Macht genug, um das Benehmen der Königin zu rächen, aber der alte Mut, der großartige Unternehmungsgeist, die Kraft der Freiheit und des Zu- sammenwirkens war dahin. Sie versanken mehr und mehr in Unmacht, bis endlich im Jahre 1630 ihr Bund förmlich aufgelöst ward, nachdem sie an allen Höfen von Europa um Einfuhrprivilegien gebettelt hatten und überall mit Hohn waren abgewiesen worden.
Verschiedene äußere Ursachen — die inneren (60) ab-
*) Lives of the Admirals, vol. I. p. 410.
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gerechnet, worauf wir später zu sprechen kommen werden — trugen zu ihrem Falle bei. Dänemark und Schweden suchten sich für die Untertänigkeit, in welcher sie so lange von diesem Bund gehalten worden waren, zu rächen und legten dem hansischen Handel alle möglichen Hindernisse in den Weg. Die Zare von Rußland hatten einer englischen Kompagnie Privilegien erteilt. Die Ritter- orden, so viele Jahrhunderte lang ihre Verbündeten oder gleichsam die Kinder des Bundes, gerieten in Verfall und Auflösung. Die Holländer und Engländer verdrängten sie von allen Märkten, stachen sie an allen Höfen aus. Endlich wirkte die Entdeckung des Wegs um das Kap nach Ost- indien bedeutend zu ihrem Nachteil.
Sie, die in der Zeit der Macht und des Glücks kaum an ihre Verbindung mit dem Deutschen Reiche gedacht hatten, wandten sich nun in der Bedrängnis mit der Vor- stellung an den deutschen Reichstag: die Engländer ex- portierten jährlich 200 000 Stück Tuch, wovon ein großer Teil nach Deutschland gehe, und das einzige Mittel, ihre alten Privilegien in England wieder zu erlangen, bestehe darin, daß man die Einfuhr der englischen Tücher in Deutsch- land verbiete. Nach der Behauptung Andersons soll auch Avirklich ein dahin abzielender Reichstagsbeschluß beab- sichtigt oder gefaßt worden sein; aber dieser Schriftsteller versichert uns, Herr Gilpin, der englische Gesandte beim deutschen Reichstag, habe die Vollziehung desselben zu hintertreiben gewußt.
Einhundertundfünfzig Jahre nach der förmlichen Auf- lösung des Hansabundes war in den hansischen Städten so sehr alle Erinnerung an ihre vormalige Größe verschwunden, ■daß Justus Moser irgendwo in seinen Schriften versichert, w&nn er sich nach den (61) Hansestädten begäbe und ihren Kaufleuten von der Macht und Größe ihrer Vorfahren er- zählte, sie würden ihm kaum glauben. Hamburg, ehemals
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der Schrecken der Piraten in allen Meeren und durch die ganze Christenheit berühmt wegen der Dienste, die es durch Verfolgung der Seeräuber der Zivilisation geleistet, war so tief gesunken, daß es durch einen jährlichen Tribut an die Algierischen Piraten sich Sicherheit für seine Schiffe er- kaufen mußte. Denn als der Szepter der Meere an die Holländer übergegangen , ward hinsichtlich der Seeräuberei eine andere Politik herrschend. Zur Zeit der hansischen Seeherrschaft ward der Pirate als ein Feind der zivilisierten Welt betrachtet und womöglich aufgerieben. Die Holländer im Gegenteil betrachteten die Seeräuber der Berberei als nützliche Parteigänger, wodurch zu ihrem Vorteil mitten im Frieden der Seehandel anderer Nationen gestört würde. Bei Gelegenheit der Anführung einer auf diese Politik ab- zielenden Bemerkung von De Witt macht Anderson die lakonische Bemerkung: „fas est et ab hoste doceri",*) ein Rat, den trotz seiner Kürze seine Landsleute so gut ver- standen und befolgten, daß zur Schande der Christenheit, die Engländer bis auf unsere Tage das abscheuliche Treiben der Seeräuber an der nordafrikanischen Küste duldeten, bis die Franzosen sich um die Zivilisation das große Verdienst ihrer gänzlichen Ausrottung erwarben.
Der Handel dieser Städte war kein nationaler; er war weder auf das Gleichgewicht und die vollständige Ausbil- dung der inneren Produktivkräfte gegründet, noch von zu- reichender politischer Macht unterstützt. Die Bande, (62) wodurch die Mitglieder der Konföderation zusammengehalten werden sollten, waren zu locker, das Streben nach vor- herrschender Gewalt und nach besondern Vorteilen (oder wie ein Schweizer oder ein Amerikaner sich ausdrücken würde, der Kantonsgeist, der Geist der Staatsrechte) war zu vorherrschend und verdrängte den Bundespatriotismus,
*) Anderson, vol. II. pag. 585.
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welcher allein dem allgemeinen Interesse der Konföderation das Übergewicht über die Partikularinteressen der einzelnen Städte hätte verschaffen können. So entstand Eifersucht und nicht selten Verrat ; so benützte Köln die Feindseligkeit Englands gegen den Bund zu seinem Privatvorteil ; so suchte Hamburg einen Streit zwischen Dänemark und Lübeck zu seinem Vorteil auszubeuten.
Die Hansestädte gründeten ihren Handel nicht auf die Produktion und Konsumtion, auf die Agrikultur und die Manufakturen desjenigen Landes, dem die Kaufleute ange- hörten. Sie hatten versäumt, den Ackerbau ihres eigenen Vaterlandes zu begünstigen, während der Ackerbau fremder Länder durch ihren Handel bedeutend gehoben ward; sie fanden es bequemer, die Manufakturwaren in Belgien zu kaufen, als Manufakturen im eigenen Lande anzulegen; sie beförderten den Ackerbau von Polen, die Schafzucht von England, die Eisenproduktion von Schweden und die Manu- fakturen Belgiens. Sie taten jahrhundertelang, was die Theoretiker unserer Tage den Nationen zu tun raten: sie kauften da, wo die Waren am wohlfeilsten zu haben waren. Als aber die Länder, wo sie kauften, und die Länder, wo sie verkauften, sie von ihren Märkten aus- schlössen, war weder ihre innere Agrikultur noch ihr inneres Manufakturwesen so weit entwickelt, daß ihr überflüssiges Handelskapital darin Unterkunft finden (63) konnte; es wanderte also nach Holland und England und vergrößerte somit die Industrie, den Reichtum und die Macht ihrer Feinde. Ein schlagender Beweis, daß die sich selbst über- lassene Privatindustrie nicht immer die Wolilfahrt und Macht der Nationen befördert.
Bei ihrem einseitigen Streben nach materiellem Reicli- tum hatten diese Städte die Beförderung ihrer politischen Interessen gänzlich vernachlässigt. Während der Zeit ihrer Macht schienen sie dem Deutschen Reich gar nicht mehr
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anzugehören. Es schmeichelte diesen beschränkten, selbst- süchtigen und hochmütigen Bürgern , sich von Fürsten, Königen und Kaisern den Hof machen zu sehen und zur See die Souveräne zu spielen. Wie leicht wäre es ihnen zur Zeit der Seeherrschaft geworden, im Verein mit den oberdeutschen Städtebünden ein mächtiges Unterhaus zu gründen, der Aristokratie des Reichs das Gegengewicht zu halten, vermittels der kaiserlichen Macht Nationaleinheit zu erzielen, das ganze Littorale von Dünkirchen bis ßiga unter einer Nationalität zu vereinigen und auf diese "Weise der deutschen Nation die Suprematie in Gewerbe, Handel und Seemacht zu erringen und zu erhalten. So aber, als der Szepter der Meere ihren Händen entsunken, blieb ihnen nicht einmal Einfluß genug, bei dem deutschen Reichstag ihren Handel als eine Nationalangelegenheit geltend zu machen. Im Gegenteil : die Aristokratie tat ihr möglichstes, die Gedemütigten vollends zu unterdrücken. Die Binnen- städte fielen nach und nach unter die absolute Gewalt der Fürsten, und damit verloren die Seestädte ihre Verbindungen im Innern.
Alle diese Fehler wurden in England vermieden. Dort hatten Schiffahrt und auswärtiger Handel die (64) innere Agrikultur und Industrie zur soliden Basis ; dort entwickelte sich der innere Verkehr in richtigem Verhältnis mit dem auswärtigen und die individuelle Freiheit ohne Beeinträch- tigung der Nationaleinheit und der Nationalmacht; dort konsolidierten und vereinigten sich auf die glücklichste Weise die Interessen der Krone, der Aristokratie und der Gemeinen.
Wenn man diese geschichtlichen Tatsachen in Erwägung zieht, ist es dann wohl noch möglich, zu behaupten, die Engländer hätten ohne die von ihnen befolgte Handelspolitik ihre Manufakturkraft je so weit ausbilden, oder je zu so unermeßlich großem Handel und zu so überwiegender See-
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macht gelaugen können? Nein; die Behauptung, die Eng- länder seien nicht durch, sondern trotz ihrer Handelspolitik zu ihrer gegenwärtigen Handelsmacht gekommen, erscheint uns als eine der größten Lügen des Jahrhunderts. Hätten die Engländer alles sich selbst überlassen, alles gehen lassen, wie die herrschende Schule verlangt, die Kaufleute des Stahlhofes trieben heute noch in London ihr Wesen, die Belgier fabrizierten heute noch Tücher für die Engländer; England wäre noch immer die Schafweide der Hansa, wie Portugal infolge der Strategeme eines abgefeimten Diplo- maten der Weinberg von England geworden und es bis auf unsere Tage geblieben ist. Ja, es ist mehr als wahr- scheinlich, daß England ohne seine Handelspolitik nie zum Besitz derjenigen Summe von bürgerlicher Freiheit gelangt wäre, die es heute besitzt; denn diese Freiheit ist eine Tochter der Industrie und des Reichtums.
Nach solchen geschichtlichen Betrachtungen, wie sollte es nicht auffallen, daß Adam Smith nicht versucht hat, den industriellen und kommerziellen Kampf zwischen der Hansa und England von seinem Ursprung (65) bis zu seinem Ende zu verfolgen ? Einzelne Stellen seines Buches beweisen doch hinlänglich, daß ihm die Ursachen des Verfalls der Hansa und ihre Folgen nicht unbekannt gewesen sind.
„Der Kaufmann," sagte er, „ist mit seinen Interessen an kein besonderes Land gekettet. Es ist ihm fast gleichgültig, von welchem Punkt aus er seine Handelsunternehmungen betreibt; eine leichte Ursache zur Unzufriedenheit mag ihn veranlassen, von einem Land in das andere zu ziehen und sein ganzes Kapital und damit alle Industrie, die dadurch genährt wird, mit sich fortzunehmen. Kein Teil dieses . Kapitals kann als einem besondern Lande angehörig be- trachtet werden, solange es nicht durch Anlegung von Ge- bäuden usw. demselben gleichsam einverleibt worden ist. Von dem großen Reichtum, den die hansischen Städte be-
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sessen haben sollen, ist keine Spur mehr vorhanden, als etwa in den obskuren Chroniken des 13. und 14. Jahr- hunderts, man weiß sogar nicht mehr die Orte anzugeben, wo einige von ihnen gestanden, oder zu sagen, welchen Städten die lateinischen Namen, die ihnen von den Chroniken beigelegt worden, angehört haben."*)
Wie seltsam, daß Adam Smith bei einer so klaren Ein- sicht in die sekundären Ursachen des Verfalls der Hansa sich nicht bewogen gefühlt hat, die primitiven zu erforschen. Er hätte zu diesem Ende keineswegs nötig gehabt, zu er- gründen, wo die verfallenen Städte der Hansa gestanden, oder welche Städte die obskuren Chroniken mit ihren lateinischen Namen gemeint haben. Er hätte nicht einmal nötig gehabt, diese obskuren (66) Chroniken nachzuschlagen. Seine eigenen Landsleute, Anderson, Macpherson, King und Hume, konnten ihm darüber zureichenden Aufschluß geben.
Wie aber und warum konnte ein so tief forschender Geist sich abhalten lassen, eine so interessante, eine so folgenreiche Untersuchung anzustellen? Wir sehen keinen anderen Grund als den, daß sie ihn auf Resultate geführt hätte, die sein Prinzip der absoluten Freiheit des Handels wenig zu unterstützen geeignet gewesen wären. Er hätte unfehlbar auf die Tatsache stoßen müssen, daß, nachdem der freie Handel mit den Hansen den englischen Ackerbau aus seiner Barbarei herausgerissen, die beschränkende Handels- politik der englischen Nation auf Kosten der Hanseaten, der Belgier und Holländer, ihr zur Manufaktursuprematie ver- holfen hat, und daß aus dieser mit Hilfe der Navigations- beschränkungen ihre Handelssuprematie erwachsen ist.
Diese Tatsachen, scheint es, wollte Adam Smith nicht wissen und nicht anerkennen. Sie gehörten freilich in die
*) Smith, VVealth of Nations, L. III. cliap. II.
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Kategorie jener lästigen Tatsachen, von welchen J. B. Say eingesteht, sie hätten sich gegen, sein System rebellisch be- wiesen.
(67) Drittes Kapitel. Die Niederländer.
Nach Geist und Sitte, nach Abstammung und Sprache ihrer Bewohner, wie durch politische Verbindung und geo- graphische Lage, waren Holland, Flandern und Brabant Teile des Deutschen Reiches. Auf die Kultur dieser Länder mochte schon die öftere Anwesenheit und die Nähe der Residenz Karls des Großen ungleich bedeutender gewirkt haben, als auf entferntere Gegenden Deutschlands. Sodann waren Flandern und Brabant im Ackerbau und in den Ge- werben, Holland in der Viehzucht und im Handel durch die Natur besonders begünstigt. Nirgends war in Deutschland der innere Verkehr durch ausgebreitete und günstige See- und Flußschiffahrt so sehr unterstützt, wie in diesen Küsten- ländern, Die wohltätigen Wirkungen des Wassertransports auf die Vervollkommnung der Landwirtschaft und die Ver- größerung der Städte mußte hier notwendig schon in frühen Zeiten die Entfernung der demselben entgegenstehenden Hindernisse und die Herstellung künstlicher Kanäle zur Folge haben.
Dem Aufblühen Flanderns kam insbesondere zustatten, daß seine Grafen vor allen andern Regenten (68) Deutsch- lands den Wert der öffentlichen Sicherheit, der Straßen, der "Manufakturen und blühender Städte erkannten. Von der Natur des Landes unterstützt, betrieben sie die Vertilgung des räuberischen Adels und reißender Tiere als Lieblings- beschäftigung. Ein lebhafter Verkehr zwischen Stadt und
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Land, das Aufkommen der Viehzucht, insbesondere der Schäfereien und des Flachs- und Hanfbaues war davon die natürliche Folge. Wo aber das rohe Material in Fülle er- zeugt wird und Sicherheit des Eigentums und des Verkehrs besteht, da finden sich bald auch Hände und Geschick zu dessen Verarbeitung. Indessen warteten die Grafen von Flandern nicht, bis der Zufall ihnen Wollen weber zuführte; die Geschichte meldet, daß sie dieselben aus fremden Gegen- den haben kommen lassen.
Unterstützt von dem Zwischenhandel der Hansen und der Holländer, erhob sich Flandern bald durch seine Woll- manufakturen zum Zentralpunkt des nördlichen Welthandels, wie sich Venedig durch seine Industrie und Schiffahrt zum Zentralpunkt des südlichen erhoben hatte. Die Schiftahrt und der Zwischenhandel der Hansa und der Holländer bildeten mit den flandrischen Manufakturen zusammen ein Ganzes, eine Nationalindustrie. Von Handelsbeschränkungen konnte jedoch hier um so weniger die Rede sein, als noch keine Rivalität, der Manufaktursuprematie Flanderns gegen- über, aufstrebte. Daß unter solchen Verhältnissen die Manu- faklurindustrie bei freiem Verkehr sich am besten stehe, erkannten die flandrischen Grafen, ohne den Adam Smith gelesen zu haben. Ganz im Geist der heutigen Theorie gab Graf Robert der Dritte, als der König von England ihm das Ansinnen stellte, die Schotten von seinen Märkten auszu- schließen, den Bescheid: (69) Flandern habe sich von jeher als einen freien Markt für alle Nationen betrachtet, und sein Interesse gestatte nicht, von diesem Grundsatz abzugehen.
Nachdem Flandern jahrhundertelang das erste Manu- fakturland und Brügge der erste Markt im nördlichen Europa gewesen war, zogen Manufakturen und Handel, weil ihnen .die Grafen nicht diejenigen Konzessionen zu machen wußten, die sie, zu hohem Flor gelangt, immer in Anspruch nehmen, in das benachbarte Brabant. Antwerpen ward nun zum
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ersten Handelsplatz, Löwen zur ersten Manufakturstadt im nördlichen Europa. Infolge dieses Umschwungs gelangte auch die brabantische Landwirtschaft bald zu hohem FJor. Zu ihrem Gedeihen gereichte insbesondere die frühzeitige Umwandlung der Naturalabgaben in Geldabgaben und über- haupt die Beschränkung des Feudalwesens.
Inzwischen hatten die Holländer, die mehr und mehr mit vereinigter Kraft und als Rivalen der Hansa gegenüber auftraten, zu ihrer künftigen Seeherrschaft den Grund ge- legt. Die Ungunst und die Gunst der Natur hatten diesem Völkchen zu gleichem Segen gereicht. Durch den ewigen Kampf mit den Fluten des Meeres mußten notwendig Unter- nehmungsgeist, Tätigkeit und Wirtschaftlichkeit bei ihm ge- deihen, und ein mit so unsäglichen Anstrengungen erworbener und zu beschützender Boden mußte ihm als ein Gut er- scheinen, dem nicht Sorgfalt genug gewidmet werden könne. Von der Natur auf die Schiffahrt, die Fischerei und die Fleisch-, Butter- und Käseproduktion beschränkt, mußten die Holländer durch Frachtfuhr, durch Zwischenhandel und durch die Ausfuhr an Käse und Fischen ihre Bediu-fnisse an Getreide, au Bau- und Brennmaterialien und an Kleidungs- stoffen zu erwerben trachten.
(70) Darin auch liegt hauptsächlich der Grund, weshalb später die Hansen von den Holländern nach und nach im Handel mit den nordöstlichen Reichen ausgestochen worden sind. Die Holländer bedurften weit größerer Quantitäten von Agrikultur- und Forstprodukten als die Hansen, die großenteils mit diesen Bedürfnissen von den benaclibarten Ländern versorgt wurden. Sodann wirkte die Nähe der belgischen Manufakturen und der Rhein mit seinem weiten fruchtbaren und weinreichen Flußgebiet und seiner bis an die Schweizergebirge sich erstreckenden Schiffahrt viel zu ihren Gunsten.
Es ist nämlich als Regel zu betrachten, daß der Handel
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und die Prosperität der Küstenländer durch die größere oder geringere Bedeutenheit der Stromgebiete, mit welchen sie in Wasserkommunikation stehen, bedingt ist.*) Man betrachte die Karte von Italien, und man wird in der großen Aus- dehnung und Fruchtbarkeit des Stromgebiets des Po den natürlichen Grund finden, weswegen sich Venedigs Handel so weit über den von Genua und Pisa erhob. Hollands Handel hat in dem Flußgebiet des Rheins und der tribu- tären Ströme desselben seine Wurzeln ; und um so viel reicher und fruchtbarer dieses Stromgebiet im Vergleich mit dem der Weser und der Elbe war, um so viel mehr mußte der Handel Hollands den der Hansestädte übertreffen.
Zu den angeführten Vorteilen kam noch ein Glücksfall, nämlich Peter Böckeis Erfindung des Heringsalzens. Die Behandlungsweise des Fanges und Böckeins (nach dem Er- finder so genannt) dieser Fische war und blieb lange ein Geheimnis der Holländer, wodurch sie (71) ihrem Produkt Eigenschaften zu geben wußten, die denen anderer Seefische- reien mangelten und demselben überall vorzugsweise Absatz und bessere Preise sicherten.**) Anderson versichert, daß nach Verfluß von Jahrhunderten, nachdem diese neue Ver- fahrungsweise in Holland aufgekommen war, englische und schottische Fischer, der bedeutenden Ausfuhrprämie unge- achtet, für ihre Heringe, selbst zu ungleich niedrigeren Preisen, auf auswärtigen Märkten neben den Holländern keine Käufer hätten finden können. Wenn man in Erwägung zieht, von welcher Bedeutung vor Einführung der Reformation in
*) Die künstlichen Straßen und noch mehr die Eisenbahnen der neueren Zeit haben diese Regeln bedeutend modifiziert.
**) Man behauptet in neuerer Zeit, der Vorteil der Holländer bestehe, außer den Regulativen, die sie in betrefif des Fischfanges vorschreiben, darin, daß sie zu den Fässern, in welchen die Heringe eingeböckelt und verschickt werden , eichenes Holz nehmen.
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allen Ländern die Konsumtion von Seefischen war, so wird man es begreiflich finden, daß zu einer Zeit, wo die hansische Schiffahrt schon in Verfall zu geraten anfing, die Holländer jährlich 2000 neue Schiffe bauten.
Seit der Vereinigung aller belgischen und batavischen Provinzen unter der burgundischen Herrschaft, war diesen Ländern auch die große Wohltat der Nationaleinheit zuteil geworden, ein Umstand, der bei Betrachtung der glücklichen Konkurrenz des holländischen Seehandels mit dem der norddeutschen Städte nicht außer acht gelassen werden darf. Unter Karl V. bildeten die vereinigten Nieder- lande einen Komplex von Macht und Kräften, der ihrem Beherrscher mehr als alle Goldgruben der Erde und alle Gunst und Bullen der Päpste die Herrschaft der Welt zu Land und See sichern mußte, wofern er nur die Natur dieser Kräfte kannte und sie zu behandeln und zu benutzen verstand.
(72) Hätte Karl V. die spanische Krone von sich ge- worfen, wie man einen Stein von sich wirft, der uns in den Abgrund zu ziehen droht, welch ein ganz anderes Schicksal wäre den Niederländern und den Deutschen geworden ! Als Regent der vereinigten Niederlande, als deutscher Kaiser und als Haupt der Reformation besaß Karl alle materiellen und geistigen Mittel, das mächtigste Industrie- und Handels- reich, die größte See- und Landmacht zu gründen, die je bestanden hat — eine Seemacht, die von Dünkirchen bis Riga alle Segel unter einer Flagge vereinigt haben würde !
Nur einer einzigen Idee, eines einzigen Willens bedurfte es damals, um Deutschland zum reichsten und wichtigsten Reich der Erde zu erheben, seine Manufaktur- und Handels- herrschaft auf alle Weltteile auszudehnen und vielleicht für •eine Reihe von Jahrhunderten zu befestigen.
Karl V. und sein finsterer Sohn schlugen den entgegen- gesetzten Weg ein; an die Spitze der Fanatiker tretend, wollten sie die Niederlande hispanisieren. Der Erfolg ist
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bekannt. Die nördlichen Provinzen, stark durch das Element, das sie beherrschten, eroberten ihre Unabhängigkeit; in den südlichen starben Industrie, Kunst und Handel von Henkers Hand, soweit es ihnen nicht gelang, sich zu flüchten. Amsterdam ward an der Stelle von Antwerpen zum Zentral- punkt des Welthandels. Die Städte Hollands, die schon in früheren Zeiten infolge von Unruhen in Brabant eine große Anzahl belgischer Wollenweber an sich gezogen, hatten jetzt nicht ßaum genug, alle belgischen Flüchtlinge zu fassen ein großer Teil von ihnen mußte nach England und Sachsen wandern. Der Freiheitskampf gebar in Holland einen Helden- geist zur See, dem nichts zu schwierig und (73) gewagt erschien, während andererseits der Fanatismus alle Nerven Spaniens lähmte. Holland bereicherte sich hauptsächlich durch Kaperei gegen Spanien, insbesondere durch Erbeutung der spanischen Silberflotten. Dabei trieb es unermeßlichen Konterbandehandel mit der Halbinsel und mit Belgien. Nach der Vereinigung von Portugal mit Spanien setzte es sich in den Besitz der bedeutendsten portugiesischen Kolonien von Ostindien und eroberte einen Teil von Brasilien. Bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts sehen wir die Holländer den Engländern in den Manufakturen und Kolonien, in Handel und Schiffahrt so sehr überlegen, als in unseren Tagen die Eng- länder in dieser Beziehung über die Franzosen hervorragen. Mit der englischen Revolution trat aber ein gewaltiger Umschwung ein. Der Geist der Freiheit war in Holland ein Spießbürger geworden. Wie in allen Kaufmannsaristo- kratien, war man wohl für einige Zeit, solange es die Rettung von Leib und Leben, von Hab und Gut galt, so- lange die materiellen Vorteile klar vor Augen lagen, großer Taten fähig; tiefere Staatsweisheit stand aber ferne. Man sah nicht ein, die errungene Suprematie sei nirr zu be- haupten, wenn sie sich auf eine großartige Nationalität basiere und durch einen mächtigen Nationalgeist unterstützt sei.
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Andererseits regte sich in denjenigen Reichen, die vermittels der Monarchie ihre Nationalität nach einem großartigen Maß- stabe ausgebildet hatten, dagegen in Handel und Industrie noch zurückgeblieben waren, eine Art Schamgefühl darüber, daß ein so kleiner Strich Landes in Manufakturen und Handel, in Fischereien und Seemacht den Meister spiele. Mit diesem Gefühle paarte sich in England die Energie der neugebornen Republik. (74) Die Navigationsakte war der Fehdehandschuh, den die werdende Suprematie von England der herrschenden Suprematie von Holland ins Gesicht warf; und als es zum Kampfe kam, zeigte sich, daß die englische Nationalität von weit größerem Kaliber war als die hollän- dische. Der Erfolg konnte nicht zweifelhaft sein.
Das Beispiel Englands fand Nachahmung bei Frankreich. Colbert hatte berechnet, daß die gesamten Frachtfuhren zur See ungefähr 20000 Segel beschäftigten, wovon auf die Holländer allein 16 000 kämen, was für eine so kleine Nation über alles Yerhältnis zuviel sei. Infolge der bourbonischen Sukzession in Spanien dehnte Frankreich seinen Verkehr zum Nachteil der Holländer über die Halbinsel aus. Nicht minder in der Levante. Dabei tat die Begünstigung der inneren Manufakturen, der eigenen Schiffahrt und Fischerei in Frankreich der Industrie und dem Handel der Holländer unermeßlichen Abbruch.
An England hatte Holland den größten Teil seines Ver- kehrs mit den nordischen Reichen, den Konterbandehandel mit Spanien und seinen Kolonien, den größten Teil seines ost- und westindischen Handels und seiner Fischereien ver- loren. Der empfindlichste Streich ward ihm aber (1703) durch den Methuenvertrag beigebracht. Dadurch erst er- hielt sein Handel mit Portugal und dessen Kolonien und mit Ostindien den Hauptstoß.
Als Holland einen so großen Teil seines auswärtigen Handels zu verlieren anfing, geschah auch hier, was früher
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in den Hansestädten und in Venedig geschehen war, der- jenige Teil der materiellen und geistigen Kapitale, der nun im Inland kein Unterkommen mehr finden konnte, flüchtete sich vermittels Auswanderung oder in Form von Anleihen zu denjenigen (75) Nationen, welche die Suprematie Hollands beerbt hatten.
Hätte Holland, vereinigt mit Belgien, mit dem Fluß- gebiet des Rheins und mit Norddeutschland ein National- territorium gebildet, schwerlich wäre es England und Frank- reich gelungen, seine Seemacht, seinen auswärtigen Handel und seine innere Industrie durch Kriege und Handelspolitik in der Art zu schwächen, wie von ihnen geschehen ist. Eine solche Nation hätte den Handelssystemen jener Reiche ein eigenes Handelssystem entgegenzusetzen vermocht. Wäre auch durch das Aufkommen der Manufakturen jener Reiche der deutschen Industrie einiger Abbruch geschehen, die inneren Hilfsquellen der Nation und die fremde Koloni- sation hätten diese Verluste wieder reichlich ersetzt. Holland fiel demnach, weil ein Strich Küstenland, von einer kleinen Zahl von deutschen Fischern, Seefahrern, Kauf Leuten und Viehzüchtern bewohnt, für sich selbst eine Nationalraacht bilden wollte und das Binnenland, mit welchem es ein Ganzes ausmachte, als fremdes Land betrachtete und be- liandelte.
So lehrt das Beispiel Hollands, wie das Belgiens, wie das der Hansestädte und der italienischen Republiken, daß die Privatindustrie den Handel, die Industrie und den Reich- tum ganzer Staaten und Länder nicht aufrecht zu erhalten vermag, wenn die öffentlichen Zustände nicht günstig sind, und daß die Individuen den größten Teil ihrer produktiven Kräfte von der politischen Organisation der Regierung und der Macht der Nation empfangen. Belgiens Ackerbau blüht wieder auf unter der österreichischen Herrschaft. Mit Frankreich vereinigt, richtet sich auch seine Manufaktur-
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Industrie wieder in der alten Riesengestalt empor. (76) Holland für sich allein war nie imstande, den großen Reichen gegenüber ein selbständiges Handelssystem aufzu- stellen und zu behaupten. Sobald aber durch seine Ver- einigung mit Belgien, nach Herstellung des allgemeinen Friedens, seine inneren Hilfsquellen, seine Bevölkerung und sein Territorium sich derart erweitern, daß es sich den größeren Nationalitäten gegenüberstellen kann und in sich selbst eine zunehmende Masse und Verschiedenheit von pro- duktiven Kräften besitzt, sehen wir auch in den Nieder- landen das Schutzsystem erstehen und unter seinem Einfluß Agrikultur, Manufakturen und Handel einen bedeutenden Aufschwung nehmen. Diese Vereinigung hat sich, aus Gründen, die außerhalb des Bereiches unserer Untersuchung liegen, wieder aufgelöst, und damit hat das Schutzsystem in Holland seine Basis verloren, während es in Belgien noch heute fortlebt.
Holland nährt sich jetzt von seinen Kolonien und vom deutschen Zwischenhandel. Der nächste Seekrieg aber kann ihm leicht die erstereu rauben, und je mehr der deutsche Zollverein zur Einsicht seiner Interessen und zum Gebrauch seiner Kräfte gelangt, um so mehr Avird er die Notwendig- keit erkennen, Holland in sich aufzunehmen.
(77) Viertes Kapitel. Die Engländer.
Wir haben bei den Hansen gesehen, wie in England Ackerbau und Schafzucht durch den auswärtigen Handel gehoben worden, wie später infolge von Einwanderungen
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fremder in ihrem Vaterlande verfolgter Fabrikanten und durch die aufmunternden Maßregeln der Regierung die Wollfabrikation des Landes nach und nach in Flor ge- kommen, wie infoige dieser Fortschritte in den Gewerben und ebenso weiser als energischer Maßregeln der Königin Elisabeth der auswärtige, zuvor fast ausschließlich von Fremden betriebene Handel des Landes in die Hände der inländischen Ivaufleute gekommen ist.
"Wir werden nun hier, nachdem wir noch einige Be- merkungen über den Ursprung der englischen Industrie nachgeholt haben, die Darstellung der Entwicklung der eng- lischen Nationalökonomie da fortsetzen, wo wir sie im zweiten Kapitel gelassen haben.
Der Ursprung der industriellen und kommerziellen Größe Englands ist vorzüglich in der Schafzucht und in der Woll- fabrikation zu suchen. Vor dem ersten Auftreten der Hansen in England war der Ackerbau schlecht (78) und die Schafzucht nicht von besonderer Bedeutung. Es fehlte an Winterfutter für das Vieh; ein großer Teil desselben mußte im Herbst geschlachtet werden. Daher Maugel an Viehkapital und an Dünger. Wie in allen nicht kultivierten Ländern, wie früher in Deutschland und heute noch in den Wildnissen von Amerika, lieferte die Schweinezucht das Hauptnahrungsmittel an Fleisch, aus leicht einzusehenden Gründen. Die Schweine bedurften nur geringer Wartung, suchten sich ihr Futter selbst, fanden es in reichlicher Menge in den Wäldern und unangebauten Feldern, und man durfte nur eine geringe Zahl von Mutterschweinen über- wintern, um im folgenden Frühjahr wieder ansehnliche Herden zu haben.
Mit dem Aufkommen des fremden Handels aber ver- minderte sich die Schweinezucht, vermehrte sich die Schaf- zucht, verbesserte sich überhaupt der Ackerbau und die Bindviehzucht schnell.
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Harne gibt ia seiner Geschichte Englands*) eine sehr interessante Notiz über den Stand der englischen Landwirt- schaft zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Lord Spencer zälilte im Jahre 1327 auf 63 seiner Landgüter 28000 Schafe, 1000 Ochsen, 1200 Kühe, 560 Pferde und 2000 Schweine, folglich kamen auf ein Landgut ungefähr 450 Schafe, 35 Stück Eindvieh, 9 Pferde und 32 Schweine. Man ersieht hieraus, in welchem vorteilhaften Verhältnis die Zahl der Schafe, im Vergleich mit der Zahl der übrigen Viehgattungen, schon damals in England stand. Die großen Vorteile, welche die englische Aristokratie aus der Schafzucht zog, inter- essierten dieselbe für die Industrie und den (79) ver- besserten Landbau schon zu einer Zeit, wo noch die Aristo- kratie in den meisten Ländern des Kontinents den größten Teil ihrer Besitzungen nicht besser zu nutzen wußte, als durch Hegung eines großen Wildstandes; wo sie noch kein rühm würdigeres Geschäft kannte, als den Städten und ihrem Verkehr durch Feindseligkeiten jeder Art Abbruch zu tun.
Nunmehr wuchsen, wie in den neuesten Zeiten in Un- garn, die Schafherden so sehr an, daß man auf manchen Gütern 10000 bis 24000 Stück Schafe zählte. Unter solchen Umständen mußte notwendig, infolge der von der Königin Elisabeth getroffenen Maßregeln, die Wollfabrikation, die unter den früheren Regierungen schon so bedeutende Fort- schritte gemacht hatte, schnell in Flor kommen.**)
In der oben bei den Hansen erwähnten Bittschrift, worin dieselben bei dem deutschen Reichstag um Retor-
*) Hume, vol. II. pag. 143.
**) Die Wollausfuhrverbote und die Beschränkungen des Ver- kehrs in Wolle an den Küsten, zu Verhütung der Wollausfuhr, waren lästige und ungerechte Maßregeln, sie wirkten aber gleich- wohl viel zur Hebung der englischen Industrie und zur Unter- drückung der flandi-ischen.
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sionsmaßregeln einkamen, ist die Tuchausfuhr Englands auf 200000 Stücke geschätzt, und schon unter Jakob I. betrug der Wert sämtlicher von England ausgeführten Tücher die enorme Summe von 2 Millionen Pfund Sterling, während im Jahre 1354 der Gesamtwert der Wollausfuhr nur 277 000 Pfund, und der aller übrigen Ausfuhren nur 16400 Pfund betragen hatte. Bis zur Regierung des letztgenannten Königs waren die meisten Tücher roh nach Belgien ex- portiert und dort gefärbt und appretiert worden, aber (80) infolge der Schutz- und Aufmunterungsmaßregeln Jakobs I. und Karls I. gelangte auch die englische Tuchappretur zu einer solchen Vervollkommnung, daß nun die Einfuhr feiner Tücher größtenteils aufhörte und fortan nur gefärbte und appretierte Tücher exportiert wurden.
Um die Wichtigkeit dieser Erfolge der englischen Handelspolitik in ihrem ganzen Umfang würdigen zu können, muß bemerkt werden, daß die Tuchfabrikation vor dem großen Aufschwung, den in späteren Zeiten die Linnen-, Baumwollen-, Seiden- und Eisenfabrikationen genommen haben, bei weitem den größten Teil der Tauschmittel dar- bot, sowohl für den Handel mit allen europäischen Nationen, besonders mit den nordischen Ländern, als für den Verkehr mit der Levante und mit Ost- und Westindien. In welchem hohen Grade dies der Fall gewesen, ergibt sich daraus, daß schon zur Zeit Jakobs L die Ausfulir an Wollenwaren neun Zehnteile aller englischen Ausfuhren betrug.*)
Diese Gewerbsproduktion gewährte England die Mittel, die Hansen auf den Märkten von Rußland, Schweden, Nor- wegen und Dänemark auszustechen und den besten Teil des Ertrags vom levantischen und vom ost- und westindischen Handel an sich zu ziehen. An ihr erstarkte die Stein-
*) Hume beim Jahrgang 1603. — Macpherson, Histotre du commerce, beim Jahrgang 1651,
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kohlenproduktion, folglich eine großartige Küstenfahrt, und die Fischerei, welche beide, als die Basis der Seemacht, erst die Erlassung der Navigation sakte ernaöglichten und damit die englische Seeherrschaft begründeten. An ihr rankten alle andern Fabrikationszweige wie an einem gemeinschaft- lichen (81) Stamme empor, und sie ist somit die Basis der Größe von Englands Industrie, Handel und Seemacht.
Indessen wurden die übrigen Zweige der englischen Gewerbsindustrie keineswegs vernachlässigt. Schon unter der Königin Elisabeth war die Einfuhr von Metall- und Lederwaren und von einer Menge anderer Manufakturartikel verboten,*) dagegen die Einwanderung deutscher Bergleute und Metallfabrikanten begünstigt worden; früher hatte man die Schiffe von den Hansen gekauft, oder sie doch in den Häfen der Ostsee bauen lassen; sie wußte durch Beschrän- kungen und Aufmunterungen den eigenen Schiffbau empor- zubringen. Das dazu erforderliche Bauholz ward aus den nordöstlichen ßeichen eingeführt, wodurch wiederum der englische Ausfuhrhandel nach diesen Gegenden außerordent- lich gewann. Den Heringsfang hatte man den Holländern, den Walfischfang den Anwohnern des biskayischen Meer- busens abgelernt und beide durch Prämien befördert. Jakob I. ließ sich die Beförderung des Schiffbaues und der Fischerei besonders aagelegen sein. Wie lächerlich uns die unablässigen Ermahnungen erscheinen mögen, wodurch dieser König seine Untertanen zum Fischessen ermunterte, die Ge- rechtigkeit müssen wir ihm widerfahren lassen, daß er recht gut merkte, worauf die künftige Größe der englischen Nation beruhe. Einen unermeßlichen Zuwachs an Industriegeschick- lichkeit und an Manufakturkapital erhielt England durch die Einwanderung der von Philipp II. und Ludwig XIV. aus Belgien und Frankreich vertriebenen protestantischen
*) Anderson, Jahrgang 1564.
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FabrikanteD, Ihnen verdankt er seine feineren Wollfabriken, seine Fortschritte in der Hut-, Leinen-, Glas-, (82) Papier-, Seiden- und Uhrenfabrikation, sowie einen Teil seiner Metall- fabriken — Industriezweige, die es durch Einfuhrverbote und hohe Zölle schnell zu heben verstand.*)
Allen Ländern des Kontinents borgte diese Insel ihre besonderen Geschicklichkeiten ab und verpflanzte sie unter dem Schutz ihres Douanensystems auf ihren Boden. Venedig mußte nebst andern Luxusgewerben die Kunst der Kristall- fabrikation und sogar Persien die Kunst des Teppichwebens und Färbens ablassen.
Einmal im Besitz eines Industriezweiges, ward er jahr- hundertelang von ihr gehegt und gepflegt, wie ein junger Baum, welcher der Stütze und Wartung bedarf. Wer etwa nicht weiß, daß bei Fleiß, Geschicklichkeit und Sparsamkeit jeder Industriezweig im Laufe der Zeit gewinnreich werden muß; nicht weiß, daß in einer im Ackerbau und in der Kultur überhaupt schon vorgerückten Nation bei ange- messenem Schutze junge Fabriken, wie unvollkommen und teuer im Anfang ihre Erzeugnisse sein mögen, durch Übung, Erfahrung und innere Konkurrenz bald dahin gelangen, es in jeder Beziehung den alten Fabriken des Auslandes gleich zu tun ; wem etwa unbekannt wäre, daß das Gedeihen, jedes besondern Fabrikationszweiges durch das Gedeihen vieler anderer Fabrikations- zweige bedingt ist, und bis zu welchem Grad eine Nation alle ihre produktiven Kräfte auszubilden vermag, wenn sie beharrlich dafür Sorge trägt, daß jede Generation das Werk der Industrie da fortsetzen kann, wo es die früheren Generationen gelassen haben, der studiere erst die Geschichte der englischen (83) Industrie, bevor er es unter- nimmt, Systeme zu bauen und praktischen Staatsmännern,
*) Anderson, beim Jahrgang 1685.
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welcheQ das "Wohl und Wehe der Nationen in die Hände gegeben ist, Ratscliläge zu erteilen.
unter Georg I. war es den englischen Staatsmännern längst klar geworden, worauf die Größe der Nation beruhe. „Es ist einleuchtend," lassen die Minister bei Eröffnung des Parlaments von 1721 diesen König sagen , „es ist ein- leuchtend, daß nichts so sehr zur Beförderung des öffent- lichen Wohlstandes beiträgt, als die Ausfuhr von Manufaktur waren und die Einfuhr fremder Roh- stoffe.*)
Dies war seit Jahrhunderten der leitende Grundsatz der englischen Handelspolitik, wie es früher der von Venedig gewesen ist. Er ist es noch heute wie zur Zeit der Königin Elisabeth. Die Früchte, welche er getragen hat, liegen aller Welt vor Augen. Die Theoretiker haben später be- hauptet, England sei nicht durch, sondern trotz seiner Handelspolitik zu Reichtum und Macht gelangt. Man könnte mit ebensoviel Fug behaupten, die Bäume seien nicht durch, sondern trotz der Stützen, womit sie in ihrer Jugend aufrecht erhalten werden, stark und fruchtbringend ge- worden.
Nicht minder beweist uns die englische Geschichte, in welcher engen Verbindung die allgemeine Politik mit der politischen Ökonomie steht. Offenbar hat das Aufkommen der Fabriken in England und die daraus (84) erwachsene Vermehrung der Bevölkerung große Nachfrage nach ge- salzenen Fischen und nach Steinkohlen erzeugt, woraus
*) Siehe Ustaritz' Theorie du Commerce, chap. 28. Man sieht, Georg 1. wollte nicht bloß ausführen und nichts einführen als Geld, was man als das Grundprinzip des sogenannten Mer- kantilsystems bezeichnet, und was allerdings Unsinn wäre; son- dern er wollte Manufakturwaren ausführen und Rohstoffe ein- führen.
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große Vermehrung der zu Fischereien und zum Küsten- transport erforderlichen Schiffahrt erwuchs. Beide, Fischereien und Küstentransport, befanden sich in den Händen der Holländer. Durch hohe Zölle und Prämien aufgemuntert, verlegten sich nun die Engländer selbst auf die Fischerei, durch die Navigationsakte sicherten sie nun den Stein- kohlentransport und den Seetransport überhaupt ihren eigenen Seefahrern. Die hieraus hervorgegangene Ver- mehrung der Handelsschiffahrt Englands hatte eine verhält- nismäßige Vergrößerung seiner Seemacht zur Folge, wodurch es in den Stand gesetzt ward, der holländischen Flotte die Spitze zu bieten. Kurz nach Erlassung der Navigationsakte entspann sich zwischen England und Holland ein Seekrieg, infolgedessen der Handel der Holländer nach den Ländern jenseits des Kanals fast ganz unterbrochen und ihre Schiff- fahrt in der Nord- und Ostsee durch englische Kaper bei- nahe vernichtet ward. Hume berechnet die Zahl der den Engländern in die Hände gefallenen holländischen Schiffe auf 16Ü0, und Davenant versichert in seiner Schrift über die öffentlichen Einkünfte, daß im Laufe von 28 Jahren nach Erlassung der englischen Navigationsakte die englische Schiffahrt um das Doppelte sich vermehrt habe.*)
unter die wichtigsten Erfolge der Navigationsakte ist zu rechnen:
1) Die Ausdehnung des englischen Handels mit allen nordischen Reichen, mit Deutschland und Belgien (85) (Ausfuhr von Fabrikwaren, Einfuhr von Rohstoffen), von welchen nach Andersons Bemerkung beim Jahre 1603 die Engländer von den Holländern fast ausgeschlossen waren.
2) Ungemeine Erweiterung des Schmuggelhandels mit Spanien und Portugal und deren westindischen Kolonien.
*) Hume, vol. V. p. 39.
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3) Große Vermehrung des englischen Herings- und Walfischfanges, den die Holländer fast monopolisiert hatten.
4) Die Eroberung der wichtigsten Kolonie der Eng- länder in Westindien, Jamaika (1655), und damit des west- indischen Zuckerhandels, vorzüglich aber
5) die Abschließung des Methuenvertrags mit Portugal (1703), von welchem wir bei Spanien und Portugal um- ständlich handeln werden. Durch diesen Vertrag wurden die Holländer und Deutschen von dem wichtigen Handel mit Portugal und seinen Kolonien gänzlich ausgeschlossen, geriet Portugal in die völlige politische Abhängigkeit Eng- lands, gewann England die Mittel, durch das im Handel mit Portugal gewonnene Gold und Silber seinen Handel mit Ostindien und China unermeßlich auszudehnen, damit später sein großes ostindisches ßeich zu stiften und die Holländer von ihren Hauptstationspunkten zu verdrängen.
Die beiden letztern Erfolge stehen miteinander in der engsten Verbindung. Dabei ist besonders die Kunst merk- würdig, mit welcher sie beide Länder, Portugal und Ost- indien, zum Werkzeug ihrer künftigen Größe zu machen verstanden. Portugal und Spanien hatten vorzüglich nur edle Metalle zu bieten, der Orient wollte außer Tüchern vorzüglich nur edle Metalle. Soweit paßte alles vortrefflich. Aber der Orient hatte im (86) Tausch hauptsächlich nur Baumwollen- und Seidenwaren zu bieten. Das paßte nicht zu der oben von uns angeführten Regel der englischen Minister, nur Rohstoffe ein-, nur Fabrikate auszuführen. Was taten sie nun? Begnügten sie sich mit den Profiten, die ihnen der Tuchhandel mit Portugal und der Seiden- und Baum wollen Warenhandel mit Ostindien versprach? Keineswegs. Die englischen Minister sahen weiter.
Hätten sie die freie Einfuhr von ostindischen Baum- wollen- und Seidenwaren in England erlaubt, die englischen Baumwollen- und Seidenmanufakturen hätten augenblicklich
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aufhören müssen. Ostindien hatte für sieh nicht allein die größere Wohlfeilheit des rohen Materials und des Ai'beits- lohnes, sondern auch uralte Gewohnheit, Geschicklichkeit und Übung. Die Wirkung dieser Vorteile konnte bei freier Konkurrenz nicht ausbleiben. England woUte aber keine Niederlassungen in Asien gründen, um in ihre Manufaktiir- untertänigkeit zu verfallen. Es strebte nach Handelsherr- schaft und fühlte, daß von zwei Ländern, die im freien Verkehr miteinander stehen, dasjenige herrscht, welches Fabrikate verkauft, und dasjenige gehorcht, das nur Agri- kulturprodukte zu bieten hat. England hatte schon in seinen nordamerikanischen Kolonien nach dem Grundsatz gehandelt, nicht zu gestatten, daß ein Hufnagel dort fabriziert, noch viel weniger, daß ein dort fabrizierter Hufnagel in England importiert werde. Wie hätte man von ihm erwarten können, es werde einem in der alten Manufakturweise so bevor- zugten, einem so zalilreichen, so frugalen Volke wie den Hindus seinen eigenen Manufakturmarkt, die Grundlage seiner künftigen Größe, preisgeben?
(87) England verbot demnach die Waren seiner eigenen Faktoreien, die ostindischen Stoffe von Seide und Baumwolle!*) Es verbot sie gänzlich und streng, es wollte selbst keinen Faden davon gebrauchen, es wollte nichts von diesen schönen und wohlfeilen Waren, es zog vor, seine eigenen schlechteren und teureren Stoffe zu konsumieren, es wollte die weit schöneren Stoffe Ostindiens zu wohlfeileren Preisen an die Kontinentalnationen ver- schleudern, ihnen wollte es allen Vorteil dieser Wolüfeilheit vergönnen, es selbst wollte nichts davon.
Hat damit England töricht gehandelt? Allerdings nach der Theorie von Adam Smith und J. B. Say, nach der Theorie der Werte. Denn nach ihr hätte es seine Be-
*) Anderson, beim Jahrgang 1721.
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dürfnisse da kaufen sollen, wo sie am wohlfeilsten und schönsten zu haben waren; es war töricht, sie teurer selbst zu fabrizieren, als es sie kaufen konnte, und sie dem Kon- tinent gleichsam zu schenken.
Anders verhält es sich nach unserer Theorie, die wir die Theorie der produktiven Kräfte nennen, und welche die englischen Minister, ohne sie bis auf den Grund erforscht zu haben , vermittels der Maxime : Produkte kaufen, Fabrikate verkaufen, befolgten. Die eng- lischen Minister wollten keine wohlfeilen und vergäng- lichen Manufakturwaren, sondern teure und bleibende Manufakturkraft erwerben.
Sie haben ihren Zweck auf glänzende Weise erreicht. Heute produziert England für 70 Millionen Pfund Sterling Baumwollen- und Seidenwaren, versorgt es ganz Europa, alle Welt, Ostindien selbst, mit seinen Fabrikaten. Seine Selbstproduktion beträgt (88) heute fünfzig- bis hundertmal mehr, als der frühere Handel mit den Fabrikaten Ost- indiens.
Was hätte es gewonnen, wenn es vor hundert Jahren die wohlfeilen ostindischen Waren gekauft hätte?
Was haben diejenigen gewonnen, die sie von ihnen so wohlfeil kauften? Die Engländer haben Kraft gewonnen, unermeßliche Kraft; die andern das Gegenteil von Kraft.
Daß bei solchen, geschichtlich außer allen Zweifel ge- stellten Erfolgen Adam Smith über die englische Naviga- tionsakte ein so schiefes Urteil fällen konnte, wie er getan hat, läßt sich aus demselben Grunde erklären, aus welchem wir in einem andern Kapitel die falschen Urteile dieses be- rühmten Schriftstellers tiber die Beschränkungen überhaupt erklären werden. Diese Tatsachen standen seiner Lieblings- idee, der unbeschränkten Freiheit des Handels, im Wege, er mußte also die Einwürfe, die aus den Wirkungen der Navi- gationsakte gegen sein Prinzip geschöpft werden konnten,
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dadurch zu beseitigen suchen, daß er die politischen Zwecke von den ökonomischen trennte und behauptete: die Navigationsakte sei zwar in politischer Beziehung not- wendig und nützlich, aber in ökonomischer Beziehung nach- teilig und schädlich gewesen. Wie wenig eine solche Trennung durch die Natur der Dinge und die Erfahrung gerechtfertigt erscheint, erhellt aus unserer Darstellung. J. B. Say, ungeachtet die Erfahrung von Nordamerika ihm hätte besseres Licht geben können, geht auch hier, wie überall, wo die Prinzipien der Freiheit und der Beschrän- kung einander gegenüberstehen, noch weiter als sein Vor- gänger. Say berechnet, wie hoch vermittels der Fischerei- prämien den Franzosen ein (89) Matrose zu stehen komme, um die Un Wirtschaftlichkeit dieser Prämien zu beweisen. Überhaupt ist die Materie der Schiifahrtsbeschränkungen für die Verteidiger der unbeschränkten Handelsfreiheit ein großer Stein des Anstoßes, welchen sie, zumal wenn sie dem Handelsstand der Seestädte angehören, gar zu gerne mit Stillschweigen übergehen.
Die Wahrheit ist: es verhält sich mit den Schiffahrts- beschränkungen wie mit allem andern Verkehr. Die freie Schiffahrt und der Transporthandel der Fremden sind den Nationen nützlich und angenehm im Anfang ihrer Kultur, solange sie weder ihren Ackerbau noch ihre Manufakturen gehörig ausgebildet haben. Aus Mangel an Kapital und an erfahrenen Seeleuten überlassen sie die Schiffahrt und den auswärtigen Handel gern den Fremden. Später, nachdem sie ihre produktiven Kräfte bis auf einen gewissen Grad entwickelt und nach und nach Kenntnisse im Scliiffbau und in der Schiffahrt erlangt haben, regt sich in ihnen der Wunsch, ihren auswärtigen Handel weiter auszudehnen, ihn mit eigenen Schiffen zu betreiben und selbst eine Seemacht zu bilden. Allmählich erwächst ihre eigene Schiffahrt zu einer Bedeutenheit, durch welche sie sich in den Stand
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gesetzt fühlen, die Fremden davon auszuschließen und ihren entfernteren Seehaudel mit eigenen Schiffen zu betreiben. Alsdann ist die Zeit gekommen, um mit Erfolg durch Schiff- fahrtsbeschränkungen die reicheren, erfahrneren und mäch- tigeren Fremden von der Teilnahme an diesem Geschäft auszuschließen. Aber auf den höchsten Grad der Ausbildung ihrer Schiffahrt und Seemacht gelangt, tritt wieder ein anderer Zeitpunkt ein, von welchem schon Dr. Priestley sagte : es dürfte eben so klug sein, die Navigationsbeschrän- kungen (90) aufzuheben, als es klug war, sie einzuführen.*) Alsdann erlangen sie durch Schiffahrtsverträge auf den Grund gleicher Rechte, einerseits, minder vorgerückten Nationen gegenüber, unzweifelhafte Vorteile, halten sie der- gleichen Nationen ab, Schiffahrtsbeschiänkungen zu ihrem besondern Vorteil einzuführen ; andererseits verwahren sie ihre eigenen Seefahrer gegen Indolenz und spornen sie an, im Schiffbau und in der Kunst der Schiffahrt mit andern Nationen gleichen Schritt zu halten. Venedig, im Aufstreben begriffen, hatte ohne Zweifel seinen Schiffahrtsbeschrän- kungen viel zu verdanken; zur Suprematie in Handel, Ge- werbe und Schiffahrt gelangt, hat es töricht gehandelt, sie beizubehalten. Es war dadurch im Schiffbau wie in der Kunst der Schiffahrt und in der Tauglichkeit seiner Matrosen weit hinter den neben ihm aufstrebenden See- und Handels- mächten zurückgeblieben. So hat England durch seine Politik seine Seemacht vergrößert und vermittels seiner Seemacht seine Manufaktur- und Handelskräfte vermehrt, und aus der Vermehrung der letztern sind ihm wieder neue Vergrößerungen seiner Seemacht und seines Kolonial- besitzes erwachsen.
Adam Smith, indem er behauptet, die Navigationsakte
*) Priestley, Lectures on history and general policy, P. II. p, 289.
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sei England in kommerzieller Hinsicht nicht förderlich ge- wesen, gibt zu, sie habe allerdings seine Macht vergrößert, und Macht sei wichtiger als Reichtum.
So ist es in der Tat : Macht ist wichtiger als Reichtum ; warum aber ist sie wichtiger? Weil die Macht der Nation eine Kraft ist, neue produktive (91) Hilfsquellen zu eröff- nen, und weil die produktiven Kräfte der Baum sind, an welchem die Reichtümer wachsen, und weil der Baum welcher die Frucht trägt, wertvoller ist als die Frucht selbst. Macht ist wichtiger als Reichtum, weil eine Nation ver- mittels der Macht nicht bloß sich neue produktive Quellen eröffnet, sondern sich auch im Besitz der alten und ihrer früher erlangten Reichtümer behauptet, und weil das Gegen- teil von Macht, die Unmacht, alles, was wir besitzen, nicht nur den Reichtum, sondern auch unsere produktiven Kräfte, unsere Kultur, unsere Freiheit, ja unsere Nationalselbständig- keit in die Hände derer gibt, die uns an Macht überlegen sind, wie solches hinlänglich aus der Geschichte der italieni- schen Republiken, des Hansabundes, der Belgier, der Holländer, der Spanier und der Portugiesen erhellt.
Wie aber war es möglich, daß bei einer solchen Wechselwirkung der Macht und der produktiven Kräfte und des Reichtums Adam Smith die Behauptung aufstellen konnte: der Methuenvertrag und die Navigationsakte seien England in kommerzieller Hinsicht nicht vorteilhaft ge- wesen '? !
Wir haben nachgewiesen, wie England durch seine Politik Macht und durch seine Macht produktive Kraft und durch seine produktive Kraft Reichtum erlangt hat ; sehen wir nun auch, wie es infolge dieser Politik Maclit auf Macht, produktive Kraft auf produktive Kraft ge- häuft hat.
England hat die Schlüssel zu allen Meeren erobert und allen Nationen eine Schildwache gestellt; den Deutschen
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Helgoland, den Franzosen Guernsey und Jersey, den Nord- amerikanern Neuschottland und die Bermuden, den Mittel- amerikanern Jamaika, allen (92) Küstenländern des Mittel- meeres Gibraltar, Malta und die sieben Inseln; es besitzt alle Etappenplätze der beiden Straßen nach Indien, mit Aus- nahme der Landenge von Suez, nach deren Besitz es strebt ; es schließt das Mittelmeer durch Gibraltar, das Rote Meer durch Aden, und den persischen Meerbusen durch Bushire und Karrack. Es fehlte ihm nichts mehr als die Dardanellen, der Sund und die Landengen von Suez und Panama, um alle Meere und Seestraßen nach Belieben öffnen und sehließen zu können.
Seine Seemacht allein übertrifft die Seemacht aller übrigen Nationen, wenn nicht an Zahl der Segel, doch an Streitkraft.
Seine Manufakturkraft übertrifft die aUer übrigen Nationen an Bedeutenheit. Ungeachtet seit Jakob I. seine Tuchmanu- fakturproduktion um mehr als das Zehnfache gestiegen ist (auf 44V4 Millionen), beträgt doch die Produktion eines im Lauf des letzten Jahrhunderts neu geschaffenen In- dustriezweigs, der Baumwolle, noch weit mehr, nämlich 52V2 Millionen.*)
Damit nicht zufrieden, ist es im Begriff, seine Linnen- produktion, in welcher es von jeher gegen andere Länder zurückgeblieben war, auf gleiche Höhe, vielleicht noch höher zu heben, als die beiden erwähnten; jetzt schon beträgt sie 151/2 Millionen Pfund.
*) Wir entnehmen diese und die folgenden Zahlen , die Statistik Englands betreffend, einem im Juliheft 1839 von Tait's Edinburgh Mazine enthaltenen Aufsatz des bekannten englischen Statistikers M'Queen. Vielleicht sind sie zurzeit etwas übertrieben. Ist dies aber auch der Fall, so ist es doch mehr als wahrscheinlich, daß sie noch im Laufe des gegenwärtigen Jahrzehnts erreiclit werden,
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(93) Noch im 14. Jahrhundert so arm an Eisen, daß es die Ausfuhr dieses so notwendigen Metalls verbieten zu müssen glaubte, fabriziert England im 19. Jahrhundert mehr Eisen- und Stahlwaren als alle übrigen Nationen der Erde, nämlich für 31 Millionen; und an Steinkohlen und andern Mineralien produziert es für 34 Millionen Pfund. Diese beiden Summen betragen über das Siebenfache des Werts der gesamten Gold- und Silberproduktion aller Nationen der Erde (ungefähr 220 Millionen Franken oder 9 Millionen Pfund).
Es produziert in unsern Tagen mehr an Seidenstoffen als alle italienischen Republiken des Mittelalters zusammen- genommen, nämlich für 13^/2 Millionen Pfund.
Industriezweige, die zur Zeit Heinrichs VIII. und der Elisabeth kaum genannt werden konnten, produzieren jetzt ungeheure Summen, z. B. die Glas-, Porzellan- und Stein- gutfabrikation für 11 Millionen, die Kupfer- und Messing- fabrikation für 4V2 Millionen Pfund, die Papier-, Buch-, Farben- und Möbel fabrikation für 14 Millionen Pfund. Es produziert für 16 Millionen Pfuud Sterling Leder und für 10 Millionen Pfund ungenannte Artikel; seine Bier- und Branntweinfabrikation allein hat einen weit größeren Wert als zur Zeit Jakobs I. die ganze NationaJproduktion, nämlich 47 Millionen Pfund.
Die Gesamtmanufakturproduktion der drei Königreiche wird in der neuesten Zeit zu 259^/2 ]\Iillionen Pfund Sterling angenommen.
Infolge, hauptsächlich infolge dieser imgeheuren Manufakturproduktion ist die produktive Kraft des Acker- baues dahin gekommen, einen Totalwert, der (94) mehr als das Doppelte jenerSumme beträgt (539 Millionen), zu produzieren.
Es ist wahr, dieses Wachstum an Macht und an pro- duktiver Kraft hat England nicht seinen Handelsbeschrän-
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kungen, seiner Navigationsakte, seinen Handelsverträgen allein, sondern großenteils auch seinen Eroberungen im Ge- biet der Wissenschaften und Künste zu verdanken.
Woher aber kommt es, daß in unsern Tagen eine Million englischer Fabrikarbeiter imstande ist, die Arbeit von Hunderten von Millionen zu verrichten? Dies kommt von der großen Nachfrage nach Manufakturprodukten, die es in- folge seiner weisen und energischen Politik im Ausland und hauptsächlich in seinen Kolonien zu schaffen wußte; von dem weisen und kräftigen Schutz, den es seiner innern In- dustrie gewährte ; von den großen Prämien, die es vermittels seines Patentgesetzes auf jede neue Erfindung setzte; von der ungemeinen Beförderung seiner innern Transportmittel durch Kuuststraßen, Kanäle und Eisenbahnen.
England hat der Welt bewiesen, wie mächtig die Trans- portmittel auf die Vermehrung der produktiven Kräfte und damit auf die Vermehrung der Reichtümer, der Bevölkerung und der politischen Macht wirken ; es hat bewiesen, was eine freie, ge werbfleißige und gut verwaltete Nation, mitten unter auswärtigen Kriegen, in dieser Hinsicht in dem kurzen Zeit- raum von einem halben Jahrhundert zu leisten vermag. Was vor ihm die italienischen Republiken in diesem Fach leisteten, war Kinderspiel. Man schätzt die auf diese großen Instrumente der Nationalproduktivkraft in England ver- wendeten Summen auf 118 Millionen Pfund.
England hat aber diese Werke erst begonnen und (95) ausgeführt, als seine Manufakturkraft zu erstarken anfing. Seitdem ist es jedermann klar geworden, daß nur eine Nation, deren Manufakturkraft auf großartige Weise sich auszubilden beginnt, dergleichen Werke zur Ausführung zu bringen vermag; daß nur bei einer Nation, welche die Manufakturkraft mit der Agrikulturkraft in ihrem Innern gleichmäßig ausbildet, diese kostspieligen Instrumente den
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Aufwand wert sind, den sie verursachen, daß sie nur bei einer solchen Nation ihren Dienst gehörig verrichten.
Es ist wahr, die unermeßliche Produktivkraft, der große Reichtum Englands ist nicht allein die Wirkung der phy- sischen Macht der Nation und der Gewinnsucht der Indivi- duen; das ursprüngliche Freiheits- und Rechtsgefühl, die Energie, die Religiosität und Moralität des Volkes haben daran ihren Teil; die Konstitution des Landes, die Institu- tionen, die Weisheit und Kraft der Regierung und der Aristokratie haben daran ihren Teil ; die geographische Lage, die Schicksale des Landes, ja die Glücksfälle selbst haben daran ihren Teil.
Es ist schwer zu sagen, ob die materiellen Kräfte mehr auf die geistigen, oder die geistigen Kräfte mehr auf die materiellen, ob die gesellschaftlichen Kräfte mehr auf die individuellen Kräfte, oder diese mehr auf jene wirken. So viel ist aber gewiß, daß beide in gewaltiger Wechselwirkung stehen, daß 'das Wachstum der einen das Wachstum der andern fördert; und daß die Schwächung der einen stets die Schwächung der andern zur Folge hat.
Diejenigen, welche die Grundursachen des Empor- kommens von England einzig in der Mischung des angel- sächsischen mit dem normannischen Blut suchen, (96) mögen einen Blick auf den Zustand dieses Landes vor Eduard IIL werfen. Wo war da der Fleiß und die Wii-tschaftlichkeit der Nation? Diejenigen, welche sie in der konstitutionellen Freiheit des Landes suchen, mögen bedenken, wie noch Heinrich YIII. und Elisabeth ihre Parlamente behandelten. Wo war da die konstitutionelle Freiheit? Zu jener Zeit be- saßen Deutschland und Italien in ihren Städten eine un- endlich größere Summe von individueller Freiheit als England.
Nur ein Kleinod der Freiheit hatte der angelsächsisch- normannische Stamm vor andern Yölkern germanischer
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Abkunft bewahrt — es war der Kern, dem aller Freiheits- iind Rechtssinn der Engländer entsprossen ist — das Ge- schwornengericht.
Als man in Italien die Pandekten aus dem Grabe holte und der Leichnam (allerdings ein großer Toter, ein Weiser bei Lebzeiten) die Rechtspest über die Völker des Konti- nents brachte, taten die englischen Barone den Ausspruch: Keine Änderung in den englischen Gesetzen! Welche Summe von geistiger Kraft sicherten sie dadurch den künftigen Generationen! Wie wirkte später diese geistige Kraft auf die Kräfte der materiellen Produktion,
Die frühzeitige Verbannung der lateinischen Sprache aus dem gesellschaftlichen und literarischen Verkehr, aus der Staats- und Rechtsverwaltung Englands — wie wirkte sie auf die Entwicklung der Nation? auf ihre Gesetzgebung und Rechtsverwaltung? auf ihre Literatur und Industrie? Wie hat ihre längere Beibehaltung in Verbindung mit den fremden Rechten in Deutschland — wie hat sie bis auf unsere Tage in Ungarn gewirkt? Welchen Anteil hat die Erfindung des Pulvers und der Buchdruckerkunst, die (97) Reformation, die Entdeckung des neuen Weges nach Ost- indien und Amerikas an der englischen Freiheit, an der englischen Zivilisation, an der englischen Industrie? Man vergleiche damit ihre Wirkungen in Deutschland und Frankreich. In Deutschland : Spaltung im Reich und in den Provinzen, bis in die Mauern der Städte; elende Kontro- versen, Barbarei in der Literatur und in der Staats- und Rechtsverwaltung; Bürgerkrieg, Verfolgungen und Vertrei- bungen, fremde Invasionen, Entvölkerung und Verheerung; Zerfall der Städte, der Industrie, des Ackerbaues und Handels, der Freiheit und der bürgerlichen Institutionen ; Souveränität der hohen Aristokratie; Absterben der kaiserlichen Gewalt und der NationaHtät; Ablösung der edelsten Teile vom Reich. In Frankreich: Unterjochung der Städte und der
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Aristokratie zum Vorteil der Alleinherrschaft; Allianz mit dem Priestertum gegen die Geistesfreiheit, aber Natioualein- heit und Macht; Eroberung mit ihrem Gewinn und ilirem Fluch; dagegen Verfall der Freiheit und der Industrie. — In England : Aufkommen der Städte, des Ackerbaues, Handels und Gewerbs; Unterwerfung der Aristokratie unter das Ge- setz, dagegen überwiegende Teilnahme derselben an der Gesetzgebung, an der Staats- und Rechtsverwaltung und an den Vorteilen der Industrie; Entwicklung im Innern wie Machtvergrößerung nach außen; innerer Friede; Einfluß auf alle minder kultivierten Länder; Beschränkung der königlichen Gewalt, aber Gewinn für die Krone an Ein- kommen, Glanz und Dauer; im ganzen: hoher Wohlstand, Zivilisation und Freiheit im Innern und überwiegende Macht nach außen.
Wer aber kann sagen, was von diesen günstigen Er- folgen auf Rechnung des englischen Nationalgeistes (98) und der Verfassung, oder was auf Rechnung seiner geographischen Lage und seiner früheren Zustände — oder was davon auf Rechnung des Zufalls — des Schicksals — des Glücks zu setzen sei?
Man wechsle die Stellen Karls V. und Heinrichs VHL, und infolge eines niederträchtigen Ehescheidungsprozesses wird vielleicht — (man begreift, warum wir sagen viel- leicht) aus Deutschland und den Niederlanden, was aus England, was aus Sj^anien geworden. Man setze an die Stelle von Elisabeth ein schwaches Weib, das sich mit Philipp IL vereinigt, und wie steht es um die Macht, die Kultur und die Freiheit Großbritanniens?
Hätte das Genie der Nationen in dieser Revolution den Ausschlag allein gegeben, mußte alsdann nicht der größte Teil ihrer wohltätigen Folgen derjenigen Nation zufallen, in welcher sie ihren Ursprung genommen — der deutschen?
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Allein eben diese Nation erntete zuletzt nur Unheil und Schwäche von diesen Fortschritten.
In keinem europäischen Reich ist die Adelsinstitution so weise wie in England darauf berechnet, dem Adel, der Krone wie dem Bürgertum gegenüber, individuelle Unab- hängigkeit, "Würde und Fortdauer zu sichern, ihm eine parlamentarische Erziehung und Stellung und seinem Be- streben eine patriotische und nationale Richtung zu geben, die EUte des Bürgertums, alles, was bei diesem durch Geist, durch außerordentlichen Reichtum und großartige Leistungen sich ausgezeichnet, in sich aufzunehmen, dagegen den Über- schuß seiner Nachkommenschaft wieder in das Bürgertum zurückzuwerfen und so Adel und Bürgertum in den (99) künftigen Generationen miteinander zu verschmelzen. Auf diese Weise empfängt der Adel stets einen neuen Aufguß von bürgertümlicher und patriotischer Regsamkeit, von Kennt- nissen, Gelehrsamkeit, Geist und materiellen Mitteln aus dem Bürgerstand, wälirend er einen Teil der ihm eigen- tümlichen Bildung und Independenz der Gesinnung dem Bürgertum zurückgibt, seine Nachgebornen auf ihre eigenen Kräfte verweist und dem Bürgerstand als Sporn zu großen Leistungen dient. Mit dem englischen Lord, wie groß die Zahl seiner Nachkommen sei, sitzt nur ein einziger Edel- mann zu Tische; seine übrigen Tischgenossen sind Com- moners, die sich entweder durch eine gelehrte Profession oder im Staatsdienst oder durch Handel, Gewerbe und Ackerbau fortbringen. Man erzählt sich: vor einiger Zeit habe einer der ersten englischen Herzöge die Absicht ge- habt, alle Blutsverwandten seines Hauses zu einem Feste einzuladen, er habe aber von diesem Vorhaben abstehen müssen, weil ihre Zahl Legion gewesen, ungeachtet man im Stammbaum nur um wenige Jahrhunderte rückwärts ge- gangen. Man müßte ein Werk schreiben, um die Wir- kungen dieser Institution auf den Unternehmungsgeist, die
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Kolonisation, die Macht und Freiheit und überhaupt auf die jH'oduktiven Kräfte der Nation ins Licht zu stellen.*)
Auch die geographische I^age Englands hatte uner- meßlichen Einfluß auf die selbständige Ausbildung der Nation. England, Europa gegenüber, war (100) immer eine Welt für sich, war immer frei von den Einflüssen der Eifersucht, der Vorurteile, des Egoismus, der Leiden- schaften und der Unfälle der übrigen Staaten und Nationen. Dieser Isolierung verdankt es einen großen Teil der selb- ständigen und unvermischten Ausbildung seiner Verfassung, die ungestörte Durchführung der Reformation und die für seine Industrie so folgenreiche Säkularisierung der geist- lichen Güter; ihr verdankt es das Glück, daß es, die Bürgerkriege abgerechnet, während einer Reihe von Jahr- hunderten eines ungestörten Friedens genoß; sie machte ihm die stehenden Heere entbehrlich und erleichterte ihm die frühzeitige Ausbildung eines konsequenten Douanen- systems.
Infolge seiner Isolierung war England nicht allein von den nachteiligen Einflüssen der Landkriege frei, es schöpfte auch noch aus den Kontinentalkriegen ungeheure Vorteile für seine Manufaktursuprematie. Landkriege und Länder- verheerungen wirken immer zum vielfachen Nachteil der Manufakturen in denjenigen Gegenden, wo sie geführt werden: einmal mittelbar dadurch, daß die Landwirtschaft gestört und zerstört wird, wodurch der Landwirt die Mittel verliert, Fabrikate zu kaufen und dem Fabrikanten RohstofTe und Lebensmittel zu liefern; sodann unmittelbar, indem die Manufakturen häufig zerstört, oder doch in Bezug ihrer Roh-
*) Der geistreiche „Verstorbene" hat 'in seinen Briefen über England den Standesgenossen seines Vaterlandes in dieser Beziehung eine Lektion gegeben, die ihrer Beheraigung wohl wert wäre.
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Stoffe und in Versendung ihrer Waren gestört werden und es ihnen schwer wird, Kapitale oder Arbeiter aufzutreiben, während sie außerordentliche Kontributionen und Abgaben zu tragen haben ; endlich wirken sie sogar nach Beendigung des Krieges noch zu ihrem Nachteil, indem sich die Kapitale und die persönlichen Kräfte immer in demjenigen Verhältnis dem Ackerbau zu- und von den Manufakturen abwenden, in welchem der (101) Krieg Verheerungen in der Agrikultur angerichtet hat, in welchem es also nach eingetretenem Frieden gewinnreicher wird, Kapitale und Arbeitskräfte dem Ackerbau anstatt den Manufakturen zuzuwenden. Während dieser Zustand in Deutschland in jedem Jahrhundert ein paarmal eintrat und die deutschen Fabriken zurückwarf, machten die englischen unaufhaltsame Fortsehritte. Die eng- lischen Fabriken, den Kontinentalfabriken gegenüber, waren doppelt und dreifach im Vorteil, so oft England entweder durch Ausrüstung von Flotten oder Armeen, oder durch Subsidien, oder auf beiderlei Weise zugleich an dem aus- wärtigen Kriege teilnahm.
Wir gehören nicht zu denen, welche die nutzlosen, namentlich die auf Kriege und Erhaltung großer Armeen aufgewendeten Kosten in Schutz nehmen oder die unbedingte Nützlichkeit einer großen Staatsschuld behaupten; wir glauben aber auch nicht, daß die herrschende Schule recht habe, wenn sie die unbedingte Schädlichkeit aller derjenigen Konsumtionen, die nicht unmittelbar repro- duktiv sind, z. B. die auf Kriege, behauptet. Armeeaus- rüstungen, Kriege und die daraus erwachsenden Schulden können, wie das Beispiel von England lehrt, unter gewissen Umständen ungemein viel zur Vermehrung der produktiven Kräfte einer Nation beitragen. Die materiellen Kapitale mögen immerhin im engern Sinn unreproduktiv konsumiert worden sein, aber diese Konsumtionen können dessenunge- achtet die Manufakturen zu außerordentlichen Anstrengungen
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reizen und zu neuen Erfindungen und Verbesserungen, wie überhaupt zur Vermehrung der produktiven Kraft Ver- anlassung geben. Diese produktive Kraft ist dann etwas Bleibendes; sie wächst fort und fort, (102) während der Kriegsauf wand nur einmal stattfand.*) und so kann es sich unter günstigen Umständen, wie sie sich in England gestaltet haben, ergeben, daß eine Nation infolge jener von den Theoretikern für unproduktiv gehaltenen Konsumtionen unendlich mehr gewonnen als verloren hat. Daß dies wirk- lich der Fall mit England war, läßt sich mit Zahlen be- weisen. Diese Nation hat im Lauf des Kriegs in der Baum- wollenfabrikation allein eine produktive Kraft gewonnen, die einen weit größeren Betrag an Werten jährlich produziert, als sie an Interessen für die aufgewachsene Staatsschuld aufzubringen hat, von der unermeßlichen Erweiterung aller übrigen Industriezweige und der Vermehrung ihres Kolo- nienreichtums nicht zu reden.
Am sichtbarsten war der Vorteil, welcher der englischen Manufaktursuprematie durch die Kontinentalkriege zuging,
*) Englands Staatsschuld wäre kein so großes Übel, als es uns jetzt scheint, wollte Englands Aristokratie zugeben, daß diese Last von denjenigen getragen werde, welchen der Kriegsauf- wand zugute gekommen — von den Reichen. Nach M'Queen beträgt das Kapitalvermögen der drei Königreiche über 4000 Millionen Pfund, und Martin schätzt die in den Kolonien angelegten Kapitale auf ungefähr 2600 Millionen. Hieraus ergibt sich, daß der neunte Teil des englischen Privatvermögens zu- reichen würde, die ganze Staatsschuld zu decken. Nichts wäre gerechter als eine solche Repartition oder wenigstens die Be- streitung der Interessen der Staatsschuld vermittels einer Ein- kommentaxe. Die englische Aristokratie findet es aber bequemer, dieselben durch Konsumtionsauflagen zu decken, wodurch der arbeitenden Klasse ihre Existenz bis zur Unerträglichkeit ver- kümmert wird.
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wenn England auf dem Kontinent Armeekorps unterhielt oder Subsidien bezahlte. Dieser (103) ganze Aufwand ging dann in der Form von englischen Fabrikaten nach dem Schauplatz des Kriegs, wo diese Einfuhren mächtig dazu beitrugen, den ohnehin schon schwer leidenden Manufak- turisten des fremden Landes niederzudrücken und den fremden Markt für immer der englischen Manufakturindustrie zu erobern; er wirkte ganz wie eine zugunsten der eigenen und zum Nachteil der fremden Fabrikation ausgesetzte Aus- fuhrprämie.
Auf diese Weise hatte die Industrie der Kontinental- länder jederzeit mehr durch die englische Allianz als durch die englische Feindschaft gelitten. Wir bringen hier nur den Siebenjährigen Krieg und die Kriege gegen die fran- zösische Republik und das Kaiserreich in Erinnerung.
Wie groß aber auch die vorerwähnten Vorteile gewesen, sie wurden in der Wirkung noch weit übertroffen von denen, welche England durch Einwanderungen aus seinen politischen, religiösen und geographischen Zuständen zog. Schon im 12. Jahrhundert führten politische Verhältnisse flandrische Wollenweber nach Wales. Nicht viele Jahrhunderte später kamen schon vertriebene Italiener nach London, um hier Geld- und Wechsel geschäfte zu betreiben. Daß aus Flandern und Brabant zu verschiedenen Zeiten ganze Massen von Manufakturisten einwanderten, erhellt aus unserem z weilen Kapitel. Aus Spanien und Portugal kamen verfolgte Juden, aus den Hansestädten und aus dem sinkenden Venedig Kaufleute mit ihren Schiffen, Haudelskenntnisseu und Kapi- talien und mit ihrem Unternehmungsgeist. Noch bedeuten- der wurden die Einwanderungen von Kapitalien und Manu- fakturisten infolge der Reformation und der Religionsver- folgungen in Spanien, (104) Portugal, Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien ; sodann von Kaufleuten und Manu- fakturisten aus Holland infolge der nach der Navigations-
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akte und dem Methuenvertrag dort eingetretenen Handels- und Industriestagnation. Jede politische Bewegung, jeder Krieg auf dem Kontinent führte England, solange es gleich- sam ein Privilegium der Freiheit und des Asj'ls, der inneren Euhe und des Friedens, der Rechtssicherheit und des Wohl- standes besaß, Massen von neuen Kapitalien und Geschick- lichkeiten zu; so zuletzt die französische Revolution und die Kriege des Kaiserreichs ; so die politischen Bewegungen und die revolutionären und reaktionären Bewegungen und Kriege in Spanien, Mexiko und Südamerika. Lange mono- polisierte England durch sein Patentgesetz den Erfindungs- geist aller Nationen. Es ist nicht anders als billig, daß jetzt England, nachdem es die höchste Höhe seiner industriellen Ausbildung erreicht hat, den Kontinentalnationen einen Teil der von ihnen bezogenen produktiven Kräfte wieder zurück- erstatte.
(105) Fünftes Kapitel. Die Spanier und Portugiesen.
Während die Engländer jahrhundertelang bemüht waren, das Gebäude ihrer Nationalwohlfahrt auf der soli- desten Grundlage zu errichten, machten die Spanier und Portugiesen durch ihre Entdeckungen ein schnelles Glück, gelangten sie in kurzer Zeit zu großem Reichtum. Es war aber nur der Reichtum eines Verschwenders, der das große Los gewonnen hat, während der Reichtum der Engländer dem eines fleißigen und sparsamen Familienvaters gleicht. Jener mag eine Zeitlang durch seinen Aufwand und seinen Luxus beneidenswerter scheinen, als dieser, aber jenem ist der Reichtum nur ein Mittel zur Verschwendung und zum augenblicklichen Genuß, wähi-end dieser ihn hauptsächlich
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als ein Mittel betrachtet, die geistige und materielle Wolil- falirt seiner spätesten Nachkommenschaft zu begründen.
Die Spanier besaßen so frühzeitig feine Schafherden, daß schon Heinrich I. von England (1172) sich (106) be- wogen sah, die Einfuhr der spanischen Wolle zu verbieten, und daß schon im 10. und 11. Jahrhundert die italienischen Wollfabriken den größten Teil ihres Bedürfnisses an Wolle von dort beziehen konnten. Schon zweihundert Jahre zu- vor hatten die Anwohner des biscayischen Meerbusens sich in der Eisenfabrikation, in der Schiffahrt und in den Fischereien hervorgetan. Sie zuerst betrieben den Wal- fischfang, und noch im Jahre 1G19 waren sie darin den Eogländern so sehr überlegen, daß sie Fischer zu ihnen schicken mußten, um sie in diesem Zweig des Fischfangs unterrichten zu lassen.*)
Schon im zehnten Jahrhundert unter Abdulraham III. (912 bis 950) hatten die Mauren in den fruchtbaren Ebenen von Yalenzia große Baumwollen-, Zucker- und Reisplantageu und den Seidenbau betrieben. Cordova, Sevilla und Granada besaßen zur Zeit der Maiu-en bedeutende Baumwollen- und Seidenmanufakturen.**) Valenzia, Segovia, Toledo und viele andere Städte Kastiliens zeichneten sich durch Woll- manufakturen aus. Sevilla allein zählte in früheren Zeiten 16 000 Webstühle , und Segovias Wollmanufakturen be- schäftigten noch im Jahre 1552 13000 Arbeiter. In gleichem Verhältnis hatten sich alle übrigen Gewerbszweige, nament- lich die Waffen- und Papierfabrikation, ausgebildet. Noch zu Colberts Zeiten versorgten sich die Franzosen mit feinen spanischen Tüchern.***) Die Seehäfen Spaniens betrieben
*) Anderson, vol. 1 p. 127. — Vol. 2. p. 350. **) M. G. Simon, Recueil d'observations sur l'Angleterre. Memoires et considerations sur le commerce et les finances d'Espagne. Ustaritz, Tlieorie et pratique du commerce. ***) Chaptal, De l'industrie frai;gaise, Vol. II. p. 245.
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großen Handel und bedeutende (107) Seefischerei, und bis zu Philipps IL Zeiten besaß das Reich die mächtigste Marine. Mit einem Wort: Spanien war im Besitz aller Elemente der Größe und der Wohlfahrt, als der Fanatismus im Bunde mit der Despotie sich ans Werk machte, den hohen Geist der Nation zu ersticken. Eröffnet ward dieses Werk der Finsternis mit Vertreibung der Juden und be- schlossen mit Vertreibung der Mauren, wodurch zwei Millionen der gewerbfleißigsten und wohlhabendsten Ein- wohner mit ihren Kapitalien aus Spanien gejagt wurden. Während auf diese Weise die Inquisition beflissen war, die einheimische Industrie ins Exil zu treiben, verhinderte sie zugleich aufs wirksamste die Niederlassung fremder Manu- fakturisten im Lande. Die Entdeckung von Amerika und dem Weg um das Kap vermehrte nur scheinbar und nur vorübergehend den Reichtum beider Länder. Dadurch erst ward ihrer Nationalindustrie und ihrer Macht der Todes- streich versetzt. Denn anstatt, ^de später die Holländer und Engländer, die Produkte von Ost- und Westindien gegen ihre eigenen Manufakturprodukte einzutauschen, kauften sie diese Waren von fremden Nationen mit dem Gold und Silber, das sie in Kolonien erpreßt hatten,*) verwandelten sie ihre nützlichen und gewerbfleißigen Bürger in Sklaven- treiber und Unterdrücker der Kolonien, nährten sie die In- dustrie, den (108) Handel und die Seemacht der Holländer und Engländer, erzogen sie in ihnen Rivalen, die bald mächtig genug wurden, ihre Flotten zu zerstören und sie
*) Die Hauptausfuhr der Portugiesen aus Mittel- und Süd- amerilva bestand in edlen Metallen. Von 1748 bis 1753 wurden jährlich an 18 Millionen Piaster ausgeführt. Siehe Humboldt, Essai politique sur le royaume de la nouvelle Espagne, Vol. 2. p. 652. Der Warenhandel wurde sowohl mit diesen Gegenden als mit Westindien erst bedeutend durch die Einführung der Zucker-, Kaffee- und Baumwollenpflanzungeu.
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der Quellen ihres Reichtums zu berauben. "Vergebens er- ließen die Könige von Spanien Gesetze gegen die Ausfuhr des Geldes und die Einfuhr fremder Fabrikwaren; Unter- nehmungsgeist^ Gewerbfleiß und Handel schlagen nur in dem Boden der politischen und religiösen Freiheit Wurzel; Gold und Silber bleiben nur da, wo die Industrie sie anzu- ziehen und zu beschäftigen weiß.
Gleichwohl machte Portugal unter einem weisen und kräftigen Minister einen Versuch zur Aufbringung seiner Manufakturindustrie, dessen anfängliche Erfolge uns in Er- staunen setzen. Dieses Land war gleich Spanien seit un- vordenklichen Zeiten im Besitz feiner Schafherden. Schon Strabo berichtet, man habe dort aus Asien feine Schafe ein- geführt, wovon das Stück auf ein Talent zu stehen gekommen. Als nun in Portugal 1681 der Graf von Ereceira ans Mini- sterium gelangte, entwarf er den Plan, Tuchmanufakturen anzulegen und so den eigenen Rohstoff zu verarbeiten, um das Mutterland und die Kolonien mit eigenen Fabrikaten zu versehen. Man ließ zu diesem Ende Tuchmacher aus England kommen, und so schnell blühten infolge der ihnen gewährten Unterstützung die Tuchmanufakturen des Landes auf, daß man schon drei Jahre nachher (1864) die Einfuhr fremder Tücher verbieten konnte. Von dieser Zeit an ver- sorgte Portugal sich selbst und seine Kolonien mit eigenen Fabrikaten von einheimischem Rohstoff und stand sich dabei, nach dem eigenen Zeugnis der englischen Schriftsteller, 19 Jahre lang vortrefflich.*) Zwar legten die Engländer schon damals (109) Proben von jener Geschicklichkeit ab, die sie später zu so großer Vollkommenheit zu bringen wußten ; um die Handelsbeschränkungen Portugals zu umgehen, fabri- zierten sie w^oUene Stoffe, die in etwas von Tuch verschieden waren, aber den nämlichen Dienst leisteten, und importierten
•=) British Merchant, Vol. 111. p. 69.
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dieselben unter dem Namen Wollen serges, "Wollendrognets in Portugal. Diese List ward jedoch bald entdeckt und durch ein Verbot jener Stoffe unschädlich gemacht.*) Der Erfolg dieser Maßregeln ist um so merkwürdiger, als das Land, nicht gar zu lange vorher, durch Vertreibung der Juden eine große Masse von Kapitalien an das Ausland verloren hatte und überhaupt an allen Übeln des Fanatismus, einer schlechten Regierung und einer die Volksfreiheit und den Ackerbau unterdrückenden Feudalaristokratie litt.**)
Im Jahre 1703, nach dem Tode des Grafen Ereceira, gelang es aber dem berühmten englischen Mnister Methuen, die portugiesische Regierung zu überreden, daß Portugal unermeßlich dabei gewinnen würde, wenn England die Ein- fuhr portugiesischer Weine zu einem Zoll, der um ein Dritteil geringer wäre, als der Zoll für die Weine anderer Nationen, gestattete, Portugal dagegen die Einfuhr englischer Tücher zu dem Einfuhrzoll, wie er vor 1684 bestanden (23 Proz.), erlauben wollte. Es scheint, daß von selten des Königs die Hoffnung auf die Vermehrung seiner Zolleinkünfte, von Seiten der Aristokratie die Aussicht auf die Vermehrung ihrer Grundrenten, Hauptbeweggründe zu Abschließung jenes Handelsvertrags gewesen sind, infolgedessen der König von England den König von Portugal seinen ältesten (110) „Freund und Alliierten" nennt, ganz in demselben Sinne, wie ehemals der römische Senat diese Prädikate Souveränen beizulegen pflegte, die das Unglück hatten, mit ihm in näherer Berührung zu stehen.
unmittelbar nach Vollziehung dieses Handelsvertrags ward Portugal von englischen Manufakturwaren überschwemmt, und die erste Folge dieser Überschwemmung war: plötz- licher und vollständiger Ruin der portugiesischen Fabriken,
*) Ib. p. 71. **) British Merchant, Vol. III. p. 67.
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ein Erfolg, ganz dem des späteren sogenannten Edenvertrags mit Frankreich und dem der Aufhebung des Kontinental- systems in Deutschland ähnlich.
Nach dem Zeugnis Andersons waren die Engländer schon damals in der Kunst, ihre Ware weit unter dem Wert zu deklarieren, so sehr erfahren, daß sie effektiv nicht mehr als die Hälfte der durch den Tarif be- stimmten Zölle entrichteten.*)
„Nachdem das Verbot aufgehoben war," sagt der British Merchant, „schafften wir so viel von ihrem Silber fort, daß ihnen nur sehr wenig zu ihrem eigenen Gebrauch übrig blieb (very little for their necessary occasions). Darauf machten wir uns an ihr Gold."**) Dieses Geschäft setzten sie bis auf die neuesten Zeiten fort; sie exportierten alle edlen Metalle, welche die Portugiesen aus ihren Kolonien erhielten, und verführten einen großen Teil davon nach Ost- indien und China, wo sie dieselben, wie wir bei England gezeigt haben, gegen Ware vertauschten, die sie an den europäischen Kontinent gegen Rohstoffe absetzten. Diese jährlichen Importationen Englands nach Portugal überstiegen (111) die Ausfuhren um eine Million Pfund Sterling, Diese günstige Handelsbilanz drückte den Wechselkurs zum Nach- teil von Portugal um 15 Proz. „Wir gewinnen eine be- trächtlichere Handelsbilanz von Portugal als von jedem andern Lande," sagt der A^erfasser des British Merchant in seiner Zueignungsschrift an Sir Paul Methuen, Sohn des berühmten Ministers, „wir haben unsere Geldausfuhr von dort auf anderthalb Millionen Pfund Sterling gesteigert, während sie früher nur 300 000 Pfund betrug."***)
*) Anderson, vol. III. pag. 67. **) British Merchant, vol. III. pag. 267. ***) British Merchant, vol. III. pag. 15, 20, 33, ,38, 110, 253, 254.
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Von jeher ist dieser Vertrag von allen Kaufleuten und Staatswirten und von allen Staatsmännern Englands als das Meisterstück der englischen Handelspolitik gepriesen worden, Anderson, welcher in den die englische Handelspolitik be- tretfenden Angelegenheiten klar genug sieht und in seiner Art überall mit großer Aufrichtigkeit spricht, nennt ihn „einen höchst billigen und vorteilhaften Ver- trag" und kann sich dabei des naiven Ausrufs nicht ent- halten: „möchte er immer und ewig bestehen!"*)
Adam Smith allein war es vorbehalten, eine dieser all- gemeinen Ansicht ganz entgegengesetzte aufzustellen und zu behaupten : der Methuen vertrag sei dem englischen Handel keineswegs besonders förderlich gewesen. In der Tat, be- weist irgend etwas die blinde Verehrung, womit die öffent- liche Meinung die zum Teil sehr paradoxen Ansichten dieses berühmten Mannes hingenommen hat, so ist es der Um- stand, daß die eben erwähnte, bisher ohne "Widerlegung geblieben ist.
In dem 6. Kapitel seines 4. Buches sagt Smith: (112) der Methuenvertrag, indem er die Einfuhr der portugiesischen Weine zu einem um ein Dritteil geringeren Zoll als die Weine anderer Nationen gestattet, habe den Portugiesen ein Privilegium eingeräumt, während die Engländer verpflichtet gewesen seien, in Portugal ihre Tücher ebenso hoch zu verzollen, wie jede andere Nation, folglich kein Privilegium für das den Portugiesen verstattete erhalten hätten. Hatten aber nicht vorher die Portugiesen einen großen Teil der ihnen erforderlichen ausländischen Waren aus Frankreich, Holland, Deutschland und Belgien bezogen? Erlangten nicht die Engländer nunmehr ausschließlich den portu- giesischen Markt für ein Manufakturprodukt, wozu sie selbst den Rohstoff besaßen? Hatten sie nicht das Mittel erfunden,
*) Anderson, beim Jahrgang 1703.
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den portugiesischen Zoll auf die Hälfte zu reduzieren? Be- günstigte nicht der Wechselkurs die Konsumtion der portu- giesischen Weine in England um 15 Prozent? Hörte nicht der Verbrauch der französischen und deutschen Weine in England fast ganz auf? Gewährte nicht das portugiesische Grold und Silber den Engländern die Mittel, Massen von Waren aus Ostindien zu ziehen und damit den europäischen Kontinent zu überschwemmen? Wurden nicht die portu- giesischen Tuchfabriken zum Vorteil der englischen gänzlich ruiniert? Wurden dadurch nicht alle portugiesischen Kolo- nien, insbesondere das reiche Brasilien, effektiv englische Kolonien? Allerdings gewährte dieser Vertrag den Portu- giesen ein Privilegium, aber nur in den Worten! den Engländern dagegen gewährte er ein Privilegium in der Wirkung. Die gleiche Tendenz liegt allen spätem Handelsverträgen der Engländer zugrunde. In ihren Worten waren sie immer Kosmopoliten und Philanthropen, in ihrem Streben jederzeit Monopolisten.
(113) Nach dem zweiten Argument Adam Smiths ge- reichte dieser Vertrag den Engländern nicht zum besondern Vorteil, weil sie genötigt gewesen seien, das Geld, das sie von den Portugiesen für ihr Tuch erhalten hätten, zum großen Teil wieder nach andern Ländern zu schicken und dafür Waren einzuhandeln, während es viel vorteilhafter für sie gewesen wäre, wenn sie unmittelbar ihre Tücher gegen die ihnen erforderlichen Waren eingehandelt und auf diese Weise durch einen einzigen Tausch bezweckt hätten, was sie vermittels des portugiesischen Handels nur durch zwei Tausche bezwecken konnten. Wahrlich, ohne die große Meinung, die wir von dem Charakter und dem Scharfsinn dieses berühmten Gelehrten hegen, müßten wir bei Be- trachtung dieses Arguments entweder an seiner Aufrichtig- keit oder an seinen Einsichten verzweifeln. Zur Rettung beider bleibt uns nichts übrig, als die Schwäche der mensch-
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liehen Natur anzuklagen, der auch Adam Smith unter andern mit diesen paradoxen und fast ins Lächerliche gehenden Argumenten seinen reichlichen Tribut zollte — offenbar ver- blendet durch das an sich noble Bestreben, die absolute Freiheit des Handels zu rechtfertigen.
In dem angeführten Raisonnement ist nicht mehr ge- sunder Menschenverstand und Logik als in der Behauptung, daß ein Bäcker, indem er an seine Kunden Brot für Geld verkaufe und mit diesem Geld vom Müller Mehl erhandle, einen nicht vorteilhaften Handel treibe, weil, wenn er sein Brot unmittelbar gegen Mehl vertauschte, sein Zweck durch einen Tausch anstatt durch zwei erzielt werden könnte. Es erfordert eben keine große Sagazität, um einem solchen Argu- ment entgegenzuhalten, daß vielleicht der Müller nicht so viel Brot brauche, als der Bäcker ihm liefern könne, daß der Müller vielleicht (114) gar das Backen selbst verstehe und betreibe, und daß folglich das Geschäft des Bäckers ohne diese beiden Tausche gar nicht bestehen könnte. So standen in der Tat die Handelsverhältnisse von Portugal und England zur Zeit des Vertrags. Portugal erhielt Gold und Silber aus dem südlichen Amerika für Manufakturwaren, die es dorthin lieferte, aber zu träge oder zu töricht, diese Manufakturwaren selbst zu fabrizieren, kaufte es dieselben von den Engländern für edle Metalle. Diese verwendeten die edlen Metalle, insoweit sie sie nicht zu ihrem eigenen Verkehr brauchten, zur Ausfuhr nach Ostindien oder China und erhandelten dort Waren, die sie wieder nach dem euro- päischen Kontinent verkauften, von welchem sie landwirt- schaftliche Erzeuguisse, Rohstoffe oder wiederum edle Metalle einführten.
Wir fragen nun im Namen des gesunden Menschenver- standes : wer den Engländern alle jene Tücher, die sie nach Portugal lieferten, abgekauft haben würde, falls die Portu- giesen vorgezogen hätten, sie selbst zu fabrizieren oder sie
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in andern Ländern zu kaufen? Nach Portugal einmal hätten sie dieselben nicht abgesetzt, und andern Nationen verkauften sie schon so viel, als an sie abgesetzt werden konnte. Die Engländer hätten folglich um so viel weniger Tuch fabri- ziert, als sie nach Portugal verkauften; sie hätten um so viel weniger edle Metalle nach Ostindien ausgeführt, als sie von Portugal erhielten; sie hätten um so viel weniger ost- indische Waren nach Europa gebracht und nach dem euro- päischen Kontinent verkauft, folglich von dort um so viel weniger Rohstoffe eingeführt.
Ebenso unstichhaltig ist das dritte Argument Adam Smiths, daß die Engländer, im Fall ihnen nicht das (115). portugiesische Geld zugeflossen wäre, sich auf andern Wegen ihr Bedürfnis an dergleichen verschafft haben würden. Portugal hätte jedenfalls, meinte er, seinen Überfluß an edlen Metallen nach dem Auslande schicken müssen, und sie wären daher auf irgendeinem andern Wege den Eng- ländern zugeflossen. Wir setzen nun den Fall, die Portu- giesen hätten ihr Tuch selbst fabriziert, ihren Überfluß an edlen Metallen selbst nach China und Ostindien ausgeführt und die Retourfrachten in andern Ländern selbst verkauft, und erlauben uns die Frage: ob in dem gegebenen Falle die Engländer viel von dem portugiesischen Gelde würden zu sehen bekommen haben? Gleiches wäre der Fall gewesen, wenn Portugal mit Holland oder Frankreich einen Methueu- vertrag abgeschlossen hätte. In diesen beiden Fällen wäre freilich England einiges Geld zugeflossen, aber doch nur so viel, als es aus dem Verkauf seiner rohen Wolle etwa hätte erlösen können. Kurz, die Manufakturen, der Handel und die Schiffahrt der Engländer hätten ohne den Methuenvertrag nie jenen Aufschwung nehmen können, den sie genommen haben.
Wie man aber auch die Wirkungen des Methuenvertrags in Beziehung auf England beurteile, so viel erscheint als
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ausgemacht: in Beziehung auf Portugal sind sie keineswegs der Art gewesen, daß dadurch andere Nationen gereizt werden könnten, zugunsten der Ausfuhr ihrer Agrikultur- I^rodukte ihren inneren Manufakturwarenmarkt der englischen Konkurrenz preiszugeben. Ackerbau und Gewerbe, Handel und Schiffahrt, statt sich durch den Verkehr mit England zu heben, sanken in Portugal tiefer und tiefer. Vergebens strebte Pombal, sie zu heben, die englische Konkurrenz machte alle seine Bemühungen zunichte. Zwar läßt sich nicht verkennen, daß in einem Lande wie Portugal, wo der (116) ganze gesellschaftliche Zustand dem Aufkommen des Ackerbaues, der Industrie und des Handels im Wege steht, die Handelspolitik nur Unzureichendes zu leisten vermag. Indessen beweist auch das Wenige, was Pombal geleistet hat, wieviel zugunsten der Industrie durch eine für sie besorgte Regierung geleistet werden kann, wenn nur erst die in der gesellschaftlichen Ordnung liegenden inneren Hindernisse entfernt sind.
Grieiche Erfahrung machte man in Spanien unter der Regierung Philipps V. und seiner beiden nächsten Nach- folger. Wie unzulänglich auch der Schutz war, den man unter der Herrschaft der Bourbonen der inneren Industrie angedeihen ließ, und wie sehr es auch an Energie fehlte, in Douanengesetze in Vollzug zu bringen, unverkennbar war in allen Zweigen der Industrie und in allen Gegenden des Landes ein bedeutender Aufschwung*) infolge der aus Frankreich nach Spanien verpflanzten Colbertschen Handels-
*) Macpherson, Annais of Commerce, beim Jahre 1771 und 1774. Eine besonders vorteilhafte Wirkung für das Aufkommen der spanischen Fabriken hatte die Erschwerung der Einfuhr fremder Fabrikate. Früher hatte Spanien '^/»o seines Bedarfs an Fabrikwaren aus England bezogen. Brougham, Inquiry iuto the colonial policy of the European powers. T. I. S. 421.
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Politik. Wenn man üstaritz imd Ulloa liest,*) so muß man über diese Erfolge bei den herrschenden Verhältnissen er- staunen. Überall nur die elendesten, bloß für Saumrosse gangbaren Wege, nirgends ordentliche Gasthöfe, nirgends Brücken, weder Kanäle noch Stromschiffahrt, jede (117) Provinz durch Douanenlinien von dem übrigen Spanien ab- geschlossen, vor jedem Stadttor ein königlicher Zoll, Straßen- raub und Bettelei als Gewerbe betrieben, der Schmuggel- handel in der höchsten Blüte, das drückendste Abgabensystem : dies und ähnliches geben jene Schriftsteller als Ursachen des Verfalls der Industrie und des Ackerbaues an. Die Ursachen dieser Übelstände, den Fanatismus, die Habgier und die Laster der Klerisei, die Privilegien des Adels, die Des- potie der Regierung, den Mangel an Aufklärung und Freiheit beim Volk wagen sie nicht zu denunzieren.
Ein würdiges Seitenstück zu dem portugiesischen Methuen- vertrag ist der spanische Assientovertrag (1713), durch welchen den Engländern die Befugnis eingeräumt ward, in das spanische Amerika jährlich eine gewisse Anzahl afrikanischer Neger einzuführen und den Hafen von Portobello alljährlich mit einem Schiff zu besuchen, wodurch sie Gelegenheit er- hielten, Massen von Fabrikaten in diese Länder einzu- schmuggeln.
So bemerken wir bei allen Handelsverträgen der Eng- länder die Tendenz, ihre Manufakturindustrie ilber diejenigen Länder auszudehnen, mit welchen sie unterhandeln, indem sie denselben in Ausdehnung ihrer Agrikulturprodukte und Rohstoffe scheinbare Vorteile bieten. Überall ist ihr Ab- sehen darauf gerichtet, die innere Manufakturkraft dieser Länder durch wo lilf euere Waren und durch Kreditgebang zu ruinieren. Können sie keine niedrigen Zolltarife erzielen,
*) üstaritz, Theorie du commerce. Ulloa, Retablissement des manufactures d'Espagne.
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so ist ihr Absehen darauf gerichtet, die Zölle zu defraudieren oder den Konterbandehandel auf großartige Weise zu organi- sieren. Jenes ist ihnen, wie wir gesehen haben, in Portugal, dieses in Spanien gelungen. Die Erhebung der Einfuhrzölle nach (118) dem Wert der Ware ist ihnen dazu besonders behilflich gewesen, weshalb sie auch in der neuesten Zeit so sehr bemüht sind, das System der Gewichtzölle, wie es von Preußen eingeführt worden ist, als unzweckmäßig dar- zustellen.
(119) Sechstes KaiDitel. Die Franzosen.
Auch Frankreich erbte manche Überreste der römischen Kultur. Bei dem Eindringen der Germanen, die nur die Jagd liebten und viele längst kultivierte Felder wieder in Wälder und wilde Weide verwandelten, ging das meiste wiederum verloren. Den Klöstern dagegen, die in der Folge ein so großes Hindernis der Kultur geworden sind, verdankt Frankreich, wie alle übrigen europäischen Länder, einen großen Teil seiner Fortschritte im Ackerbau während des Mittelalters. Die Bewohner derselben führten keine Fehden wie der Adel, sie plagten ihre Hintersassen nicht mit Kriegs- diensten, und ihre Felder wie ihr Viehstand waren weniger dem Raub und der Zerstörung bloßgestellt. Die Geistlichen liebten das Wohlleben, haßten die Fehden und suchten durch Unterstützung der Notleidenden sich in Ansehen zu setzen. Daher das Sprichwort: „Unter dem Krummstab ist gut wohnen."
Die Kreuzzüge, die Stiftung der städtischen Kommunen und der Zünfte durch Ludwig den Heiligen, und die Nähe
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von Italien und Flandern wirkten frühzeitig auf die Ent- wicklung der Gewerbe in Frankreich. Schon (120) im vier- zehnten Jahrhundert lieferten die Normandie und die Bretagne wollene und leinene Stoffe zum inneren Verbrauch und zur Ausfuhr nach England. Zu eben dieser Zeit war schon die Ausfuhr an Weinen und Salz, vorzüglich durch hansische Zwischenhändler, bedeutend. Durch Franz I. kamen die Seiden manufakturen nach dem südlichen Frankreich. Hein- rich IV. begünstigte diese Industrie und die Glas-, Lein- wand- und Wollfabrikation ; Richelieu und Mazarin die Seiden- fabriken, die Sammet- und die Wollfabrikation von Ronen und Sedan, sowie die Fischereien und die Schiffahrt.
Auf kein Land wirkte die Entdeckung von Amerika so günstig wie auf Frankreich. Aus dem westlichen Frankreich ging viel Getreide nach Spanien. Viele Landleute zogen alljährlich aus den Pyrenäengegenden nach dem nordöstlichen Spanien auf Arbeit. Große Quantitäten an Weinen und Salz wurden nach den spanischen Niederlanden ausgeführt, und die Seiden-, die Sammet-, sowie überhaupt die Luxusfabrikate von Frankreich fanden bedeutenden Absatz nach den Nieder- landen, nach England, Spanien und Portugal. Dadurch kam in Frankreich frühzeitig viel spanisches Gold und Silber in Zirkulation.
Doch begann die Glanzperiode der französischen Industrie erst mit Colbert.
Bei Mazarins Tode war weder die Fabrikation, noch der Handel und die Schiffahrt, noch die Fischerei bedeutend, und das Finanzwesen im schlechtesten Zustand. Colbert hatte den Mut, für sich allein ein Werk zu unternehmen, das England nur nach drei Jahrhunderte langem Bestreben und nach zwei Revolutionen gelungen war. Aus allen Ländern verschrieb er die geschicktesten Fabrikanten und Arbeiter, kaufte er Gewerbsgeheimnisse, (121) schaffte er bessere Maschinen und Werkzeuge herbei. Durch ein aU-
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gemeines wirksames Douanensystem sicherte er der inneren Industrie den inneren Markt, durch Aufhebung oder mög- lichste Beschränkung der Provinzialdüuanen, durch Anlegung von Straßen und Kanälen beförderte er den inneren Verkehr. Diese Maßregeln gereichten dem Ackerbau mehr noch als den Fabriken zum Vorteil, indem er die Zahl seiner Kon- sumenten verdoppelte und verdreifachte und die Produzenten mit den Konsumenten in wohlfeile und leichte Verbindung setzte. Außerdem begünstigte er den Ackerbau durch Ver- minderung der direkten Auflagen auf Grund und Boden, durch Milderung der strengen Maßregeln, womit früher die Abgaben beigetrieben worden waren, durch gleichförmige Verteilung der Abgaben, und endlich durch Maßregeln zum Behuf der Reduktion des Zinsfußes. Die Korn ausfuhr ver- bot er nur zur Zeit des Mangels und der Teurung. Die Erweiterung des auswärtigen Handels und die Beförderung der Fischereien ließ er sich besonders angelegen sein ; er richtete den Handel mit der Levante wieder auf, erweiterte den mit den Kolonien und eröffnete den mit dem Norden. In allen Zweigen der Administration führte er die strengste Sparsamkeit und Ordnung ein. Bei seinem Tode zählte Frankreich in der Wollfabrikation 50 000 Webstühle, pro- duzierte es für 50 Millionen Franken Seidenfabrikate, waren die Staatseinkünfte um 28 Millionen Franken gestiegen, besaß das Reich blühende Fischereien, eine ausgedehnte Schiffahrt und eine mächtige Marine.*)
(122) Ein Jahrhundert später haben die Ökonomisten Colbert scharf getadelt und behauptet, dieser Staatsmann habe die Fabrikation auf Kosten des Ackerbaues empor- bringen wollen, ein Vorwurf, der weiter nichts beweist, als
*) Eloge de Jean Baptiste Colbert par Necker 1773, Oeuvres coruplfetes. Vol. 15.
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daß sie selbst die Natur der Gewerbsindustrie nicht zu •würdigen verstanden.*)
War es auch fehlerhaft, daß Colbert der Ausfuhr der rohen Produkte periodische Hemmnisse in den Weg legte, so vermehrte er durch Emporbringen der inneren Industrie die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten dergestalt, daß er der Landwirtschaft zehnfach ersetzte, was er ihr durch jene Hemmungen schadete. Wenn er im Widerspruch mit einer aufgeklärten Staatspraxis neue Yerfahrungsweisen vorschrieb und die Fabrikanten durch Zwangsgesetze nötigte, dieselben zu befolgen, so ist zu erinnern, daß diese Yer- fahrungsweisen jedenfalls die besten und vorteilhaftesten seiner Zeit gewesen sind, und daß er es mit einem Volke zu tun hatte, welches, durch langen Despotismus in (123) Apathie versunken, allem Neuen, auch wenn es das Bessere war, widerstrebte. Der Vorwurf aber, Frankreich habe durch das Colbertsche Schutzsystem einen großen Teil seiner ein- heimischen Industrie verloren, konnte Colbert nur von einer Schule gemacht werden, welche die Widerrufung des Edikts von Nantes und ihre verderblichen Folgen gänzlich ignorierte.
*) Man sehe in der Schrift Quesnays: Physiocratie ou du gouvernement le pUis avantageux au genre humain, 1768, Note 5 sur le maxime VIII, wo Colbert von Quesnay auf zwei Seiten widerlegt und gerichtet wird, während Necker hundert Seiten brauchte, um sein System und seine Leistungen ins Licht zu stellen. Man weiß nicht, soll man mehr über die Unwissenheit Quesnays in Sachen der Industrie, der Geschichte und der Finanzen, oder über die Anmaßung erstaunen, womit er, ohne Gründe anzuführen, über einen Mann wie Colbert den Stab bricht. Dabei war dieser so unwissende Träumer nicht einmal aufrichtig genug, der Vertreibung der Hugenotten zu erwähnen, ja er scheute sich nicht, gegen alle Wahrheit zu behaupten, Colbert habe den Getreidehandel zwischen Provinz und Provinz durch eine lästige Polizei gehemmt.
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Infolge dieser traurigen Maßregel 'wurde nach Colberts Tode im Laufe von drei Jahren eine halbe Million der fleißigsten, geschicktesten und wohlhabendsten Bewohner Frankreichs vertrieben, die nun, zum doppelten Nachteil für das Land, das sie bereichert hatten, ihre Industrie und ihre Kapitale nach der Schweiz, nach allen protestantischen Ländern Deutschlands, besonders nach Preußen, sodann nach Holland und nach England verpflanzten. So ruinierten die Intriguen einer bigotten Maitresse in drei Jahren das geniale Werk eines Menschenalters und stürzten Frankreich in seine alte Apathie zurück, während England unter dem Schutz seiner Verfassung und gestärkt durch eine alle Energie der Nation aufregende Revolution, mit fortwachsendem Eifer an dem Werke Elisabeths und ihrer Vorgänger ohne Unterlaß fort- baute.
Der traurige Zustand, in welchen die Industrie und die Finanzen Frankreichs gestürzt worden waren, und der An- blick des hohen Wolilstandes von England erregten kurz vor der französischen Revolution die Nacheiferung der fran- zösischen Staatsmänner. Eingenommen von der hohlen Theorie der Ökonomisten, suchten sie, im Widerspruch mit Colbert, das Heilmittel in Herstellung des freien Verkehrs. Man glaubte den Wohlstand des Reichs mit einem Streich zu restaurieren, wenn man den (124) französischen Weinen und Branntweinen in England einen größeren Markt verschaffte und dagegen den englischen Fabrikaten unter billigen Be- dingungen Eingang verstattete (12 Proz.). England, entzückt über diesen Antrag, gewährte gerne den Franzosen eine zweite Auflage des Methuen treatj^ durch den sogenannten Edenvertrag (1786); eine Kopie, die bald nicht minder ver- derbliche Wirkungen erprobte, als das portugiesische Original.
Die Engländer, an die starken Weine der Halbinsel ge- wöhnt, vermehrten ihre Konsumtion nicht so außerordentlich, wie man erwartet hatte. Dagegen sah man in Frankreich
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mit Schrecken, daß man den Engländern nur Mode- und Luxusartikel zu bieten hatte, deren Totalbetrag unbedeutend war, während die englischen Fabrikanten in allen Gegen- ständen der ersten Notwendigkeit, deren Totalbetrag sich ins unermeßliche belief, die französischen Fabrikanten in der Wohlfeilheit der Preise sowohl als in der Qualität der Waren und in der Gewährung des Kredits weit überbieten konnten. Als nach kurzer Konkurrenz die französischen Fabriken an den Rand des Verderbens gebracht worden waren, während der französische Weinbau nur wenig ge- wonnen hatte, suchte die französische Regierung durch Auf- hebung des Vertrags den Fortschritten des Ruins Einhalt zu tun, gewann aber nur die Überzeugung, daß es viel leichter sei, blühende Fabriken in wenigen Jahren zu ruinieren, als ruinierte Fabriken in einem Menschenalter wieder empor- zubringen. Die englische Konkurrenz hatte in Frankreich einen Geschmack an englischen Waren erzeugt, der noch lange Zeit einen ausgedehnten, schwer zu unterdrückenden Schmuggelhandel zur Folge hatte. Nicht so schwer (125) konnte es den Engländern fallen, nach Aufhebung des Ver- trags ihren Gaumen wieder an die Weine der Halbinsel zu gewöhnen.
Ungeachtet die Bewegungen der Revolution und die unaufhörlichen Kriege Napoleons der Prosperität der fran- zösischen Industrie wenig förderlich sein konnten ; ungeachtet die Franzosen während dieses Zeitraums den größten Teil ihres Seehandels und alle ihre Kolonien einbüßten, gelangten doch die französischen Fabriken während des Kaiserreichs, einzig durch den ausschließlichen Besitz des inneren Markts und die Aufhebung der Feudalbeschränkungen, zu einem höheren Flor als je zur Zeit des ancien regime. Dieselbe Beobachtung machte man auch in Deutschland und in allen Gegenden, auf welche das Kontinentalsystem sich erstreckte.
Napoleon hatte in seinem Lapidarstil gesagt: „ein
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Reich, das unter den bestehenden Weltverhältnissen das Prinzip des freien Handels befolge, müsse zu Staub zer- rieben werden". Damit hatte er in Beziehung auf die Handelspolitik Frankreichs mehr politische Weisheit aus- gesprochen, als alle gleichzeitigen Schriftsteller der politischen Ökonomie in allen ihren Werken. Man erstaunt, mit welchem Scharfsinn dieser große Geist, ohne die Systeme der poli- tischen Ökonomie studiert zu haben, die Natur der Wichtig- keit der Manufakturkraft zu würdigen verstand. Wohl ihm und Frankreich, daß er sie nicht studierte! „Yormals," sagte Napoleon, „gab es nur eine Art von Eigentum, das Grundeigentum; ein neues ist nun hinzugekommen, die Industrie." Napoleon sah und sprach auf diese Weise deut- lich aus, Avas die gleichzeitigen (126) Ökonomisten nicht sahen, oder doch nicht klar aussprachen, daß nämlich eine Nation, welche die Manufakturkraft mit der Agrikulturkraft in ihrem Innern vereinigt, eine unendlich vollkommenere und reichere ist als die bloße Agrikulturnation. Was Napoleon getan hat, um die industrielle Erziehung Frankreichs zu be- gründen und zu befördern, um den Kredit des Landes zu heben, neue Erfindungen und verbesserte Verfahrungsweisen einzuführen und in Gang zu bringen und die Transport- anstalten Frankreichs zu vervollkommnen, ist noch zu gut im Andenken, als daß es der Erinnerung bedürfte. Nötiger möchte sein, daran zu erinnern, auf welche schiefe und un- richtige Weise dieser erleuchtete und kräftige Regent von den gleichzeitigen Theoretikern beurteilt worden ist.
Mit dem Fall Napoleons faßte auch die bisher auf den Schmuggelhandel beschränkt gewesene Konkurrenz von Eng- land wieder Fuß auf dem europäischen und amerikanischen Kontinent. Zum erstenmal hörte man jetzt die Engländer das Schutzsystem verdammen und die Adam Smithsche Theorie des freien Handels preisen, eine Theorie, die bisher von jenen praktischen Insulanern als nur für ein Utopien
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brauchbar betrachtet worden war. Doch konnte der ruhig prüfende Beobachter leicht sehen , daß philanthropisch- enthusiastische Gesinnungen dieser Bekehrung ferne ständen ; denn nur wo von Erleichterung der Ausfuhr englischer Fabrikate nach dem europäischen oder amerikanischen Kon- tinent die Rede war, wurden kosmopolitische Argumente vernommen; wo es sich aber um freie Getreideeinfuhr oder gar um die Konkurrenz fremder Fabrikate auf dem eng- lischen Markt handelte, wurde eine (127) bedeutende Modifikation in Anspruch genommen.*) Leider, hieß es,
*) Ein geistreicher amerikanischer Redner, Herr Baldwin, jetzt Oberrichter der Vereinigten Staaten, sagte mit treffendem Witz von dem Canning-Huskisson'schen freien Handelssystem: „es sei wie die meisten englischen Manufakturwaren nicht sowohl für den inneren Gebrauch , als für die Exportation fabriziert worden."
Man weiß nicht, soll man lachen oder weinen, wenn man sich erinnert, mit welchem Enthusiasmus die Liberalen in Frank- reich und Deutschland , besonders aber die kosmopolitischen Theoretiker, und namentlich J. B. Say, die Ankündigung des Canning-Huskisson'schen Systems aufnahmen. Es war ein Jubel, als wäre das tausendjährige Reich angebrochen. Hören wir, was der Biograph des Herrn Canning von den Gesinnungen dieses Ministers in Beziehung auf den freien Handel sagt :
„Mr. Canning was perfectly convinced of the truth of the abstract principle that commerce is sure to flourish most, when wholly unfettered; but since such had not been the opinion either of our ancestors or of surrounding nations, and since in consequence restraints had been imposed upon all commercial transactions , a state of things had grown up, to which the iinguarded application of the abstract principle, however true it was in theory, might have been soraewhat misehievous in prac- tice". The political life of Mr. Canning by Stapleton, p. 3.
Im Jahre 1828 hatte sich diese englische Praxis wiederum so klar ans Licht gestellt, daß der liberale Herr Hume im
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habe lange Befolgung einer widernatürlichen Politik England in einen künstlichen Zustand versetzt, der, ohne gefährliche und schädliche Folgen zu veranlassen, nicht plötzlich zu ändern sei; solches müßte mit der größten Umsicht und Vorsicht geschehen; England sei deshalb zu bedauern; um so erfreulicher sei es für (128) die Nationen des europäischen und amerikanischen Kontinents, daß ihre Umstände und Verhältnisse ihnen erlaubten, sich ohne Verzug der Seg- nungen des freien Handels teilhaftig zu machen.
In Frankreich, obgleich dessen alter Herrscherstamm unter dem Panier Englands oder doch mit englischem Gelde auf den Thron zurückgeführt worden war, fanden diese Argumente nur kurze Zeit Eingang. Der freie Handel Eng- lands verursachte so furchtbare Konvulsionen in dem während des Kontinentalsystems erstarkten Fabrikwesen, daß man schnell zum Prohibitivsystem seine Zuflucht nehmen mußte, unter dessen Ägide es von 1815 bis 1827, nach dem Zeug- nis Dupins, seine Manufakturkraft verdoppelte.*)
(129) Siebentes Kapitel. Die Deutschen.
Wir haben bei den Hansen gesehen, wie Deutschland nächst Italien lange vor den übrigen europäischen Reichen durch großen Handel blühte; wir haben nun die Industrie- geschichte dieser Nation fortzusetzen, zuvor aber noch einen Blick auf die früheren Industriezustände derselben und ihre Entwicklung zu werfen.
Parlament unbedenklich von Strangulierung; der Fabriken auf dem Kontinent sprach !
*) Forces productives de la France,
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Im alten Germanien wurde der größte Teil des Bodens als Viehweide und Yiehgehege benützt. Der unbedeutende und rohe Ackerbau wurde von Unfreien und Weibern be- trieben. Die Freien beschäftigten sich einzig mit Krieg und Jagd. Dies ist der Ursprung alles germanischen Adels.
Der deutsche Adel hielt daran durch das ganze Mittel- alter fest, die Landwirtschaft niederdrückend und die In- dustrie befeindend, blind gegen die Yorteile, die ihm als Grundbesitzer aus der Blüte beider erwachsen mußten.
Ja, so tief wurzelte noch immer in ihm die YorHebe zu seiner ursprünglichen Lieblingsbeschäftigung, daß er heute noch, längst bereichert durch die Pflugschar und das Webe- schiff, von Wildgehege und Jagdrecht in den (130) gesetz- gebenden Versammlungen träumt, als könnten Wolf und Schaf, Bär und Biene in Frieden nebeneinander leben, als wären Grund und Boden zugleich zu Gartenbau, zu Baum- zucht und veredeltem Feldbau, und zu Hegung von Wild- schweinen, Hirschen und Hasen zu benutzen.
Die Ackerwirtschaft der Deutschen blieb lange eine barbarische, wenn auch der Einfluß der Städte und Klöster auf ihre nächste Umgebung nicht zu verkennen war.
Städte entstanden in den alten römischen Kolonien, an den Sitzen der geistlichen und weltlichen Fürsten und Herren, neben Klöstern, und begünstigt durch die Kaiser, zum Teil auf ihren Domänen und Pfalzen, oder da, wo der Fischfang und der Land- und Wassertransport sie hervor- rief. Sie blühten zumeist nur durch die Lokalbedürfnisse und durch den fremden Zwischenhandel. Eine großartige, zur Ausfuhr bestimmte, innere Industrie hätte nur entstehen können infolge großer Schäfereien und ausgedehnten Flachs- baues. Der Flachsbau setzt aber schon einen hohen Stand der Agrikultur und die Schafzucht im großen Sicherheit vor Wölfen und Räubern voraus. Unmöglich konnte letztere bei den ewigen Fehden der Edelleute und Fürsten unter sich
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und mit den Städten aufkommen. Immer war das Weide- vieh der erste Gegenstand des Raubes. Auch war bei den ausgedehnten, vom Adel aus Vorliebe zur Jagd mit Sorgfalt gehegten Forsten an gänzliche Vertilgung der reißenden Tiere nicht zu denken. Der geringe Viehstand, die Rechts- unsicherheit und der Mangel an allem Kapital und an Frei- heit bei denjenigen, in deren Händen sich der Pflug, und an Interesse für den Ackerbau bei denjenigen, in deren Händen sich Grund und Boden (131) befand, mußte den Ackerbau und damit den Flor der Städte sehr niederhalten.
Man begreift, wenn man diese Verhältnisse in Erwägung zieht, warum Flandern und Brabant unter ganz veränderten Umständen schon so frühzeitig zu einem hohen Grad von Freiheit und "Wohlstand gelangen mußten.
Trotz dieser Hindernisse blühten die deutschen Städte an der Ost- und Nordsee unter dem Einfluß der Fischerei, der Schiff'ahrt und des Zwischenhandels zur See; in Ober- deutschland und am Fuß der Alpen unter dem Einfluß Italiens und Griechenlands und des Zwischenhandels zu Lande ; am Rhein, an der Elbe und Donau durch den Wein- handel, durch die besondere Fruchtbarkeit des Bodens und den Wassertransport, welcher im Mittelalter wegen der schlechten Landstraßen und der allgemeinen Unsicherheit von noch größerer Wichtigkeit war, als selbst in unsern Tagen.
Auf diese Verschiedenheit ihres Ursprungs gründet sich die Verschiedenheit der deutschen Städtebündnisse, des hansischen, rheinischen, schwäbischen, holländischen und helvetischen.
Eine Zeitlang stark durch den Geist jugendlicher Frei- heit, der sie belebte, fehlte diesen Bündnissen die innere Garantie der Dauer — das Prinzip der Einheit — der Zement. Voneinander getrennt, durch die Besitzungen des Adels, durch die leibeigene Bevölkerung des Landes, mußte ihre Union früher oder später durch die allmähliche Ver-
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mehrung und Bereicherung der Jandwirtschaftliclien Bevölke- rung zerfallen, bei welcher durch die fürstliche Gewalt das Prinzip der Einheit bestand. Die Städte, indem sie natur- gemäß auf das Emporkommen des Landbaues wirkten, mußten an ihrer eigenen (132) Vernichtung arbeiten, wofern es ihnen nicht gelang, die landwirtschaftliche Bevölkerung oder den Adel in ihren Bund aufzunehmen. Dazu aber fehlte es ihnen an höheren politischen Ansichten und Kennt- nissen ; ihr politischer Blick reichte selten über ihre Mauern hinaus.
Nur zwei dieser Bündnisse haben diese Vereinigung realisiert, obwohl nicht aus Reflexion, sondern durch die Umstände gedrängt und begünstigt — der Schweizerbund und die sieben vereinigten Provinzen ; darum bestehen auch ihre Bündnisse heute noch. Der Schweizerbund ist nichts anderes als ein Konglomerat von deutschen Reichsstädten, gestiftet und zementiert durch die freie Bevölkerung der dazwischen liegenden Länder.
Die übrigen deutschen Städtebünde ruinierte ihre Nicht- achtung des Landvolks, ihr unsinniger städtischer Hochmut, der sich darin gefiel, das Landvolk in Untertänigkeit zu er- halten, statt es zu sich zu erheben.
Zur Einheit hätten die Städte nur gelangen können durch eine erhebliche königliche Gewalt. Diese aber befand sich in Deutschland in den Händen der Fürsten, die, um in ihrer Willkür nicht beschränkt zu werden und die Städte und den geringern Adel untertänig zu machen, dabei inter- essiert waren, kein Erbreich aufkommen zu lassen.
Daher die Festhaltung der Idee des römischen Kaiser- tums bei den deutschen Königen. Nur an der Spitze von Heeren waren sie Herrscher; nur wenn es auswärts in den Krieg ging, vermochten sie Fürsten und Städte unter ihrem Panier zu vereinigen. Daher ihre Begünstigung der städti-
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sehen Freiheit in Deutschland und deren Befeindung und Unterdrückung in Italien.
Die Römerzüge aber schwächten nicht nur mehr und mehr die königliche Gewalt in Deutschland, sie rieben (133) auch diejenigen Dynastien auf, durch welche im Innern des Reichs, im Kern der Nation, eine konsolidierte Macht hätte entstehen können. Mit dem Erlöschen des Hohenstaufen- schen Hauses zerfiel dieser Kern in tausend Stücke.
Das Gefühl der Unmöglichkeit, den Kern der Kation zu konsolidieren, führte hierauf das in seinem Ursprung so schwache und besitzlose Haus Habsburg dahin, die Kraft der Nation zu benützen, um an der südöstlichen Grenze des Reichs durch Unterwerfung fremder Stämme ein kon- solidiertes Erbreich zu gründen, eine Politik, die im Nord- osten durch die Markgrafen von Brandenburg nachgeahmt ward. So entstanden in Südost und Nordost auf die Herr- schaft über fremde Stämme basierte Erbmonarchien, während in den beiden westlichen Ecken zwei Republiken sich bildeten, die sich immer mehr von der Nation trennten, und im Innern, im Kern der Nation, die Zerstückelung, die Un- macht, die Auflösung immer größer ward.
Vollendet ward das Unglück der deutschen Nation durch die Erfindung des Pulvers und der Buchdruckerkunst, durch das Aufkommen des römischen Rechts und die Reformation, endlich durch die Entdeckung von Amerika und des neuen Weges nach Ostindien.
Die hierdurch verursachte geistige, gesellschaftliche und ökonomische Revolution erzeugte Spaltung und Zer- würfnis im Reichskörper, Spaltung unter den Fürsten, Spaltung unter den Städten, ja Spaltung unter den Bürger- schaften der einzelnen Städte und unter den Nachbarn jedes Standes. Die Energie der Nation wurde jetzt abge- leitet von der Industrie, vom Ackerbau, von Handel und Schiffahrt, von der Erwerbung von Kolonien und von Ter-
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besserung der innern Institutionen, (134) überhaupt von allen soliden Verbesserungen; man stritt sich um die Dogmen und um die Erbschaft der Kirche.
Zu gleicher Zeit verfiel die Hansa und Venedig, und damit der deutsche Großhandel und die Kraft und Freiheit der deutschen Städte im Norden wie im Süden.
Dann folgte der Dreißigjährige Krieg mit seinen Ver- heerungen aller Länder und Städte. Holland und die Schweiz trennten sich, und die schönsten Teile des Reichs wurden von Frankreich erobert. Während früher einzelne Städte, wie Straßburg, Nürnberg, Augsburg, ganze Kur- fürstentümer an Macht übertroffen hatten, versanken sie nunmehr infolge des Aufkommens der stehenden Armeen in gänzliche Unmacht.
Hätten vor dieser Revolution die Städte und die könig- liche Gewalt sich mehr konsolidiert, hätte ein der deutschen Nation ausschließlich angehöriger König sich der Refor- mation bemächtigt und sie zum Vorteil der Einheit, Macht und Freiheit der Nation durchgeführt, wie ganz anders hätten sich Ackerbau, Industrie und Handel der Deutschen entfaltet ? Wie armselig und unpraktisch erscheint bei solchen Betrachtungen eine Theorie der politischen Ökonomie, die den Wolüstand der Nationen nur aus den Produktionen der Individuen herleitet und nicht berücksichtigt, wie die produktive Kraft aller Individuen zum großen Teil durch die sozialen und politischen Zustände der Nationen be- dingt ist.
Die Einführung des römischen Rechts wirkte auf keine Nation so schwächend, wie auf die deutsche. Die unsäg- lichen Konfusionen, die sie in den privatrechtiichen Ver- hältnissen verursachte, waren nicht die schlimmsten ihrer schlimmen Wirkungen. Noch unheilbringender war, daß sie eine von dem Volk durch Geist und Sprache verschiedene Gelehrten- und Rechtskaste schuf, die das Volk (135) als
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Rechtsunkundige, als Unmündige behandelte, die dem ge- sunden Menschenverstand alle Geltung absprach, welche überall Heimlichkeit an die Stelle der Öifentlichkeit setzte, die in der strengsten Abhängigkeit von der Gewalt lebend, überall ihr das Wort führte und ihre Interessen vertrat, überall die \7urzeln der Freiheit benagte. So sehen wir noch zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in Deutsch- land: Barbarei in der Literatur und Sprache, Barbarei in der Gesetzgebung, Administration und Rechtsverwaltung; Barbarei in der Agrikultur; Verfall der Industrie und alles großartigen Handels; Mangel an Einheit und Kraft des National Verbandes ; Unmacht und Schwäche überall dem Auslande gegenüber.
Nur eins hatten die Deutschen gerettet: ihren ursprüng- lichen Charakter, ihre Liebe zu Fleiß, Ordnung, Wirtschaftlich- keit und Mäßigkeit; ihre Beharrlichkeit und Ausdauer in der Forschung und in den Geschäften; ihr aufrichtiges Streben nach dem Bessern; einen großen Naturfonds von Moralität, von Mäßigung und Überlegsamkeit.
Diesen Charakter hatten die Regierungen mit den Re- gierten gemein. Nach dem fast gänzlichen Verfall der Nationalität und nach eingetretener Ruhe fing man an, in den einzelnen abgesonderten Kreisen zu ordnen, zu ver- bessern, fortzuschreiten. Nirgends ward die Erziehung, die Sittlichkeit, die Religiosität, die Kunst und Wissenschaft mit so vielem Eifer gepflegt, nirgends die absolute Gewalt mit größerer Mäßigung und mit mehr Vorteil für die all- gemeine Aufklärung, die Ordnung, die Moralität, die Ab- hilfe von Übelständen und für die Beförderung der gemeinen Wohlfahrt geübt.
(136) Der erste Grund zur Wiedergeburt der deutschen Nationalität ward offenbar von den Regierungen selbst ge- legt, durch die gewissenhafte Verwendung des Ertrags der säkularisierten Güter zum Vorteil der Erziehung und des
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Unterrichts, der Künste und "Wissenschaften, der Moralität und gemeinnützigen Zwecke überhaupt. Durch diese An- stalten kam Licht in die Administration und in die Rechts- verwaltung, Licht in die Erziehung und Literatur, Licht in den Ackerbau, in die Gewerbe und in den Handel, Licht überhaupt in die Massen. So hat sich Deutschland ganz verschiedenartig von allen übrigen Nationen ausgebildet. Anstatt daß anderswo die höhere Geistesbildung mehr aus der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte erwuchs, ist in Deutschland die Entwicklung der materiellen Produktiv- kräfte hauptsächlich aus der ihr vorangegangenen Geistes- bildung erwachsen. So ist die ganze jetzige Bildung der Deutschen gleichsam eine theoretische. Daher denn auch das viele Unpraktische und Linkische, was in unsern Tagen fremden Nationen an den Deutschen auffällt. Sie befinden sich zurzeit in dem Fall eines Individuums, das, früher des Gebrauchs seiner Gliedmaßen beraubt, das Stehen und Gehen, das Essen und Trinken, das Lachen und Weinen theoretisch erlernte und dann erst zu praktischen Übungen schritt. Daher die Vorliebe der Deutschen für philosophische Systeme und kosmopolitische Träume. Der Geist, der in den Angelegenheiten dieser Welt sich nicht bewegen konnte, suchte sich im Reich der Spekulation zu ergehen. Nirgends hat daher auch die Lehre Adam Smiths und seiner Jünger größeren Anhang gefunden, als in Deutschland; nirgends hat man mehr an den kosmopolitischen Edelmut der Herreu Canning und Huskisson geglaubt.
(137) Die ersten Manufakturfortschritte verdankt Deutsch- land der Widerrufung des Edikts von Nantes und den zahlreichen Refugies, die durch diese unsinnige Maßregel nach fast allen deutschen Ländern geführt wurden und überall Wolle-, Seiden-, Bijouterie-, Hut-, Glas-, Porzellan-, Handschuhmanufaktureu und Gewerbe aller Art in Gang brachten.
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Die ersten Regierungsmaßregeln zur Beförderung der Manufakturen in Deutschland wurden von Österreich und Preußen getroffen; in Österreich unter Karl VI. und Maria Theresia, mehr aber noch unter Joseph II. Österreich hatte früher ungemein viel durch die Yertreibung der Protestanten, seiner gewerbfleißigsten Bürger, gelitten; auch kann man eben nicht sagen, es habe sich unmittelbar nachher durch Beförderung der Aufklärung und geistiger Bildung aus- gezeichnet. Dennoch machten infolge der Schutzzölle, der verbesserten Schafzucht, der Straßen Verbesserungen und anderer Aufmunterungen die Gewerbe schon unter Maria Theresia ansehnliche Fortschritte.
Energischer ward dieses Werk unter Joseph IL, und auch mit ungleich größerem Erfolge betrieben. Im Anfange zwar waren die Erfolge nicht von großer Bedeutung da der Kaiser nach seiner gewöhnlichen Weise diese, wie alle seine andern Eeformpläne, zu rasch betrieb und Österreich im Verhältnis zu andern Staaten noch viel zu weit zurück war. Hier wie anderwärts zeigte sich, daß des Guten zu viel auf einmal geschehen könne, und daß Schutzzölle, sollen sie naturgemäß und auf die bestehenden Zustände nicht störend wirken, im Anfang nicht zu hoch gestellt werden dürfen. Je länger aber dieses System bestand, desto mehr stellte sich seine Weisheit ins Licht. Österreich verdankt ihm (138) den Besitz seiner jetzigen schönen Industrie und die Blüte seines Ackerbaues.
Preußens Industrie hatte mehr als die jedes andern Landes durch die Verheerungen des Dreißigjälirigen Krieges gelitten. Sein bedeutendes Gewerbe, die Tuchfabrikation der Mark Brandenburg, war fast vernichtet. Die meisten Tuchmacher waren nach Sachsen ausgewandert, und die Einfuhren der Engländer wollten schon damals nichts auf- kommen lassen. Zum Glück für Preußen erfolgte die Wider-
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riifung des Edikts von Nantes und die Verfolgung der Protestanten in der Pfalz und in Salzburg.
Der große Kurfürst sah auf den ersten Blick, was vor ihm Elisabeth so klar gesehen. Infolge der von ihm ge- troffenen Maßregeln richtete ein großer Teil dieser Flücht- linge seine Schritte nach Preußen, befruchtete den Acker- bau dieses Landes, brachte eine Menge Gewerbe auf und kultivierte Wissenschaften und Künste. Alle seine Nach- folger traten in seine Fußstapfen, keiner mit größerem Eifer als der große König — größer durch seine Maßregeln im Frieden, als durch seine Erfolge im Krieg. Es ist hier der Kaum nicht, von den unzähligen Maßregeln umständlich zu sprechen, wodurch Friedrich II. eine große Anzahl fremder Landwirte ins Land zog, ungebaute Strecken Landes urbar machte, den Wiesen-, Futter-, Kräuter-, Kartoffel- und Tabaksbau, die veredelte Schaf-, Rindvieh- und Pferdezucht, die mineralische Düngung usw. in Gang brachte und den Agrikulturisten Kapitale und Kredit verschaffte. Mehr noch als durch diese direkten Maßregeln hob er den Ackerbau mittelbar durch die Manufakturen, die infolge des von ihm vervollkommneten Douanen- und Zollsystems, der von ihm (139) unternommenen Transportverbesserungen und der ein- geführten Bank im Preußischen einen größeren Aufschwung nahmen, als in irgend einem andern deutschen Lande, un- geachtet die geographische Lage des Landes und seine Zerstückelung in verschiedene voneinander getrennte Pro- vinzen solchen Maßregeln weit weniger günstig war, und die Nachteile der Douanen, namentlich die verderblichen Wirkungen des Schleichhandels, hier weit mehr hervor- treten mußten als in großen, wohl arrondierten, durch Meere, Blässe und Gebirgsketten begrenzten Reichen.
Wir woUen inzwischen mit diesem Lob keineswegs die Fehler des Systems, wie z. B. die Ausfuhrbeschränkungen der Rohstoffe verteidigen; daß aber trotz dieser Fehler die
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Industrie dadurch bedeutend gehoben worden ist, wird von keinem aufgeklärten und unparteiischen Geschichtsschreiber in Abrede gestellt. Jedem unbefangenen, nicht von falschen Theorien umnebelten Geist muß es klar sein, daß nicht so- wohl infolge seiner Eroberungen, als infolge seiner weisen Maßregeln für die Beförderung des Ackerbaues, der Ge- werbe und des Handels und seiner Fortschritte in der Ijiteratur und in den Wissenschaften, Preußen in den Stand gesetzt wurde, im Kreise der europäischen Mächte Platz zu nehmen. Und dies alles war das Werk eines einzigen großen Genies !
Und noch war die Krone nicht durch die Energie freier Institutionen, sondern allein durch eine geordnete und ge- wissenhafte, aber freilich im toten Mechanismus einer hier- archischen Bureaukratie befangenen Administration unterstützt.
Unterdessen stand das übrige Deutschland jahrhunderte- lang unter dem Einfluß des freien Handels, (140) das heißt, alle Welt durfte Fabrikate und Produkte nach Deutschland führen; niemand wollte deutsche Fabrikate und Produkte importieren lassen. Diese Regel hatte ihre Ausnahmen, aber wenige. Man kann nicht eben sagen, die Aussprüche und Verheißungen der Schule von den großen A^'orteilen des freien Handels seien durch die Erfahrungen dieser Länder gerechtfertigt worden; es ging überall mehr rück- wärts als vorwärts. Städte, wie Augsburg, Nürnberg, Mainz, Köln usw., zählten nur noch den dritten oder vierten Teil ihrer früheren Bevölkerung, und Kriege wui'den oft ersehnt, nur um des wertlosen Produktenüberflusses los zu werden.
Die Kriege kamen — im Gefolge der französischen Revolution — und mit ihnen die englischen Subsidien und die vergrößerte Konkurrenz Englands; daher neues Fallen der Manufakturen bei steigendem, obwohl nur schein- barem und vorübergehendem Wohlstand des Ackerbaues.
Hierauf folgte die Kontinentalsperre Napoleons, in der
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deutsclien wie in der französischen Industriegeschichte Epoche machend, ungeachtet sie von J. B. Say, Adam Smiths berühmtestem Schüler, für eine Kalamität erklärt worden war. Was auch die Theoretiker, und namentlich die englischen, dagegen sagen mögen, ausgemacht ist — und alle Kenner der deutschen Industrie müssen es be- zeugen, und in allen statistischen Notizen aus jener Zeit sind dazu die Belege zu finden — daß infolge dieser Sperre die deutschen Manufakturen aller und jeder Art erst an- fingen, einen bedeutenden Aufschwung zu nehmen,*) daß jetzt erst die zuvor (141) schon begonnene Veredlung der Schafzucht in Schwung kam, daß man jetzt erst sich be- fliß, die Transportmittel zu verbessern. Wahr ist dagegen, daß Deutschland seinen frühern Ausfuhrhandel, besonders an Lein waren, größtenteils verlor. Doch war der Gewinn bedeutend größer als der Verlust, namentlich für die preußischen und österreichischen Fabriken, die früher schon einen Vorsprung vor den Fabriken der übrigen deutschen Länder gewonnen hatten.
Mit dem Eintreten des Friedens traten aber die eng- lischen Manufakturisten mit den deutschen wiederum in furchtbare Konkurrenz: denn während der wechselseitigen Absperrung hatten, infolge neuer Erfindungen und großen fast ausschließlichen Absatzes nach fremden Weltteilen, die Manufakturen der Insel sich über die Manufakturen Deutsch- lands weit erhoben; und hierdurch, sowie durch ihren Kapitalbesitz, waren erstere in den Stand gesetzt worden, viel wohlfeilere Preise zu stellen, viel vollkomm nere Artikel zu bieten und viel längern Kredit zu geben als letztere, die
*) Ungleich mußte dieses System in Frankreich und in Deutschland wirken, weil Deutschland zum größten Teil von den französischen Märkten ausgeschlossen war, während die deutschen Märkte der französischen Industrie offen standen.
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noch mit den Schwierigkeiten des ersten Anfangs zu kämpfen hatten. Es entstand folghch allgemeiner Ruin und laute Klage unter den letztern, besonders am Niederrhein, in den- jenigen Gegenden, welchen, früher zu Frankreich gehörig, jetzt der Markt dieses Reichs verschlossen war. Auch hatte der frühere preußische Zolltarif im Geist der absoluten Handelsfreiheit viele Veränderungen erlitten und gewährte keineswegs zureichenden Schutz gegen die englische Kon- kurrenz. Gleichwohl widerstrebte (142) die preußische Bureaukratie diesem Hilferuf lauge. Sie hatte auf Uni- versitäten sich zu sehr in die Theorie Adam Smiths vertieft, als daß sie sich schnell in das Bedürfnis der Zeit hätte finden können. Ja, es gab zu jener Zeit in Preußen noch Nationalökonomen, welche das längst verstorbene physio- kratische System wieder vom Tode zu erwecken den kühnen Gedanken hatten. Indessen war auch hier die Natur der Dinge stärker als die Macht der Theorie. Dem Angstruf der Manufakturisten , zumal da er aus einer Gegend kam, die sich nach ihrem frülieren Verbände mit Frankreich sehnte und deren Zuneigung zu erwerben der Mühe wert war, durfte man nicht zu lange das Ohr verschließen. Mehr und mehr verbreitete sich in jener Zeit die 31einung, die englische Regierung begünstige auf außerordentliche "Weise die Überschwemmung der Kontinentalmärkte mit Manufakturwaren, in der Absicht, die Kontinentalmanufakturen in der Wiege zu ersticken. Diese Meinung ist ins Lächer- liche gezogen worden ; daß sie aber herrschte, war natürlich genug, einmal, weil die Überschwemmung wirklich in der Art statt hatte, als ob sie eigens zu dem erwähnten Zweck organisiert gewesen wäre, und zweitens, weil ein berühmtes Parlamentsmitglied, Herr Henry Brougham (jetzt Lord Broug- ham), im Jahre 1815 mit dürren "Worten im Parlament ge- sagt hatte: „that it was well worth while to incur a loss on the exportation of english manufactures in order to
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stifle in the cradle the foreign manufactures." *) Diese Idee des als (143) Philanthropen, Kosmopohten und Liberalen seitdem so berühmt gewordenen Lords ward zehn Jahre später von dem nicht minder als liberal berühmten Parla- mentsmitglied Hume fast mit denselben Worten wiederholt ; auch er Avollte, „das man die Kontinentalfabriken in den Windeln ersticke".
Endlich ward die Bitte der preußischen Manufakturisten erhört — spät zwar — es ist nicht zu leugnen, wenn man bedenkt, wie peinlich es ist, jahrelang mit dem Tode zu ringen — aber auf meisterhafte Weise. Der preußische Zolltarif vom Jahre 1818 entsprach für die Zeit, in welcher er gegeben war, allen Bedürfnissen der preußischen In- dustrie, ohne den Schutz auf irgendeine Weise zu über- treiben oder dem nützlichen Verkehr des Landes mit dem Ausland zu nahe zu treten. Er war in seinen Zollsätzen ungleich billiger, als die englischen und französischen Zoll- systeme, und mußte es sein. Denn es handelte sich hier nicht von einem allmählichen Übergang aus dem Prohibitivsystem in das Schutzsystem, sondern von einem Übergang von dem sogenannten freien Handel in das Schutzsystem. Ein anderer großer Vorzug dieses Tarifs — im allgemeinen betrachtet — bestand darin, daß er zumeist die Zollsätze nach dem Ge- wicht, nicht nach dem Wert bestimmte. Hierdurch ward nicht nur das Schmuggeln und die zu niedrige Schätzung vermieden, sondern zugleich der große Zweck erreicht, daß die Gegenstände des allgemeinen Verbrauchs, die jedes Land am leichtesten selbst fabrizieren kann und deren Selbstfabrikation wegen ihres hohen Totalbetrags für das Land am wichtigsten ist, am meisten besteuert Avurden, und daß der Schutzzoll um so mehr fiel, je mehr die Feinlieit
*) Report of the commitee of commerce and manufactures of the House of Representatives of the Congress of the United States. Febr. 13. 1816.
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und Kostbarkeit der Ware, also die (144) Schwierigkeit der Selbstfabrikation und der Reiz, sowie die Möglichkeit des Schmuggeins stieg.
Eben diese Bestimmung der Zollsätze nach dem Ge- wicht jedoch mußte den Verkehr mit den deutschen Nachbar- staaten aus leicht einzusehenden Gründen viel empfind- licher treffen als den Verkehr mit fremden Nationen. Diese, die mittleren und kleineren deutschen Staaten, hatten nun auch, neben der Ausschließung von den österreichischen, französischen und englischen Märkten, die fast totale Aus- schließung von den preußischen zu tragen, die sie um so empfindlicher treffen mußte, als viele entweder von preußischen Provinzen gänzlich oder großenteils einge- schlossen waren.
So sehr die preußischen Fabrikanten durch diese Maß- regel beruhigt worden waren, so groß war nun der Jammer bei den Fabrikanten der übrigen deutschen Länder. Dazu kam noch, daß kurz vorher Österreich die Einfuhr von deutschen Fabrikaten in Italien, namentlich von oberschwä- bischer Leinwand erschwert hatte. Von allen Seiten in ihrem Absatz auf kleine Länderstriche beschränkt und so- gar unter sich selbst wieder durch kleinere Douanenlinien voneinander getrennt, waren die Manufakturisten dieser Länder der Verzweiflung nahe.
Dieser Notstand war es, der jenen Privat verein von fünf- bis sechstausend deutschen Fabrikanten und Kauf- leuten veranlaßte, welcher im Jahre 1819 auf der Frühlings- messe zu Frankfurt am Main gestiftet ward und der zum Zweck hatte, einerseits die Aufhebung aller deutscheu Separatdouanen, andererseits die Stiftung eines gemeinsamen deutschen Handels- und Douanensystems zu erwirken.
Dieser Verein gab sich eine förmliche Organisation. Die Vereinsstatuten wurden dem deutschen (146) Bundestag und sämtlichen Regenten und Regierungen der deutschen
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Staaten zur Bestätigung überreicht. In jeder deutsclien Stadt ward ein Lokalkorrespondent, in jedem Land ein Provinzialkorrespondent erwählt. Alle Mitglieder und Korre- spondenten des Vereins machten sich verbindlich, zum Zweck des Vereins nach Kräften mitzuwirken. Die Stadt Nürnberg wurde zum Zentralort des Vereins erkoren und ermächtigt, einen Zentralausschuß zu erwählen, welcher die Geschäfte des Vereins unter dem Beistand eines Konsulenten, zu welcher Stelle der Verfasser dieser Schrift ernannt worden war, zu leiten hatte. In einem wöchentlichen Ver- einsblatte, betitelt: „Organ des deutschen Handels- und Fabrikantenstandes," wurden die Verhandlungen und Maßregeln des Zentralausschusses bekannt gemacht und Ideen, Vorschläge, Abhandlungen und statistische Notizen, die Zwecke des Vereins betreffend, mitgeteilt. Jedes Jahr ward auf der Frankfurter Messe eine Generalversammlung des Vereins abgehalten, welcher der Zentralausschuß einen Rechenschaftsbericht erstattete.
Nachdem dieser Verein an den deutschen Bundestag eine Petition überreicht hatte, in welcher derselbe die Not- wendigkeit und Nützlichkeit der von ihm in Vorschlag ge- brachten Maßregeln nachwies, trat der Zentralausschuß zu Nürnberg in Wirksamkeit. Von ihm wurden sofort sämt- liche deutsche Höfe und zuletzt der Ministerkongreß in Wien (1820) durch eine Deputation beschickt. Auf diesem Kongreß ward wenigstens so viel erreicht, daß mehrere der mittleren und kleineren deutschen Staaten übereinkamen, in dieser Angelegenheit einen Separatkongreß in Darmstadt abzuhalten. Die hier gepflogenen Verhandlungen führten zuerst zu (146) einer Vereinigung zwischen Württemberg und Bayern; hierauf zur Vereinigung einiger deutschen Staaten mit Preußen; sodann zur Vereinigung der mittel- deutschen Staaten; endlich, und zwar hauptsächlich infolge der Bemühungen des Freiherrn von Cotta, zur allgemeinen
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Vereinigung dieser drei Zollkonföderationen, so daß jetzt mit Ausnahme von Österreich, den beiden Mecklenburg, Hannover und den Hansestädten, ganz Deutschland in einem Zoll- verband steht, welcher die Separatdouanen unter sich auf- gehoben und gegen das Ausland eine gemeinschaftliche Douane errichtet hat, deren Ertrag nach dem Maßstab der Bevölkerung unter die einzelnen Staaten verteilt wird.
Der Tarif dieses Vereins ist im wesentlichen der preußische von 1818, d. h. ein gemäßigter Schutztarif.
Infolge dieser Einigung hat die Industrie, der Handel und die Landwirtschaft der deutschen Vereinsstaaten bereits unermeßliche Fortschritte gemacht.
(147) Achtes Kapitel. Die Russen.
Rußland verdankt seine ersten Fortschritte in der Kultur und Industrie dem Verkehr mit Griechenland, sodann dem Handel der Hanseaten über Nowgorod und nach Zer- störung dieser Stadt durch Iwan Wassiljewitsch, sowie infolge der Entdeckung der Wasserstraßen nach den Küsten des weißen Meeres, dem Handel mit den Engländern und Holländern.
Der höhere Aufschwung seiner Industrie, wie überhaupt seiner Kultur, datiert sich jedoch erst von der Regierung Peters des Großen. Die Geschichte Rußlands seit den letzt verflossenen 140 Jahren liefert den schlagendsten Beweis von dem großen Einfluß der Nationaleinheit und der politischen Zustände auf den ökonomischen Wohlstand der Völker, Der kaiserlichen Macht, durch welche diese Ein-
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heit zahlloser barbarischer Horden gestiftet und erhalten worden ist, verdankt Rußland die Grrundlegung seiner Manufakturen, seine unermeßlichen Fortschritte im Acker- bau und in der Bevölkerung, die Beförderung des Innern Verkehrs durch Anlegung von Kanälen und Straßen, einen großartigen auswärtigen Handel und seine Geltung als Handelsraacht.
(148) Das selbständige Handelssystem Rußlands aber datiert sich erst vom Jahre 1821.
Zwar hatten schon unter Katharina IL durch die Be- günstigungen, welche sie auswärtigen Künstlern und Manu- fakturisten bot, die Gewerbe und Fabriken einige Fortschritte gemacht, allein die Nation war in ihrer Kultur noch zu weit zurück, als daß sie über die ersten Anfänge in der Lein- wand-, Eisen-, Glas- usw. Fabrikation und überhaupt in den- jenigen Zweigen, in welchen das Land durch seine Agri- kultur- und Mineralreichtümer besonders begünstigt war, sich hätte erheben können.
Auch lagen weitere Fortschritte in den Manufakturen damals noch nicht in dem ökonomischen Interesse der Nation. Hätte das Ausland die Lebensmittel und Rohstoffe und die groben Fabrikate, welche Rußland zu liefern ver- mochte, an Zahlungs Statt genommen, wären keine Kriege und äußeren Ereignisse eingetreten, Rußland hätte sich bei dem Verkehr mit weiter vorgerückten Nationen noch lange besser gestanden, seine Kultur im allgemeinen hätte infolge dieses Verkehrs größere Fortschritte gemacht als bei dem Manufaktursystem. Allein die Kriege, die Kontinentalsperre und die Handelsmaßregeln fremder Nationen nötigten dieses Reich, sein Heil auf andern Wegen zu suchen als durch Ausfuhr von Rohstoffen und durch Einfuhr von Fabrikaten. Infolge derselben wurde Rußland in seinen früheren Handels- verbindungen zur See gestört. Der Landverkehr mit dem westlichen Kontinent konnte ihm diese Verluste nicht er-
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setzen. Es sah sich also genötigt, seine Rohstoffe selbst zu verarbeiten.
Nach Herstellung des allgemeinen Friedens wollte man wieder zum alten System zurückkehren. (149) Die Regierung, der Kaiser selbst, war zugunsten des freien Handels ge- stimmt. Die Schriften des Herrn Storch standen in Ruß- land in nicht geringerem Ansehen als die des Herrn Say in Deutschland. Man ließ sich sogar durch die ersten Stöße, welche die Innern während des Kontinentalsystems erstandenen Fabriken infolge der englischen Konkurrenz er- litten, nicht abschrecken. Seien nur erst diese Stöße über- standen, behaupteten die Theoretiker, so werde die Glück- seligkeit der Handelsfreiheit schon nachkommen. Auch waren in der Tat die Handelskonjunkturen dem Übergang ungemein günstig. Der Mißwachs im westlichen Europa verursachte eine große Exportation an Agrikulturprodukten, wodurch Rußland eine Zeitlang reichlich die Mittel gewann, seine großen Importationen an fremden Manufakturwaren zu saldieren.
Als aber diese außerordentliche Nachfrage nach russi- schen Agrikulturprodukten aufgehört hatte, als im Gegenteil England zugunsten seiner Aristokratie die Getreideeinfuhr und zugunsten Kanadas die Holzeinfuhr von außen be- schränkte, machte sieh der Ruin der inneren Fabriken und Manufakturen und die übertriebene Einfuhr fremder Fabri- kate doppelt fühlbar. Hatte man vorher mit Herrn Storch die Handelsbilanz für ein Hirngespinnst gehalten, an deren Existenz zu glauben für einen verständigen und aufgeklärten Mann nicht minder schimpflich und lächerlich sei als der Glaube an das Hexenwesen des siebzehnten Jahrhunderts, so sah man jetzt mit Schrecken, daß es dennoch etwas der Art wie die Handelsbilanz unter imabhängigen Nationen geben müsse. Ja, der aufgeklärteste und einsichtsvollste Staatsmann Rußlands^ Graf Nesselrode, trug kein Bedenken,
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sich öflFenÜich zu diesem Glauben (150) zu bekennen. Er erklärte in einem offiziellen Zirkular von 1821: „Rußland sehe sich durch die Umstände genötigt, ein unabhängiges Handelssystem zu ergreifen : die Produkte des Reichs fänden auswärts keinen Absatz, die inneren Fabriken seien ruiniert oder auf dem Punkt, ruiniert zu werden, alle Barschaften des Reichs strömten nach dem Ausland, und die solidesten Handelshäuser seien dem Einsturz nahe."
Die wohltätigen Erfolge des russischen Schutzsystems trugen nicht weniger als die schädlichen Folgen der Wieder- einführung des freien Handels dazu bei, die Grundsätze und Behauptungen der Theoretiker in Mißkredit zu bringen. Fremde Kapitale, Talente und Arbeitskräfte strömten aus zivilisierten Ländern, namentlich aus England und Deutsch- land herbei, um an den den inneren Manufakturen gebotenen Vor- teilen teilzunehmen. Der Adel ahmte die Politik des Reiches nach. Da er für seine Produkte auswärts keinen Markt fand, so versuchte er die umgekehrte Aufgabe zu lösen, nämlich den Markt in die Nähe der Produkte zu bringen ; er legte auf seinen Gütern Fabriken an. Infolge der durch die neuerstandenen Wollfabriken erzeugten Nachfrage nach feiner Wolle veredelte sich die Schafzucht des Reichs schnell. Der Handel mit dem Auslande wuchs, statt abzunehmen, insbesondere der Verkehr mit Persien, China und andern benachbarten Ländern Asiens. Die Handelskrisen hörten gänzlich auf, und man braucht nur die neuesten Berichte des russischen Handelsministeriums nachzulesen, um sich zu überzeugen, daß Rußland diesem System einen hohen Grad von Prosperität zu danken hat und daß es mit Riesen- schritten der Vermehrung seines Nationalreichtums und seiner Macht entgegengeht. Es ist Torheit, wenn man (151) in Deutschland diese Fortschritte verkleinern will und sich in Klagen über die Nachteile gefällt, welche dadurch den nordöstlichen Provinzen Deutschlands ver-
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ursacht worden sind. Jede Nation wie jedes Individuum ist sich selbst am nächsten. Rußland hat nicht für die Wohlfahrt Deutschlands zu sorgen. Deutschland sorge für Deutschland, Avie Rußland für Rußland sorgt. Besser wäre es, statt zn. klagen, statt zu hoffen und zu harren und den Messias der künftigen Handelsfreiheit zu erwarten, man wärfe die kosmopolitischen Systeme ins Feuer und ließe sich durch Rußlands Beispiel belehren.
Daß England mit Eifersucht diese Handelspolitik Ruß- lands betrachtet, ist sehr natürlich. Rußland hat sich da- durch von England emanzipiert. Es befähigt sich dadurch mit England in Asien in Konkurrenz zu treten. Wenn Eng- land wohlfeiler fabriziert, so wird in dem Handel mit dem Innern Asien dieser Vorteil durch die Nähe des russischen Reichs und durch seinen politischen Einfluß aufgewogen. Wenn Rußland Europa gegenüber ein noch wenig kultiviertes Reich ist, so ist es Asien gegenüber ein zivilisiertes.
Indessen ist nicht zu verkennen, daß der Mangel an Zivilisation und an politischen Institutionen Rußland in seinen weiteren industriellen und kommerziellen Fort- schritten in der Folge sehr hinderlich werden muß, im Fall es der kaiserlichen Regierung nicht gelingen sollte, durch Einführung tüchtiger Munizipal- und Provinzialverfassuugen, durch allmähliche Beschränkung und endliche Abschaffung der Leibeigenschaft, durch Heranziehung eines gebildeten Mittelstandes und eines freien Bauernstandes und durch Vervollkommnung der Innern Transportmittel und der Kom- munikation mit dem Innern Asien, die öffentlichen Zu- stände mit den Bedürfnissen der Industrie in (152) Ein- klang zu stellen. Dies sind die Eroberungen, auf welche Rußland für das laufende Jahrhundert angewiesen ist, und darauf beruhen seine weitern Fortschritte im Ackerbau und in der Industrie, wie im Handel, in der Schiffahrt und in der Seemacht. Damit aber Reformen dieser Art möglich
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und ausführbar seien, muß erst der russische Adel zur Einsicht kommen, daß dadurch seine materiellen Interessen am meisten gefördert werden.
(153) Neuntes Kapitel. Die Nordamerikaiicr.
Nachdem wir die Handelspolitik der europäischen Yülker, mit Ausnahme derer, von welchen wenig Erlieb- liches zu lernen ist, geschichtlich beleuchtet haben, wollen wir auch einen Blick jenseits des Atlantischen Meeres werfen, auf ein Kolonisten volk, das fast unter unsern Augen aus dem Zustand totaler Abhängigkeit von der Mutternation und der Getrenntheit in mehrere, unter sich in keinerlei politischer Yerbindung stehende Kolonieprovinzen sich in den Zustand einer vereinigten, wohl organisierten, freien, mächtigen, gewerbfleißigen, reichen und unabhängigen Nation emporgehoben hat und vielleicht schon unter den Augen unserer Enkel sich zum Rang der ersten See- und Handels- macht der Erde emporschwingen wird. Die Handels- und Industriegeschichte von Nordamerika ist lehrreich für unsern Zweck, wie keine andere, weil hier die Entwicklung schnell vor sich geht, die Perioden des freien und be- schränkten Verkehrs schnell aufeinander folgen, ihre Folgen klar und entschieden in die Erscheinung treten und das . ganze Räderwerk der Nationalindustrie und der Staats- administration offen vor den Augen des Beschauers sich bewegt. (154) Die nordamerikanischen Kolonien wurden von dem Mutterlande, in Beziehung auf Gewerbe und la-
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dustrie, in so totaler Knechtschaft erhalten, daß außer der Hausfabrikation und den gewöhnlichen Handwerkern keinerlei Art von Fabriken geduldet ward. Noch im Jahre 1750 er- regte eine im Staat Massachussetts errichtete Hutfabrik so sehr die Aufmerksamkeit und Eifersucht des Parlaments, daß es alle Arten von Fabriken für gemeinschädliche An- stalten (common nuisances) erklärte, die Eisenhammerwerke nicht ausgenommen, ungeachtet das Land an allen zur Eisenfabrikation erforderlichen Materialien den größten Über- fluß besaß. Noch im Jahre 1770 erklärte der große Chatham, beunruhigt durch die ersten Fabrikversuche der Neueng- länder, man sollte nicht zugeben, daß in den Kolonien ein Hufnagel fabriziert werde,
Adam Smith gebührt das Verdienst, zuerst auf die Un- gerechtigkeit dieser Politik aufmerksam gemacht zu haben.
Die Monopolisierung aller Gewerbsindustrie von selten des Mutterlandes ist eine der Hauptursachen der ameri- kanischen Revolution ; die Teetaxe gab bloß Veranlassung zum Ausbruch.
Befreit von dem aufgelegten Zwange, im Besitz aller materiellen und intellektuellen Mittel zur Fabrikation und getrennt von derjenigen Nation, von welcher sie ihre Fabri- kate bezogen und aa die sie ihre Produkte verkauft hatten, also mit allen ihren Bedürfnissen auf ihre eigenen Kräfte reduziert, nahmen während des Revolutionskriegs Fabriken aller Art in den nordamerikanischen Freistaaten einen mächtigen Aufschwung, der auch die Landwirtschaft so sehr befruchtete, daß der "Wert des Grundes und des Bodens, so wde der Arbeitslohn, den Lasten und Verheerungen des Kriegs zum Trotz, (155) überall bedeutend stieg. Da aber nach dem Pariser Frieden die fehlerhafte Verfassung der Freistaaten die Etablierung eines allgemeinen Handelssystems nicht ermöglichte, folglich die Fabrikate der Engländer wieder freien Zugang hatten, deren Konkurrenz die neu-
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erstandenen Fabriken Nordamerikas nicht anszulialten ver- mochten, so verschwand die während des Kriegs erstandene Prosperität des Landes noch viel schneller, als sie ent- standen war. „Wir kauften," sagte später ein ßedner im Kongreß von dieser Krisis, „nach dem Rat der neuem Theoretiker da, wo wir am wohlfeilsten kaufen konnten, und unsere Märkte wurden von fremden Waren über- schwemmt; man kaufte die englischen Waren wolilfeiler in unseren Seestädten als in Liverpool und London. Unsere Manufakturisten wurden ruiniert, unsere Kaufleute, selbst diejenigen, welche sich durch die Einfuhr bereichern zu können glaubten, verfielen in Bankerott, und alle diese Ur- sachen zusammengenommen wirkten so nachteilig auf die Landwirtschaft, daß allgemeine Wertlosigkeit des Grund- eigentums eintrat und folglich der Bankerott auch unter Grundbesitzern allgemein ward." Dieser Zustand war keineswegs ein vorübergehender; er dauerte vom Pariser Frieden bis zur Herstellung der Föderativverfassung und trug mehr als irgend ein anderer Umstand dazn bei, daß die Freistaaten ihren Staatsverband fester knüpften und dem Kongreß zu Behauptung einer gemeinschaftlichen Handels- politik zureichende Gewalt einräumten. Yon allen Staaten, Newyork und Südkarolina nicht ausgenommen, wurde nun der Kongreß mit Petitionen und Schutzmaßregeln für die innere Industrie bestürmt, und Washington trug am Tage seiner Inauguration ein Kleid von inländischem Tuch, „um," sagte ein (156) gleichzeitiges Journal von Newyork, „in der einfachen und ausdrucksvollen Weise, die diesem großen Manne eigen ist, allen seinen Nachfolgern im Amte und allen künftigen Gesetzgebern eine unvergeßliche Lehre zu geben, auf welche Weise die Wohlfahrt des Landes zu be- fördern sei." Ungeachtet der erste amerikanische Tarif (1789) nur geringe Einfuhrzölle auf die bedeutendsten Manufakturmittel legte, wirkte er doch schon in den ersten
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Jahren so wohltätig, daß Washington in seiner Botschaft von 1791 der Nation zu dem blühenden Zustand, in welchem sich Manufakturen, Ackerbau und Handel befänden. Glück wünschen konnte.
Bald aber zeigte sich die Unzulänglichkeit dieses Schutzes, da die Wirkung der geringen Auflage von den durch verbesserte Yerfahrungsweisen unterstützten Fabri- kanten Englands leicht überwunden worden war. Der Kon- greß erhöhte zwar den Einfuhrzoll für die bedeutendsten Manufakturartikel auf 15 Proz., jedoch erst im Jahre 1804, als er, durch die unzureichenden Zolleinnahmen gedrängt, seine Revenuen zu vermehren genötigt ward, und lange nachdem die inländischen Fabrikanten in Beschwerden über Mangel an zureichendem Schutz und die entgegenstehenden Interessen in Argumenten über die Vorteile der Handels- freiheit und die Schädlichkeit hoher Einfuhrzölle sich er- schöpft hatten.
In großem Kontrast mit den geringen Fortschritten, welche im ganzen die Manufakturen und Fabriken des Landes gemacht hatten, standen die Fortschritte der Schiff- fahrt, welcher schon vom Jahre 1789 an auf den Antrag James Madisons ein zureichender Schutz zuteil geworden war. Von 200000 Tonnen (1789) war dieselbe schon im Jahre 1801 auf mehr als eine Million Tonnen gestiegen.
(157) Unter dem Schutze des Tarifs von 1804 erliielt sich die Manufakturkraft der Nordamerikaner, den durch fortwährende Verbesserungen unterstützten und zu kolossaler Größe anwachsenden Fabriken Englands gegenüber, nur uot- düi'ftig und hätte ohne Zweifel ihrer Konkiu-renz unterliegen müssen, wäre ihr nicht der Embargo und die Kriegser- klärung von 1812 zu Hilfe gekommen, infolge welcher Er- eignisse, wie zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges, die amerikanischen Fabriken einen so außerordentlichen Auf- schwung nahmen, daß sie nicht nur den Innern Bedarf be-
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friedigten, sondern bald auch zu exportieren anfingen. Bloß in der Baumwollen- und Wollenfabrikation waren, nach einem Bericht des Handels- und Manufakturkomitees an den Kongreß im Jahr 1815, 100000 Menschen beschäftigt, deren jährliche Produktion mehr als CO Millionen Dollars an Wert betrug. Wie während des Revolutionskriegs be- merkte man, als notwendige Folge des Aufschwungs der Manufakturkraft, ein rasches Steigen aller Preise, der Pro- dukte und Tagelöhne sowohl als des liegenden Eigentums, folglich allgemeine Prosperität der Grundbesitzer, der Ar- beiter und des innern Handels.
Nach dem Frieden von Gent, gewarnt durch die Er- fahrungen von 178G, verordnete der Kongreß für das erste Jahr die Verdoppelung der früheren Zölle, und während dieser Zeit fuhr das Land fort zu prosperieren. Aber ge- drängt von den den Manufakturen gegenüberstehenden über- mächtigen Privatinteressen und von den Argumenten der Theoretiker, beschloß er für das Jahr 181G eine bedeutende Herabsetzung der Einfuhrzölle, und nun kamen dieselben Wirkungen der auswärtigen Konkurrenz wieder zum Vor- schein, die man in den Jahren von 1786 bis 1789 erfahren hatte, (158) nämlich: Ruin der Fabriken, Wertlosigkeit der Produkte, Fallen des Wertes der liegenden Güter, allge- meine Kalamität unter den Landwirten. Nachdem das Land zum zweiten Male im Kriege die Segnungen des Friedens genossen hatte, erlitt es zum zweiten Male durch den Frieden größere Übel, als der verheerendste Krieg ihm hätte bringen können. Erst im Jahre 1824, nachdem die Wirkungen der englischen Kornbill auf den amerikanischen Ackerbau in dem ganzen Umfang der unsinnigen Tendenz sich herausgestellt und dadurch das Ackerbauinteresse der mittleren, nördlichen und westlichen Staaten genötigt hatten, mit dem Mauufakturinteresse gemeinschaftliche Sache zu machen, Avard im Kongreß ein etwas erhöhter Tarif durch-
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gesetzt, der jedocli, da Herr Huskisson auf der Stelle Gegen- maßregelü traf, um in Beziehung auf die englische Kon- kurrenz seine Wirkungen zu paralysieren, sich bald als un- zureichend auswies und durch den nach heftigem Kampf durchgesetzten Tarif von 1828 ergänzt werden mußte.
Die neuerlich erschienene offizielle Statistik*) des Staates Massachussetts gibt einen ungefähren Begriff von dem Aufschwung, welchen die Manufakturen infolge des Schutzsj^stems, ungeachtet der spätem Milderung des Tarifs von 1828, in den Vereinigten Staaten und zumal in den mittleren und nördlichen (159) genommen haben. Im Jahre 1837 waren in diesem Staate 282 Baumwollen mühlen und 565031 Spindeln im Gang, und darin 4997 männliche und •14757 weibliche Arbeiter beschäftigt; 37 275917 Pfund Baumwolle wurden verarbeitet und 126 Millionen Yards (metres) Gewebe fabriziert, das einen Wert von 13056659 Dollars produzierte, vermittels eines Kapitals von 14369719 Dollars.
In der Wollenfabrikation waren 192 Mühlen, 501 Ma- schinen, 3612 männliche und 3485 weibliche Arbeiter be- schäftigt, die 10858988 Pfund ' Wolle verarbeiteten und 11313426 Yards Gewebe, in einem Wert von 10399 807 Dollars produzierten, vermittels eines Kapitals von 5770750 DoUars.
An Schuhen und Stiefeln wurden fabriziert 16 689877 Paar (große Quantitäten von Schuhen wurden nach den
*) Statistical Table of Massachussetts for the year endiug 1. April 1837, by J. P. Bygelon, Secretary of the Commonwealth. Boston 1838. Außer dem Staat Massachussetts besitzt noch kein anderer amerikanischer Staat ähnliche statistische Übersichten. Die hier erwähnten verdankt man dem als Gelehrten und Schrift- steller wie als Staatsmann gleich ausgezeichneten Gouverneur Everett.
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■westliclien Staaten exportiert), zu einem Wert von 14 642 520 Dollars.
Die übrigen Fabrikzweige standen mit den genannten im Yerhältnis.
Die gesamte Manufakturproduktion des Staats (nach Ab- rechnung des Schiffbaues) betrug über 86 Millionen mit einem Kapital von ungefähr 60 Millionen Dollars.
Die Zahl der Arbeiter betrug 177 352 und die Gesamt- zahl der Einwohner des Staats (1837) 701 331.
Von Elend, Roheit und Lastern unter der Manufaktur- bevölkerung weiß man hier nichts; im Gegenteile: unter den zahlreichen weiblichen wie unter männlichen Fabrik- arbeitern besteht die strengste Sittlichkeit, Reinlichkeit und Nettigkeit in der Kleidung; Bibliotheken sind angelegt, um sie mit nützlichen und (160) lehrreichen Büchern zu ver- sehen ; die Arbeit ist nicht anstrengend, die Nahrung reich- lich und gut. Die meisten Frauenzimmer ersparen sich ein Heiratgut, *)
Letzteres ist offenbar die Wirkung billiger Preise der gemeinen Lebensbedürfnisse, geringer Abgaben und eines gerechten Steuersystems. England hebe seine Einfuhrbe- schränkungen von Agrikulturprodukten auf, vermindere die bestehenden Konsumtionsauflagen um die Hälfte oder zwei Dritteile, decke den Ausfall durch eine Einkommensteuer, und es wird seine Fabrikarbeiter in die gleiche Lage ver- setzen.
Kein Land ist in Beziehung auf seine künftige Be- stimmung und seine Nationalökonomie so verkannt und so unrichtig beurteilt worden wie Nordamerika, von den Theo-
*) Die amerikanischen Zeitungen vom Juli 1839 berichten, daß in dem Fabrikort Lowell allein über hundert Arbeiterinnen gezählt werden, welche über lüOO Dollars Ersparnisse in den Sparbanken stehen haben.
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retikern sowohl als von den Praktikern. Adam Smith und J. B. Say hatten den Ausspruch getan: die Vereinigten Staaten seien „gleich Polen" zum Ackerbau bestimmt. Die Vergleichung war für die Union von einigen Dutzend neu aufstrebenden jugendlichen Republiken nicht sehr schmeichelhaft, und die ihnen dadurch eröffnete Aussicht in die Zukunft keineswegs sehr trostreich. Die genannten Theoretiker hatten bewiesen, die Natur selbst habe die Nordamerikaner ausschließlich auf den Ackerbau angewiesen, solange das fruchtbarste Land dort fast für nichts zu haben sei. Man hatte ihnen großes Lob erteilt, daß sie den Forderungen der Natur so willig gehorchten und der Theorie ein so schönes Beispiel von den herrlichen (161) Wirkungen der Handelsfreiheit aufstellten ; aber die Schule erfahr bald die Widerwärtigkeit, auch diesen wichtigen Beleg für die Richtigkeit und Anwendbarkeit ihrer Theorie zu verlieren und zu erleben, daß die Vereinigten Staaten ihre Wohlfahrt in einer der absoluten Handelsfreiheit direkt entgegengesetzten Richtung suchten.
War früher diese jugendliche Nation der Augapfel der Schule, so ward sie jetzt zum Gegenstand des heftigsten Tadels bei den Theoretikern aller europäischen Nationen. Es sei, hieß es, ein Beweis, welche geringe Fortschritte die neue Welt in den politischen Wissenschaften gemacht habe, daß während die europäischen Nationen mit dem redlichsten Eifer die allgemeine Freiheit des Handels zu ermöglichen strebten, während namentlich England und Frankreich eben im Begrii'f ständen , bedeutende Vorschritte zu diesem großen philanthropischen Ziel zu versuchen, die Vereinigten Staaten von Nordamerika durch Rückkehr zu dem längst veralteten und von der Theorie aufs klarste widerlegten Merkantilsystem ihre Nationalwohlfahrt fördern wollten. Ein Land wie Nordamerika, in welchem noch so unermeßliche Strecken des fruchtbarsten Landes unkultiviert seien und
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wo der Taglohn so hoch stehe, könne seine materiellen Kapitale und seinen Bevölkerungszuwachs nicht besser ver- wenden als für den Ackerbau; sei einmal dieser zu voll- ständiger Ausbildung gelangt, so werden Manufakturen und Fabriken im natürlichen Lauf der Dinge, ohne künstliche Beförderungsmittel, aufkommen ; durch künstliche Hervor- rufung der Manufakturen aber schadeten die vereinigten Staaten nicht allein den Ländern alter Kultur, sondern am meisten sich selbst.
Bei den Amerikanern war jedoch der gesunde Menschen- verstand und das Gefühl dessen, was der Nation (1G2) not sei, mächtiger als der Glaube an die Aussprüche der Theorie. Man forschte den Argumenten der Theoretiker auf den Grund und schöpfte starke Zweifel gegen die Unfehlbarkeit einer Lehre, die ihre eigenen Bekenner nicht einmal be- folgen wollten.
Auf das die große Menge der noch unkultivierten fruchtbaren Ländereien betreffende Argument ward erwidert : daß dergleichen in den bevölkerten, schon bedeutend kul- tivierten und zur Fabrikation reifen Staaten der Union so selten seien als in Großbritannien; daß der Bevölkerungs- zuwachs dieser Staaten sich mit großen Kosten nach dem Westen zu verpflanzen habe, um dergleichen Ländereien zur Kultur zu bringen, wodurch nicht allein den östlichen Staaten alljährlich große Summen materieller und geistiger Kapitale verloren gingen, sondern auch, indem durch diese Auswanderungen Konsumenten in Konkurrenten sich ver- wandelten, ihr Grundeigentum und ihre Agrikulturprodukte im Werte herabgedrückt würden. Es könne nicht im Vor- teil der Union liegen, daß die ihr zu Gebote stehenden Wild- nisse bis zum stillen Meer angebaut werden, bevor nocli Bevölkerung, Zivilisation und Streitkräfte der alten Staaten gehörig entwickelt seien; im Gegenteil, die östlichen Staaten vermöchten aus dem Anbau entfernter Wildnisse
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für ihre eigenen Fortschritte nur dann Nutzen zu ziehen, wenn sie sich auf die Fabrikation verlegen und ihre Fabrikate gegen die Produkte des Westens vertauschen könnten. Man ging noch weiter, man fragte, ob nicht England sich in ganz gleichem Falle befinde; ob nicht auch England in Kanada, in Australien und in andern Weltgegenden über eine Masse noch unkultivierter, fruchtbarer Ländereien ver- fügen könne; ob nicht die Engländer fast ebenso leicht ihre überschüssige (163) Bevölkerung nach jenen Ländern verpflanzen könnten als die Nordamerikaner die ihrige von den Gestaden des Atlantischen Ozeans nach denen des Missouri ; warum aber gleichwohl England nicht allein seine einheimischen Manufakturen fortwährend beschütze, sondern sie auch mehr und mehr auszudehnen strebe.
Das Argument der Schule, daß bei hohem Taglohn im Ackerbau die Fabriken nicht im natürlichen Lauf der Dinge, sondern nur wie Treibhauspflanzen gedeihen könnten, fand man nur teilweise gegründet, nämlich bloß in Beziehung auf diejenigen Fabrikate und Manufakturwaren, die, gering an Volumen und Gewicht im Verhältnis zu ihrem Wert, größtenteils vermittels Handarbeit produziert werden, nicht aber bei denen, auf deren Preis der Taglohn weniger in- fluiert und wo durch Maschinerie, durch noch unbenutzte Wasserkraft, durch wohlfeile Rohstoffe und Lebensmittel, durch Überfluß an wohlfeilem Brenn- und Baumaterial, durch geringere Staatsabgaben und erhöhte Arbeitskräfte der Nachteil des höheren Taglohns aufgewogen wird.
Sodann hatten die Amerikaner längst aus Erfahrung gelernt, daß die Agrikultur eines Landes sich zu hoher Prosperität nur dann aufzuschwingen vermag, wenn der Tausch der Agrikulturprodukte gegen Fabrikate für alle Zukunft verbürgt ist; daß er aber, wenn der Agrikulturist in Nordamerika und der Manufakturist in England wohnt, nicht selten durch Kriege, durch Handelskrisen oder durch
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fremde Handelsmaßregela unterbrochen wird, daß demnach, soll der Wohlstand der Nation auf einer soliden Basis ruhen, „der Manufakturist", nach dem Ausspruch Jeffersons, „an der Seite des Agrikulturisten sich niederlassen muß".
(164) Die Nordamerikaner fühlten endlich, daß eine große Nation nicht ausschließlich die zunächstliegenden materiellen Yorteile ins Auge fassen dürfe, daß Zivilisation und Macht — wie auch Adam Smith selbst zugibt, wichtigere und wünschenswertere Güter als materieller Reichtum — nur durch Pflanzung einer eigenen Manufakturkraft zu er- langen und zu behaupten seien; daß eine Nation, die sich berufen fühle, ihren Rang unter den gebildetsten und mäch- tigsten Nationen der Erde zu nehmen und zu behaupten, kein Opfer scheuen dürfe, um die Bedingung dieser Güter zu erlangen, und daß zurzeit die atlantischen Staaten der Sitz derselben seien.
An den atlantischen Cfern hat die europäische Bevöl- kerung, die europäische Kultur zuerst festen Fuß gefaßt; hier zuerst haben sich bevölkerte, kultivierte und reiche Staaten gebildet; hier ist die Wiege und der Sitz ihrer Seefischereien, ihrer Küstenschiffahrt und ihrer Seemacht; hier w^ard ihre Unabhängigkeit errungen und ihre Union gestiftet; durch diese Uferstaaten betreibt sie ihren aus- wärtigen Handel, durch sie steht sie mit der zivilisierten Welt in Verbindung, durch sie acquiriert die Union den Überfluß Europas an Bevölkerung, an materiellem Kapital und an geistigen Kräften; auf der Zivilisation, der Macht, dem Reichtum dieser Uferstaaten beruht die künftige Zivili- sation, die Macht, der Reichtum, die Unabhängigkeit der ganzen Nation und ihr künftiger Einfluß auf minder zivili- • sierte Länder.
Nehmen wir an, die Bevölkerung dieser Uferstaaten falle, statt zu steigen, ihre Fischereien, ihre Küstenschiffahrt, ihre Seeschiffahrt nach fremden Ländern, ihr auswärtiger
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Handel und überhaupt ihr Wohlstand nehme ab oder bleibe stille stehen, statt sich zu vermehren, so würden wir in demselben Verhältnis die (165) Zivilisationsmittel der ganzen Nation, die Garantien ihrer Selbständigkeit und Macht nach außen sinken sehen. Ja, es läßt sich denken, daß das ganze Territorium der Vereinigten Staaten von einem Meere zum andern kultiviert, mit Agrikulturstaaten übersäet und im Innern dicht bevölkert sein könnte, und daß gleichwohl die Nation auf einer niedrigen Stufe der Zivilisation, der Unab- hängigkeit, der Macht nach außen und des auswärtigen Ver- kehrs stehen bliebe. Gibt es doch zahlreiche Nationen, die sich in dieser Lage befinden, deren Schiffahrt und Seemacht bei großer Bevölkerung im Innern null ist.
Gäbe es nun eine Macht, die mit dem Plan schwanger ginge, die amerikanische Nation in ihrem Aufschwung nieder- zuhalten und sie sich für alle Zeiten industriell, kommerziell und politisch dienstbar zu machen, sie könnte ihren Zweck nur erreichen, wenn sie die atlantischen Staaten der Union zu entvölkern und allen Zuwachs an Bevölkerung, an Kapital und an geistiger Kraft nach dem Inland zu treiben suchte. Sie würde dadurch nicht nur die Nation in dem fernereu Wachstum ihrer Seemacht niederhalten, sie dürfte auch die lloifnung nähren, mit der Zeit die hauptsächlichsten Ver- teidigungspunkte an der atlantischen Küste und an den Mündungen der Ströme in ihre Gewalt zu bekommen. Das Mittel zu diesem Zweck läge nicht ferne, man brauchte nur zu verhindern, daß eine Manufakturkraft in den atlantischen Staaten aufkomme, man brauchte nur dem Prinzip der abso- luten Freiheit des auswärtigen Handels in Amerika Geltung zu verschaffen.
Denn werden die atlantischen Staaten nicht manufaktu- rierend, so können sie sich nicht niu* nicht auf (166) dem gegenwärtigen Standpunkt ihrer Kultur erhalten, sie müssen sinken — in jeder Hinsicht sinken. Wie sollen ohne Manu-
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fakturen die Städte längs der atlantischen Küsten aufkommen? Nicht durch die Beförderung der inländischen Produkte nach Europa und der englischen Manufakturwaren nach dem In- land, denn wenige tausend Menschen reichen zu, dieses Ge- schäft zu verrichten. Wie sollen die Fischereien aufkommen? Der größte Teil der Bevölkerung, der sich nach, dem Innern gezogen, zieht frisches Fleisch und Süßwasserfische den ge- salzenen vor; er bedarf keines Trans oder doch nur ge- ringer Quantitäten, Wie soll längs der atlantischen Staaten die Küstenfahrt gedeihen? Da der größte Teil der Ufer- staaten von Landwirten bevölkert ist, die ihren Bedarf an Lebensmitteln, Bau- und Brennmaterial usw. selbst produ- zieren, so ist längs der Küste nichts zu verführen. Wie soll der auswärtige Handel und die Schiffahrt nach fernen Gegenden sich vermehren? Das Land hat nichts zu bieten, als was minder kultivierte Nationen im Überfluß besitzen, und diejenigen Manufakturnationen, an welche es seine Produkte absetzt, begünstigen ihre eigene Schiffahrt. Wo soll aber eine Seemacht herkommen , wenn Fischereien, Küstenfahrt, Seeschiffahrt, auswärtiger Handel verfallen? Wie sollen die atlantischen Staaten ohne Seemacht gegen auswärtige Einfälle sich schützen? Wie soll nur der Acker- bau in diesen Staaten gedeihen, wenn durch Kanäle, Eisen- bahnen usw. die Produkte, der viel fruchtbareren und wohl- feileren Ländereien im Westen, die keiner Düngung, bedürfen, viel wohlfeiler nach dem Osten gebracht, als hier auf einem längst ausgemergelten Boden produziert werden können? Wie soll unter solchen Umständen die Zivilisation der (167) östlichen Staaten gedeihen und ihre Bevölkerung sich ver- mehren, wenn es doch klar ist, daß beim freien Handel mit England aller Zuwachs an Bevölkerung und an Agrikultur- kapital sich nach dem Westen ziehen würde? Der jetzige Zustand von Virginien gibt nur einen schwachen Begriff von dem Zustand, in welchen die atlantischen Staaten durch
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das Nichtaufkommen der Manufakturen im Osten versetzt würden; denn Yirginien, wie alle südlichen Staaten an der atlantischen Küste, nimmt zurzeit reichlichen Teil an der Yersorgung der manufakturierenden atlantischen Staaten mit Agrikulturprodukten.
Ganz anders stellen sich alle diese Verhältnisse durch das Gedeihen einer Manufaliturkraft in den atlantischen Staaten. Jetzt fließt von allen europäischen Ländern Be- völkerung, Kapital, technische Geschicklichkeit und geistige Kraft zu; jetzt steigt mit der Zufuhr an ßohstoffen und Materialien aus dem Westen die Nachfrage nach den Manu- fakturprodukten der atlantischen Länder; jetzt wächst ihre Bevölkerung, die Zahl und der Umfang ihrer Städte und ihr Reichtum in gleichem Yerhältnis mit der Kultur der westlichen Wildnisse; jetzt hebt sich infolge der ver- mehrten Bevölkerung ihr eigener Ackerbau durch die ver- größerte Nachfrage nach Fleisch, Butter, Käse, Milch, Garteu- gewächsen, Ölgewächsen, Früchten usw.; jetzt steigt die Nachfrage nach gesalzenen Fischen und nach Fischtran, folglich die Seefischerei; jetzt sind längs der Küste Massen von Lebensmitteln, Baumaterialien, Steinkohlen usw. zu verführen, um die Manufakturbevölkerung mit ihren Bedürfnissen zu versehen ; jetzt produzieren die Manufakturen eine Masse von Handelsgegenständen zur Verführung nach allen Ländern der Welt, woraus wieder (168) gewinnreiche Rückfrachten entstehen ; jetzt steigt infolge der Küstenfahrt, der Fische- reien und der Schiffahrt nach fremden Ländern die Seemacht und damit die Garantie der Selbständigkeit der Nation und ihr Einfluß auf andere Völker, insbesondere auf die süd- amerikanischen ; jetzt heben sich Künste und Wissenschaften, Zivilisation und Literatur in den östlichen Staaten und ver- breiten sich von hier aus über die westlichen.
Dies sind die Verhältnisse, wodurch die nordamerika- nischen Staaten veranlaßt w^orden sind, die Einfuhr fremder
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Manufakturwaren zu beschränken und die eigenen Manu- fakturen zu beschützen. Mit welchem Erfolg dies geschehen ist, haben wir oben gezeigt. Daß ohne diese Maßregeln eine Manufakturkraft in den atlantischen Staaten nie hätte auf- kommen können, lehrt ihre eigene Erfahrung und die Indu- striegeschichte anderer Nationen.
Man hat die oft in Amerika eintretenden Handelskrisen als eine Folge jener Handelsbeschränkungen darstellen wollen, aber ohne allen Grund. Die frühere Erfahrung von Nord- amerika, sowie die allerneueste, lehrt im Gegenteil, daß diese Krisen nie häufiger und verderblicher gewesen sind, als wenn der Verkehr mit Eogland am wenigsten beschränkt war. Handelskrisen in Agrikulturstaaten , die ihre Manufaktur- bedürfnisse von außen ziehen, entstehen durch das Mißver- hältnis zwischen Einfuhr und Ausfuhr. Die Manufaktur- staaten, reicher an Kapital als die Agrikulturstaaten und immer bemüht, ihren Absatz zu vergrößern, geben ihre Waren auf Kredit und ermuntern zur Konsumtion. Es sind dies gleichsam Vorschüsse auf die künftige Ernte. Ist nun die Ernte so schwach, daß ihr Wert den AVert der früheren Konsumtionen bei weitem (169) nicht erreicht, oder ist die Ernte so reichlich, daß die Produkte nicht zureichende Nach- frage finden und im Preise fallen, werden dabei immer noch die Märkte mit fremden Älanufakturwaren überführt, so entsteht durch das Mißverhältnis zwischen den Zahlungs- mitteln und den früheren Konsumtionen sowie durch das Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage in den Pro- dukten und Manufakturwaren die Ilandelskrisis. Vermehrt und befördert, nicht aber erzeugt wird diese Krisis durch die Operationen der fremden und der einheimischen Banken. Wir werden in einem folgenden Kapitel diese Verhältnisse näher beleuchten.
List, Nationalökonomie, 13
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(170) Zehntes Kapitel. Die Lehreu der Oeschichte.
Überall und zu jeder Zeit sind Intelligenz, Moralität und Tätigkeit der Bürger mit dem Wohlstand der Nation in gleichem Verhältnis gestanden, haben die Reichtümer mit diesen Eigenschaften zu- oder abgenommen; allein nirgends haben Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, Erfindungs- und Unter- nehmungsgeist der Individuen Bedeutendes zustande gebracht, wo sie nicht durch die bürgerliche Freiheit, die öffentlichen Institutionen und Gesetze, durch die Staatsadministrationen und durch die äußere Politik, vor allem aber durch die Einheit und Macht der Nation unterstützt gewesen sind.
Überall zeigt uns die Geschichte eine mächtige Wechsel- wirkung zwischen den gesellschaftlichen und den indi- viduellen Kräften und Zuständen. Li den italienischen und hansischen Städten, in Holland und England, in Frankreich und Amerika sehen wir die produktiven Kräfte und folglich die Reichtümer der Individuen im Verhältnis der Freiheit und der Vervollkommnung der politischen und gesellschaft- lichen Institutionen (171) zunehmen und diese hinwiederum aus dem Wachstum der materiellen Reichtümer und der produk- tiven Kräfte der Individuen für ihre weitere Vervollkommnung Nahrung schöpfen. Der eigentliche Aufschwung der englischen Industrie und Macht datiert sich erst von der Zeit der eigent- lichen Begründung der englischen Nationalfreiheit, und dielndu- strie und Macht der Venetianer, der Hansen, der Spanier und Portugiesen gerät zugleich mit ihrer Freiheit in Verfall. Wie fleißig, sparsam, erfinderisch und intelligent die Individuen sein mochten, sie vermochten nicht den Mangel freier In- stitutionen zu ergänzen. Die Geschichte lehrt also, daß die
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Individuen den größten Teil ihrer produktiven Kraft aus den gesellschaftlichen Institutionen und Zuständen schöpfen.
Der Einfluß der Freiheit, der Intelligenz und Aufklärung auf die Macht und folglich auf die produktive Kraft und den Reichtum der Nation stellt sich nirgends so klar heraus als in der Schiffahrt. Unter allen Gewerbszweigen erfordert die Schiffahrt am meisten Energie, persönlichen Mut, Unter- nehmungsgeist und Ausdauer, Eigenschaften, die offenbar nur in der Luft der Freiheit gedeihen können. Bei keinem Gewerbszweig haben Unwissenheit, Aberglaube und Vor- urteil, Indolenz, Feigheit, Verweichlichung und Schwäche so verderbliche Folgen, nirgends ist das Gefühl der Selbständig- keit so unerläßlich. Daher weist auch die Geschichte kein einziges Beispiel auf, daß ein versklavtes Volk sich in der Schiffahrt hervorgetan hätte. Die Hindus, die Chinesen und Japanesen haben von jeher nur Kanal-, Fluß- luid Küstenfahrt betrieben. Im alten Ägypten war die Seeschiff- fahrt verabscheut, wahrscheinlich weil Priester und Herrscher (172) den Geist der Freiheit und Unabhängigkeit dadurch zu nähren fürchteten. Die freiesten und aufgeklärtesten Staaten Griechenlands sind auch die mächtigsten zur See; mit der Freiheit hört ihre Seemacht auf, und wieviel auch die Geschichte von den Landsiegen der Könige von Maze- donien zu erzählen weiß, sie schweigt von ihren Siegen zur See.
Wann sind die Römer seemächtig, und wann hört man nichts mehr von ihren Flotten? Wann gibt Italien Gesetze auf dem Mittelmeer, und seit wann ist die eigene Küsten- fahrt der Italiener in die Hände der Fremden geraten? Über die spanischen Flotten hatte die Inquisition längst das Todes- urteil gesprochen, ehe es von den Flotten Englands und Hollands vollzogen ward. Mit dem Aufkommen der kauf- männischen Oligarchien in den Hansestädten nehmen Macht und Unternehmungsgeist Abschied von der Hansa. Von den
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spanischen Niederlanden erringen nur die seefahrenden ihre Freiheit, die der Inquisition unterworfenen müssen sich sogar ihre Flüsse sperren lassen. Die englische Flotte, Siegerin im Kanal über die holländische, nahm nur Besitz von der See- herrschaft, die der Greist der Freiheit ihr längst zuerkannt hatte, und doch hat Holland noch einen großen Teil seiner Navigation bis auf unsere Tage erhalten, während die der Spanier und Portugiesen fast vernichtet ist. Yergeblich sind die Bestrebungen einzelner großer Administratoren unter den despotischen Königen Frankreichs, eine Flotte zu schaffen , sie geht immer wieder zugrunde. Wie aber sehen wir in unsern Tagen die französische Schiffahrt und Seemacht erstarken? Kaum ist die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Nordamerika geboren, und schon kämpfen sie mit Ruhm gegen die Riesenflotten der Mutter- nation. Wie (173) aber steht es mit der Schiffahrt von Mittel- und Südamerika? Solange nicht ihre Flaggen in allen Meeren wehen, ist auf die Wirksamkeit ihrer repu- blikanischen Formen wenig zu halten. Seht dagegen Texas — kaum zum Leben erwacht, verlaugt es schon seinen Teil am Reiche Neptuns.
Die Schiffahrt ist aber nur ein Teil der industriellen Kraft der Nation, ein Teil, der nur gedeihen und zu großer Bedeutung erwachsen kann im ganzen und durch das Ganze. Überall und zu jeder Zeit sehen wir Schiffahrt, Innern und auswärtigen Handel, ja die Agrikultur selbst nur da blühen, wo die Manufakturen zu großer Blüte gelangt sind. Wenn aber die Freiheit schon Grundbedingung des Gedeihens der Schiffahrt ist, um wieviel mehr muß sie Grundbedingung des Gedeihens der ganzen Manufakturkraft, des Wachstums der ganzen Nationalproduktivkraft sein? Die Geschichte kennt kein reiches, kein handel- und gewerbetreibendes Yolk, das nicht auch ein freies gewesen wäre.
Überall sind erst mit den Manufakturen innere Transport-
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Verbesserungen, verbesserte Flnßscliiffalirt, Kanäle, verbesserte Straßen, Dampfschiffahrt und Eisenbahnen, die Grundbedin- gungen des verbesserten Ackerbaues und der Zivilisation, aufgekommen.
Die Geschichte lehrt, daß die Künste und Gewerbe von Stadt zu Stadt, von Land zu Land gewandert sind. Verfolgt und unterdrückt in der Heimat, flüchteten sie nach Städten und Ländern, die ihnen Freiheit, Schutz und Unterstützung gewährten. So wanderten sie aus Griechenland und Asien nach Italien, von da nach Deutschland, Flandern und Brabant, von da nach Holland und England. Überall war es der Unverstand und die Despotie, wodurch sie verjagt wurden, der Geist (174) der Freiheit, welcher sie anzog. Ohne die Torheit der Kontinentalregierungen wäre England schwerlich zur Gewerbssuprematie gelangt. Erscheint es aber mehr der "Weisheit angemessen, daß wir warten, bis andere Nationen töricht genug sind, ihre Gewerbe zu vertreiben und sie zu nötigen, bei uns Unterkunft zu finden, oder daß wir, ohne das Eintreten solcher Zufälle abzuwarten, sie durch Vorteile, die wir ihnen bieten, einladen, sich bei uns niederzulassen? Es ist wahr, die Erfahrung lehrt, daß der Wind den Samen aus einer Gegend in die andere trägt und daß auf diese Weise öde Heiden in dichte Wälder verwandelt worden sind ; wäre es aber darum weise, wenn der Forstwirt zuwarten Avollte, bis der Wind im Lauf von Jahrhunderten diese Kulturverbesserung bewirkt? Wäre es töricht, wenn er durch Besamung öder Strecken diesen Zweck im Laufe weniger Jahrzehnte zu erreichen sucht? Die Geschichte lehrt uns, daß ganze Nationen mit Erfolg getan haben, was wir diesen Forstmann tun sehen.
Einzelne freie Städte oder kleine, an Territorium be- schränkte, an Volkszahl geringe und an Kriegsmacht unbe- deutende Republiken oder Bündnisse solcher Städte und Staaten haben, gestärkt durch die Energie jugendlicher Frei-
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heit und begünstigt durch ihre geographische Lage sowie durch glücldiche Umstände und Zeitverhältnisse, lange vor den großen Monarchien durch Gewerbe und Handel geblüht und durch freien Verkehr mit den letzteren, indem sie ihnen Manufakturwaren zuführten und ihre Produkte an Zahlungs- statt entgegennahmen, sich auf einen hohen Grad von Reich- tum und Macht emporgeschwungen. So Venedig, so die Hansen, so die Belgier und Holländer.
Nicht minder zuträglich war anfänglich der freie (175) Handel den großen Reichen, mit welchen sie im Verkehr standen. Bei dem Reichtum ihrer natiu-lichen Hilfsquellen und der Roheit ihrer gesellschaftlichen Zustände war die freie Einfuhr fremder Manufakturwaren und die Ausfuhr einheimischer Produkte das sicherste und wirksamste Mittel, ihre produktiven Kräfte zu entwickeln, ihre dem Müßig- gang und Raufhändeln nachhängenden Bewohner an Arbeit- samkeit zu gewöhnen, Grundbesitzer und Adel für die In- dustrie zu interessieren, den schlafenden Unternehmungsgeist ihrer Kaufleute zu wecken, überhaupt ihre Kultur, Industrie und Macht zu heben.
Diese Wirkungen hat besonders Großbritannien von dem Handel und der Manufakturindustrie der Italiener, der Hansen, der Belgier und der Holländer erfahren. Aber durch den freien Verkehr auf eine gewisse Stufe der Entwicklung ge- hoben, erkannten die großen Reiche, daß die höchste Stufe der Kultur, der Macht und des Reichtums nur durch eine Vereinigung der Manufaktur und des Handels mit dem Ackerbau zu erreichen sei; sie fühlten, daß die neuen Manu- fakturen des Inlandes mit den alten, längst bestehenden der Fremden nie mit Glück würden freie Konkurrenz bestehen können, daß die eigenen Fischereien und die eigene Handels- schiffahrt — die Basis der Seemacht — ohne besondere Begünstigungen nie aufkommen würden und daß der Unter- nehmungsgeist der inländischen Kaufleute dui'ch das über-
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mächtige Kapital und die größeren Erfahrungen und Ein- sichten der fremden fortwährend würden niedergehalten werden. Alsdann suchten sie durch ßestriktionen, Begün- stigungen und Aufmunterungen die Kapitale, die Geschick- lichkeit und den Unternehmungsgeist der Fremden auf den eigenen Boden zu verpflanzen, und zwar mit größerem oder geringerem, mit schnellerem oder (176) laugsamerem Erfolg, je nachdem die von ihnen angewandten Mittel mehr oder weniger zweckmäßig gewählt und mit größerer oder geringerer Energie und Beharrlichkeit ins "Werk gesetzt und verfolgt worden sind.
Yor allen hat England diese Politik ergriffen. Aber durch einsichtslose oder leidenschaftliche Regenten, durch innere Bewegungen oder auswärtige Kriege öfters darin unterbrochen, gelangte es erst durch Eduard YI., durch Elisabeth und die Revolutionen zu einem festen, dem Zweck entsprechenden System. Denn wie konnten die Maßregeln Eduards III. gehörig wirken, wenn erst unter Heinrich YI. erlaubt ward, Korn von einer englischen Grafschaft in die andere zu führen oder nach dem Ausland zu versenden? Wenn noch unter Heinrich YII. und Heinrich YIII. aller Zins, selbst Wechselprofite, für Wucher erklärt ward, und wenn man noch zu dieser Zeit glaubte, die Gewerbe durch niedrige Taxierung der Wollwaren und Taglöhne, die Ge- treideproduktion durch Beschränkung der großen Schaf- herden befördern zu können '? Und um wieviel früher hätte Englands WoUfabrikation und Schiffahrt einen hohen Grad von Prosperität erlangt, hätte nicht Heinrich YIII. das Steigen der Getreidepreise als ein Übel betrachtet, hätte er, anstatt die fremden Arbeiter in Masse aus dem Lande zu treiben, nach dem Beispiele früherer Regenten die Zahl der- selben durch Einwanderung zu vermehren gesucht, und hätte nicht Heinrich YII. die ihm vom Parlament vorgeschlagene Navigationsakte verworfen ?
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In Frankreich sehen wir inländische Manufakturen, freien Yerkehr im Innern, auswärtigen Handel, Fischereien, Schiffahrt und Seemacht, kurz, alle Attribute einer großen, mächtigen und reichen Nation, welche (177) zu erlangen England nur nach jahrhundertelangen Bestrebungen gelungen war, durch ein großes Genie im Laufe weniger Jahre hervor- rufen, wie durch Zauberschlag, aber sie noch schneller durch die eiserne Hand des Fanatismus und der Despotie wieder vernichten.
Vergebens sehen "svir unter ungünstigen Verhältnissen das Prinzip des freien Verkehrs gegen die mit Macht be- kleidete Restriktion ankämpfen; die Hansa wird vernichtet, und Holland sinkt unter den Schlägen Englands und Frank- reichs.
Daß die restriktive Handelspolitik nur insofern wirk- sam sein kann, als sie von der fortschreitenden Kultur und den freien Institutionen der Nation unterstützt wird, lehi't der Verfall Venedigs, Spaniens und Portugals, der Rückfall Frankreichs durch den "Widerruf des Edikts von Nantes und die Geschichte Englands, in welchem Reiche wir die Freiheit mit der Industrie, dem Handel und dem National- reichtum überhaupt jeder Zeit gleichen Schritt halten sehen.
Daß dagegen eine weit vorgerückte Kultur, mit oder ohne freie Institutionen, wenn sie nicht von einer zweck- mäßigen Handelspolitik unterstützt ist, die ökonomischen Fortschritte einer Nation wenig verbürge, lehrt einerseits die Geschichte der nordamerikanischen Freistaaten, anderer- seits die Erfahrung Deutschlands.
Das neuere Deutschland, ohne kräftige und gemeinsame Handelspolitik, bloßgestellt auf dem eigenen Markte der Konkurrenz einer in jeder Beziehung überlegenen fremden Manufakturkraft, dagegen ausgeschlossen durch willkürliche, oft launenhafte Restriktionen von den fremden Märkten, weit entfernt, in seiner Industrie die seiner Kultur eut-
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sprechenden Fortschritte zu machen, vermag nicht einmal seinen früheren Standpunkt zu (178) behaupten und wird wie eine Kolonie ausgebeutet von derselben Nation, die schon Jahrhunderte zuvor von deutschen Kaufleuten in gleicher Weise ausgebeutet worden war, bis endlich die deutschen Staaten sich entschlossen, durch ein gemeinsames kräftiges Handelssystem den Innern Markt der eigenen In- dustrie zu sichern.
Die nordamerikanischen Freistaaten, mehr als jede andere Nation vor ihnen in der Lage, von der Freiheit des Handels Nutzen zu ziehen, und schon an der "Wiege ihrer Selb- ständigkeit influenziert durch die Lehren der kosmopoli- tischen Schule, bestreben sich mehr als jede andere, diesem Prinzip nachzuleben. Aber durch Kriege mit Großbritannien sehen wir zweimal diese Nation genötigt, die Manufaktur- waren, die sie bei freiem Verkehr von anderen Nationen bezog, selbst zu fabrizieren, zweimal nach eingetretenem Friedensstand durch die freie Konkurrenz des Auslandes an den Rand des Verderbens geführt und dadurch gemahnt, daß bei der gegenwärtigen Weltlage jede große Nation die Bürgschaft ihrer fortdauernden Prosperität und Unabhängig- keit vor allen Dingen in der selbständigen und gleich- mäßigen Entwicklung ihrer eigenen Kräfte zu suchen habe.
So zeigt die Geschichte, daß die Restriktionen nicht sowohl Erfindungen spekulativer Köpfe als naturgemäße Folgen der Verschiedenheit der Interessen und des Strebens der Nationen nach Unabhängigkeit oder nach überwiegender Macht, also der Nationaleifersucht und der Kriege sind, und daß sie auch nur mit diesem Konflikt der Nationalinteressen, folglich durch Vereinigung der Nationen unter dem Rechts- gesetz aufhören können. Die Frage : ob und wie die Nationen zu einem Staatenbund zu vereinigen und wie bei Entscheidung der unter unabhängigen Nationen entstehenden Differenzen an die (179) Stelle der Waffenmacht der Rechtsspruch zu setzen
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sei, fließt also zusammen mit der Frage: wie an die Stelle der nationalen Handelssysteme Welthandel sfreilieit gesetzt werden könne.
Die Versuche der einzelnen Nationen, diese Freiheit einseitig — einer durch Industrie, Reichtum und Macht wie durch ein geschlossenes Handelssystem vorherrsclienden Nation gegenüber — einzuführen, wie sie 1703 von Por- tugal, 1786 Frankreich, 1786 und 1816 von Nordamerika, 1815 — 1821 von Rußland und jahrhundertelang von Deutsch- land gemacht worden sind, zeigen uns, daß auf diesem Wege nur die Prosperität der einzelnen Nationen ohne Vor- teil für die gesamte Menschheit geopfert wird, zur alleinigen Bereicherung der vorherrschenden Manufaktur- und Handels- macht. Die Schweiz, wie wir später dartun werden, bildet eine Ausnahme, die gleich viel und gleich wenig für oder gegen das eine oder das andere System beweist.
Colbert erscheint uns nicht als Erfinder jenes Systems, das von den Italienern nach ihm benannt worden ist; wie wir gesehen haben, ist es lange vor ihm von den Engländern ausgebildet gewesen. Colbert hat nur ins Werk gesetzt, was Frankreich, wenn es seine Bestimmung erfüllen wollte, früher oder später ins Werk setzen mußte. Will man durchaus Colbert etwas zur Last legen, so kann es nur dies sein, daß er unter einer despotischen Regierung auszuführen suchte, was erst nach einer G-rundreform der politischen Zustände Bestand haben konnte.
Diesem Vorwurf ließe sich aber entgegenhalten: Col- berts System, durch weise Regenten und einsichtsvolle Minister fortgesetzt, hätte die den Fortschritten der (180) Gewerbe, der Landwirtschaft und des Handels sowie der öffentlichen Freiheit entgegenstehenden Hindernisse auf dem Wege der Reform beseitigt, und Frankreich hätte dann keine Revolution erlebt, sondern vielmehr, durch Wechselwirkung der Industrie und der Freiheit in seiner Entwicklung ge-
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fördert, schon seit anderthalb Jahrhunderten in den Mann- fakturen, in der Beförderung des inneren Verkehrs, im aus- wärtigen Handel und in der Kolonisation gleichwie in den Fischereien, in der Schiffahrt und in der Seemacht mit Eng- land glücklich gewetteifert.
Die Geschichte lehrt uns endlich, wie Nationen, die mit allen zur Erstrebung des höchsten Grades von Reichtum und Macht erforderlichen Mitteln von der Natur ausgestattet sind, ohne mit ihrem Bestreben in Widerspruch zu geraten, nach Maßgabe ihrer Fortschritte mit ihren Systemen wechseln können und müssen, indem sie durch freien Handel mit weiter vorgerückten Nationen sich aus der Barbarei erheben und ihren Ackerbau emporbringen, hierauf durch Beschrän- kungen das Aufkommen ihrer Manufakturen, ihrer Fischereien, ihrer Schiffahrt und ihres auswärtigen Handels befördern und endlich, auf der höchsten Stufe des Reichtums und der Macht angelangt, durch allmähliche Rückkehr zum Prinzip des freien Handels und der freien Konkurrenz auf den eigenen wie auf den fremden Märkten , ihre Landwirte, Mauufakturisten und Kaufleute gegen Indolenz bewahren und sie anspornen, das erlangte Übergewicht zu behaupten. Auf der ersten Stufe sehen wir Spanien, Portugal und Neapel stehen, auf der zweiten Deutschland und Nordamerika; den Grenzen der letzten Stufe scheint uns Frankreich nahe zu sein; erreicht hat sie zurzeit allein Großbritannien.
(183) Elftes Kapitel. Die politische und die kosmopolitische Ökonomie.
Yor Quesnay und den französischen Ökonomisten gab es nur eine von den Staatsadministratoren geübte Praxis der politischen Ökonomie. Administratoren und Schriftsteller, die über Gegenstände der Administration schrieben, be- schäftigten sich ausschließlich mit dem Ackerbau, den Manu- fakturen, dem Handel und der Schiffahrt derjenigen Nation, welcher sie angehörten, ohne die Ursachen des Reichtums zu analysieren oder sich bis zu den Interessen der gesamten Menschheit zu erheben.
Quesnay zuerst, bei welchem die Idee der allgemeinen Handelsfreiheit entstand, dehnte seine Forschungen, ohne auf den BegrifT der Nation Rücksicht zu nehmen, auf das ganze menschliche Geschlecht aus. Er betitelt sein Werk: „Physio- cratie, ou gouvernement le plus avantageux au genre humain", und verlangt, man müsse sich vorstellen, „die Kaufleute aller Nationen bildeten eineHandels- republik". Offenbar handelt Quesnay von der kosmo- politischen Ökonomie, d. h. von derjenigen Wissenschaft,
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welche (184) lehrt, wie das gesamte menschliche Geschlecht zu Wohlstand gelangen könne, im Gegensatz zu der poli- tischen Ökonomie oder derjenigen Wissenschaft, die sich darauf beschränkt, zu lehren : wie eine gegebene Nation unter den gegebenen Weltverhältnissen durch Ackerbau, Industrie und Handel zu Wohlstand, Zivilisation und Macht ge- lange.
In gleich ausgedehntem Sinne behandelte auch Adam Smith seine Lehre, indem er sich die Aufgabe stellte, die kosmopolitische Idee der absoluten Freiheit des Welthandels, trotz der groben "Verstöße der Physiokraten gegen die Natur der Dinge und die Logik, zu rechtfertigen. Adam Smith stellte sich so wenig als Quesnay die Aufgabe, die politische Ökonomie, d. h. diejenige Politik abzuhandeln, welche die besondern Nationen zu befolgen haben, um in ihren ökono- mischen Zuständen Fortschritte zu machen. Er betitelt sein Werk: „Die Natur und Ursachen des Reichtums der Na- tionen", d. h. aller Nationen des gesamten menschlichen Geschlechts. Er spricht von den verschiedenen Systemen der politischen Ökonomie in einem besonderen Teile seines Werkes, einzig und allein in der Absicht, um ihre Nichtig- keit darzutun und zu beweisen, daß an die Stelle der poli- tischen oder Nationalökonomie die Welt Ökonomie treten müsse. Wenn er auch hier und da vom Kriege spricht, so geschieht dies nur im Vorbeigehen. Allen seinen Argu- menten liegt die Idee des ewigen Friedens zugrunde. Ja, nach der ausdrücklichen Bemerkung seines Biographen Dugald Stewart ist er in seinen Forschungen von Anfang an von der Ansicht ausgegangen: „die meisten Staatsmaß- regeln zur Beförderung des öffentlichen Wohlstandes seien unnütz, und eine Nation, um aus dem niedrigsten Zustand (185) der Barbarei in den Zustand des höchst möglichen Wohlstandes überzugehen, bedürfe nichts als leidlicher Ab- gaben, einer guten Rechtspflege und des Frieden s." Offen-
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bar hat Adam Smith unter dem Frieden den ewigen Frieden des Abbe St. Pierre verstanden.
J. B. Say verlangt mit klaren Worten : man müsse sich die Existenz einer Universalrepublik denken, um die Idee der allgemeinen Handelsfreiheit einleuchtend zu finden. Dieser Schriftsteller, der im Grunde sein Streben darauf be- schränkte, mit den Materialien, die Adam Smith ans Licht gefördert hatte, ein Lehrgebäude zu errichten, sagt im sechsten Band S. 288 seiner economie politique pratique wörtlich: „Wir können die ökonomischen Interessen der Familie mit dem Hausvater an der Spitze in Betrachtung ziehen ; die dahin einschlägigen Grundsätze und Beobachtungen bilden die Privatökonomie. Diej enigen Grundsätze aber, welche auf die Interessen ganzer Nationen, an und für sich sowohl als anderen Nationen gegenüber, Bezug haben, bilden die öffentliche Ökonomie (l'economie publique). Die politische Ökonomie endlich handelt von den Interessen aller Nationen, von der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen."
Hierbei ist zu bemerken: erstens daß Say die Existenz einer Nationalökonomie oder politischen Ökonomie unter dem Namen economie publique anerkennt, daß er aber die- selbe nirgends in seinen Werken abhandelt; zweitens daß er einer Lehre, die offenbar kosmopolitischer Natur ist, den Namen politische Ökonomie beilegt, und daß er in dieser Lehre überall nur von derjenigen Ökonomie handelt, welche allein die Interessen der gesamten menschlichen Gesellschaft, ohne (186) Rücksicht auf die Separatinteressen der einzelnen Nationen, ins Auge faßt.
Diese Namensverwechslung möchte hingehen, hätte uns Say, nachdem von ihm dargestellt worden, was er politische Ökonomie nennt, was aber nichts anders als kosmopolitische oder Weltökonomie oder die Ökonomie des gesamten mensch- lichen Geschlechts ist, auch mit den Grundsätzen derjenigen
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Lehre bekannt gemacht, die er economie publirjue nennt, die aber nichts anders ist als die Ökonomie gegebener Na- tionen oder die politische Ökonomie. Bei Definierung und Entwicklung dieser Lehre hätte er schwerlich umhin können, von dem Begriff und der Natur der Nation auszugehen und zu zeigen, welche wesentliche Veränderungen die Ökonomie der menschlichen Gesellschaft dadurch erleiden muß, daß sie zurzeit noch in abgesonderte, zu einer Einheit der Kräfte und der Interessen verbundene, andern Gesellschaften gleicher Art in ihrer natürlichen Freiheit gegenüberstehende Nationalitäten getrennt ist. Indem er aber seiner Welt- ükonomie den Namen der politischen beilegt, überhebt er sich dieser Darstellung, effektuiert er vermittels der Namensverwechslung eine Begriffsverwechslung, maskiert er eine Reihe der schwersten theoretischen Irrtümer.
Alle späteren Schriftsteller haben diesen Irrtum geteilt. Auch Sismondie nennt die politische Ökonomie ausdrücklich: „La science qui se charge du bonheur de l'espece hu- maine." Damit lehrten Adam Smith und seine Jünger im Grunde nichts anderes, als was auch schon Quesnay und seine Jünger gelehrt hatten, denn fast mit denselben Worten sagt der von der physiokratischen Schule handelnde Artikel der revue (187) müthodique: „die Wohlfahrt der In- dividuen sei überhaupt durch die Wohlfahrt des ganzen menschlichen Geschlechtes beding t". Der erste der nordamerikanischen Wortführer der Handels- freiheit, wie Adam Smith sie versteht, Thomas Cooper, Präsident des Columbiacollege, leugnet sogar die Existenz der Nationalität ; er nennt die Nation „eine grammatikalische Erfindung, nur gemacht, Umschreibung, zu ersparen, ein Nichtwesen (a non-entity), das keine Existenz habe und nur in den Köpfen der Politiker spuke". Cooper ist sich übrigens damit ganz konsequent, ja viel konsequenter als seine Vor- gänger und Meister, denn es leuchtet ein, daß, sobald man
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die Existenz der Nationen mit ihrer Natur und ihren In- teressen anerkennt, auch die Notwendigkeit eintritt, die Ökonomie der menschlichen Gesellschaft diesen besonderen Interessen gemäß zu modifizieren, und daß es, wenn man die Absicht hat, diese Modifikationen als Irrtümer darzu- stellen, sehr klug ist, von vornherein den Nationen die Existenz abzusprechen.
Wir an unserm Teil sind weit entfernt, die Theorie der kosmopolitischen Ökonomie, wie sie von der Schule ausgebildet worden ist, zu verwerfen; nur sind wir der Meinung, daß auch die politische Ökonomie oder das, was Say (jconomie publique nennt, wissenschaftlich auszubilden, und daß es immer besser sei, die Dinge bei ihrem rechten Namen zu nennen, als ihnen Benennungen zu geben, die mit der Bedeutung der Worte im Widerspruch stehen.
Will man den Gesetzen der Logik und der Natur der Dinge getreu bleiben, so muß man der Privatökonomie die Gesellschaftsökonomie gegenüberstellen und in der letzteren unterscheiden: die politische oder (188) Nationalökonomie, welche, von dem Begriff und der Natur der Nationalität ausgehend, lehrt, wie eine gegebene Nation bei der gegen- wärtigen Weltlage und bei ihren besonderen Nationalver- hältnissen ihre ökonomischen Zustände behaupten und ver- bessern kann — von der kosmopolitischen oder Weltökouomie, welche von der Voraussetzung ausgeht, daß alle Nationen der Erde nur eine einzige unter sich in ewigem Frieden lebende Gesellschaft bilden.
Setzt man, wie die Schule verlangt, eine Uuiversahmion oder eine Konföderation aller Nationen als Garantie des ewigen Friedens voraus, so erscheint das Prinzip der inter- nationalen Handelsfreiheit als vollkommen gerechtfertigt. Je weniger jedes Individuum in Verfolgung seiner Wohl- fahrtszwecke beschränkt, je größer die Zahl und der Reich- tum derer ist, mit welchen es in freiem Verkehr steht, je
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größer der Raum ist, auf welchen sich seine individuelle Tätigkeit zu erstrecken vermag, um so leichter wird es ihm sein, die ihm von der Natur verliehenen Eigenschaften, die erworbenen Kenntnisse und (jeschicklichkeiten und die ihm zu Grebot stehenden Naturkräfte zur Vermehrung seiner Wohlfahrt zu benützen. Wie mit den Individuen, so ver- hält es sich mit Gemeinheiten, Provinzen und Ländern. Nur ein Tor könnte behaupten, die Handelsunion sei den Vereinigten Staaten von Nordamerika, den Provinzen Frank- reichs, den deutschen Bundesstaaten nicht so zuträglich als die Pro\inzialdouanen.
In der Vereinigung der drei Königreiche (Großbritanniens und Irlands) besitzt die Welt ein großes unwiderlegliches Beispiel von den unermeßlichen Wirkungen der Handels- freiheit zwischen vereinigten Völkern. Man denke sich nun alle Nationen der Erde auf gleiche (189) Weise vereinigt, und die lebhafteste Phantasie wird nicht imstande sein, sich die Summe von Wohlfahrt und Glück vorzustellen, die daraus dem menschlichen Geschlecht erwachsen müßte.
Unstreitig ist die Idee einer üniversalkonföderation und des ewigen Friedens durch die Vernunft wie durch die Religion geboten.*) Wenn schon der Zweikampf zwischen Individuen vernunftwidrig ist, um wieviel mehr muß es der Zweikampf zwischen Nationen sein? Die Beweise, welche die Gesellschaftsökonomie aus der Kulturgeschichte der
*) Die christliche Religion gebietet den ewigen Frieden. Aber bevor die Verheißung: es soll ein Hirt und eine Herde werden, in Erfüllung gegangen, wird wohl schwerlich der an sich wahre Grundsatz der Quäker befolgt werden können. Es gibt keinen besseren Beweis für die Göttlichkeit der christlichen Religion als den, daß ihre Lehren und Verheißungen mit den Forderungen der materiellen wie der geistigen Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts in vollkommener Übereinstimmung stehen.
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Menschheit für die Vernuaftraäßigkeit der Vereinigiing aller Menschen unter dem Rechtsgesetze beizubringen vermag, sind vielleicht diejenigen, welche dem gesunden Menschen- verstand am meisten einleuchten. Die Geschichte lehrt, daß da, wo die Individuen sich im Kriegszustande befinden, der Wohlstand der Menschen auf seiner niedrigsten Stufe steht, und daß er in demselben Verhältnis steigt, in welchem die Einigung der Menschen wächst. Im Urzustand der Mensch- heit gewahren wir nun Familienvereine, dann Städte, dann Konföderationen von Städten, dann Vereinigungen von ganzen Ländern, zuletzt Einigungen von vielen Staaten unter dem Rechtsgesetz. Wenn die Natur der Dinge mächtig genug gewesen ist, die Einigung, (190) welche bei der Familie be- gonnen hat, bis auf Hunderte von Millionen zu erstrecken, so sollte man sie auch für stark genug halten dürfen, die Einigung aller Nationen zu bewirken. Wenn der mensch- liche Geist fähig war, die Vorteile dieser großen Einigung zu fassen, so sollte man ihn auch für fähig halten dürfen, die Vorteile einer Gesamteinigung des ganzen Geschlechts zu begreifen. Eine Menge Anzeichen deuten auf diese Tendenz des Weltgeistes hin. Wir erinnern nur an die Fortschritte in den Wissenschaften, in den Künsten und Er- findungen, in der Industrie und in der gesellschaftlichen Ordnung. Jetzt schon ist mit Bestimmtheit vorauszusehen, daß nach Verlauf einiger Jahrzehnte durch die Vervoll- kommnung der Transportmittel die zivilisiertesten Nationen der Erde, in Beziehung auf den materiellen wie auf den geistigen Verkehr, so eng oder noch enger unter sich ver- bunden sein werden wie vor einem Jahrhundert die ver- schiedenen Grafschaften in England. Jetzt schon besitzen die Regierungen der Kontinentalnationen in dem Telegraphen das Mittel, unter sich Zwiesprache zu halten, fast wie wenn sie sich an einem und demselben Orte befänden. Zuvor nie gekannte gewaltige Kräfte haben bereits die Industrie
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auf einen früher nicht geahnten Grad von Aushiklung er- hoben, und noch andere gewaltigere haben ihre Erscheinung angekündigt. Je höher aber die Industrie steigt, je gleich- mäßiger sie sich über die Länder der Erde verbreitet, um so weniger wird der Krieg möglich sein. Zwei industriell gleich ausgebildete Nationen würden sich wechselseitig in einer Woche größeren Schaden zufügen können, als sie in einem Menschenalter zu reparieren imstande wären. Dazu kommt, daß dieselben neuen Kräfte, welche bis jetzt vor- zugsweise der Produktion gedient haben, auch (191) der Zerstörung ihre Dienste nicht versagen werden, und daß sie hauptsächlich der Verteidigung und insbesondere den euro- })äischen Kontinentalnationen zu statten kommen, während sie das Inselreich mit dem Verlust derjenigen Vorteile be- drohen, die aus seiner insularischen Lage für seine A^er- tcidigung erwachsen sind. In den Kongressen der großen Mächte besitzt Europa bereits den Embryo eines künftigen Nationenkongresses. Offenbar ist jetzt schon das Bestreben, Na- tionaldifferenzen durch Protokolle zu schlichten, vorherrschend vor dem Bestreben, sich durch Waffengewalt Recht zu ver- schaffen. Bessere Einsichten in die Natur des Reichtums und der Industrie haben bereits die besseren Köpfe in allen zivilisierten Nationen zur Überzeugung geführt, daß die Zivilisation barbarischer oder halbbarbarischer oder in ihrer Kultur rückgängig gewordener Völker, sowie die Anlegung von Kolonien, den zivilisierten Nationen ein Feld für die Entwicklung ihrer produktiven Kräfte darbiete, das ihnen ungleich reichere und gewissere Früchte verspricht als die wechselseitigen Befeindungen durch Kriege oder Handels- maßregeln. Je weiter man in dieser Erkenntnis voran- schreitet, je mehr durch die Fortschritte in den Transport- mitteln die nicht zivilisierten Länder den zivilisierten Völkern zugänglich werden, um so mehr werden die zivilisierten Nationen zur Einsicht gelangen, daß die Zivilisation bar-
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barisclier oder durch innere Anarchie zerrissener oder durch schlechte Regierung gedrückter Völker eine ihnen allen gleiche Vorteile bringende, eine ihnen allen gemeinschaft- liche Aufgabe ist, eine Aufgabe, die nur durch Einigung gelöst werden kann.
Daß die Zivilisation aller Nationen, die Kultiu* des ganzen Erdballs die Aufgabe der Menschheit sei, (192) er- hellt aus jenen unabänderlichen Naturgesetzen, durch welche zivilisierte Nationen mit unwiderstehlicher Gewalt ange- trieben werden, ihre produktiven Xräfte auf minder kulti- vierte Länder zu übertragen. Überall sehen wir unter dem Einfluß der Zivilisation die Bevölkerung, die geistigen Kräfte, die materiellen Kapitale bis zu einer Höhe wachsen, wo sie notwendig in andere minder kultivierte Länder überfließen müssen. Wenn der Grund und Boden des Landes nicht mehr zureicht, die Bevölkerung zu nähren und die land- wirtschaftliche Bevölkerung zu beschäftigen, so suchen die Überzähligen in entfernten Gegenden kulturfähige Ländereien ; wenn Talente und technische Geschicklichkeiten in einer Nation so zahlreich geworden sind, daß sie keine zureichende Belohnung mehr finden, so wandern sie nach Gegenden, w^o sie gesucht werden; wenn infolge der Anhäufung von mate- riellen Kapitalien der Zinsfuß so tief sinkt, daß der kleinere Kapitalist nicht mehr davon leben kann, so sucht er sie in minder reichen Ländern besser zu verwerten.
Dem S^^stem der Schule liegt also eine wahre Idee zu- grunde, eine Idee, welche von der Wissenschaft anerkannt und ausgebildet werden muß, wenn sie ihre Bestimmung, die Praxis zu erleuchten, erfüllen soll, eine Idee, welche die Praxis nicht verkennen darf, ohne auf Abwege zu geraten. Nur hat die Schule unterlassen, die Natur der Nationalitäten und ihi-e besonderen Interessen und Zustände zu berück- sichtigen und sie mit der Idee der Universalunion und des ewigen Friedens in Übereinstimmung zu bringen.
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Die Schule hat einen Zustand, der erst werden soll, als wirklich bestehend ange- nommen. Sie setzt die Existenz einer üniversalunion und (193) des ewigen Friedens voraus und folgert daraus die großen Vorteile der Handelsfreiheit. Auf diese Weise ver- wechselt sie die Wirkung mit der Ursache. Zwischen den bereits vereinigten Provinzen und Staaten besteht der ewige Friede, aus dieser Vereinigung ist die Handelsvereinignng derselben erwachsen, und infolge des unter ihnen bestehenden ewigen Friedens ist ihnen die Handelsvereiniguug so nütz- lich geworden. Alle Beispiele, welche die Geschichte uns auf- zuweisen hat, sind solche, wobei die politische Vereinigung vorangegangen und die Handelsvereinigung gefolgt ist. Sie kennt kein einziges, wo diese vorangegangen und jeae daraus erwachsen wäre. Daß aber unter den bestehenden Welt- verhältnissen aus allgemeiner Handelsfreiheit nicht die Uni- versalrepublik, sondern die Universaluntertänigkeit der minder vorgerückten Nationen unter die Suprematie der herrschenden Manufaktur-, Handels- und Seemacht erwachsen müßte, da- für sind die Gründe sehr stark und nach unserer Ansicht unumstößlich.
Die Universalrepublik im Sinne Heinrichs IV. und des Abbo St. Pierre, d. h. ein Verein der Nationen der Erde, wodurch sie den Rechtszustand unter sich anerkennen und auf die Selbsthilfe Verzicht leisten, kann nur realisiert werden, wenn viele Nationalitäten sich auf eine möglichst gleiche Stufe der Industrie und Zivilisation, der politischen Bildung und Macht emporschwingen. Nur mit der allmäh- lichen Bildung dieser Union kann die Handelsfreiheit sich entwickeln; nur infolge dieser Union kann sie allen Na- ■ tionen die großen Vorteile gewähren, die wir jetzt bei den vereinigten Provinzen und Staaten walu-nehmeu. Das Schutz- system, insofern es das einzige Mittel ist, die in der Zivili- sation weit vorgerückten Staaten (194) gleichzustellen mit
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der vorherrschenden Nation, welche von der Natur kein ewiges Manufakturmonopol empfangen, sondern vor andern nur einen Vorsprung an Zeit gewonnen hat — das Schutz- system erscheint, aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, als das wichtigste Beförderungsmittel der endlichen Union der Völker, folglich der wahren Handelsfreiheit. Und die Nationalökonomie erscheint auf diesem Standpunkt als die- jenige Wissenschaft, welche, mit Anerkennung der bestehenden Interessen und der individuellen Zustände der Nationen, lehrt, auf welche Weise jede einzelne Nation auf diejenige Stufe der ökonomischen Ausbildung gehoben werden kann, auf welcher die Einigung mit andern gleich gebildeten Nationen, folglich die Handelsfreiheit, ihr möglich und nütz- lich sein wird.
Die Schule aber hat beide Lehren miteinander ver- mischt ; sie ist in den großen Fehler verfallen, die Zustände der Nationen nach rein kosmopolitischen Grundsätzen zu beurteilen und aus politischen Gründen die kosmopolitische Tendenz der produktiven Kräfte zu verkennen.
Nur durch eine Verkennung der kosmopolitischen Tendenz der produktiven Kräfte konnte Malthus zu dem Irrtum ver- leitet werden, die Vermehrung der Bevölkerung besclu-änken zu wollen — konnte in der neuesten Zeit bei Chalmer und Torrens die sonderbare Ansicht entstehen, die Vermehrung der Kapitale und die unbeschränkte Produktion seien Übel, welchen Grenzen zu setzen die gemeine Wohlfahrt erheische — konnte Sismondi die Fabriken für gemeinschädliche Dinge erkläcen. Die Theorie gleicht hier dem Saturn, der seine eigenen Kinder verschlingt. Sie, die aus der Vermehrung der Bevölkerung, der Kapitale und der Maschinen (195) die Teilung der Arbeit hervorgehen läßt und aus dieser den Wohlstand der Gesellschaft erklärt, betrachtet zuletzt diese Kräfte als Ungeheuer, die den Wohlstand der Völker be- drohen, weil sie, nur die gegenwärtigen Zustände einzelner
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Nationen im Auge, die Zustände des ganzen Erdkreises und die künftigen Fortschritte der Menschheit unberücksichtigt läßt.
Es ist nicht wahr, daß die Bevölkerung in einem größeren Maßstab zunimmt als die Produktion der Subsistenz- mittel, wenigstens ist es Torheit, ein solches Mißverhältnis anzunehmen, oder durch künstliche Berechnungen und sophistische Argumente nachweisen zu wollen, solange noch auf dem Erdball eine Masse von Naturkräften tot liegt, wo- durch zehn- und vielleicht hundertmal mehr Menschen, als jetzt leben, ernährt werden könnten.
Es ist Beschränktheit, das gegenwärtige Vermögen der produktiven Kräfte überhaupt zum Maßstab dafür zu nehmen, wie viele Menschen auf einer gegebenen Strecke Landes sich nähren können. Der Wilde, der Jäger und Fischer hätte nach seiner Berechnung nicht Raum für eine Million, der Hirte nicht für zehn Millionen, der rohe Ackerbauer nicht für hundert Millionen auf dem Erdball, und doch leben jetzt in Europa allein zweihundert Millionen. Die Kultur der Kartoffel und der Futterkräuter und die neueren Ver- besserungen in der Landwirtschaft überhaupt haben die produktive Kraft der Menschheit zur Hervorbringung von Subsistenzmitteln um das Zehnfache vermehrt. Im Mittel- alter war der Weizenertrag eines Ackers Landes in England das Vierfache, heute ist er das Zehn- bis Zwanzigfache, und dabei ist fünfmal mehr Land zur Kultur gebracht worden. In vielen europäischen Ländern, deren (196) Grund und Boden dieselbe natürliche Fruchtbarkeit besitzt wie der englische, ist der Ertrag heute nicht über das Vierfache. Wer möchte ferner den Entdeckungen, Erfindungen und Verbesserungen des menschlichen Geschlechts Schranken setzen? Noch ist die Agrikulturchemie in ihrer Kindheit; wer kann dafür stehen, daß nicht morgen durch eine neue Erfindung oder Entdeckung die Ertragsfähigkeit des Grundes und Bodens um das Fünf- und Zehnfache vermehrt werden
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wird? Besitzt man doch jetzt schon in dem artesischen Brunnen ein Mittel, unfruchtbare Wüsten in reiches Frucht- feld zu verwandeln. Und welche Kräfte mögen noch in den Eingeweiden der Erde verschlossen sein. Man setze nur den Fall, durch eine neue Entdeckung werde man in den Stand gesetzt, ohne Hilfe der jetzt bekannten Brenn- materialien, überall auf wohlfeile Weise Wärme zu erzeugen ; welche Strecken Landes würden dadurch der Kultur gegeben, und in welcher unberechenbaren Weise könnte die Pro- duktionsfähigkeit einer gegebenen Strecke Landes gesteigert werden? Erscheint uns die Malthus'sche Lehre in ihrer Tendenz als eine beschränkte, so stellt sie sich in ihren Mitteln als eine naturwidrige, als eine Moral und Kraft tötende, als eine horrible dar. Sie will einen Trieb töten, dessen die Natur sich als des wirksamsten Mittels bedient, die Menschen zur Anstrengung ihres Körpers und Geistes anzusijornen und ihre edleren Gefühle zu wecken und zu nähren — einen Trieb, welchem das Geschlecht den größeren Teil seiner Fortschritte zu danken hat. Sie will den herz- losesten Egoismus zum Gesetz erheben; sie verlangt, daß wir unser Herz gegen den Verhungernden verschließen, weil, wenn wir ihm Speise und Trank reichen, vielleicht in dreißig Jahren ein anderer statt seiner (197) verhungern müßte. Sie will einen Kalkül an die Stelle des Mitgefühls setzen. Diese Lehre würde die Herzen der Menschen in Steine verwandeln. Was aber wäre am Ende von einer Nation zu erwarten, deren Bürger Steine statt Herzen im Busen trügen? Was sonst als gänzlicher Verfall aller Moralität und damit aller produktiven Kräfte und somit alles Reichtums und aller Zivilisation und Macht der Nation ? Wenn in einer Nation die Bevölkerung höher steigt als die Produktion an Lebensmitteln, wenn die Kapitale sich am Ende so anhäufen, daß sie in der Nation kein Unterkommen mehr finden, wenn die Maschinen eine Menge
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Menschen außer Tätigkeit setzen und die Fabrikate bis zum Übermaß sich anhäufen, so ist dies nur ein Beweis, daß die Natur nicht haben will, daß Industrie, Zivilisation, Reichtum und Macht einer einzigen Nation ausschließlich zuteil werden, daß ein großer Teil der kulturfähigen Erde nur von Tieren bewohnt sei, und daß der größte Teil des menschlichen Geschlechts in Rohheit, Unwissenheit und Ar- mut versunken bleibe.
Wir haben gezeigt, in welche Irrtümer die Schule da- durch verfallen ist, daß sie die produktiven Kräfte der Menschheit aus dem politischen Gesichtspunkt beurteilte; wir haben nun auch die Irrtümer anzudeuten, die sie be- ging, indem sie die besonderen Interessen der Nationen aus dem kosmopolitischen Gesichtspunkt betrachtete.
Bestände wirklich eine Konföderation der Nationen, wie sie bei den Vereinigten Staaten von Nordamerika besteht, so würde der Überfluß an Bevölkerung, an Talenten und Geschicklichkeiten und an materiellem (198) Kapital aus England nach den Kontinentalstaaten überströmen, wie er aus den östlichen Staaten der amerikanischen Union nach den westlichen strömt, vorausgesetzt nämlich, daß in den Kontinentalländern dieselbe Sicherheit der Personen und des Eigentums, dieselbe Verfassung und die nämlichen all- gemeinen Gesetze beständen, und daß die englische Re- gierung dem Gesamtwillen der Universalkonföderation unter- worfen wäre. Unter dieser Voraussetzung gäbe es kein besseres Mittel, alle diese Länder mit England auf die gleiche Stufe des Reichtums und der Zivilisation zu erheben, als die Handelsfreiheit. Dies ist das Argument der Schule. Wie verhielte es sich aber unter den bestehenden Welt- verhältnissen mit der Wirkung der Handelsfreiheit?
Die Briten, als eine unabhängige, in sich geschlossene Nation, würden fortan ihr Nationalinteresse zur alleinigen Richtschnur ihrer Politik nehmen. Der Engländer, aus
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Vorliebe für seine Sprache, für seine Gesetze und Ein- richtungen und für seine Gewohnheiten, würde womöglich seine Kräfte und seine Kapitale in der einheimischen In- dustrie anlegen, wozu ihm die Handelsfreiheit, indem sie den englischen Manufakturmarkt auf alle Länder erstreckte, Gelegenheit genug böte; er käme nicht leicht auf den Ein- fall, in Frankreich oder Deutschland Manufakturen anzulegen. Aller Überfluß an Kapital würde fortan in England auf den Handel mit fremden "Weltteilen verwendet. Käme der Engländer in den Fall, auszuwandern oder seine Kapitale anderswo als in England anzulegen, so würde er, wie jetzt, diejenigen entfernten Länder, wo er seine Sprache, seine Gesetze und Einrichtungen fände, den benachbarten Kon- tinentalländern vorziehen. Ganz England würde sich auf diese Weise zu einer einzigen (199) unermeßlichen Manu- fakturstadt ausbilden, Asien, Afrika, Australien würden durch England zivilisiert und mit neuen Staaten, nach eng- lischem Muster, besäet. So entstünde mit der Zeit eine Welt von englischen Staaten, unter dem Präsidium des Mutterstaates, in welcher sich die europäischen Kontinental- nationen als unbedeutende unfruchtbare Volksstämme ver- lören. Frankreich würde sich mit Spanien und Portugal in die Bestimmung teilen, dieser englischen Welt die besten Weine zu liefern und die schlechten selbst zu trinken; höchstens dürfte den Fx-anzosen die Fabrikation einiger Putz- waren verbleiben. Deutschland dürfte dieser englischen Welt schwerlich etwas mehr zu liefern haben als Kinder- spielwareu, hölzerne Wanduhren, philologische Schriften und zuweilen ein Hilfskorps, das sich dazu hergäbe, in den Wüsten Asiens oder Afrikas für die Ausbreitung der eng- lischen Manufaktur- und llandelsherrschaft, der englischen Literatur und Sprache zu verschmachten. Nicht viele Jahr- hunderte dürfte es anstehen, so würde man in dieser eng- lischen Welt mit derselben Achtung von den Deutschen und
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Franzosen sprechen, womit wir jetzt von den asiatischen Nationen reden.
Die Politik dagegen erkennt in einer solchen Entwick- lung vermittels der allgemeinen Handelsfreiheit eine sehr unnatürliche; hätte man, räsoniert sie, zur Zeit der Hansen die allgemeine Handelsfreiheit eingeführt, so hätte die deutsche Nationalität anstatt der englischen einen Vorsprung im Handel und in den Manufakturen vor allen anderen Nationen gewonnen. Höchst ungerecht wäre es aus kosmopolitischen Gründen, jetzt den Engländern allen Reichtum und alle Macht der Erde zuzuerkennen, bloß darum, weil von ihnen das politische Handelssystem am frühesten ausgebildet und das (200) kosmopolitische Prinzip am meisten verkannt worden sei. Damit die Handelsfreiheit natürlich wirken könne, müßten erst die minder vorgerückten Nationen durch künstüche Maßregeln auf diejenige Stufe der Ausbildung gehoben werden, auf welche die englische Nation künstlich gehoben worden sei. Damit durch jene kosmopolitische Tendenz der produktiven Kräfte, welcher oben Erwähnung geschehen, nicht fremde Weltteile früher befruchtet werden als die benachbarten europäischen Länder, müßten diejenigen Nationen, welche sich zu Ausbildung einer Manufakturkraft durch ihre moralischen, intellektuellen, gesellschaftlichen und politischen Zustände befähigt fühlen, das Schutzsystem als das wirksamste Mittel zu diesem Zweck ergreifen. Die Wirkungen dieses Systems für den angegebenen Zweck seien doppelter Art: einmal entstände durch allmähliche Ausschließung fremder Manufakturwaren von unserm Markte bei fremden Nationen ein Überschuß von Arbeitern, Gleschick- lichkeiten und Kapitalien, welche nun im Ausland Unter- kommen suchen müßten, und zweitens würde durch die Prämien, welche unser Schutzsystem einwandernden Arbeitern, Geschicklichkeiten und Kapitalien biete, jener Überschuß an produktiven Kräften angereizt, anstatt nach fernen Welt-
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teilen und Kolonien zu wandern, bei uns Unterkommen zu suchen.
Die Politik weist auf die Geschichte hin und fragt: ob nicht in früheren Zeiten England durch das nämliche Mittel eine Masse von produktiven Kräften aus Deutschland, Italien, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal gezogen habe. Sie fragt: warum die kosmopohtische Schule, wenn sie die Vorteile und Nachteile des Schutzsystems gegen- einander abwiege, diese große Wirkung desselben gänzlich verschweige.
(201) Zwölftes Kapitel.
Die Theorie der produktiven Kräfte und die Tlieorie der Werte.
Adam Smiths berühmtes Werk führt den Titel: „Über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen." Damit hat der Stifter der herrschenden Schule richtig den doppelten Gesichtspunkt angegeben, aus welchem die Ökonomie der Nationen wie die der einzelnen Privaten zu betrachten ist. Die Ursachen des Reichtums sind etwas ganz anders als der Reichtum selbst. Ein Individuum kann Reichtum, d. h. Tauschwerte besitzen, wenn es aber nicht die Kraft besitzt, mehr wertvolle Gegenstände zu schaffen, als es konsumiert, so verarmt es. Ein Individuum kann arm sein, wenn es aber die Kraft besitzt, eine größere Summe von wertvollen Gegenständen zu schaffen, als es konsumiert, so wird es reich.
Die Kraft, Reichtümer zu schaffen, ist demnach unendlich wichtiger als der Reichtum selbst; sie ver- bürgt nicht nur den Besitz und die Vermehrung des Er-
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worbenen, sondern auch den Ersatz des Verlorenen. Dies ist noch viel mehr der Fall bei ganzen Nationen, die nicht von Renten leben können, als bei (202) Privaten. Deutsch- land ist in jedem Jahrhundert durch Pest, durch Hungers- not oder durch innere und äußere Kriege verheert worden; immer hat es aber einen großen Teil seiner produktiven Kräfte gerettet, und so gelangte es schnell wieder zu einigem Wolüstand, während das reiche und mächtige, aber despoten- und pfaffengerittene Spanien, im vollen Besitz des Innern Friedens, immer tiefer in Armut und Elend versank. Noch scheint den Spaniern dieselbe Sonne, noch besitzen sie den- selben Grund und Boden, noch sind ihre Bergwerke so reich, noch sind sie dasselbe Volk wie vor der Entdeckung von Amerika und vor Einführung der Inquisition : aber dieses Volk hat nach und nach seine produktive Kraft verloren, darum ist es arm und elend geworden. Der nordameri- kanische Befreiungskrieg hat die Nation Hunderte von Millionen gekostet, aber ihre produktive Kraft ward durch die Erwerbung der Nationalselbständigkeit unermeßlich ge- stärkt, darum konnte sie im Laufe weniger Jahre nach dem Frieden ungleich größere Reichtümer erwerben, als sie je zuvor besessen hatte. Man vergleiche den Zustand von Frankreich im Jahre 1809 mit dem vom Jahr 1839; welch ein Unterschied! und doch hat Frankreich seitdem seine Herrschaft über einen großen Teil des europäischen Konti- nents verloren, zwei verheerende Invasionen erlitten und Milliarden an Kriegskontributionen und Entschädigungen ent- richtet.
Unmöglich konnte ein so scharfer Verstand, wie Adam Smith ihn besaß, den Unterschied zwischen dem Reichtum und seinen Ursachen und den überwiegenden Einfluß dieser Ursachen auf den Zustand der Nationen gänzlich verkennen. In der Einleitung zu seinem Werke sagt er mit klaren Worten : „Die Arbeit sei die Quelle, aus welcher jede Nation
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ihre Reichtümer schöpfe, und die (203) Vermelirung der Reichtümer hänge größtenteils ab von der produktiven Kraft der Arbeit, nämlich von dem Grad der Kenntnisse, der Geschicklichkeit und der Zweckmäßigkeit, womit die Arbeit der Nation verwendet werde, und von dem Verhält- nis zwischen der Zahl der produktiv Beschäftigten und der Zalil der nicht Produktiven." Wir ersehen hieraus, wie klar Smith im allgemeinen eingesehen hat, daß der Zustand der Nationen hauptsächlich durch die Summe ihrer produk- tiven Kräfte bedingt ist.
Doch scheint es nicht im Plan der Natur zu liegen, daß ganze Wissenschaften den Köpfen einzelner Denker voll- endet entspringen. Offenbar war Smith von der kosmo- politischen Idee der Physiok raten „allgemeineFrei- heit des Handels" und von seiner eigenen großen Ent- deckung „Teilung der Arbeit" zu selu- beherrscht, um die Idee „produktive Kraft" zu verfolgen. Wieviel die Wissenschaft ihm in ihren übrigen Teilen zu danken hat, die Idee „Teilung der Arbeit" schien ihm seine glänzendste. Sie sollte seinem Buch Namen, seinem Namen Nachruhm sichern. Zu weltklug, um nicht einzusehen, daß, Aver einen kostbaren Edelstein zu verkaufen hat, das Kleinod nicht in einem Sack voll Weizen — vne nützlich diese Körner sein mögen — am vorteilhaftesten zu Markte bringt, sondern lieber ihn oben aufsteckt ; zu welterfahren, um nicht zu wissen, daß ein Debütant — und er war es in Beziehung auf die politische Ökonomie bei Publikation seines Werkes — der es in dem ersten Akt dahin bringt, Furore zu machen, leicht Entschädigung findet, wenn er in den folgenden nur einigermaßen über das Mittelmäßige sich erhebt, drängte es ihn, sein Werk mit der Lehre von der Teilung der Arbeit zu eröffnen. Smith (204) hat sich in seinen Berechnungen nicht getäuscht, sein erstes Kapitel hat das Glück seines Werkes gemacht und seine Autorität begründet.
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Wir an unserem Teil glauben dagegen nachweisen zu können, daß eben dieser Eifer, die wichtigste „Teilung der Arbeit" in ein vorteilhaftes Licht zu stellen, Adam Smith verhindert hat, die Idee „produktive Kraft", die von ihm in der Einleitung und nachher noch oft, obwohl nur gelegentlich ausgesprochen worden ist, weiter zu verfolgen und seine Lehre in einer viel vollkommeneren Gestalt dar- zustellen. Durch den großen Wert, den er seiner Idee „Teilung d e r A r b e i t" beilegte, läßt er sich offenbar ver- leiten, die Arbeit selbst als den „Fonds" (Fund) aller Reich- tümer der Nationen darzustellen, ungeachtet er selbst wohl einsieht und es auch ausspricht, daß die Produktivität d er Arbeit hauptsächlich von dem Grad der Geschicklich- keit und Zweckmäßigkeit abhänge, womit die Arbeit in An- wendung gebracht werde. Wir fragen : heißt es wissen- schaftlich räsonnieren, wenn man als Ursache einer Er- scheinung etwas bezeichnet, was für sich selbst das Resultat einer Menge tieferliegender Ursachen ist? Es ist keinem Zweifel unterworfen, aller Reichtum wird nur vermittels geistiger und körperlicher Anstrengungen (Arbeit) erworben ; damit ist aber noch keine Ursache bezeichnet, woraus man nützliche Folgerungen- ziehen könnte; denn die Geschichte lehrt, daß ganze Nationen, trotz der Anstrengungen und der Sparsamkeit ihrer Bürger, in Armut und Elend geraten sind. Wer da wissen und erforschen möchte, wie diese Nation aus Armut und Barbarei zu Reichtum und Zivili- sation gelangt, und wie jene Nation aus dem Zustand des Reichtums und (206) Glücks in Armut und Elend geraten ist, würde auf den Bescheid : die Arbeit sei die Ursache des Reichtums und der Müßiggang die Ursache der Armut (eine Wahrnehmung, die übrigens König Salomo lange vor Adam Smith gemacht hat), immer die weitere Frage folgen lassen : was denn die Ursache der Arbeit und was die Ursache des Müßigganges sei? Richtiger noch könnte man die Glied-
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maßen der Mensclien (Kopf, Hände und Füße) als die Ur- sache des Keichtums bezeichnen, man würde dadurch wenigstens der Wahrheit bedeutend näher gebracht; die Frage läge dann auf platter Hand: was es denn sei, wodurch diese Köpfe und diese Arme und Hände zur Produktion veran- laßt und wodurch diesen Anstrengungen Wirksamkeit gegeben werde? Was kann es anders sein als der Greist, der die Individuen belebt, als die gesellschaftliche Ordnung, welche ihre Tätigkeit befruchtet, als die Naturkräfte, deren Be- nützung ihnen zu Gebot stehen? Je mehr der Mensch ein- sieht, daß er für die Zukunft sorgen müsse, je mehr seine Einsichten und Gefühle ihn antreiben, die Zukunft der ihm zunächst Angehörigen sicher zu stellen und ihr Glück zu befördern, je mehr er von Jugend auf an Nachdenken und Tätigkeit gewöhnt worden ist, je mehr seine edlern Gefühle gepflegt und Körper und Geist gebildet worden sind, je schönere Beispiele ihm von Jugend auf vor Augen stehen, je mehr er Gelegenheit hat, seine geistigen und körperlichen Kräfte zum Behuf der Verbesserung seiner Lage zu ver- wenden, je weniger er in seiner legitimen Tätigkeit be- schränkt ist, je erfolgreicher seine Anstrengungen und je mehr ihm die Früchte derselben gesichert sind, je mehr er durch Ordnung und Tätigkeit sich öffentliche Anerkennung und Achtung zu verschaffen vermag, je weniger sein (206) Geist an Vorurteilen, an Aberglauben, an falschen Ansichten und an Unwissenheit leidet: desto mehr wird er Kopf und Gliedmaßen zum Behuf der Produktion anstellen, desto mehr wird er zu leisten vermögen, desto besser wird er mit den Früchten seiner Arbeit haushalten. In allen diesen Be- ziehungen hängt jedoch das meiste von den Zuständen der Gesellschaft ab, in welcher das Individuum sich gebildet hat und bewegt, davon, ob Wissenschaft und Künste blühen, ob die öffentlichen Institutionen und Gesetze Religiosität, Mo- ralität und Intelligenz, Sicherheit der Person und des Eigen-
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tums, Freiheit und Reclit produzieren, ob in der Nation alle Faktoren des materiellen Wohlstandes, Agrikultur, Manu- fakturen und Handel, gleichmäßig und harmonisch ausge- bildet sind, ob die Macht der Nation groß genug ist, um den Individuen den Fortschritt in Wohlstand und Bildung von Generation zu Generation zu sichern und sie zu be- fähigen, nicht nur ihre inneren Naturkräfte in ihrer ganzen Ausdehnung zu benutzen, sondern auch durch auswärtigen Handel und Kolonialbesitz die Naturkräfte fremder Länder sich dienstbar zu machen.
Adam Smith hat die Natur dieser Kräfte im ganzen so Avenig anerkannt, daß er nicht einmal der geistigen Arbeit derer, welche Recht und Ordnung handhaben, Unterricht und Religiosität, Wissenschaft und Kunst pflegen usw., Pro- duktivität zugesteht. Seine Forschungen beschränken sich auf diejenige menschliche Tätigkeit, wodurch materielle Werte hervorgebracht werden. In Beziehung auf diese er- kennt er zwar, daß ihre Produktivität von der Geschicklich- keit und Zweckmäßigkeit abhänge, womit sie in Anwendung gebracht werde, aber in seinen Forschungen nach den Ur- sachen dieser Geschicklichkeit und Zweckmäßigkeit geht er nicht weiter, als bis (207) zur Teilung der Arbeit, und diese erklärt er einzig aus dem Tausch, aus der Vermehrung der materiellen Kapitale und der Ausdehnung des Marktes. So- fort versinkt seine Lehre immer tiefer und tiefer in Materia- iismus, Partikularismus und Individualismus. Hätte er die Idee „produktive Kraft" verfolgt, ohne sich von der Idee „Wert, Tauschwert" beherrschen zu lassen, so hätte er zur Einsicht gelangen müssen, daß einer Theorie der Werte eine selbständige Theorie der produk- tiven Kräfte zur Seite stehen muß, um die ökonomischen Erscheinungen zu erklären. So aber geriet er auf den Ab- weg, die geistigen Kräfte aus den materiellen Verhältnissen zu erklären, und dadurch legte er den Grund zu all den
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Absurditäten und Widersprüchen, woran seine Schule, wie wir dartun werden, krank liegt bis auf den heutigen Tag, und denen es einzig zugeschrieben werden muß, daß die Lehren der politischen Ökonomie gerade den fähigsten Köpfen am wenigsten zugänglich sind. Daß die Smithsche Schule nichts anderes lehrt als die Theorie der Werte, erhellt nicht allein daraus, daß sie ihre Doktrin überall auf den Begriff von Tauschwert basiert, sondern auch aus der Definition, die sie von ihrer Lehre gibt. Sie sei, sagt z. B. Say, die- jenige Wissenschaft, welche lehre, wie die Reichtümer oder Tauschwerte produziert, verteilt und konsumiert werden. Offenbar ist dies nicht diejenige Wissenschaft, die da lehrt, wie die produktiven Kräfte geweckt und gepflegt und wie sie unterdrückt oder vernichtet werden. M"Culloch heißt sie ausdrücklich die AVissenschaft der Werte, und neuere englische Schriftsteller nennen sie eine Wissen- schaft des Tausches.
Den Unterschied zwischen der Theorie der (208) produk- tiven Kräfte und der Theorie der Werte werden Beispiele aus der Privatökonomie am besten erläutern.
Wenn von zwei Familienvätern, die zugleich Gutsbesitzer sind, jeder jährlich 1000 Tlr. erspart und jeder fünf Söhne besitzt, der eine aber seine Ersparnisse an Zinsen legt und seine Söhne zu harter Arbeit anhält, während der andere seine Ersparnisse dazu verwendet, zwei seiner Söhne zu rationellen Landwirten auszubilden, die drei übrigen aber je nach ihren besonderen Fähigkeiten Gewerbe erlernen zu lassen, so handelt jener nach der Theorie der Werte, dieser nach der Theorie der produktiven Kräfte. Bei seinem Tode mag jener an Tauschwerten weit reicher sein als dieser, anders aber verhält es sich mit den produktiven Kräften. Der Grundbesitz des einen wird in zwei Teile Jgeteilt werden, undj'eder Teil wird mit Hilfe einer verbesserten^ Wirtschaft soviel Reinertrag gewähren^wie^zuvor das Ganze, während
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die übrigen drei Söhne in ihren Geschicklichkeiten reiche Nahrungsquellen erworben haben. Der Grundbesitz des anderen wird in fünf Teile geteilt werden, und jeder Teil wird eben so schlecht bewirtschaftet werden wie früher das Ganze. In der einen Familie wird eine Masse verschieden- artiger Geisteskräfte und Talente geweckt und ausgebildet werden, die sich von Generation zu Generation vermehren; jede folgende Generation wird mehr Kraft besitzen, materiellen Reichtum zu erwerben, als die vorangegangenen, während in der anderen Familie die Dummheit und Armut mit der Verminderung der Anteile am Grundbesitz steigen muß. So vermehrt der Sklavenbesitzer durch die Sklavenzucht die Summe seiner Tauschwerte, aber er ruiniert die produktive Kraft künftiger Generationen. Aller Aufwand auf den Unter- richt der Jugend, auf die Pflegung des (209) Rechts, auf die Verteidigung der Nation usw. ist eine Zerstörung von Werten zugunsten der produktiven Kraft. Der größte Teil der Konsumtion einer Nation geht auf die Erziehung der künftigen Generation, auf die Pflege der künftigen National- produktivkraft.
Die christliche Religion, die Monogamie, die Abschaffung der Sklaverei und der lieibeigeuschaft, die Erblichkeit des Throns, die Erfindung der Buchstabenschrift, der Presse, der Post, des Geldes, des Gewichtes und Maßes, des Kalenders und der Uhren, die Sicherheitspolizei, die Einführung des freien Grundeigentums und die Transportmittel sind reiche Quellen der produktiven Kraft. Um sich davon zu über- zeugen, braucht man nur den Zustand der europäischen Staaten mit dem der asiatischen zu vergleichen. Um den Einfluß der Gedanken- und Gewissensfreiheit auf die produk- tiven Kräfte der Nationen kennen zu lernen, braucM ncaa nur die Geschichte von England und dann die von Spanien zu lesen. Die Öffentlichkeit der Rechtspflege, das Ge- schworenengericht, die parlamentarische Gesetzgebung, diQ
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öffeutliehe Kontrolle der Staatsverwaltung, die Selbstadmini- stration der Gemeinden und Korporationen, die Preßfreiheit, die Assoziationen zu gemeinnützigen Zwecken gewähren den Bürgern konstitutioneller Staaten wie der Staatsgewalt eine Summe von Energie und Kraft, die sich schwerlich durch andere Mittel erzeugen läßt. Kaum ist ein Gesetz oder eine ölTeutliche Einrichtung denkbar, wodurcli nicht auf die Ver- mehrung oder Verminderung der produktiven Kraft ein größerer oder geringerer Einfluß geübt würde.*)
(210) Bezeichnet man bloß die körperliche Arbeit als Ursache des Reichtums, wie läßt sich dann erklären, warum die neueren Nationen ohne Vergleichimg reicher, bevölkerter, mächtiger und glücklicher sind als die Nationen des Alter- tums? Bei den alten Völkern waren im Verhältnis zur ganzen Bevölkerung ungleich mehr Hände beschäftigt, die Arbeit war viel härter, jedes Individuum besaß viel mehr Grund und Boden, und doch waren die Massen viel schlechter genährt und gekleidet als bei den neueren. Um diese Er- scheinung zu erklären, müssen wir auf alle Fortschritte hinweisen, die^ im Laufe der verflossenen Jahrtausende in den Wissenschaften und Künsten, in den häuslichen und öffentlichen Einrichtungen, in der Geisfesbildung und in der Produktionsfähigkeit gemacht worden sind. Der jetzige Zustand der Nationen ist eine Folge der Anhäufung aller Entdeckungen, Erfindungen, Verbesserungen, Vervollkomm- nungen und Anstrengungen aller Generationen, die vor uns gelebt haben; sie bilden das geistige Kapital der lelienden Menschheit, und jede einzelne Nation ist nur produktiv in dem Verhältnis, in welchem sie diese Er-
*) Say sagt in seiner economie politique pratique, Vol. III. pag. 242: les lois ne peuvent pas creer des richesses. Freilich können sie dies nicht, aber sie schaffen produktive Kraft, die wichtiger ist als Reichtum, d. h. der Besitz von Tauschwerten.
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rungenschaft früherer Generationen in sich aufzunehmen und sie durch eigene Erwerbungen zu vermehren gewußt hat, und in welchem die Naturkräfte ihres Territoriums, die Aus- dehnung und geograpliische Lage desselben und ihre Volks- zahl und politische Macht sie befähigt, alle Nahruagszweige innerhalb ihrer Grenzen möglichst vollkommen und gleich- mäßig auszubilden und ihren moralischen, intellektuellen, industriellen (211) kommerziellen und politischen Einfluß auf andere minder vorgerückte Nationen und überhaupt auf die Angelegenheiten der Welt zu erstrecken.
Die Schule will uns glauben machon, die Politik und die politische Macht könne in der politischen Ökonomie nicht zur Berücksichtigung kommen. Insofern sie nur die Werte und den Tausch zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht, mag sie recht haben; man kann die Begriffe von Wert und Kapital, Profit, Arbeitslohn, Landrente festsetzen, sie in ihre Bestandteile auflösen, darüber spekulieren, was auf ihr Steigen und Fallen Einfluß haben könne usw., ohne dabei die politischen Yerhältnisse der Nation zu berücksichtigen. Offenbar gehören aber diese Materien ebensogut der Privat- ökoüomie als der Ökonomie ganzer Nationen an. Man braucht nur die Geschichte von Venedig, des hanseatischen Bundes, Portugals, Hollands und Englands nachzusehen, um zur Ein- sicht zu gelangen, in welcher Wechselwirkung der materielle Reichtum und die politische Macht stehen. Auch verfällt die Schule überall, wo dieses Wechselverhältnis zur Berück- sichtigung kommt, in die seltsamsten Widersprüche. Erinnern wir nur an das sonderbare Urteil Adam Smiths über die englische Navigationsakte.
Die Schule, indem sie nicht in die Natur der produk- tiven Kräfte eindringt, indem sie die Zustände der Nationen nicht in ihrer Totalität erfaßt, verkennt insbesondere den Wert einer gleichmäßigen Ausbildung des Ackerbaues, der Manufakturen und des Handels, der politischen Macht und
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des innern Reichtums, am meisten aber den Wert einer der Nation eigentümlich augehörigen, nach allen ihren Ver- zweigungen ausgebildeten Manufakturkraft. Sie begeht den Irrtum, (212) die JManufakturkraft mit der Agrikulturkraft in gleiche Kategorie zu stellen und von Arbeit, Naturkraft Kapital usw. im allgemeinen zu sprechen, ohne die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede zu berücksichtigen. Sie sieht nicht, daß zwischen dem bloßen Agrikulturstaat und dem Agrikulturmanufakturstaat ein noch weit größerer Unter- schied ist als zwischen dem Hirten- und dem Agrikultur- staat. Bei der bloßen Agrikultur besteht Willkür und Knechtschaft, Aberglauben und Unwissenheit, Mangel an Kultur-, Verkehr- und Transportmitteln, Armut und poli- tische Unmacht. Im bloßen Agrikulturstaat wird nur der geringste Teil der in der Nation liegenden geistigen und körperlichen Kräfte geweckt und zur Ausbildung gebracht, nur der geringste Teil der ihr zu Gebot stehenden Natur- kräfte und Naturfonds kann benutzt, keine oder nur wenige Kapitale können gesammelt werden. Man vergleiche Polen mit England: beide Nationen sind einst auf gleicher Stufe der Kultur gestanden, und jetzt — welcher Unterschied! Die Manufakturen und Fabriken sind die Mütter und die Kinder der bürgerlichen Freiheit, der Aufklärung, der Künste und Wissenschaften, des innern und äußern Handels, der Schiffahrt und der Transportverbesserungen, der Zivilisation und der politischen Macht. Sie sind ein Hauptmitte], den Ackerbau von seinen Fesseln zu befreien und ilin zu einem Gewerbe, zu einer Kunst, zu einer Wissenschaft zu erheben, die Landrente, die landwirtschaftlichen Profite und Arbeits- löhne zu vermehren und dem Grund und Boden Wert zu geben. Die Schule hat diese zivilisierende Kraft dem aus- wärtigen Handel zugeschrieben, damit aber den Vermittler mit dem Urheber verwechselt. Die fremden Manufakturen sind es, welche dem fremden Handel die (213) Waren ver-
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schaffen, die er uns zuführt, und welche Produkte und Rohstoffe konsumieren, die wir dafür an Zahlungsstatt geben, Übt aber schon der Verkehr mit weit entfernten Manufak- turen einen so wohltätigen Einfluß auf unsern Ackerbau, um wieviel größer muß der Einfluß derjenigen Manufak- turen sein, die mit uns örtlich, kommerziell und politisch verbunden sind, die uns nicht bloß einen geringen, sondern den größten Teil ihrer Bedürfnisse an Lebensmitteln und Rohstoffen abnehmen, deren Gewerbsprodukte uns nicht durch große Transportkosten verteuert werden, deren Ver- kehr mit uns nicht durch ander wärtige Gelegenheit der fremden Manufakturnationen sich ihre Bedürfnisse zu ver- schaffen, oder durch Kriege und Einfuhrverbote unterbrochen werden kann.
Sehen wir nun, in welche seltsame Irrtümer und "Wider- sprüche die Schule verfallen ist, indem sie den bloß mate- riellen Reichtum oder den Tauschwert zum Gegenstand ihrer Forschung machte und die bloß körperliche Arbeit als die produktive Kraft bezeichnete.
Wer Schweine erzieht, ist nach ihr ein produktives, wer Menschen erzieht, ein unproduktives Mitglied der Ge- sellschaft. Wer Dudelsäcke oder Maultrommeln zum Ver- kauf fertigt, produziert; die größten Virtuosen, da man das von ihnen Gespielte nicht zu Markte bringen kann, sind nicht produktiv. Der Arzt, welcher seine Patienten rettet, gehört nicht in die produktive Klasse, wohl aber der Apo- thekerjunge, obgleich die Tauschwerte oder die Pillen, die er produziert, nur wenige Minuten existieren mögen, bevor sie ins Wertlose übergehen. Ein Newton, ein Watt, ein Kepler sind nicht so produktiv als ein Esel, ein Pferd oder ein Pflugstier, welche Arbeiter in neuerer Zeit von Herrn M'Culloch in die (214) Reihe der produktiven Mitglieder der menschlichen Gesellschaft eingeführt worden sind.
Man glaube nicht, daß J. B. Say jenem Übelstand der
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Adam Smithschen Lehre durch seine Fiktion der imma- teriellen Grüter oder Produkte abgeholfen habe; er hat damit das Unsinnige ihrer Konsequenzen nur übertüncht, nicht aber sie aus ihrer materiellen Versunkenheit heraus- gehoben. Ihm sind die geistigen (immateriellen) Produzenten nur darum produktiv, weil sie in Tauschwerten belohnt werden und weil ihre Kenntnisse durch Aufopferungen von Tauschwerten erworben worden sind, nicht darum, weil s i e produktive Kräfte produzieren.*) Ihm sind sie nur aufgehäuftes Kapital. M'Culloch geht noch weiter; er sagt, der Mensch sei ebensogut ein Produkt der Arbeit wie die Maschine, die er fabriziere, und es scheine ihm, daß er in allen ökonomischen Forschungen aus diesem Ge- sichtspunkt betrachtet werden sollte. Smith, meint er, habe die Richtigkeit dieses Prinzips eingesehen, aber nur nicht die richtige Folgerung daraus gezogen. Er zieht unter andern daraus die Folgerung : Essen und Trinken seien pro- duktive Geschäfte. Thomas Cooper schätzt einen tüchtigen amerikanischen Rechtsgelehrten auf 3000 Dollars, also un- gefähr dreimal höher als einen tüchtigen Feldsklaven.
(215) Die angeführten Irrtümer und Widersprüche der Schule werden sich von dem Standpunkte der Theorie der produktiven Kräfte aus leicht berichtigen lassen. Allerdings sind die, welche Schweine groß ziehen, Dudel- säcke oder Pillen fabrizieren, produktiv, aber die Lehrer der Jugend und der Erwachsenen, die Virtuosen, die Arzte,
-*) Von der großen Anzahl derjenigen Stellen, worin J. B. Say diese Ansicht ausspricht, zitieren wir nur die neueste aus dem sechsten Band der economie politique pratique S. 307: „le lalent d'un avocat, d'un medecin qui a ete acquis au prix de quelque sacrifice et qui produit un revenu est une valeur capitale — non transmissible ä la verite, mais qui reside ncanmoins dans un Corps visible, celui de la personne qui le possede."
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die Richter und Administratoren sind es in einem noch viel höhern Grade. Jene produzieren Tauschwerte, diese produzieren produiitive Kräfte, der eine in- dem er die künftige Generation zur Produktion befähigt, der andere indem er Moralität und Religiosität bei der jetzigen Generation befördert, der dritte indem er auf die Veredlung und Erhebung des menschlichen Geistes wirkt, der vierte indem er die produktiven Kräfte seiner Patienten rettet, der fünfte indem er die Rechtssicherheit, der sechste indem er die öffentliche Ordnung produziert, der siebente indem er durch seine Kunst und den Genuß, den er dadurch ge- währt, zur Produktion von Tauschwerten reizt. In der Lehre von den Werten können allerdings diese Produ- zenten der Produktivkraft nur insofern in Betracht kommen, als sie für ihre Dienste in Tauschwerten belohnt werden, und diese Art und Weise, ihre Leistungen zu be- trachten, mag' in manchen Fällen ihren praktischen Nutzen haben, wie z. B. bei der Lehre von den öffentlichen Ab- gaben, insofern sie in Tauschwerten zu entrichten sind. Allein da, wo es sich von den internationalen oder den Ge- samtverhältnissen der Nation handelt, ist dieselbe unzu- reichend, führt sie zu einer Reihe beschränkter und falscher Ansichten.
Die Prosperität einer Nation ist nicht, wie Say glaubt, um so größer, je mehr sie Reichtümer, d. h. Tausch- werte aufgehäuft, sondern je mehr sie (216) ihre produktiven Kräfte entwickelt hat. Wenn auch Gesetze und öffentliche Institutionen nicht unmittelbare Werte produzieren, so produzieren sie doch produktive Kraft, und Say ist im Irrtum, wenn er behauptet, daß man die Völker unter allen Reglern ngs formen habe reich werden sehen und daß man durch Gesetze keine Reichtümer schaffen könne.
Der auswärtige Handel der Nation darf nicht wie der
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des einzelnen Kaufmanns einzig und allein nach der Theorie der Werte, d. h. mit alleiniger Rücksicht auf den augen- blicklichen Gewinn materieller Güter beurteilt werden; die Nation muß dabei alle jene Verhältnisse ins Auge fassen, wodurch ihre jetzige und künftige Existenz, Prosperität und Macht bedingt sind.
Die Nation muß materielle Güter aufopfern und ent- behren, um geistige oder gesellschaftliche Kräfte zu er- werben, sie muß gegenwärtige Vorteile aufopfern, um sich zukünftige zu sichern. Wenn nun eine nach allen Zweigen ausgebildete Manufakturkraft Grundbedingung alles höheren Aufschwungs der Zivilisation, der materiellen Prosperität und der politischen Macht jeder Nation ist, wie wir glauben geschichtlich dargelan zu haben ; wenn es wahr ist, wie wir glauben beweisen zu können, daß unter den gegenwärtigen Welt- verhältnissen eine junge unbeschützte Manufakturkraft un- möglich aufkommen kann bei freier Konkurrenz mit einer längst erstarkten, auf ihrem eigenen Territorium beschützten : wie will man dann unternehmen, mit Argumenten, die bloß der Theorie der Werte entnommen sind, beweisen zu wollen, daß eine Nation ebensogut wie der einzelne Kaufmann ihre Waren da kaufen müsse, wo sie am wohlfeilsten zu haben seien? daß man töricht handle, etwas selbst zu fabri- zieren, was man wohlfeiler im (217) Ausland haben könne? daß man die Industrie der Nation der Sorgfalt der Indivi- duen anheimstellen müsse? daß Schutzzölle Monopole seien, w-elche den gewerbtreibenden Individuen auf Kosten der Nation erteilt würden?
Es ist wahr, daß die Schutzzölle im Anfang die Manu- fakturwaren verteuern; aber es ist ebenso wahr, und sogar von der Schule zugestanden, daß sie im Laufe der Zeit bei einer zur Aufbringung einer vollständigen Manufakturkraft befähigten Nation wohlfeiler im Inland fabriziert, als von außen eingeführt werden können. Wird daher durch die
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Schutzzölle ein Opfer can Werten gebracht, so wird das- selbe durch die Erwerbung einer Produktivkraft ver- gütet, die der Nation nicht allein für die Zukunft eine un- endlich größere Summe von materiellen Gütern, sondern auch industrielle Independenz für den Fall des Krieges sichert. Durch die industrielle Independenz und die daraus erwachsende innere Prosperität erwirbt die Nation die Mittel zum auswärtigen Handel, zur Erweiterung ihrer Schiffahrt, vermehrt sie ihre Zivilisation, vervollkommnet sie ihre In- stitutionen im Innern, stärkt sich ihre Macht nach außen.
So handelt eine zur Emporbringung einer Manufaktur- kraft berufene Nation, indem sie das Schutzsystem ergreift, ganz im Greist jenes Grüterbesitzers, der mit Aufopferung von materiellen Werten einen Teil seiner Kinder ein pro- duktives Gewerbe erlernen läßt.
Auf welche Abwege die Schule geraten ist, indem sie Verhältnisse, die hauptsächlich nach der Theorie der pro- duktiven Kräfte zu beurteilen sind, nach der Theorie der Werte beurteilte, läßt sieh am klarsten durch das Urteil nachweisen, daß J. B. Say über die Prämien fällt, welche fremde Nationen aussetzen, um ihre Ausfuhr zu (218) be- fördern; er behauptet: „es seien dies Geschenke, die unserer Nation gemacht würden". Gesetzt nun, Frankreich erachte einen Schutzzoll von 25 Prozent für seine noch nicht ganz erstarkten Fabriken als zureichend, England aber gewähre eine Ausfuhrprämie von 30 Prozent: was würde die Folge des Geschenkes sein, welches auf diese Weise die Engländer den Franzosen machten? Die französischen Konsumenten würden einige Jahre lang ihre Bedürfnisse an Fabrikaten viel wohlfeiler beziehen als früher, aber die französischen Fabriken würden ruiniert und Milli- onen Menschen an den Bettelstab gebracht oder genötigt, auszuwandern oder sich auf den Ackerbau zu w^erfen. Im günstigsten Fall würden die bisherigen Konsumenten der
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französischen Agrikulturisten in Konkurrenten derselben verwandelt, die Produktion im Ackerbau würde gesteigert und die Konsumtion vermindert. Die notwendige Folge hiervon wäre : Wertlosigkeit der Produkte, Fallen des Güter- werts, Nationalarmut und Nationalschw^äche in Frankreich. Das englische Geschenk an Werten würde teuer in Kräften bezahlt; es erschiene als ein Präsent, wie es der Sultan seinen Paschas zu machen pflegt, indem er ihnen wertvolle seidene Schnüre überschickt.
Seitdem die Trojaner von den Griechen ein hölzernes Pferd geschenkt bekommen haben, ist es für die Nation eine bedenkliche Sache geworden, von andern Nationen Präsente anzunehmen. Geschenke von ungeheurem Wert haben die Engländer dem Kontinent in der Form von Subsidien ge- macht, aber die Kontinentalnationen haben dieselben an Kraftverlust teuer bezahlt. Die Subsidien wirkten wie eine Ausfuhrprämie zugunsten der englischen und zum Nachteil der deutschen Fabriken. Wollte heute England sich ver- bindlich machen, den (219) Deutschen jahrelang alle ihre Bedürfnisse an Manufakturwaren umsonst zu liefern, wir könnten nicht dazu raten, ein solches Offert anzunehmen. Wenn die Engländer durch neue Erfindungen in den Stand gesetzt werden, die Leinwand um 40 Prozent wohlfeiler zu fabrizieren als die Deutschen bei der alten Verfahrungs- weise und wenn sie in der neuen Verfahrungs weise nur einen Vorsprung von wenigen Jahren vor den Deutschen gewinnen, so geht ohne Schutzzoll einer der Avichtigsten und ältesten Manufakturzweige Deutschlands zugrunde — es ist, als fiele ein Glied von dem Körper der deutschen Nation. Wer aber möchte über den Verlust eines Armes sich damit trösten, er habe doch seine Hemden um 40 Pro- zent wohlfeiler eingekauft?
Gar oft kommen die Engländer in den Fall, fremden Nationen Geschenke anzubieten, gar verschieden sind die
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Formen, in welchen es geschieht, nicht selten schenken sie wider Willen; immer bleibt es für fremde Nationen zu be- denken, ob das Geschenk annehmbar sei. Durch ihre Stellung als Weltmann faktur- imd Handelsmonopolisten ge- raten ihre Fabriken von Zeit zu Zeit in jenen Zustand, den sie glut nennen, und welcher entsteht aus dem, was sie overtrading heißen. Dann wirft jeder seinen Vorrat an Waren auf die Dampfboote. Nach Verfluß von acht Tagen werden sie in Hamburg, Berlin und Frankfurt, nach drei Wochen in Newyork zu 50 Prozent unter dem wahren Wert angeboten. Die englischen Fabrikanten leiden für den Augenblick, aber sie sind gerettet und entschädigen sich später durch bessere Preise. Die deutschen und amerika- nischen Fabrikanten erhalten die von den englischen ver- schuldeten Schläge — sie werden ruiniert. Die englische Nation sieht nur das Feuer, hört nur den Knall (220) der Explosion, die Trümmer fallen in andern Ländern nieder, und wenn sich ihre Bewohner über blutige Köpfe beklagen, so sagen die Zwischenhändler, die Konjunkturen hätten es getan. Wenn man bedenkt, wie oft durch solche Konjunk- turen die ganze Manufakturkraft, das Kreditsystem, ja der Ackerbau und überhaupt die ganze Ökonomie der mit Eng- land in freier Konkurrenz stehenden Nationen in ihrer Basis erschüttert wird und daß diese Nationen späterhin durch höhere Preise die englischen Fabrikanten wieder reichlich entschädigen müssen — sollte man dann nicht zweifelhaft werden, daß die Handelsverhältnisse der Nationen nach der Theorie der Werte und nach kosmopolitischen Grundsätzen zu regulieren seien'? Die Schule hat nicht für gut gefunden, die Ursachen und Wirkungen solcher Handels- krisen zu beleuchten.
Die großen Staatsmänner aller neueren Nationen fast ohne Ausnahme haben den großen Einfluß der Manufakturen und Fabriken auf den Reichtum, die Zivilisation und die
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Macht der Nationen und die Notwendigkeit der Beschütziing derselben eingesehen: Eduard III. wie Elisabeth, Friedrich der Große wie Joseph II., Washington wie Napoleon. Ohne in die Tiefen der Theorie einzudringen, hat ihr geistiger Blick die Natur der Gewerbe in ihrer Totalität aufgefaßt und sie richtig gewürdigt. Der Schule der Physiokraten war es vorbehalten, diese Natur infolge eines sophistischen Raisonnements aus einem andern Gesichtspunkt zu betrachten. Ihr Luftgebäude ist verschwunden, die neuere Schule selbst hat es zerstört, aber auch sie hat sich nicht von den ur- sprünglichen Irrtümern losgewunden, sondern sich nur weiter davon entfernt. Da sie die Verschiedenheit zwischen produktiver Kraft und (221) Tauschwert nicht kannte und die erstere nicht unabhängig von dem letztern erforschte, sondern sie ihrer Tauschwertstheorie unterordnete, war es ihr unmöglich, zur Einsicht zu kommen, wie sehr die Natur der Agrikulturproduktivkraft von der Natur der Manufaktur- produktivkraft sich unterscheide. Sie sieht nicht, daß durch das Aufkommen einer Manufakturkraft im Agrikulturstaat eine Masse von Geistes- und Körperkräften, von Natur- kräften und Naturfonds und von Instrumentalkräften (von der Schule Kapital genannt) in Anwendung und zur Be- nützung kommt, die bisher gar nicht in Aktivität gewesen ist und ohne das Aufkommen einer Innern Manufakturkraft nie zur Aktivität gekommen wäre; sie stellt sich vor, als müßten diese Kräfte bei Pflanzung einer Manufakturkraft der _ Agrikultur entnommen und auf die Manufakturkraft übertragen werden, während letztere doch zum großen Teil eine ganz neue Kraft ist, die, weit entfernt, auf Kosten der Agrikulturkraft erworben zu werden, dieser erst zu höherem Aufschwung verhilft.
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(222) Dreizehntes Kapitel.
Die nationale Teilnng- der Geschäftsoperationen nnd die Konföderation der ISationalproduktivkräfte.
Ihrem berühmten Stifter vertlaakt die Schule die Ent- deckung jenes Naturgesetzes, das sie Teilung der Arbeit nennt, doch hat weder Adam Smith noch einer seiner Nach- folger das Wesen desselben gründlich erforscht und bis in seine wichtigsten Konsequenzen verfolgt.
Schon der Ausdruck „Teilung der Arbeit" ist ein unzureichender und muß notwendig einen falschen oder doch unzureichenden Begriff erzeugen.
Es ist Teilung der Arbeit, wenn ein Wilder an einem und demselben Tage auf die Jagd oder den Fisch- fang geht, Holz fällt, seinen Wigwam ausbessert und Ge- schosse, Netze und Kleider verfertigt; es ist aber auch Teilung der Arbeit, wenn, wie Adam Smith beispiels- weise anführt, zehn verschiedene Personen in die ver- schiedenen bei der Fabrikation einer Nadel vorkommenden Geschäfte sich teilen. Jene ist eine objektive, diese eine subjektive Teilung der Arbeit; jene ist der Produktion hinderlich, diese ist ihr förderlich. Der (223) wesentliche Unterschied zwischen beiden liegt darin, daß dort eine Person ihre Arbeit teilt, um verschiedenartige Gegen- stände zu j)roduzieren, während hier mehrere Personen in die Produktion eines einzigen Gegenstandes sich teilen.
Beide Operationen können hinwiederum mit gleichem Recht eine Vereinigung der Arbeit genannt werden: der Wilde vereinigt verschiedene Arbeiten in seiner Person, bei der Nadelfabrikation vereinigen sich verschiedene Per- sonen zu einer gemeinschaftlichen Produktion.
Das Wesen des Naturgesetzes, aus welchem die Schule
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so wichtige Ersclieinungen in der Gesellscliaftsokonomie er- klärt, ist offenbar nicht bloß eine Teilung der Arbeit, sondern eine Teilung verschiedener Geschäfts- operationen unter mehreren Individuen, zugleich aber auch eine Konföderation oder Vereinigung verschiedenartigerTätigkeiten, Einsichten und Kräfte zum Behuf einer gemeinschaftlichen Produktion. Der Grund der Produktivität dieser Ope- rationen liegt nicht bloß in jener Teilung, er liegt wesent- lich in dieser Vereinigung. Adam Smith selbst fühlt dies wohl, wenn er sagt: „die Lebensnotwendigkeiten der niedrigsten Gesellschaftsglieder seien ein Produkt der ver- einigten Arbeit (Joint labour) und des Zusammenwirkens (Cooperation) eine Menge von Individuen." Wie schade, daß er die so klar ausgesprochene Idee der gesellschaft- lichen Arbeit nicht verfolgte!
Bleiben Avir bei dem von Adam Smith zu Verdeut- lichung der Vorteile der Arbeitsteilung angeführten Beispiel einer Nadelfabrik stehen und suchen wir (224) die Ur- sachen der Erscheinung, daß zehn Personen, in der Fabrik vereinigt, eine ungleich größere Anzahl Nadeln fabrizieren können, als wenn jeder einzelne für sich die Nadelfabrikation betriebe, auf den Grund zu kommen, so finden wir, daß die Teilung der Geschäftsoperationen, ohne Vereinigung der produktiven Kräfte zu einem gemeinschaft- lichen Zweck, diese Produktion nur wenig fördern könnte. Damit ein solches Resultat zustande komme, müssen die verschiedenen Individuen auch geistig und körperlich vereinigt sein und zusammenwirken. Der, welcher die Köpfe der Nadeln macht, muß der Arbeit dessen gewiß sein, der die Spitzen macht, wenn er nicht Gefahr laufen soll, umsonst Nadelköpfe zu fabrizieren. Die Arbeitsleistungen aller müssen in richtigem Verhältnis zueinander stehen, die Arbeiter müssen möglichst nahe beisammen wohnen,
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ihr Zusammenwirken muß verbürgt sein. Nehmen wir z. B. an, jeder von diesen zehn Arbeitern wohne in einem andern Lande: wie oft würde ihr Zusammenwirken durch Kriege, Transportstörungen, Handelskrisen usw. unterbrochen ! Wie sehr würde das Produkt verteuert, folglich der Vorteil der Operationsteilung vermindert! Und würden nicht durch die Ausscheidung oder Abtrennung eines einzigen aus dem Ver- eine alle außer Tätigkeit gesetzt?.
Die Schule, indem sie die Operationsteilung allein als das Wesentliche dieses Naturgesetzes bezeichnete, hat den Fehler begangen, es bloß auf die einzelne Fabrik oder Land- wirtschaft anzuwenden; sie hat nicht gesehen, daß das nämliche Gesetz- seine Wirksamkeit auf die gesamte Manufaktur- und Agrikulturkraft, auf die ganze Ökonomie der Nation überhaupt erstreckt.
(225) Wie die Nadelfabrik nur durch die Konföderation der produktiven Kraft der Individuen, so gedeiht jede Gattung von Fabriken nur durch die Konföderation ihrer produktiven Kräfte mit denen aller übrigen Fabrikgattungen. Zum Gedeihen einer Maschinenfabrik z. B. wird erfordert, daß die Bergwerke und die Metallfabriken ihr die erforder- lichen Materialien liefern und daß ihr alle die hundert Gattungen von Fabriken, welche Maschinen bedürfen, ihre Produkte abnehmen. Ohne Maschinenfabriken würde eine Nation zur Zeit eines Krieges in Gefahr geraten, den größten Teil ihrer Manufakturkraft zu verlieren.
Ebenso gedeiht die ganze Gewerbsindustrie, gegenüber der gesamten Landwirtschaft und die letztere der ersteren gegenüber, um so mehr, je näher sie einander stehen, je weniger sie in ihrer Wechselwirkung aufeinander unter- brochen werden können. Die Vorteile ihrer Konföderation unter einer und derselben politischen Gewalt sind zur Zeit der Kriege, der Nationaldifferenzen, der Handelskrisen, des Miß Wachses usw. nicht minder einleuchtend als die Vor- List, Nationalölionomie, 16
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teile der Vereinigung der zu einer Nadelfabrik gehörigen Personen unter einem und demselben Dach.
Smith behauptet, die Teilung der Arbeit sei bei der Landwirtschaft weniger in Anwendung zu bringen als bei den Fabriken; Smith hat bloß die einzelne Fabrik und das einzelne Landgut im Auge gehabt. Unterlassen hat er aber, sein Prinzip auf ganze Gegenden und Provinzen auszu- dehnen. Nirgends ist die. Teilung der Geschäftsoperationen und die Konföderation der produktiven Kräfte von größerem Einfluß als da, wo jede Gegend und jede Provinz sich in den Stand (226) gesetzt sieht, ausschließlich oder doch vor- zugsweise, denjenigen Agrikulturproduktionszweigen sich zu widmen, für welche sie von der Natur- am meisten be- günstigt ist. In der einen Gegend gedeiht vorzüglich Ge- treide und Hopfen, in der andern Wein und Obst, in der dritten Holz und Viehzucht usw. Wenn jede Gegend sich allen diesen Produktionszweigen widmet, so ist klar, daß ihre Arbeit und ihr Grund und Boden bei weitem nicht so produktiv sein kann, als wenn sich jede einzelne vorzugs- weise denjenigen Produktionszweigen widmet, in w^elchen sie besonders von der Natur begünstigt ist, und ihren tJber- fluß an den ihr eigentümlichen Produkten gegen den Über- fluß solcher Provinzen austauscht, die in der Produktion anderer Lebensbedürfnisse und Rohstoffe gleichfalls einen ihnen eigentümlichen Naturvorteil besitzen. Diese Teilung der Geschäftsoperation, diese Konföderation der in der Land- wirtschaft beschäftigten produktiven Kräfte kann nur in einem in allen Zweigen der Fabrikindustrie zur höchsten Ausbildung gelangten Lande stattfinden; denn nur in einem solchen Lande besteht eine große Nachfrage nach den ver- schiedensten Produkten, ist die Nachfrage nach dem Über- schuß der landwirtschaftlichen Produktion so sicher und so bedeutend, daß der Produzent gewiß sein darf, heuer oder doch nächstes Jahr jede (Quantität seiner Surplusprodukte
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zu angemessenen Preisen abzusetzen ; nur in einem solchen Lande können bedeutende Kapitalien der Spekulation mit den Landesprodukten und der Aufspeicherung derselben ge- widmet, können großartige Transportverbesserungeu , wie Kanäle und Eisenbahnsysteme, Dampfbootlinien, vervoll- kommnete Chausseen, mit Nutzen zur Ausführung gebracht werden, und nur bei einem vervollkommneten Transport- system vermag jede (227) Gegend oder Provinz die Über- schüsse an den ihr eigentümlichen Produkten allen andern, selbst den entferntesten Provinzen mitzuteilen und dagegen die jenen eigentümlichen Produktenüberschüsse herbeizu- schaffen. Wo jeder selbst erzeugt, was er braucht, da ist wenig Gelegenheit zum Tausch, also kein Bedürfnis kost- spieliger Transporterleichterungen.
Man bemerke, wie die Yermehrung der produktiven Kräfte infolge der Trennung der Geschäfte und der Kon- föderation der individuellen Kräfte bei der einzelnen Fabrik anfängt und bis zum Nationalverband emporsteigt: die Fabrik gedeiht um so mehr, je mehr die Geschäftsoperationen geteilt, je inniger die Arbeiter vereinigt sind und je mehr die Mitwirkung jedes einzelnen dem Ganzen gesichert ist. Die produktive Kraft jeder einzelnen Fabrik ist um so größer, je mehr die ganze Fabrikationskraft des Landes nach allen ihren Verzweigungen ausgebildet und je inniger sie mit allen übrigen Gewerbszweigen vereinigt ist. Die land- wirtschaftliche Produktivkraft ist um so größer, je inniger eine nach allen Zweigen ausgebildete Fabrikkraft mit der Landwirtschaft örtlich, kommerziell und politisch vereinigt ist. Im Verhältnis dieser Ausbildung der Fabrikkraft wird auch die Teilung der Geschäftsoperationen und die Kon- föderation der produktiven Kräfte sich in der Landwirt- schaft entwickeln und sie auf den höchsten Grad der Ver- vollkommnung erheben. Diejenige Nation wird also die meiste Produktivkraft besitzen, folglich die reichste sein,
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welche die Fabrikaüonskräfte nach allen Verzweigungen innerhalb ihres Territoriums zur höchsten Yollkomraenheit ausgebildet hat und deren Territorium und landwirtschaft- liche Produktion groß genug ist, um ihre Fabrikbevölkerung mit dem größten Teil (228) der ihr erforderlichen Lebens- mittel und EohstofTe zu versehen.
Betrachten wir nun auch die Kehrseite dieses Argu- ments: eine Nation, die nur Landwirtschaft und nur die allernotdürftigsten Gewerbe besitzt, ermangelt der ersten und bedeutendsten Teilung der Geschäftsoperationen unter ihren Bewohnern und der wichtigsten Hälfte ihrer produk- tiven Kräfte; ja, sie ermangelt sogar einer nützlichen Teilung der Geschäftsoperationen in den einzelnen Zweigen der Landwirtschaft. Eine so unvollkommene Nation wird nicht bloß um die Hälfte weniger produktiv sein als eine voll- kommene Nation, bei gleich großem und viel größerem Territorium, bei gleich großer und viel größerer Volkszahl wird ihre Produktivkraft vielleicht kaum den fünften, viel- leicht kaum den zehnten Teil derjenigen materiellen Reich- tümer schaffen können, die eine vollkommene Nation zu schaffen vermag, und zwar aus demselben Grund, aus welchem in einer sehr komplizierten Fabrik zehn Personen nicht bloß zehnmal, sondern vielleicht dreißigmal mehr als eine produzieren, aus demselben Grund, weswegen ein Mann mit einem Arm nicht bloß die Hälfte, sondern un- endlich weniger arbeiten kann, als ein Mann mit zwei Armen. Dieser Verlust an Produktivkraft wird um so größer sein, je mehr die Fabrikarbeit durch Maschinen ge- fördert werden kann und je weniger die Maschinen bei der Agrikultur in Anwendung zu bringen sind. Ein Teil der produktiven Kraft, welche so der Agrikulturnation verloren geht, wird derjenigen Nation zuwachsen, welche ihre Fabri- kate gegen Agrikulturprodukte liefert. Ein positiver Ver- lust aber wird dies nur alsdann sein, wenn die Agrikultur-
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nation bereits die zur Pflanzuug einer Manufakturkraft er- forderliche (229) Stufe der Zivilisation und der politischen Entwicklung erreicht hat. Ist von ihr diese Stufe noch nicht erreicht, lebt sie noch im barbarischen oder halb zivilisierten Zustand, hat sich ihre landwirtschaftliche Pro- duktionskraft noch nicht einmal aus dem Rohesten ent- wickelt, kann die Einfuhr fremder Fabrikate und die Ausfuhr roher Produkte ihren Wohlstand immer noch von Jahr zu Jahr bedeutend vermehren und ihre geistigen und gesell- schaftlichen Kräfte überhaupt wecken und entwickeln, wird dieser Verkehr nicht durch fremde Verbote der Einfuhr roher Produkte oder durch Kriege unterbrochen oder ist das Territorium der Agrikulturnation in der heißen Zone gelegen, dann wird der Gewinn von beiden Seiten gleich groß und naturgemäß sein, weil unter dem Einfluß eines solclien Tausches der einheimischen Produkte gegen fremde Fabrikate eine solche Nation unendlich schneller und sicherer der Zivilisation und der Entwicklung ihrer produktiven Kräfte überhaupt entgegengeführt wird, als wenn sie sich ganz aus sich selbst zu entwickeln hätte. Hat aber die Agrikulturnation den Kulminationspunkt ihrer landwirt- schaftlichen Entwicklung, soweit derselbe durch den Ein- fluß des auswärtigen Handels zu erreichen ist, bereits er- stiegen oder weigert sich die Fabriknation, die Produkte der Agrikulturnation gegen ihre Fabrikate an Zahlungsstatt zu nehmen, und können dennoch, wegen glücklicher Kon- kurrenz der Fabrikation auf den Märkten der Agrikultnr- nation, keine Fabriken bei letzterer aufkommen, so gerät die Agrikulturproduktivkraft der Agrikulturnation in Gefahr zu verkrüppeln.
Eine verkrüppelte Agrikultur aber heißen wir denjenigen Zustand, in welchem aus Mangel einer tüchtigen oder allmählich sich entwickelnden (230) Älanufakturkraft aller Bevölkerungszuwachs sich auf die Landwirtschaft
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wirft, die landwirtschaftlichen Surplusprodukte aufzehrt und, sobald er erwachsen ist, entweder auswandert oder mit den bereits existierenden Landwirten in den vorhandenen Grund und Boden sich teilt, bis der Besitz jeder Familie so klein geworden ist, daß sie nur noch das Notdürftigste ihres eigenen Bedarfs an Lebensmitteln und Rohstoffen, aber keinen bedeutenden Überschuß produziert, welchen sie an die Manufakturisten gegen die ihr erforderlichen Fabrik- produkte vertauschen könnte. Bei normaler Entwicklung der produktiven Kräfte sollte der größere Teil der Be- völkerungsvermehrung einer Agrikulturnation, sobald die- selbe einen gewissen Grad von Ausbildung erreicht hat, in die Fabriken übergehen, und der Überschuß der landwirt- schaftlichen Produkte sollte einesteils dazu dienen, der Fabrikbevölkerung Subsistenzmittel und Rohstoffe zu liefern, andernteils dazu, den Landwirten, die zu ihrer Konsumtion und zur Vermehrung ihrer Produktion erforderlichen Fabri- kate, Maschinen und Gerätschaften zu verschaffen.
Ist dieses Verhältnis zu gehöriger Zeit eingetreten, so werden sich landwirtschaftliche und gewerbliche Produktiv- kraft wechselseitig heben und zwar in infinitum; die Nach- frage nach landwirtschaftlichen Produkten von seite der Gewerbsbevölkerung wird so bedeutend sein, daß in der Landwirtschaft keine größere Zahl von Arbeitern auf- kommen und keine größere Teilung des vorhandenen Grundes und Bodens vor sich gehen kann, als eben nötig ist, um ein höchst mögliches Surplusprodukt zu erzielen. Nach Maßgabe dieses Surplusproduktes wird die in der Landwirt- schaft beschäftigte Bevölkerung sich in den Stand gesetzt sehen, die Produkte der (231) Fabrikarbeiter zu konsumieren. Eine fortwachsende V^ermehrung des landwirtscliaftlichen Surplusprodukts wird eine fortwachsende Vermehrung der Nachfrage nach Fabrikarbeitern zur Folge haben. Der Überschuß der landwirtschaftlichen Bevölkerung wird also
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fortwährend in den Fabriken Unterkunft finden, und die Fabrikbevölkeruug wird am Ende die landwirtschaftliche Bevölkerung an Zahl nicht nur erreichen, sondern weit übersteigen. Dies ist der Zustand von Eagland, jenes der Zustand eines Teils von Frankreich und Deutschland. Eng- land ward hauptsächlich durch die Schäfereien und die "Wollfabriken, worauf man sich dort im großen viel früher als in andern Ländern verlegte, zu dieser naturgemäßen Teilung der Greschäftsoperation unter den beiden Haupt- zweigen der Industrie geführt. In andern Ländern ver- krüppelte die Agrikultur hauptsächlich unter dem Einfluß der Feudalherrschaft und des Faustrechts. Der Besitz von Grund und Boden gab nur Ansehn und Macht, insofern dadurch eine gewisse Zahl von Hintersassen, die der Leib- herr zu seinen Fehden gebrauchte, unterhalten werden konnte. Je mehr Hintersassen, desto mehr Streiter. Ohne- hin war es bei der Roheit des Zeitalters dem Grundherrn unmöglich, seine Rente auf andere Weise als durch Haltung einer großen Zahl von Dienstleuten zu verzehren, und diese konnte er nicht besser besolden und an seine Person ketten, als indem er ihnen ein Stück Land zum Bebauen gab, unter der Bedingung persönlicher Dienstleistung und einer ge- ringen Naturalabgabe. So ward der Grund zu übermäßiger Teilung des Bodens auf künstliche Weise gelegt, und wenn jetzt die Staatsgewalt diesen Zustand durch künstliche Mittel wieder abzuändern sucht, so stellt sie nur die Natur der Dinge wieder her.
(232) Der fortwährenden Verkrüppelung der Agrikultur- kraft einer Nation Einhalt zu tun und derselben, insoweit sie durch frühere Institutionen herbeigeführt worden ist, allmählich abzuhelfen, gibt es, außer der Beförderung der Auswanderung, kein anderes Mittel als die Pflanzung einer Innern Manufakturkraft, wodurch allmählich der Zuwachs der Bevölkerung in diese herübergezogen und größere Nach-
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frage nach Ackerprodukteu erzeugt, folglich der Betrieb größerer Landwirtschaften gewinnreicher gemacht und der Landwirt veranlaßt und ermuntert wird, seinem Grund und Boden ein möglichst großes Surplusprodukt abzugewinnen.
Die Produktivkraft des Landwirts und des Arbeiters im Ackerbau wird immer mehr oder weniger groß sein, je nachdem der Tausch der landwirtscliaftlichen Produkte gegen Fabrikate und Produkte verschiedener Art mehr oder weniger leicht vonstatten geht. Daß in dieser Beziehung der auswärtige Handel einer wenig vorgerückten Nation höchst förderlich sein kann, haben wir in einem andern Kapitel durch das Beispiel Englands nachgewiesen. Aber eine in der Zivilisation, in Kapitalbesitz und Bevölkerung schon ziemlich w^eit vorgerückte Nation wird die Eat- wickluDg einer ihr selbst angehörigen Manufakturkraft für ihren Ackerbau unendlich vorteihafter finden als den blühend- sten fremden Handel ohne Manufakturen, weil sie dadurch sich gegen alle Fluktuationen sicherstellt, die der Krieg oder fremde Handelsbeschränkungen und Handelskrisen ihr verursachen, weil sie den größten Teil der mit der Versen- dung der Produkte und dem Bezug der Fabrikate verbun- denen Transportkosten und Handelsgewinste erspart, weil sie aus den von der Fabrikindustrie ins Leben gerufenen Transportverbesserungen den größten (233) Vorteil zieht, indem dadurch eine Masse von persönlichen und natürlichen, bisher müßig gelegenen Kräften entwickelt wird, und weil übej-haupt die Wechselwirkung zw^ischen Manu- fakturkraft und Agrikulturkraft um so grüßer ist, je näher der Landwirt und Manufakturist e i n a n d e r s t e h e n und j e w e n i g e r s i e i m A u s t a u s c h ihrer verschiedenartigen Produkte durch Zu- fälle aller Art gestört werden können.
In meinen Briefen an Herrn Charles J. Ingersoll, Prä- sidenten der Gesellschaft für Beförderung von Künsten und
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Gewerben in Philadelphia, vom Jahr 1828 (Outlines of a new System of political economy) suchte ich die Vorteile einer Vereinigung der Manufakturkraft mit der Agrikultur in einem und demselben Lande und unter einer und derselben poli- tischen Gewalt auf folgende Weise klar zu machen : „Gesetzt, ihr verständet die Kunst nicht, das Getreide zu mahlen, was sicherlich seinerzeit eine große Kunst gewesen ist; gesetzt ferner, die Kunst des Brodbackens wäre euch verborgen ge- blieben, wie nach Anderson die echte Kunst des Hering- salzens den Briten noch im 17. Jahrhundert unbekannt war; gesetzt also, ihr müßtet euer Getreide nach England schicken, um es dort zu Mehl vermählen und zu Brot verbacken zu lassen: wieviel von diesem Getreide würden die Engländer als Lohn für das Mahlen und Backen in Händen behalten? Wieviel davon verzehren würden die Fuhrleute, die See- fahrer, die Kaufleute, die damit beschäftigt wären, das Ge- treide zu exportieren und das Brot zu importieren? Wieviel käme wieder in die Hände derjenigen zurück, die es ge- pflanzt haben ? Es ist keine Frage, daß der auswärtige Handel dabei viel zu tun (234) hätte, aber sehr zweifelhaft, ob dieser Verkehr der Wohlfahrt und Independenz der Natur be- sonders zuträglich wäre. Bedenket nur, welches im Fall eines zwischen diesem Lande (Nordamerika) und Groß- britannien ausbrechenden Krieges die Lage derer wäre, welche Getreide für die englischen Mühlen und Bäckereien produ- zierten, und dann die Lage derer, die an den Genuß des englischen Brotes gewöhnt wären. Wie aber die ökono- mische Wohlfahrt des Getreidepflanzers fordert, daß der Ge- treidemüller in seiner Nähe wohne, so fordert die Wohlfahrt des Landwirts überhaupt, daß der Manufakturist neben ihm wohne, so fordert die Wohlfahrt des flachen Landes, daß sich eine wohlhabende und gewerbfleißige Stadt in ihrer Mitte befinde, so fordert die Wohlfahrt der ganzen Agri-
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kultur eiaes Landes, daß die eigene Manufakturkraft des- selben höchstmöglichst ausgebildet sei."
Vergleichen wir den Zustand der Landwirtschaft in der Nähe einer volkreichen Stadt mit dem Zustand derselben in entfernten Provinzen. Hier kann der Landwirt zum Ver- kauf nur diejenigen Produkte pflanzen, die einen weiten Transport austragen und welche nicht von näher gelegenen Gegenden zu wohlfeileren Preisen und in besserer Qualität geliefert werden können. Ein großer Teil seines Erlöses wird durch die Transportkosten absorbiert. Kapitale aufzu- treiben, welche er mit Nutzen in seine Wirtschaft verwenden ■ könnte, fällt ihm schwer. Aus Mangel an besseren Beispielen und an Bildungsmitteln werden neue Verfahrungsweisen, bessere Gerätschaften und neue Kulturen bei ihm nicht leicht Eingang finden. Der Arbeiter selbst wird aus Mangel an gutem Beispiel, an Reizmitteln zur Anstrengung und Nach- eiferung seine Produktivkraft nur unbedeutend (235) ent- wickeln und dem Schlendrian und Müßiggang frönen.
In der Nähe der Stadt dagegen ist der Landwirt in den Stand gesetzt, jeden Fleck Landes für die der Natur des Bodens am meisten entsprechenden Kulturen zu benützen. Die verschiedensten Dinge wird er mit Nutzen produzieren. Gartengewächse, Geflügel, Eier, Milch und Butter, Obst und überhaupt Dinge, die der "entfernt wohnende Landwirt als geringfügige Nebensachen betrachtet, werden ihm bedeutenden Ertrag gewähren. Während jener auf die bloße Viehzucht angawiesen ist, wird dieser aus der Mästung viel größeren Nutzen ziehen und dadurch angetrieben werden, seineu Futterbau zu vervollkommnen. Eine Menge von Gegen- ständen, die dem entfernten Landwirt von keinem oder doch unbedeutendem Wert sind, z. B. Steine, Sand, Wasserkraft usw., wird er mit großem Nutzen verwerten. Die meisten und besten Maschinen und Gerätschaften, so wie alle Mittel zu seiner Belehrung, sind ihm zur Hand. Es whd ihm
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leicht sein, die ihm zu Verbesserung seiner "Wirtschaft er- forderlichen Kapitale aufzutreiben. Gutsbesitzer und Arbeiter werden durch die Genüsse, welche ihnen die Stadt bietet, durch die Nacheiferuug, welche sie unter ihnen erzeugt, und durch die Leichtigkeit des Erwerbs angetrieben werden, alle ihre geistigen und körperlichen Kräfte zur Verbesserung ihres Zustandes aufzubieten. Ganz derselbe Unterschied be- steht zwischen einer Nation, welche Agrikultur und Manu- fakturen auf ihrem Territorium vereinigt, und einer Nation, welche die eigenen Agrikullurprodukte gegen fremde Manu- fakturwaren austauscht.
Der ganze gesellschaftliche Zustand einer Nation über- haupt ist nach dem Prinzip der Teilung (236) der Geschäfte und der Konföderation der produk- tiven Kräfte zu beurteilen. Was in der Nadelfabrik die Nadel, das ist in der großen Gesellschaft, die man Nation nennt, der Nationalwohlstand. Die höchste Teilung der Geschäfte in der Nation ist die der geistigen und materiellen. Beide bedingen sich wechselseitig. Je mehr die geistigen Produzenten zu Beförderung der Moralität, Religiosität, Aufklärung, Kenntnisvermehrung und Verbreitung der Freiheit und politischen Vervollkommnung, der Sicher- heit der Personen und des Eigentums im Innern, der Selb- ständigkeit und Macht der Nation nach außen beitragen, desto größer wird die materielle Produktion sein; je mehr die materiellen Produzenten an Gütern produzieren, um so mehr wird die geistige Produktion befördert werden können.
Die höchste Teilung der Geschäfte und die höchste Konföderation der produktiven Kräfte bei der materiellen Produktion ist die der Agri- kultur und Manufaktur. Beide bedingen sich, wie wir gezeigt haben, wechselseitig.
Wie bei der Nadelfabrik, so beruht bei der Nation die
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Produktivität jedes Individuums, jedes einzelnen Produktions- zweigs und zuletzt des Ganzen darauf, daß die Tätigkeit aller Individuen in richtigem Verhältnis zueinander stehe. "Wir nennen dieses Verhältnis das Gleichgewicht oder die Harmonie der produktiven Kräfte. Eine Xation kann zu viele Philosophen, Philologen und Literaten, und zu wenige Techniker, Kaufleute und Seeleute besitzen. Dies ist die Folge einer weit vorgerückten, gelehrten Bildung, die aber nicht durch eine weit vorgerückte ]\ranufakturkraft und durch ausgebreiteten (237) Innern und auswärtigen Handel unterstützt ist ; es ist, dies, als ob in einer Nadel- fabrik weit mehr Nadelköpfe als Nadelspitzen fabriziert würden. Die überflüssigen Nadelköpfe in einer solchen Nation sind : eine Masse nutzloser Bücher, spitzfindige Systeme und gelehrte Zänkereien, wodurch der Geist der Nation mehr verfinstert als gebildet, von nützlichen Beschäftigungen ab- gezogen, folglich die produktive Kraft derselben fast ebenso in ihren Fortschritten gehemmt wird, wie wenn sie zu viele Priester und zu wenige Lehrer der Jugend, zu viele Soldaten und zu wenige Politiker, zu viele Administra- toren und zu wenige Richter und Verteidiger des Rechts besäße.
Eine Nation, die bloß Agrikultur treibt, ist ein Individuum, dem in seiner materiellen Pro- duktion ein Arm fehlt. Der Handel ist bloß Vermittler zwischen der Agrikultur- und Manufakturkraft und zwischen ihren besonderen Zweigen. Eine Nation, die Agrikultur- produkte gegen fremde Manufakturwaren eintauscht, ist ein Individuum mit einem Arm, das durch einen fi-emden Arm unterstützt wird. Diese Unterstützung ist ihr nützlich, aber nicht so nützlich, als wenn sie selbst zwei Arme besäße, schon darum nicht, weil ihre Tätigkeit von fremder Willkür abhängig ist. Im Besitz einer eigenen Mauufakturkraft kann sie soviel Lebensmittel und Rohstoffe produzieren, als
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die eigenen Mannfakturen konsumieren ; von fremden Manu- fakturen abhängig, kann sie nur so viel Surplus produzieren, als fremde Nationen nicht selbst zu produzieren vermögen und als sie vom Ausland kaufen müssen.
Wie unter den verschiedenen Gegenden eines und des- selben Landes, so besteht Teilung der Arbeit und Kon- föderation der produktiven Kräfte unter den (238) verschie- denen Nationen der Erde. Jene wird durch den inneren oder nationalen, diese durch den internationalen Handel ver- mittelt. Die internationale Konföderation der produktiven Kräfte ist aber insofern eine sehr unvollkommene, als sie häufig durch Kriege, politische Maßregeln, Handelskrisen etc. unterbrochen wird. Obwohl die höchste, indem dadurch die verschiedenen Yölker der Erde unter sich in Verbindung gesetzt werden, ist sie doch in Beziehung auf die Wohlfahrt der einzelnen in der Zivilisation schon weit vorangerückten Nationen die wenigst bedeutende, was die Schule mit dem Satz anerkennt, daß der innere Markt einer Nation ohne Vergleichung bedeutender sei als der auswärtige. Daraus folgt, daß es in dem Interesse jeder großen Nation liegt, die nationale Konföderation der produktiven Kräfte zum Hauptgegenstand ihrer Bestrebungen zu machen imd der- selben die internationale unterzuordnen.
Die internationale wie die nationale Teilung der Arbeit ist großenteils durch das Klima und die Natur überhaupt bedingt. Man kann nicht in allen Ländern Tee produzieren wie in China, Gewürze wie auf Java, Baum- wolle wie in Louisiana, oder Getreide, Wolle, Obst, Manu- fakturwaren wie in ' den Ländern der gemäßigten Zone. Es wäre Torheit, wenn eine Nation Produkte, in deren Hervor- bringung sie von der Natur nicht begünstigt ist und die sie besser und wohlfeiler vermittels der internationalen Arbeits- teilung, d. h. durch den auswärtigen Handel sich verschaffen kann, vermittels der nationalen Arbeitsteilung, d. h. durch
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Produktion im Innern sich verschaffen wollte, gleichwie es Mangel an Nationalkultur oder Nationaltätigkeit verriete, wenn eine Nation nicht alle ihr zu Gebot (239) stehenden Naturkräfte benützte, um ihre inneren Bedürfnisse zu be- friedigen und sich vermittels eines Produktenüberschusses diejenigen Bedürfnisse zu verschaffen, deren Hervorbringung auf eigenem Grund und Boden ihr die Natur versagt hat. Die von der Natur begünstigtsten Länder der Erde, hinsichtlich der nationalen wie der internationalen Arbeitsteilung, sind offenbar diejenigen, deren Boden die gemeinsten Lebensbedürfnisse in bester Qualität und in größter Quantität hervorbringt und deren Klima der körperlichen und geistigen Anstrengung am förderlichsten ist, d. h. die Länder der gemäßigten Zone. Denn in diesen Ländern gedeiht vorzüglich die Manufakturkraft, ver- mittels welcher die Nation nicht allein den höchsten Grad geistiger und sozialer Ausbildung und politischer Macht zu erreichen, sondern auch die Länder der heißen Zone und die minder kultivierten Nationen sich gewisser Art tributbar zu machen vermag. Die Länder der gemäßigten Zone sind daher vor allen übrigen berufen, die nationale Arbeitsteilung zur höchsten Vollkommenheit zu bringen und die inter- nationale Arbeitsteilung zu ihrer Bereicherung zu benützen.
(240) Vierzehntes Kapitel.
Die Privatökouomie und die Nationalökonoinie.
Wir haben geschichtlich nachgewiesen, daß die Einheit der Nation Grundbedingung eines dauerhaften Nationalwohl- gtandes ist, und gezeigt, wie nur da, wo das Privatinteresse
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dem Nationalinteresse untergeordnet Avorden, und wo eine Reiiie von Generationen nach einem und demselben Ziele strebte, die Nationen zu harmonischer Ausbildung der pro- duktiven Kräfte gelangt sind, und wie wenig ohne das ver- einigte Streben der gleichzeitig lebenden Individuen und der aufeinanderfolgenden Generationen zu einem gemein- samen Ziele die Privatindustrie gedeihen kann. Wir haben ferner in dem vorigen Kapitel darzutun gesucht, wie das Gesetz der Kraftvereinigung schon in der einzelnen Fabrik seine wohltätigen Wirkungen äußert und wie es mit gleicher Stärke auf die Industrie ganzer Nationen wirkt. In dem gegenwärtigen Kapitel haben wir nun nachzuweisen, wie die Schule ihre Yerkennung der Nationalinteressen und der Wirkungen der nationalen Kraftvereinigung durch Ver- mischung (241) der Grundsätze der Privatökonomie mit den Grundsätzen der Nationalökonomie maskiert hat.
„Was in dei* Privatökonomie Weisheit sei", sagt Adam Smith, „könne in der Ökonomie großer Nationen schwerlich zur Torheit werden. Jedes Individuum, indem es sein eigenes Interesse verfolge, befördere dadurch notwendiger- weise auch die Interessen der Gesellschaft. Offenbar sei jedes Individuum, indem es die Lokalverhältnisse am besten kenne und seinem Geschäft die meiste Aufmerksamkeit widme, weit besser imstande, zu beurteilen, wie seine Kapitale aufs zweckmäßigste zu verwenden seien, als der Staatsmann und Gesetzgeber. Derjenige, welcher sich unter- fange, dem Volke Vorschriften zu geben, wie es seine Ka- pitale zu verwenden habe, nehme nicht allein eine vergeb- liche Mühe über sich, er eigne sich auch eine Autorität zu, die einzig dem Produzenten zustehe, und die am aller- wenigsten solchen Personen anvertraut werden könne, welche einer so schwierigen Aufgabe gewachsen zu sein glaubten." Hieraus folgert Adam Smith: die Handelsbeschränkungen ?um Behufe der Beförderung der inneru Industrie seien
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eitel Torheit; jede Nation wie jedes Individuum müsse die Waren da kaufen dürfen, wo sie am wohlfeilsten zu haben seien; um zum höchsten Grad von National Wohlstand zu gelangen, habe man nur den Grundsatz des Gehenlassen s und Machenlassens zu befolgen. Smith und Say vergleichen eine Nation, die ihre Industrie durch Schutzzölle befördern wolle, einem Schneider, der seine eigenen Schuhe ver- fertigen, und einem Schuhmacher, der an seiner Haustüre einen Zoll anlegen wollte, um seinen Wohlstand zu befördern. Wie in allen Irrtümern der Schule, geht auch in diesem Thomas Cooper in seinem gegen das (242) amerikanische Schutzsystem gerichteten Buche*) bis zum Extrem. „Die politische Ökonomie", meint er, „sei ziemlich gleichbedeutend mit der Privatökonomie aller Individuen, die Politik sei kein wesentlicher Bestandteil der politischen Ökonom ie- Torheit sei es, zu glauben, die Gesellschaft sei etwas ganz anderes als die Individuen, aus welchen sie bestehe. Jedes Individuum wisse am besten, wie es seine Arbeit und seine Kapitale zu ver- wenden habe. Der Eeichtum der Gesellschaft sei nichts anderes als das Aggregat des Reichtums aller Individuen, und wenn jedes Individuum am besten für sich selbst sorge, so müsse dasjenige Yolk am reichsten sein, bei welchem jedes Individuum am meisten sich selbst überlassen sei." Die Anhänger des amerikanischen Schutzsystems hatten diesem schon früher von den importierenden Kaufleuten zu- gunsten des freien Handels geführten Argument entgegen gehalten: die amerikanischen Navigationsgesetze hätten die Schiffahrt, den auswärtigen Handel und die Fischereien der Vereinigten Staaten gewaltig gehoben, und alljährlich würden bloß zum Schutz der Seeschiffahrt Millionen auf die Flotte
*) Lecturcs on political Dconomy by Thomas Cooper, p, 1, 15, 19, 117.
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verwendet; der Theorie gemäß wären auch jene Gesetze und dieser Aufwand ebenso verwerflich wie Schutzzölle.
„Allerdings," ruft Herr Cooper aus, kein Seehandel ist einen Seekrieg wert, die Kaufleute mögen sich selbst schützen !''
So kommt die Schule, die damit angefangen hatte, die Nationalität und die Nationalinteressen zu ignorieren, am Ende dahin, ihre AVeisheit gänzlich in Abrede (243) zu stellen und die Individuen auch hinsichtlich ihrer Yer- teidigung auf ihre individuellen Kräfte zu verweisen.
Wie? die Weisheit der Privatökonomie sei auch Weis- heit in der Nationalökonomie? Liegt es in der Natur des Individuums, auf die Bedürfnisse künftiger Jahrhunderte Bedacht zu nehmen, wie dies in der Natur der Nation und des Staats liegt? Man betrachte nur die erste Anlage einer amerikanischen Stadt, jedes Individuum, sich selbst über- lassen, würde nur für seine eigenen Bedürfnisse oder höchstens für die seiner nächsten Nachkommen sorgen, alle Individuen, zu einer Gesellschaft vereinigt, sorgen für die Bequemlichkeit und die Bedürfnisse der entferntesten Generationen; sie unterwerfen die lebende Generation zu diesem Behuf Ent- behrungen und Aufopferungen, die kein Vernünftiger von den Individuen erwarten könnte. Kann ferner das Indi- viduum in Führung seiner Privatökonomie Bedacht nehmen auf die Verteidigung des Landes, auf die öffentliche Sicher- heit, auf alle die tausend Zwecke, die es nur mit Hilfe der gesamten Gesellschaft zu erreichen vermag? Fordert nicht die Nation, daß die Individuen ihre Freiheit diesen Zwecken gemäß beschräukeü? Fordert sie nicht sogar, daß sie ihr einen Teil ihres Erwerbs, einen Teil ihrer geistigen \md körperlichen Arbeit, ja ihr Leben selbst zum Opfer bringen ? Erst muß man, wie Cooper, alle Begriffe von Staat \md Nation ausrotten, bevor sich dieser Satz durchführen läßt.
Nein ! in der Nationalökonomie kann Weisheit sein, was List, Nationalökünomie. 1'
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in der Privatökonomie Torheit wäre, und umgekehrt, aus dem ganz einfachen Grunde, weil ein Schneider keine Nation und eine Nation kein Schneider ist ; weil eine Familie etwas ganz anderes ist als ein Verein von Millionen Familien, ein Haus (244) etwas ganz anderes als ein großes National- territorium.
. Auch fördert nicht immer das Individuum, indem es sein eigenes Interesse am besten kennt und wahrnimmt, hei freier "Wirksamkeit die Interessen der Gesellschaft. Wir fragen jene, die auf den Richterbänken sitzen, ob sie nicht öfters in den Fall kommen, Individuen wegen Übermaßes an Erfindungsgeist, wegen allzugroßer Industrie auf die Tretmühle zu schicken. Räuber, Diebe, Schmuggler und Betrüger kennen die Lokal- und Personalverhältnisse vor- trefflich und verw^enden die angestrengteste Aufmerksamkeit auf ihr Geschäft; daraus folgt aber keineswegs, daß die Ge- sellschaft sich da am besten stehe, wo dergleichen Indi- viduen in der Ausübung ihrer Privatindustrie am wenigsten beschränkt werden.
In tausend Fällen sieht der Staatsanwalt sich genötigt, die Privatindustrie zu beschränken. Sie verbietet dem Ar- mateur, Sklaven an der Westküste von Afrika an Bord zu nehmen und sie nach Amerika zu führen. Sie gibt Vor- schriften für die ErbauuDg von Dampfschiffen und für die Ordnung der Schiffahrt zur See, damit Passagiere und Matrosen nicht der Habsucht und Willkür der Kapitäne geopfert werden. Neuerlich hat man sogar in England be- stimmte Vorschriften für den Schiffbau in Antrag gebracht, weil man einem höllischen Bunde zwischen den Assekuranz- kompagnien und den Armateuren auf die Spur gekommen ist, wodurch jährlich Tausende von Menschenleben und Millionen an Werten der Habsucht der Privaten geopfert werden. In Nordamerika verpflichtet sie die Müller bei Strafe, nicht weniger als 198 Pfd. guten Mehls in ein Faß
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zu packen, und für alle Marktartikel sind (245) Marktinspektoren bestellt, ungeachtet in keinem Lande mehr als dort auf individuelle Freiheit gehalten wird. Überall hält sie es für ilire Pflicht, das Publikum gegen Gefahr und Nachteil sicher zu stellen: so im Handel mit Lebensbedürfnissen, so im Verkauf von Arzneien usw.
„Aber die angeführten Fälle", wird uns die Schule entgegenhalten, „betreffen rechtswidrige Verletzungen des Eigentums und der Personen, nicht den ehrlichen Verkehr mit nützlichen Gegenständen, nicht die unschädliche und nützliche Tätigkeit der Privaten ; diese zu beschränken, habe die Staatsgewalt kein Recht!" Freilich nicht, solange sie unschädlich und nützlich ist; was aber im Weltverkehr an sich unschädlich und nützlich ist, kann im Nationalverkehr schädlich und gefährlich werden, und umgekehrt. Im Friedenszustand und von dem kosmopolitischen Gesichts- punkt aus betrachtet, ist die Kaperei ein schädliches Gewerbe ; im Krieg wird sie von den Regierungen begünstigt. Der vorsätzliche Totschlag eines Menschen ist im Friedenszustand ein Verbrechen, im Krieg wird er zur Pflicht. Der Verkehr mit Pulver, Blei und Waffen ist im Friedenszustand ein erlaubter ; wer aber im Kriegszustand dem Feinde dergleichen zuführt, wird als Verräter bestraft.
Aus gleichen Gründen ist die Staatsgewalt nicht allein berechtigt, sondern verpflichtet, einen an sich unschädlichen Verkehr zum Besten der Nation zu beschränken und zu regulieren. Sie gibt durch Prohibitionen und Schutzzölle den Individuen keine Vorschrift, auf welche Art sie ihre produktiven Kräfte und Kapitale zu verwenden haben, wie die Schule sophistischer Weise behauptet; sie sagt nicht diesem : du sollst dein Geld auf den Bau eines Schiffes oder auf die Anlegung einer (246) Manufaktur verwenden ; jenem : du sollst ein Seekapitän oder ein Zivilingenieur werden ; sie überläßt es dem Urteil jedes Individuums, wie und wo es
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seine Kapitale anlegen oder zu welcliem Beruf es sich be- stimmen will. Sie sagt nur: es liegt in dem Vorteil unserer Nation, daß wir diese oder jene Manufakturwaren selbst fabrizieren; da wir aber bei freier Konkurrenz des Auslands nie zum Besitz dieses Vorteils gelangen könnten, so haben wir dieselbe insoweit beschränkt, als wir es für nötig er- achten, um denjenigen unter uns, die ihre Kapitale auf diesen neuen Industriezweig verwenden, und denjenigen, welche ihre körperlichen und geistigen Kräfte derselben widmen, die erforderlichen Garantien zu geben, daß sie ihre Kapitale nicht verlieren und ihren Lebensberuf nicht verfehlen, und um die Fremden anzureizen, mit ihren produktiven Kräften zu uns überzutreten. Auf diese Weise beschränkt sie die Privatindustrie keineswegs ; im Gegenteil : sie verschafft den persönlichen, den Natur- und Kapitalkräften der Nation ein größeres und weiteres Feld der Tätigkeit. Damit tut sie nicht etwas, was die Individuen besser wüßten und tun könnten als sie selbst; im Gegenteil: sie tut etwas, was die Individuen, selbst wenn sie es wüßten, nicht für sich selbst zu tun vermöchten.
Die Behauptung der Schule: das Schutzsystem fordere rechtswidrige und antiökonomische Eingriffe der Staatsgewalt in die Kapitalvermehrung und Industrie der Privaten, er- scheint im mindest vorteilhaften Lichte, wenn wir berück- sichtigen, daß die fremden Handelsregulationen es sind, die sich dergleichen Eingriffe in unsere Privatindustrie zu schulden kommen lassen, und daß wir nur mit Hilfe des Schutzsystems jene (247) schädlichen Wirkungen der fremden Handelspolitik zu entkräften vermögen. Schließen die Eng- länder unser Korn von ihren Märkten aus, was tun sie da- mit anders, als daß sie unsern Agrikulturisten verbieten, um so viel weniger Korn zu pflanzen, als sie bei freier Einfuhr nach England ausgeführt haben würden? Belegen sie unsere Wolle, unsere Weine, unser Bauholz mit so hohen
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Zöllen, daß unsere Ausfuhr nach England ganz oder größten- teils aufhört — was anders geschieht damit, als daß die englische Staatsgewalt unsere Produktionszweige verhältnis- mäßig beschränkt? In diesen Fällen wird offenbar durch die fremde Gesetzgebung unsern Kapitalien und unsern persönlichen Produktivkräften eine Richtung ge- geben, welche sie ohne die von ihr getroffenen Maßregeln schwerlich genommen haben würden. Hieraus folgt, daß, wollten wir auch darauf Verzicht leisten, vermittels unserer eigenen Gesetzgebung, unserer Nationalindustrie eine unsern National vorteilen entsprechende Richtung zugeben, von uns doch nicht zu verhindern wäre, daß fremde Na- tionen unsere Nationalindustrie auf eine Weise regulieren, die ihrem eigenen wirklichen oder vermeintlichen Vorteil entspricht und welche jedenfalls auf die Entwicklung unserer produktiven Kräfte nachteilig wirkt. Ist es aber vernünftiger und dem Vorteil unserer Nationalangehörigen entsprechender, wenn wir unsere Privatindustrie von einer fremden National- gesetzgebung fremden Nationalinteressen gemäß regulieren lassen, als wenn wir sie vermittels der eigenen Gesetzgebung unsern eigenen Interessen gemäß regulieren? Fühlt sich der deutsche oder amerikanische Agrikulturist weniger be- schränkt, wenn er jedes Jahr erst die englischen Parlaments- akten studieren soll, um zu erfahren, ob es (248) zweck- mäßig sei, seine Korn- oder Wollproduktion zu erweitern oder einzuschränken, als wenn die eigene Gesetzgebung ihn im Bezug fremder Manufakturwaren beschränkt, zugleich aber ihm für alle seine Produkte einen Markt sichert, dessen er durch ausländische Gesetzgebungen nie wieder beraubt werden kann?
Wenn die Schule behauptet, daß die Schutzzölle den inländischen Fabrikanten zum Nachteil der inländischen Konsumenten ein Monopol einräumen, so führt sie damit nur einen falschen Fechterstreich. Denn da jedem Individuum
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in der Nation freisteht, an den Vorteilen des der innern Industrie gesicherten inländischen Marktes teil zu nehmen, so ist dies jedenfalls kein Privatmonopol, sondern ein Vorrecht, das allen Angehörigen unserer Nation, den Angehörigen fremder Nationen gegenüber, eingeräumt wird und das um so rechtmäßiger ist, als die Angehörigen fremder Nationen bei sich selbst das nämliche Monopol besitzen und unsere An- gehörigen ihnen dadurch nur gleichgestellt werden. Es ist weder ein Vorrecht zum ausschließlichen Vorteil der Produ- zenten noch zum ausschließlichen Nachteil der Konsumenten. Denn wenn die Produzenten im Anfang höhere Preise stellen, so haben sie großes Risiko und jene außerordentlichen Ver- luste und Aufopferungen zu bestreiten, die mit allen An- fängen in der Fabrikation verbunden sind. Daß aber diese außergewöhnlichen Profite nicht zur Ungebühr steigen und sieht nicht verewigen, dagegen sind die Konsumenten durch die später eintretende innere Konkurrenz sicher gestellt, welche in der Regel die Preise immer tiefer drückt, als sie bei freier Konkurrenz des Auslandes sich gestellt hätten. Müssen auch die Agrikulturisten, welche die hauptsächlichsten Konsumenten der Manufakturisten sind, höhere Preise (249) bezahlen, so wird ihnen dieser Nachteil durch vermehrte Nachfrage nach Agrikulturprodukten und durch erhöhte Preise reichlich ersetzt.
Es ist ferner ein falscher, durch die Vermischung der Werte- mit der Kräftetheorie verdeckter Fechterstreich, wenn die-Schule aus dem Satz: daß der Nationalreichtum nur das Aggregat des Reichtiims aller Indi- viduen sei, und daß das Privatinteresse jedes Individuums besser, als alle Staatsmaßregeln es vermöchten, zu Produktion und Reichtums- anhäufung antreibe, den Schluß ziehen will: die Nationalindustrie würde am besten gedeihen, wäre nur jedes Individuum ungestört dem Geschäfte der Reichlurasanhäufung
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überlassen. Jener Satz kann zugegeben werden, ohne daß daraus folgte, was die Schule daraus folgern will. Denn es handelt sich ja nicht, wie wir in einem vorhergegangenen Kapitel gezeigt haben, darum — durch die Handelsbeschrän- kungen unmittelbar die Summe der Tauschwerte in der Nation — sondern darum — die Summe ihrer produktiven Kräfte zu vermehren . Daß aber die Summe der produktiven Kräfte der Nation nicht gleichbedeutend sei mit dem Aggregat der produktiven Kräfte aller Indi- viduen, jegliches für sich allein betrachtet, daß die Summe dieser Kräfte hauptsächlich durch die gesellschaftlichen und politischen Zustände, insbesondere aber durch den Grad be- dingt sei, in welchem die Nation die Arbeitsteilung und die Konföderation der produktiven Kräfte in ihrem Innern effek- tuiert hat, glauben wir in den nächst vorangegangenen Kapiteln zur Genüge dargetan zu haben.
Überall sieht dieses System nur Individuen, die unter sich in freiem, unbeschränktem Verkehr stehen, und (250) die sich selbst genügen, wenn man nur jegliches dem ihm von der Natur eingepflanzten Trieb, sein Privatinteresse zu verfolgen, überläßt. Es ist dies offenbar kein System der Ökonomie von Nationen, sondern ein System der Privat- ökonomie des menschlichen Geschlechts, wie sie sich ohne Intervention der Staatsgewalt, ohne Kriege, ohne feindliche Handelsmaßregeln von außen stellen würde. Nirgends ist nachgewiesen, durch welche Mittel die jetzt prosperierenden Nationen auf diejenige Stufe von Macht und "Wohlstand sich erhoben, die wir sie behaupten sehen, und durch welche Ursachen andere denjenigen Grad von Wohlstand und Macht, den sie früher behaupteten, verloren haben. Man kann daraus nur lernen, wie in der Privatindustrie Naturkraft, Arbeit und Kapital sich vereinigen, um wertvolle Produkte in den Tausch zu bringen, und auf welche Weise sie unter dem menschlichen Geschlecht verteilt und von ihm kon-
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sumiert werden. Welche Mittel aber in Anwendung zu bringen seien, um die einer ganzen Nation zur Disposition stehenden Naturkräfte in Aktivität und zu Wert zu bringen, um eine arme und unraächtige Nation zu Wohlstand und Macht zu erheben, ist daraus nicht zu ersehen, weil die Schule, die Politik gänzlich von sich abweisend, die be- sonderen Zustände der Nation ignoriert und sich nur um die Wohlfahrt des gesamten menschlichen Geschlechts be- kümmert. Wo von internationalem Handel die Rede ist, wird überall nur das einheimische Individuum dem fremden Individuum gegenüber gestellt, überall werden nur Beispiele aus dem Privatverkehr der einzelnen Kaufleute angeführt, wird nur im allgemeinen von Waren gesprochen (ohne Be- rücksichtigung, ob es sich von Produkten oder Fabrikaten handle), um zu beweisen, wie es (251) für den Wohlstand der Nation gänzlich gleichgültig sei, ob die Exportationen und Importationen in Geld oder in Rohstoffen oder in Fabri- katen bestehen, und ob sie im Gleichgewicht stehen, oder nicht. Wenn wir z. B. erschreckt über die Handelskrisen, die in Nordamerika wie eine einheimische Seuche herrschen, diese Theorie über die Mittel, sie abzuwenden oder zu ver- mindern, konsultieren, so läßt sie uns gänzlich ohne Trost und Belehrung; ja, es ist uns sogar unmöglich, diese Er- scheinung wissenschaftlich zu erörtern, weil wir, bei Strafe, für ()bskuranten oder Ignoranten gehalten zu werden, nicht einmal das Wort Handelsbilanz in den Mund nehmen düi'fen, während doch dieses Wort in allen gesetzgebenden Versammlungen, in allen Administrationsbureaus, auf allen Börsen ertönt. Zum Wohl der Menschheit wird uns der Glaube zur Pflicht gemacht, daß die Ausfuhren mit den Ein- fuhren sich jederzeit von selbst ins Gleichgewicht stellen, ungeachtet wir in öffentlichen Berichten lesen, wie die englische Nationalbank der Natur der Dinge unter die Arme greift, ungeachtet Kornbills bestehen, die es dem Agrikul-
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turisten der mit England in Yerkelir stehenden Länder etwas schwer machen, seine Konsumtionen an Fabrikaten mit Pro- dukten zu bezahlen.
Die Schule kennt keinen Unterschied zwischen Nationen, welche einen höheren Grad ökonomischer Ausbildung erreicht haben, und denjenigen, welche auf einer niedrigeren Stufe stehen. Überall will sie die Einwirkung der Staatsgewalt ausschließen, überall soll das Individuum um so besser im- stande sein, zu produzieren, je weniger die Staatsgewalt sich seiner annimmt. In der Tat, dieser Lehre zufolge müßten die wilden Yölker die produktivsten und reichsten der Erde sein, denn (252) nirgends mehr als im wilden Zu- stand ist jedes Individuum sich selbst überlassen, nirgends ist die Einwirkung der Staatsgewalt weniger fühlbar.
Die Statistik und die Geschichte lehren aber im Gegen- teil, daß die Notwendigkeit der Einschreitung der gesetz- gebenden Gewalt und Administration überall um so mehr hervortritt, je weiter die Ökonomie der Nation sich aus- bildet. Wie die individuelle Freiheit im allgemeinen nur etwas Gutes ist, insofern sie den Gesellschaftszwecken nicht zuwiderläuft, so kann vernünftigerweise die Privatindustrie nur insoweit auf unbeschränkte Tätigkeit Anspruch machen, als dieselbe mit der Wohlfahrt der Nation verträglich ist. Wo aber die Tätigkeit der Individuen zu diesem Beliufe nicht ausreicht, oder wo sie der Nation schädlich werden könnte, da fordert sie mit Recht Unterstützung durch die Gesamtkraft der Nation, da unterwirft sie sich in ihrem eigenen Interesse gesetzlichen Beschränkungen.
Wenn die Schule die freie Konkurrenz der Produzenten als das sicherste Mittel darstellt, die Wohlfahrt des mensch- lichen Geschlechts zu befördern, so hat sie auf dem Stand- punkt, den sie einnimmt, vollkommen recht. Unter der Voraussetzung einer Universalunion erscheint jede Be- schränkung des redlichen Güterverkehrs zwischen ver-
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scliiedenen Ländern als unvernünftig und schädlich. So- lange aber andere Nationen die Gesamtinteresseu der Mensch- heit ihren nationalen Interessen unterordnen, ist es töricht, von freier Konkurrenz unter den Individuen verschiedener Nationen zu sprechen. Die Argumente der Schule zugunsten der freien Konkurrenz sind dann nur noch anwendbar auf den Verkehr zwischen den Angehörigen einer und derselben Nation. Jede große Nation muß alsdann dahin (253) streben, ein Ganzes in sich selbst zu bilden, das mit andern Ganzen gleicher Art nur insoweit in Verkehr tritt, als es seinen be- sonderen Gesellschaftsinteressen zuträglich ist. Diese Ge- sellschaftsinteressen sind aber unendlich verschieden von den Privatinteressen aller einzelnen Individuen der Nation, wenn jedes Individuum als für sich allein dastehend und nicht in seiner Eigenschaft als Glied der NationalgeselJschaft betrachtet wird, wenn man, wie Smith und Say, in den Individuen nur Produzenten und Konsumenten, keine Staats- bürger oder Nationalangehörigen sieht. Denn als solche sorgen die Individuen nicht für die Wolilfahrt künftiger Geschlechter — finden sie es töricht, wie Hr. Cooper uns auch wirklich vordemonstriert, daß man ein noch ungewisses und im weiten Felde der Zukunft stehendes, wenn auch noch so kostbares Gut durch gewisse und augenblickliche Auf- opferungen zu erwerben strebe — ist ihnen an der Fortdauer der Nation wenig gelegen — geben sie die Schiffe ihrer Kaufleute jedem kühnen Seeräuber preis — bekümmern sie sich_ wenig um die Macht, die Ehre und den Ruhm der Nation — können sie es höchstens über sich gewinnen, der Erziehung ihrer Kinder einige materielle Werte zum Opfer zu bringen und sie ein Gewerbe erlernen zu lassen, voraus- gesetzt, daß die Lehrlinge nach Verfluß von wenigen Jahren in den Stand gesetzt werden, sich selbst ihr Brot zu er- werben.
In der Tat, so gleichbedeutend ist der herrschenden
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Theorie die Nationalökonomie mit der Privatökonomie, daß J. B, Say, wo er ausnahmsweise erlaubt, die innere Industrie von selten des Staats zu unterstützen, die Bedingung stellt : es müsse alle Wahrscheinlichkeit vorhanden sein, daß sie schon nach (254) Verfluß wenigerJahre zur Selbständig- keit gelange, wie man einen Schusterlehrling nur wenige Jahre Zeit vergönnt, um sich in seinem Gewerbe so weit zu perfektionieren, daß er der elterlichen Unterstützung ent- behren kann.
(255) Fünfzehntes Kapitel.
Bie Nationalität und die Ökonomie der Nation.
Das System der Schule leidet, wie wir in den vor- stehenden Kapiteln gezeigt haben, an drei Hauptgebrechen : erstens an bodenlosem Kosmopolitismus, welcher weder die Natur der Nationalität anerkennt, noch auf die Befriedi- gung ihrer Interessen Bedacht nimmt; zweitens an einem toten Materialismus, der überall hauptsächlich den Tausch- wert der Dinge ins Auge faßt, ohne die geistigen und poli- tischen, die gegenwärtigen und zukünftigen Interessen und die produktiven Kräfte der Nation zu berücksichtigen ; drittens an desorganisierenden Partikularismus und Indi- vidualismus, welcher, die Natur der gesellschaftlichen Arbeit und die Wirkung der Kräftevereinigung in ihren höheren Konsequenzen verkennend, im Grunde nur die Privat- industrie darstellt, wie sie sich im freien Verkehr mit der Gesellschaft, d. h. mit der gesamten Menschheit entwickeln würde, im Fall sie nicht in besondere Nationalgesellschaften getrennt wäre.
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(256) Zwischen dem Individuum und der Menschheit steht aber die Nation, mit ihrer besonderen Sprache und Literatur, mit ihrer eigentümlichen Abstammung und Ge- schichte, mit ihren besonderen Sitten und Gewohnheiten, Gesetzen und Institutionen, mit ihren Ansprüchen auf Existenz, Selbständigkeit, Yervollkommnung, ewige Fortdauer und mit ihrem abgesonderten Territorium ; eine Gesellschaft, die, durch tausend Bande des Geistes und der Interessen zu einem für sich bestehenden Ganzen vereinigt, das Eechtsgesetz unter sich anerkennt und als Ganzes andern Gesellschaften ähn- licher Art zurzeit noch in ihrer natürlichen Freiheit gegen- übersteht, folglich unter den bestehenden Weltverhältnissen nur durch eigene Kräfte und Mittel Selbständigkeit und Un- abhängigkeit zu behaupten vermag. Wie das Individuum hauptsächlich durch die Nation und in der Nation geistige Bildung, produktive Kraft, Sicherheit und Wohlstand erlangen kann, so ist die Zivilisation des menschlichen Geschlechts nur denkbar und möglich vermittels der Zivilisation und Ausbildung der Nationen.
In den Zuständen der Nationen herrscht indessen zur- zeit eine unendliche Yerschiedenheit ; wir gewahren unter ihnen Eiesen und Zwerge, normale Körper und Krüppel, zivilisierte, halbzivilisierte und barbarische. Ihnen allen aber ist, wie dem einzelnen Menschen, der Trieb der Selbst- erhaltung, das Streben nach Vervollkommnung von der Natur eingepflanzt. Es ist die Aufgabe der Politik, die barbarischen Nationalitäten zu zivilisieren, die kleinen und schwachen groß und stark zu machen, vor allem aber ihnen Existenz und Fortdauer zu sichern. Es ist die Aufgabe der National- ökonomie, die ökonomische Erziehung der Nation zu (257) bewerkstelligen und sie zum Eintritt in die künftige Universalgesellschaft vorzubereiten.
Die normalmäßige Nation besitzt eine gemeinschaftliche Sprache und Literatur, ein mit mannigfaltigen natürlichen
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Hilfsquellen ausgestattetes, ausgedehntes und wohl arron- diertes Territorium und eine große Bevölkerung. Ackerbau, Manufakturen, Handel und Schiffahrt sind in ihr gleichmäßig ausgebildet; Künste und Wissenschaften, Unterrichtsaustalten und allgemeine Bildung stehen bei ihr auf gleicher Höhe mit der materiellen Produktion. Verfassung, Gesetze und Institutionen gewähren ihren Angehörigen einen hohen Grad von Sicherheit und Freiheit, befördern Religiosität, Sittlichkeit und Wohlstand, haben mit einem Wort die Wohlfahrt der Bürger zum Zweck. Sie besitzt eine zureichende See- und Landmacht, um ihre Selbständigkeit und Independenz zu verteidigen und ihren auswärtigen Handel zu schützen. Ihr wohnt die Kraft bei, auf die Kultur minder vorgerückter Nationen zu wirken und mit dem Überschuß ihrer Bevölke- rung und ihrer geistigen und materiellen Kapitale Kolonien zu gründen und Nationen zu zeugen.
Große Bevölkerung und ein weites, mit mannigfaltigen Naturfonds ausgestattetes Territorium sind wesentliche Er- fordernisse der normalen Nationalität, sie sind Grundbedin- gungen der geistigen Bildung wie der materiellen Entwick- lung und politischen Macht. Eine an Volkszahl und Terri- torium beschränkte Nation, zumal wenn sie eine besondere Sprache hat, kann nur eine verkrüppelte Literatur, nur krüppelhafte Anstalten für Beförderung der Künste und Wissenschaften besitzen. Ein kleiner Staat kann innerhalb seines Territoriums nie die verschiedenen Produktionszweige zur (258) vollständigen Ausbildung bringen. Bei ihm wird joder Schutz zum Privatmonopol. Nur durch Allianzen mit mächtigeren Nationen, durch teilweise Aufopferung der Vor- teile der Nationalität und durch übermäßige Kraftanstrengung vermag er seine Selbständigkeit notdürftig zu behaupten.
Eine Nation, die keine Küstenländer, keine Schiffahrt und Seemacht besitzt, oder die Mündungen ihrer Ströme nicht in ihrer Gewalt hat, ist in ihrem fremden Handel von
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andern Nationen abhängig; sie kann weder eigene Kolonien anlegen, noch neue Nationen hervorbringen; aller Überfluß an Bevölkerung, an geistigen und materiellen Mitteln, der aus einer solchen Nation nach nicht kultivierten Ländern fließt, geht ihrer Literatur, ihrer Zivilisation und Industrie zum Vorteil anderer Nationalitäten verloren.
Eine nicht durch Meere und Gebirgsketten arrondierte Nation ist den Angriffen fremder Nationen bloßgestellt und kann nur mit großen Aufopferungen und jedenfalls nur auf sehr unvollständige Weise ein eigentümliches Douanensj^stem zur Ausführung bringen.
Territorialgebrechen der Nationalkörper wird abgeholfen entweder vermittels der Erbfolge wie bei England und Schottland, oder durch Kauf wie bei Florida und Louisiana, oder durch Eroberung wie bei Großbritannien und Irland.
In der neuesten Zeit hat man ein viertes Mittel zur Anwendung gebracht, das auf eine dem Recht und der Wohl- fahrt der Völker und Staaten weit entsprechendere Weise zum Ziele führt als die Eroberung, und nicht vom Zufall so abhängig ist wie die Erbfolge, nämlich die Vereinigung der Interessen verschiedener Staaten durch freien Vertrag. Erst durch ihren (259) Zollverein ist die deutsche Nation zu einem der wichtigsten Attribute ihrer Nationalität gelangt. Jedoch ist diese Maßregel nicht als vollständig zu betrachten, so- lange sie nicht auf das ganze Küstenland von der Mündung des ßheins bis zur Grenze von Polen mit Einschluß von Holland und Dänemark sich erstreckt. Eine natürliche Folge dieser Vereinigung ist die Aufnahme beider Länder in den deutschen Bund, folglich in die deutsche Nationalität, womit letztere zugleich erlangen wird, was ihr zurzeit noch fehlt, nämlich Fischereien und Seemacht, Seehandel und Kolonien. Ohnehin gehören beide Völkchen ihrer Abstammung und ihrem ganzen Wesen nach der deutschen Nationalität an. Die Schuldenlast, von welcher sie gedrückt werden, ist
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nur eine Folge ihrer unnatürlichen Bestrebungen, sich als selbständige Nationalitäten zu behaupten, und es liegt in der Natur der Dinge, daß dieses Übel bis zu einem Punkte steige, wo es ihnen unerträglich werden wird, und wo ihnen selbst die Einverleibung in eine größere Nationaliät als wünschenswert und notwendig erscheinen muß.
Belgien kann nur auf dem Weg der Konföderation mit einer benachbarten größeren Nation die mit der Beschränkt- heit des Territoriums und der Bevölkerung verknüpften Mängel heilen. Nordamerika und Kanada, je mehr sie sich bevölkern, je mehr das Schutzsystem der Vereinigten Staaten sich ausbildet, werden um so mehr zueinander sich hingezogen fühlen, um so weniger wird eine Konföderation zwischen ihnen von Seiten Englands zu verhindern sein.
In ökonomischer Beziehung haben die Nationen folgende Entwicklungsstadien zu durchlaufen : Zustand der ursprüng- lichen Wildheit, Hirtensland, (2G0) Agrikulturstand, Ägri- kulturmanufaktur stand, Agrikulturmanufakturhandelsstand.
Die Industriegeschichte der Nationen, und keine auf anschaulichere Weise als die von England, beweist, daß der Übergang aus dem rohen Zustand zur Viehzucht, von der Viehzucht zur Agrikultur und von der Agrikultur zu den ersten Anfängen in den Manufakturen und in der Schiffahrt am schnellsten und vorteilhaftesten durch den freien Handel mit weiter vorgerückten Städten und Ländern bewerkstelligt wird; daß aber eine vollständige Manufakturkraft, eine be- deutende Schiffahrt und ein großartiger auswärtiger Handel nur vermittels Einschreitung der Staatsgewalt zu er- langen sind.
Je weniger die Agrikultur sich ausgebildet hat und je mehr der auswärtige Handel Gelegenheit bietet, den ITber- fluß an einheimischen Agrikulturprodukten und Rohstoffen gegen fremde Manufakturwaren zu vertauschen, je mehr dabei die Nation noch in Barbarei versunken ist und einer
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absolut monarchisclien Regieruugsform und Gesetzgebung bedarf, um so förderlicher wird der freie Handel, d. b. die Ausfuhr von Agrikulturprodukten und die Einfuhr von Manu- fakturwaren, ihrem Wohlstand und ihrer Zivilisation sein.
Je mehr im Gegenteil die Agrikultur einer Nation, ihre Gewerbe und ihre sozialen, politischen und bürgerlichen Zu- stände überhaupt entwickelt sind, um so weniger wird sie von dem Tausch einheimischer Agrikulturprodukte und Roh- stoffe gegen fremde Manufakturwaren für Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Zustände Nutzen ziehen können, um so größere Nachteile wird sie von der glücklichen Konkurrenz einer ausländischen und ihr überlegenen Manufakturkraft empfinden.
(261) Einzig bei Nationen der letzteren Art, nämlich bei denjenigen, welche alle erforderlichen geistigen und mate- riellen Eigenschaften und Mittel besitzen, um eine eigene Manufakturkraft zu pflanzen und dadurch den höchsten Grad von Zivilisation und Bildung, von materiellem Wohlstand und politischer Macht zu erstreben, welche aber durch die Konkurrenz einer bereits weiter vorgerückten auswärtigen Manufakturkraft in ihren Fortschritten aufgehalten werden — nur bei solchen ist die Handelsbeschränkung zum Zweck der Pflanzung und Beschützung einer eigenen Manufaktur- kraft zu rechtfertigen, und auch bei ihnen ist sie es nur so lange, bis die Manufakturkraft zureichend erstarkt ist, um die fremde Konkurrenz nicht mehr fürchten zu dürfen, und von da an nur insoweit, als nötig ist, um die inländische Manufakturkraft in ihren Wurzeln zu beschützen.
Das Schutzsystem würde nicht nur gegen die Grund- sätze der kosmopolitischen Ökonomie, sondern auch gegen den wohlverstandenen Vorteil der eigenen Nation verstoßen, wollte es die fremde Konkurrenz gänzlich und auf einmal ausschließen und die zu beschützende Nation von anderen Nationen isolieren. Ist die zu beschützende Manufakturkraft
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noch in der ersten Periode ihrer Entwickhing, so müssen die Schutzzölle sehr gemäßigt sein, sie dürfen nur allmählich mit der Zunahme der geistigen und materiellen Kapitale, der technischen Geschicklichkeiten und des Unternehmungs- geistes der Nation steigen. Auch ist keineswegs erforderlich, daß alle Industriezweige auf gleiche Weise beschützt werden. Besondern Schutz erfordern nur die wichtigsten Zweige, zu deren Betrieb große Anlags- und Betriebskapitale, viele Maschinerie, also viele (262) technische Kenntnisse, Gesckick- lichkeiten und Übungen und viele Arbeiter erfordert werden und deren Produkte unter die ersten Lebensbedürfnisse ge- hören, folglich in Beziehung auf ihren Totalwert wie auf die nationale Selbständigkeit von der größten Wichtigkeit sind, wie z. B. die Wollen-, Baumwollen- und Leinenfabriken usw. Werden diese Hauptzweige gehörig beschützt und ausge- bildet, so ranken alle übrigen minder bedeutenden Manufaktur- zweige auch bei geringerm Schutz an ihnen empor. Nationen, bei welchen der Tagelohn hoch und die Bevölkerung im Verhältnis zu der Ausdehnung ihres Territoriums noch nicht groß ist, wie z. B. den Vereinigten Staaten von Nordamerika, gebietet der eigene Vorteil, Manufakturen, welche nicht durch Maschinerie bedeutend unterstützt werden, geringern Schutz zu gewätiren als denen, wobei Maschinen werke die Haupt- arbeit verrichten, vorausgesetzt, daß diejenigen Nationen, welche ihnen dergleichen Waren zuführen, ihren Agrikultur- produkten freie Zufuhr gestatten.
Es ist eine gänzliche Verkennung der Natur der national- ökonomischen Verhältnisse von selten der Schule, wenn sie glaubt, daß dergleichen Nationen durch den Tausch von Agrikulturprodukten gegen Manufaktur waren ebensowohl ihre Zivilisation, ihren Wohlstand und überhaupt die Fort- schritte in den gesellschaftlichen Zuständen befördern können wie durch die Pflanzung einer eigenen Manufaktur- kraft. Nie wird eine bloße Agrikulturnation ihren inlän-
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dischen und ausländischen Handel, ihre inländischen Trans- portmittel und ihre auswärtige Schiffahrt ansehnlich aus- bilden, ihre Bevölkerung in gleichem Verhältnis mit ihrem Wohlstand vermehren oder in ihrer moralischen, intellek- tuellen, sozialen und politischen Bildung bedeutende Fort- schritte (263) machen; sie wird nie bedeutende politische Macht erlangen oder in den Stand gesetzt werden, auf die Bildung und Fortschritte minder vorgerückter Völker zu wirken und eigene Kolonien anzulegen. Der bloße Agri- kulturstaat ist ein unendlich minder vollkommener Zustand als der Agrikulturmanufakturstaat. Ersterer ist immer öko- nomisch und politisch mehr oder weniger von denjenigen fremden Nationen abhängig, die ihm Agrikulturprodukte gegen Manufakturwaren abnehmen. Er kann nicht für sich selbst bestimmen, wieviel er produzieren will, er muß warten, wieviel andere von ihm kaufen wollen. Diese andern, die Agrikulturmanufakturstaaten, produzieren selbst große Massen von Rohstoffen und Lebensmitteln und sup- plieren nur das Fehlende durch Einfuhr von den Agrikultur- nationen, Einmal sind also diese mit ihrem Absatz ab- hängig von den Zufälligkeiten einer mehr oder minder reichen Ernte bei den Agrikulturmanufakturnationen ; sodann konkurrieren sie in dieser Zufuhr mit andern Agrikultur- nationen, wodurch dieser an sich sehr ungewisse Absatz noch ungewisser wird. Endlich sind sie der Gefahr aus- gesetzt, durch Kriege oder Handelsmaßregeln in ihrem Ver- kehr mit fremden Manufakturnationen gänzlich gestört zu werden, wodurch sie den doppelten Nachteil erleiden : keine Käufer für ihren Überschuß an Agrikulturprodukteu zu finden und der ihnen erforderlichen Manufakturw^aren zu entbehren. Eine Agrikulturnation, wie wir schon früher gesagt haben, ist ein Individuum mit einem Arm, das sich eines fremden Armes bedient, dessen Beihilfe es aber nicht für alle Fälle versichert ist; eine Agrikulturmanu-
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fakturnation ist ein Individuum, dem zwei eigene Arme zur Disposition stehen.
Es ist ein Grundirrtum der Schule, wenn sie (264) das Schutzsystem als ein widernatürliches Produkt spekulierender Politiker darstellt. Die Geschichte ist da, um zu bezeugen, daß die Schutzraaßregeln entweder aus dem naturgemäßeu Bestreben der Nationen nach Wohlstand, Independenz und Macht oder infolge der Kriege und feindseligen Handelsmaß- regeln vorherrschender Manufakturnationen entstanden sind.
Die Idee von Independenz und Macht entsteht mit dem Begriff der Nation. Die Schule hat darauf keine Rücksicht genommen, weil sie nicht die (»konomie der einzelnen Nationen, sondern die Ökonomie der Gesellschaft überhaupt, d. h. des ganzen mensclilichen Geschlechts, zum Gegenstand ihrer Forschungen machte. Denkt man sich nämlich alle Nationen vermittels einer Universalkonföderation vereinigt, so fällt die Rücksicht auf Independenz und Macht gänzlich weg. Die Garantie der Selbständigkeit jeder Nation hegt dann in dem Rechtszustand der Universalgesellschaft, gleich- wie z. B. die Garantie der Selbständigkeit der Staaten von Rhode-Island und Delaware in der Union aller vereinigten Freistaaten liegt. Seit der Stiftung dieser Union ist es noch keinem dieser kleinern Staaten eingefallen, auf Yer- größerung seiner politischen Macht Bedacht zu nehmen, oder seine Independenz für minder gesichert zu halten als die der größten Staaten der Union.
So vernunftgemäß aber die Universalkonföderation ist, so unvernünftig wiirde eine gegebene Nation handeln, wollte sie in Erwartung der großen Vorteile einer solchen Union und des ewigen Friedens die Grundsätze ihrer National- politik regeln, als ob diese Universalkonföderation bereits bestände. Wir fragen : ob nicht jeder Vernünftige eine Re- gierung für verrückt (265) halten müßte, welche unter Be- rufung auf die Vorteile und die Vernunftmäßigkeit des
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ewigea Friedens ihre Armeen auflösen, ihre Kriegsschi fTe zerschlagen und ihre Festungen schleifen wollte? Gleich- wohl täte eine solche Regierung nichts anderes, als was die Schule von den Regierungen verlangt, wenn sie ihnen unter Berufung auf '.die Vorteile des freien Handels zumutet, auf die Vorteile des Schutzsystems Verzicht zu leisten.
Der Krieg wirkt zerstörend auf die wechselseitigen Handelsverhältnisse zwischen Nation und Nation. Dadurch wird der in dem einen Lande wohnende Agrikulturist mit Gewalt von dem in einem andern Lande wohnenden Manu- fakturisten getrennt. Während aber der Manufakturist, zu- mal wenn er einer seemächtigen und großen Handel treibenden Nation angehört, bei dem Agrikulturisten seines eigenen Landes oder in andern ihm zugänglichen Agrikultur- ländern leicht Entschädigung findet, leidet der Bewohner des Agrikulturlandes durch diese Verkehrsstörung doppelt. Ihm fehlt nun gänzlich der Absatz für seine Agrikultur- produkte, folglich auch das Vermögen, die ihm durch den früheren Verkehr zum Bedürfnis gewordenen Manufaktur- waren zu bezahlen; er fühlt sich in seiner Produktion wie in seiner Konsumtion reduziert.
Ist nun eine so in ihrer Produktion und Konsumtion durch den Krieg reduzierte Agrikulturnation in ihrer Be- völkerung, Zivilisation und Agrikultur bereits weit vorge- rückt, so entstehen in ihr infolge der Handelsunterbrechungen des Kriegs Manufakturen und Fabriken. Der Krieg wirkt auf -sie wie ein Prohibitivs^^stem. Sie lernt dadurch den großen Vorteil einer eigenen Manufakturkraft kennen , sie überzeugt sich (266) tatsächlich, daß sie durch die Handels- störungen des Kriegs mehr gewonnen als verloren hat. Es gewinnt in ihr die Überzeugung die Oberhand, sie sei be- rufen, aus dem Stande eines bloßen Agrikulturstaats in den Stand eines Agrikulturmanufakturstaats überzutreten und infolge dieses Vorrückens den höchsten Grad von Wohl-
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stand, von Zivilisation und Macht zu erreichen. Tritt nun aber, nachdem eine solche Nation in der durch den Krieg ihr eröffneten Manufakturkarriere bereits bedeutende Fort- schritte gemacht hat, wieder Friede ein und wollen beide Nationen die früher bestandenen Handelsverhältnisse wieder anknüpfen, so fühlen beide, daß während des Kriegs neue Interessen entstanden sind, die durch Wiederherstellung des früheren Verkehrs vernichtet würden. Die frühere Agri- kulturnation fiihlt, daß sie dem Absatz ihrer Agrikulturpro- dukte nach dem Ausland ihre inzwischen erstandene Manu- fakturkraft zum Opfer bringen müßte ; die Manufakturnation fühlt, daß ein Teil der während des Kriegs entstandenen Agrikulturproduktion durch die freie Einfuhr wieder ver- nichtet würde. Beide suchen daher diese Interessen durch Einfuhrzölle zu schützen. Dies ist die Geschichte der Handelspolitik während der verflossenen fünfzig Jahre.
Der Krieg hat die neuern Schutzsysteme hervorgerufen, und wir scheuen uns nicht, die Behauptung auszusprechen, daß es in dem Interesse der Manufakturnationen zweiter und dritter Klasse gelegen wäre, sie beizubehalten und weiter auszubilden, selbst wenn England nach Herstellung des Friedens nicht den ungeheuren Fehler begangen hätte, die Einfuhr an Lebensmitteln und Rohstoffen zu beschränken, folglich die Motive des Schutzsystems auch während des Friedens (267) fortdauern zu lassen. "Wie eine im Zustande der Roheit und der barbarischen Agrikultur befindliche Na- tion nur durch den Handel mit zivilisierten Manufaktur- nationen Fortschritte machen kann , so kann sie, zu einem gewissen Grad von Kultur gelangt, nur vermittels einer eigenen Manufakturkraft den höchsten Grad von Wohlstand, Zivilisation und Macht erreichen. Ein Krieg, der den Über- gang des Agrikulturstaats in den Agrikulturmanufakturstaat befördert, ist daher ein Segen für eine Nation, wie der Un- abhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Freistaaten, trotz
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der un geheuren Aufopferungen, die er erforderte, ein Segen für alle künftigen Generationen geworden ist. Ein Friede aber, der eine zur Entwicklung einer Manufakturkraft be- rufene Nation wieder in den bloßen Agrikulturstand zurück- wirft, wird ihr zum Fluch und ist ihr ohne allen Vergleich schädlicher als der Krieg.
Zum Glück für die Manufakturmächte zweiten und dritten Rangs hat England nach Wiederherstellung des all- gemeinen Friedens seiner Haupttendenz, den Manufaktur- markt der ganzen Erde zu monopolisieren, selbst Grenzen gesetzt, indem es die Einfuhr an fremden Lebensmitteln und Rohstoffen beschränkte. Allerdings hätten die eng- lischen Agrikulturisten , welche während des Kriegs den englischen Produktenmarkt monopolisierten, die auswärtige Konkurrenz schmerzlich empfunden, aber nur im Anfang; später wären ihnen, wie wir an einem andern Ort umständ- licher ausführen werden, diese Verluste zehnfältig dadurch ersetzt worden, daß England ein Weltmanufakturmonopol erlaugt hätte.
Um so unverständiger wäre es aber, wenn die Manu- fakturnationen zweiten und dritten Rangs, nachdem ihre Manufakturkraft erst infolge 25 jähriger Kriege (2G8) ins Leben gerufen und dann infolge 25 jähriger Ausschließung ihrer Agrikulturprodukte vom englischen Markt so weit er- starkt ist, daß sie vielleicht nur noch zehn oder fünfzehn Jahre eines kräftigen Schutzes bedürften, um mit den eng- lischen Manufakturen die freie Konkurrenz zu bestehen — wenn, sagen wir, jetzt nach den überstandenen Auf- opferungen eines halben Jahrhunderts diese Nationen auf die unermeßlichen Vorteile einer eigenen Manufakturkraft Verzicht leisten und von der den Agrikulturmanufaktur- ländern eigentümlichen hohen Stufe der Kultur, des Wohl- stands und der Independenz wieder auf die niedrige Stufe abhängiger Agrikulturnationen herabsteigen wollten, bloß
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weil es der englischen Nation jetzt beliebt, ihren Fehler und die nahe bevorstehende Erhebung der mit ihr in Kon- kurrenz tretenden Kontinentalnationen einzusehen.
Gesetzt auch, das Manufakturinteresse Englands würde zureichenden Einfluß erlangen, um das ganz aus großen Güterbesitzern bestehende Oberhaus und das zum größten Teil aus Country Squires zusammengesetzte Unterhaus zu Konzessionen in Ansehung der Agrikulturproduktenein fuhr zu zwingen — wer steht dafür, daß nicht nach Verlauf weniger Jahre ein neues Toryministerium unter andern Ver- hältnissen wieder eine neue Kornbill durchsetzt? Wer bürgt dafür, daß nicht ein neuer Seekrieg, ein neues Kon- tinentalsystem den Agrikulturisten des Kontinents von den Manufakturisten des Inselreichs trennt und die Kontinental- nationen in die Notwendigkeit versetzt, die Manufaktur- karriere wieder von vorne anzufangen und ihre besten Kräfte wieder auf die Ilberwinduug der ersten Schwierig- keiten zu verwenden, um späterhin alles wieder dem Frieden zum Opfer zu bringen?
(269) Auf diese Weise würde die Schule die Kontinental- nationen dazu verdammen, ewig den Stein des Sisyphus zu wälzen — ewig im Krieg Fabriken aufzubauen, um sie im Frieden wieder einfallen zu lassen.
Zu so törichten Eesultaten konnte die Schule nur da- durch gelangen, daß sie, trotz des Namens, den sie ihrer Wissenschaft beilegte, die Politik gänzlich davon ausschloß, indem sie die Natur der Nationalität gänzlich ignorierte und die Wirkungen des Kriegs auf den zwischen verschiedenen Nationen bestehenden Verkehr unberücksichtigt ließ.
Wie ganz anders stellt sich das Verhältnis des Agri- kulturisten zum Manufakturisten, wenn beide in einer und derselben Nation wohnen, folglich durch den ewigen Frieden miteinander verbunden sind. Jede Erweiterung oder Verbesserung einer bereits bestehenden Fabrik ver-
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mehrt jetzt die Nachfrage nach Agrikulturprodukten. Diese Nachfrage ist keine ungewisse, keine von auswärtigen Handelsmaßregeln oder Handelsfluktuationen oder von fremden politischen Bewegungen und Kriegen oder von fremden Er- findungen und Verbesserungen oder von fremden Ernten abhängige, der inländische Agrikulturist teilt sie nicht mit anderen Nationen ; sie ist ihm jedes Jahr gewiß. Wie auch die Ernten anderer Nationen ausfallen, welche Mißverständ- nisse sich in der politischen Welt erheben mögen, er kann auf den Absatz seiner Produkte und auf den Bezug seiner Bedürfnisse an Manufakturwaren zu angemessenen und gleichmäßigen Preisen rechnen. Auf der andern Seite wirkt jede Verbesserung des inländischen Ackerbaues, jede neue Kultur wieder stimulierend auf die inländische Fabrikation, indem jede Vermehrung der inländischen Agrikulturpro- duktion eine verhältnismäßige (270) Vermehrung der in- ländischen Manufakturproduktion zur Folge haben muß. So ist durch diese Wechselwirkung beiden Hauptnahrungs- zweigen der Nation für alle Zeiten der Fortschritt gesichert.
Die politische Macht verbürgt der Nation nicht bloß die Vermehrung ihres Wohlstandes vermittels des aus- wärtigen Handels und der auswärtigen Kolonien, sie sichert ihr auch den Besitz des Innern Wohlstandes und ihrer ganzen Existenz, die ungleich wichtiger ist als materieller Reichtum. Durch seine Navigationsakte hat England poli- tische Macht erlangt, und durch die politische Macht ist es in den Stand gesetzt worden, seine Manufakturkraft auf andere Nationen zu erstrecken. Polen aber ward aus der Liste der Nationen gestrichen, weil es keinen tüchtigen Mittelstand besaß, der einzig durch Pflanzung einer Innern Mauufakturkraft zum Dasein hätte gebracht werden können.
Die Schule kann nicht leugnen, daß der innere Markt einer Nation zehnmal bedeutender ist als der auswärtige, selbst da, wo letzterer im höchsten Flor steht; aber sie hat
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unterlassen, daraus die so naheliegende Folgerung zu ziehen, daß es zehnmal wichtiger ist, den innern Markt zu kultivieren und zu sichern als die Reichtümer im Ausland zu suchen, und daß nur bei Nationen, welche die innere Industrie auf einen hohen Grad der Ausbildung gehoben, der auswärtige Handel Bedeutung erlangen kann.
Die Schule hat das Wesen des Marktes nur in kosmo- politischer, nicht aber in politischer Beziehung gewürdigt. Die meisten Küstenländer des europäischen Kontinents liegen in dem natürlichen Marktgebiet der Manufakturisten von London, Liverpool oder Manchester, die wenigsten Inland- manufakturisten anderer Nationen (271) können bei freiem Verkehr in ihren eigenen Seestädten mit den englischen Manufakturisten gleiche Preise halten. Größere Kapitale, ein größerer, eigener Inlandmarkt, der sie in den Stand setzt, nach einem größeren Maßstab, folglich wohlfeiler zu fabrizieren , größere Fortschritte in der Fabrikation selbst und endlich wohlfeilerer Seetransport gewähren dem eng- lischen Fabrikanten zurzeit Yorteile über die Fabrikanten des eigenen Landes, die nur durch lange und anhaltende Beschützung des innern Markts und durch Vervollkomm- nung der inländischen Transportmittel nach und nach der einheimischen Industrie zugewendet werden können. Der Markt der Küstenländer ist aber für jede Nation von großer Bedeutung hinsichtlich des innern Marktes sowohl als des auswärtigen Handels, und eine Nation, deren Küstenmarkt mehr dem Ausland als ihr selbst angehört, ist nicht nur in ökonomischer, sondern auch in politischer Beziehung eine geteilte. Ja, es kann für eine Nation in ökonomischer wie in politischer Beziehung kein schädlicheres Verhältnis geben, als wenn ihre Seestädte mehr mit dem Ausland als mit ihr selbst sympathisieren.
Die Wissenschaft darf nicht die Natur der National- verhältnisse in Abrede stellen oder ignorieren oder ver-
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fälschen , nm kosmopolitische Zwecke zu befördern. Diese Zwecke können nur erreicht werden, indem man der Natur folgt und ihr gemäß die einzelnen Nationen einem höheren Ziel entgegenzuführen sucht. Man sehe, wie geringen Er- folg bisher die Lehren der Schule in der Praxis gehabt haben. Dies ist nicht sowohl die Schuld der Praktiker, von welchen die Natur der Nationalverhältnisse ziemlich richtig aufgefaßt worden ist, als die Schuld von Theorien, an welchen, da sie aller Erfahrung widerstreiten, die Praxis irre werden mußte. (272) Oder ist durch sie verhindert worden, daß Nationen, wie die südamerikanischen, der Natur ihrer Zu- stände zuwider, das Schutzsystem bei sich eingeführt haben V Ist verhindert worden, daß man den Schutz auch auf die Produktion von Lebensmitteln und Rohstoffen ausdehnte, die doch keines Schutzes bedarf und bei welcher die Yer- kehrsbeschränkung unter allen Umständen auf beide Nationen, die beschränkende wie die beschränkte, nachteilig wirken muß? Ist durch sie verhindert worden, daß man die feineren Manufakturwaren, die eigentlichen Luxusartikel, unter die zu beschützenden Gegenstände begriff, während doch klar ist, daß diese ohne die geringste Gefahr für den Wohlstand der Nation zur Konkurrenz zugelassen werden können'? Nein ! die Theorie hat bis jetzt keine durchgreifende Reform bewirkt, und wird auch keine bewirken, solange sie mit der Natur der Dinge im Widerspruch steht. Sie kann und muß aber große Reformen bewirken, sobald sie sich auf die Natur der Dinge basiert.
Allererst wird sie einen großen, auf alle Nationen, auf den Wohlstand und die Fortschritte der gesamten Mensch- heit sich erstreckenden Nutzen stiften, wenn sie beweist, daß die Beschränkung des freien Handels mit Naturprodukten und Rohstoffen der beschränkenden Nation selbst den größten Nachteil bringt und daß das Schutzsystem einzig und allein zum Zweck der industriellen Erziehung der Nation
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sich rechtfertigen läßt. Sodann wird sie, indem sie das Schutzsystem hinsichtlich der Manufakturen auf richtige Grundsätze basiert, Nationen, bei welchen jetzt ein starres Prohibitivsystem besteht, wie z. B. die französische, veran- lassen, das Prohibitivsystem nach und nach aufzugeben. Die Manufakturisten werden dieser Neuerung (273) nicht ent- gegenstreben, sobald sie die Überzeugung gewonnen haben, daß die Theoretiker, weit entfernt, ihren Ruin im Schilde zu führen, die Erhaltung der bestehenden Manufakturen und ihre fernere Entwicklung als Grundlage jeder vernünftigen Handelspolitik betrachten.
Wenn die Theorie die Deutschen lehrt, daß sie nur durch allmählich steigende und dann wieder allmählich fallende, vorher bestimmte Schutzzölle ihre Manufakturkraft auf nützliche Weise fördern können und daß eine teilweise, obwohl sehr beschränkte Konkurrenz des Auslandes unter allen Umständen den Fortschritten ihrer Manufakturen förder- lich ist, wird sie dem freien Verkehr am Ende viel bessere Dienste leisten, als wenn sie die deutsche Industrie er- drosseln hilft.
Die Theorie muß von den Vereinigten Staaten von Nord- amerika nicht verlangen, sie sollen diejenigea Manufakturen, in welchen sie durch wohlfeile Rohstoffe und Lebensmittel und dnrch Maschinenkraft unterstützt sind, der freien Kon- kurrenz des Auslandes preisgeben. Sie wird dann auch keinen Widerspruch finden, wenn sie behauptet, daß die Vereinigten Staaten, solange der Taglohn bei ihnen ungleich höher steht als in den Staaten alter Kultur, die Entwicklung ihrer produktiven Kräfte, ihrer Zivilisation und politischen Macht am besten dadurch fördern können, daß sie denjenigen Manufakturartikeln, bei welchen der Taglohn ein Haupt- bestandteil des Preises ist, möglichst freien Zugang gestatten, vorausgesetzt, daß andere Länder ihre Agrikulturprodukte und Rohstoffe zulassen.
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Die Theorie des freien Handels wird dann in Spanien, Portugal und Neapel, in der Türkei, in (274) Ägypten und in allen barbarischen und halbzivilisierten oder heißen Ländern Eingang finden. In diesen Ländern wird man nicht mehr auf diesen törichten Einfall kommen, bei ihrem gegenwärtigen Kulturzustaud vermittels des Schutzsystems eine eigene Manufakturkraft pflanzen zu wollen.
England wird alsdann von der Ansicht zurückkommen, es sei berufen, die Manufakturkraft der ganzen Erde zu monopolisieren. Es ward nicht mehr verlangen, Frankreich, Deutschland und Nordatrierika sollen der Konzession, Agri- kulturprodukte und Rohstoffe in England einzuführen, ihre Manufakturen opfern. Es wird die Legitimität der Schutz- systeme jener Nationen anerkennen, ungeachtet es bei sich selbst den freien Handel mehr und mehr begünstigen wird, von der Theorie belehrt, daß eine zur Manufaktursuprematie gelangte Nation nur durch freie Einfuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen und durch die Konkurrenz fremder Manu- fakturwaren ihre eigenen Manufakturisten und Kaufleute gegen Rückschritte und Indolenz zu bewahren vermag.
England wird dann eine seiner bisherigen Handelspolitik ganz entgegengesetzte Praxis befolgen : anstatt wie bisher andere Nationen zu Einführung des freien Handels zu über- reden und bei sich selbst das strengste Prohibitivsystem zu behaupten, wird es ohne Rücksicht auf die fremden Schutz- systeme bei sich selbst Konkurrenz gestatten. Es wird seine Hoffnungen auf die Einführung des freien Handels ver- schieben, bis andere Nationen von der freien Konkurrenz niclit mehr den Ruin ihrer Fabriken zu befürchten haben.
Einstweilen, und bis der erwähnte Zeitpunkt eingetreten ist, wird England für die Ausfälle, welche (275) ihm durch fremde Schutzsysteme in seiner Ausfuhr an Manufaktur- waren des allgemeinen Verbrauchs zugehen, durch größere Ausfuhr von feineren Manufakturwaren und durch Auf-
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Schließung, Pflanzung und Pflegung neuer Manufakturwaren- märkte sich zu entschädigen vermögen.
Es wird Spanien, den Orient und die mittel- und süd- amerikanischen Staaten pazifizieren und in allen barbarischen und halbzivilisierten Ländern von Mittel- und Südamerika, von Asien und Afrika seinen Einfluß dahin verwenden, daß kräftige und aufgeklärte Regierungen bei ihnen aufkommen, daß Sicherheit des Eigentums und der Personen bei ihnen eingeführt, daß Straßen und Kanäle angelegt, Unterricht und Aufklärung, Moralität und Industrie befördert und Fanatis- mus, Aberglauben und Trägheit bei ihnen ausgerottet werden. Hebt es zugleich mit diesen Bestrebungen seine Beschrän- kungen der Einfuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen auf, so wird es seine Manufakturausfuhr unermeßlich und mit weit besserem Erfolg steigern, als wenn es ewig auf den Untergang der Kontinentalfabriken spekuliert.
Sollen aber diese Zivilisationsoperationen Englands bei barbarischen und halbzivilisierten Völkern Erfolg haben, so muß es dabei nicht exklusiv verfahren ; es muß nicht durch besondere Handelsprivilegien, wie es sich solche z. B. in Brasilien zu verschaffen gewußt, diese Märkte zu monopoli- sieren und andere Nationen davon auszuschließen trachten.
Eine solche Politik wird immer die gerechte Eifersucht anderer Nationen erregen und ihnen Anlaß geben, den Be- strebungen Englands entgegenzuwirken. Offenbar liegt in dieser selbstsüchtigen Pohtik der Grund, (276) weswegen der Einfluß der zivilisierten Mächte auf die Zivilisation solcher Länder bisher so unbedeutend gewesen ist. Eng- land sollte daher 'den Grundsatz : daß in allen solchen Ländern dem Handel aller Manufakturnationen gleiche Rechte zustehen, in das Völkerrecht einführen. Dadurch würde sich England nicht nur in seinen eigenen Zivili- sationsoperationen des Beistandes aller zivilisierten Mächte versichern, es könnte dann auch ohne Nachteil für seine»
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eigeueu Haadel gestatten , daß von andern Manufaktur- nationen ähnliche Zivilisationsversuche vorgenommen würden. Bei ihrer Überlegenheit in allen Manufaktur- und Handels- zweigen müßte doch überall der größte Anteil an der Aus- fuhr nach solchen Märkten den Engländern zufallen.
Das Streben und unaufhörliche Intriguieren der Eng- länder gegen die Manufakturen anderer Nationen dürfte noch zu rechtfertigen sein, wäre ein Weltmanufakturmonopol für die Prosperität Englands unerläßlich, ließe sich nicht bis zur Evidenz nachweisen, daß die neben England zu großartiger Manufakturkraft aufstrebenden Nationen gar wohl ohne die Erniedrigung Englands zu ihrem Ziele gelangen können, daß England nicht ärmer zu werden braucht, weil andere reicher werden, als es ist, und daß die Natur Mittel genug geboten hat, um, unbeschadet der Prosperität Eng- lands, in Deutsehland, Frankreich und Nordamerika eine der englischen gleichkommende Manufakturkraft empor- zubringen.
Zunächst ist in dieser Hinsicht zu bemerken, daß jede Nation, die ihren Innern Manufakturmarkt erobert, im Lauf der Zeit in ihrer Manufakturwarenproduktion und Kon- sumtion im Innern unendlich mehr gewinnt als diejenige Nation, welche ihr bisher die Fabrikate zugeführt, (277) durch die Ausschließung verliert, weil eine selbst fabri- zierende und in ihren ökonomischen Verhältnissen voll- ständig entwickelte Nation ungleich reicher vmd bevölkerter wird, folglich ungleich mehr an Fabrikaten zu konsumieren vermag, als sie bei der Abhängigkeit von einer fremden Manufakturnation importieren könnte.
Was aber die Ausfuhr an Manufaktur waren betrifft, so sind in dieser Hinsicht die Länder der gemäßigten Zone, als die von der Natur vorzugsweise zur Fabrikation berufeneu, hauptsächlich angewiesen auf die Konsumtionen der Länder der heißen Zone, die jenen für ihre Manufaktui'-
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waren Kolonialwaren liefern. Die Manufakturwarenkonsum- tion der Länder der heißen Zone aber bestimmt sich eines Teils nach ihrer Fähigkeit, ein Surplus an den ihrer Zone eigentümlichen Artikeln zu produzieren, anderuteils nach dem Verhältnis, in welchem die Länder der gemäßigten Zone ihrer Nachfrage nach den Produkten der heißen Zone vermehren.
Ist es nun erweislich, daß im Lauf der Zeit die Länder der heißen Zone an Zucker, Reis, Kaffee, Baumwolle usw. fünf- bis zehnmal mehr produzieren können als bisher und daß die Länder der gemäßigten Zone fünf- bis zehnmal mehr als bisher an dergleichen konsumieren können, so ist auch zugleich erwiesen, daß die Länder der gemäßigten Zone ihre Ausfuhr an Manufakturwaren nach den Ländern der heißen Zone um das Fünf- bis Zehnfache ihres gegen- wärtigen Totalbetrags vermehren können.
Yon der Fähigkeit der Kontinentalnationen, ihre Kon- sumtion an Kolonialwaren so bedeutend zu steigern, zeugt die Zunahme der Konsumtionen Englands während (278) der verflossenen 50 Jahre, wobei noch in Anschlag zu bringen ist, daß diese Zunahme ohne die übertriebenen Konsumtions- auflagen wahrscheinlich noch ungleich bedeutender ge- worden wäre.
Yon der Fähigkeit, die Produktionen der heißen Zone zu vermehren, haben uns Holland auf Sumatra und Java, und England in Ostindien in den letzten fünf Jahren un- widersprechliche Beweise geliefert. England hat seine Ein- fuhr an Zucker aus Ostindien von 1835 bis 1839 vervier- facht; seine Importätion an Kaffee hat noch in einem viel stärkeren Verhältnis zugenommen, und auch die Zufuhr an ostindischer Baumwolle ist sehr im Steigen. Mit einem Wort, die neuesten englischen Blätter (Februar 1840) ver- kündigen mit Jubel: die Produkt ionsfähigkeit Ostindiens in diesen Artikeln sei unbegrenzt, und die Zeit stehe nicht
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ferne, wo Eagland in der Zufuhr dieser Artikel von Amerika und Westindien sich unabhängig machen werde. — Holland seinerseits ist bereits um Absatz seiner Kolonialprodukte verlegen und sucht emsig neue Märkte auf. Man denke sich hinzu, daß Nordamerika fortfährt, seine Baumwollen- produktion zu vermehren, daß in Texas ein Staat im Auf- streben begriffen ist, der ohne Zweifel ganz Mexiko erobern und aus diesem fruchtbaren Land machen wird, was jetzt die südlichen Staaten der nordamerikanischen Union sind; man denke sich, daß Ordnung und Gesetz, Fleiß und In- telligenz nach und nach über die südamerikanischen Staaten von Panama bis zum Kap Hörn, sodann über ganz Afrika und Asien sich verbreiten und überall die Produktion und den Produktenüberfluß vermehren werden, und man wird unschwer begreifen, daß sich hier für mehr als eine Nation Raum zum Absatz von Manufakturwaren öffnet.
(279) Berechnet man die Oberfläche der bis jetzt für die Produktion von Kolonialartikeln verwendeten Ländereien und vergleicht man dieselbe mit derjenigen Oberfläche, welche von Natur zu diesen Produkten befähigt ist, so findet man sogar, daß zurzeit kaum der fünfzigste Teil der zu dieser Produktion befähigten Ländereien wirklich be- nutzt wird.
Wie nun sollte England die Manufakturmärkte aller Kolonialwaren produzierender Länder monopolisieren können, wenn es doch seine Bedürfnisse an Produkten der heißen Zone einzig und allein vermittels der Zufuhr aus Ostindien zu befriedigen vermag? Wie soll England Absatz an Manu- fakturwaren nach Ländern zu hoffen haben, deren Kolouial- produkte es nicht im Tausch entgegennehmen kann? Wie soll dagegen eine große Nachfrage nach Kolonialprodukten auf dem europäischen Kontinent entstehen, wenn der Kon- tinent nicht durch seine Manufakturproduktion in den Stand gesetzt ist, diese Waren zu bezahlen und zu konsumieren?
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Es ist demnach klar, daß das Niederhalten der Fabriken auf dem Kontinent wohl die Kontinentalländer in ihrem Aufschwung zu hindern, keineswegs aber die Prosperität Englands zu fördern vermag.
Es ist ferner klar, daß zurzeit noch und für eine lange Zukunft die Länder der heißen Zone allen zur Manufaktur- produktion berufenen Nationen hinlänglichen Stoff zum Tausch darbieten.
Es ist endlich klar, daß ein Weltmanufakturmonopol, wie es zurzeit durch die freie Konkurrenz der englischen Manufakturwaren auf dem europäischen und nordamerika- nischen Kontinent begründet würde, der Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts keineswegs zuträglicher ist als das Schutzsystem, welches die (280) Manufakturkraft der ganzen gemäßigten Zone zugunsten der Agri- kultur der ganzen heißen Zone auszubilden strebt.
Der Yorspruug, den England in den Manufakturen, in der Schiffahrt und im Handel gemacht hat, darf also keine durch geeigneten Territorialbesitz, Nationalkraft und Intelli- genz zur Manufakturproduklion berufene Nation abschrecken, mit der Manufaktursuprematie in die Schranken zu treten. 3Ianufakturen , Handel und Schiffahrt gehen einer Zukunft entgegen, welche die Gegenwart so weit überragen wird, als die Gegenwart die Vergangenheit überragt. Nur muß man den Mut haben, an eine große Nationalzukunft zu glauben, und in diesem Glauben vorwärts sehreiten. Vor allem aber muß man Nationalgeist genug haben, um jetzt schon den Baum zu pflanzen und zu beschützen, der erst künftigen Generationen seine reichsten Früchte bieten wird. Man muß erst den innern Markt der eigenen Nation er- obern, wenigstens hinsichtlich der Artikel des allgemeinen Bedürfnisses, und die Produkte der heißen Zone unmittelbar von denjenigen Ländern zu beziehen suchen, die sich dafür in xmsern Manufakturwaren bezahlen lassen. Dies ist ins-
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besondere die Aufgabe, welclie die deutsche Handelsunion zu lösen hat, wenn die deutsche Nation nicht allzuweit hinter den Franzosen und Nordamerikanern, ja hinter den Russen zurückbleiben soll.
(281) Sechzehntes Kapitel.
Volks- und Staatswirtscliaft, politische imd Nationalökonomie.
Das, was auf die Erhebung, Verwendung und Administra- tion der materiellen Regierun gs mittel eines Gemeinwesens Bezug hat, die finanzielle Ökonomie des Staats, muß notwendig überall von denjenigen Institutionen, Regula- tiven, Gesetzen und Verhältnissen unterschieden werden, durch welche die Ökonomie der Staatsbürger bedingt und geordnet wird, d. h. von der Ökonomie des Volks. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung tritt bei allen Staats- gesellschaften ein, ob sie eine ganze Nation oder nur Frak- tionen einer Nation umfassen, ob sie klein oder groß seien. Im Bundesstaat zerfällt hinwiederum die Staatsfinanz- ökonomie in die Finanzökonomie der besonderen Staaten und in die Finanzökonomie der Union.
.Die Volksökonomie erhebt sich zur National- ökonomie, Avo der Staat oder der Bundesstaat eine ganze, durch Volkszahl, Territorialbesitz, politische Institutionen, Zivilisation, Reichtum und (282) Macht zur Selbständigkeit berufene, zur Fortdauer und politischen Geltung befähigte Nation umfaßt. Die Volksökonomie und die National- ökonomie sind hier eines und dasselbe. Sie bilden mit der Staatsfinanzökonomie die politische Ökonomie der Nation.
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In Staaten dagegen, deren Bevölkerung und Territorium nur aus der Fraktion einer Nation oder eines National- territoriums bestellt, die weder durch den unmittelbaren Staatsverband noch durch das Mittel des Förderativverbandes mit andern Fraktionen ein Ganzes bildet, kann überall nur von einer Yolksökonomie im bloßen Gegensatz zu der Privat- oder Staatsfinanzükonomie die Rede sein. In diesem un- vollkommenen Verhältnis können die Zwecke und Bedürf- nisse einer großen Nationalität nicht in Betracht kommen, kann insbesondere die Yolksökonomie nicht mit Eücksicht auf die Bildung einer in sich selbst vollkommenen Nation und auf ihre Selbständigkeit, Fortdauer und Macht geregelt werden. Hier muß demnach die Politik von der (Jkonomie ausgeschlossen bleiben: hier kann man nur auf die Natur- gesetze der Gesellschaftsökonomie überhaupt Rücksicht nehmen, wie sie sich bilden und gestalten würden, wenn nirgends eine große vereinigte Nationalität oder eine National- ökonomie bestände.
Von diesem Standpunkte aus ist in Deutscliland die- jenige AVissenschaft , welche man früher Staatswirtschaft, dann Nationalökonomie, dann politische Ökonomie, dann Volks- wirtschaft genannt hat, ausgebildet worden, ohne daß man dort den Grundirrtum dieser Systeme wahrgenommen hätte.
Begriff und Wesen der Nationalökonomie konnten nicht erkannt werden, weil es keine (283) ökonomisch vereinigte Nation gab und weil man dem besondern und bestimmten Begriff Nation überall den allgemeinen und vagen Begriff Gesellschaft substituiert hatte — einen Begriff, der auf die ganze Menschheit oder auf ein kleines Land oder auf eine einzelne Stadt so gut anwendbar ist als auf die Nation.
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(284) Siebzehntes Kapitel.
Die Mauiifakturkraft und die persöuliclien sozialen und politisclicn Nationalprodiiktivkräfte.
Beim rohen Ackerbau herrscht Geistestätigkeit, körper- liche Unbeholfenheit, Festhalten an alten Begriffen, Gewohn- heiten, Gebräuchen und Yerfahrungs weisen, Mangel an Bil- dung, Wohlstand und Freiheit. Der Geist des Strebens nach steter VermehruDg der geistigen und materiellen Güter, des Wetteifers und der Freiheit charakterisiert dagegen den Manufaktur- und Handelsstaat.
Der Grund dieser Verschied enheit liegt teils in der ver- schiedenen Art des Zusammenlebens und in der Erziehung beider Yolksklassen, teils in der verschiedenen Natur ihrer Beschäftigung und der dazu erforderlichen Hilfsmittel. Die ackerbautreibende Bevölkerung lebt zerstreut auf der ganzen Oberfläche des Landes, und auch in Beziehung auf den geistigen und materiellen Verkehr stehen die Agrikulturisten einander ferne. Der eine tut, mit geringem Unterschied, was der andere tut; der eine produziert in der Regel, was der andere (285) produziert. Überfluß und Bedürfnis aller sind einander so ziemlich gleich, jeder ist selbst der beste Konsument seiner Produkte; hier besteht also nur wenig Veranlassung zu geistigem und materiellem Verkehr. Der Landwirt hat weniger mit Menschen als mit der leblosen Natur zu tun. Gewohnt, erst nach langem Zeitverlauf da zu ernten, wo er gesäet, und den Erfolg seiner Anstren- gungen dem Willen einer höhern Macht anheimzustellen, wird ihm Genügsamkeit, Geduld, Resignation, aber auch Schlen- drian und Geistesträgheit zur andern Natur. Wie ihn sein Geschäft vom Verkehr mit Menschen entfernt hält, so for- dert es auch an und für sich selbst beim gewöhnUchen Be-
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trieb nur wenige Geistesanstrengung, nur geringe Körper- geschicklichkeit. Er erlernt es in dem engen Kreise der Familie, in welcher er sein Dasein emi:)faDgen hat, durch Nachahmung, und der Gedanke, daß es anders und besser betrieben werden könnte, kommt selten in ihm auf. Von der "Wiege bis zum Grabe bewegt er sich stets in demselben beschränkten Kreise von Menschen und Verhältnissen. Bei- spiele von besonderer Prosperität infolge außerordentlicher Geistes- und Körperanstrengungen kommen ihm selten vor Augen, Besitz und Armut vererben sich bei der rohen Agrikultur von Generation zu Generation, und fast alle aus der Nacheiferung entstehende Kraft liegt tot.
Die Natur der Manufakturen ist eine von der Agrikultur von Grund aus verschiedene. Durch ihren Geschäftsbetrieb zueinander hingezogen, leben die Manufakturisten nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft, nur im Ver- kehr und durch den Verkehr. Alle Bedürfnisse an Lebens- mitteln und Rohstoffen bezieht der Manufakturist vom Markt, und nur der geringste (286) Teil seiner Produkte ist für die eigene Konsumtion bestimmt. Wenn der Agrikulturist den Segen hauptsächlich von der Natur erwartet, so beruht die Prosperität und die Existenz des Manufakturisten haupt- sächlich auf dem Verkehr. Wenn der Agrikulturist seine Abnehmer nicht kennt oder doch um seinen Absatz sich wenig zu bekümmern braucht, beruht die Existenz des Manufakturisten auf seiner Kundschaft. Unaufhörlich schwanken die Preise der Rohstoffe, der Lebensbedürfnisse und der Taglöhne, der Waren und des Geldes; nie weiß der Manufakturist gewiß, wie sich seine Profite stellen werden. Ihm verbürgt nicht die Gunst der Natur und ge- wöhnliche Tätigkeit Existenz und Prosperität wie dem Landmann, beide hängen gänzlich von seiner Einsicht und seiner Tätigkeit ab. Er muß das t'berflüssige zu erwerben streben, um des Notdürftigen gewiß zu sein, er muß reich
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zu werden trachten, um nicht zu verarmen. Geht er etwas schneller als andere, so kommt er auf; geht er langsamer, so ist sein Untergaog gewiß. Er muß stets kaufen und verkaufen, tauschen und handeln. Überall hat er es mit Menschen, mit wandelbaren Verhältnissen, mit Gesetzen und Einrichtungen zu tun ; er hat hundertmal mehr Gelegenheit, seinen Verstand zu bilden, als der Agrikulturist. Um sich für seinen Geschäftsbetrieb zu befähigen, muß er fremde Menschen und Länder kennen lernen. Um sein Geschäft zu etablieren , muß er außergewöhnliche Anstrengungen machen. Während der Agrikulturist nur mit seinen nächsten Umgebungen zu tun hat, erstreckt sich der Verkehr des Manufakturisten auf ganze Länder und "Weltteile. Der "Wunsch, bei seinen Mitbürgern sich in Ansehen zu setzen oder darin zu erhalten, und die ewige Mitbewerbung seiner Konkurrenten, die seine (287) Existenz und Prosperität fortwährend bedroht, sind ihm ein scharfer Sporn zu unauf- hörlicher Tätigkeit, zu rastlosem Fortschreiten, Tausend Beisi)iele beweisen ihm, daß man von dem niedrigsten Standpunkt des "Wohlstandes und des Ansehens durch außerordentliche Leistungen und Anstrengungen in die ersten Klassen der Gesellschaft sich emporzuschwingen ver- mag, dagegen aber dui'ch Geistesträgheit und Sorglosigkeit aus den angesehensten Klassen in die niedrigsten herab- sinken kann. Diese Verhältnisse produzieren bei dem Manufakturisten eine Energie, die beim rohen Ackerbau nirgends wahrzunehmen ist.
Betrachtet man die Manufakturarbeiten in ihrer Ge- samtheit, so muß es auf den ersten Blick einleuchten, daß sie eine ohne alle Vergleichung größere Mannigfaltigkeit und höhere Art von Geisteseigenschaften und Geschicklich- keiten ausbilden und in Tätigkeit setzen als die Agrikultur.
Adam Smith hat sicherlich einen jeuer paradoxen Sätze ausgesprochen, die er seinem Biographen Dugald Stewart
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zufolge so sehr liebte, wenn er behauptete, die Agrikultur erfordere mehr Geschicklichkeit als die Gewerbe. Ohne uns auf eine Untersuchung einzulassen, ob die Zusammen- setzung einer Uhr größere Geschicklichkeit erfordere als die Leitung einer Landwirtschaft, brauchen wir bloß darauf aufmerksam zu machen, daß alle bei der Landwirtschaft vorkommenden Beschäftigungen derselben Art sind, während bei den Manufakturen eine tausendfältige Verschiedenheit obwaltet. Auch ist nicht zu vergessen, daß zum Behuf der gegenwärtigen Yergleichung die Agrikultur, wie sie im rohen Zustand beschaffen ist, nicht aber, wie sie unter dem Einflüsse der Manufakturen sich ausgebildet hat, in Betracht kommen (288) muß. Wenn der Zustand der englischen Agrikulturisten Adam Smith viel edler erscheint als der Zu- stand der englischen Manufakturisten, so ist ihm entgangen, daß dieser Zustand durch den Einfluß der Manufakturen und des Handels veredelt worden ist.
Offenbar werden durch die Agrikultur nur Persönlich- keiten derselben Art und nur solche in Anspruch genommen, welche mit einigem Sinn für Ordnung körperliche Kraft und Behaarlichkeit in Verrichtung roher Handarbeiten verbinden, während die Manufakturen eine tausendfältige Verschieden- heit von Geistesfähigkeiten, Geschicklichkeiten und Übungen fordern. Die Nachfrage nach einer solchen Mannigfaltigkeit von Anlagen macht es im Manufakturstaat jedem Individuum leicht, eine seiner Individualität entsprechende Beschäftigung und Bestimmung zu finden, während im Agrikulturstaat nur geringe Wahl ist. Dort sind Geistesgaben ungleich mehr geschätzt als hier, wo man in der Regel die Fähigkeit des Menschen nur nach seiner Körperstärke bemißt. Die Arbeit des Schwächlichen, des Krüppels hat dort nicht selten viel höhern Wert als hier die des stärksten Mannes. Jede, auch die geringste Kraft, die der Kinder und der Frauen, der
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Krüppel und der Greise, findet in den Manufakturen Be- schäftigung und Belohnung.
Die Manufakturen sind die Kinder und zugleich die Pfleger und Ernährer der Wissenschaften und Künste. Man beobachte, wie wenig der Stand des rohen Ackerbauers die Wissenschaften und Künste in Anspruch nimmt, wie wenig dazu gehört, die rohen Gerätschaften zu fertigen, deren er sich bedient. Es ist wahr, der Ackerbau zuerst hat es dem Menschen vermittels der Landrente möglich gemacht, sich auf die Wissenschaften (289) und Künste zu verlegen, aber ohne Manufakturen sind sie stets Kasteneigentum geblieben, haben sich ihre wohltätigen Wirkungen nur in sehr unmerk- licher Weise auf die Massen erstreckt. Im Manufakturstaat wird die Industrie der Massen durch die Wissenschaften er- leuchtet, und die Wissenschaften und Künste werden durch die Industrie der Massen genährt. Es gibt kaum ein Manu- fakturgeschäft, welches nicht mit Phj^sik, Mechanik, Chemie Mathematik, oder mit der Zeichenkunst usw. in Beziehung stände. Es gibt keinen Fortschritt, keine neue Entdeckung und Erfindung in diesen Wissenschaften, wodurch nicht hundert Gewerbe und Yerfahrungsweisen verbessert oder verändert würden. Im Manufakturstaat müssen daher uot- weadig Wissenschaften und Künste populär werden. Das Bedürfnis der Bildung und Belehrung durch Schriften und Vorträge bei einer Menge von Personen, welche die Resul- tate der wissenschaftlichen Forschungen zur Anwendung zu bringen haben, bestimmt spezielle Talente, sich dem Unter- richt und der Schriftstellerei zu widmen. Die Konkurrenz solcher Talente bei großer Nachfrage nach ihren Leistungen bewirkt Teilung und Zusammenwirken der wissenschaftlichen Tätigkeit, die nicht allein für die Weiterbildung der Wissen- schaften, sondern auch für die Vervollkommnung der Künste und Gewerbe von dem wolütätigsten Einfluß ist. Die Wirkungen dieser Vervollkommnungen erstrecken sich bald
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bis auf den Ackerbau. Nirgends wird man vollkommnere landwirtschaftliche Maschinen und Gerätschaften finden, nirgends wird der Ackerbau mit so viel Verstand betrieben werden als in Ländern, wo die Industrie blüht. Unter dem Einfluß der Manufakturen erhebt sich die Agrikultur selbst zu einem Gewerbe, zu einer Kunst, zu einer Wissenschaft.
(290) Die Wissenschaften und die Gewerbe in Ver- bindung haben jene große materielle Kraft hervorgerufen, welche der neuern Gesellschaft die Sklavenarbeit des Alter- tums zehnfältig ersetzt und die auf die Zustände der Massen, auf die Zivilisierung barbarischer, auf die Bevölkerung un- bewohnter Länder und auf die Macht der Nationen alter Kultur einen so unermeßlichen Einfluß auszuüben berufen ist — die Maschinen kraft.
Die Manufakturnation hat hundertmal mehr Gelegenheit, die Maschinenkraft in Anwendung zu bringen, als die Agri- kulturnation. Ein Krüppel kann durch Leitung einer Dampf- maschine hundertmal mehr leisten als der stärkste Mann mit der bloßen Hand.
Die Maschinenkraft in Verbindung mit den Transport- vervollkommnungen der neuesten Zeit gibt dem Manufaktur- staat eine unermeßliche Superiorität über den bloßen Agri- kulturstaat. Daß Kanäle, Eisenbahnen und Dampfschiffahrt nur vermittels der Manufakturkraft aufkommen und nur durch dieselbe sich über die ganze Oberfläche des Terri- toriums verbreiten können, liegt am Tage. Im bloßen Agri- kulturstaat, wo jeder den größten Teil seiner Bedürfnisse selbst produziert und den größten Teil seiner Produkte selbst konsumiert, wo die Individuen unter sich uur in geringem Güter- und Personenverkehr stehen, kann weder an Gütern noch an Personen ein so großer Transport stattfinden, daß die Kosten der Anlage und Unterhaltung dieser Maschinen dadurch vergütet würden.
Neue Erfindungen und Verbesserungen haben im bloßen
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Agrikulturstaat nur geringen Wert. Diejenigen, welche sich damit befassen, werden hier in der Regel das Opfer ihrer Forschungen und Bestrebungen, während es im Manufaktur- staat keinen Weg gibt, der schneller (291) zu Reichtum und Ansehen führte, als den der Erfindung und Entdeckung. So ist im Manufakturstaat das Genie höher geschätzt und belohnt als das Talent, das Talent höher als die physische Kraft. Im Agrikulturstaat dagegen ist, mit Ausnahme des Staats- dienstes, fast das umgekehrte Verhältnis Regel.
Wie aber auf die Entwicklung der geistigen Kräfte der Nation, so wirken die Manufakturen auch auf die Entwick- lung der phj^sischeu Arbeitskraft, indem sie den Arbeitern Genuß und Reizmittel zur Anstrengung ihrer Kräfte und Gelegenheit bieten, diese Kräfte zu verwerten. Es ist eine unbestrittene Beobachtung, daß in blühenden Manufaktur- staaten der Arbeiter, abgesehen von der Beihilfe, welche ihm aus den bessern Maschinen und Werkzeugen erwächst, ein ungleich größeres Tagewerk zustande bringt als in bloßen Agrikulturländern.
Schon der Umstand, daß in Manufakturstaaten der Wert der Zeit ungleich mehr erkannt wird als in Agrikulturstaaten, weist auf den höhern Stand der Arbeitskraft in diesem Zu- stande. Der Zivilisationsgrad einer Nation und der Wert ihrer Arbeitskraft läßt sich nicht sicherer bemessen als nach dem Grade des Wertes, den sie der Zeit beilegt. Der Wilde liegt tagelang müßig in seiner Hütte. Wie soll der Hirte den. Wert der Zeit schätzen lernen, er, dem sie eine Last ist, welche nur die Schalmei oder der Schlaf ihm erträglich macht? Wie soll ein Sklave ein Leibeigener, ein Fröner mit der Zeit haushalten lernen, er, dem die Arbeit Strafe und Müßiggang Gewinn ist? Zur Erkenntnis des Wertes der Zeit kommen die Völker erst durch die Industrie, Jetzt bringt Zeitgewinn Zinsengewinn, Zeitverlust Zinsenverlust. Der Eifer des Manufakturisten , seine Zeit (292) höchst
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möglicli zu verwerten, teilt sich dem Agrikulturisten mit. Durch die vermittels der Manufakturen vergrößerte Nach- frage nach landwirtschaftlichen Produkten wird die Rente, also der Wert des Grund und Bodens, gesteigei't, größere Kapitale werden auf den Betrieb verwendet, die Genüsse vermehren sich, man muß dem Boden einen größern Ertrag abgewinnen, um die vermehrten Renten und Kapitalzinsen und die größeren Konsumtionen bestreiten zu können. Man ist imstande, größeren Tagelohn zu bieten, aber man verlangt auch größere Leistungen. Der Arbeiter fängt an zu fühlen, daß er in seinen Körperkräften und in der Geschicklichkeit, womit er sie zur Anwendung bringt, die Mittel zur Ver- besserung seines Zustandes besitze. Er fängt an zu begreifen, warum der Engländer sagt, Zeit sei Geld.
Bei der Isolierung, in welcher der Agrikulturist lebt, und bei der Beschränktheit seiner Bildung ist er wenig fähig, zur allgemeinen Zivilisation beizutragen oder den Wert politischer Institutionen kennen zu lernen, und noch viel weniger, an der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten und am Rechtsspruch tätigen Anteil zu nehmen oder seine Freiheit und seine Rechte zu verteidigen. Dazu kommt, daß er meistens in der Abhängigkeit des Grundbesitzes steht. Noch überall haben die bloßen Agrikulturnationen in der Sklaverei oder doch unter dem Druck der Despoten- oder der Feudal- oder Priesterherrschaft gelebt. Schon der aus- schließliche Besitz des Grund und Bodens gab dem Allein- herrscher oder den Optimaten oder der Priesterkaste über die Masse der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine Gewalt, welcher diese von sich selbst sich nicht zu entziehen ver- mochte.
(293) Unter dem mächtigen Einfluß der Gewohnheit ist noch überall bei bloß ackerbautreibenden Nationen das Joch, welches ihnen Gewalt oder Aberglauben und Priester- herrschaft aufgelegt, so sehr ins Fleisch gewachsen, daß sie
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es zuletzt als einen Bestandteil ihres eigenen Körpers und als eine Bedingung ihrer Existenz betrachten.
Das Gesetz der Teilung der Geschäftsoperationen und der Konföderation der produktiven Kräfte drängt dagegen mit unwiderstehlicher Macht die verschiedenen Manufak- turisten zueinander hin. Reibung erzeugt die Funken des Geistes wie die des natürlichen Feuers. Geistige Eeibung ist aber nur da, wo nahes Zusammenleben, wo häufige ge- schäftliche, wissenschaftliche, soziale, bürgerliche und politische Berührung, wo großer Verkehr an Gütern und Ideen. Je mehr Menschen an einem und demselben Ort vereinigt leben je mehr jeder dieser Menschen in seinem Geschäft von der Mitwirkung aller übrigen abhängt, je mehr das Geschäft jedes dieser Individuen Kenntnisse, Umsicht, Bildung er- fordert, je weniger Willkür, Gesetzlosigkeit, Bedrückung und rechtswidrige Anmaßungen mit der Tätigkeit und den Wohl- fahrtsz wecken aller dieser Individuen sich vertragen, um so vollkommener die bürgerlichen Institutionen, um so größer der Grad der Freiheit, um so mehr Gelegenheit, sich selbst zu bilden oder zur Bildung anderer mitzuwirken. Daher ist überall und zu allen Zeiten die Freiheit und Zivilisation von den Städten ausgegangen, im Altertum in- Griechenland und Italien, im Mittelalter in Italien, Deutschland, Belgien und Holland, später in England und in neuester Zeit in Nord- amerika und Frankreich.
Es gibt aber zweierlei Arten von Städten, wovon (294) wir_ die einen die produktiven, die andern die zehrenden nennen. Es gibt Städte, welche die rohen Stoffe verarbeiten und dieselben sowie die ihnen erforderlichen Subsistenzmittel dem Lande in Manufaktur waren bezahlen. Dies sind die Manufakturstädte, die produktiven. Je mehr diese prospe- rieren, desto mehr prosperiert der Ackerbau des Landes, und je mehr Kräfte der Ackerbau entfaltet, desto größer wachsen die Manufakturstädte. Es gibt aber auch Städte, wo die-
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jenigen leben, welche die Rente des Landes verzehren. In allen etwas kultivierten Ländern wird ein großer Teil des Nationaleinkommens als Rente in den Städten verzehrt. Es wäre falsch, wollte man im allgemeinen behaupten, diese Konsumtionen seien der Produktion nachteilig oder ihr nicht förderlich. Denn die Möglichkeit, sich durch Rentenerwerb ein unabhängiges Leben zu sichern, ist ein mächtiger Sporn zur Sparsamkeit, zur Verwendung von Ersparnissen im Acker- bau und zur Verbesserung des Ackerbaues. Ferner befördert der Rentier, gespornt durch den Trieb, sich unter seinen Mitbürgern auszuzeichnen, unterstützt durch seine Erziehung und seine unabhängige Lage, die Zivilisation, die Wirksam- keit der öiTentlichen Institutionen, die Staatsadministration, die Wissenschaften und Künste. Indessen wird der Grad, in welchem die Rente in dieser Weise auf die Industrie, den Wohlstand und die Zivilisation der Nation influiert, immer von dem schon erworbenen Grad der Freiheit einer Nation abhängen. Jener Trieb, durch freiwillige Tätigkeit dem Gemeinwesen nützlich zu werden und sich unter seinen Mitbürgern auszuzeichnen, wird nur in Ländern zur Ent- wickelung kommen, wo diese Tätigkeit zu öffentlicher An- erkennung, zu öffentlicher Achtung und zu Ehrenstellen führt, nicht (295) aber in Ländern, wo jede Bewerbung um die öffentliche Achtung, jede Independenz von der Gewalt mit eifersüchtigem Auge betrachtet wird. In solchen Ländern wird der Rentier eher sich der Schwelgerei oder dem Müßiggang überlassen und, indem er auf diese Weise die nützliche Tätigkeit in A^erachtung bringt und die Moralität wie den Tätigkeitstrieb der Nation beeinträchtigt, die pro- duktive Kraft der Nation in ihren AVurzeln gefährden. Wenn auch unter solchen Umständen durch die Konsumtion der Rentiers die Manufakturen der Städte einigermaßen be- fördert werden, so sind doch solche Manufakturen als taube und ungesunde Früchte zu betrachten; sie werden zur Be-
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förderung der Zivilisation, des Wohlstandes und der Freiheit der Nation überhaupt wenig beitragen. Insofern die ge- sunde Manufaktur kraft überhaupt die Freiheit und die Zivili- sation produziert, kann man auch sagen, daß durch sie die Kente aus einem Fonds des Müßiggangs, der Sch\velgerei und der Immoralität in einen Fonds der geistigen Produk- tion verwandelt, daß folglich durch sie die bloß zehrenden Städte in produktive umgeschaffen werden. Ein anderer Nahrungszweig der zehrenden Städte besteht in den Kon- sumtionen der Staatsdieiier und der Staatsadministration überhaupt. Auch diese mögen einen scheinbaren Wohlstand der Stadt erzeugen, ob aber dergleichen Konsumtionen der Produktivkraft der Nation, ihi'em Wohlstand und ihren In- stitutionen überhaupt förderlich oder schädlich seien, hängt lediglich davon ab, inwiefern die Funktionen der Konsu- menten jene Kräfte fördern oder beeinträchtigen.
Hieraus erklärt sich, warum es in bloßen Agrikultur- staaten große Städte geben kann, welche, ungeachtet sie eine Menge reicher Leute und mannigfache (296) Gewerbe in sich schließen, auf die Zivilisation, die Freiheit und die Produktivkraft der Nation nur sehr unbedeutenden Einfluß üben. Dergleichen Gewerbsleute müssen notwendig die An- sichten ihrer Kunden teilen; sie sind als Domestiken der Rentiers und der Staatsdiener zu betrachten. Neben dem großen Luxus solcher Städte besteht Armut, Elend, Be- schränktheit und Sklavensinn unter den Landbewohnern. Eine wohltätige Wirkung der Manufakturen auf die Zivili- sation, die Verbesserung der öffentlichen Institutionen und die Freiheit der Nation überhaupt ist erst wahrzunehmen, wenn in einem Lande eine Manufakturkraft aufkommt, welche, unabhängig von den Rentiers und der Staatsdiener- schaft, für die große Masse der landwii'tschaftlichen Bevöl- kerung oder für die Exportation arbeitet und die Produkte derselben in großen Quantitäten zur Verarbeitung und zur
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Subsistenz bezieht. Je mehr diese gesunde Manufakturkraft erstarkt, um so mehr wird sie die aus den oben ange- führten Konsumtionen entsprossene Manufakturkraft sowie die Rentiers und Staatsdiener auf ihre Seite ziehen, desto mehr werden sich die öffentlichen Institutionen im Interesse des Gemeinwesens ausbilden.
Man betrachte die Zustände einer großen Stadt, in welcher die Manufakturisten zahlreich, unabhängig, freiheits- liebend, gebildet und wohlhabend sind, die Kaufleute ihre Interessen und ihre Stellung teilen, die Rentiers sich ge- drungen fühlen, die öffentliche Achtung zu erwerben, die Staatsdiener der Kontrolle der öffentlichen Meinung unter- worfen sind, die Männer der Wissenschaft und Kunst für das große Publikum arbeiten und von demselben ihre Sub- sistenzmittel beziehen ; man betrachte die Masse von geistigen und materiellen Mitteln, welche in einem so engen Räume zusammengedrängt sind; man (297) berücksichtige, wie eng diese Masse von Kräften durch das Gesetz der Teilung der Geschäftsoperationen und der Konföderation der Kräfte unter sich verbunden ist; man erwäge, wie schnell jede Ver- besserung, jeder Fortschritt in den öffentlichen Institutionen und in den sozialen und. ökonomischen Zuständen sowie auf der andern Seite jeder Rückschritt, jede Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen von dieser Masse empfunden werden muß; man bedenke, wie leicht diese an einem und demselben Orte wohnende Masse über gemeinschaftliche Zwecke und Maßregeln sich zu verständigen und welche Menge von Mitteln sie auf der Stelle für diese Zwecke zu konzentrieren vermag; man berücksichtige, in welcher engen Verbindung ein so mächtiges, aufgeklärtes und freiheit- liebendes Gemeinwesen mit andern Gemeinwesen ähnlicher Art in derselben Nation steht — mau erwäge alles dies, und man wird sich leicht überzeugen, daß den Städten gegenüber, deren ganze Kraft, wie wir gezeigt haben, auf
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der Prosperität der Manufakturen und des mit demselben in Verbindung stehenden Handels beruht, die Wirksamkeit der auf der ganzen Oberfläche des Landes zerstreut wohnenden landwirtschaftlichen Bevölkerung, wie groß auch im ganzen ihre Zahl sein mag, in Beziehung auf die Erhaltung und Verbesserung der öffentlichen Zustände wenig besagen will. Der überwiegende Einfluß der Städte auf die poli- tischen und bürgerlichen Zustände der Nation, weit entfernt, den Landbewohnern Nachteil zu bringen, gereicht diesen zu unberechenbarem Vorteil. Der eigene Vorteil der Städte macht es ihnen zur Pflicht, die Agrikulturisten zu Genossen ihrer Freiheit ihrer Bildung und ihres Wohlstandes zu er- heben. Denn je größer die Summe dieser geistigen Güter unter den Landbewohnern, (298) um so größer ist die Summe der Lebensmittel und Rohstoffe, welche sie den Städten liefern, um so größer die Summe der Fabrikate, welche sie von den Städten beziehen, also der Wohlstand der Städte. Das Land empfängt Energie, Aufklärung, Frei- heit und Institutionen von den Städten, die Städte aber garantieren sich den Besitz der Freiheit und der Institutionen, indem sie die Landbewohner zu Teilnehmern an dieser Er- rungenschaft erheben. Die Agrikultur, welche zuvor nur Herren und Knechte nährte, gibt jetzt dem Gemeinwesen die unabhängigsten und tüchtigsten Verteidiger seiner Frei- heit. Auch in der Landwirtschaft ist es jetzt jeder Kraft möglich, sich hervorzutun. Der Arbeiter kann sich zum Pächter, der Pächter zum Gutsbesitzer emporschwingen. Die Kapitale und die Transportanstalten, welche die Industrie herbeischafft und herstellt, befruchten nun überall den Landbau. Leibeigenschaft, Feudallasten, Fleiß und Freiheit beeinträchtigende Gesetze und Einrichtungen verschwinden. Der Grundbesitzer zieht jetzt hundertmal mehr Einkünfte von seinem Holz als von seiner Jagd. Jene, die früher durch den kümmerlichen Ertrag der Fronarbeit kaum die
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Mittel gewannen, ein rohes Landleben zu führen, deren ein- ziges Vergnügen darin bestand, Pferde und Hunde zu halten und Wild zu hetzen, die daher jede Beeinträchtigung dieses Vergnügens als ein Verbrechen gegen ihre grundherrliche Majestät gerächt wissen wollten, werden nun durch die Vermehrung ihrer Renten, den Ertrag der freien Arbeit, in den Stand gesetzt, einen Teil des Jahres in den Städten zu verleben. Dort werden durch Schauspiel und Musik, durch Kunst und Lektüre ihre Sitten gemildert, lernen sie durch Umgang mit Künstlern und Gelehrten Geist und Talente schätzen. Aus Nimroden werden sie gebildete Menschen. (299) Der Anblick eines fleißigen Gemeinwesens, in welchem jeder seinen Zustand zu verbessern strebt, erweckt auch in ihnen den Geist der Verbesserung, Sie jagen nach Be- lehrung und nach Ideen statt nach Hirschen und Hasen. Auf das Land zurückgekehrt, stellen sie dem mittleren und kleinen Landwirt nachahmungswürdige Beispiele auf, er- werben sich seine Achtung statt seines Fluches.
Je mehr Industrie und Ackerbau blühen, um so weniger kann der menschliche Geist in Fesseln gehalten werden, um so mehr ist man genötigt, dem Geist der Duldung Kaum zu geben und wahre Moralität und Religiosität an die Stelle des Gewissenszwanges zu setzen. Noch überall hat die Industrie der Toleranz das Wort geführt, noch überall hat sie die Priester in Lehrer des Volkes und in Gelehrte verwandelt. Noch überall hat die Bildung der Nationalsprache und der Literatur, haben die bildenden Künste und die Vervollkommnung der bürgerlichen Anstalten mit der Entwickelung der Manufakturen und des Handels gleichen Schritt gehalten.
Mit den Manufakturen erst entsteht die Fähigkeit der Nation, fremden Handel mit minder kultivierten Nationen zu treiben, die Schiffahrt zu vermehren, eine Seemaclit zu gründen und den Überfluß der Bevölkerung durch An-
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legung von Kolonien zu fernerer Vergrößerung des National- wohlstandes und der Nationalmacht zu verwenden.
Die vergleichende Statistik lehrt, daß bei vollständiger und gleichmäßiger innerer Ausbildung der Manufakturen und der Landwirtschaft in einer mit hinlänglich großem und fruchtbarem Territorium begabten Nation eine zwei- bis dreimal größere Bevölkerung, und zwar (300) in un- gleich größerem "Wohlstande leben kann, als in dem bloß Ackerbau treibenden Lande. Hieraus folgt, daß alle geistigen Kräfte der Nation, die Staatseinkünfte, die materiellen und geistigen Yerteidigungsmittel und die Garantie der National- unabhängigkeit, durch Pflanzung einer Manufakturkraft in gleichem Verhältnis gesteigert werden.
In einer Zeit, wo die Technik und die Mechanik so unermeßlichen Einfluß auf die Kriegführung übt, wo alle Kriegsoperationen so sehr durch den Stand der Staatsein- künfte bedingt sind, wo bei der Verteidigung so viel darauf ankommt, ob die Masse der Nation reich oder arm, in- telligent oder verdummt, energisch oder in A^Dathie ver- sunken sei, ob ihre Sympathien ohne Ausnahme dem Vater- lande, oder teilweise dem Auslande angehören, ob sie viele oder wenige Landesverteidiger stellen könne — in einer solchen Zeit muß der "Wert der Manufakturen mehr als je aus dem politischen Gesichtspunkte beurteilt werden.
(301) Achtzehntes Kapitel.
Die Mamifaktiirkraft uud die natürlicheu Produktivkräfte der Nation.
Je mehr der Mensch und die Gesellschaft sich vervoll- kommnet, desto mehr vermag er die in seinem Bereich be-
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findlichen Naturkräfte zu seinen Zwecken zu benützen, desto mehr erweitert sich dieser Bereich.
Der Jäger benutzt niclit den tausendsten, der Hirte nicht den hundertsten Teil der ihn zunächst umgebenden Natur. Die See, fremde Zonen und Länder bieten ihm keine oder doch nur eine unbedeutende Summe von Genuß-, Hilfs- oder Reizmitteln,
Im rohen Ägrikulturland liegt noch ein großer Teil der vorhandenen Naturfonds unbenutzt, ist der Mensch noch immer auf seine nächsten Umgebungen beschränkt. Der größte Teil der vorhandenen oder zu schattenden Wasser- und Windekraft ist unbeschäftigt; die Mineralien und ver- schiedenen Erdarten , welche die Manufakturen so gut zu verwerten wissen, liegen tot; die Brennstoffe Averden ver- geudet oder, wie z. B. das Torfmoor, als ein Kulturhindernis betrachtet; Steine, (302) Sand, Kalk werden nur wenig als Baumaterial benützt; die Ströme, anstatt die Lastenträger der Menschen zu sein oder die benachbarten Felder zu be- fruchten, verheeren das Land; die heiße Zone und die See liefern dem Agrikulturland nur wenige ihrer Produkte.
Sogar die hauptsächlichste der Produktion dienstbare Naturkraft im Agrikulturstaat, die Ertragsfähigkeit der Ländereien, kann, solange die Agrikultur nicht durch die Mauufakturkraft unterstützt ist, nur zum geringeren Teil be- nutzt werden.
Jede Gegend muß im Agrikulturstaat von allen ihren Bedürfnissen soviel selbst produzieren, als sie braucht, denn sie kann wieder das ihr Überflüssige in Menge nach andern Gegenden absetzen, noch das ihr Fehlende aus andern Gegenden beziehen. Eine Gegend mag noch so fruchtbar, noch so sehr zu Öl- und Farbepflanzen und zum Futter- kräuterbau geeignet sein, sie muß Holz pflanzen, weil die Herbeischaffung des Brennmaterials aus fernen Gebirgs- gegenden auf unvollkommenen Landstraßen zu hoch käme,
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Land, das, als Weinberg oder Küchengarten benutzt, drei- oder viermal höheren Ertrag bringen könnte, wird zum Ge- treide- und Futterbau verwendet. AVer am vorteilhaftesten sich bloß auf die Viehzucht legen könnte, muß auch das Yieh mästen; wer mit dem größten Vorteil sich bloß auf die Mästung verlegen könnte, muß auch Viehzucht treiben. Wie vorteilhaft es wäre, mineralische Düngungsmittel (Gips, Kalk, Mergel) anzuwenden oder Torf, Steinkohle usw. statt Holz zu brennen und die Waldungen urbar zu machen, es sind keine Tran sportan stalten da, diese Dinge mit Nutzen weiter als nur auf kurze Strecken zu verführen. Wie reichen Ertrag die Wiesen in den Tälern brächten, würden (303) großartige Bewässerungsanstalten angelegt — die Ströme dienen nur dazu, den fruchtbaren Boden loszureißen und fortzuführen.
Durch die in dem Ägrikulturstaat auflebende Manu- fakturkraft werden Straßen gebaut, Eisenbahnen angelegt, Kanäle gegraben, Flüsse schiffbar gemacht, Dampfbootlinien in den Gang gesetzt. Dadurch werden nicht nur die dem Agrikulturland entbehrlichen Produkte in Rente bringende Maschinen verwandelt, es werden nicht nur die Arbeits- kräfte der dabei Beschäftigten in Bewegung gebracht, die Agrikulturbevölkerung wird nicht nur in den Stand gesetzt, aus den von ihr in Besitz genommenen Naturfonds einen ungleich höheren Ertrag zu ziehen als bisher, jetzt kommen auch alle Mineralien, alle Metalle, die bisher in der Erde müßig lagen, zu Benutzung und Wert. Gegenstände, welche zuvor nur eine Fracht von wenigen Meilen austrugen, wie Salz, Steinkohle, Steine, Marmor, Schiefer, Gips, Kalk, Holz, Kinde usw., können nun auf der Oberfläche eines ganzen Reichs verteilt werden. Dergleichen früher ganz wertlose Gegenstände können in dem Tableau der Nationalproduktion eine Bedeutenheit erlangen, welche selbst den früheren Be- trag der ganzen landwirtschaftlichen Produktion weit über-
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steigt. Jetzt gibt es keinen Kubikzoll Wassergef all , der nicht seinen Dienst zu verrichten hätte, selbst in den ent- legensten Gegenden eines Manufakturlandes kommt nun Holz und Brennstoff zu Wert, von welchem mau zuvor keinen Gebrauch zu machen gewußt hatte.
Durch das Aufkommen der Manufakturen entsteht Nach- frage nach einer Menge von Lebensmitteln und Rohstoffen, für welche einzelne Landstriche weit vorteilhafter benützt werden können als zur Produktion von Getreide, (304) dem gewöhnlichen Stapelartikel roher Agrikulturländer. Die nun entstehende Nachfrage nach Milch, Butter und Fleisch ver- anlaßt eine bessere Verwertung der früher als Weidegrund benützten Ländereien, die Abschaffung der Brache und die Anlegung von Bewässerungsanstalten. Die Nachfrage nach Obst- und Küchengewächsen verwandelt die früheren Acker- ländereien in Küchen- und Obstgärten.
Der Verlust, den der bloße Agrikulturstaat durch Nicht- benutzung dieser Naturkräfte erleidet, ist um so größer, je mehr er von der Natur selbst zu Betreibung von Manufak- turen begünstigt ist, und je mehr ein Territorium die von den Manufakturisten besonders begehrten Rohstoffe und Naturkräfte darbietet; also am größten für gebirgige und hügelige, zum Landbau im großen minder geeignete Länder, die aber den Manufakturen Überfluß an Wasserkraft, an Mineralien, Holz, Steinen und dem Landwirt Gelegenheit darbieten, die von dem Manufakturisten besonders begehrten Produkte zu pflanzen.
Die gemäßigte Zone ist die dem Aufkommen der Fabriken und Manufakturen fast ausschließlich günstige. Die gemäßigte Temperatur der Luft ist der Kraftentwicke- lung und Kraftanstrengung ungleich förderlicher als die heiße. Die strenge Jahreszeit aber, die dem oberflächlichen Beobachter als Ungunst der Natur erscheint, ist der mäch- tigste Förderer der Angewöhnung zu angestrengter Tätigkeit,
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zur Vorsorge, Ordnung und Sparsamkeit. Ein Mensch, der sechs Monate vor sich sieht, in welchen er nicht nur der Erde keine Früchte abgewinnen kann, sondern noch be- sondere Vorräte und Kleidungsstücke bedarf, um sich und sein Vieh zu nähren und gegen die Einflüsse der Kälte zu schützen, muß (305) notwendig ungleich arbeitsamer und sparsamer werden als der, welcher sich nur gegen den Regen zu schützen braucht und dem das ganze Jahr hin- durch die Früchte in den Mund wachsen. Fleiß, Sparsam- keit, Ordnung, Vorsorge werden erst durch die Notwendig- keit erzeugt, dann durch Gewohnheit und Erziehung zur andern Natur. Mit der Kraftanstrengung und Sparsamkeit geht die Sittlichkeit, mit dem Müßiggang und der Ver- schwendung die Unsittlichkeit Hand in Hand, und beide sind wiederum reiche Quellen der Kraft und der Schwäche.
Eine Agrikulturnation, welche ein gemäßigtes Klima bewohnt, läßt demnach den reichsten Teil ihres Naturfonds unbenutzt.
Die Schule, indem sie bei Beurteilung der Einflüsse des Klimas auf die Produktion der Reichtümer die Agrikultur nicht von den Fabriken unterschied, ist in Beziehung auf die Beurteilung der Vorteile und Nachteile der Schutzmaß- regeln in die schw^ersten Irrtümer verfallen, welche gründlich nachzuweisen wir an diesem Ort nicht unterlassen können, ungeachtet wir bereits an andern Orten derselben schon im allgemeinen Erwähnung getan haben.
Um den Beweis zu führen, es sei töricht, alles in einem und demselben Lande produzieren zu wollen, stellt die Schule die Frage auf : ob es vernünftig wäre, wenn man in den englischen oder schottischen Gewächshäusern Wein produ- zieren wollte? Weine seien allerdings auf diese Weise hervorzubringen, nur wären sie viel schlechter und kämen viel teurer als diejenigen, welche England und Schottland gegen ihre Fabrikwaren eintauschten. Für den, der nicht
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tiefer in die Natur der Dinge eindringen will oder kann, ist dieses (306) Argument ein schlagendes, und die Schule ver- dankt ihm einen großen Teil ihrer Popularität, wenigtens bei den französischen Weinpflanzern und Seifenfabrikanten und bei den nordamerikanischen Baumwollen pflanzern und Baumwollenhändlern. Beim Lichte betrachtet, ist es aber ein grundfalsches, indem die Yerkehrsbeschränkungen auf die Agrikulturproduktivkraft ganz anders wirken als auf die Fabrikproduktivkraft.
Sehen wir zuerst, wie sie auf die Agrikultur wirken.
Wenn Frankreich deutsches Schlachtvieh und Getreide von seinen Grenzen zurückweist, was wird es damit er- zwecken? Allererst wird dadurch Deutschland außerstand gesetzt werden, französische Weine zu kaufen. Frankreich wird also seine zum Weinbau geeigneten Grundstücke um so viel weniger vorteilhaft benutzen können, als es durch diese Yerkehrsstörung seine Weinausfuhr beeinträchtigt. Es werden um so viel weniger Menschen mit dem Weinbau ausschließend beschäftigt sein, also um soviel weniger in- ländische Ackerbauprodukte verlangt werden, als diese Menschen, die sich dem Weinbau ausschließlich gewidmet hätten, verzehrt haben würden. Dies wird bei der Ölpro- duktion wie bei der Weinproduktion der Fall sein. Frank- reich wird also immer in seiner Agrikulturkraft auf andern Punkten weit mehr verlieren als es auf einen einzigen Punkt dadurch gewinnt, daß es durch die Ausschließung eine Vieh- zucht und Yiehmästung begünstigt, die sich nicht von selbst entwickelt hat, also wahrscheinlich dem Ackerbau derjenigen Gegenden, wo dieser Industriezweig künstlich hervorgerufen wurde, nicht besonders zuträglich ist. So wird es sein, wenn Frankreich bloß als Agrikulturstaat, Deutschland als einem Agrikulturstaat gegenüber betrachtet, und w^enn auch nicht (307) angenommen wird, Deutschland werde Gleiches mit Gleichem vergelten. Noch viel nachteiliger erscheint
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aber diese Politik, wenn wir berücksichtigen, daß Deutsch- land, was es durch sein Interesse zu tun genötigt ist, gleich beschränkende Maßregein ergreift, und wenn wir berück- sichtigen, daß Frankreich nicht bloß ein Agrikulturstaat, sondern auch ein Manufakturstaat ist. Deutschland wird nämlich nicht bloß die Weine Frankreichs, sondern alle seine Produkte, die es entweder selbst erzeugen oder mehr oder weniger entbehren oder auch anderswoher beziehen kann, mit höheren Zöllen belegen ; ferner wird es die Einfuhr derjenigen Manufakturwaren, welche es zurzeit nicht selbst mit besonderem Yorteil produzieren, aber anderswoher als aus Frankreich beziehen kann, erschweren. Jetzt erscheint der Nachteil, den sich Frankreich durch jene Beschränkungen zugezogen hat, doppelt und dreifach größer als der Vorteil. Offenbar können in Frankreich nur so ■viele Menschen mit dem Weinbau, mit dem Olivenbau und mit der Gewerbs- industrie sich beschäftigen, als die Subsistenzmittel und Roh- stoffe, welche Frankreich entweder selbst produziert oder vom Auslande bezieht, zu ernähren und zu beschäftigen vermögen. Wir haben aber gesehen, daß die Beschränkung der Einfuhr die Agrikulturproduktion nicht vermehrt, sondern nur von einer Gegend auf die andere übertragen hat. Hätte man den Produkten verkehr freien Lauf gelassen, so hätte sich die Einfuhr an Produkten und Rohstoffen und damit der Absatz an Wein, Ol und Manufakturwaren fortwährend vermehrt, folglich auch die im Weinbau, im Olivenbau, in den _Manufakturen beschäftigte Bevölkerung, weil mit der steigenden Zufuhr einerseits die Subsistenzmittel und Roh- stoffe, (308) andererseits die Nachfrage nach ihren Fabrik- produkten sich vermehrt haben würde. Die Vermehrung dieser Bevölkerung hätte größere Nachfrage nach denjenigen Lebensmitteln und Rohstoffen erzeugt, welche nicht leicht vom Ausland zu importieren sind und wofür der inländische Ackerbau ein natürliches Monopol besitzt, dem inländischen
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Ackerbau wäre also dadurch ein viel größerer Gewinn zu- gegangen. Die Nachfrage nach Ägrikulturprodukten, für welche die Natur des französischen Bodens besonders ge- eignet ist, wäre in diesem freien Verkehr viel bedeutender, als die durch die Beschränkung künstlich erzeugte. Ein Agrikulturist hätte nicht verloren, was der andere gewann, die ganze Agrilaütur des Landes hätte gewonnen, noch mehr aber die Manufakturindustrie. Durch die Beschränkung ist also die Agrikulturkraft des Landes nicht vermehrt, sondern beschränkt und überdies diejenige Manufakturkraft vernichtet worden, Avelche aus der Vermehrung der Innern Agrikultur sowohl als aus der fremden Zufuhr an Lebensmitteln und Rohstoffen erwachsen wäre. Alles, was man durch die Be- schränkung erreicht hat, ist eine Steigerung der Preise zu- gunsten der Agrikulturisten einer Gegend auf Kosten der Agrikulturisten einer andern Gegend, vorzüglich aber auf Kosten der gesamten produktiven Kraft des Landes.
Noch viel klarer als in Frankreich treten die Nachteile solcher Beschränkungen des Produktenverkehrs in England ans Licht. Allerdings ist durch die Korngesetze eine IVIasse unfruchtbarer Ländereien in Kultur gebracht worden ; es fragt sich aber, ob diese Ländereien ohne dieselben nicht zur Kultur gebracht worden wären? Je mehr England "Wolle, Bauholz, Schlachtvieh, Getreide eingefürt haben würde, um so mehr hätte es (309) Fabrikate abgesetzt, um so mehr Fabrik- arbeiter hätten in England leben können, um so höher wäre der Wohlstand der arbeitenden Klassen gestiegen. England hätte vielleicht die Zahl seiner Arbeiter verdoppelt. Jeder einzelne Fabrikarbeiter hätte besser gewohnt, wäre besser imstande gewesen, sich zu seinem Vergnügen und zu Er- zeugung seines Küchenbedarfs einen Garten anzulegen, hätte sich und seine Familie ungleich besser genährt. Est ist klar, daß eine so große Vermehrung der arbeitenden Bevölkerung, sowie ihres Wohlstandes und ihrer Konsumtionen, eine un-
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ermeßliche Nachfrage nach denjenigen Produkten erzeugt hätte, für welche das Inland ein natürliches Monopol besitzt, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß dadurch doppelt und dreifach soviel Land zur Kultur gebracht worden wäre als durch die widernatürlichen Beschränkungen. Den Beweis davon kann man in der Nähe jeder großen Stadt sehen. Wie groß die Produktenmasse sein mag, welche dieser Stadt aus entfernten Gegenden zugeführt wird, man wird meilen- weit kein unangehautes Fleckchen Landes sehen, wäre es auch noch so sehr von der Natur vernachlässigt. Man ver- biete in einer solchen Stadt die Getreidezufuhr von fernen Gegenden, und man wird bloß damit eine Verminderung ihrer Bevölkerung, ihrer Gewerbsindustrie und ihres Wohl- standes bewirken und den in der Nähe der Stadt wohnenden Landwirt zwingen, sich auf minder vorteilhafte Kulturen zu verlegen.
Man sieht, daß wir soweit mit der herrschenden Theorie vollkommen einverstanden sind. In Beziehung auf den Pro- duktenverkehr hat die Schule vollkommen recht, daß die ausgedehnteste Freiheit des Handels den Individuen wie ganzen Staaten unter allen Umständen am zuträglichsten ist. Man kann zwar diese (310) Produktion durch Be- schränkungen heben; der dadurch erlangte Vorteil ist aber nur scheinbar. Man leitet dadurch nur, Avie die Schule sagt, die Kapitale und die Arbeit in einen andern minder nütz- lichen Kanal. Andern Gesetzen dagegen folgt die Fabrik- produktivkraft, wovon leider die Schule nichts gesehen hat.
Wenn die Beschränkungen der Produkteneinfuhr, wie wir gesehen haben, der Benutzung der Naturfonds und der Naturkräfte hinderlich sind, so rufen die Beschränkungen der Fabrikateneinfuhr in einem bevölkerten, im Ackerbau und in der Zivilisation schon weit vorgerückten Lande eine Masse von Naturkräften, und ohne Zweifel die größere Hälfte aller Naturkräfte, welche im Agrikulturstaat immer und ewig
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müßig und tot liegen, ins Leben und zur Tätigkeit. "Wenn die Beschränkungen der Produkteneinfuhr nicht allein der Entwickelung der Fabrikproduktivkraft, sondern auch der Agrikulturproduktivkraft hinderlich sind, so belebt eine durch die Beschränkungen der Fabrikateneinfuhr erzeugte innere Fabrikproduktivkraft die ganze Agrikulturproduktivkraft in einer Weise, wie der blühendste auswärtige Handel es nie vermag. Wenn die Produkteneinfahr das Ausland von uns abhängig macht und ihm die Mittel benimmt, selbst zu fabri- zieren, so werden wir durch die Fabrikateneinfuhr vom Aus- land abhängig, so werden uns die Mittel benommen, selbst zu fabrizieren. Wenn die Einfuhr von Produkten von Roh- stoffen dem Ausland den Stoff zur Beschäftigung und zur Ernährung seiner Bevölkerung entzieht und denselben unserer Nation zuwendet, so benimmt uns die Fabrikateneinfuhr die Gelegenheit, unsere eigene Bevölkerung zu vermehren oder ihr Arbeit zu geben. Wenn die Einfuhr von Produkten und Rohstoffen den (311) Einfluß unserer Nation auf die Ange- legenheiten der Welt vermehrt und uns die Mittel liefert, mit allen andern Nationen und Ländern Handel zu treiben, so werden wir durch die Fabrikateneinfuhr an die meist vorgerückte Manufakturnation gekettet, die fast nach Be- lieben über uns walten kann, wie England über Portugal waltet. Kurz, die Geschichte und Statistik beweist die Richtigkeit des von den Ministern Georg L ausgesprochenen Satzes: daß die Nationen um so reicher und mächtiger sind, je mehr sie Fabrikwaren ausführen und je mehr sie Lebens- mittel und Rohstoffe einführen. Ja, es läßt sich nachweisen, daß ganze Nationen bloß darum zugrunde gegangen sind, weil sie nur Lebensmittel und Rohstoffe ausgeführt und nur Fabrikwaren eingeführt haben. Montesquieu, der wie keiner vor ihm und keiner nach ihm sich darauf verstand, der Ge- schichte die Lehren abzuhorchen, welche sie dem Gesetz- geber und Politiker erteilt, hat dies wohl eingesehen, ob-
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sclioü es ihm zu seiner Zeit, wo die politische Ökonomie noch so wenig ausgebildet war, nicht möglich gewesen ist, die Gründe davon klar zu entwickeln. Im Widerspruch mit dem bodenlosen System der Physiokraten stellte er die Be- hauptung auf: daß Polen glücklicher wäre, wenn es auf den fremden Handel gänzlich Verzicht leistete, d. h. wenn es eine eigene Manufakturkraft pflanzen und seine Eohstoffe und Lebensmittel selbst verarbeiten und konsumieren würde. Nur durch die Entwickelung einer Innern Manufakturkraft, durch freie, volk- und gewerbreiche Städte konnte Polen zu einer kräftigen innern Organisation, zu Nationalindustrie, zu Freiheit und Reichtum gelangen, konnte es seine Selbständig- keit bewahren und politisches Übergewicht über minder kultivierte Nachbarn behaupten. (312) Statt fremder Manu- fakturwaren hätte es, wie einst England, als es mit Polen auf gleicher Stufe der Kultur stand, fremde Manufakturisten und fremdes Manufakturkapital einführen sollen. Aber seine Edelleute liebten es, die dürftige Frucht der Sklavenarbeit nach den auswärtigen Märkten zu senden und in den wohl- feilen und schönen Stoffen des Auslandes einherzugehen. Ihre Nachkommen mögen nun die Frage beantworten : ob es einer Nation zu raten sei, die Fabrikate des Auslandes zu kaufen, solange die innern Fabriken noch nicht genug erstarkt sind, um im Preise und in der Qualität mit dem Ausland wett- eifern zu können. Ihr Schicksal mag der Adel anderer Länder sich vor Augen stellen, so oft er vom Feudalkitzel gestochen wird ; er mag dann seine Blicke auf den englischen Adel werfen, um sich Belehrung darüber zu verschaffen, was eine erstarkte Manufakturkraft, ein freier Bürgerstand und reiche Städte dem großen Güterbesitzer wert seien.
Ohne uns hier auf eine Untersuchung darüber einzu- lassen, ob es den Wahlkönigen von Polen unter den dort bestehenden Verhältnissen möglich gewesen wäre, ein Handels- system einzuführen, wie es die Erbkönige von England nach
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und nach ausgebildet haben, erlauben wir uns den Fall zu setzen, es wäre von ihnen geschehen; sieht man nicht, welche reiche Früchte ein solches System der polnischen Natio- nalität getragen hätte? Unter dem Beistand großer und gewerbreicher Städte wäre das Königtum erblich geworden, hätte der Adel sich bequemen müssen, in einem Oberhaus an der Gesetzgebung teilzunehmen und seine Leibeigenen zu emanzipieren; hätte sich der Ackerbau entwickelt, wie er sich in England entwickelt hat, wäre der polnische Adel (313) jetzt reich und angesehen, wäre die polnische Nation, wenn nicljt so geachtet und einflußreich auf die Welt- angelegenheiten wie die englische, doch längst so zivilisiert und mächtig geworden, um ihren Einfluß auf den minder kultivierten Osten zu erstrecken. Ohne Manufakturkraft ist sie zerfallen und zerstückelt, und sie würde es noch werden, wäre sie es nicht schon. Von selbst hat sich bei ihr keine Manufakturkraft entwickelt; sie konnte es nicht, weil ihre Bestrebungen stets von weiter vorgerückten Nationen ver- eitelt wurden. Ohne ein Schutzsystem und bei freiem Handel mit weiter vorgerückten Nationen — hätte sie auch ihre Selbständigkeit bis auf unsere Tage erhalten — konnte sie es doch nie weiter bringen als zu einer verkrüppelten Agri- kultur; nie wäre sie reich, mächtig und nach außen einfluß- reich geworden.
Aus dem Umstand, daß so viele Naturvorräte und Natur- kräfte durch die Manufakturkraft in produktive Kapitale ver- wandelt werden, muß man sich größtenteils erklären, daß die Schutzmaßregeln so kräftig auf die Vermehrung des Nationalreichtums wirken. Dieser Wohlstand ist nicht ein falscher Schein wie die Wirkungen der Beschränkung des Produktenhandels, er ist Wirklichkeit. Es sind ganz tote Naturkräfte, ganz wertlose Naturvorräte, welche eine Agri- kulturnation durch Pflanzung einer Fabrikkraft ins Leben ruft und zu Wert bringt.
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Es ist eine alte Beobachtung, daß der Mensch wie das Tier durch Eassenkreuzung sich geistig und körperlich ver- edelt, daß er, wenn wenige Familien fortwährend unterein- ander heiraten, wie die Pflanze, wenn (314) der Samen fort- während in gleichen Boden gesäet wird, nach und nach degeneriert. Einer Beobachtung dieses Naturgesetzes scheint man es zuschreiben zu müssen, daß bei vielen nicht zahl- reichen, wilden oder halbwilden Yölkerstämmen in Afrika und Asien die Männer ihre Frauen aus fremden Stämmen wählen. Nicht minder scheint die Erfahrung, daß die Olig- archien kleiner städtischer Republiken, die fortwährend unter sich heiraten, nach und nach aussterben oder doch sichtbarlich degenerieren, auf ein solches Naturgesetz hinzuweisen. Un- leugbar ist, daß die Vermischung zweier ganz verschiedener Rassen, fast ohne Ausnahme, eine kräftige und schöne Nach- kommenschaft zur Folge hat, und diese Beobachtung erstreckt sich bis auf die Vermischung der Weißen mit den Schwarzen in der dritten und vierten Generation. Melir als alles andere scheint diese Beobachtung zu bestätigen, daß diejenigen Völker, welche aus einer öfters wiederholten, die ganze Nation umfassenden Rassenmischung entsprungen sind, an Kraft und Energie des Geistes und Charakters, an Intelligenz, Körperstärke und äußerer Schönheit alle andern Nationen übertreffen. *)
*) Nach Chardin sind die Guebren, ein unvermischter Stamm der alten Perser, eine häßliche, mißgestaltete und schwer- fällige Rasse, wie alle Völker mongolischer Abkunft, während der persische Adel, der sich seit Jahrhunderten mit georgischen und cirkassischen Frauen vermischt, durch Schönheit und Kraft sich auszeichnet. Dr. Pritchard bemerkt : die unvermischten Kelten von Hochschottland ständen den schottischen ^Nieder- ländern, Abkömmlingen von Sachsen und Kelten, an Größe, Körperkraft nnd Wohlgestalt weit nach. Gleiche Beobachtung macht Pallas bei den Abkömmlingen der Russen und Tartaren,
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(315) Hieraus glauben wir folgern zu dürfen, daß die Menschen nicht notwendigerweise so schwerfällige, unbe- hilfliche und geistesträge Wesen sein müssen, wie wir sie bei der verkrüppelten Landwirtschaft in kleinen Dörfern wahr- nehmen, wo wenige Familien seit Jahrtausenden nur unter sich geheiratet haben, wo es seit Jahrhunderten niemand eingefallen ist, ein auf neue Art geformtes Geräte oder eine neue Verfahrungsweise nachzuahmen oder ein Kleidungs- stück zu verändern oder eine neue Idee zu adoptieren; wo die größte Kunst darin besteht — nicht seine Geistes- und Körperkräfte anzustrengen, um sich möglichst viele Genüsse zu verschaffen — sondern möglichst viel zu entbehren.
Dieser Zustand wird, zum Besten der Rasseveredlung einer ganzen Nation, durch die Pflanzung einer Manufaktur- kraft verändert. Indem ein großer Teil des Zuwachses der Agrikulturbevölkerung in die (316) Manufaktur weit über- geht, indem die Agrikulturbevölkerung verschiedener Gegenden
in Vergleichung mit ihren unvermischten Stammverwandten. Azara bezeugt, die Abkömmlinge der Spanier und der Einge- borenen von Paraguay seien ein weit schönerer und kräftigerer Menschenschlag als ihre Voreltern von beiden Seiten. Die Vor- teile der Eassenkreuzung bewähren sich nicht allein bei der Vermischung verschiedener Völker, sondern auch bei der Ver- mischung verschiedener Stämme eines und desselben Volkes. So übertreffen die Kreolenneger die aus unvermischten Stämmen entsprossenen aus Afrika nach Amerika kommenden Neger weit an Geistesgaben wie an Kürperkraft. Die Karaiben, der einzige indianische Volksstamm, welcher regelmäßig seine Frauen aus benachbarten Stämmen wählt, stehen in jeder Hinsicht höher als alle übrigen amerikanischen Stämme. Ist dies Naturgesetz, so erklärt sich hieraus zum Teil der Aufschwung, den die Städte des Mittelalters bald nach ihrer Gründung genommen haben, so wie die Energie und körperliche Wohlgestalt des amerikanischen Volkes.
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unter sich und mit der Manufakturbevölkerung durch Heirat sich vermischt, wird die geistige, moralische und physische Stagnation der Bevölkerung unterbrochen. Der Verkehr, welchen die Manufakturen und der darauf basierte Handel zwischen verschiedenen Nationen und Gegenden herbeiführen, bringt neues Blut in die ganze Nation, wie die einzelnen Gemeinden und Familien.
Nicht minder bedeutenden Einfluß hat das Aufkommen der Manufakturkraft auf die Veredlung der Viehrassen. Noch überall, wo Wollmanufakturen aufgekommen sind, hat die Rasse der Schafe sich schnell veredelt. Bei großer Nach- frage nach gutem Fleisch, wie sie eine große Zahl von Manufakturisten verursacht, wird der Landwirt sich be- streben, bessere Rassen von Rindvieh einzuführen. Die größere Nachfrage nach Luxuspferden hat die Veredlung der Pferderassen zur Folge. Man sieht dann nicht mehr jene verkümmerten Urrassen von Rindvieh, Pferden und Schafen, die, in der verkrüppelten Landwirtschaft überall aus Mangel an Kreuzung der Rassen entstanden, ein wür- diges Seitenstück zu ihrer unbehilflichen Herrschaft ab- geben.
"Wie vieles verdanken bereits die produktiven Kräfte der Nationen der Einführung fremder, der Veredlung der einheimischen Tierrassen, und wie vieles wäre wohl noch in dieser Beziehung zu leisten! Alle Seidenwürmer von Europa stammen von wenigen Eiern her, die unter Konstantin durch griechische Mönche aus China, wo ihre Ausfuhr streng verboten war, in ausgehöhlten Stöcken nach Konstautinopel gebracht wurden. Frankreich verdankt der Einfuhr der Ziege von Tibet (317) eine schöne Gewerbsproduktion. Es ist sehr zu bedauern, daß man bisher bei Verpflanzung und Veredlung der Tiere vorzugsweise nur die Befriedigung der Luxusbedürfuisse und nicht vielmehr die Beförderung des Wohlstands der großen Massen im Auge gehabt hat. Reise-
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beschreiber wollen in einigen Ländern Asiens eine Rasse von Rindvieh gesehen haben, die mit bedeutender Zugkraft große Schnelligkeit der Bewegung vereinigt, so daß sie fast mit gleichem Vorteil wie die Pferde zum Reiten und Fahren zu gebrauchen ist. Welch unermeßliche Vorteile würde eine solche Rindvielirasse den kleineren Landwirten in Europa gewähren ! Welcher Zuwachs an Lebensmitteln, an produk- tiver Kraft und an Bequemlichkeit würde dadurch den arbeitenden Volksklassen zugehen !
Ungleich mehr als durch die Veredlung und Verpflan- zung der Tierrassen ist die produktive Kraft des mensch- lichen Geschlechts durch die Veredlung und Verpflanzung der Gewächse vermehrt worden. Dies fällt erst in die Augen, wenn man die ursprünglichen Pflanzen, wie sie aus dem Schoß der Natur hervorgegangen sind, mit den ver- edelten vergleicht. Die Urpflanzen der Getreide- und Obst- arten, der Küchen- und Ölge wachse, wie wenig gleichen sie an Gestalt und Nützlichkeit ihren veredelten Nachkommen! Welche Massen von Nahrungsmitteln, Genüssen und Be- quemlichkeiten und welche Gelegenheiten zu nützlicher An- wendung der menschlichen Kräfte sind daraus erwachsen! Die Kartoffel, die Runkelrübe, der Anbau der Futterkräuter haben im Verein mit den vervollkommneten Düngungsmitteln und Maschinen den Ertrag der Landwirtschaft, wie sie heute noch von den Völkerschaften Asiens betrieben wird, zehn- fach vermehrt.
(318) Die Wissenschaft bat in Beziehung auf die Ent- deckung neuer Pflanzen und Veredlung derselben schon viel geleistet, aber die Regierungen haben im Interesse der Ökonomie diesem wichtigen Gegenstand noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Ganz neuerlich will man in den Savannen von Nordamerika Grasarten entdeckt haben, die auch dem ärmsten Boden einen höheren Ertrag gewähren als die bekannten Futterkräuter auf dem reichsten.
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Es ist sehr wahrscheinlicli, daß in den Wildnissen Amerikas, Afrikas, Asiens und Australiens noch eine Menge Pflanzen nutzlos vegetieren, deren Verpflanzung und Veredlung den Wohlstand der Bewohner des gemäßigten Klima unendlich vermehren könnte.
Es ist klar, daß die meisten Veredlungen und Ver- pflanzungen der Tiere und Vegetabilien, die meisten Ent- deckungen, die in dieser Beziehung gemacht werden, sowie alle andern Fortschritte, Erfindungen und Entdeckungen, den Ländern der gemäßigten Zone und unter ihnen den Manufakturländern vorzugsweise zu statten kommen.
(319) Neunzehntes Kapitel.
Die Manufaktiirkraft und die Instnimeutalliräfte (materiellen Kapitale) der Nation.
Die Nation schöpft ihre produktive Kraft aus den geistigen und physischen Kräften der Individuen, oder aus ihren sozialen, bürgerlichen und politischen Zuständen und In- stitutionen, oder aus den ihr zu Gebote stehenden Natiu-- fonds, oder aus den in ihrem Besitz befindlichen Instru- menten, den materiellen Produkten früherer geistiger und körperlicher Anstrengungen (materielles Agrikultur-, Manu- faktur- und Handelskapital).
Von dem Einfluß der Manufakturen auf die drei erst- genannten Quellen der Nationalproduktivkräfte haben wir in den beiden zunächst voranstehenden Kapiteln gehandelt; der Darlegung ihres Einflusses auf die letztere ist das gegen- wärtige und das folgende Kapitel gewidmet.
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Was wir unter dem Ausdruck Instrumeutalkräfte begreifen, nennt die Schule Kapital.
Es kommt wenig darauf an, mit welchem Wort man einen Gregenstand bezeichne, aber sehr viel, zumal bei wissen- schaftlichen Erörterungen, darauf, daß das gewählte Wort immer einen und denselben Gegenstand (320) und nie mehr oder weniger bedeute. So oft daher von verschiedenen Gattungen einer Sache die Rede ist, tritt die Notwendigkeit der Unterscheidung ein. Nun begreift die Schule unter dem Wort Kapital nicht allein die materiellen, sondern auch alle geistigen und sozialen Hilfsmittel der Produktion. Offenbar sollte sie also überall, wo von Kapital die Rede ist, angeben, ob das materielle Kapital, die materiellen Instrumente der Produktion, oder das geistige Kapital, die moralischen und physischen Kräfte, welche der Persönlichkeit ankleben, oder welche die Individuen aus den sozialen, bürgerlichen und politischen Zuständen schöpfen, gemeint seien. Notwendig muß die Unterlassung dieser Unterscheidung da, wo sie ein- treten sollte, zu falschem Raisonnement führen oder dazu dienen, falsches Raisonnement zu verdecken. Da uns in- zwischen nicht sowohl daran gelegen ist, eine neue Termi- nologie zu begründen, als daran, die unter der Decke einer unzulänglichen Terminologie begangenen Irrtümer zu ent- hüllen, so werden wir den Terminus Kapital beibehalten, aber zwischen geistigem und materiellem Kapital, zwischen materiellem Agrikultur-, Manufaktur- und Handelskapital, zwischen Privat- und Nationalkapital unterscheiden.
Adam Smith führt vermittels des allgemeinen Aus- druckes Kapital folgendes bis auf den heutigen Tag von allen seinen Jüngern adoptierte Argument gegen die be- schützende Handelspolitik :
„Ein Land kann in der Tat vermittels solcher (be- schützender) Maßregein eine besondere Gattung von Manu- fakturen früher hervorbringen als ohne dieselben, und diese
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Art von Manufakturen wird nach einiger Zeit ebenso wohl- feile oder noch wohlfeilere Produkte liefern können als das Ausland. Allein obschon man auf (321) diese "Weise mit Erfolg die Nationalindustrie früher in diejenigen Kanäle leiten kann, in welche sie später von selbst geflossen wäre, so folgt doch daraus keineswegs, daß die Totalsumme der Industrie oder der Gesellschaftseinkünfte vermittels solcher Maßregeln vermehrt werden könne. Die Industrie der Gesell- schaft kann nur insoweit vermehrt werden, als ihr Kapital sich vermehrt, und das Kapital der Gesellschaft kann sich nur nach Maßgabe der Ersparnisse vermehren, die sie nach und nach an ihren Einkünften macht. Nun geht die unmittel- bare Wirkung dieser Maßregeln dahin, die Gesellschaftsein- künfte zu vermindern ; , sicherlich kann aber das, was diese Einkünfte vermindert, das Kapital nicht schneller ver- mehren, als es sich von selbst vermehrt haben würde, hätte man demselben sowie der Industrie freien Lauf ge- lassen." *)
Zum Beleg dieses Arguments führt der Gründer der Schule das bekannte und von uns in dem vorhergehenden Kapitel widerlegte Beispiel an, wie unsinnig es wäre, in Schottland Wein pflanzen zu wollen.
Im nämlichen Kapitel sagt er, das Jahreseinkommen der Gesellschaft sei nichts anderes, als der Tauschwert derjenigen Dinge, welche die Nationaliudustrie jährlich produziere.
In dem angeführten Argument liegt der Hauptbeweis der Schule gegen die beschützende Handelspolitik. Sie gibt zu, daß durch Schutzmaßregeln Fabriken emporgebracht und in den Stand gesetzt werden können, Mauufakturwaren so wohlfeil oder noch wohlfeiler zu produzieren, als sie vom
*) Nationalreichtum, Buch IV, E^ap. II.
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Ausland bezogen (322) werden können; sie behauptet aber, die unmittelbare Wirkung dieser Maßregeln gehe dahin, die Gesellschaftseinkünfte (den Tauschwert derjenigen Dinge, welche die Nationalindustrie jährlich produziere) zu ver- mindern. Dadurch schwäche sie ihr Vermögen, Kapitale zu erwerben, denn Kapitale würden durch Ersparnisse ge- bildet, welche die Nation an ihren jährlichen Einkünften mache; die Summe der Kapitale aber bedinge die Summe der Nationalindustrie, und diese sei nur im Verhältnis jener zu vermehren. Demnach schwäche sie ihre Industrie ver- mittels jener Maßregeln, durch Emporbringung einer In- dustrie, welche in der Natur der Dinge, wenn man ihnen ihren freien Lauf gelassen hätte, von selbst entstanden wäre.
Allererst ist gegen dieses Raisonnement zu bemerken, daß Adam Smith dabei das AVort Kapital in derjenigen Bedeutung genommen hat, in welcher es von den Rentiers oder Kaufleuten bei ihrer Buchführung und ihren Bilanzen genommen zu werden pflegt, nämlich als Hauptsumme ihrer Tauschwerte im Gegensatze zu dem daraus erwachsenden Einkommen.
Er hat vergessen, daß er selbst in seiner Definition des Kapitals die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Pro- duzenten unter diesem Terminus begreift.
Er behauptet fälschlich, die Einkünfte der Nation würden bloß durch die Summe ihrer materiellen Kapitale bedingt. Sein eigenes Werk enthält dagegen tausend Beweise, daß diese Einkünfte hauptsächlich durch die Summe ihrer geistigen und körperlichen Kräfte und ihrer sozialen und politischen Vervollkommnungen (vorzüglich durch vollkommnere Teilung der Arbeit und Konföderation der Nationalproduktivkräfte) bedingt werden und daß, wenn auch Schutzmaßregeln (323) für einige Zeit Aufopferung materieller Güter fordern, diese Opfer hundertfältig in Kräften, in der Fähigkeit, Tausch-
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werte zu erwerben, vergütet werden, folglich nur reproduktiv angelegte Yorauslagen der Nation sind.
Er hat vergessen, daß die Fähigkeit der ganzen Nation, die Summe ihrer materiellen Kapitale zu vermehren, haupt- sächlich in dem Vermögen besteht, unbenutzte Naturkräfte in materielles Kapital, in wertvolle und Einkommen ge- währende Instrumente zu verwandeln, und daß bei der Agrikulturnation eine Masse von Naturkräften müßig oder tot liegt, die nur durch die Manufakturen belebt werden kann. Er hat den Einfluß der Manufakturen auf den Innern und äußern Handel, auf die Zivilisation und Macht der Nation und auf die Behauptung ihrer Selbständigkeit und Unabhängigkeit, sowie auf die daraus entspringende Fähigkeit, materielle Güter zu erwerben, nicht berücksichtigt.
Er hat z. B. nicht in Anschlag gebracht, welche Masse Kapitals die Engländer durch ihre Kolonisationen erworben haben (Martin schätzt die Summe derselben auf mehr als 2V2 Milliarden Pfund Sterling).
Er, der doch anderswo so klar beweist, daß die im Zwischenhandel angelegten Kapitale als einer besonderen Nation nicht angehörig zu betrachten seien, so lange sie nicht dem Grund und Boden gleichsam einverleibt würden, hat hier nicht in Anschlag gebracht, daß die Einbürgerung solcher Kapitale am zweckmäßigsten vermittels der Begünstigung der inländischen Manufakturen realisiert wird.
Er hat nicht berücksichtigt, daß, angereizt durch die Begünstigung der einheimischen Fabrikation, eine (324) Masse fremder Kapitale, geistiger wie materieller, ins Land gezogen wird.
Er behauptet fälschlich, daß diese Manufakturen im natürlichen Lauf der Dinge von selbst entstanden wären, da doch bei jeder Nation die politische Macht ins Mittel tritt, um diesem sogenannten natürlichen Lauf zu ihrem be- sonderen Vorteil eine künstliche Richtung zu geben.
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Er hat sein auf ein zweideutiges Wort gegründetes, also grundfalsches Argument mit einem grundfalschen Beispiel erläutert, indem er damit, daß es töricht Aväre in Schottland auf künstliche Weise Wein zu pflanzen, dartun will, daß es töricht wäre, auf künstliche Weise Manufakturen zu pflanzen.
Er reduziert den Prozeß der Kapitalbildung in der Nation auf die Operation eines Rentiers, dessen Einkommen sich nach dem Wert seiner Kapitale bestimmt, und der sein Einkommen nur durch Ersparnisse, die er wieder zum Kapital schlägt, vermehren kann.
Er bedenkt nicht, daß diese Ersparnistheorie, die auf dem Kaufmannskontor allerdings richtig ist, von einer ganzen Nation befolgt, zur Armut, zur Barbarei, zur Unmacht, zur Nationalauflösung führen müßte. Wo jeder soviel spart und entbehrt, als er nur kann, da ist kein Reiz zur Produktion. Wo jeder nur auf die Anhäufung von TauscLwerten Bedacht nimmt, da schwindet die zur Pro- duktion erforderliche geistige Kraft. Eine aus so verrückten Geizhälsen bestehende Nation würde aus Furcht vor den Kriegskosten die Nationalverteidigung aufgeben und erst, nachdem alle ihre Habe fremden Erpressungen zum Opfer geworden, wahrnehmen, daß der Reichtum der (325) Nationen auf einem andern Wege zu erzielen sei als auf dem des Rentiers.
Der Rentier selbst muß als Familienvater eine ganz andere Theorie befolgen als die hier aufgestellte Kontor- theorie der materiellen Tauschwerte. Er muß zum wenigsten auf die Erziehung seiner Erben soviel Tauschwerte ver- wenden, daß sie in den Stand gesetzt werden, daß ihnen dereinst zufallende Eigentum zu verwalten.
Die Bildung der materiellen Nationalkapitale geht auf ganz anderem Wege von statten als auf dem der bloßen Er- sparnis wie beim Rentier, nämlich wie die der produktiven
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Kräfte überhaupt vermittels Wechselwirkung zwischen dem geistigen und materiellen Nationalkapital und zwischen dem Agrikultur-, Manufaktur- und Handelskapital.
Die Vermehrung der materiellen National kapitale ist be- dingt durch die Vermehrung der nationalen Geisteskapitale, und umgekehrt.
Die Entstehung der materiellen Ägrikulturkapitale ist bedingt durch die Entstehung der materiellen Manufaktur- kapitale und umgekehrt.
Das materielle Handelskapital tritt überall vermittelnd,, helfend, ausgleichend zwischen beide.
Im rohen Zustande, im Zustande des Jägers und des Fischers, bietet die Naturkraft fast alles; das Kapital ist fast null. Der ausw^ärtige Handel vermehrt das letztere, zerstört aber eben dadurch (durch Feuergewehre, Pulver, Blei) die Produktivität des erstem gänzlich. Die Ersparnis- theorie kann dem Jäger nicht frommen, er muß zugrunde gehen oder ein Hirte werden.
Im Hirtenstand wächst das materielle Kapital schnell, jedoch nur soweit, als die Naturkraft dem (326) Vieh frei- willig Nahrung bietet. Die Vermehrung der Bevölkerung folgt aber der Vermehrung des Viehstandes und der Lebens- mittel auf dem Fuße nach. Einerseits verteilen sich Vieli- stand und Weide in immer kleinere Teile, anderseits bietet der fremde Handel Reiz zur Konsumtion. Vergebens würde man dem Hirtenvolk die Ersparnistheorie predigen, es muß in Armut versinken oder in den Agrikulturstand übergehen.
Dem Agrikulturvolk eröffnet sich durch Benutzung der toten Naturkräfte ein weites, aber gleichwohl begrenztes Feld der Bereicherung.
Der Agrikulturist für sich allein kann Lebensmittel er- übrigen, seine Felder verbessern, seinen Viehstand vermehren, aber der Vermehrung der Subsistenzraittel folgt überall die Vermehrung der Bevölkerung. Das materielle Kapital,
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namentlich Ländereien und Vieh, in dem Verhältais, als jene furchtbarer werden imd diese sich vermehren, verteilt sich auf eine größere Anzahl von Köpfen. Da aber die Oberfläche der Läadereien durch Fleiß nicht zu vermehren ist; da bei dem Mangel an Transportanstalten — die, wie wir in dem vorhergehenden Kapitel gezeigt haben, aus Mangel an Verkehr in diesem Zustand nur unvollkommen sind — die Ländereien nicht ihrer natürlichen Beschaffenheit gemäß benutzt werden können; da es in der bloßen Agri- kulturnation großenteils an denjenigen Instrumenten, Ein- sichten, Reizmitteln und an derjenigen Energie und gesell- schaftlichen Ausbildung fehlt, die der Nation durch die Manufakturen und durch den daraus erwachsenden Handel mitgeteilt werden: so kommt das bloße Agrikulturvolk bald zu einem Punkt, wo die Vermehrung des materiellen Agri- kulturkapitals mit der Vermehrung der Bevölkerung nicht mehr gleichen Schritt (327) halten kann, wo also die indi- viduelle Armut mehr und mehr steigt, ungeachtet das Ge- samtkapital der Nation sich immer noch vermehrt.
In einem solchen Zustande besteht das bedeutendste Produkt der Nation in Menschen, die, da sie im Laude keinen zureichenden Unterhalt finden können, nach andern Ländern auswandern. Einem solchen Lande kann es nur wenig Trost gewähren, daß die Schule den Menschen als ein aufgehäuftes Kapital betrachtet, da die Menschenausfuhr keine Rückfrachten, sondern in der Form von Gerätschaften, Geld usw. den unproduktiven Abfluß bedeutender Summen von materiellen Werten zur Folge hat.
Es ist klar, daß in einem solchen Zustand, wo die nationale Teilung der Arbeit nicht gehörig entwickelt ist, weder Fleiß noch Sparsamkeit Vermehrung des materiellen Kapitals (materielle Bereicherung der Individuen) zur Folge haben kann.
Allerdings ist das Agrikulturland selten ganz ohne aus-
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wärtigen Handel, und der auswärtige Handel, so weit er geht, ersetzt auch die Stelle der Innern Manufak- turen in Beziehung auf die Kapitalvermehrung, indem er den Manufakturisten des fremden Landes mit dem Agrikulturisten des eigenen Landes in "Verbindung setzt. Doch geschieht dies nur teilweise und höchst unvoll- kommen: einmal weil diese Verbindung nur auf spezielle Stapelprodukte und hauptsächlich nur auf die an den See- küsten und schiffbaren Strömen gelegenen Landstriche sich erstreckt, und dann, weil sie jedenfalls eine sehr unregel- mäßige ist und häufig durch Kriege, Handelsfluktuationen und Handelsmaßregeln, reiche Ernten oder auswärtige Zufuhr unterbrochen wird.
(328) Die Vermehrung des materiellen Agrikultur- kapitals geht erst in großem Maßstab, auf regelmäßige Weise und ins Unendliche von statten, wenn eine vollständige Manufakturkraft in der Mitte der Agrikulturisten entsteht.
Bei weitem der größte Teil der materiellen Kapitale einer Nation ist an den Grund und Boden gebunden. In jeder Nation beträgt der Wert der Ländereien, der land- wirtschaftlichen und städtischen Wohngebäude, der Werk- stätten, Fabriken, Wasserwerke, Bergwerke usw. zwei Dritteile und bis zu neun Zehnteilen aller Werte der Nation. Es ist demnach als Regel anzu- nehmen, daß alles, Avas den Wert des liegenden Eigentums vermehrt oder vermindert, die Summe der materiellen Ka- pitale der Nation vergrößert oder verkleinert. Nun beob- achten wir, daß der Kapitalwert der Ländereien bei gleicher natürlicher Ertragsfähigkeit ohne Vergleichung größer ist in der Nähe einer kleinen Stadt als in abgelegenen Gegenden, daß dieser Wert ohne Vergleichung größer ist in der Nähe einer großen als einer kleinen Stadt und daß bei Manufaktur- nationen diese Werte ohne alle Vergleichung größer sind als bei bloßen Agrikulturnationen. Umgekehrt beobachten
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wir, daß der "Wert der städtischen Wohu- und Maniifaktur- gebäude und Bauplätze in der Regel in demselben Ver- hältnis fällt oder steigt, in welchem der Verkehr der Stadt mit den Agrikulturisten sich erweitert oder beschränkt, oder in welchem diese Agrikulturisten in ihrem Wohlstand vor- oder rückwärts gehen. Hieraus erhellt, daß die Vermehrung des Agrikulturkapitals durch die Vermehrung des Manu- fakturkapitals und umgekehrt dieses durch jenes bedingt wird.
(329) Diese Wechselwirkung ist aber bei dem Über- gang aus dem Agrikulturstand in den Manufakturstand weit stärker auf selten der Manufakturen als auf selten der Agri- kultur. Denn wie die Kapitalvermehrung bei dem Übergang aus dem Jägerstand in den Hirtenstand hauptsächlich durch den schnellen Herdezuwachs — wie die Kapitalvermehrung bei dem Übergang aus dem Hirtenstand in den Agrikulturstand hauptsächlich durch den schnellen Zuwachs an fruchtbarem Land und an Produkten- Surplus — so Avird bei dem Übergang aus dem Agrikulturstand in den Manufakturstand die Ver- mehrung des materiellen Kapitals der Nation hauptsächlich durch diejenigen Werte und Kräfte bewirkt, welche auf die Errichtung von Manufakturen verwendet werden, weil dadurch eine Masse von bisher unbenutzten Natur- und Geisteskräften in geistige und materielle Kapitale verwandelt wird. Weit entfernt, der Ersparuug von materiellem Kapital hinderlich zu sein, gewährt das Aufkommen der Manufakturen der Nation erst die Mittel, ihre Agrikulturersparnisse auf ökonomische Weise anzulegen^ wird sie erst dadurch zur Agrikultur- ersparnis angespornt.
In den gesetzgebenden Körpern von Nordamerika ist vielfältig angeführt worden : aus Mangel an Absatz verfaule dort Getreide auf dem Halm, indem der AVert desselben die Erntekosten nicht bezahle. Von Ungarn wird behauptet, daß dort der Agrikulturist im Überfluß fast ersticke, wäh-
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rend die Manufakturwaren drei- bis viermal teurer seien, als in England. Selbst Deutschland weiß sich solcher Zeiten zu erinnern. In Agrikulturstaaten ist demnach nicht alles überflüssige Agrikulturprodukt materielles Kapital. Erst durch die Manufakturen wird dasselbe vermittels der Auf- speicherung (330) zu Handelskapital und vermittels des Absatzes an den Manufakturisten zu Manufakturkapital. Was in der Hand des Agrikulturisten müßig liegender Vorrat sein kann, wird in der Hand des Manufakturisten zu pro- duktivem Kapital, und umgekehrt.
Die Produktion ermöglicht die Konsumtion, und der Wunsch, zu konsumieren, reizt zur Produktion, Die bloße Agrikulturnation ist in ihrer Konsumtion von fremden Ver- hältnissen abhängig ; und wenn diese ihr nicht günstig sind, so erstirbt diejenige Produktion, welche infolge des Reizes zur Konsumtion erstanden wäre. In derjenigen Nation aber, welche die Manufakturen mit der Agrikultur auf ihrem Territorium vereinigt, besteht der wechselseitige ßeiz fort- während, daher auch fortwährendes Steigen der Produktion und damit Vermehrung der Kapitale auf .beiden Seiten.
Da die Agrikulturmanufakturnation aus den von uns entwickelten Gründen an materiellem Kapital stets ohne alle Vergleichung reicher ist als die bloße Agrikulturnation (wie auch schon der Augenschein lehrt), so steht bei ihr der Zinsfuß immer viel niedriger, so stehen bei ihr den Unter- nehmern größere Kapitale und zu billigeren Bedingungen zu Gebote als in der Agrikulturnation. Daher siegreiche Konkurrenz mit den neuaufkommenden Fabriken in der Agrikulturnation; daher stetes Überführen des Manufaktur- marktes bei der Agrikulturnation ; daher fortwährendes Ver- schulden der Agrikultur na tion gegen die Manufakturuation und auf den Märkten der ersteren fortwährende Schwankung in den Produkten-, Manufakturwaren- und Geldpreisen, wo- durch die Anhäufung der materiellen Kapitale nicht minder
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als die Moralität und Wirtschaftlichkeit der AgrikulturnatioQ gefährdet wird.
(331) Die Schule unterscheidet fixes Kapital von zir- kulierendem und rechnet unter jenes auf die wunderlichste Weise eine Menge in Umlauf befindlicher Dinge, ohne von dieser Distinktion irgendeine praktische Anwendung zu machen. Den einzigen Fall, in welchem eine solche Distink- tion von Wert sein kann, übergeht sie mit Stillschweigen. Das materielle wie das geistige Kapital ist nämlich zum großen Teil an die Agrikultur oder an die Manufakturen oder an den Handel oder an einzelne Zweige derselben, ja oft sogar an einzelne Lokalitäten gebunden. Obstbäume, wenn sie niedergehauen werden, haben offenbar für den Manufakturisten, wenn er sie zu Holzarbeiten benützt, nicht denselben Wert wie für den Agrikulturisten, wenn dieser sie zur Obstproduktion benützt. Schäfereien, wenn sie, wie dies schon etlichemal in Deutschland und Nordamerika der Fall gewesen, in Masse abgeschlachtet werden müssen, haben offenbar nicht den Wert, den sie als Wollproduktions- instrumente haben würden. Weinberge haben als solche einen Wert, den sie, als Ackerfeld benutzt, verlieren. Schiffe, als Bau- oder Brennholz benutzt, haben einen weit geringeren Wert, als wenn sie zum Transport dienen. Wozu sollen Fabrikgebäude, Wassergefälle und Maschinen dienen, wenn die Spinnfabrikation in Zerfall gerät? Auf gleiche Weise verlieren die Individuen in der Regel den größten Teil ihrer in Übungen, Gewohnheiten und Geschicklichkeiten be- stehenden Produktivkraft, wenn sie deplaziert werden. Die Schule belegt alle- diese Dinge und Eigenschaften mit dem all- gemeinen Namen Kapital und verpflanzt sie kraft dieser Ter- minologie nach Belieben von einem Nahrungszweig auf den andern. So rät Say den Engländern, ihr Manufakturkapital auf den Ackerbau (332j zu verwenden. Wie dieses Wunder zu vollbringen sei, hat er nicht näher angegeben und ist
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den eoglischen Staatsmännern wohl bis auf diesen Tag ein Geheimnis geblieben. Offenbar hat hier Say das Privat- kapital mit dem Nationalkapital verwechselt. Ein Manufak- turist oder Kaufmann kann seine Kapitale aus den Manu- fakturen oder aus dem Handel zurückziehen, indem er seine Fabrik oder seine Schiffe verkauft und mit dem Erlös Grundeigentum kauft; eine ganze Nation aber könnte diese Operation nur durch Aufopferung eines großen Teiles ihrer materiellen und geistigen Kapitale bewerkstelligen. Der Grund, weshalb die Schule so klare Dinge so kunstgemäß verdunkelt, ist einleuchtend. Nennt man die Dinge bei ihrem rechten Namen, so begreift sich leicht, daß die Über- tragung ihrer produktiven Kräfte von einem Nahrungszweig auf den andern Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten unter- worfen ist, die nicht immer zugunsten des freien Handels, gar oft aber zugunsten des Nationalschutzes sprechen.
(333) Zwanzigstes Kapitel. Die Mauufakturkr.aft iiiitl das Agrikiilturinteresse.
Würden Schutzmaßregeln zugunsten der inländischen Manufakturen den Konsumenten der Manufakturwaren zum Nachteil und einzig den Manufakturisten zur Bereicherung gereichen, so müßte dieser Nachteil vorzüglich die Grund- besitzer und Agrikulturisten treffen, die zahlreichste und wichtigste Klasse jener Konsumenten. Es ist aber zu be- weisen, daß eben dieser Klasse noch weit größere Vorteile aus dem Aufkommen der Manufakturen erwachsen als den Manufakturisten selbst, denn durch die Manufakturen wird Nachfrage nach einer größeren Mannigfaltigkeit und nach
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größeren Quautitäten von Agrikulturprodukten erzeugt, wird der Tauschwert dieser Produkte gehoben, wird der Agri- kulturist in den Stand gesetzt, seinen Grund und Boden und seine Arbeitskräfte besser zu benutzen. Daraus er- wächst Steigen der Grundrente, der Profite und Arbeits- löhne, und die Vermehrung der Rente und der Kapitale hat Vermehrung des Tauschwertes von Grund und Boden und der Arbeit zur Folge.
(334) Der Tauschwert des Landeigentums ist nichts anderes als die kapitalisierte Landrente; er ist bedingt einerseits durch die Quantität und den Wert der Rente, andererseits durch die in der Nation befindlichen Quantitäten Yon geistigen und materiellen Kapitalien überhaupt.
Jede individuelle und soziale Vervollkommnung, jede Vermehrung der produktiven Kraft in der Nation überhaupt, am meisten aber die Manufakturkraft, steigert die Quantität der Rente, w^ährend sie quotativ dadurch vermindert wird. In einer wenig gebildeten und wenig bevölkerten Agri- kulturnation, z. B. in Polen, beträgt die Rentenquote die Hälfte oder den dritten Teil des Bruttoertrags; in der ge- bildeten, bevölkerten und reichen Nation, z. B. in England, beträgt sie nur den vierten oder fünften Teil. Gleichwolü ist die Quantität dieser geringeren Quote ungleich be- deutender als die Quantität jener größeren Quote, besonders in Geld und noch mehr in Manufakturwaren, weil der fünfte Teil von 25 Bushel des durchschnittlichen Weizen- ertrags in England 5 Bushel — der dritte Teil aber von 9 Bushel, des durchschnittlichen Weizenertrages von Polen nur 3 Bushel beträgt; weil ferner jene 5 Bushel in Eng- land im Durchschnitt 25—30 Schilling, diese 3 Bushel im innern Polen aber höchstens 8—9 Schilling wert sind ; weil endlich die Manufakturwaren in England wenigstens noch einmal so wohlfeil sind als in Polen, folglich der englische Grundeigentümer für seine 30 Schilling Geldrente 10 Ellen
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Tuch kaufen kann, der polnische aber für seine 10 Schilling Geldrente nur 2 Ellen, woraus hervorgeht, daß der eng- lische Grundbesitzer bei dem fünften Teil des Bruttoertrags als Rentier sich dreimal besser und (335) als Manufaktur- warenkonsument fünfmal besser steht als der polnische bei dem dritten Teil des Bruttoertrags. Daß aber Pächter und landwirtschaftliche Arbeiter in England, zumal als Manu- fakturwarenkonsumenten, sich ungleich besser stehen müssen als in Polen, erhellt daraus, daß bei dem Ertrag von 25 Bushel in England 20 Bushel auf Aussaat, Feldbestellung, Taglohn und Profite kommen, wovon die Hälfte, oder 10 Bushel, auf die beiden letztern gerechnet, einen Durch- schnittswert von 60 Schilling oder 20 Ellen Tuch (ä 3 Schilliog die Elle) haben, während bei dem Ertrag von 9 Bushel in Polen nur 6 Bushel auf Aussaat, Feldbestellung, Profit und Taglohn kommen, wovon die Hälfte oder 3 Bushel, auf die beiden letztern gerechnet, nur einen Wert von 10—12 Schilling oder 2^2 Ellen Tuch hat.
Die Rente ist ein Hauptmittel, materielle Kapitale nutz- bringend anzulegen. Ihr Preis richtet sich daher auch nach der Quantität der in der Nation befindlichen Kapitale und nach dem Verhältnis des Angebots zur Nachfrage. Bei dem Überfluß der Kapitale, welcher sich infolge des einheimischen und fremden Handels usw. in der Manufakturnation sammelt, bei dem hier bestehenden geringen Zinsfuß und dem Um- stände, daß in der Manufaktur- und Handelsnation stets eine Menge reich gewordener Individuen ihren Überfluß an materiellem Kapital in Grund und Boden anzulegen sucht, stehen die Preise einer gegebenen Summe von Landrente immer ungleich höher in einer solchen Nation als in der bloßen Agrikulturuation. • In Polen wird die Landrente zum 10- bis 20 fachen Betrag verkauft, in England zum 30- bis 40 fachen.
In dem Verhältnis, in welchem der Geldwert (336) der
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Grundrente in der Manufaktur- und Handelsnation sich höher stellt als in der Agrikulturnation, steht auch der Geld- wert der Ländereien bei jenen höher als bei diesen. Bei gleicher den Ländereien von Natur beiwohnender Ertrags- fähigkeit steht der Wert derselben in England 10- bis 20mal höher als in Polen.
Daß die Manufakturen auf den Stand der Rente und demnach auf den Stand des Tauschwertes von Grund und Boden Einfluß haben, bemerkt wohl auch Adam Smith am Schlüsse des neunten Kapitels seines ersten Buches, aber nur beiläufig, und ohne die unermeßliche Bedeutung der Manufakturen in dieser Beziehung gehörig ins Licht zu stellen. Er unterscheidet dort diejenigen Ursachen, welche auf die Vermehrung der ßente direkten Einfluß üben, wie z. B. die Verbesserungen der Ländereien, die Ver- mehrung des Viehstandes nach Quantität und Tauschwert, von denen, welche einen indirekten Einfluß darauf üben, wohin er die Manufakturen rechnet. Auf diese Weise stellt er die Hauptursache der Vermehrung der Grund-, r e n t e und des Wertes der Ländereien, nämlich die Manu- fakturen, dergestalt in den Hintergrund, daß sie kaum bemerkbar ist, während er die Verbesserung der Ländereien und die Vermehrung des Viehstandes, die doch selbst größtenteils Wirkungen der Manufakturen und des daraus entstehenden Handels sind, denselben gleichsam als Haupt- ursache voran- oder doch gegenüberstellt. Adam Smith und seine Schüler haben den Wert der Manufakturen in dieser Beziehung bei weitem nicht in seinem vollen Umfang an- erkannt.
Wir haben bemerkt, daß infolge der Manufakturen und des damit verbundenen Handels der Wert der Ländereien in England 10- bis 20 mal höher steht (337) als in Polen, bei gleicher natürlicher Ertragsfähigkeit. Vergleichen wir nun den Totalbetrag der englischen Manufakturproduktion
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und des englischen Manuf aktur kapital s mit dem Totalbetrag der englischen Agrikulturproduktion und des englischen Agrikulturkapitals , so finden wir , daß der größte Teil des Reichtums der Nation in dem so erhöhten Wert des Grund- eigentums sich ausspricht.
Mac Queen (a. a. 0.) entwirft nachstehende Uebersicht des englischen Nationalreichtums und Nationaleinkommens: I. Nationalkapital:
1. in der Agrikultur angelegt Ländereien,
Minen und Fischereien 2604 Mill.
Betriebskapital an Yieh, "Werkzeugen,
Vorräten und Geld 655 „
Hausgerätschaften der Agrikulturisten 52 „
"3311 Mill.
2. in den Manufakturen und im Handel
angelegt :
Manufakturen und innerer
Manufakturwarenhandel 1781/2 Mill.
Kolonialwarenhandel . . 11 „
Fremder Manufaktur- warenhandel . . . . 16 V2 „
206 Mmr
Dazu Zuwachs seit 1835, in welchem Jahre diese Schätzung stattgefunden habe 12 Mill.
218 Mill.
Sodann an städtischen Ge- bäuden aller Art und an Manufakturgebäuden . 605 Mill.
(338) An Schiffen 33^/2 „
AnBrücken, Kanälen und Eisenbahnen .... 118 „ An Pferden, die nicht in
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der Agrikultur beschäf- tigt sind 20 Mill.
770 1/2 Mill.
Betrag des ganzen Nationalkapitals mit
Ausnahme der in den Kolonien, in
auswärtigen Anleihen und in der
englischen Staatsschuld angelegten
Kapitale 4305 V2 Mill.
IL Brutto Nationalproduktion:
1. Landwirtschaft, Minen und Fische- reien 539 Mill.
2. Manufakturproduktion 259^2 „
T98V2~Miir.
Aus dieser Übersicht erhellt:
1. daß der Wert des der Agrikultur gewidmeten Grundes und Bodens -''/43 alles englischen Nationalvermögens und ungefähr zwölf mal mehr beträgt als der Wert sämtlicher in den Manufakturen und im Handel angelegten Kapitale;
2. daß sämtliche im Ackerbau angelegte Kapitale über drei Yierteile des englischen Nationalkapitals betragen;
3. daß der Wert des gesamten liegenden Eigentums von England,
nämlich der Ländereien usw 2604 Mill.
der städtischen und Manufakturgebäude . 605 „
der Kanäle und Eisenbahn 118 „
"3327 Mill. also über drei Vierteile des ganzen englischen National- kapitals beträgt;'
4. daß das Manufaktur- und Handelskapital mit Ein- rechnung der Schiffe im ganzen nicht mehr als 241 V2 (339) Millionen, folglich nur ungefähr ^/is des englischen National- reichtums ausmacht;
5. daß das gesamte englische Agrikulturkapital mit
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3311 Mill. ein Bruttoeinkommen von 539 Mill., folglich ungefähr 16 Prozent gewährt, während das Manufaktur- und Handelskapital im Betrag zu 218 Mill. eine Bruttoproduktion von jährlichen 259 ^/2 Mill. oder von 120 Prozent zur Folge hat.
Hierbei ist nun vor allem ins Auge zu fassen, daß die 218 Mill. Manufakturkapital mit einer Jahresproduktion von 259 ^/2 Mill. die Hauptursache sind, weswegen das englische Agrikulturkapital auf die enorme Summe von 3311 Mill. und dessen Jahresproduktion auf die enorme Summe von 539 Mill. anwachsen konnte. Bei weitem -der größte Teil des Agri- kulturkapitals besteht im Wert der Ländereien und des Viehes. Die Manufakturen, indem sie die Bevölkerung des Landes verdoppelten und verdreifachten , indem sie die Mittel zu einem unermeßlichen Handel, zu Erwerbung und Ausbeutung einer Menge von Kolonien und zu einer großen Schiffahrt lieferten, vermehrten in gleichem Yerhältnis die Nachfrage nach Lebensmitteln und Rohstoffen, gewährten den Agri- kulturisten Mittel und Reiz, diese größere Nachfrage zu be- friedigen, erhöhten den Tauschwert dieser Produkte und wirkten so auf die verhältnismäßige Yermehrung der Quan- tität und des Tauschwerts der Landrente, folglich des Wertes von Grund und Boden. Man vertilge diese 218 Mill. Manu- faktur- und Handelskapital, und man wird nicht allein die 259 1/2 Mill. Manufakturproduktion, sondern auch den größten Teil der 3311 Mill. Agrikulturkapital und folglich der 539 Mill. Agrikulturproduktion (340) schwinden sehen. Die englische Nationalproduktion wird nicht bloß 259^2 Mill. (den Wert ihrer Manufakturproduktion) verlieren, der Tausch- wert des Grund und Bodens wird auf den Stand, den er in Polen hat, d. h. auf den zehnten oder zwanzigsten Teil seines jetzigen Bestandes herabsinken.
Hieraus folgt, daß alles von der Agrikulturnation auf nutzbringende Weise in Manufakturen verwandte Kapital im
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Laufe der Zeit den Wert von Grund und Boden um das Zehnfache vermehrt. Erfahrung und Statistik bestätigen überall diesen Satz. Überall haben wir infolge des Auf- kommens der Manufakturen diese Werte und die des Vieh- standes schnell steigen sehen. Man vergleiche den Stand dieser Werte in Frankreich (1789 und 1840), in Nordamerika (1820 und 1830) oder in Deutschland (1830 und 1840), wie sie bei niedrigem und bei hohem Stand der Manufakturen sich gestellt haben, und man wird unsere Beobachtung über- all bestätigt finden.
Der Grund dieser Erscheinung liegt in der erhöhten Produktionskraft der Nation, die aus der zweckmäßigen Teilung der Arbeit und aus der verstärkten Konföderation der Nationalkräfte, so wie aus besserer Benutzung der der Nation zur Disposition stehenden Geistes- und Naturkräfte und aus dem fremden Handel erwächst.
Es sind dies ganz dieselben Ursachen und Wirkungen, wie wir sie an den verbesserten Transportmitteln wahr- nehmen, die nicht nur an und für sich eine Rente und da- durch Ersatz für das darauf verwendete Kapital gewähren, sondern auch außerdem das Aufkommen der Manufakturen und des Ackerbaues mächtig fördern, wodurch sie im Lauf der Zeit den Wert des in ihrem (341) Bereich liegenden Grundeigentums um das Zehnfache derjenigen materiellen Kapitale vermehren, welche auf sie verwendet worden sind. Der Agrikulturist befindet sich im Vergleich mit den Unter- nehmer von dergleichen Werken in dem großen Vorteil, daß ihm sein zehnfacher Gewinn des Anlagekapitals jedenfalls gewiß ist und daß er diesen Gewinn ohne alle Opfer erreicht, während der Unternehmer der Werke sein ganzes Kapital aufs Spiel setzen muß. In gleich günstiger Lage befindet sich der Agrikulturist den Unternehmern von neuen Fabriken gegenüber.
Ist nun aber diese Wirkung der Manufakturen auf die
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Agrikulturprodulvtion , auf die Rente und folglich auf den Wert des Grundeigentums so bedeutend und so vorteilhaft für alle, die in der Agrikultur interessiert sind : wie läßt sich alsdann behaupten, die Manufakturen würden durch Schutz- maßregeln auf Kosten der Agrikulturisten begünstigt?
Der materielle Wohlstand des Agrikulturisten wie aller andern Privatpersonen ist zunächst dadurch bedingt, daß der Wert seiner Produktion den Wert seiner Konsumtionen über- steige. Es kommt also bei ihm nicht sowohl darauf an, daß die Manufakturwaren wohlfeil seien, als hau j)t sächlich darauf, daß eine große Nachfrage nach mannigfaltigen Agrikultur- produkten bestehe und daß sie großen Tauschwert haben. Wenn nun die Schutzmaßregeln dahin wirken, daß der Agri- kulturist durch die Verbesserung seines Produktenmarktes mehr gewinnt, als er durch die Steigerung der Preise seiner Mauufakturbedürfnisse verliert, so kann von keinem Opfer zugunsten der Mauufakturisten bei ihm die Rede sein. Diese Wirkung aber ist unausbleiblich bei allen zu Emporbringung einer eigenen (342) Manufakturkraft berufenen Nationen, und sie stellt sich bei solchen am unverkennbarsten ins Licht in der ersten Periode des Auflebens der eigenen Manufak- turen, weil in diesem Zeitpunkt eben die meisten in die Industrie übergehenden Kapitale auf die Anlegung von Wohn- und Fabrikgebäuden, Wasserwerken usw. verwendet werden, Verwendungen, Avelche größtenteils dem Agrikulturisten zu- gute kommen. Wie aber schon im Anfange die Vorteile des größepen Produktenabsatzes und des vermehrten Produkten- wertes den Nachteil der erhöhten Manufakturpreise w^eit aufwiegen, so muß dieses günstige Verhältnis immer weiter zum Vorteil der Agrikulturisten sich ausbilden, weil das Aufblühen der Fabriken im Lauf der Zeit immer mehr dahin wirkt, die Preise der Agrikulturprodukte in die Höhe zu treiben und die Preise der Fabrikprodukte herabzudrücken.
Sodann wird der Wohlstand des Agrikulturisten und
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des Grundbesitzers insbesondere dadurch bedingt, daß der Wert seines Instruments, nämlich seines Grundbesites, sich wenigstens in dem bisherigen Bestand erhalte. Dies ist nicht nur Hauptbedingung seines Wohlstandes, sondern häufig seiner ganzen ökonomischen Existenz. Es ereignet sich nämlich nicht selten, daß die Jahresproduktion des Land- wirts seine Konsumtion übersteigt und daß er gleichwohl sich ruiniert sieht. Dieser Fall tritt ein, wenn, während auf seinem Grundbesitz Geldschulden haften, der allgemeine Kredit schwankend wird; wenn einerseits die Nachfrage nach Geldkapitalien das Angebot, andererseits das Angebot von Ländereien die Nachfrage übersteigt. In solchen FäUen reißt allgemeine Kündigung von Geldanleihen und allge- meines Angebot von Ländereien, folglich Unwert des Grund- eigentums ein, und eine große Anzahl (343) der unter- nehmendsten, tüchtigsten und sparsamsten Landwirte geht zugrunde, nicht weil ihre Konsumtion ihre Produktion über- stiegen hat, sondern weil ihr Produktionsinstrument, ihr Grundbesitz, unter ihren Händen, infolge von Ursachen, die sich außerhalb ihrer Kontrolle befinden, einen bedeutenden Teil seines Tauschwertes verloren hat ; sodann weil dadurch ihr Kredit erschüttert worden ist, und endlich weil die Summe der auf ihrem Grundeigentum haftenden Geldschulden mit dem durch den allgemeinen Unwert des Grundeigentums herabgedrückten Geldwert ihrer Besitzungen nicht mehr im Verhältnis steht. Dergleichen Krisen sind in Deutschland und Nordamerika im Laufe der verflossenen fünfzig Jahre mehr als einmal eingetreten, und auf diese Weise ist ein großer Teil des deutschen Adels besitz- und güterlos ge- worden, ohne daß er recht zur Einsicht gekommen wäre, daß er dieses Scliicksal eigentlich der Politik seiner Brüder in England , . den so wohlgesinnten Tories , zu verdanken habe.
Ganz anders ist dagegen die Lage des Agrikulturisten
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und Güterbesitzers in Ländern, wo die Manufakturen in kräftigem Aufblühen begriffen sind. Jetzt, indem die Produk- tivfähigkeit der Ländereien und die Produktenpreise sich heben, gewinnt er nicht allein den Betrag dessen, um was der Wert seiner Produktion den Wert seiner Konsumtion übersteigt, er gewinnt als Grundbesitzer nicht bloß den Kentenzuwachs, sondern den Kapitalbetrag des Renten- zuwachses. Sein Vermögen an Tauschwerten verdoppelt und verdreifacht sich, nicht weil er mehr arbeitet, weil er seine Felder verbessert , . weil er mehr spart , sondern weil der Tauschwert seiner Besitzungen infolge der Manufakturen sich vermehrt hat. Diese Wirkung verschafft ihm (344) Mittel und Reiz zu größerer geistiger und körperlicher An- strengung, zu Verbesserung seiner "Felder, zu Vermehrung seines Viehstandes, zu größerer Sparsamkeit bei vermehrter Konsumtion. Mit der Vermehrung des AVertes seines Grund und Bodens erhöht sich sein Kredit und damit die Fähigkeit, sich die zu seinen Verbesserungen erforderlichen materiellen Kapitale zu verschaffen.
Smith übergeht diese Verhältnisse des Tauschwertes von Grund und Boden mit Stillschweigen. Say dagegen meint, auf den Tauschwert der Ländereien komme wenig an, da sie, ob sie hoch oder niedrig stehen, der Produktion stets dieselben Dienste leisteten. Es ist traurig, von einem Schriftsteller, welchem seine deutschen Übersetzer das Prä- dikat eines Lehrers der Völker beilegen, so grundfalsche Ansichten über eine Sache aussprechen zu hören, die so tief in die Wohlfahrt der Nation eingreift. Wir glauben da- gegen behaupten zu müssen, daß es keinen sicheren Maß- stab des Nationalwohlstandes gebe als das Steigen und Fallen des Tauschwertes von Grund und Boden, und daß Fluk- tuationen und Krisen in demselben unter die verderblichsten aller Landplagen zu rechnen seien.
Auch zu dieser irrigen Ansicht ist die Schule durch
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ihre Vorliebe für die Tiieorie des freien Handels, wie sie denselben verstanden wissen will, verleitet worden. Denn nirgends sind Fluktuationen und Krisen im Wert und Preis des Grundeigentums größer als bei Agrikulturnationen, welche mit geldreichen und n;iächtigen Manufaktur- und Handels- nationen in unbeschränktem Verkehr stehen.
Auch der fremde Handel, es ist wahr, wirkt auf die Vermehrung der Rente und des Wertes von Grund (345) und Boden, aber ohne alle Vergleichung weniger durch- greifend, gleichförmig und nachhaltig als das Aufkommen der Innern Manufakturen, das fortwährende regelmäßige Steigen der Manufakturproduktion und der Tausch von ein- heimischen Manufakturprodukten gegen einheimische Agri- kulturprodukte.
Solange die Nation noch eine große Quantität un- benutzter oder schlecMbenutzter Ländereien besitzt, so lange sie Stapelartikel produziert, die von der reicheren Manu- fakturnation im Tausch gegen Manufaktur waren entgegen- genommen werden, soweit diese Artikel leicht zu trans- 23ortieren sind, und solange die Nachfrage nach diesen Artikeln nachhaltig und einer dem Wachstum der produk- tiven Kräfte der Agrikulturnation entsprechenden jährlichen Zunahme fähig ist und durch Kriege und fremde Handels- inaßregeln nicht unterbrochen wird, wirkt der fremde Handel kräftig auf die Erhöhung der Rente und des Tauschwerts von Grund und Boden. Sobald aber eine dieser Bedingungen fehlt oder aufhört, kann er zur Ursache von Stagnationen, ja häufig von bedeutenden und fortwährenden Rückschritten werden.
Am schädlichsten wirkt in diesem Verhältnis die Wandel- barkeit der auswärtigen Nachfrage, wenn infolge von Kriegen, Miß wachs, Mangel an Zufuhr von andern Seiten oder durch sonstige Verhältnisse und Ereignisse die Manufakturnation großer Quantitäten von Lebensmitteln und Rohstoffen über-
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haupt oder von besonderen Stapelartikeln bedarf, und wenn dann diese Nachfrage infolge eingetretenen Friedens oder reicher Ernten oder größerer Zufuhr aus andern Gegenden oder infolge von politischen Maßregeln zum größten Teil wieder aufhört. Dauert die Nachfrage nur kurze (346) Zeit, so mag einiger Gewinn für die Agrikulturnation daraus er- wachsen; dauert sie aber jahrelang oder eine Reihe von Jahren, so werden dadurch alle Verhältnisse der Agrikultur- nation, alle Privatwirtschaften geregelt. Der Produzent ge- wöhnt sich an Konsumtionen, ihm werden Genüsse zum Bedürfnis, die er unter andern Umständen für Luxus ge- hallen hätte. Auf den erhöhten Ertrag und Wert seines Grundeigentums fußend, unternimmt er Kulturverbesserungen, Bauten, Ankäufe, die er nie gemacht haben würde. Käufe und Verkäufe, Pachtverträge, Anleihen werden nach dem Maßstabe der vermehrten Renten und Werte abgeschlossen. Der Staat selbst trägt kein Bedenken, seine Ausgaben nach dem Maßstabe des vergrößerten Wohlstandes der Privaten zu vermehren. Hört- nun aber plötzlich diese Nachfrage auf, so entsteht Mißverhältnis zwischen der Produkion und Kon- sumtion; Mißverhältnis zwischen den verminderten Werten und den darauf haftenden, in unveränderter Größe fortbe- stehenden Geldschulden ; Mißverhältnis zwischen den Pacht- summen in Geld und der Ertragsfähigkeit in Geld; Miß- verhältnis zwischen Nationaleinkommen und Nationalauf- wand, und infolge dieser Mißverhältnisse Bankerott, Ver- legenheit, Entmutigung, Rückschritt in der ökonomischen wie in der geistigen und politischen Entwickelnng. Die Agrikulturprosperität wirkte alsdann, wie die Stimulation durch Opium oder durch starke Getränke, nur aufregend für einen Augenblick, aber schwächend für die Lebenszeit — sie war Franklins Blitzstrahl, der für einen Moment die Gegenstände im glänzenden Licht zeigte, aber nur um sie in tiefere Nacht zurückzuwerfen.
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Eine vorübergehende Prosperität im Äckerbau ist ein weit größeres Unglück als gleichförmige und (347) an- haltende Armut. Soll die Prosperität den Individuen und Nationen Glück bringen, so muß sie dauernd sein. Dauernd wird sie aber nur, wenn sie allmählich steigt und wenn die Nation sich im Besitz der Garantien dieses Steigens und dieser Dauer befindet. Niedriger Tauschwert des Grund und Bodens ist ungleich besser als Fluktuation im Tausch- wert; nur allmähliches, aber anhaltendes Steigen desselben verbürgt der Nation dauernde Prosperität, und nur im Be- sitz einer eigenen Manufakturkraft liegt bei ausgebildeten Nationalitäten die Garantie regelmäßigen und dauerhaften Steigens.
Wie wenig noch klare Begriffe herrschen über die Ein- wirkung der eigenen Manufakturkraft auf die Rente und den Grundwert in Vergleichung mit der Einwirkung des fremden Handels auf dieselbe, geht am klarsten daraus her- vor, daß die Weinbergbesitzer in Frankreich sich immer noch durch das französische Schutzsystem beeinträchtigt glauben und, in der HolTnung ihre Rente steigen zu machen, möglichste Freiheit des Handels mit England fordern.
Dr. Bowring hat uns in seinem Bericht über die zwischen England und Frankreich bestehenden Handelsver- hältnisse, welchem die Tendenz zugrunde liegt, den Nutzen hervorzuheben, den eine größere Einfuhr von englischen Fabrikaten und eine daraus erwachsende Vermehrung der Weinausfuhr für Frankreich haben würde, Tatsachen ge- liefert, womit der schlagendste Beweis gegen seine eigenen Argumente zu führen ist.
Dr. Bowring stellt die Importation der Niederlande an französischen Weinen (2515193 Gallonen 1829) der jähr- lichen Importation von England (431509) gegenüber, um darzutun, welcher großen Ausdehnung (348) der Absatz
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französischer "Weine nach England bei freierem Verkehr fähig sei.
Gesetzt min, obwohl es mehr als unwahrscheinlich ist, daß der Absatz der französischen Weine nach England nicht Hindernisse in der dort bestehenden Vorliebe für gebrannte Wasser, für starke Biere und für die starken und billigen Weine Portugals, Spaniens, Siziliens, Teneriffas, Madeiras und des Kaps finde; gesetzt, England dehne wirklich seine Konsumtion an französischen Weinen im Verhältnis der Niederlande aus, so Avürde sie freilich, nach dem Maßstab der Bevölkerung berechnet, auf 5 bis 6 Millionen Gallonen, d. h. um das Zehn- bis Fünfzehn fache ihres gegenwärtigen Beiaufs steigen können, und oberflächlich betrachtet, scheint dies allerdings Frankreich und den französischen Weinberg- besitzeru großen Vorteil zu versprechen.
Sieht man aber der Sache auf den Grund, so ergibt sich ein anderes Resultat. Bei möglichster — wir wollen nicht sagen bei ganz vollkommener — Freiheit des Handels obwohl letztere dem Prinzip und den Bowring'schen Argu- menten gemäß angenommen werden müßte, ist es kaum einem Zweifel unterworfen, daß die Engländer einen großen Teil des französischen Fabrikwarenmarktes (insbesondere was die Wollen-, Baumwollen-, Leinen-, Eisen- und Steingut- fabrikation betrifft) an sich reißen würden. Aufs mäßigste berechnet, wäre anzunehmen, daß infolge dieser verminderten Manufakturproduktion eine Million Menschen weniger in den französischen Städten leben würde und daß eine Million Menschen weniger auf dem Lande beschäftigt wäre, um die Städter mit Rohstoffen und Lebensmitteln zu versorgen. Nun berechnet Dr. Bowring selbst die Konsumtion der Landbewohner in Frankreich auf 16^/2 (349) Gallonen und die Konsumtion der Städtebewohner auf das Doppelte oder 33 Gallonen per Kopf. Demnach würde infolge der durch den freien Handel bewirkten Verminderung der Innern
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Manufakturkraft die innere Konsumtion an Weinen um 50 Millionen Gallonen abnehmen, während die Ausfuhr nur um 5 bis 6 Millionen Gallonen steigen könnte. Schwerlich dürfte also eine Operation zum besondern Vorteil der fran- zösischen Weinbergbesitzer ausschlagen, wodurch die innere Nachfrage nach Weinen notwendig zehnmal mehr verlieren muß, als die auswärtige möglicherweise gewinnen kann.
Mit einem Wort: es bewährt sich in der Weinpro- duktion wie in der Fleischproduktion, wie in der Getreide- produktion, wie in der Produktion von Rohstoffen und Lebensmitteln überhaupt, daß bei einer großen zur Hervor- bringung einer eigenen Manufakturkraft berufenen Nation die innere Manufakturproduktion eine zehn- bis zwanzigmal größere Nachfrage nach Agrikulturprodukten der gemäßigten Zone veranlaßt, also zehn- bis zwanzigmal bedeutender auf die Vermehrung der Rente und den Tauschwert der Grund- stücke wirkt als die blühendste Ausfuhr an dergleichen Produkten. Der triftigste Beweis liegt auch in dieser Be- ziehung in dem Rentenerträgnis und dem Tauschwert der Ländereien in der Nähe großer Städte, im Vergleich mit dem Stand derselben in entlegenen, obwohl durch Straßen und Haudelsgelegenheiten mit der Hauptstadt in Verbindung stehenden Provinzen.
Die Lehre von der Rente kann entweder aus dem Ge- sichtspunkt der Werte oder aus dem Gesichtspunkt der produktiven Kräfte, sie kann ferner mit bloßer Rück- sicht auf die Privatverhältnisse, nämlich auf (350) die Ver- hältnisse zwischen Grundbesitzer, Pächter und Arbeiter, oder mit hauptsächlicher Rücksicht auf die gesellschaftlichen und nationalen Verhältnisse betrachtet werden. Die Schule hat diese Doktrin zumeist nur aus dem Gesichtspunkt der Privat- ökonomie aufgefaßt. Unseres Wissens ist z. B. nirgends von ihr ausgeführt, wie die Rentenkonsumtion der Nation um so vorteilhafter ist, je mehr sie in der Nähe des Pro-
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duktionsortes vor sich geht, wie sie aber in den verschie- denen Staaten zumeist von dem Sitz des Souveräns kon- sumiert wird, z. B. in den absoluten Monarchien zumeist in der Nationalhauptstadt, entfernt von den Provinzen, wo sie erzeugt wird, also auf eine der Landwirtschaft, den all- gemein nützlichen Gewerben und der Entwickelung der geistigen Kräfte der Nation mindest vorteilhafte Weise. Wo der grundbesitzende Adel keinerlei Rechte und keinen poli- tischen Einfluß besitzt, wenn er nicht am Hofe lebt oder Staatsämter bekleidet, und wo alle öffentliche Grewalt in der Nationalhauptstadt zentralisiert ist, da ziehen sich die Renten- besitzer nach diesem Zentralpunkt, wo sie fast ausschließ- lich die Mittel zur Befriedigung ihres Ehrgeizes und Ge- legenheit finden, das Einkommen ihrer Ländereien auf an- genehme Weise zu verzehren ; und je mehr die meisten Rentiers gewohnt sind, in der Hauptstadt zu leben, desto weniger bietet der Aufenthalt in der Provinz dem einzelnen Gelegenheit zu gesellschaftlichem Verkehr und zu feineren materiellen und geistigen Genüssen, desto mehr stößt die Provinz ihn ab, zieht die Hauptstadt ihn an. Dadurch ver- liert die Provinz fast alle diejenigen geistigen Vervollkomm- nungsmittel, welche ihr aus der Rentenkonsumtion er- wachsen, insbesondere diejenigen Manufakturen und geisti- gen Produzenten, die durch die Rente (351) unterhalten worden wären , an die Nationalhauptstadt. Diese erscheint nun zwar in hohem Glanz, weil sie alle Talente der geisti- gen Produzenten und den größten Teil der materiellen Luxusgewerbeproduktion in sich vereinigt. Die Provinzen aber werden dadurch derjenigen geistigen Kräfte, derjenigen materiellen Mittel und insbesondere derjenigen Gewerbe be- raubt, welche zunächst dem Landwirt Agrikulurverbesse- rungen ermöglichen und ihn dazu antreiben. In diesen Verhältnissen liegt zum großen Teil der Grund, warum in Frankreich, zumal unter der absoluten Monarchie, neben
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einer an Geist und Glanz alle Städte des europäischen Kon- tinents überragenden Hauptstadt die Landwirtschaft nur geringe Fortschritte machte und die Provinzen an geistiger Kultur und an gemeinnützigen Gewerben Mangel litten. Je mehr aber der grundbesitzende Adel an Unabhängigkeit vom Hofe und an Einfluß auf die Gesetzgebung und Ad- ministration gewinnt, je mehr das Repräsentativsystem und die administrative Ordnung den Städten und Provinzen das Recht einräumt, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten und an der Staatsgesetzgebung und Administration teil zu nehmen, je mehr also Ansehen und Einfluß in der Provinz und durch die Provinz zu erwerben ist: desto mehr wird der grundbesitzende Adel und der gebildete wohlhabende Bürgerstand nach derjenigen Lokalität hingezogen, aus welcher er seine Renten zieht, desto mehr Einfluß hat die Rentenkonsumtion auf die Entwickelung der geistigen Kräfte und der gesellschaftlichen Institutionen, auf die Beförderung der Landwirtschaft und auf das Emporkommen der den großen Massen nützlichen Gewerbe in der Provinz.
Den Beleg zu dieser Beobachtung liefern die (352) öko- nomischen Zustände von England. Daß der englische Grund- besitzer den größten Teü des Jahres auf seinen Gütern ver- lebt, trägt in mannigfaltiger Weise zum Emporkommen der englischen Landwirtschaft bei: direkt, indem der anwesende Grundherr einen Teil seiner Rente dazu verwendet, selbst Kulturverbesserungen zu unternehmen oder die Kulturver- besserungen seiner Pächter zu unterstützen; indirekt, indem seine Konsumtionen die in der Nähe befindlichen Manufak- turen und geistigen Produzenten unterstützen. Aus diesen Verhältnissen ist ferner zum Teil zu erklären, warum in Deutschland und in der Schweiz, ungeachtet des Mangels an großen Städten, an großartigen Transportanstalten und an nationalen Institutionen, die Landwirtschaft und die Kultur im allgemeinen weit höher steht als in Frankreich.
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Der größte Irrtum jedoch, in welclien in dieser Materie Adam Smith und seine Schule verfielen, ist der von uns oben schon ausgeführte, aber hier noch weiter ans Licht zu stellende, daß er den Einfluß der Manufakturen auf die Yermehrung der Rente, des Tauschwertes der liegenden Güter und des landwirtschaftlichen Kapitals nicht klar er- kannt und nicht in seinem vollen Umfang dargelegt, sondern vielmehr die Agrikultur den Manufakturen auf eine Weise gegenübergestellt hat, daß es erscheint, als ob die Agri- kultur für die Nation ungleich wichtiger, als ob der aus derselben hervorgehende Wohlstand ungleich dauerhafter wäre als die Manufakturen und der daraus erwachsende Wohlstand. Smith hat damit nur die irrige Ansicht der Physiokraten , wiewohl in etwas modifizierter Weise fort- gesetzt. Offenbar ward er durch den Umstand irregeführt, daß — wie wir auch bereits (353) durch die statistischen Verhältnisse von England dargetan haben — das materielle Agrikulturkapital selbst in dem manufakturreichsten Lande zehn- bis zwanzigmal bedeutender ist als das materielle Manufakturkapital, ja daß sogar die jährliche Agrikultur- produktion das gesamte Manufakturkapital an Wert weit übersteigt. Der nämliche Umstand mag auch wohl die Physiokraten zur Überschätzung der Agrikultur, den Manu- fakturen gegenüber, verleitet haben. Oberflächlich betrachtet, scheint es allerdings, als ob die Agrikultur zehnmal mehr bereichere, also zehnmal größere Berücksichtigung verdiene und zehnmal wichtiger sei als die Manufakturen. Aber es ist dies nur Schein. Forschen wir den Ursachen dieser Agrikulturprosperität auf den Grund, so finden wir sie hauptsächlich in den Manufakturen. Es sind jene 218 Millionen Manufakturkapital, welche jene 3311 Millionen Agrikulturkapital größtenteils ins Dasein gerufen haben. Es verhält sich ganz damit wie mit den Transportanstalten: es sind die Anlagekosten, welche jene in dem Bereich des
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Kanals liegenden Grundstücke wertvoller gemacht haben. Man zerstöre die Transportkraft dieses Kanals, man ver- wende das bisher zum Transport benutzte Wassergefäll zur Bewässerung von Wiesen, also anscheinend zur Vermehrung des Agrikulturkapitals, der Agrikulturrente usw., und gesetzt auch der Wert dieser Wiesen stiege um Millionen, so wird dennoch diese der Agrikultur anscheinend nützliche Ver- änderung den Gesamtwert des im Bereich des Kanals liegen- den Grundeigentums zehnmal mehr beeinträchtigen.
Von dieser Seite betrachtet, sind aus dem Umstand, daß das gesamte Manufakturkapital eines Landes (354) im Ver- gleich mit dem gesamten Agrikulturkapital desselben so gering ist, ganz andere Folgerungen zu ziehen als diejenigen, welche die herrschende und die vorangegangene Schule daraus gezogen haben. Die Ei-haltung und Vermehrung der Manufakturkraft erscheint nun selbst dem Agrikulturisten um so wertvoller, je weniger sie im Vergleich mit der Agrikultur an Kapital in sich aufzunehmen und in Bewegung zu setzen vermag. Ja, es muß den Agrikulturisten und insbesondere den Rentenbesitzern und Gütereigentümern eines Laodes nunmehr einleuchten, daß es in ihrem Interesse liege, eine inländische Manufakturkraft zu pflanzen und zu erhalten, selbst wenn sie das dazu erforderliche Kapital umsonst und ohne Hoffnung auf direkte Rückerstattung beizuschaffen hätten, gleichwie es in ihrem Interesse liegt, Kanäle, Eisenbahnen und Straßen anzulegen, selbst wenn diese Anstalten auch keinen reinen Ertrag abwerfen. Betrachten wir in den an- gegebenen Beziehungen die der Agrikultur am nächsten stehenden unentbehrlichsten und nützlichsten Gewerbe, z. B. die Mahlmühlen, so wird über die Richtigkeit unserer An- sichten kein Zweifel übrig bleiben. Man vergleiche den Wert des Grundeigentums und der Rente in einer Gegend, wo im Bereich des Agrikulturisten sich keine Mahlmühle befindet, mit dem Werte desselben in denjenigen Gegenden,
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wo dieses Gewerbe inmitten der Agriknltnristen betrieben wird, und man wird finden, daß schon dieses einzige Ge- werbe bedeutend auf beide wirkt, daß dort bei übrigens gleicher natürlicher Ertragsfähigkeit der Totalwert des Grund- vermögens nicht bloß doppelt, sondern zehn- und zwanzig- mal mehr an Wert gewonnen hat, als die Anlagekosten der Mühle betrugen, und daß die Grundeigentümer durch (355) Anlegung der Mühle bedeutend gewinnen würden, selbst wenn sie solche auf gemeinschaftliche Kosten hergestellt und dem Müller geschenkt hätten. Letzteres geschieht auch in der Tat in den nordamerikanischen Wildnissen alle Tage, indem die Grundbesitzer da, wo es den Individuen an zu- reichendem Kapital fehlt, um solche Werke ganz auf ihre Kosten herzustellen, sich gern dazu verstehen, durch Hand- arbeiten, Fuhren, Abgaben von Bauholz u. dgl. die Errichtung derselben zu befördern. Ja, es geschah, obwohl in anderer Form, auch in den Ländern alter Kultur; ohne Zweifel ist darin der Ursprung vieler Mühlbann rechte zu suchen.
Wie bei der Mahlmühle, so ist es bei der Säge-, Ol- und Gipsmühle, so ist es bei den Eisenwerken ; überall läßt sich nachweisen, daß die Rente und der Wert des Grundeigen- tums in demselben Verhältnis steigt, in welchem die Be- sitzungen diesen Gewerben näher liegen, und in welchem sie überhaupt mit der Agrikultur in näherer oder entfernterer Wechselwirkung stehen.
Und warum sollte dies nicht mit den Wollen-, Flachs-, Hanf-, Papier- und Baumwollenmühlen, warum sollte es nicht mit allen Gewerben überhaupt der Fall sein ? Sehen wir doch überall, daß Rente und Wert des Grundeigentums ganz in demselben Yerhältnis steigen, je näher das Grundeigentum der Stadt liegt, je mehr die Stadt bevölkert und je gewerb- reicher sie ist. Berechnen wir in solchen kleineren Kreisen den Wert des Grundeigentums und des darin angelegten Kapitals sowie den Wert des in^den Gewerben steckenden
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Kapitals und vergleichen wir ihren Totalbetrag, so werden wir überall finden, daß jener wenigstens zehnmal größer ist als dieser. Torheit wäre es, daraus den Schluß zu ziehen, daß es einer Nation größeren (356) Vorteil bringe, ihre materiellen Kapitale in der Agrikultur anzulegen als in den Manufakturen, und daß jene an und für sich der Kapital- vermehrung günstiger sei als diese. Das Wachstum des materiellen Agrikulturkapitalvermögens ist größtenteils durch das Wachstum des materiellen Manufakturkapitalvermögens bedingt, und Nationen, die diese Wahrheit nicht erkennen, wie sehr sie auch durch die Natur im Ackerbau begünstigt sein mögen, werden in Reichtum, Bevölkerung, Kultur und Macht nicht nur nicht vorwärts, sondern rückwärts schreiten.
Gleichwohl sehen wir, wie die Besitzer der Rente und des Grund und Bodens nicht selten diejenigen Maßregeln, welche auf die Pflanzung einer eigenen Manufakturkraft ab- zwecken, als Privilegien betrachten, die nur zur Bereicherung der Manufakturen dienen und deren Lasten sie ausschließ- lich zu tragen haben. Sie, die im Anfang der Kultur so klar einsehen, welche große Vorteile ihnen zugehen, wenn in ihrer Nähe eine Mahlmühle, eine Sägemühle, ein Eisen- werk ersteht, daß sie sich die größten Opfer gefallen lassen, um zu Errichtung derselben beizutragen, können bei etwas vorgerückter Kultur nicht mehr begreifen, welche unermeß- liche Vorteile der gesamten Agrikultur des Landes aus einer ihr eigentümlichen und vollkommenen Nationalindustrie er- wachsen und wie ihr eigener Vorteil erheische, sich die- jenigen Opfer gefallen zu lassen, ohne welche dieser Zweck nicht zu erreichen ist. Dies kommt daher, daß eben nur bei wenigen und nur bei sehr gebildeten Nationen das geistige Auge der einzelnen Grundbesitzer, wenn es auch häufig in der Nähe scharf genug sieht, weit in die Ferne trägt.
Dabei ist nicht zu verkennen, daß die herrschende (357) Theorie das ihrige dazu beigetragen hat, das Urteil der
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Grundbesitzer in Konfusion zu bringen. Smith und Say be- mühen sich überall, die Bestrebungen der Manufakturisten zu Erlangung von Schutzraaßregeln als Eingebungen des Privateigentums darzustellen und dagegen die Generosität und üneigennützigkeit der Grundbesitzer zu preisen, die weit entfernt seien, gleiche Maßregeln für sich in Anspruch zu nehmen. Es scheint, die Grundbesitzer seien dadurch erst auf die ihnen so hoch angerechnete Tugend der ün- eigennützigkeit aufmerksam und aufgereizt worden, sich ihrer zu entledigen. Denn in den meisten und bedeutendsten Manufakturstaaten haben auch sie in den neuesten Zeiten Schutzmaßregeln verlangt und erlangt, obwohl (wie wir an einem anderen Ort ausgeführt haben) zu ihrem eigenen größten Schaden. Wenn früher die Grundbesitzer Opfer brachten, um eine eigene Nationalmanufakturkraft zu pflanzen, so taten sie, was der Agrikulturist in der Wildnis tut, wenn er Opfer bringt, damit in seiner Nähe eine Mahlmühle oder ein Eisenhammer angelegt werde. Wenn die Grundbesitzer nunmehr auch Schutz für ihre Agrikultur verlangen, so tun sie, was jene Grundbesitzer tun würden, wenn sie, nachdem die Mühle durch ihre Beihilfe errichtet worden, von dem Müller verlangten, daß er ihnen ihre Felder bestellen helfe. Es wäre dies ohne Zweifel ein törichtes Verlangen. Die Agrikultur kann nur emporkommen, die Rente und der Grundwert können nur steigen in dem Verhältnis, in welchem Manufaktur und Handel blühen, und die Manufakturen können nicht blühen, wenn die Zufuhr au Rohstoffen und Lebens- mitteln beschränkt ist. Dies fühlten wohl die Manufakturisten überall. Daß aber die Grundbesitzer gleichwohl in den meisten großen Staaten (358) Schutzmaßregeln erlangten, hat einen doppelten Grund. Einmal ist in den Repräsentativ- staaten ihr Einfluß auf die Gesetzgebung vorherrschend, und die Manufakturisten wagten nicht, sich ihrem törichten Be- gehren beharrlich entgegenzustellen, aus Furcht, sie möchten
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dadurch die Grrundbesitzer dem Prinzip des freien Handels geneigt machen; sie zogen vor, mit den Grundbesitzern zu transigieren.
Sodann ward den Grundbesitzern von der Schule insinuiert, es sei ebenso töricht, Manufakturen auf künstliche Weise zu pflanzen, als es töricht wäre, im kalten iilima Wein in Gewächshäusern zu produzieren; die Manufakturen ent- stünden im natürlichen Lauf der Dinge von selbst, die Agri- kultur gebe ohne Vergleichung mehr zur Kapitalvermehrung Gelegenheit als die Manufakturen ; das Kapital der Nation sei durch künstliche Maßregeln nicht zu vermehren, nur eine der Reichtumsvermehrung minder günstige Richtung könne demselben durch Gesetze und Staatsmaßregeln gegeben werden. Endlich, wo man nicht umhin konnte, den Manu- fakturen Einfluß auf die Agrikultur zuzugestehen, suchte man wenigstens diesen Einfluß so gering und so unbestimmt als möglich darzustellen. Allerdings, hieß es, hätten die Manufakturen Einfluß auf die Agiikultur, allerdings schade der Agrikultur alles, was den Manufakturen schädlich sei, und demgemäß hätten sie wohl auch Einfluß auf die Ver- mehrung der Laudrente, aber nur einen indirekten. Einen direkten Einfluß auf die Rente dagegen hätten: die Ver- mehrung der Bevölkerung und des Viehstandes, die Ver- besserungen in der Landwirtschaft, die Vervollkommnung der Transportanstalten usw. Mit diesem unterschiede zwischen direktem und indirektem Einflüsse hat es nun hier (359) dieselbe Bewandtnis wie an manchen anderen Orten, wo die Schule diesen Untei'schied macht (z. B. bei der geistigen Produktion) und auch hier ist das schon ein- mal von uns angestellte Gleichnis anwendbar; es verhält sich damit wie mit der Frucht des Baiunes, die offenbar im Sinne der Schule eine indirekte ist, insofern sie an dem Zweige wächst, der eine Frucht des Astes, der eine Frucht des Stammes, der eine Frucht der Wurzel, die erst eine
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direkte Frucht des Bodens ist. Oder wäre es nicht ebenso sophistisch, von der Bevölkerung, dem Viehstand, den Transportmitteln usw. als von direkten Ursachen — von den Manufakturen dagegen als von einer indirekten Ursache der Rentenvermehrung zu sprechen, wenn doch der Augenschein in jedem großen Manufakturlande lehrt, daß die Manufak- turen selbst eine Hauptursache der Bevölkerungs- , Vieh- stands- und Transportmittel Vermehrung usw. sind? Und wäre es logisch und konsequent, diese Wirkungen ihrer Ursache, den Manufakturen, zu koordinieren, ja sie als Haupt- ursachen voranzustellen und die Manufakturen, als eine in- direkte, also gleichsam als eine Nebenursache, jenen nach- zustellen ? Und was anders kann bei einem so tief forschenden Geist, wie A. Smith, einem so verkehrten, der Natur der Dinge so wenig gemäßen Raisonnement zugrunde liegen als die Absicht, die Manufakturen und ihren Einfluß auf den Wohlstand und die Macht der Nation und auf die Ver- mehrung der Landrente und den Wert des Grund und Bodens insbesondere in den Schatten zu stellen? Und aus welchem anderen Grunde kann dies geschehen sein, als um Erörterungen zu vermeiden, deren Resultate überlaut zu- gunsten der Schutzmaßregeln sprechen würden ?
Überhaupt ist die Schule seit A. Smith in ihren (360) Forschungen nach der Natur der Rente unglücklich gewesen. Ricardo, und nach ihm Mill, MacCulloch und andere, sind der Meinung, die Rente werde für die den Grundstücken beiwohnende natürliche Produktivfähigkeit bezahlt. Ersterer hat auf diese Ansieht ein ganzes S^^stem gegründet. Hätte er einen Ausflug nach Kanada gemacht, so hätte er dort in jedem Tal, auf jedem Hügel Beobachtungen anstellen können, die ihn überzeugt haben würden, seine Theorie sei auf Sand gebaut. Da er aber nur die englischen Zustände vor Augen hatte, so verfiel er in die irrige Ansicht, diese englischen Äcker und Wiesen, für deren angebliehe natürliche Ertrags-
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fähigkeit gegenwärtig so schöne Renten bezahlt werden, seien zu jeder Zeit die nämlichen Acker und Wiesen gewesen. Die ursprüngliche natürliche Ertragsfähigkeit der Ländereien ist offenbar so unbedeutend und gewährt dem, der sie benutzt, so geringen Überschuß an Produkten, daß die darausfallende ßente kaum des Nennens wert ist. Ganz Kanada in seinem ursprünglichen Zustande, bloß von Jägeru bewohnt, würde an Fleisch und Häuten schwerlich Rente genug abwerfen, um einen einzigen Oxforder Professor der politischen Ökonomie zu besolden. Die natürliche Ertragsfähigkeit des Bodens auf Malta besteht in Steinen, die schwerlich je eine Rente ab- geworfen haben würden. Verfolgt man den Bildungsgang ganzer Nationen und ihren Übergang aus dem Jägerstand in den Hirtenstand, aus diesem in den Agrikulturstand usw., so überzeugt man sich dagegen leicht, daß die Rente überall ursprünglich null war und daß sie überall mit den Fortschritten der Kultur, der Bevölkerung imd mit der Vermehrung der geistigen und mateinellen Kapitale stieg. Vergleicht man die bloße Agrikulturnation mit der (361) Agrikiilturmanufakturhandelsuation, so zeigt sich, daß in dieser zwanzigmal mehr Menschen von Renten leben als in jener. Nach Marshalls Statistik von- Großbritannien lebten z. B. in England und Schottland im Jahr 1831 16537 398 Menschen, worunter 1116398 Rentiers. Schwerlich dürfte man in Polen auf einer gleichen Strecke Landes den zwanzigsten Teil dieser Zahl finden. Steigt man herab aus dieser Allgemeinheit in das Besondere, forscht man nach der Ursache der Rente der einzelnen Grundstücke, so findet man überall, daß sie das Resultat einer Ertragsfähigkeit ist, die denselben nicht freiwillig durch die Natur, sondern durch die darauf mittelbar oder unmittelbar verwandten geistigen und materiellen Arbeiten und Kapitale und durch die Ver- vollkommnung der Gesellschaft überhaupt verliehen worden ist. Zwar sieht man, wie Grundstücke Rente bringen, welche
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die Hand des Menschen nie berührt hat, wie z. B. Stein- brüche, Sandgruben, Weiden ; aber diese Rente ist nur eine Wirkung der sie umgebenden Kultur-, Kapital- und Be- völkeningsvermehrung. Dagegen sieht man wiederum die- jenigen Grundstücke die meiste Rente bringen, deren natür- liche Ertragsfähigkeit gänzlich vernichtet worden ist und die keinen anderen Nutzen gewähren als den , daß die Menschen darauf essen und trinken, sitzen, schlafen oder gehen, arbeiten oder sich belustigen, lehren oder Unterricht empfangen, nämlich die Bauplätze.
Der Grund der Rente ist der ausschließliche Nutzen, den der Grund und Boden denjenigen Individuen gewährt, welchen er ausschließlich zur Disposition steht, und die Größe dieses Nutzens bestimmt sich nach der in der Ge- sellschaft überhaupt vorhandenen Summe geistiger und materieller Kapitale, sowie nach der Gelegenheit, welche die besondere Lage und Eigenschaft und die (362) früher darauf gemachte Kapitalverwendung zu Gewinnung materieller Werte oder zur Befriedigung geistiger und körperlicher Bedürfnisse oder Genüsse demjenigen gewährt, der zu ihrer ausschließ- lichen Benutzung berechtigt ist.
Die Rente ist das Interesse aus einem Kapitale, das an einen Naturfonds fixiert ist, oder ein kapitalisierter Natur- fonds. Das Territorium derjenigen Nation aber, welche bloß die zur Agrikultur dienenden Naturfonds, und zwar in der- jenigen unvollkommenen Weise, wie es beim bloßen Acker- bau- der Fall ist, kapitalisiert hat, bringt ohne Vergleichung weniger Rente als das Territorium derjenigen Nation, welche die Agrikultur- und Manufakturkraft auf ihrem Territorium vereinigt. Ihre Rentner leben zum größten Teil in derjenigen Nation, welche ihr Manufakturwaren liefert. Indem aber die in der Agrikultur und Bevölkerung weit vorgerückte Nation eine eigene Manufakturkraft pflanzt, kapitalisiert sie, wie wir schon in einem früheren Kapitel nachgewiesen haben, nicht
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allein die den Mannfakturen insbesondere dienstbaren und bis jetzt müßig gelegenen Naturkräfte, sondern auch den größten Teil der der Agrikultur dienenden Manufakturkräfte. Ihr Rentenzuwachs übersteigt daher unendlich die Interessen der zur Emporbringuog der Manufakturkraft erforderlichen materiellen Kapitale.
(363) Einundzwanzigstes Kapitel. Die Manufakturkraft und der Handel.
Wir haben bisher nur von den Verhältnissen zwischen der Agrikultur und den Manufakturen gesprochen, weil sie die Grundbestandteile der Naiinnalproduktion bilden und weil, bevor man eine klare Anschauung von ihren wechselseitigen Verhältnissen besitzt, die eigentliche Funktion und Stellung des Handels unmöglich richtig aufgefaßt werden kann. Aller- dings ist auch der Handel produktiv, wie die Schule be- hauptet, aber er ist es in ganz anderer Art als die Agri- kultur und die Manufakturen. Diese bringen Güter hervor, der Handel vermittelt nur den Tausch der Güter zwischen Agrikulturist en und Manufakturisten, zwischen Produzeuten und Konsumenten. Daraus folgt, daß der Handel den In- teressen und Bedürfnissen der Agrikultur und der Manu- fakturen gemäß zu regulieren ist, nicht umgekehrt.
Die Schule aber hat diesen letzteren Satz geradezu umgekehrt, indem sie das Wort des alten Gournay: laissez faire, laissez passer zum Wahlspruch erkor, ein Wort, das Räubern, Betrügern und Dieben nicht minder angenehm klingt als dem Kaufmann und schon darum als Maxime verdächtig ist. Diese Verkehrtheit, (364) die Interessen der Manufakturen und der Agrikultur den Ansprüchen des
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Handels auf ganz freie Bewegung preiszugeben, ist eine natürliche Folge derjenigen Theorie, die überall nur die Werte im Auge, nirgends die Kräfte berücksichtigt und die ganze Welt nur als eine einzige und unteilbare Repu- blik der Kaufleute betrachtet. Die Schule sieht nicht, daß der Kaufmann seinen Zweck, Gewinnung von Werten durch Tausch, auch auf Kosten der Agrikulturisten und Manufakturisten, auf Kosten der produktiven Kräfte, ja der Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Nation erreichen kann. Ihm ist es gleichgültig, und nach der Natur seines Geschäftes und Bestrebens kann er sich auch nicht wohl darum kümmern, in welcher Weise die von ihm importierten oder exportierten Waren auf die Moralität, den Wohlstand und die Macht der Nation wirken. Er importiert Gifte wie HeilstofTe. Ganze Nationen entnervt er durch Opium und gebrannte Wasser. Ob er durch seine Importationen und Einsch Wärzungen Hunderttausenden Beschäftigung und Unter- halt verschaffe oder ob sie dadurch an den Bettelstab ge- bracht werden, geht ihn als Geschäftsmann nichts an, wenn nur seine Bilanz dadurch gewinnt, Suchen dann die Brot- losgewordenen durch Auswanderung dem Elend im Vater- land zu entrinnen, so gewinnt er noch Tauschwerte ver- mittels ihrer Fortschaifung. Im Krieg versorgt er den Feind mit Waffen und Munition. Er würde, wäre es mög- lich, Äcker und Wiesen ins Ausland verkaufen und, hätte er das letzte Stück Landes abgesetzt, sich auf sein Schiff setzen und sich selbst exportieren.
Es ist somit klar, daß das Interesse der einzelnen Kaufleute und das Interesse des Handels einer ganzen Nation himmelweit verschiedene Dinge sind. In diesem (866) Sinne sagt schon Montesquieu: „wenn der Staat den einzelnen Kaufmann beschränke, so geschehe es im Interesse des Handels, und der Verkehr desselben sei nirgends mehr beschränkt als bei freien und reichen Nationen und nirgends
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weniger als bei despotisch regierten." Der Handel erwächst aus den Manufakturen und der Agrikultur, und keine Nation, welche nicht diese beiden Hauptzweige der Produktion in ihrem Innern zu hoher Ausbildung gebracht hat, kann in unseren Tagen zu bedeutendem inneren und äußeren Verkehr gelangen. In früheren Zeiten gab es allerdings einzelne Städte oder Bündnisse von Städten, welche durch fremde Manufakturisten und fremde Agrikulturisten in den Stand gesetzt wurden, großen Zwischenhandel zu treiben; seitdem aber die großen Agrikultur- Manufaktur- Handelsstaaten auf- gekommen sind, ist an die Emporbringung eines Zwischen- handels, wie die Hansa ihn besaß, nicht mehr zu denken. Jedenfalls ist dieser Handel so prekärer Natur, daß er in Verbindung mit demjenigen , der sich auf die eigene Pro- duktion basiert, kaum Berücksichtigung verdient.
Die bedeutendsten Gegenstände des inneren Handels sind: Nahrungsmittel, Salz, Brenn- und Baumaterialien, Kleidungsstoffe, sodann Agrikultur- und Manufakturgerät- schaften und Instrumente und die den Manufakturen erfor- derlichen Rohstoffe an Agrikultur- und Bergwerkserzeug- nissen. Der Betrag dieses inneren Vei-kehrs ist bei einer Nation, in welcher die Manufakturkraft zu hoher Aus- bildung gelangt ist, ohne alle Vergleichung bedeutender als in der bloßen Agrikulturnation. Einmal beschränkt sich bei letzterer der Agrikulturist in seinen Konsumtionen größten- teils auf seine eigene Produktion. Aus Mangel an großer Nachfrage (366) nach verschiedenartigen Produkten und an Transportmitteln muß er alle seine Bedürfnisse, ohne Rück- sicht auf die besondere Produktivkraft seiner Ländereien, selbst produzieren; aus Mangel an Tauschmitteln muß er den größten Teil seiner Manufakturbedürfnisse selbst fabrizieren. Brenn- und Baumaterialien, Lebensmittel und Bergwerks- produkte haben bei dem Mangel an erleichterten Transport- anstalten nur einen sehr beschränkten Markt, können daher
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nicht Gegenstände eines weiten Transportes werden. Bei der Beschränktheit des Marktes und der Nachfrage nach dergleichen Produkten besteht kein Reiz zur Aufspeicherung und zur Kapitalanhäufung. Daher ist bei bloßen Agrikultur- nationen das dem inneren Handel gewidmete Kapital fast null; daher herrscht in allen Produktionsartikeln, die der besonderen Gunst oder Ungunst der Witterung unterliegen, ungemeine Fluktuation in den Preisen; daher ist die Gefahr der Teurung und der Hungersnot um so größer, je mehr die Nation sich auf die Agrikultur beschränkt.
Erst infolge und nach Maßgabe des Auflebens der inneren Manufakturen, der durch dieselben hervorgerufenen Transport Verbesserungen und der Vermehrung der Bevöl- kerung ersteht der innere Handel, wächst er zu einer Be- deutenheit, die den inneren Verkehr der bloßen Agrikultur- nation um das Zehn- bis Zwanzigfache und den blühendsten auswärtigen Verkehr um das Fünf- bis Zehnfache übersteigt. Man vergleiche den inneren Verkehr Englands mit dem von Polen oder Spanien und man wird diese Beobachtung be- stätigt finden.
Der auswärtige Handel der Agrikulturnationen der ge- mäßigten Zone, solange er sich auf Lebensmittel und Roh- stoffe beschränkt, kann nicht zur Bedeutenheit erwachsen:
(367) Erstens, weil die Agrikulturnation mit ihrem Ab- satz an wenige Manufakturnationen angewiesen ist, welche selbst die Agrikultur betreiben und zwar, infolge ihrer Manufakturen und ihres ausgebreiteten Handels, auf viel voUkommnere Weise als die bloße Agrikulturnation; dieser Absatz ist daher nie gewiß, nie gleichförmig. Der Pro- duktenhandel ist stets Sache der außerordentlichen Speku- lation, deren Nutzen größtenteils den spekulierenden Kauf- leuten, nicht aber den Agrikulturisten und der produktiven Kraft der Agrikulturnation zugute kommt.
Zweitens, weil der Tausch der Agrikulturprodukte gegen
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fremde Mannfakturwaren durch fremde Handelsmaßregela und Kriege häufig unterbrochen wird.
Drittens, weil der Produktenabsatz hauptsächlich nur den an den See- und Fiußgestaden gelegenen Ländern, nicht aber dem Binnenlande, d. h. dem größeren Teil der Terri- torialoberfläche der Agrikulturnation zugute kommt.
Endlich viertens, weil die fremde Manufakturnation ihrem Interesse angemessen finden kann, ihre Lebensmittel und Rohstoffe aus anderen Ländern und aus neuangelegten Kolonien zu beziehen. So wird der Absatz der deutschen Wolle in England durch die Zufuhr aus Australien, der Ab- satz französischer und deutscher Weine nach England durch die Zufuhr aus Spanien, Portugal, Sizilien, aus den spa- nischen und portugiesischen Inseln und vom Kap, der Ab- satz des preußischen Holzes durch die Zufuhr aus Kanada geschmälert. Ja, man hat bereits Anstalten getroffen, Eng- land zum größten Teil aus Ostindien mit Baumwolle zu versorgen. Gelingt es den Engländern, den alten Handels- weg wiederum herzustellen, erstarkt der neue Staat von Texas, macht die Zivilisation in Syrien und Ägypten, in Mexiko (368) und in den südamerikanischen Staaten Fort- schritte, so werden auch die nordamerikanischen Baum- wollenpflanzer zur Einsicht kommen, daß der innere Markt die sicherste, gleichförmigste und dauerndste Nachfrage ge- währt.
Im gemäßigten Klima erwächst bei weitem der größte Teil des auswärtigen Handels aus den inneren Manufakturen und ist nur vermittels der eigenen Manufakturkraft zu be- haupten und zu vermehren.
Nur eine Nation, die alle Arten von Manufakturwaren zu den billigsten Preisen produziert, kann mit den Völkern aller Zonen und aller Kulturstufen Handelsverbindungen an- knüpfen, kann aller Bedürfnisse befriedigen oder in Er- mangelung derselben neue hervorrufen, kann Rohstoffe und
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Lebensmittel jeder Art im Tausch entgegennehmen. Nur eine solche Nation kann Schiffe mit einer Mannigfaltigkeit von Gegenständen befrachten, wie sie ein entfernter und von inneren Manufakturwaren entblößter Markt verlaugt. Nur wenn die Ausfuhrfrachten für sich schon die Reise vergüten, kann man die Schiffe mit minder wertvollen Rück- frachten belasten.
Die bedeutendsten Einfuhrartikel der Nationen der ge- mäßigten Zone bestehen in den Produkten der heißen Zone : in Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak, Tee, Färbestoffen, Kakao, Gewürzen und. überhaupt in denjenigen Artikeln, die man unter dem Namen der Kolonialwaren begreift. Bei weitem der größte Teil dieser Produkte wird mit Manu- fakturwaren bezahlt. In diesem Verkehr liegt größtenteils die Ursache der Industriefortschritte in den Manufaktur- ländern der gemäßigten Zone und der Zivilisations- und Produktionsfortschritte in den Ländern der heißen Zone. Es ist dies die Teilung der Arbeit und die Konföderation der produktiven Kiäfte in der höchsten Ausdehnung, wie (369) sie im Altertum noch nicht bestand und wie sie erst durch die Holländer und Engländer aufgekommen ist.
Vor der Entdeckung des Weges um das Kap übertraf der Orient im Manufakturwesen Europa noch weit. Außer edeln Metallen und geringen Quantitäten von Tuch, Lein- wand, Waffen, Eisenwaren und einigen Luxusfabrikaten war dort von europäischen Werten Avenig zu gebrauchen. Der Landtransport verteuerte die Herfrachten ebenso sehr als die Hinfrachten. An Absatz von gewöhnlichen Agrikultur- produkten und gemeinen Manufakturwaren, selbst wenn sie im Überfluß produziert worden wären, im Tausch gegen die Seiden- und Baumwollenstoffe , den Zucker und die Spezereiwaren des Orients war nicht zu denken. Was man daher auch von der Wichtigkeit des orientalischen Handels in jenen Zeiten lesen mag, immer ist dieselbe nur relativ
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zu verstellen: er war nur wichtig für jene Zeit, aber unbe- deutend im Vergleich mit dem, was er jetzt ist.
Bedeutender war der Handel mit den Produkten der heißen Zone für Europa durch die Gewinnung großer Quan- titäten edler Metalle im Innern und ans Amerika und durch den unmittelbaren Verkehr mit dem Orient vermittels des Weges um das Kap. Doch konnte er nicht zu allgemeiner Bedeutenheit gelangen, solange der Orient mehr Manu- fakturwaren lieferte, als begehrte.
Zu seiner jetzigen Bedeutenheit gelangte dieser Handel erst durch die Kolonisationen der Europäer in Ost- und Westindien und in Nord- und Südamerika, durch die Ver- pflanzung des Zuckerrohrs, des Kaffeebaums, der Baum- wollen-, Reis-, Indigo- usw. Pflanze, durch die Übersiedlung der Neger als Sklaven nach Amerika und Westindien, sodann durch die glückliche Konkurrenz der Europäer mit den ost- indischen Manufakturisten und (370) überhaupt durch die Ausdehnung der holländischen und englischen Herrschaft in fremden Weltteilen, indem diese Nationen, im Gegensatz zu den Spaniern und Portugiesen, mehr im Tausch von Manu- fakturwaren gegen Kolonialwaren als in der Erpressung ihren Vorteil suchten und fanden.
Gegenwärtig beschäftigt dieser Handel den bedeutendsten Teil der großen Schiffahrt und des dem auswärtigen Ver- kehr gewidmeten Handels und Manufakturkapitals von Europa, und alle die Hunderte von Millionen, welche an dergleichen Waren jährlich aus den Ländern der heißen Zone nach den Ländern der gemäßigten Zone gehen, werden mit nur ge- ringer Ausnahme; in Manufaktur waren bezahlt.
Der Tausch von Kolonialprodukten gegen Manufaktur- waren kommt den produktiven Kräften der Länder der ge- mäßigten Zone vielfältig zustatten. Diese Waren dienen entweder, wie z. B. Zucker, Kaffee, Tee, Tabak, teils als Reizmittel zur Agrikultur- und Manufakturproduktion, teils
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als Nahrungsmittel; die Produktion der zur Bezahlung der Kolonialwaren erforderlichen Manufakturwaren beschäftigt eine größere Anzahl von Manufaktiiristen ; die Fabriken und Manufakturgeschäfte können nach einem viel größeren xMaß- stab, also vorteilhafter betrieben werden; dieser Handel be- schäftigt eine große Anzahl von Schilfen, von Seeleuten und von Kaufleuten; und durch einen so mannigfaltigen Zuwachs der Bevölkerung wird hinwiederum die Nachfrage nach ein- heimischen Agrikulturprodukten außerordentlich gehoben.
Infolge der Wechselwirkung, in .welcher die Manufaktur- produktion mit der Produktion der heißen Zone steht, kon- sumieren die Engländer im Durchschnitt zwei- (371) bis dreimal mehr Kolonialwaren als die Franzosen, drei- bis viermal mehr als die Deutschen, fünf- bis zehnmal mehr als die Polen.
Welcher Ausdehnung übrigens die Kolonialproduktion noch fähig sei, erhellt aus einer oberflächlichen Berechnung desjenigen Flächenraumes, welcher zur Hervorbringung der gegenwärtig in den Handel kommenden Kolonialwaren er- fordert wird.
Wenn wir die gegenwärtige Konsumtion an Baumwolle zu 10 Millionen Zentnern und den mittleren Ertrag eines Ackers (40000 Quadratfuß) nur zu 8 Zentnern annehmen, so erfordert diese Produktion nicht mehr als 1^/i Millionen Acker Landes.
Die in den Handel kommenden Quantitäten Zucker zu 24 Millionen Zentner und den Ertrag eines Ackers zu 10 Zentnern angenommen, erfordert diese ganze Produktion nur 2^/2 Millionen Acker.
Nehmen wir für die übrigen Artikel (K^affee, Reis, Indigo, Grewürze usw.) ebensoviel an als für jene beiden Haupt- artikel, so erfordern sämtliche gegenwärtig in den großen Handel kommende Kolonialwaren nicht mehr als 7 bis 8 Millionen Acker, eine Oberfläche, die wahrscheinlich nicht
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den fünfzigsten Teil der für diese Kulturen geeigneten Erd- oberfläche in sich begreift.
Von der Möglichkeit, diese Produktionen in außerordent- licher Weise zu vermehren, haben uns in der neuesten Zeit die Engländer in Ostindien, die Franzosen auf den Antillen, die Holländer auf Java und Sumatra tatsächliche Beweise geliefert,
England namentlich hat seine Importation aus Ost- indien an Baumwolle um das Vierfache vermehrt, und die englischen Blätter behaupten mit Zuversicht, (372) daß Groß- britannien, zumal wenn es ihm gelänge, in den Besitz des alten Handelswegs nach Ostindien zu kommen, nach Verlauf Aveniger Jahre alle seine Bedürfnisse an Kolonialwaren aus Ostindien beziehen könne. Diese Hoffnung wird mau nicht übertrieben finden, wenn man die unermeßliche Ausdehnung des englisch-östindischen Territoriums, seine Fruchtbarkeit und die wohlfeilen Arbeitslöhne jener Länder in Erwägung zieht.
Während England auf diese Weise Ostindien ausbeutet, Averden die Kulturfortschritte der Holländer auf den Inseln ihren Fortgang nehmen , wird infolge der Auflösung des türkischen Reichs ein großer Teil von Afrika und des west- lichen und mittleren Asiens der Produktion anheimfallen, werden die Texaner nordamerikanische Kultur über ganz Mexiko verbreiten, werden geordnete Regierungen in Süd- amerika sich festsetzen und die Ausbeutung der unermeß- lichen Produktivität jener Tropenländer befördern.
Wenn so die Länder der heißen Zone ungleich größere Quantitäten an Kolonialwaren produzieren als bisher, so ver- schaffen sie sich die Mittel, den Ländern der gemäßigten Zone ungleich größere Quantitäten von Manufakturwaren ab- zunehmen, und aus diesem größeren Absatz von Manufaktur- waren erwächst den letzteren die Fähigkeit, größere Quanti- täten von Kolonialwaren zu konsumieren. Infolge dieser
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Produktionssteigerung und Tauschmittel Vermehrung wird der Tauschverkehr zwischen den Agrikulturisten der heißen Zone und den Manufakturisten der gemäßigten Zone, d. h, der große Welthandel, in Zukunft in einem ungleich stärkereu Verhältnis steigen, als er im Lauf des verflossenen Jahr- hunderts gestiegen ist.
(373) Dieser jetzige und noch zu hoffende Aufschwung des großen Welthandels hat seinen Grund teils in den großen Fortschritten der Manufakturproduktionskraft, teils in der Vervollkommnung der Transportmittel zu Wasser und zu Land, teils in politischen Ereignissen und Entwicklungen.
Durch die Maschinen und Erfindungen ist die unvoll- kommene Fabrikation des Orients zum Besten der euro- päischen Manufakturkraft vernichtet, ist letztere in den Stand gesetzt worden, den Ländern der heißen Zone große Massen von Fabrikaten zu den wohlfeilsten Preisen zu liefern und ihnen dadurch Motive zur Vermehrung ihrer Arbeits- und Produktivkräfte zu geben.
Infolge der Transportvervollkommnungen sind die Länder der heißen Zone den Ländern der gemäßigten Zone unendlich näher gebracht worden, hat ihr wechselseitiger Verkehr durch Verminderung der Gefahr, des Zeitaufwandes und der Frachten und durch größere Regelmäßigkeit unendlich ge- wonnen, wird er in unberechenbarer Weise unendlich ge- winnen, wenn erst die Dampfschiffahrt allgemein geworden, wenn erst die Eisenbahn Systeme bis in das Innere von Asien, Afrika und Südamerika sich erstrecken.
Durch den Abfall Südamerikas von Spanien und Portugal und durch die Auflösung des türkischen Reichs sind eine Masse der produktivsten Länder der Erde ins Freie gefallen, die nun mit Sehnsucht erwarten, daß die zivilisierten Nationen der Erde sie in friedlichem Einverständnis auf den Weg der Rechtssicherheit und Ordnung, der Zivilisation und des Wohlstandes leiten, die nicht mehr verlangen, als daß man
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ihnen Manufakturwaren zuführe und die Produkte ihrer Zone an Zahlungsstatt entgegennehme.
(374) Man sieht, hier ist für alle zu Eraporbringung einer eigenen Manufakturkraft berufenen Länder von Europa und Nordamerika Raum genug, um ihre Manufakturproduktion zur Blüte zu bringen, ihre Konsumtionen an Produkten der heißen Zone zu vermehren und in gleichem Verhältnis ihren direkten Ver-kehr mit den Ländern der heißen Zone aus- zudehnen.
(375) Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Manufaktiiivkraft und die Scliiflfahrt, die See- macht und die Kolonisation.
Die Manufakturen , als die Basis eines großen inneren und auswärtigen Verkehrs, sind auch die Grundbedingung einer ansehnlichen Schiffahrt. Da die bedeutendsten Inland- transporte in Versorgung der Manufakturisten mit Brenn- und Baumaterialen, Rohstoffen und Lebensmitteln bestehen, so kann schon die Küsten- und Stromschiffahrt im bloßen Agrikulturstaat nicht gedeihen. Die Küstenschiffahrt aber ist die Schule und das Depot der Matrosen, der SchifTs- kapitäne und des Schiffbaues; somit fehlt in Agrikultur- ländern schon die Hauptunterlage für die große Seeschiffahrt.
Der internationale Handel besteht hauptsächlich, wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben, im Tausch von Manu- fakturwaren gegen Rohstoffe und Naturprodukte und vorzüg- lich gegen die Produkte der heißen Zone. Die Agrikultur- länder der gemäßigten Zone aber haben den Ländern der
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heißen Zone nur zu bieten, was diese selbst hervorbringen oder was sie nicht brauchen können, nämlich Rohstoffe und Lebensmittel ; daher ist an einen direkten Verkehr und somit an eine Schiffahrt (376) zwischen ihnen und den Ländern der heißen Zone nicht zu denken. Ihre Konsumtion an Kolonialwaren muß sich auf diejenigen Quantitäten be- schränken, die sie durch Absatz von Agrikulturprodukten und Rohstoffen an die Manufaktur- und Handelsnationen be- zahlen können; sie müssen folglich diese Artikel aus der zweiten Hand beziehen. Im Verkehr zwischen einer Agri- kulturnation und einer Manufaktur- und Handelsnation aber muß der letzteren immer der größte Teil des Seetransportes zufallen, wenn sie es auch nicht in ihrer Macht hätte, sich durch Schiffahrtsgesetze den Anteil des Löwen zuzuscheiden.
Außer dem inneren und internationalen Handel be- schäftigen die Seefischereien eine bedeutende Anzahl von Schiffen; allein auch von diesem Erwerbszweig fällt in der Regel nichts oder nur wenig an die Agrikulturnation, da bei ihr keine bedeutende Nachfrage nach den Produkten der See bestehen kann und die Manufakturhandelsnationen aus Rücksichten auf ihre Seemacht den inneren Markt ihren eigenen Seefischern ausschließlich vorzubehalten pflegen.
Aus der Privatmarine rekrutiert die Flotte ihre Matrosen und ihre Steuermänner, und die Erfahrung hat noch überall gelehrt, daß tüchtige Matrosen nicht wie Landtruppen dressiert werden können, sondern durch den Dienst in der Küsten- fahrt, in der internationalen Seeschiffahrt und in den See- fischereien erzogen werden müssen. Die Seemacht der Nationen wird also überall mit diesen Zweigen der Seegewerbe auf gleicher Stnfe stehen, folglich bei der bloßen Agrikultur- nation immer nahezu null sein.
Die höchste Blüte der Manufakturkraft, des daraus er- wachsenden inneren und äußeren Handels, einer (377) be- deutenden Küsten- und Seeschiffahrt und großer See-
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fischereien, und endlich einer ansehnlichen Seemachl, sind die Kolonien.
Die Mutternation versorgt die Kolonie mit Mannfaktur- waren und bezieht dagegen ihren Überfluß an Agrikultur- produkten und Rohstoffen ; dieser Verkehr belebt ihre Manu- fakturen, vermehrt dadurch ihre Bevölkerung und die Nach- frage nach ihren inneren Ägrikulturprodukten und vergrößert ihre Seeschiffahrt und Seemacht. Die überschüssige Kraft der Mutternation an Bevölkerung, Kapital und Unternehmungs- geist erhält durch ihre Kolonisation einen wohltätigen Abfluß, der ihr mit Interessen wieder dadurch vergütet wird, daß ein ansehnlicher Teil derjenigen, welche sich in der Kolonie bereichert haben, seine dort gesammelten Kapitale in den Schoß der Mutternation zurückbringt oder seine Renten in ihrer Mitte verzehrt.
Agrikulturnationen, denen schon die Mittel fehlen, Kolo- nien anzulegen, besitzen auch nicht die Kraft, sie zu benutzen und zu behaupten. Was die Kolonien nötig haben, können sie ihnen nicht bieten, und was sie bieten können, besitzt die Kolonie selbst.
Der Tausch von Manufakturwaren gegen ürprodukte ist Grundbedingung des heutigen Kolonial Verhältnisses. Daher sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika von England abgefallen, sobald sie das Bedürfnis und die Kraft fülilten, selbst zu fabrizieren, selbst Schiffahrt und Handel mit den Ländern der heißen Zone zu treiben ; daher wird auch Kanada abfallen, nachdem es auf denselben Punkt gekommen sein wird ; daher werden auch in den Ländern der ge- mäßigten Zone von Australien im Lauf der Zeit unabhängige Agrikulturmanufakturhaudelsstaaten entstehen.
(378) Dieser Tausch ist aber zwischen den Ländern der gemäßigten Zone und den Ländern der heißen Zone für alle Zeiten in der Natur begründet. Daher hat Ostindien seine Manufakturkraft mit seiner Selbständigkeit an England ver-
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loren, daher werden alle asiatischen Länder der heißen Zone von Asien und Afrika nach und nach in die Botmäßigkeit der Manufakturhandelsnationen der gemäßigten Zone geraten, daher werden die Inseln der heißen Zone, die jetzt im Kolonialverhältnis stehen, sich schwerlich je davon losmachen, daher werden die südamerikanischen Staaten immer in einer gewissen Abhängigkeit von den Manufakturhandelsnationen verbleiben.
England verdankt seinen unermeßlichen Kolonialbesitz einzig seiner überwiegenden Manufakturkraft. Wollen auch die anderen europäischen Nationen an dem gewinnreichen Geschäft teilnehmen, wilde Länder zu kultivieren und bar- barische oder wieder in Barbarei versunkene Nationen alter Kultur zu zivilisieren, so müssen sie damit anfangen, ihre inneren Manufakturkräfte, ihre Schiffahrt und ihre Seemacht auszubilden. Und sollten sie in diesen Bestrebungen durch die Manufaktur-, Handels- und Seesuprematie verhindert werden, so liegt in der Vereinigung ihrer Kräfte das einzige Mittel, dergleichen ungebührliche Ansprüche auf das Ge- bührliche zu reduzieren.
(379) .Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Die Mainifaliturliraft und die Zirkulationsiustriimeute.
Wenn die Erfahrung der verflossenen fünfundzwanzig Jahre die Grundsätze, welche von der herrschenden Theorie, im Widerspruch mit den Begriffen des sogenannten Merkantil- systems, über die Zirkulation der edlen Metalle und über
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die Handelsbilanz aufgestellt worden, zum Teil als richtig be- stätigt hat, so sind von ihr andererseits bedeutende Blößen der Theorie in Beziehung auf die erwähnten Materien ins Licht gestellt worden.
Die Erfahrung hat mehrfältig und insbesondere in Ruß- land und Nordamerilia bewiesen, daß in Agrikulturnationen, deren Manufakturmarkt der freien Konkurrenz einer zur Manufaktursuprematie gelangten Nation bloßgestellt ist, der Wert der Einfuhr an Manufakturwaren den Wert der außer Landes gehenden Agrikulturprodukte gar oft in enormer Weise übersteigt, und daß dadurch zuweilen plötzlich ein außerordentlicher Abfluß von edlen Metallen verursacht wird, wodurch die Ökonomie der Agrikulturnation, zumal (380) wenn ihr innerer Verkehr großenteils auf Papierzirkulation basiert ist, in Zerrüttung gerät und Nationalkalamitäten entstehen.
Die Theorie behauptet: man verschaffe sich die edlen Metalle auf demselben Wege wie jede andere Ware, es sei im Grunde gleichgültig, ob sich große oder geringe Quanti- täten edler Metalle in Zirkulation befänden, indem es nur auf das wechselseitige Verhältnis der Preise ankomme, ob eine Ware wohlfeil oder teuer sei; ein ungleicher Wechsel- kurs wirke gleichsam als eine Pjäraie zu größerer Ausfuhr von Waren aus demjenigen Lande, zu dessen Grünsten er sich zeitweise stelle: folglich würde das Geldwesen und das Gleichgewicht zwischen den Einfuhren und Ausfuhren, sowie alle übrigen ökonomischen Verhältnisse der Nation am sichersten und besten durch die Natur der Dinge reguliert.
Dieses Raisohnement ist im inneren National verkehr vollkommen richtig; es bewährt sich im Verkehr zwischen Stadt und Stadt, zwischen Stadt und Land, zwischen Provinz und Provinz wie in der Union zwischen Staat und Staat. Derjenige Staatsökonom wäre zu bedatiern, der da glaubte, das Gleichgewicht der wechselseitigen Einfuhren und Aus-
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fuhren zwischen den verschiedenen Staaten der amerikanischen oder deutschen Union oder zwischen England, Schottland und Irland sei durch Staatsmaßregeln und Gesetze besser zu regulieren als durch den freien Verkehr. Unter der Voraussetzung, daß eine ähnliche Union zwischen den ver- schiedenen Staaten und Nationen der Erde bestände, wäre das Raisounement der Theorie der Natur der Dinge voll- kommen gemäß. Nichts aber widerspricht mehr der Er- fahrung, als wenn man unter den bestehenden (381) Welt- veriiältnissen glaubt, daß sich im internationalen Verkehr die Sachen auf gleiche Weise verhalten.
Die Einfuhren und Ausfuhren unabhängiger Nationen sind zurzeit nicht durch das, was die Theorie die Natur der Dinge nennt, sondern größtenteils durch die Handels- politik und die Maciit der Nation, durch ihren Einfluß auf die Weltverhältnisse und auf fremde Länder und Völker, durch Kolonialbesitz und innere Kreditanstalten oder durch Krieg und Frieden bedingt. Hier gestalten sich demnach alle Verhältnisse anders als zwischen Gesellschaften , die durch politische, gesetzliche und administrative Baude zu ewigem Frieden und zu vollständiger Einheit der Interessen verbunden sind.
Betrachten wir z. B. die Verhältnisse zwischen England und Nordamerika: wenn England zeitweise große Massen von Manufaktur waren auf den nordamerikanischen Markt wirft; wenn die englische Bank durch ihre hohen oder niedrigen Wechseldiskontierungen die Ausfuhr und die Kredit- gebung nach Nordamerika auf außerordentliche Weise fördert oder beschränkt; wenn sie dadiu'ch zu so ungewöhnlicher Überschwemmung des amerikanischen Mauufakturwaren- niarktes beiträgt, daß die englischen Manufakturwaren wohl- feiler in Nordamerika als in England, ja sogar zeitweise weit unter dem Produktionskostenpreis zu haben sind; wenn dadurch Nordamerika gegen England in ewige Schuld und
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in ein nachteiliges Wechselverhältnis gerät, so würde sich bei unbeschränktem Verkehr dieses Mißverhältnis leicht von selbst ausgleichen. Nordamerika produziert Tabak, Bauholz, Getreide und Lebensmittel aller Art ohne Vergleichimg wohl- feiler als England. Je mehr englische Mannfakturwaren nach Nordamerika (382) gehen, um so größer die Hilfs- und Reiz- mittel, dergleichen Werte zu produzieren, bei dem ameri- kanischen Pflanzer; je mehr ihm Kredit gegeben wird, um so größer der Antrieb, bei ihm sich die Mittel zu Abtragung seiner Verbindlichkeiten zu verschaffen ; je mehr der Wechsel- kurs auf England zum Nachteil von Nordamerika sich stellt, desto größer der Reiz zur Exportation von amerikanischen Agrikulturprodukten , desto erfolgreicher die Konkurrenz des amerikanischen Agrikulturisten auf dem englischen Pro- duktenmarkte.
Infolge dieser Exportationen müßte der ungleich ge- wordene Wechselkurs schnell sich wieder ins Gleichgewicht stellen, ja er könnte nicht einmal zu bedeutender Ungleich- heit anwachsen, weil schon die Voraussicht und Gewißheit in Nordamerika, daß die Schuld, welche durch die große Importation von Manufakturwaren im Laufe des gegen- wärtigen Jahres kontrahiert worden, durch die Mehrpro- duktion und vergrößerte Ausfuhr des kommenden Jahres sich ausgleichen werde, Akkommodationen im Gefolge hätte.
So würden die Verhältnisse sich stellen, im Fall der Verkehr zwischen dem englischen Manufakturisten und dem amerikanischen Agrikulturisten ebensowenig beschränkt wäre, als es der Verkehr zwischen dem englischen Manufakturisten und dem irländischen Agrikulturisten ist. Anders aber stellen sie sich und müssen sie sich stellen, wenn England den amerikanischen Tabak mit fünfhundert bis tausend Prozent Einfuhrzoll belegt, wenn es durch seine Zolltarife die Impor- tation des amerikanischen Bauholzes unmöglich macht und die amerikanischen Lebensmittel nur im Fall der Teurung
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zuläßt: denn jetzt kann die amerikanische (383) Agrikultur- produktion mit der Konsunation englischer Manufakturwaren sich nicht ins Gleichgewicht stellen, jetzt kann die 3Ianufaktur- warenschuld nicht in Ägrikulturprodukten abgetragen werden, jetzt ist die amerikanische Ausfuhr nach England eine durch enge Grenzen beschränkte, während die englische Ausfuhr nach Nordamerika eine unbegrenzte ist, jetzt kann der Wechselkurs zwischen beiden Ländern sich nicht ausgleiclien, jetzt muß die Schuld von Amerika an England durch Bar- sendungen ausgeglichen werden.
Diese Barsendungen aber, da sie das amerikanische Papierzirkulationssystem in seiner Basis untergraben, führen notwendig zum Sturz des Kredits der amerikanischen Banken und damit zu allgemeinen Revolutionen in den Preisen des Grundeigentums und der in Zirkulation befindlichen Güter, überhaupt zu denjenigen allgemeinen, die Ökonomie der Nation über den Haufen werfenden Preis- und Kreditver- wirrungen, von welchen wir die nordamerikanisclien Frei- staaten heimgesucht sehen, so oft sie nicht durch Staats- maßregeln ihre Einfuhren mit den Ausfuhren ins Gleich- gewicht zu stellen wissen.
Es kann dabei den Nordamerikanern nicht sehr zum Tröste gereichen, daß infolge von Bankerotten und vermin- derten Konsumtionen die Einfuhren und Ausfuhren zwischen beiden Ländern späterhin wieder in ein leidliches Verhältnis gesetzt werden. Denn die Störungen und Konvulsionen im Verkehr und im Kredit, sowie die Reduktionen in der Kon- sumtion sind mit Nachteilen für das Wohlbefinden und das Glück der Individuen und für die öffentliche Ordnung ver- bunden, von welchen mau sich nicht so schnell wieder er- holt und die bei öfterer (384) Wiederholung notwendig bleibend verderbliche Folgen haben müssen.
Noch weniger kann es den Nordamerikanern Beruhigung gewähren, wenn die Theorie behauptet, es sei gleichgültig,
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ob große oder geringe Quantitäten an edeln Metallen zir- kulieren, man tausche Produkte nur gegen Produkte; ob dieser Tauseh durch große oder geringe Metallquantitäten vermittelt werde, sei für das Individuum gleichgültig. Allerdings kann es dem Produzenten oder Besitzer einer Sache gleichgültig sein, ob der Gegenstand seiner Produktion oder seines Besitzes 100 Centimes oder 100 Franken wert ist, vorausgesetzt, daß er mit den 100 Centimes ebenso viele Bedürfnisse und Genüsse sich verschaffen kann als mit den 100 Franken. Allein niedrige oder hohe Preise sind nur in dem Falle gleichgültig, wenn sie lange auf gleichem Fuße stehen bleiben.
Fluktuieren sie aber häufig und stark, so entstehen Mißverhältnisse, welche die Ökonomie jedes Individuums wie die der Gesellschaft in Verwirrung bringen. Wer bei hohen Preisen Rohstoffe eingekauft hat, kann bei niedrigen durch den Verkauf der Fabrikate nicht wieder diejenige Summe an edlen Metallen realisieren, die er für die Roh- stoffe hingegeben hat. Wer bei hohen Preisen liegende Güter gekauft hat und darauf einen Teil des Kaufpreises schuldig geblieben ist, verliert seine Zahlungsfähigkeit und sein Besitztum, weil nun bei verminderten Preisen viel- leicht der Wert des Gutes den Betrag der Hypothek nicht einmal erreicht. Wer bei hohen Preisen Pachtverträge ab- geschlossen hat, findet sich durch die Preiserniedrigung ruiniert oder doch außerstand gesetzt, seine Pachtverträge einzuhalten. Je größer das Steigen und Fallen der Preise, je öiter (385) die Fluktuationen eintreten, desto verderb- licher ist ihr Einfluß auf die ökonomischen Zustände der Nation und insbesondere auf den Kredit. Nirgends aber stellen sich diese nachteiligen Wirkungen des ungewöhn- lichen Zu- oder Abflusses der edeln Metalle in ein grelleres Licht als in Ländern, die in Ansehung ihrer Manufaktur- bedürfnisse und ihres Produktenabsatzes von fremden
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Nationen gänzlich abhängig sind und deren Verkehr zum größeren Teil auf Papierzirkulatioa basiert ist.
Es ist bekannt, daß die Quantität der Banknoten, welche ein Land in Zirkulation zu 'setzen und zu erhalten vermag, durch die Größe des Besitzes ihrer Barschaften bedingt ist. Jede Bank wird ihre Papierzirkulation und ihre G-eschäfte im Verhältnis der in ihren Gewölben befindlichen Summen von edlen Metallen auszudehnen oder einzuschränken streben. Ist der Zufluß an eigenen Geldkapitalien oder au Depositen sehr stark, so wird sie größeren Kredit geben und durch diese Kreditgebung die Kreditgebung ihrer Debitoren und damit die Konsumtion und die Preise, besonders aber die des liegenden Eigentums, steigern. Ist dagegen ein Abfluß an edlen Metallen fühlbar, so beschränkt sie ihre Kredite und bewirkt dadurch Kredit- und Konsumtionsbeschrän- kungen bei ihren Debitoren und bei den Debitoren ihrer Debitoren und so fort bis zu denjenigen, welche die im- portierten Manufakturwaren auf Kredit zu konsumieren pflegen. In solchen Ländern wird demnach durch unge- wöhnliche Abflüsse an barem Gelde das ganze Kreditsystem der Waren- und Produkten markt, insbesondere aber der Geldwert alles liegenden Eigentums in Verwirrung ge- bracht.
(386) Man hat die Ursache der neuesten wie der früheren amerikanischen Handeskrisis in dem amerika- nischen Bank- und Papiersystem finden wollen. Die Wahr- heit ist, die Banken haben in der eben angegebenen Weise dazu mitgewirkt, aber der Hauptentstehungsgrund derselben liegt darin, daß seit Einführung der Kompromißbill der Wert der englischen Manufakturwaren den Wert der aus- geführten amerikanischen Produkte weit überstiegen hat, und daß dadurch die Freistaalen den Engländern mehrere hundert Millionen schuldig geworden sind, die sie nicht in Produkten bezahlen konnten. Der Beweis, daß diese Krisen
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auf Rechnung der unverhältnismäßigen Einfuhr kommen, liegt darin, daß sie immer eingetreten sind, so oft infolge eingetretenen Friedens oder von Zollverminderungen der Zufluß an Manufakturwaren in Nordamerika ungewöhnlich groß gewesen ist, und daß sie nie eingetreten sind, solange durch das Einfnhrzollsystem die AVareneinfuhr mit der Pro- duktenausfuhr im Grieichge wicht gehalten ward.
Man hat ferner die Schuld dieser Krisen auf Rechnung der großen Kapitalien setzen wollen, die in den Freistaaten auf die Anlagen von Kanälen und Eisenbahnen verwendet worden seien und die man sich großenteils durch Anlehen in England verschafft habe. Die Wahrheit ist: diese An- leihen haben nur dazu beigetragen, die Krisis mehrere Jahre lang hinzuhalten und zu vergrößern , aber die Anleihen selbst sind offenbar durch das zwischen der Einfuhr und der Ausfuhr eingetretene Mißverhältnis veranlaßt worden und wären ohne dasselbe nicht gemacht worden, und hätten nicht gemacht werden können.
Indem Nordamerika durch die große Einfuhr von Manu- fakturwaren den Engländern große Summen (387) schuldig geworden, welche nicht in Produkten, sondern nur in edlen Metallen saldiert werden konnten, ward es den Engländern möglich, gereichte es ihnen infolge des ungleichen Wechsel- kurses und Zinsfußes zum Vorteil, sich diesen Saldo in amerikanischen Eisenbahn-, Kanal- und Bankaktien oder in amerikanischen Staatseffekten bezahlen zu lassen.
Je mehr die Einfuhr an Manufakturwaren die Ausfuhr an Produkten überstieg, um so höher stieg die Nachfrage in England nach dergleichen Effekten, um so mehr Avurde man in Nordamerika angespornt, sich in öffentliche Unter- nehmungen einzulassen, und je mehr Kapitale in Nord- amerika auf dergleichen Unternehmungen verwendet wurden, desto größer wuchs hinwiederum die Nachfrage nach eng-
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lischen Manufakturwaren und zugleich das Mißverhältnis zwischen der Einfuhr und der Ausfuhr.
Ward auf der einen Seite die Einfuhr englischer Manu- fakturwaren in Nordamerika durch die Kreditgebungen der amerikanischen Banken befördert, so arbeitete andererseits die englische Bank durch ihre Kreditgebungen und ihren niedrigen Diskonto ihnen in die Hände. Es ist durch offi- ziellen Bericht des englischen Handels- und Manufaktur- komitees erwiesen, daß die englische Bank infolge dieser Diskontierungen ihre Barschaften von 8 Millionen Pfund auf 2 Millionen Pfund verminderte. Dadurch schwächte sie einerseits die Wirksamkeit des amerikanischen Schutz- systems zum Vorteil der englischen Konkurrenz mit den amerikanischen Fabriken, andererseits ermöglichte und er- mutigte sie den Absatz amerikanischer Aktien und Staats- effekten in England. Denn solange das Geld in England für 3 Proz. zu haben war, konnte es den (388) amerika- nischen Unternehmern und Anlehensunterhändlern , die 6 Proz. Zinsen boten, nicht an Abnehmern ihrer Papiere in England fehlen.
Diese Wechselverhältnisse gewährten den Anblick hoher Prosperität, ungeachtet die amerikanischen Fabriken dadurch nach und nach erdrückt wurden. Denn die amerikanischen Agrikulturisten setzten einen großen Teil desjenigen Pro- duktenüberflusses, den sie bei freiem Verkelir nach England oder bei angemessenem Schutz der inländischen Fabriken an die inländischen Fabrikarbeiter abgesetzt haben würden, an die mit öffentlichen Werken beschäftigten und mit eng- lischen Kapitalien bezahlten Arbeiter ab. Fortdauern konnte jedoch bei getrennten Nationalinteressen ein so unnatürlicher Zustand nicht, und der Bruch mußte um so nachteiliger für Nordamerika wirken, je länger er unterdrückt worden war. Wie ein Kreditor den Schuldner durch neue Kredit- gebungen lange Zeit aufrecht erhalten kann, wie aber der
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Bankbruch des Schuldners um so größer werden muß, je länger er von dem Kreditor durch immer vermehrten Kredit in den Stand gesetzt worden ist, ein nachteiliges Handels- verhältnis fortzusetzen, so war es auch hier.
Die Veranlassung zum amerikanischen Bankbruch gab der ungewöhnliche Abfluß, den infolge von unzureichenden Ernten und infolge der Kontinentalschutzsysteme die edlen Metalle aus England nach fremden Ländern nahmen. Wir sagen: infolge der Kontinentalschutzsysteme, weil die Eng- länder — wären ihnen die europäischen Kontinentalmärkte olfen gestanden — die außerordentlichen Zufuhren an Ge- treide von dem Kontinent größtenteils vermittels außer- ordentlicher Ausfuhren von englischen Manufakturwaren nach dem (389) Kontinent gedeckt haben würden und weil die englischer Barschaften — wären sie auch nach dem Kontinent geflossen — in kurzer Zeit infolge der vermehrten Fabrikatenausfuhr ihren Rückweg nach England würden wiederum gefunden haben. In einem solchen Falle wären ohne Zweifel die Kontinentalfabriken als Opfer der englisch- amerikanischen Handelsoperationen gefallen.
Wie aber die Sachen standen, konnte sich die englische Bank nur durch Beschränkung ihrer Kreditgebung und durch Erhöhung ihres Diskontos helfen. Infolge dieser Maßregel fiel nicht allein die Nachfrage nach amerikanischen Aktien und Staatseffekten in England: auch diejenigen dieser Pa- piere, welche bereits in Zirkulation waren, drängten sich nunmehr auf den Markt. Damit waren den Freistaaten nicht allein die Mittel benommen, ihr laufendes Defizit durch weiteren Absatz • von Papieren zu decken, auch die ganze Schuld, welche sie im Laufe vieler Jahre vermittels ihrer Aktien- und Effektenverkäufe gegen England kontrahiert hatten, ward ihnen damit effektive aufgekündigt. Es zeigte sich nun, daß die in Amerika zirkulierenden Barschaften eigentlich den Engländern gehörten. Noch mehr: es zeigte
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sich, daß die Engländer über diejenigen Barschaften, auf deren Besitz das ganze Bank- und Papiersystem der Frei- staaten gegründet war, nach Belieben disponieren konnten. Disponierten sie aber darüber, so fiel das letztere wie ein Karteuhaus über den Haufen, und mit ihm stürzte das Fun- dament, auf dem die Preise des Grundeigentums, folglich die ökonomische Existenz eines großen Teils der Privaten ruhte.
Die amerikanischen Banken suchten ihren Fall durch Einstellung der Barzahlung abzuwenden, und dies war auch das einzige Mittel, ihn wenigstens zu mildern ; (390) einer- seits suchten sie damit Zeit zu gewinnen, um die Schuld der Freistaaten durch den Ertrag der neuen Baumwollen- ernte zu vermindern und auf diesem Wege nach und nach abzutragen ; andererseits hofften sie durch die damit ver- bundene Kreditstörung die Einfuhr englischer Manufaktur- waren zu vermindern und für die Zukunft mit der Ausfuhr ins Gleichgewicht zu stellen.
Inwiefern die Baumwollenausfuhr die Mittel liefern kann, der Manufakturwareneinfuhr das Gleichgewicht zu halten, ist indessen sehr zweifelhaft. Seit mehr als zwanzig Jahren ist nämlich die Produktion in diesem Artikel der Konsumtion stets bedeutend vorausgeeilt, so daß mit der vermehrten Produktion die Preise mehr und mehr gefallen sind. Dazu konamt, daß einerseits der Baurawollenfabrikation in der durch die Maschinen so sehr vervollkommneten Leinenfabrikation, andererseits den Baumwollenproduzenten in den Baumwollenpflanzungen von Texas, Ägypten, Brasilien und Ostindien mächtige Konkurrenten erstehen. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, daß die Baumwollenausfuhr von Nord- amerika denjenigen Staaten, welche die meisten englischen Manufaktur waren konsumieren, am wenigsten zugute kommt.
In diesen Staaten, in denjenigen nämlich, welche aus dem Getreidebau und der Viehzucht die Hauptmittel zu An-
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schaffang von Manufakturwaren ziehen, kündigt sich nun eine Krisis anderer Art an. Infolge der großen Einfuhr von englischen Manufakturwaren wurden die amerikanischen Manufakturen gedrückt. Aller Zuwachs an Bevölkerung und Kapital ward dadurch nach den neuen Ansiedlungen im Westen gedrängt. Jede neue Niederlassung vermehrt im Anfange die Nachfrage nach Agrikulturprodukten, liefert aber (391) nach Verfluß weniger Jahre bedeutende Über- schüsse. Dieser Fall ist nun bereits in jenen Niederlassungen eingetreten. Die westlichen Staaten werden daher im Lauf der nächsten Jahre ungeheure Produktenüberschüsse auf den neu errichteten Kanälen und Eisenbahnen nach den östlichen Staaten werfen, während in diesen Staaten infolge der durch die auswärtige Konkurrenz gedrückten Fabriken die Zahl der Konsumenten sich vermindert hat und fortwährend sich vermindern muß. Hieraus muß notwendig Wertlosigkeit der Produkte und der Ländereien erwachsen, und wofern die Union nicht bald Anstalten trifft, die Quellen zu verstopfen, aus welchen die oben geschilderten Geldkrisen ihren Ursprung nehmen, ist ein allgemeiner Bankerott der Agrikulturisten in den Getreide bauenden Staaten unvermeidlich.
Die bisher dargelegten Handelsverhältnisse zwischen England und Nordamerika lehren demnach: 1) daß eine Nation, welche an Kapitalreichtum und Manufakturkraft der englischen weit nachsteht, den Engländern keine vorherr- schende Konkurrenz auf ihrem Manufakturmarkt einräumen kann, ohne auf bleibende Weise in ihre Schuld zu geraten, von ihren Geldinstituten abhängig und in den Wirbel ihrer Agrikultur-, Gewerbs- und Handelskrisen hineingezogen zu werden ;
2) daß die englische Nationalbank durch ihre Operationen die Preise der englischen Manufakturwaren auf den unter ihrem Einfluß stehenden amerikanischen Manufakturmärkten
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zum Vorteil der englischen und zum Nachteil der amerika- nischen Fabriken herabzudrücken vermag;
3) daß die englische Nationalbank durch ihre Operationen bewirken konnte, daß eine Reihe von Jahren (392) hindurch die Nordamerikaner weit größere Werte an eingeführten Waren konsumierten, als sie durch ihre Exporte an Pro- dukten zu bezahlen vermochten, und daß die Amerikaner mehrere Jahre lang ihr Defizit durch die Exportation von A-ktien und Staatseffekten deckten ;
4) daß unter solchen Umständen die Amerikaner ihren inneren Verkehr und ihre Bank- und Papierwirtschaft mit Barschaften betrieben, welche die englische Bank zum großen Teil durch ihre Operationen an sich zu ziehen vermochte, wann es ihr beliebte;
5) daß die Fluktuationen auf dem Geldmarkt unter allen Umständen höchst nachteilig auf die Ökonomie der Nationen wirken, zumal in Ländern, wo auf den Besitz von gewissen Quantitäten edler Metalle ein ausgedehntes Bank- und Papier- sj'Stem basiert ist;
6) daß die Fluktuationen auf dem Geldmarkt und die daraus erwachsenden Krisen nur zu verhindern sind und daß ein solides Banksystem nur zu begründen ist, wenn die Einfuhren mit den Ausfuhren ins Gleichgewicht gestellt werden ;
7) daß dieses Gleichgewicht um so weniger bestehen kann, je leichter die fremden Manu- fakturwaren auf dem eigenen Markt konkurrieren können und je mehr die Ausfuhr einheimischer Agrikulturprodukte durch fremde Handelsmaß- regeln beschränkt ist; endlich daß dieses Gleich- gewicht um so weniger gestört werden kann, je weniger die Nation in ihren Manufakturbedürf- nissen und in ihrem Produktenabsatz von frem- den Nationen abhängig ist.
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Diese Lehren werden aucli durch die Erfahrung von Rußland bestätigt.
(393) Man wird sich erinnern, welchen Konvulsionen der öffentliche Kredit im russischen Reiche unterworfen war? solange der dortige Markt den Überschwemmungen der eng- lischen Manufakturwaren offen stand, und daß seit der Ein- führung des Zolltarifs von 1821 in Rußland nichts Ahnliches mehr vorgekommen ist.
Offenbar ist die herrschende Theorie in das den Irr- tümern des sogenannten Merkantilsystems entgegengesetzte Extrem verfallen. Allerdings war es falsch, wenn man be- hauptete, der Reichtum der Nationen bestände nur in edlen Metallen ; eine Nation könne nur reich werden, wenn sie mehr Waren ausführe als importiere, und dadurch, daß der Saldo der Bilanz durch die Einfuhr edler Metalle ausge- glichen werde. Falsch ist es aber auch, wenn die herr- schende Theorie unter den obwaltenden Weltverhältnissen behauptet, es komme nicht darauf an, wieviel oder wiewenig edle Metalle in einer Nation zirkulierten , die Furcht , zu wenig edle Metalle zu besitzen, sei eine frivole, man sollte eher zu ihrer Exportation auffordern als ihre Importation begünstigen usw. Dieses Räsonnement ist nur richtig, wenn man sich alle Nationen und Länder unter dem Rechtsgesetz vereinigt denkt ; wenn keine Handelsbeschränkungen irgend- einer Art gegen die Ausfuhr unserer Produkte bei den- jenigen Nationen bestehen, deren Manufakturwaren wir nur mit den Erzeugnissen unserer Agrikultur bezahlen können; wenn die AVechselfälle des Kriegs und Friedens usw. keine Fluktuationen in der Produktion und Konsumtion, in den Preisen und auf dem Geldmarkt verursachen ; wenn die großen Kreditinstitute ihren Einfluß nicht im besonderen In- teresse der Nation, welcher sie angehören, auf andere Nationen auszudehnen suchen. Solange aber abgesonderte (394) National- interessen bestehen, wird die Staatsklugheit jeder großen
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Nation gebieten, sich vermittels ihres Handelssystems gegen außerordentliche, ihre ganze innere Ökonomie über den Haufen werfende Geldtluktuationen und Preisrevolutionen zu ver- wahren, und sie wird diesen Zweck nur erreichen, indem sie ihre innere Manufakturproduktion mit ihrer inneren Agri- kulturproduktion und ihre Einfuhren mit ihren Ausfuhren in ein richtiges Gleichgewicht stellt.
Die herrschende Theorie hat offenbar den Besitz der edlen Metalle von der Dispositionskraft über die edlen Metalle im internationalen Verkehr nicht unterschieden. Schon im Privatverkehr tritt die Notwendigkeit dieser Unter- scheidung klar ins Licht. Niemand will das Geld behalten, jeder sucht es sobald als möglich aus dem Hause zu schaffen, aber jeder strebt danach, zu jeder Zeit über die ihm er- forderlichen Summen disponieren zu können. Die Sorg- losigkeit in betreff des Besitzes von Barschaften findet über- all im Verhältnis des Eeichtums statt. Je reicher das Individuum, desto weniger hält es auf den wirklichen Besitz des baren Geldes, wenn es nur zu jeder Stunde über die in den Kassen anderer Individuen befindlichen Barschaften ver- fügen kann ; je ärmer dagegen das Individuum, je geringer sein Vermögen, über die in fremden Händen befindlichen Barschaften zu disponieren, desto ängstlicher muß es darauf bedacht sein, das Erforderliche vorrätig zu halten. Gleiches ist der Fall bei industriereichen und industriearmen Nationen. Wenn England sich in der Regel wenig darum kümmert, wieviel oder wiewenig Gold- oder Silberbarren außer Landes gehen, so weiß es recht gut, daß ein außerordentlicher Ab- fluß an edlen Metallen einerseits (395) ein Steigen der Metallpreise und des Diskonto, andererseits ein Fallen der Fabrikwarenpreise zur Folge hat und daß es durch größere Ausfuhr von Fabrikwaren oder durch Realisierung auswärtiger Stocks und Staatseffekten schnell wiederum zum Besitz der ihm zu seinem Verkehr erforderlichen Barschaften
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gelangt. England ist der reiche Bankier, der ohne einen Taler in der Tasche zu haben, jede beliebige Summe auf nahe oder ferne Geschäftsfreunde ziehen kann. Wenn aber bei bloßen Agrikulturnationen außerordentliche Abflüsse an Barschaften eintreten, so befinden sie sich nicht in gleich günstiger Lage, weil ihre Mittel, die ihnen erforderlichen Barschaften herbeizuschaffen, sehr beschränkt sind, nicht nur wegen der geringen Tauschkraft ihrer Produkten verrate und Agrikulturwerte, sondern auch wegen der Hindernisse, die ihnen fremde Gesetze in der Ausfuhr derselben in den Weg legen. Sie sind der arme Mann, der auf seine Ge- schäftsfreunde keine Wechsel ziehen kann, sondern auf den gezogen wird, wenn der Reiche in Verlegenheit kommt, der also nicht einmal das wirklich in seinen Händen Befindliche sein eigen nennen kann.
Die Dispositionskraft über die für ihren inneren Verkehr stets erforderliche Summe von Barschaften erlangt offenbar die Nation hauptsächlich durch den Besitz oder die Produktion von Waren und Werten, deren Tauschkraft dem der edlen Metalle am nächsten kommt.
Die Verschiedenheit dieser Eigenschaft der Tauschkraft bei den verschiedenen Gegenständen des Verkehrs und des Besitzes hat die Schule bei Beurteilung des internationalen Handels so wenig berücksichtigt als die Dispositionskraft über die edlen Metalle. Beobachten (396) wir in dieser Beziehung die verschiedenen im Privatverkehr befindlichen Werte, so nehmen wir wahr, daß viele derselben derart fixiert sind, daß ihr Wert nur an Ort und Stelle umsetzbar und daß auch hier der Umsatz mit großen Kosten und Schwierig- keiten verbunden ist. Dahin gehören mehr als drei Vierteile alles Nationalvermögens, nämlich die unbeweglichen Güter und die fixierten Instrumente. Wie groß auch der Grund- besitz eines Individuums sei, es kann seine Acker und Wiesen nicht nach der Stadt schicken, um sich Geld oder Waren
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dafür kommen zu lassen. Zwar kann es diese Werte in Hypothek geben, allein erst muß es dafür einen Kreditor auffinden, und je weiter das Individuum deshalb sich von seinem Sitz entfernt, desto geringer wird die Wahrscheinlich- keit der Befriedigung seines Bedürfnisses.
Nach den an die Lokalität gebundenen Werten haben in Beziehung auf den internationalen Yerkehr die meisten Agrikulturprodukte (mit Ausnahme der Kolonialwaren und einiger weniger wertvollen Ai-tikel) die geringste Tausch- kraft. Der größte Teil dieser Werte, wie z. B. Bau- und Brennmaterialien, Brotfrüchte usw., Obst und Vieh, kann nur an die nächsten Umgebungen abgesetzt und muß bei großem Überfluß aufgespeichert werden, um realisierbar zu sein. Insoweit dergleichen Produkte nach fremden Ländern gehen, beschränkt sich wiederum ihr Absatz auf einzelne Manufaktur- und Handelsnationen, und auch bei diesen ist er meistens durch Eingangszölle und durch den größeren oder geringeren Ertrag ihrer eigenen Ernte bedingt. Die Binnenländer von Nordamerika könnten mit Vieh und Pro- dukten vollgestopft sein, es wäre ihnen doch nicht möglich, durch Ausfuhr dieses Überflusses (397) ansehnliche Summen von edlen Metallen aus Südamerika oder aus England oder aus dem europäischen Kontinent herbeizuschaffen. Ohne alle Vergleichung größere Tauschkraft dagegen haben die wert- vollen Manufakturwaren des gemeinen Grebrauchs. Sie finden in gewöhnlichen Zeiten Absatz auf allen offenen Märkten der Welt und in außerordentlichen Krisen bei gedrückten Preisen auch auf denjenigen, deren Zollschutz nur für gewöhnliche Zeiten berechnet ist. Die Tauschkraft dieser Werte kommt offenbar dem der edeln Metalle am nächsten, und die Er- fahrung von England zeigt, daß, wenn auch infolge von Miß- ernten Greldkrisen entstehen, die vermehrte Exportation von Fabrikwaren und von fremden Stocks und Staatseffekten das Gleichgewicht schnell wieder herstellt. Letztere, die fremden
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Stocks und Staatseffekten, offenbar die Resultate früherer durch Fabrikwarenexportation bewirkter günstiger Handels- bilanzen, stellen in den Händen der gewerbreichen Nation verzinsliche Wechsel auf die Agrikulturnation vor, welche zur Zeit eines außerordentlichen Bedürfnisses an edlen Metallen zwar mit Verlust für die einzelnen Inhaber (wie die Fabrikwaren zur Zeit der Geldkrisis), aber doch mit un- ermeßlichem Vorteil für die Erhaltung der nationalöko- nomischen Zustände der gewerbreichen Nation, bezogen werden.
Wie sehr nun von der Schule die Lehre von der Handels- bilanz verpönt sein möge, Beobachtungen wie die oben aus- geführten ermutigen uns gleichwohl, hier die Ansicht aus- zusprechen, daß es zwischen großen imd unabhängigen Nationen etwas derart geben müsse, wie eine Handelsbilanz; daß es gefährlich für große Nationen sei, in dieser Handels- bilanz für längere Zeit in sehr bedeutendem Nachteil zu stehen, und daß ein (398) bedeutender und anhaltender Ab- fluß von edlen Metallen immer bedeutende Revolutionen in dem Kreditsystem und in den Preisverhältnissen im Innern der Nation zur Folge haben müsse. Wir sind weit ent- fernt, damit die Lehre von der Handelsbilanz, wie sie unter dem sogenannten Merkantil system bestand, aufwärmen zu wollen und zu behaupten, die Nation habe der Ausfuhr edler Metalle Hindernisse in den Weg zu legen, oder es sei mit jeder Nation insbesondere strenge Rechnung zu halten, oder es komme in dem Verkehr zwischen großen Nationen auf etliche Millionen Unterschied zwischen der Einfuhr und Aus- fuhr au. Was wir in Abrede stellen, ist nur dies : daß eine große und imabhängige Nation, wie Adam Smith am Schluß seines diesem Gegenstand gewidmeten Kapitels behauptet, ,,fortwährend jedes Jahr sehr bedeutend giößere Massen von Werten an Produkten und Fabrikaten einführen als aus- führen, daß die in einer solchen Nation befindlichen Quanti-
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täten voQ edlen Metallen von Jahr zu Jahr bedeutend ab- nehmen und durch Papierzirkulation im Innern ersetzt werden können, ja daß eine solche Nation ihre Schuld gegen eine andere Nation fortwährend vermehren und aufwachsen lassen und gleichwohl dabei in ihrer Prosperität von Jahr zu Jahr Fortschritte machen könne."
Diese von Adam Smith ausgesprochene und von seiner Schule seither behauptete Ansicht ist es alleia, die wir für eine durch die Erfahrung hundertmal widerlegte, für eine dem gesunden Menschenverstand in der Natur der Dinge widerstreitende, mit einem "Wort — um Adam Smith seinen eigenen energischen Ausdruck zurückzugeben — für eine absurde erklären.
(399) Wohlverstanden, es ist hier nicht von Ländern die Rede, welche die Produktion der edeln Metalle selbst mit Vorteil betreiben, bei welchen also die Ausfuhr dieser Waren ganz den Charakter der Manufaktin-warenausfuhr hat. Auch ist nicht von demjenigen Unterschied in der Handelsbilanz die Rede, der notwendig entstehen muß, wenn die Nation ihre Exportation und Importation zu denjenigen Preisen taxiert, welche sie in ihren eigenen Seestädten haben. Daß in diesem Falle bei jeder Nation der Betrag der Einfahren um den ganzen Betrag ihrer eigenen Handelsgewinnste sich höher stellen muß als die Ausfuhren — ein Umstand, der statt zu ihrem Nachteil zu ihrem Vorteil spricht — ist klar und unbestreitbar. Noch viel weniger wollen wir die außer- ordentlichen Fälle in Abrede stellen, wo die größere Ausfuhr eher Wertverluste als Grewinnste bezeichnet, wäe z. B. wenn Werte durch Schiffbruch zugrunde gehen. Die Schule hat alle diese aus einer kontormäßigen Berechnung und Ver- gleichuug des Werts der Ausfuhren und Einfuhren er- wachsenden Täuschungen trefflich benutzt, um uns auch die Nachteile auszureden, welche ein wirklich und in der Tat bestehendes — ein anhaltendes — ein enormes Mißverhältnis
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zwischen den Einfuhren und Ausfuhren einer großen und unabhängigen Nation hat, das sich in so unermeßlichen Summen ausspricht, wie z. B. das von Frankreich im Jahre 1786—1789, das von Rußland im Jahre 1820 und 1821, und das von Nordamerika nach der Kompromißbill.
Endlich wollen wir — und dies ist hauptsächlich zu bemerken — nicht von Kolonien, nicht von abhängigen Ländern, nicht von kleinen Staaten oder von (400) einzelnen unabhängigen Städten sprechen, sondern von ganzen, großen unabhängigen Nationen, die ein eigenes Handelssystem, ein nationales Agrikultur- und Industriesystem, ein nationales Geld- und Kreditsystem besitzen.
Offenbar liegt es in der Natur der Kolonien, daß ihre Ausfuhren ihre Einfuhren bedeutend und anhaltend über- steigen können, ohne daß daraus eine Folgerung für die Ab- und Zunahme ihrer Prosperität zu ziehen w^äre. Die Kolonie prosperiert immer in dem Verhältnis, in welchem der Gesamtbetrag ihrer Ausfuhren und Einfuhren von Jahr zu Jahr zunimmt. Übersteigt die Ausfuhr an Kolonial- waren aus derselben die Einfuhren an Manufakturwaren be- deutend und anhaltend, so kann der Hauptgrund davon darin liegen, daß die Grundeigentümer der Kolonie im Mutterlande leben und daß sie ihre Rente in der Form von Kolonialwaren in Produkten oder in dem daraus erzielten Gelderlös beziehen. Tibersteigt dagegen die Ausfuhr an Fabrikwaren nach der Kolonie die Einfuhren an Kolonial- waren bedeutend, so kann der Hauptgrund davon darin liegen, daß durch Auswanderungen oder Anleihen von Jahr zu Jahr große Massen von Kapitalien nach der Kolonie gehen. Dieses letztere Verhältnis ist allerdings ein der Prosperität der Kolonie höchst günstiges. Es kann jahr- hundertelang fortdauern, und Handelskrisen sind in diesem Verhältnis selten oder unmöglich, weil die Kolonie weder durch Kriege noch durch feindselige Handelsmaßregeln noch
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durch Operationen der Nationalbank des Mutterlandes ge- fährdet ist, weil sie kein ihr eigentümlich angehöriges, selbständiges Handels-, Kredit- und ludnstriesystem besitzt, sondern im Gegenteil stets durch die (401) Kreditinstitute und politischen Maßregeln des Mutterlandes unterstützt und gehalten wird.
Ein solches Verhältnis bestand jahrhundertelang mit Vorteil zwischen Nordamerika und England, besteht heute noch zwischen England und Kanada und wird wahrschein- lich jahrhundertelang zwischen England und Australien be- stehen.
Verändert in seiner Basis wird aber dieses Verhältnis mit dem Augenblick, wo die Kolonie als unabhängige Nation, mit allen Ansprüchen auf die Attributionen einer großen und selbständigen Nationalität auftritt — damit daß sie eine eigene Macht und Politik, ein ihr eigentümliches Handels- und Kreditsystems aufbringt. Jetzt gibt die vormalige Kolonie Gesetze zu besonderer Begünstigung ihrer eigenen Schiffahrt und Seemacht — errichtet sie, zugunsten ihrer inneren In- dustrie, ein eigenes Douanensystem — entsteht bei ihr eine eigene Nationalhank usw., vorausgesetzt nämlich, daß die aus dem Kolonialverband zur Unabhängigkeit übergehende Nation durch ihre geistigen, physischen und ökonomischen Hilfsmittel sich berufen fühlt, eine industrielle und kom- merzielle Nation zu werden. Das Mutterland dagegen be- schränkt seinerseits die Schiffahrt, den Handel, die Agri- kulturproduktion der vormaligen Kolonie und sorgt durch seine Kreditinstitute ausschließlich für die Erhallung seiner nationalökonomischen Zustände.
Nun sind es aber eben die nordamerikanischen Kolonien, wie sie vor dem amerikanischen Unabhängigkeitskriege be- standen, womit Adam Smith den oben angeführten, so hoch paradoxen Satz beweisen will; daß ein Land bei stets wachsender Prosperität fortwährend seine Gold- und Silber-
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ausfuhr vermehren, seine (402) Zirkulation an edlen Metallen vermindern, seine Papierzirkulation ausdehnen und seine gegen eine andere Nation kontrahierte Schuld vergrößern könne. Adam Smith hat sich wohl gehütet, das Beispiel zweier seit längerer Zeit einander unabhängig gegenüber- stehenden, in ihren Schiffahrts-, Handels-, Gewerbe- und Agrikulturinteressen miteinander rivalisierenden Nationen zu zitieren; zum Beweis seines Satzes zeigte er uns nur das Verhältnis einer Kolonie zu ihrem Mutterlande. Hätte er bis heute gelebt uad jetzt erst sein Buch geschrieben, er würde sich wohl gehütet haben, das Beispiel von Nord- amerika zu zitieren, da dieses Beispiel in unseren Tagen gerade das Gegenteil von dem beweist, was er damit be- weisen will.
Bei so bewandten Umständen, dürfte man uns entgegen- halten, wäre es aber für die Freistaaten ohne Vergleich vorteilhafter, wenn sie wieder in das Verhältnis einer eng- lischen Kolonie zurückträten. Darauf antworten wir mit: ja ! vorausgesetzt, Nordamerika verstehe nicht, seine National- independenz zur Aufbringung einer eigenen Nationalindustrie, eines selbständigen und von außen unabhängigen Handels- und Kreditsystems zu benutzen. Sieht man denn nicht, daß bei dem Kolonialverhältnis eine englische Kornbill nie zustande gekommen wäre, daß England den amerikanischen Tabak nie so unmäßig besteuert hätte, daß fortwährend Massen von Bauholz aus den Freistaaten nach England ge- gangen wären, daß England, weit entfernt, sich je einfallen zu lassen, in anderen Ländern die Baumwollenproduktiou zu fördern, den Nordamerikanern ein Monopol in diesem Artikel zu verschaffen und zu erhalten bestrebt gewesen wäre; daß somit Handelskrisen, wie sie seit den letzten Jahrzehnten (403) in Nordamerika erlebt worden sind, unmöglich ge- wesen wären. Ja! wenn die Freistaaten nicht fabrizieren, wenn sie kein eigenes dauerhaftes Kreditsystem gründen.
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keine Seemacht aufbringen wollen oder können, dann haben die ßostoner den Tee vergeblich in die See geworfen, dann ist all ihr Deklamieren über Independenz und künftige Nationalgröße eitel, dann tun sie besser, sobald als möglich in die englische Koionialabhängigkeit zurückzukehren. Als- dann wird England sie begünstigen, statt sie zu beschränken, wir es eher die Konkurrenten der Nordamerikaner in der Baumwollenkultur und Getreideproduktion usw. unterdrücken, als ihnen mit aller Anstrengung neue Konkurrenten er- wecken. Die englische Nationalbank wird dann Filialbanken in Nordamerika anlegen, die englische Regierung wird die Auswanderungen, die Kapitalabflüsse nach Nordamerika fördern und durch gänzliche Zerstörung der amerikanischen Fabriken sowie durch Begünstigung der Ausfuhr amerika- nischer Rohstoffe und Agrikulturprodukte nach England väterliche Sorge tragen, daß Handelskrisen in Nordamerika vermieden und die Einfuhren und Ausfahren der Kolonie stets miteinander im Gleichgewicht gehalten werden. Mit einem Wort, die amerikanischen Sklavenhalter imd Baum- wollenpflanzer, werden dann ihre schönsten Träume in Er- füllung gehen sehen.
Auch hat in der Tat ein solches Verhältnis dem Patrio- tismus, den Interessen und Bedürfnissen dieser Pflanzer schon seit längerer Zeit besser eingeleuchtet als die nationale Selbständigkeit und Größe von Nordamerika. Nur in der ersten Aufwallung von Freiheit und Independenz schwärmten sie von industrieller Selbständigkeit. Bald aber wurden sie kühler, und seit einem (404) Vierteljahrhundert ist ihnen die Gewerbsprosperität der mittleren und östlichen Staaten ein Greuel, suchen sie im Kongreß den Beweis zu führen, die Prosperität Amerikas sei durch die Industrieherrschaft Englands über Nordamerika bedingt. Was will das anders sagen als: daß Nordamerika reicher und glücklicher wäre,
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wenn es zu England wieder in das Verhältnis einer Kolonie zurückträte ?
Überhaupt scheint uns, die Verteidiger des freien Handels blieben sich in Beziehung auf Geldkrisen und Handelsbilanz wie auf die Gewerbeindustrie viel konse- quenter, gäben sie frei heraus allen Nationen den Rat, sich lieber den Engländern als untertänige Völker zu unterwerfen und sich dagegen die Vorteile englischer Kolonien auszu- bedingen, welcher Zustand der Unterordnung ihnen offenbar in ökonomischer Beziehung ungleich günstiger wäre als der Zustand der Halbheit, in welchem Nationen leben, die, ohne ein selbständiges Industrie-, Handels- und Kreditsystem zu behaupten, sich immer noch England gegenüber als unab- hängig gerieren wollen. Sieht man denn nicht, was Por- tugal gewonnen hätte, wäre es seit dem Methuenvertrag von einem englischen Vizekönig regiert worden, hätte Eng- land seine Gesetze und seinen Nationalgeist nach Portugal verpflanzt und dieses Land wie die ostindischen Reiche ganz und gar unter seine Fittiche genommen? Sieht man nicht ein, wie vorteilhaft ein solches Verhältnis Deutsch- land — dem ganzen europäischen Kontinent — werden müßte?
Ostindien, es ist wahr, hat seine Manufakturkraft an England verloren, aber hat es nicht unermeßlich in seiner inneren Agrikulturproduktion und in der Ausfuhr seiner Agri- kulturprodukte gewonnen? haben nicht (405) die Kriege unter seinen Nabobs aufgehört? befinden sich die ostin- dischen Fürsten und Könige nicht vortrefflich? haben sie nicht ihre großen Privateinküufte gerettet? sehen sie sich nicht dabei der so schweren Regierungssorgen gänzlich über- hoben ?
Übrigens ist es bemerkenswert, obwohl in der Art derer, die wie Adam Smith in Behauptung paradoxer Sätze ihre Stärke haben, daß dieser berühmte Schriftsteller nach
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allen seinen Argumenten gegen die Existenz einer Handels- bilanz gleichwohl das Dasein eines Dinges behauptet, welches er die Bilanz zwischen der Konsumtion und Produktion einer Nation nennt, das aber beim Licht betrachtet eben nichts anderes ist als unsere reelle Handelsbilanz. Eine Nation, deren Ausfuhren mit ihren Einfuhren so ziemlich im Gleichgewicht stehen, darf versichert sein, daß sie, was ihren nationalen Verkehr betrifft, nicht bedeutend mehr Werte konsumiert als produziert, während eine Nation, die eine Reihe von Jahren hindurch, wie in der neuesten Zeit Nordamerika, größere Massen von fremden Manufaktur- warenwerten einführt, als sie an eigenen Produktenwerten ausführt, versichert sein darf, daß sie, was den inter- nationalen Verkehr betrifft, bedeutend größere Massen von fremden Werten konsumiert, als sie von einheimischen pro- duziert. Oder was anders zeigten die Krisen von Frankreich (1786—1789), von Rußland (1820-1821) und von Nord- amerika seit 1833?
Zum Beschluß dieses Kapitels müssen wir uns er- lauben, denen, welche die ganze Lehre von der Handels- bilanz unter die alten Märchen rechnen, einige Fragen zu stellen :
Wie kommt es, daß eine auffallend und anhaltend nach- teilige Handelsbilanz stets und ohne (406) Ausnahme in denjenigen Ländern, zu deren Nachteil sie sich stellte (mit Ausnahme der Kolonien), von inneren Handelskrisen, Preis- revolutionen, Finanzverlegenheiten und allgemeinen Banke- rotten, sowohl bei den öffentlichen Kreditinstituten als bei den einzelnen Kaufleuten, Manufakturisten und Agrikulturisten begleitet gewesen ist?
Wie kommt es, daß bei denjenigen Nationen, welche die Handelsbilanz entschieden zu ihren Gunsten hatten, stets die entgegengesetzten Erscheinungen beobachtet worden sind, und daß Handelskrisen in Ländern, mit welchen der-
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gleichen Natiouen in kommerzieller Beziehung standen, nur eine schnell vorübergehende nachteilige Wirkung auf sie haben konnten?
Wie kommt es, daß, seitdem Rußland den größten Teil seiner Manufakturwarenbedürfnisse selbst produziert, die Handelsbilanz entschieden und anhaltend zu seinen Gunsten sich stellt, daß man seitdem von keinen ökonomischen Kon- vulsionen in Rußland gehört und daß seitdem die innere Prosperität dieses Reiches von Jahr zu Jahr zugenommen hat?
AVie kommt es, daß man in den nordamerikanischen Freistaaten stets von den gleichen Ursachen die gleichen Wirkungen empfunden hat?
Wie kommt es, daß in den nord amerikanischen Frei- staaten mit der großen Einfuhr von Fabrikwaren nach der Kompromißbill die Handelsbilanz eine Reihe von Jahren hindurch so auffallend zu ihrem Nachteil sich stellte und daß diese Erscheinung von so großen und anhaltenden Konvulsionen in der inneren Ökonomie der Nation be- gleitet war?
Wie kommt es, daß wir in diesem Augenblick die Frei- staaten von Urprodukten aller Sorten (Baumwolle, Tabak-, Vieh, Getreide usw.) so überfüllt sehen, (407) daß die Preise überall um die Hälfte gefallen sind und daß gleichwohl diese Staaten sich außerstand befinden, ihre Ausfuhren mit ihren Einfuhren ins Gleichgewicht zu stellen, ihre gegen England kontrahierte Schuld zu tilgen und ihr Kreditwesen wieder auf einen soliden Fuß zu stellen?
Wie kommt es, wenn es keine Handelsbilanz gibt oder wenn es nichts zu" bedeuten hat, ob sie zu unserem Vorteil oder zu unserem Nachteil sich stelle, wenn es gleichgültig ist, ob viel oder wenig edle Metalle nach dem Ausland ab- fließen, daß England im Fall von Mißernten (in dem einzigen Fall, wo die Bilanz zu seinem Nachteil sich stellt) mit Zittern und Beben die Ausfuhren mit den Einfuhren vergleicht, daß
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es alsdann jede Unze Goldes oder Silbers berechnet, die im- portiert oder exportiert wird, daß seine Nationalbank aufs ängstlichste bemüht ist, der Ausfuhr von edlen Metallen Ein- halt zu tun und die Einfuhr zu befördern — wie kommt es — fragen wir — wenn die Handelsbilanz eine „exploded fallacy" ist, daß man in solchen Zeiten keine englische Zeitung lesen kann, in welcher nicht von dieser exploded fallacy — als von der wichtigsten Angelegenheit des Landes — die Kede wäre?
Wie kommt es, daß in Nordamerika dieselben Leute, welche vor der Kompromißbill von der Handelsbilanz als von einer exploded fallacy sprachen, seit der Kompromißbill nicht aufhören können, von dieser exploded fallacy als von den wichtigsten Angelegenheiten des Landes zu sprechen?
Wie kommt es, wenn die Natur der Dinge selbst jedem Lande stets die ihm erforderliche Quantität edler Metalle verschafft, daß die Bank von England diese sogenannte Natur der Dinge durch Bescliränkung ihrer (408) Kredite und durch Erhöhung ilires Diskontos zu ihren Gunsten zu wenden sucht und daß die amerikanischen Banken sich von Zeit zu Zeit genötigt sehen, ihre Barzahlungen einzustellen, bis die Einfuhren mit den Ausfuhren sich wieder in ein leidliches Gleichgewicht gestellt haben?
(409) Vierundzwanzigstes Kapitel.
Die Maimfakturkraft und das Prinzip der Stetigkeit und Werkfortsetzuug.
Forschen wir nach dem Ursprung und Fortgang einzelner Gewerbszweige, so finden wir, daß sie nur nach und nach
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ia den Besitz verbesserter Verfalirungsweisen , Maschinea, Gebäude, Produktionsvorteile, Erfahrungen und Geschicklich- keiten und aller derjenigen Kenntnisse und Konnexionen ge- kommen sind, die ihnen den vorteilhaften Bezug ihrer Roh- stoife und den vorteilhaften Absatz ihrer Produkte sichern. Wir überzeugen uns, daß es in der Regel ohne alle Ver- gleichung leichter ist, ein bereits begonnenes Geschäft zu vervollkommnen und auszudehnen als ein neues zu gründen. Wir sehen überall alte, durch eine Reihe von Generationen fortbestandene Geschäfte mit größerem Vorteil betreiben als neue. Wir beobachten, daß es um so schwerer ist, ein neues Geschäft in Gang zu bringen, je weniger Geschäftszweige ähnlicher Art in der Nation bereits bestehen ; weil hier erst Unternehmer, Werkführer, Arbeiter gebildet oder von außen (410) herbeigezogen werden müssen und weil die Einträglich- keit des Geschäftes noch nicht hinlänglich erprobt ist, um den Kapitalisten Vertrauen in den Erfolg desselben einzu- flößen. Vergleichen wir den Stand ganzer Gewerbszweige in einer Nation zu verschiedenen Perioden, so finden wir überall, daß sie, wenn nicht besondere Ursachen störend auf sie gewirkt hatten, nicht nur in Hinsicht auf die Wohlfeil- heit der Preise, sondern auch in Beziehung auf Quantität und Qualität von Generation zu Generation bedeutende Fort- schritte gemacht haben. Andererseits bemerken wir, daß durch störende Ursachen von außen, wie z. B. Kriege und Länderverheerungen usw. oder drückende tyrannische und fanatische Regierungs- und Finanzmaßregeln (wie z. B. die Widerrufung des Edikts von Nantes), ganze Nationen in ihrer Industrie überhaupt oder in einzelnen Zweigen der- selben um Jahrhunderte zurückgeworfen und auf diese Weise von Nationen, vor denen sie bereits großen Vorsprung ge- wonnen hatten, weit überholt worden sind.
Es springt mit einem Wort in die Augen, daß, wie bei allen menschlichen Stiftungen, so auch in der Industrie den List, NatJon9,lökojioiiiie. 26
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bedeutenden Leistungen ein Naturgesetz zugrunde liegt, das vieles gemein hat mit dem Naturgesetz der Teilung der Geschäftsoperationen und der Konföderation der produk- tiven Kräfte, dessen Wesen nämlich darin besteht, daß mehrere aufeinanderfolgende Generationen ihre Kräfte zu einem und demselben Zweck gleichsam vereinigen und die dazu erforderlichen Anstrengungen gleichsam unter sich teilen.
Es ist dies dasselbe Prinzip, welches im Erbreich der Erhaltung und Kraftvermehrung der Nationalität über alle Vergleichung förderlicher gewesen ist als die (411) mit dem "Wahlreich verbundene Wandelbarkeit der herrschenden Familien.
Es ist zum Teil dieses Naturgesetz, welches den unter einer recht verstandenen konstitutionellen Regierungsform seit längerer Zeit lebenden Völkern so große Erfolge in der Industrie, in Handel und Schiffahrt verbürgt.
Nur durch dieses Naturgesetz erklärt sich zum Teil die Einwirkung der Buchstabenschrift und der Presse auf die menschlichen Fortschritte. Erst die Buchstabenschrift er- möglichte in viel vollkommenerer Weise als die mündliche Tradition die Vererbung der menschlichen Kenntnisse und Erfahrungen der gegenwärtigen auf die folgende Generation.
Der Erkenntnis dieses Naturgesetzes ist ohne Zweifel zum Teil die unter den Völkern des Altertums bestandene Kasteneinteilung und das Gesetz der Ägyptier zuzuschreiben, daß_ der Sohn das Gewerbe des Vaters fortzusetzen habe. Vor Erfindung und allgemeiner Verbreitung der Schrift mochten diese Einrichtungen zu Erhaltung und Weiterbildung der Künste und Gewerbe als unentbehrlich erscheinen.
Auch die Zünfte sind wohl zum Teil aus dieser Ansicht hervorgegangen.
Die Erhaltung und Fortbildung der Künste und Wissen- schaften und ihre Übertragung von einer Generation auf die
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andere verdankt man zum großen Teil den PrieBterkasten der alten Völker, den Klöstern und den Universitäten.
Welche Macht und welchen Einfluß haben die Priester- und Ritterorden, hat der päpstliche Stuhl dadurch erlangt, daß man jahrhundertelang nach einem (412) Ziele strebte, daß die folgende Generation das Werk stets da fortsetzte, wo die vorige es gelassen hatte.
Noch anschaulicher wird uns die Wichtigkeit dieses Prinzips bei Betrachtung der materiellen Leistungen.
Einzelne Städte, Klöster und Korporationen haben Werke hergestellt, deren Gesamtkosten vielleicht den Wert ihres ganzen gegenwärtigen Besitztums übersteigen. Die Mittel dazu konnten sie nur auftreiben, indem eine Reihe von Gene- rationen ihre Ersparnisse für einen und denselben großen Zweck verwandte.
Betrachten wir das Kanal- und Deichsystem Hollands; es enthält die Anstrengungen und die Ersparnisse vieler Generationen. Nur einer Reihe von Generationen ist es möglich, ganze Nationaltransportsysteme, ein ganzes S^^stem von Festungs- und Verteidigungswerken herzustellen.
Das Staatskreditsystem ist eine der schönsten Schöpfungen der neueren Staatskunst und ein Segen für die Nationen, in- sofern es als Mittel dient, die Kosten derjenigen Leistungen und Bestrebungen der gegenwärtigen Generation, welche der Nationalität für alle künftigen Zeiten zugute kommen und ihre Existenz, Wachstum, Größe, Macht und Vermehrung der Produktivkraft verbürgen, auf viele Generationen zu verteilen ; zum Fluch wird es nur, wenn es zu unnützen National- konsumtionen dient ■ und somit die Fortschritte künftiger Generationen nicht nur nicht fördert, sondern sie der Mittel zur Herstellung großartiger Nationalwerke zum voraus be- raubt, oder auch wenn die Last der Verzinsung der National- schuld auf die Konsumtion der arbeitenden Klassen statt auf das Kapitalvermögen geworfen wird.
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Staatsschulden sind Wechsel, welche die (413) gegen- wärtige Generation auf die künftige Generation zieht. Dies kann im besonderen Interesse der gegenwärtigen oder im besonderen Interesse der künftigen Generation oder im ge- meinschaftlichen Interesse geschehen. Nur im ersteren Fall ist dieses Mittel ein verwerfliches. Alle Fälle aber, wobei es sich um die Erhaltung und Förderung der Nationalität handelt, insoweit die dazu erforderlichen Mittel die Kräfte der gegenwärtigen Generation übersteigen, gehören in die letztere Kategorie.
Kein Aufwand der gegenwärtigen Generation gereicht so entschieden und so vorzugsweise zum besonderen Vorteil der künftigen Generation als der für die Verbesserung der Transportmittel, zumal da in der Regel dergleichen Anlagen, außerdem daß sie die produktiven Kräfte der künftigen Generation außerordentlich und in fortwährend steigender Progression vermehren, im Lauf der Zeit nicht nur sich hin- reichend verzinsen, sondern auch noch Dividenden bringen. Der gegenwärtigen Generation ist es demnach nicht allein erlaubt, den Kapitalaufwand sowohl als die Verzinsung dieser Werke, solange sie noch nicht zureichend rentieren, auf die Schultern der künftigen Generationen zu werfen, sondern sie handelt sogar unrecht gegen sich selbst und gegen die wahren Grundsätze der Nationalökonomie, wenn sie diese Last oder einen namhaften Teil derselben auf die eigenen Schultern nimmt.
. Kommen wir in unseren Betrachtungen über die Werk- fortsetzung auf die Hauptnahrungszweige zurück, so fällt in die Augen, daß sie zwar im Ackerbau von bedeutendem Einfluß, jedoch ungleich weniger der Unterbrechung aus- gesetzt ist als bei den Manufakturen, und daß beim Ackerbau die Unterbrechungen ungleich weniger unheilbringend und ihre nachteiligen Folgen ungleich (414) schneller und leichter gut zu machen sind als bei den Manufakturen.
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Wie groß die Störungen in der Agrikultur sein mögen, das eigene Bedürfnis und die eigene Konsumtion des Agri- kulturisten, die aligemeine Verbreitung der zur Agrikultur erforderlichen Geschicklichkeiten und Kenntnisse, die Ein- fachheit ihrer Manipulation und Gerätschaften läßt die Agri- kultur nie ganz fallen.
Sogar nach Kriegsverheerungen richtet sie sich schnell wiederum auf. Weder der Feind noch der fremde Kon- kurrent kann das Hauptinstrument des Ackerbaues, den Grund und Boden, fortnehmen, und es bedarf der Unterdrückung einer Eeihe von Generationen, um urbares Ackerfeld in Wüsteneien zu verwandeln oder die Einwohner eines Landes der Fähigkeit zum Betrieb des Ackerbaues zu be- rauben.
Auf die Manufakturen dagegen wirkt die kürzeste und leiseste Unterbrechung lähmend, die längere tödlich. Je mehr Kunst und Geschicklichkeit ein Manufakturzweig erfordert, je größer die Summen der dazu erforderlichen Kapitale, je mehr diese Kapitale an den besonderen Industriezweig, auf den sie verwendet worden, fixiert sind, um so nachteiliger ist die Unterbrechung. Maschinen und Gerätschaften werden zu altem Eisen und zu Brennholz, die Gebäude zu Ruinen, die Arbeiter und Techniker ziehen fort oder suchen im Ackerbau Unterkommen. So geht in kurzer Frist ein Kom- plex von Kräften und Dingen verloren, der nur durch die Anstrengungen und Bemühungen von mehreren Generationen hatte gebildet werden können.
Wie bei dem Aufkommen und Bestand der Industrie ein Gewerbe das anclei-e hervorruft, nachzieht, stützt (416) und in Flor bringt, so ist bei ihrem Verfall der Ruin eines Ge- werbszweiges immer der Vorbote des Ruins mehrerer anderen und am Ende der Hauptbestandteile der Manufakturkraft.
Die Überzeugung von den großen Wirkungen der Werk- fortsetzung und von den unwiederbringlichen Nachteilen der
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Unterbrechung hat der Idee des Zollschutzes für die Ge- werbe Eingang verscuafTt, nicht das Geschrei und die ego- istischen Bitten der Gewerbetreibenden um Privilegien.
In Fällen, wo der Zollschutz nicht helfen kann, wo nämlich die Fabriken durch Mangel an Absatz nach außen leiden, wo die Regierung außerstand ist, der Stockung ab- zuhelfen, sehen Avir oft die Fabrikanten mit barem Verlust die Fabrikation fortsetzen. Sie wollen in Erwartung besserer Zeiten die unwiederbringlichen Nachteile der Werkunter- brechung von sich abwenden.
Bei freier Konkurrenz ist es nicht selten die Hoffnung, den Mitkonkurrenten zur Werkunterbrechung zu nötigen, die den Manufakturisten und Fabrikanten veranlaßt, seine Pro- dukte unter dem Preis und öfters mit Verlust zu verkaufen. Man will nicht allein die Werkunterbrechung von sich selbst abwenden, sondern andere dazu zwingen, in der Hoffnung, sich später durch bessere Preise für die erlittenen Verluste schadlos zu halten.
Allerdings liegt das Streben nach dem Monopol in der Natur der Gewerbsindustrie. Dieser Umstand aber spricht zugunsten, nicht zum Nachteil der Schutzpolitik, denn auf den inneren Markt eingeschränkt, bewirkt dieses Streben wohl- feilere Preise und Fortschritte in der Produktionskunst und im National Wohlstand, (416) während es, im Fall es von außen mit Übermacht auf die innere Industrie drückt, Werk- unterbrechung und Verfall der inneren Nationalindustrie im Gelolge hat.
Der Umstand, daß die Gewerbsproduktion, zumal seit- dem sie durch das Maschinenwesen so außerordentlich unter- stützt ist, keine Grenzen hat als die des Kapitalbesitzes und des Absatzes, setzt diejenige Nation, welche durch eine Jahrhunderte hindurch angedauerte Werkfortsetzung, durch Anhäufung unermeßlicher Kapitale, durch ausgebreiteten Welthandel, durch Beherrschung des Geldmarktes vermittels
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großer Kreditinstitute (in deren Gewalt es steht, die Fabri- kate im Preis herabzudrücken und die Fabrikanten zur Aus- fuhr zu reizen) in den Stand, den Manufakturen aller übrigen Länder den Vertilgungskrieg zu erklären. Unter solchen Umstanden ist es durchaus unmöglich, daß bei anderen Nationen infolge ihrer Fortschritte im Ackerbau, „im natür- lichen Lauf der Dinge," wie Adam Smith sich ausdrückt, großartige Manufakturen und Fabriken entstehen, oder daß diejenigen, welche infolge der durch den Krieg verursachten Handelsunterbrechungen „im natürlichen Lauf der Dinge" entstanden sind, sich halten können.
Der Grund hiervon ist der nämliche, weswegen ein Kind oder ein Knabe im Ringkampf mit einem erstarkten Mann schwerlich obsiegen oder auch nur Widerstand leisten kann. Die Fabriken der Handels- und Gewerbssuprematie (Englands) haben tausend Vorteile vor den neugeborenen oder halberwachsenen Fabriken anderer Nationen voraus. Dahin gehören z. B. geschickte und eingeübte Arbeiter in größter Zahl und zu den billigsten Löhnen, die besten Techniker, die vollendetsten und wohlfeilsten Maschinen, die (417) größten Vorteile im Einkauf und Verkauf, insbesondere die wohl- feilsten Transportmittel in bezug der Rohstoffe und in Ver- sendung der Fabrikate, großer Kredit der Fabrikanten bei den Geldinstituten zu den billigsten Interessen ; Erfahrungen, Werkzeuge, Gebäude, Anlagen, Konnexionen, wie sie nur im Laufe von Menschenaltern zu sammeln und herzustellen sind; ein unermeßlicher Binnenmarkt und, was dasselbe ist, ein eben so unermeßlicher Kolonialmarkt, also unter allen Um- ständen Gewißheit, bei tüchtigem Betrieb große Massen von Fabrikprodukten abzusetzen ; demnach Garantie des Fortbe- standes und zureichende Mittel, jahrelang der Zukunft zu kreditieren, im Fall es einen fremden Fabrikmarkt zu er- obern gilt.
Geht man diese Vorteile Artikel für Artikel durch, so
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überzeugt man sich, daß es einer solchen Macht gegenüber töricht ist, von dem natürlichen Lauf der Dinge bei freier Konkurrenz Hoffnung zu hegen, wo die Arbeiter und Tech- niker erst gebildet werden müssen, wo die Maschinen fabri- kation und die Transportanstalten erst im Werden sind, wo dem Fabrikanten nicht einmal der Inlandmarkt gesichert ist — von bedeutender Ausfuhr zu geschweigen — wo der Kredit des Fabrikanten im glücklichsten Fall auf das Not- dürftigste beschränkt, wo man keinen Tag sicher ist, daß nicht infolge von englischen Handelskrisen und Bankopera- tionen Massen von fremden Waren auf den inneren Markt zu Preisen geworfen werden, welche kaum den Wert der Roh- stoffe vergüten und die den Fortgang des Fabrikationsge- schäftes jahrelang ins Stocken bringen.
Vergebens würden solche Nationen sich zur ewigen Unterordnung unter die englische Manufaktursuprematie ent- schließen und mit der bescheidenen Bestimmung (418) be- gnügen, derselben zu liefern, was sie nicht selbst zu produ- zieren oder nicht anders woher zu beziehen vermag. Auch in dieser Unterordnung fänden sie kein Heil. Was hilft es zum Beispiel den Nordamerikanern, daß sie die Wohlfahrt ihrer schönsten und gebildetsten Staaten, die Staaten der freien Arbeit, ja vielleicht ihre künftige Nationalgröße dem Vorteil zum Opfer bringen, England mit Baumwolle zu ver- sehen? Wird dadurch das Bestreben bei England verhindert, sich dieses Material aus anderen Weltgegenden zu verschaffen ? Vergebens würden sich die Deutschen damit begnügen, sich ihr Bedürfnis an Fabrikwaren im Tausch für ihre feine Schafwolle von England zu verschaffen ; sie würden schwerlich dadurch verhindern, daß Australien ganz Europa im Lauf der nächsten zwanzig Jahre mit feiner Wolle überschwemmt.
Noch kläglicher erscheint ein so untergeordnetes Ver- hältnis, wenn man bedenkt, daß diese Nationen durch Krieg ihren Absatz an Agrikulturprodukten und damit die Mittel
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verlieren, die Fabrikprodukte des Auslandes zu kaufen. Jetzt treten alle ökonomischen Rücksichten und Systeme in den Hintergrund; es ist das Prinzip der Selbsterhaltung, der Verteidigung, welches den Nationen gebietet, ihre Agrikultur- produkte selbst zu verarbeiten und die Manufakturwaren des Feindes zu entbehren. Mit welchen Verlusten ein solches Kriegsprohibitivsystem verbunden sei, kann in dieser Lage der Dinge nicht mehr in Betracht kommen. "Wie groß aber die Anstrengungen und die Opfer seien, womit die Ägri- kulturnation während des Kriegs Manufakturen und Fabriken ins Leben ruft, die mit dem Frieden eintretende Konkurrenz der Manufaktursuprematie zerstört wiederum alle diese Not- schöpfungen. Kurz, es ist ein (419) ewiger Wechsel von Aufbauen und Zerstören, von Prosperität und Kalamität bei Nationen, welche nicht durch Realisierung der nationalen Teilung der Arbeit und der Konföderation der produktiven Kräfte sich die Vorteile der Werkfortsetzung von Generation zu Generation zu sichern streben.
(420) Fünfund zwanzigstes Kapitel.
Die Manufakturkraft und die Reizmittel zur
Produktion und Konsumtion.
In der Gesellschaft ist man nicht bloß darum produktiv, daß man unmittelbar Produkte oder produktive Kraft hervor- bringt, man ist auch produktiv, indem man Reiz zur Produk- tion und Konsumtion oder zu Erzeugung von produktiven Kräften produziert.
Der Künstler wirkt durch seine Leistungen einmal auf Veredlung des menschlichen Geistes und auf die produktive
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Kraft der Gesellschaft; indem aber der Kunstgenuß den Besitz derjenigen materiellen Mittel voraussetzt, wodurch er erkauft werden muß, reizt auch der Künstler zur materiellen Produktion und zur Sparsamkeit.
Bücher und Zeitungen wirken durch Belehrung auf die geistige und materielle Produktion, aber ihre Erwerbung kostet Geld, und insofern ist auch der Genuß, den sie bieten, ein Reiz zur materiellen Produktion.
Die Erziehung der Jugend veredelt die Gesellschaft ; wie vielen Anstrengungen unterziehen sich aber die Eltern, (421) um die Mittel aufzutreiben, ihren Kindern eine gute Er- ziehung zu geben?
Welche unermeßliche Leistungen in der geistigen wie in der materiellen Produktion kommen auf Rechnung des Bestrebens, sich in der besseren Gesellschaft zu bewegen !
Man kann in einem Bretterhaus so gut wohnen als in einer Villa, man kann sich für wenige Gulden so gut gegen Regen und Kälte schützen als durch die schönste und eleganteste Kleidung. Geschmeide und Geräte von Silber und Gold trägt nicht mehr zur Bequemlichkeit bei als das von Stahl und Zinn; aber die mit diesem Besitz verbundene Auszeichnung reizt zu Anstrengungen des Körpers und des Geistes, zur Ordnung und Sparsamkeit, und diesem Reize verdankt die Gesellschaft einen großen Teil ihrer Produk- tivität.
Sogar der Rentier, der sich nur damit beschäftigt, sein Einkommen zu erhalten, zu erheben und zu verzehren, wirkt in mannigfaltiger Weise auf die geistige und materielle Produktion ; einmal indem er durch seine Konsumtionen die Kunst und Wissenschaft und die künstlichen Gewerbe unter- stützt, sodann indem er gleichsam das Amt des Erhalters und Vermehrers der materiellen Gesellschaftskapitale ver- waltet, endlich indem er durch seine Ostentation alle übrigen Klassen der Gesellschaft zur Nacheiferung anspornt. Wie
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durch Preisaufgaben eioe ganze Schule zu Anstrengungen angefeuert wird, ungeachtet die vorzüglichsten Preise nur wenigen zuteil werden, so wirkt der große Vermögensbesitz und die damit verbundene Ostentalion auf die bürger- liche Gesellschaft. Natürlich hört diese Wirkung auf, w^o das große Vermögen eine Frucht der Usurpation, der Er- pressung oder des Betrugs ist, oder wo der Besitz (422) desselben und der Genuß seiner Früchte nicht öffentlich gezeigt werden kann.
Die Manufakturproduktion liefert entweder produktive Instrumente oder Mittel zur Befriedigung von Lebensbedürf- nissen oder Ostentationsmittel. Häufig sind die beiden letzten Eigenschaften vereinigt. Überall unterscheiden sich die ver- schiedenen Rangklassen der Gesellschaft nach der Art und Weise, wie, und nach dem Ort, wo sie wohnen und wie sie möbliert und gekleidet sind, nach der Kostbarkeit ihrer Equipagen und nach der Qualität, Zahl und äußeren Erscheinung ihres Gesindes. Wo die Gewerbproduktion auf einer niedrigen Stufe steht, da ist diese Unterscheidung nur gering, d. h. fast alle wohnen schlecht und sind schlecht gekleidet; nirgends bemerkt man Nacheiferung. Sie entsteht und wächst in dem Verhältnis, in welchem die Gewerbe auf- blühen. In blühenden Manufakturländern wohnt und kleidet sich jedermann gut, obwohl in der Qualität der Manufaktur- waren konsuration die mannigfaltigste Abstufung stattfindet. Niemand, der noch einige Kraft zu arbeiten in sich fühlt, will äußerlich als dürftig erscheinen. Die Manufakturwaren fördern demnach die Produktion der Gesellschaft durch Reiz- mittel, welche die Agrikultur mit ihrer gemeinen Haus- fabrikation, ihren Rohstoffen und Lebensmitteln nicht bieten kann.
Es ist allerdings ein bedeutender Unterschied unter den Lebensmitteln, und es hat Reiz für jeden, gut zu essen und zu trinken. Man speist aber nicht öffentlich, und ein
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deutsches Sprichwort sagt treffend: man sieht mir auf den Kragen, nicht auf den Magen. Ist man rauhe Kost von Jugend auf gewohnt, so entsteht selten der Wunsch nach besserer. Auch hat die Konsumtion an (423) Lebensmitteln da, wo sie auf die Produktion der nächsten Umgebungen beschränkt ist, sehr enge Grenzen. Ausgedehnt werden diese Grenzen in den Ländern der gemäßigten Zone erst durch die Herbeischaffung der Produkte der heißen Zone. In Masse und der Art, daß die ganze Bevölkerung eines Landes an diesen Genüssen teilnehmen kann, ist jedoch (wie wir in einem vorhergehenden Kapitel gesehen haben) die Herbei- schaffung dieser Produkte nur möglich vermittels des aus- wärtigen Handels mit Manufakturwaren.
Offenbar wirken die Kolonialprodukte, insofern sie nicht Rohstoffe zur Fabrikation sind, mehr als Reizmittel denn als Nahrungsmittel. Niemand wird leugnen, daß Gerstenkaffee ohne Zucker ebenso nahrhaft sei als Mokka mit Zucker. Und gesetzt auch, diese Produkte enthalten etwas Nahrungs- stoff, so ist ihr Wert in dieser Beziehung doch so unbe- deutend, daß sie kaum als Surrogat für einheimische Nahrungs- mittel in Anschlag kommen können. Was die Gewürze und den Tabak betrifft, so sind sie entschieden bloß Reizmittel, d. h. sie wirken hauptsächlich nur insofern nützlich auf die Gesellschaft, als sie die Genüsse der Masse der Bevölkerung vermehren und sie zu geistiger und körperlicher Arbeit an- spornen.
In manchen Ländern herrschen unter denen, die von Besoldung oder von Renten leben, sehr irrige Begriffe von dem, was sie den Luxus der niederen Stände zu nennen pflegen : man entsetzt sich darüber, daß ,die Arbeiter Kaffee mit Zucker trinken, und lobt sich die Zeit, wo sie sich mit Haberbrei begnügten ; man bedauert, daß der Bauer seine ärmliche Uniform, die Zwillichbekleidung, gegen Wollentuch vertauscht; man fürchtet, die Dienstmagd werde von der
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Frau des Hauses bald (424) nicht mehr zu unterscheiden sein ; man rühmt die Kleiderordnungen voriger Jahrhunderte. Vergleicht man aber die Leistungen des Arbeiters in den Ländern, wo er wie der wohlhabende Mann gespeist und gekleidet ist, mit den Leistungen derselben, wo er mit der gröbsten Kost und Kleidung sich begnügt, so findet man, daß dort die Genußvermehrung nicht auf Kosten des all- gemeinen Wohlstandes, sondern zum Vorteil der produktiven Kräfte der Gesellschaft vor sich gegangen ist. Das Tagwerk der Arbeiter ist dort doppelt und dreimal so groß als hier. Kleiderordnungen und Aufwand sbeschränkungen haben die Nacheiferung in der großen Masse der Gesellschaft getötet und sind nur der Trägheit und dem Schlendrian zugute gekommen.
Allerdings müssen die Produkte erst geschaffen sein, bevor sie konsumiert worden können, und insofern muß not- wendig die Produktion der Konsumtion im allgemeinen vor- angehen. In der Volks- und Nationalwirtschaft geht aber häufig die Konsumtion der Produktion voraus. Manufaktur- nationen, unterstüzt durch große Kapitale und in ihrer Pro- duktion weniger beschränkt als bloße Agrikulturvölker, macheu diesen in der Regel Vorschüsse auf den Ertrag ihrer künftigen Ernten; die letzteren konsumieren, bevor sie produzieren — sie produzieren später, weil sie früher konsumiert haben. Dieselbe Erscheinung tritt in einem viel größeren Maßstabe hervor in dem Verhältnis zwischen Stadt und Land : je näher der Manufakturist dem Agrikulturisten steht, desto mehr wird jener diesem Reiz und Mittel zur Konsumtion bieten, desto mehr wird dieser zur Produktion sich angespornt fühlen.
Unter die wichtigsten Reizmittel gehören diejenigen, welche die bürgerliche und politische Ordnung bietet : (426) wo es nicht möglich ist, sich durch Leistungen und durch Wohlhabenheit aus einer Volksklasse in die andere, aus der
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niedrigsten bis zur höchsten emporzuschwingen ; wo der Besitzende sich scheuen muß, seinen Besitz öffentlich zu zeigen oder die Früchte desselben zu genießen, weil zu be- sorgen ist, man werde in seinem Eigentum gefährdet oder auch nur der Anmaßlichkeit und der Unschicklichkeit be- zichtigt; wo die Nahrungsstände von der öfTentlichen Ehre, von der Teilnahme an der Verwaltung, an der Gesetzgebung und am Rechtsspruch ausgeschlossen sind ; wo ausgezeichnete Leistungen in der Agrikultur, in der Industrie und im Handel nicht auch zu öffentlicher Achtung und zu gesell- schaftlicher und bürgerlicher Auszeichnung führen, da fehlen die wichtigsten Motive zur Konsumtion wie zur Pro- duktion,
Jedes Gesetz, jede öffentliche Einrichtung wirkt stärkend oder schwächend auf die Produktion oder auf die Konsum- tion oder auf die produktiven Kräfte.
Die Patentzusicherung ist eioe Preisaufgabe für den Er- findungsgeist. Die Hoffnung, den Preis zu erhalten, regt die Geisteskräfte auf und gibt denselben eine den Industrie- verbesserungen zugewendete Richtung. Sie bringt den Er- findungsgeist in der Gesellschaft zu Ehren und rottet das unter ungebildeten Völkern so schädliche Vorurteil für alte Gewohnheiten und Verfahrungsweisen aus. Sie verschafi't dem, der nur die Geisteseigenschaften zu neuen Erfindungen besitzt, auch die dazu erforderlichen materiellen Mittel, in- dem die Kapitalisten durch Zusicherung eines Anteils an den zu hoffenden Vorteilen gereizt werden, den Erfinder zu unterstützen.
Schutzzölle wirken als Reizmittel auf alle diejenigen Zweige der inneren Industrie, welche das Ausland besser (426) liefert als das Inland, zu deren Produktion aber das Inland befähigt ist. Sie gewähren einen Preis — dem Unternehmer und Arbeiter, sich neue Kenntnisse und Ge- schicklichkeiten zu erwerben — dem einheimischen und
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auswärtigen Kapitalisten, seine Kapitale für eine gewisse Zeit auf eine besonders gewinnbringende Weise anzulegen.
(427) Sechsundz wanzigstes Kapitel.
Die Doiiane als Haiiptmittel zu Pflaiizuiii? und
Beschützuug der inueren Manufakturkraft.
Es liegt nicht in unserem Plan, diejenigen Beförderungs- mittel der inneren Industrie abzuhandeln, deren Wirksamkeit und Anwendbarkeit keinem Widerspruch unterworfen ist. Dahin gehören z. B. die üntenichtsanstalten, insbesondere die technischen Schulen, Gewerbeausstellungen, Preisauf- gaben, Transportverbesserungen, Patentgesetze usw., über- haupt alle diejenigen Gesetze und Anstalten, wodurch die Industrie gefördert und der innere und äußere Verkehr er- leichtert und geregelt wird. Wir haben hier nur von der Douanengesetzgebung als Mittel zur industriellen Erziehung zu sprechen.
Unserem System gemäß kann nur ausnahmsweise von A usfuhr verboten und Ausfuhrzöllen die Rede sein — kann überall die Einfuhr von Urprodukten bloß mit Einkommens- zöllen belastet werden, nie zum Schutz der inneren Agri- kulturproduktion — sind in (428) Manufakturstaaten haupt- sächlich die Luxusprodukte der heißen Zone, nicht aber die gemeinen Lebensbedürfnisse, wie z. B. Getreide, Schlacht- vieh usw., Gegenstand der Einkommenszölle — sollen die Länder der heißen Zone, oder Länder von geringer Bevöl- kerung oder beschränktem Territorium, oder noch nicht zu- reichend bevölkerte Länder, oder solche, die in der Zivili- sation und in ihren gesellschaftlichen und politischen In-
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stitutionen noch weit zurückstehen, die eingehenden Manu- faktur waren nur mit Einkommenszöllen belegen.
Einkommenszölle jeder Art aber sollten überall so mäßig sein, daß sie die Einfuhr und die Konsumtion nicht wesentlich beeinträchtigen, weil in diesem Fall nicht nur die innere Produktivkraft geschwächt, sondern auch der Finanzzweck verfehlt würde.
Schutzmaßregeln sind nur zum Zweck der Förderung und Beschützung der inneren Manufakturkraft und nur bei Nationen zu rechtfertigen, welche durch ein ausgedehntes wohlabgerundetes Territorium, durch große Bevölkerung, durch den Besitz natürlicher Hilfsquellen, durch einen weit vorgerückten Ackerbau, durch einen hohen Grad von Zivili- sation und politischer Ausbildung berufen sind, mit den ersten Agrikulturmanufakturhandelsnationen, mit den größten See- und Landmächten gleichen Rang zu behaupten.
Schutz wird gewährt entweder durch gänzliche Prohi- bition gewisser Manufakturartikel oder durch hohe Zölle, die ganz oder doch teilweise einer Prohibition gleich- kommen, oder durch mäßige Einfuhrzölle. Keine dieser Beschützungsarten ist absolut gut oder verwerflich, und es kommt auf die besonderenVerhältnisse der Nation und den Stand ihrer Industrie an, welche von ihnen die anwendbare sei.
(429) Großen Einfluß auf die Wahl der Schutzmittel hat der Krieg, indem derselbe ein gezwungenes Prohibitiv- system bewirkt. Im Krieg hört der Tausch zwischen den Kriegführenden auf, und jede Nation muß, ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen A^erhältnisse, trachten, sich selbst genug zu sein. Dadurch wird einerseits in der minder vorgerückten Manufakturnation die Gewerbsindustrie, anderer- seits in der meist vorgerückten Manufakturnation die Agri- kulturproduktion in außerordentlicher Weise und zwar in der Art gehoben, daß es, besonders wenn der Kriegszustand eine Reihe von Jahren hindurch gedauert hat, von selten
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der minder vorgerückten Manufakturnation rätlich erscheint, die durch den Krieg herbeigeführte Absperrung in An- sehung derjenigen Manufakturartikel, in welchen sie mit der meist vorgerückten Manufakturnation noch nicht freie Kon- kurrenz halten kann, eine Zeitlang während des Friedens fortdauern zu lassen.
In dieser Lage befanden sich Frankreich und Deutsch- land nach dem allgemeinen Frieden. Hätte Frankreich im Jahre 1815 die englische Konkurrenz zugelassen wie Deutsch- land, Rußland und Nordamerika, so hätte es auch dasselbe Schicksal erfahren: der größte Teil seiner während des Krieges aufgekommenen Fabriken wäre zugrunde gegangen ; an Fortschritte, wie man sie seit jener Zeit in allen Zweigen der Fabrikation, in Verbesserung der inneren Transportmittel, im auswärtigen Handel, in der Dampf-, Fluß- und See- schiffahrt, in Vermehrung des "Wertes von Grund und Boden (welcher, beiläufig gesagt, in diesem Zeitraum in Frankreich um das Doppelte gestiegen ist) imd in Vermeh- rung der Bevölkerung und der Staatseinkünfte gemaclit hat, wäre nicht zu denken gewesen. (430) Noch befanden sich damals Frankreichs Fabriken in der Kindheit, noch besaß das Land nur wenige Kanäle, noch waren die Bergwerke nur wenig ausgebeutet, noch hatten die politischen Konvul- sionen und die Kriege keine bedeutenden Kapitalansamm- lungen, keine zureichende technische Bildung, keinen tüch- tigen Arbeiterstand, keinen industriellen Sinn und Unter- nehmungsgeist aufkommen lassen; noch war der Geist der Nation mehr dem Krieg als den Künsten des Friedens zu- gewendet; noch flössen die wenigen Kapitale, die sich während des Krieges hatten bilden können, vorzugsweise in den sehr heruntergekommenen Ackerbau. Jetzt erst konnte Frankreich sehen, welche Fortschritte England während des Kriegs gemacht hatte ; jetzt erst konnte es Maschinen, Tech- niker, Arbeiter, Kapitale und Unternehmungsgeist aus Eng-
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land importieren; jetzt mußte die ausschließliche Sicherung des inneren Marktes zum Besten der inneren Industrie alle Kräfte aufregen und alle natürlichen Hilfsquellen zur Be- nutzung bringen. Die Wirkungen dieser Abschließung liegen vor Augen; nur der blinde Kosmopolitismus kann sie leugnen, kann behaupten, Frankreich hätte bei freier Konkurrenz größere Fortschritte gemacht. Beweist doch die Erfahrung Deutschlands, Nordamerikas und Rußlands das Gegenteil unwidersprechlich.
"Wenn wir der Meinung sind, das Prohibitivsystem sei Frankreich seit 1815 nützlich gewesen, so wollen wir damit weder seine Fehler und Übertreibungen in Schutz nehmen, noch die Nützlichkeit und Notwendigkeit seiner Beibehaltung behaupten. Fehlerhaft war es, daß Frankreich die Einfuhr von Rohstoffen und Agrikulturprodukten (Roheisen, Stein- kohle, Wolle, Getreide, Vieh) durch Einfuhrzölle beschränkte ; fehlerhaft (431) wäre es, wenn Frankreich, nachdem seine Manufakturkraft zureichend erstarkt ist, nicht nach und nach zum gemäßigten Schutzsystem überginge, wenn es nicht durch Zulassung einer beschränkten Konkurrenz seine Manu- fakturisten zur Nacheiferung anzuspornen trachten würde.
In Ansehung der Schutzzölle ist hauptsächlich zu unter- scheiden, ob eine Nation aus dem Zustand der freien Kon- kurrenz in das Schutzsystem oder ob sie aus dem Prohi- bitivsystem in das gemäßigte Schutzsystem übergehen will : dort müssen die Zölle im Anfang niedrig gestellt werden und allmählich steigen, hier müssen sie im Anfange hoch gestellt werden und allmählich fallen.
Eine früher durch Zölle nicht zureichend beschützte, aber zu größeren Fortschritten in den Manufakturen sich berufen fühlende Nation muß vor allem darauf denken, die- jenigen Manufakturen emporzubringen, welche Artikel des gemeinen Verbrauchs fabrizieren. Einmal ist der Totalbe- trag des Wertes solcher Gewerbsprodukte ohne alle Ver-
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gleichung bedeutender als der Totalbetrag der viel teureren Luxusfabrikate. Diese Fabrikation bringt daher große Massen von natürlichen, geistigen und persönlichen Produktivkräften in Bewegung und gibt — indem sie große Kapitale er- fordert — Anlaß zu bedeutender Kapitalersparnis und zur Herbeileitung fremder Kapitale und Kräfte aller Art. Da- durch wirkt das Emporkommen dieser Fabrikzweige stark auf die Vermehrung der Bevölkerung, auf den Flor des inneren Ackerbaues und ganz besonders auf die Vermehrung des auswärtigen Handels, indem minder kultivierte Länder hauptsächlich Manufakturwaren des gemeinen Verbrauchs verlangen und die Länder der gemäßigten Zone hauptsäch- lich durch die Produktion dieser Artikel in den Stand ge- setzt werden, mit den (432) Ländern der heißen Zone un- mittelbaren Verkehr zu treiben. Ein Land z. B., welches Baumwollengarn und Baumwollen waren importiert, kann nicht unmittelbar mit Ägypten, Louisiana oder Brasilien ver- kehren, indem es jenen Ländern ihre Bedürfnisse an Baum- wollenwaren nicht liefern und ihnen ihre rohe Baumwolle nicht abnehmen kann. Ferner dienen diese Artikel bei der Bedeutenheit ihres Totalwertes hauptsächlich dazu, die Aus- fuhren der Nation mit ihren Einfuhren in einem leidlichen Gleichgewicht und der Nation stets die ihr erforderliche Summe von Zirkulationsmitteln zu erhalten oder sie ihr zu verschaifeu. Sodann wird hauptsächlich durch das Empor- kommen und die Erhaltung dieser bedeutenden Grewerbs- zweige die industrielle Unabhängigkeit der Nation errungen und behauptet, indem Verkehrsstörungen, wie sie infolge von Kriegen eintreten-, wenig bedeuten, wenn sie nur dem Be- zug von teuren Luxusartikeln hinderlich sind, dagegen aber überall große Kalamitäten im Gefolge haben, wo Mangel und Verteurung der gemeinen Manufaktur waren und Unter- brechung eines früheren bedeutenden Agiikulturprodukten- absatzes damit verbunden ist. Endlich ist die Umgehung
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der Schutzzölle durch Einschmuggelti und durch Deklaration eines zu geringen Wertes viel weniger bei diesen Artikeln zu besorgen und viel leichter zu verhüten als bei den teuren Luxusfabrikaten.
Immer sind Manufakturen und Fabriken Pflanzen von langsamem Wachstum, und jeder Zollschutz, welcher früher bestandene Handelsverbindung plötzlich abbricht, muß nach- teilig für die Nation wirken, zu deren Grünsten er einge- führt wird. Die Zölle dürfen nur steigen in dem Verhält- nis, in welchem die Kapitale, die Gewerbsgeschicklicbkeit und der Unternehmungsgeist im Innern (433) wachsen oder von außen zufließen, in dem Verhältnis, in welchem die Nation ihre früheren exportierten Überschüsse an RohstofTen und Urprodukten selbst zu verarbeiten imstande ist. Von besonderem Nutzen aber ist es, daß die Skala der steigenden Einfuhrzölle zum voraus bestimmt werde, damit den Kapi- talisten , den Tec|inikern und Arbeitern , die sich in der Nation bilden oder welche von außen herbeigezogen werden können, eine sichere Prämie geboten werde. Unerläßlich ist es, diese Zollsätze unverbrüchlich einzuhalten und sie nicht vor der Zeit zu vermindern, weil schon die Furcht vor dem Bruch des Versprechens die Wirkung jener Prämien- ausstellung größtenteils vernichten würde.
Wieweit die Einfuhrzölle bei dem Übergang aus der freien Konkurrenz in das Schutzsystem steigen und wie- weit sie bei dem Übergang aus dem Prohibitivsystem in das gemäßigte Schutzsystem fallen können, darüber läßt sich theoretisch nichts bestimmen : dies kommt auf die be- sonderen Verhältnisse sowie auf die Wechselverhältnisse an, in welchen die minder vorgerückte zu der mehr vorge- rückten Nation steht. Die Vereinigten Staaten von Nord- amerika z. B. haben auf ihre Ausfuhr an roher Baumwolle nach England und an Agrikultur- und Seeprodukten nach den englischen Kolonien sowie auf die bei ihnen bestehenden
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hohen Arbeitslöhne besondere Rücksicht zu" nehmen, wo- gegen ihnen wiederum zustatten liommt, daß sie mehr als irgendeine andere Nation auf die Herbeileitung englischer Kapitale, Techniker, Unternehmer und Arbeiter rechnen köuneo.
Im allgemeinen dürfte anzunehmen sein, daß da, wo eine Gewerbeindustrie bei einem anfänglichen Schutz von 40 bis 60 Prozent nicht aufkommen und bei (434) einem fortgesetzten Schutz von 20 bis 30 Proz. sich nicht auf die Dauer behaupten kann, die Grundbedingungen der Manu- fakturkraft fehlen.
Die Ursachen einer solchen Unfähigkeit können mehr oder minder leicht zu entfernen sein: unter die leichter zu hebenden gehört der Mangel an inneren Transportmitteln, der Mangel an technischen Kenntnissen , an erfahrenen Arbeitern und an industriellem Unternehmungsgeist; unter die schwerer zu hebenden gehört der Mangel an Arbeit- samkeit, Aufklärung, Unterricht, Moralität und Rechtssinn im Volk, Mangel an einem tüchtigen Ackerbau, also an materiellem Kapital, besonders aber fehlerhafte Staatsinsti- tutionen und Mangel an bürgerlicher Freiheit und Rechts- sicherheit, endlich der Mangel an einem wohlarrondierten Gebiet, wodurch es unmöglich wird, den Konterbandhandel zu verhindern.
Die letzte Beachtung und den geringsten Schutz ver- dienen Gewerbe, die bloß teure Luxusartikel produzieren : einmal weil ihre Hervorbringung schon einen hohen Grad von technischer Ausbildung erfordert, ferner weil ihr Total- betrag im Verhältnis zur ganzen Nationalproduktion unbe- deutend ist und die Einfuhren leicht in Agrikulturprodukten und Rohstoffen oder in Mauufakturprodukten des gemeinen Verbrauchs bezahlt werden können ; sodann weil die Unter- brechung ihrer Einfuhr zur Zeit des Kriegs keine merkbaren Störungen verursacht; endlich weil hohe Schutzzölle bei
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diesen Artikeln durcli Einschmuggeln am leichtesten um- gangen werden können.
Nationen, die in der Technik und in der Maschinen- fabrikation noch keine ansehnlichen Fortschritte gemacht haben, sollten alle komplizierten Maschinerien frei eingehen lassen oder doch mit einem nur geringen Zoll (435) be- legen, bis sie in den Stand gesetzt sind, in dieser Beziehung ebensoviel zu leisten als die meist vorgerückte Nation. Maschinenfabriken sind gewisser Art die Fabriken von Fabriken, und jeder Zoll auf die Einfuhr fremder Maschinen ist eine Beschränkung der inneren Manufakturkraft. Da es aber wegen ihres großen Einflusses auf die gesamte Manu- fakturkraft von der höchsten Wichtigkeit ist, daß die Nation im Bezug ihrer Maschinerien nicht von den Wechselfällen des Kriegs abhängig sei, so hat dieser Manufakturzweig ganz besondere Ansprüche auf die direkte Unterstützung des Staats, im Fall er bei mäßigen Zöllen die Konkurrenz nicht sollte bestehen können. Wenigstens sollte der Staat die eigenen Maschinenfabriken insoweit pflegen und direkt unterstützen, als ihre Erhaltung und Ausbildung nötig ist, um zur Kriegszeit im Anfang die nötigsten Bedürfnisse liefern zu können und bei längerer Unterbrechung neu zu errichtenden Maschinenfabriken zum Muster zu dienen.
Rück zolle können nach unserem System nur da zur Frage kommen, wo die noch vom Auslande eingehenden Halbfabrikate, wie z. B. Baumwollgarn, einem bedeutenden Schutzzoll unterworfen werden müssen, um dem Lande nach und nach die eigene Produktion derselben zu ermöglichen.
Prämien sind verwerflich als permanente Maßregel, die Ausfuhr und Konkurrenz der einheimischen Fabriken mit den Fabriken weiter vorgerückter Nationen auf den Märkten dritter Nationen zu ermöglichen, noch verwerflicher aber als Mittel, die inländischen Manufakturwarenmärkte von Nationen zu erobern, die bereits selbst Fortschritte in den
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Manufakturen gemacht haben. Doch gibt es Fälle, wo sie als vorübergehende (436) Aufraimterungsmaßregeln zu recht- fertigen sind, nämlich da, wo der schlummernde Unter- nehmungsgeist einer Nation nur der Anregung und nur in der ersten Periode seines Auflebens eines Beistandes bedarf, um eine kräftige und dauernde Produktion und Ausfuhr nach Ländern, die selbst keine blühenden Manufakturen be- sitzen, ins Leben zu rufen. Aber auch in diesem Fall ist zu erwägen, ob der Staat nicht besser daran tue, einzelnen Unternehmern unverzinsliche Vorschüsse und sonstige Vor- teile zu gewähren, oder ob es nicht zweckmäßiger sei, die Stiftung von Kompagnien zum Behuf von dergleichen ersten Versuchen zu veranlassen , dergleichen Kompagnien einen Teil des erforderlichen Aktienkapitals aus der Staatskasse vorzuschießen und den teilnehmenden Privaten den Vortritt in bezug der Interessen von ihrem eingelegten Kapital zu gestatten. Als Beispiele von dergleichen Fällen führen wir an: Handels- und Schiffahrtsversuche nach fernen Ländern, wohin sich der Handel der Privaten noch nicht erstreckt, die Anlegung von Dampfbootlinien nach fernen Weltgegenden die Anlegung von neuen Kolonien usw.
(437) Siebenundz wanzigstes Kapitel. Die Douane und tlie herrsclieude Schule.
Die herrschende Schule unterscheidet nicht, in Beziehung auf die Wirksamkeit der Schutzmaßregeln, die Urproduktion von der Manufakturproduktion; sie will den Umstand, daß diese Maßregeln überall auf die Urproduktion nur schädlich
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wirken, zu dem falschen Beweis benutzen, daß sie auf die Manufakturproduktion gleicli schädlichen Einfluß üben.
Die Schule unterscheidet nicht, in Beziehung auf die Pflanzung einer Manufakturkraft, diejenigen Nationen, welche dazu keinen Beruf haben, von denjenigen, welche durch die Natur ihres Territoriums, durch vervollkommneten Ackerbau, durch ihre Zivilisation und ihre Ansprüche auf die Garantien ihrer künftigen Prosperität, ihrer Fortdauer und ihrer Macht dazu berufen sind.
Die Schule verkennt, daß bei ganz freier Konkurrenz mit weiter vorgerückten Manufakturnationen eine minder vorgerückte, obwohl berufene Nation ohne Schutz maß regeln nie zu einer eigenen vollständig ausgebildeten Manufaktur- kraft, nie zur vollständigen Nationalindependenz gelangen kann.
(438) Sie berücksichtigt nicht den Einfluß des Kriegs auf die Notwendigkeit eines Schutzsystems, sie hat ins- besondere nicht wahrgenommen , daß der Krieg ein not- wendiges Prohibitivsystem bewirkt und daß das Douanen- prohibitivsystem eine notwendig gewordene Fortsetzung jenes Kriegsprohibitivsystems ist.
Sie will die Wohltaten des freien Binnenverkehrs als Beweis geltend machen, daß die Nationen nur durch die absolute Freiheit des internationalen Verkehrs zur höchsten Prosperität und Macht gelangen können, während doch die Geschichte überall das Gegenteil beweist.
Sie behauptet , Schutzmaßregeln gewährten den in- ländischen Fabrikanten ein Monopol und führten zur Indo- lenz, während doch die innere Konkurrenz überall die Ge- werbetreibenden hinlänglich zur Nacheiferung anspornt.
Sie will uns glauben machen, Schutzzölle begünstigten den Gewerbetreibenden auf Kosten der Ackerbautreibenden, während doch erweislich dem inneren Ackerbau aus einer inneren Manufakturkraft unermeßliche Vorteile zugehen.
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welchen gegenüber die Opfer, die er dem Schutzsystem zu bringen hat, unbedeutend sind.
Als einen Hauptgrund gegen die Schutzzölle will die herrschende Schule die Kosten der Douanensysteme und die Übelstände des Konterbandhandels geltend machen. Diese Übel sind nicht in Abrede zu stellen ; können sie aber in Anschlag kommen, wenn es sich um Maßregeln handelt, die so unermeßlichen Einfluß auf die Existenz, die Macht und Prosperität der Nation üben ? können die Übel der stehenden Heere und des Kriegs einen Grund abgeben, daß die Nation auf die Verteidigung Verzicht leiste? Wenn man behauptet: Zölle, welche die Assekuranzprämie des^ Konterbandhandels weit überstiegen, dienten nur dazu, den (439) Konterband- handel, nicht aber die inneren Manufakturen zu begünstigen, so kann dies doch wohl nur von schlechten Douanenanstalten, nur von schlecht arrondierten und kleinen Territorien, nur von der Grenzkonsumtion und nur von hohen Zöllen auf nicht voluminöse Luxusartikel gelten. Die Erfahrung da- gegen lehrt überall, daß bei tüchtigen Douanenanstalten, bei zweckmäßigen Zolltarifen in wohlarrondierten Reichen der Zweck der Schutzzölle durch den Konterbandhandel nicht wesentlich beeinträchtigt werden kann. Was aber die Kosten der Douanensysteme betrifft, so muß ein großer Teil der- selben ohnehin für die Erhebung der Einkommenszölle ver- wendet werden, und daß Einkommenszölle bei großen Nationen zu entbehren seien, behauptet selbst die Schule nicht.
Gleichwohl verwirft die Schule nicht allen Douanen- schutz.
Adam Smith erlaubt in drei Fällen die besondere Be- schützung der inneren Industrie: erstens als Retorsions- maßregel, im Fall eine fremde Nation unsere Ausfuhren beschränke und Hoffnung vorhanden sei, sie durch Repres- salien zur Zurücknahme ihrer Beschränkungen zu vermögen ; zweitens zur National Verteidigung, im Fall diejenigen
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Manufakturbedürfnisse, welche zu diesem Zweck erforderlich seien, bei freier Konkurrenz nicht im Innern produziert werden könnten; drittens als Grieichstellungsmittel, im Fall die Produkte der Ausländer geringer besteuert wären als die der Inländer. Say verwirft in allen diesen Fällen den Schutz, läßt ihn aber in einem vierten Fall zu, nämlich alsdann, wenn ein Industriezweig voraussichtlich nach Ver- lauf weniger Jahre so gewinnreich werde, daß er des Schutzes nicht mehr bedürfe.
(440) Es ist demnach Adam Smith, der das Prinzip der Retorsion in die Handelspolitik einführen will, ein Prinzip, das zu den törichtsten und verderblichsten Maßregeln führen würde, zumal wenn die Repressalien, wie Smith verlangt, zurückgenommen werden sollen, sobald die fremde Nation sich zur Zurücknahme ihrer Beschränkungen versteht. Gesetzt, Deutschland nähme gegen England für die Beschränkung seiner Korn- und Holzausfuhr Repressalien dadurch, daß es die englischen Manufakturwaren von seinen Grenzen aus- schließt, und es rufe durch diese Repressalien auf künstliche Weise eine eigene Manufakturkraft ins Leben: soll nun Deutschland diese mit unermeßlicher Aufopferung verbundene Schöpfung wieder zugrunde gehen lassen, im Fall England sich bewegen ließe, seine Grenzen dem deutschen Getreide und Holz wiederum zu öffnen? Welche Torheit! Zehnmal besser wäre es gewesen, Deutschland hätte alle Beschränkungs- maßregeln Englands ruhig über sich ergehen lassen und einer infolge der englischen Einfuhrverbote ohne Zollschutz auflebenden Manufakturkraft Hindernisse in den Weg gelegt, statt ihr Aufleben zu befördern.
Das Prinzip der Retorsion ist nur dann vernunftgemäß und anwendbar, wenn es mit dem Prinzip der industri- ellen Erziehung der Nation zusammentrifft, wenn es diesem gleichsam zur Gehilfin dient.
Ja! es ist vernünftig und vorteilhaft, daß andere Nationen
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die englischen Einfuhrbeschränkungen ihrer Agrikultur- produkte mit Beschränkung der Manufakturwareneinfuhr erwidern , aber nur dann , wenn diese Nationen berufen sind, eine eigene Manufakturkraft zu pflanzen und sie für alle Zeiten zu be- haupten.
(441) Mit der zweiten Ausnahme rechtfertigt Adam Smith in der Tat nicht nur die Notwendigkeit der Be- schützung von Manufakturen, welche die nächsten Kriegs- bedürfnisse befriedigen, wie z. B. Waffen- und Pulver- fabriken, sondern das ganze Schutzsystem, wie wir es ver- stehen ; denn durch die Pflanzung einer der Nation eigen- tümlichen Manufakturkraft wirkt sie auf die Vermehrung ihrer Bevölkerung, ihrer materiellen Reichtümer, ihrer Maschinenkraft, ihrer Selbständigkeit und aller geistigen Kräfte, somit auf die Mittel zur Nationalverteidigung in einem unendlich höheren Grade als bloß durch Waffen- und Pulver- fabrikation.
Gleiches ist von der dritten Ausnahme zu sagen. Wenn die Auflagen, welchen unsere Produktion unterworfen ist, einen Grund abgeben können, die minder besteuerten Pro- dukte des Auslandes mit Schutzzöllen zu beschweren, warum sollten nicht auch die übrigen Nachteile, welchen unsere Manufakturproduktion im Vergleich mit der auswärtigen untervrorfen ist, einen Grund abgeben, die innere Industrie gegen eine überwiegende Konkurrenz der auswärtigen zu schützen ?
J. B. Say hat das Widersprechende dieser Ausnahme wohl gefühlt, aber die von ihm substituierte ist um nichts besser. Denn in einer durch Natur und Bildung zu Pflanzung einer Manufukturkraft berufenen Nation muß durch anhaltenden und kräftigen Schutz beinahe jeder Industrie- zweig gewinnreich werden, und es ist lächerlich, einer Nation zu Vervollkommnung eines großen Nationalindustriezweiges
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oder der gesamten NatioDalindustrie nur wenige Jahre zu gestatten, etwa wie man einem Schusterlehrling nur wenige Jahre vergönnt, um das Schuhmachen zu erlernen.
(442) Bei ihren ewigen Deklamationen über die uner- meßlichen Vorteile der absoluten Handelsfreiheit und die Nachteile des Zollschutzes pflegt die Schule sich auf die Beispiele einiger Völker zu berufen: die Schweiz soll be- weisen, daß die Industrie auch ohne Douanenschutz gedeihen könne und daß die absolute Freiheit des internationalen Handels die sicherste Grundlage der Nationalwohlfahrt sei. Mit dem Schicksal Spaniens will man allen Nationen, die im Douanenschutz Hilfe und Rettung suchen, ein ab- schreckendes Beispiel seiner verderblichen Wirkungen vor Augen stellen. England, das, wie wir in einem frühereu Kaj^itel dargetan haben, sich so vortrefflich dazu eignet, allen zu Emporbringung einer Manufakturkraft berufenen Nationen zum Muster und zur Nacheiferuog zu dienen, wird von den Theoretikern nur benutzt, um ihre BehauptuDg zu be- legen, daß die Fähigkeit zur Manufakturproduktion eine ge- wissen Ländern ausschließlich eigentümliche Naturgabe sei, wie die Fähigkeit, Burgunderweine zu produzieren, und daß England vor allen anderen Ländern der Erde von der Natur die Bestimmung erhalten habe, sich auf Manufakturen und Fabriken und auf den großen Handel zu verlegen. Betrachten wir nun diese Beispiele etwas näher.
Die Schweiz betreffend, so ist allererst zu bemerken, daß sie keine Nation, wenigstens keine normalmäßige, keine größere Nation, sondern nur ein Konglomerat von Munizipali- täten bildet. Ohne Seeküste, eingeklammert zwischen drei große Nationen, fällt bei ihr alles Streben nach Empor- bringung einer eigenen SchilTahrt, eines unmittelbaren Handels mit den Ländern der heißen Zone, alle Rücksicht auf die Bildung einer Seemacht und auf die Anlegung oder Ac- quisition von Kolonien weg. Den Grund zu ihrem gegen-
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wältigen, übrigens (443) sehr bescheidenen Wohlstand legte die Schweiz schon zur Zeit, als sienoch dem Deutschen Reich angehörte. Seitjener Zeit ist sie von inneren Kriegen so ziemlich verschont geblieben, haben die Kapitale von Generation zu Generation sich vermehren können, da sie von ihren Munizipal- regierungen mit Abgaben fast gar nicht in Anspruch ge- nommen wurden. Inmitten der Brandungen des Despotismus, des Fanatismus, der Kriege und Revolutionen, von welchen Europa in den letzten Jahrhunderten bewegt war, bot die Schweiz allen, die ihre Kapitale und ihre Talente flüchten wollten, ein Asyl und ac<|uirierte so bedeutende Mittel von außen. Deutschland hat sich nie streng gegen die Schweiz abgeschlossen, und ein großer Teil ihrer Manufakturprodukte hat von jeher dorthin Abfluß gewonnen. Ihre Industrie war übrigens nie eine nationale, eine die Gegenstände des all- gemeinen Verbrauchs umfassende, sondern größtenteils Luxus- industrie, deren Produkte leicht in die benachbarten Länder ein zusch Warzen, oder nach fernen Weltgegenden zu trans- portieren sind. Sodann ist das Land für den Zwischenhandel ungemein günstig gelegen und teilweise privilegiert. Schon die gute Gelegenheit, die Sprachen, die Gesetze, Einrichtungen und Yerhältnisse der drei angrenzenden Nationen kennen zu lernen, mußte den Schweizern im Zwischenhandel und in jeder anderen Beziehung ansehnliche Vorteile gewähren. Bürgerliche und religiöse Freiheit und allgemeiner Unterricht nährten Rührigkeit und Unternehmungsgeist, die bei der großen Beschränktheit des inneren Ackerbaues und der inneren Nahrungsquellen die Schweizer nach fremden Ländern trieben, wo sie durch Kriegsdienst, durch Handel, durch Gewerbe jeder Art sich Vermögen sammelten , um es nach ihrem Vaterland zurückzubringen. Wenn (444) unter so besonderen Umständen sich materielle geistige Kapitale anhäuften, um einige Luxusgewerbszweige aufzubringen, wenn diese Ge- werbe ohne Zollschutz durch Absatz nach außen sich halten
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konnten, so ist doch daraus nicht zu schließen, daß große Nationen unter ganz anderen Verhältnissen eine ähnliche Politik befolgen können. In ihren geringen Abgaben besitzt die Schweiz einen Vorteil, den große Nationen nur dann bieten könnten, wenn sie, wie die Schweiz, sich in Munizipalitäten auflösten, somit ihre Nationalität fremden Angriffen bloßstellten.
Daß Spanien töricht handelte, die Ausfuhr der edlen Metalle zu verbieten, zumal da es selbst einen so großen Überfluß an dieser Ware produzierte, muß von jedem Ver- ständigen zugegeben werden. Falsch aber ist es, den Ver- fall der Industrie und des Nationalwohlstandes von Spanien auf Rechnung seiner Manufakturwareneinfuhrbeschränkungen zu setzen. Hätte Spanien die Mauren und Juden nicht ver- trieben und niemals eine Inquisition gesehen, hätte Ivarl V. in Spanien Glaubensfreiheit gestattet, wären die Priester und Mönche in Lehrer des Volks verwandelt und ihre über- großen Besitztümer säkularisiert oder doch auf das Not- wendige reduziert worden, hätte infolge solcher Maßregeln die bürgerliche Freiheit Boden gewonnen, wäre der Feudal- adel umgebildet und die Monarchie in Schranken gehalten worden, hätte mit einem Wort Spanien sich infolge einer Reformation politisch entwickelt, wie England sich entwickelt hat, und wäre derselbe Geist auf seine Kolonien überge- gangen — so hätten in Spanien die Prohibitiv- und Schutz- maßregeln auf dieselbe Weise gewirkt, wie sie in England gewirkt haben, und dies um so mehr, als zur Zeit (445) Karls V. die Spanier den Engländern und Franzosen in jeder Beziehung voraus waren und nur die Niederlande höher standen, deren Gewerbs- und Handelsgeist vermittels des Douanenschutzes auf Spanien hätte übertragen werden können, vorausgesetzt die spanischen Zustände hätten fremde Talente und Kapitale zur Einwanderung angereizt, statt die eigenen ins Ausland zu treiben.
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"Welchen Ursachen England seine Manufaktur- und Handelssuprematie verdankt, haben wir in unserem fünften Kapitel gezeigt.
Es ist vorzüglich die geistige und bürgerliche Freiheit es ist die Verfassung und die Vortrefflichkeit der politischen Institutionen überhaupt, wodurch es der englischen Handels- politik möglich geworden ist, die Naturreichtümer des Landes auszubeuten und die produktiven Kräfte der Nation zur Entwicklung zu bringen. Wer möchte aber den anderen Nationen die Fähigkeit absprechen, sich auf gleichen Grad der Freiheit emporzuschwingen? Wer möchte behaupten, die Natur habe den anderen Nationen die zur Fabrikation er- forderlichen Hilfsmittel versagt?
In letzterer Beziehung hat man oft den großen Reich- tum Englands an Steinkohlen und Eisen als Grund ange- führt, weshalb die Engländer zur Fabrikation vorzugsweise berufen seien. Daß hierin England von der Natur sehr be- günstigt sei, ist wahr : dagegen läßt sich aber anführen, daß die Natur die anderen Länder in Beziehung auf diese Natur- stoffe keineswegs stiefmütterlich behandelt hat, daß meistens nur der Mangel an tüchtigen Transportanstalten ihrer vollen Benutzung im Wege steht, daß andere Länder Überfluß an nicht benutzter Wasserkraft besitzen, die wohlfeiler (446) ist als die Dampfkraft, daß bei ihnen nötigenfalls der Mangel an Steinkohle durch andere Brennstoffe gedeckt werden kann, daß viele Länder unerschöpfliche Mittel zur Eisen- fabrikation darbieten, und daß man sich diese Rohstoffe im Wege des Tausches zu verschaffen imstande ist.
Schließlich haben wir hier noch der Handelsver- träge über wechselseitige Zollkonzessionen zu erwähnen. Die Schule verwirft diese Verträge als unnötig und schädlich, während sie uns als das wirksamste Mittel erscheinen, die wechselseitigen Handelsbeschränkungen nach und nach zu mildern und die Nationen dem freien Weltverkehr allmählich
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eatgegenzufüliren. Was freilich die Welt bisher von der- gleichen Verträgen gesehen hat, ermuntert nicht sehr zur Nacheiferung. Wir haben in früheren Kapiteln gezeigt, welche Verheerungen der Methuen vertrag in Portugal und der Eden- vertrag in Frankreich angerichtet hat. In diesen schlimmen Wirkungen wechselseitiger Zollerleichterung scheint die Ab- neigung der Schule gegen Handelsverträge überhaupt ihren Grund zu haben. Offenbar hat ihr Prinzip der absoluten Handelsfreiheit dadurch eine praktische Widerlegung er- fahren, da diesem Prinzip gemäß, jene Verträge für beide Nationen wohltätig, nicht aber zum Verderben der einen und zum unermeßlichen Vorteil der anderen hätten wirken sollen. Forschen wir aber nach der Ursache dieser ungleichen Wir- kung, so finden wir sie darin, daß Portugal und Frankreich infolge jener Verträge auf die Fortschritte, die sie in den Manufakturen bereits gemacht hatten, sowie auf diejenigen, welche sie darin in Zukunft noch machen konnten, zugunsten Englands Verzicht leisteten, in der Absicht, dadurch ihre ürproduktenausfuhr nach England zu heben; daß demnach jene beiden Nationen infolge der (447) abgeschlossenen Ver- träge von einem höheren Standpunkt der Kultur auf einen niedrigeren herabgestiegen sind. Hieraus folgt aber nur, daß eine Nation töricht handelt, wenn sie durch Handelsverträge ihre Manufakturkraft der fremden Konkurrenz opfert und dadurch sich verbindlich macht, für alle Zukunft auf dem niedrigen Standpunkt der Agrikultur stehen zu bleiben ; keineswegs aber folgt daraus, daß auch diejenigen Verträge schädlich und verwerflich sind, wodurch der wechselseitige Tausch von Agrikulturprodukten und Rohstoffen oder der wechselseitige Tausch von Manufakturprodukten befördert wird.
Wir haben früher dargetan, daß der freie Verkehr mit Agrikulturprodukten und Rohstoffen allen Nationen auf allen Stufen ihrer Kultur nützlich ist, woraus folgt, daß jeder
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Handelsvertrag, welcher früher bestandene Hemmnisse und Beschränkungen dieses Verkehrs mildert oder entfernt, wohl- tätig auf beide kontrahierende Nationen wirken muß ; wie z. B. ein Vertrag zwischen Frankreich und England, wodurch der wechselseitige Tausch von Weinen und Branntweinen gegen Roheisen und Steinkohle, ein Vertrag zwischen Frank- reich und Deutschland, wodurch der wechselseitige Tausch von Wein, Öl und getrockneten Früchten gegen Getreide, Wolle und Schlachtvieh befördert wird.
Unseren früheren Deduktionen gemäß ist der Schutz nur insoweit der Prosperität der Nation zuträglich, als er dem Grade der industriellen Bildung der Nation entspricht — ist jede Übertreibung des Schutzes nachteilig — können die Nationen nur allmählich zu einer vollkommenen Manufaktur- kraft gelangen. Daher auch können zwei Nationen, welche auf verschiedenen Stufen der industriellen Bildung stehen, mit wechselseitigem (448) Vorteil sich in Ansehung des Tausches verschiedenartiger Manufakturprodukte durch Ver- trag gegenseitige Konzessionen machen. Die minder vor- gerückte Nation kann, während sie noch nicht imstande ist, feinere Manufakturwaren, wie z. B. feine Baumwollen- und Seidenfabrikate, mit Vorteil selbst zu fabrizieren, gleichwohl imstande sein, der weiter vorgerückten Nation einen Teil ihres Bedürfnisses an gröberen Manufakturwaren zu liefern.
Noch mehr dürften dergleichen Verträge zulässig und nützlich sein zwischen Nationen, die auf ungefähr gleicher Stufe der industriellen Bildung stehen, zwischen welchen also die Konkurrenz nicht übermächtig, nicht zerstörend, nicht niederhaltend, nicht alles monopolisierend von einer Seite auftritt, sondern wie bei dem Binnenverkehr zu wechsel- seitiger Nacheiferung, Vervollkommnung und Preisvermin- derung anspornt. Dies ist der Fall bei den meisten Kontinental- nationen. Frankreich, Österreich und der deutsche Zollverein zum Beispiel dürften von ziemlich niedrigen Schutzzöllen nur
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sehr wohltätige Wirkungen zii erwarten haben, und auch zwischen diesen Ländern und Rußland ließen sich zu all- seitigem Vorteil wechselseitige Konzessionen machen. Was sie alle zurzeit zu fürchten haben, ist nur das Übergewicht Englands.
So erscheint, auch von dieser Seite betrachtet, die Supre- matie jener Insel in den Manufakturen, im Handel, in der Schiffahrt und im Kolonialbesitz zurzeit als das größte Hindernis, daß alle Nationen einander näher treten, obschon anerkannt werden muß, daß Eoglaad im Streben nach dieser Suprematie die produktive Kraft der gesaraten Menschheit unermeßlich vermehrt hat und noch täglich vermehrt.
(451) Aclitundzwanzigstes Kapitel. Die italienischen Nationalökonomen.
Allen modernen Nationen ist Italien vorangegangen wie in der Praxis, so in der Theorie der politischen Ökonomie. Graf Pechio hat einen mit Fleiß bearbeiteten Umriß dieses Zweiges der italienischen Literatur geliefert, nur ist an seinem Buche auszusetzen, daß er zu sklavisch sich an die herrschende Theorie gehalten und die Grundursachen des Yerfalls der italienischen Nationalindustrie — den Mangel an Nationaleinheit inmitten von großen durch die Erbmonarchie vereinigten Nationalitäten, sodann die Priesterherrschaft und den Verfall der bürgerlichen Freiheit in den Republiken und Städten — nicht gehörig ins Licht gestellt hat. Bei tieferer Forschung nach diesen Ursachen wäre ihm schwerlich die eigentliche Tendenz von Macchiavells „Fürsten" verborgen geblieben; er hätte dann dieses Schriftstellers nicht bloß im Vorbeigehen erwähnt.
Wir selbst sind erst durch die Bemerkung Pechios: Macchiavell habe in einem Schreiben an seinen Freund Guicciardini (1525) eine Vereinigung aller italienischen Mächte
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gegen das Ausland in Vorschlag gebracht und, (452) da dieses Schreiben dem Papst Clemens YII. mitgeteilt worden, zu Stiftung der heiligen Ligue (1526) bedeutend beigetragen, auf den Gedanken geleitet worden, dem „Principe" dürfte die gleiche Tendenz zugrunde liegen. Als wir das Buch selbst zur Hand nahmen, fanden wir diese Vermutung auf den ersten Blick bestätigt. Offenbar hat der 1513 verfaßte „Principe" den Zweck: den Mediceern die Idee einzuimpfen, ihr Haus sei berufen, ganz Italien unter einem Fürstenhute zu vereinigen und ihnen die Mittel anzugeben, wodurch dieses Ziel zu erreichen stehe.*)
Titel und Form des Buchs, als werde im allgemeinen von der Natur der absoluten Herrschaft gehandelt, sind ohne Zweifel nur aus Gründen der Klugheit gewählt. Von den Erbfürsten und ihrer Regierung wird bloß im Vorbeigehen gesprochen. Überall hat der Verfasser nur einen italie- nischen Usurpator vor Augen. Fürstentümer sollen unter- Avorfen, Dynastien vertilgt, der Feudaladel unterdrückt, die Freiheit in den Republiken ausgerottet werden. Die Tugenden des Himmels wie die Künste der Hölle, Klugheit und Kühnheit, Tapferkeit und Verrat, Glück und Zufall, aDes soll der Usurpator benützen, aufbieten und versuchen, um ein italienisches Reich zu gründen. Sodann wird ihm ein Arcanum mitgeteilt, dessen Kraft sich drei Jahrhunderte später hinlänglich erprobt hat: ein Nationalheer soll ge- schaffen werden, dem durch neue Disziplin, (453) durch neu zu erfindende Waffen und Manöver der Sieg zu ver- bürgen wäre.**)
*) Auf seiner während des Druckes dieses Buches unter- nommenen Reise nach Deutschland hat der Verfasser erst er- fahren, daß die HH. DD. Ranke und Gervinus den „Principe" aus gleichem Gesichtspunkt beurteilt haben.
**) Alles, was Macchiayell vor und nach dem „Principe" ge-
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Ließe die Allgemeinheit der Argumentation noch Raum zum Zweifel über die besondere Tendenz des Verfassers, so würde derselbe durch das letzte Kapitel gehoben. Unum- wunden erklärt er hier: die fremden Invasionen und die innere Zerrissenheit seien die Grundursachen alles in Italien herrschenden Unheils; das Haus der Mediceer, in dessen Händen sich glücklicherweise Toskana und der Kirchenstaat befände, sei von der Vorsehung selbst berufen, das große Werk zu vollbringen ; jetzt sei die beste Zeit und Gelegen- heit, neue Formen einzuführen ; jetzt soUte ein neuer Moses erstehen, um sein Volk von den Fesseln Ägyptens zu er- lösen; nichts erwerbe einem Fürsten mehr Ansehen und Ruhm als große Unternehmungen.*)
(454) Daß man die Tendenz dieses Buches auch in den übrigen Kapiteln zwischen den Zeilen zu lesen habe, be- weist am besten die Art und Weise, wie der Verfasser im neunten Kapitel von dem Kirchenstaat spricht. Es ist doch wohl nur Ironie, wenn er sagt: die Geistlichen hätten
schrieben hat, beweist, daß er dergleichen Pläne in seinem Geiste wälzte. Wie anders ließe sich erklären, daß er — ein Zivilist, ein Gelehrter, ein Gesandter und Staatsbeamter, der nie das Waffengewerbe getrieben — sich so viel mit der Kriegskunst beschäftigte, daß er ein Werk darüber schreiben konnte, das die Bewunderung der ersten Kriegshelden seiner Zeit erregte? *) Friedrich der Große in seinem Antimacchiavell betrachtet den „Principe" als eine bloß -wisseDschaftliche Abhandlung über die Befugnisse und Pflichten des Fürsten überhaupt. Dabei ist es bemerkenswert; daß er, indem er den Macchiavell Kapitel für Kapitel widerlegt, des letzten oder sechsundzvvanzigsten Kapitels, das die Aufschrift führt: „Aufruf, Italien von den Fremden zu befreien", gar nicht erwähnt und dagegen ein dem Werke Macchiavells ganz fremdes Kapitel mit der Überschrift: „über die verschiedenen Arten von Negociationen und von den ge- rechten Ursachen zur Kriegserklärung" einschaltet.
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Länder und regierten sie nicht ; sie hätten Herrschaften und verteidigten sie nicht ; diese glücklichsten aller Länder seien von der göttlichen Vorsehung unmittelbar beschirmt; Ver- messenheit wäre es, über sie ein Urteil zu fällen. Offenbar wollte er damit, ohne sich bloßzustellen, nur zu verstehen geben, auf diesem Boden ständen einem kühnen Eroberer und zumal einem Mediceer, dessen Agnat Papst sei, eben nicht besonders große Hindernisse im Wege.
Wie aber lassen sich bei den republikanischen Gre- sinnungen Macchiavells die Ratschläge erklären, die er seinem Usurpator in betreff der Kepubliken erteilt? Und wäre es einzig und allein der Absicht zuzuschreiben, sich bei dem Fürsten, dem sein Buch zugeeignet ist, einzu- schmeicheln und Privatvorteile zu erzielen, wenn er, der eifrige Republikaner, der große Denker und Literat, der patriotische Märtyrer, dem künftigen Usurpator rät, die Frei- heit der Republiken bis in die Wurzeln zu vertilgen?
Es kann nicht geleugnet werden, daß Macchiavell zur Zeit, als er den „Principe" schrieb, in Dürftigkeit schmachtete, daß er mit Sorgen in die Zukunft sah, daß er Anstellung und Unterstützung von den Mediceern sehnlich wünschte und hoffte. Ein Brief vom 10. Oktober 1513, den er von seinem ärmlichen Landsitz (455) aus an seinen Freund Vettori nach Florenz schrieb, setzt dies außer Zweifel.*)
Gleichwohl sprechen bedeutende Gründe dafür, daß er durch diese Schrift nicht bloß den Mediceern 'schmeicheln und Privatabsichten erreichen, sondern die Ausführung eines usurpatorischen Plans bezwecken wollte — eines Plans, welcher mit seinen republikanisch-patriotischen Gesinnungen keineswegs in Widerspruch stand, ob ihn auch die Moralität unserer Zeit als verwerflich und gottlos erklären muß.
*) Erstmals abgedruckt in dem Werke: Pensieri intorno allo scopo di Nicolo Macchiavelli nel libro 11 Principe. Milano 1810.
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Seine Schriften und seine Leistungen im Staatsdienste be- weisen, daß Macchiavell die Geschichte aller Zeiten, daß er die politischen Verhältnisse aller Staaten aus dem Grunde kannte. Ein Auge aber, das so weit rückwärts und so klar um sich her sah, mußte auch weit in die Zukunft tragen. Ein Geist, der zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Vorteile der Nationalbewaffnung erkannte, mußte auch sehen, daß die Zeit der kleinen Republiken vorüber, daß die Periode der großen Monarchien gekommen, daß die Nationalität in den damaligen Zeitverhältnissen nur vermittels der Usur- pation zu erwerben und vermittels der Despotie zu be- haupten, daß die Oligarchien, wie sie damals in den italie- nischen Republiken bestanden, das größte Hindernis der Nationaleinheit seien, folglich zerstört w^erden müssen, und daß die Nationalfreiheit dereinst wieder aus der National- einheit erwachsen werde. Macchiavell wollte offenbar die abgetragene Freiheit einiger Städte dem Despotismus in den Rachen werfen, in der Hoffnung, durch ihn (456) National- einheit zu erwerben und dadurch künftigen Geschlechtern die Freiheit in einer größeren und veredelten Gestalt zu sichern.
Das erste über politische Ökonomie insbesondere in Italien geschriebene Werk ist die Sclirift von Antonio Serra aus Neapel: über die Mittel, den „Königreichen" einen Überfluß an Gold und Silber zu verschaffen (1613).
Say und Mac Cullocli scheinen von diesem Buche nicht mehr als den Titel gesehen oder gelesen zu haben ; beide werfen es vornehm auf die Seite mit der Bemerkung: es handle nur vom Gelde, und schon der Titel beweise, daß der Autor in dem Irrtum befangen gewesen, die edlen Me- talle als alleinige Gegenstände des Reichtums zu betrachten. Hätten sie weiter gelesen und den Inhalt in Erwägung gezogen, vielleicht hätten sie heilsame Lehren darausgeschöpft. An- tonio Serra, obwohl er sich der Sünde schuldig machte, den
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Überfluß an Gold und Silber als Zeichen des Reichtums zu be- trachten, ist doch über die Ursachen desselben so ziemlich im Idaren. Zwar stellt er die Bergwerke als die direkte Quelle der edlen Metalle voran; den indirekten Mitteln, sie zu er- werben, läßt er aber alle Gerechtigkeit widerfahren. Agri- kultur, Manufakturen, Handel uad Schiffahrt sind nach ihm die Hauptquellen des Nationalreichtums. Fruchtbarkeit des Bodens ist eine sichere Quelle der Wohlhabenheit, eine un- gleich reichere sind jedoch die Manufakturen aus verschie- denen Gründen, hauptsächlich aber darum, weil sie die Grundlage eines ausgebreiteten Handels sind. Die Ergiebig- keit dieser Quellen bestimmt sich nach den Eigenschaften der Menschen (ob sie nämlich fleißig, tätig, unternehmend, sparsam usw.) und nach den (457) Natur- und Lokalver- hältnissen (ob z. B. eine Stadt zum Seehandel gut gelegen). Über alle diese Ursachen stellt Serra die Kegierungsform, die öffentliche Ordnung, die bürgerliche Freiheit, die poli- tischen Garantien, die Stetigkeit der Gesetze. „Kein Land könne prosperieren," meint er, „wo jeder neue Regent neue Gesetze geben dürfe, daher könnten die Länder des heiligen A^aters nicht so wohlhabend sein als diejenigen Länder, deren Regierung und Gesetzgebung größere Stabilität habe. Man solle dagegen sehen, wie in Venedig eine durch Jahr- hunderte bestehende Ordnung und Gesetzgebung auf den öffentlichen "Wohlstand wirke." Dies ist die Quintessenz eines Systems der politischen Ökonomie, das in der Hauj^t- sache, ungeachtet es nur die Erwerbung der edlen Metalle zum Gegenstand zu haben scheint, durch Natürlichkeit und gesundes Urteil sich auszeichnet. Offenbar steht J. B. Says Werk, ob es auch Begriffe und Materien der politischen Ökonomie entwickelt, von welchen Antonio Serra noch keine Ahnung hatte, diesem in den Hauptpunkten und namentlich in richtiger Würdigung der politischen Zustände in Be- ziehung auf den Reichtum der Nationen weit nach. Hätte
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Saj^ den Serra studiert, statt ihn auf die Seite zu legen, er hätte schwerlich auf dem ersten Blatt seines Systems der politischen Ökonomie behauptet : „die Verfassung der Länder könne in der politischen Ökonomie nicht in Betracht kommen ; man habe die Völker unter allen Regierungs- formen reich werden und verarmen sehen ; nur darauf komme es an, daß ein Land gut administriert sei."
Wir sind weit entfernt, die absolute Vorzüglichkeit einer Regierungsform vor der anderen behaupten zu wollen. Man darf nur einen Blick auf die (458) südlichen Staaten von Amerika werfen, um sich zu überzeugen, daß demo- kratische Regierungsformen bei Völkern, die dazu nicht reif sind, die Ursache bedeutender Rückschritte im öffentlichen Wohlstand werden können. Man darf nur einen Blick auf Rußland werfen, um einzusehen, daß Völker, die noch auf einer niedrigen Stufe der Kultur stehen, unter der abso- luten Monarchie die bedeutendsten Fortschritte in ihrem Nationalwohlstand machen können. Damit wird aber keines- wegs bestätigt, daß man Völker unter allen Regierungs- formen hat reich werden, d. h. den höchsten Grad ökono- mischer Wohlfahrt erreichen sehen. Vielmehr lehrt die Geschichte, daß dieser Grad des öffentlichen Wohlstandes, nämlich die Blüte der Manufakturen und des Handels, nur in Ländern erreicht worden ist, deren politische Verfassimg, ob sie demokratische oder aristokratische Republik oder be- schränkte Monarchie hieß, den Bürgern einen hohen Grad von persönlicher Freiheit und von Sicherheit des Eigen- tums, der Administration einen hohen Grad von Tätigkeit und Kraft für Erstrebung der Gesellschaftszwecke und von Stetigkeit in diesem Streben verbürgte. Denn im Zustand weit vorgerückter Kultur kommt es nicht sowohl darauf an, daß eine Zeitlang gut administriert werde, als darauf, daß fortwährend und gleichförmig gut administriert werde, daß nicht die folgende Administration wieder ver-
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derbe, was die vorige gut gemacht, daß nicht auf eine dreißigjährige Administration Colberts eine Widerrufung des Edikts von Nantes folge, daß man jahrhundertelang ein und dasselbe System befolge, einem und demselben Ziel ent- gegenstrebe. Nur durch Verfassungen, in welchen die In- teressen der Nation repräsentiert sind, nicht durch die ab- solute Gewalt, (459) unter deren Herrschaft die Admini- stration sich jederzeit nach der Individualität des Herrschers modifiziert, wird eine solche Stetigkeit der Administration verbürgt, wie Antonio Serra richtig bemerkt. Dagegen gibt es allerdings Kulturzustände, wobei die Administration der absoluten Gewalt den ökonomischen wie den geistigen Fort- schritten der Nation ungleich günstiger sein kann und meistens günstiger ist als die konstitutionell beschränkte. Es ist dies die Periode der Sklaverei und Leibeigenschaft, der Barbarei und des Aberglaubens, der nationalen Zersplitterung und der Kastenvorrechte. Denn in diesem Zustande wird vermittels der Verfassung nicht bloß den Interessen der Nation, sondern auch den herrschenden Übelständen die Fortdauer verbürgt, während es in dem Interesse und in der Natur der abso- luten Regierungsform liegt, sie zu vertilgen, während durch sie die Möglichkeit gegeben ist, daß ein durch Kraft und Einsichten ausgezeichneter Herrscher zur Gewalt komme, der die Nation um Jahrhunderte vorwärts bringt und ihrer Nationalität für alle Zukunft Existenz und Fortschritte sichert.
Es ist demnach ein nur bedingte Wahrheit enthaltender Gemeinplatz, vermittels dessen J. B. Say seine Doktrin von der Politik trennen wollte. Allerdings kommt es haupt- sächlich darauf an, daß gut administriert werde, aber die Tüchtigkeit der Administration ist durch die Regierungsform bedingt, und offenbar ist diejenige Regierungsform die beste, welche den moralischen und materiellen Zuständen einer gegebenen Nation und ihren künftigen Fortschritten am
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meisten entspricht. Nur fortschreiten sah man die Yölker unter allen Regierungsformen, einen hohen Grad der öko- nomischen Entwicklung hat man sie aber nur in (460) den- jenigen Ländern erreichen sehen, denen die Regierungsform einen hohen Grad von Freiheit und Macht, Stetigkeit der Gesetze und der Politik und tüchtige Institutionen ver- bürgte.
Antonio Serra sieht die Natur der Dinge, wie sie ist, nicht durch die Brille vorangegangener Systeme oder eines einzigen Prinzips, das er rechtfertigen und durchführen will. Er vergleicht die Zustände der verschiedenen itali- enischen Staaten und gewahrt den höchsten Grad von Reich- tum da, wo der große Handel, den großen Handel da, wo die ausgebildete Manufakturkraft, diese aber da, wo die bürgerliche Freiheit ist.
Beccarias Urteil dagegen ist schon durch die falschen Lehrsätze der Physiokraten beherrscht. Zwar hat dieser Schriftsteller vor oder doch gleichzeitig mit Adam Smith das Prinzip der Arbeitsteilung entdeckt oder bei Aristoteles gefunden; er führt es sogar noch weiter aus als Adam Smith, indem er nicht wie dieser bei der Operationsteilung einer einzigen Fabrik stehen bleibt, sondern zeigt, wie aus der Teilung der Gesellschaf tsglieder in verschiedene Nahrungs- stände der öffentliche Wohlstand entspringe. Gleichwohl nimmt er keinen Anstand, mit den Physiokraten die Nicht- produktivität der Manufakturisten zu behaupten.
Am beschränktesten sind die Ansichten des großen Rechtsphilosophen Filangieri. Von falschem Kosmopoli- tismus befangen, glaubt er: England habe durch seine be- schränkende Handelspolitik nur eine Prämie auf den Schmuggel- handel gesetzt und seinen eigenen Handel geschwächt.
(461) Yerri, als praktischer Beamter, konnte sich nicht so weit verirren ; er gibt die Notwendigkeit der Beschützung der inneren Industrie gegen die auswärtige Konkurrenz zu,
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sieht aber nicht oder durfte nicht sehen, daß diese PoHtik durch die Größe und Einheit der Nationalität bedingt ist.
(462) Neunund zwanzigstes Kapitel. Das Industriesystem
(von der Schule fälstlilich Merkantilsystem genannt).
Beim Aufkommen der großen Nationalitäten vermittels der durch die Erbmonarchie realisierten Einheit ganzer Völker und vermittels der Zentralisation der öffentlichen Gewalt befanden sich, wie wir gezeigt haben, Manufakturen, Handel und Schiffahrt und damit Eeichtum und Seemacht größtenteils in den Händen von städtischen Republiken oder von Bündnissen solcher Republiken. Je mehr aber die Institutionen dieser großen Nationaleinheiten sich aus- bildeten, desto klarer erkannte man die Notwendigkeit, jene Hauptquellen der Macht und des Reichtums auf den eigenen Boden zu verpflanzen.
Im Gefühl, daß sie nur im Boden der bürgerlichen Freiheit Wurzel schlagen und gedeihen können, begünstigte die königliche Gewalt die Munizipalfreiheit und die Zunft- verfassung, worin sie zugleich ein Gegengewicht gegen die nach Unabhängigkeit strebende und der Nationaleinheit feind- lich gegenüberstehende Feudalaristokratie erkannte. Doch erschien dieses Mittel als unzureichend : einmal weil die Summe der Vorteile, welche (463) die Individuen in den freien Städten und Republiken genossen, viel größer war, als die Summe derjenigen Vorteile, welche die Monarchien in ihren Munizipalstädten bieten konnten oder durften; so- dann weil es bei freier Konkurrenz für ein Land, das von
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jeher hauptsächlich nur Agrikultur betrieb, sehr schwer, ja unmöglich ist, diejenigen, welche sich seit Jahrhunderten im Besitz der Manufakturen, des Handels und der Schiffahrt befanden, außer Besitz zu setzen ; endlich weil in den großen Monarchien die Feudalinstitutionen der Entwicklung des Ackerbaues im Innern, folglich auch dem Aufstreben der inneren Manufakturen im Wege standen. So führte die Natur der Dinge die großen Monarchien zu jenen politischen Maß- regeln, die darauf abzielten, die Einfuhr fremder Mauufaktur- waren, den Handel und die Schiffahrt der Fremden zu er- schweren und das Aufkommen der eigenen Manufakturen, des eigenen Handels und der eigenen Schiffahrt zu begünstigen. Statt daß man früher die Abgaben hauptsächlich von den außer Landes gehenden Rohstoffen erhoben hatte, wurden sie jetzt hauptsächlich auf die eingehenden Manufakturwaren gelegt. Die auf diese Weise gebotenen Begünstigungen ver- anlaßten die Kaufleute, Seefahrer und Manufakturisten weiter vorgerückter Städte und Länder, mit ihren Kapitalien nach den großen Monarchien auszuwandern, und stimulierten den Unternehmungsgeist ihrer eigenen Staatsangehörigen. Das Aufkommen der Nationalindustrie hatte sofort das Aufkommen der Nationalfreiheit zur Folge. Die Feudalaristokratie sah sich in ihrem eigenen Interesse veranlaßt, der industriellen und handeltreibenden Bevölkerung sowohl als der ackerbau- treibenden Konzessionen zu machen. Daraus, sowie aus dem Aufkommen der eigenen Industrie und des eigenen (464) Handels erwuchsen Fortschritte im Ackerbau, die hinwiederum günstig auf die beiden anderen Faktoren des Nationalreich- tums zurückwirkten. Wir haben gezeigt, wie England in- folge dieses Systems und begünstigt durch die Reformation, von Jahrhundert zu Jahrhundert in der Entwicklung seiner produktiven Kraft, Freiheit und Macht vorwärts geschritten ist. Wir haben dargetän, wie in Frankreich dieses System einige Zeit mit Glück nachgeahmt worden, wie es aber dort
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scheiterte, weil die Institutionea des Feudalwesens, des Priestertums und der absoluten Monarcliie noch nicht refor- miert waren. Wir haben nachgewiesen, wie die polnische Nationalität zugrunde gegangen, weil die Wahlmonarchie nicht Einfluß und Stetigkeit genug besaß, um vermittels dieser Politik ein kräftiges Bürgertum zum Dasein zu bringen und die Feudalaristokratie zu reformieren.
Infolge dieser Politik trat an die Stelle der Handels- und Manufakturstadt und der meistenteils außerhalb ihres politischen Verbandes stehenden Agrikulturprovinz der Agri- kulturmanufakturhandelsstaat, die — ein harmonisches, ein geschlossenes Ganzes bildende — in sich selbst vollkommene Nation, in welcher sich einerseits die zwischen Monarchie, Feudalaristokratie und Bürgertum zuvor herrschend gewesenen Dissonanzen in einem harmonischen Akkord auflösten, anderer- seits Agrikultur, Manufakturen und Handel in die innigste Verbindung auf Wechselwirkung traten. Es war dies ein unendlich vollkomm neres Gemeinwesen als das früher be- standene, weil es die zuvor in der städtischen Republik auf engem Räume beschränkt gewesene Manufakturkraft auf ein weites Gebiet ausdehnte, alle darauf befindlichen Hilfsquellen ihr zur Disposition (465) stellte, die Teilung der Arbeit und Konföderation der produktiven Kräfte, in den verschiedenen Manufakturzweigen sowohl als im Ackerbau, in einem un- endlich größeren Maßstab bewerkstelligte, die zahlreiche Klasse der Agrikulturisten politisch und kommerziell mit den Manu- fakturisten und Kaufleuten in Verbindung stellte, dadurch gleichsam den ewigen Frieden unter ihnen herstellte, somit die Wechselwirkung zwischen Agrikultur- und Manufaktur- kraft verewigte und für immer verbürgte, und endlich die Agrikulturisten aller mit den Manufakturen und dem Handel verbundenen Zivilisationsvorteile teilhaftig machte. Der Agri- kulturmanufakturhandelsstaat ist eine auf ein ganzes Reicli ausgedehnte Stadt oder ein zur Stadt erhobenes Land. In
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gleichem Maßstab, in welchem durch diese Vereinigung die materielle Produktion gefördert ward, mußten sich notwendig die geistigen Kräfte entwickeln, die politischen Institutionen vervollkommnen, die Staatseinkünfte, die National Streitkräfte und die Bevölkerung vermehren. Daher sehen wir heute diejenige Nation, welche den Agrikulturmanufakturhandels- staat zuerst zur vollständigen Ausbildung gebracht hat, in allen diesen Beziehungen an der Spitze aller übrigen Nationen stehen.
Das Industriesystem war kein geschriebenes, kein bloß von Schriftstellern ausgedachtes, es war ein praktisch ge- übtes, bis auf Steuart, der es zum größten Teil aus der englischen Praxis abstrahierte, wie Antonio Serra das seinige aus der Anschauung der Zustände von Venedig abstrahiert hatte. Diese Schrift hat jedoch nicht das Verdienst eines wissenschaftlichen "Werkes. Der größte Teil desselben ist dem Gelde, den Banken, der Papierzirkulation, den Handels- krisen, (466) der Handelsbilanz und der Lehre von der Be- völkerung gewidmet — Erörterungen, aus denen zwar noch in unseren Tagen viel Belehrendes zu schöpfen ist, die aber auf sehr unlogische und unverständliche Weise vorgetragen sind und in welchen ein und derselbe Gredanke zehnmal wiederholt ist. Die übrigen Teile der politischen Ökonomie sind oberflächlich abgehandelt oder gänzlich übergangen. Weder die produktiven Kräfte noch die Elemente des Preises der Dinge sind aus dem Fundament erörtert. Überall hat der Verfasser nur die Erfahrungen und Zustände von Eng- land im Auge. Dieses Buch hat mit einem Wort alle Vorzüge und Gebrechen der englischen und Colbert'schen Praxis.
Die Vorzüge des Industriesystems den späteren S3'stemen gegenüber sind:
1) daß es den Wert der eigenen Manufakturen und ihren Einfluß auf die innere Agrikultur, auf den Handel und die
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Schiffahrt, auf die Zivilisation und Macht der Nation klar erkennt und sich darüber unverhohlen ausspricht ;
2) daß es im allgemeinen die richtigen Mittel wählt, wodurch die zu Pflanzung einer Manufakturkraft reife Nation zu einer nationalen Industrie gelangen kann;*)
(467) 3) daß es von dem Begriff der Nation ausgeht und, die Nationen als Einheiten betrachtend, überall auf die Nationalinteresseu und -Verhältnisse Rücksicht nimmt.
Dagegen leidet dieses System an folgenden Haupt- gebrechen :
1) daß es im allgemeinen den Grundsatz der indu- striellen Erziehung der Nation und die Bedingungen, unter welchen er in Anwendung zu bringen ist, nicht klar erkennt ;
2) daß es demnach Völker, die unter einem den Manu- fakturen ungünstigen Himmelsstrich leben, oder kleine oder unkultivierte Staaten und Völker fälschlich zur Nachahmung des Schutzsystems verleitet;
3) daß es den Schutz zum eigenen Nachteil der Agri- kultur auch auf diese und auf die Rohstoffe überhaupt aus- dehnen will, während doch die Agrikultur durch die Natur der Dinge gegen auswärtige Konkurrenz zureichend be- schützt ist;
4) daß es zum Nachteil der Agrikultur und rechts- widrigerweise die Manufakturen durch Beschwerung der Ausfuhr von Rohstoifen begünstigen will;
*) Steuart sagt B. I. Chap. XXIX : in order lo promote in- dustry a statesman must act, as well as permit, and protect. Could ever the woolen maniifacture haA^e been introduced into France from the consideration of the great advantage England had drawn from it, if the king had not undertaken the support of it, by granting many privileges to the undertakers and by laying strict prohibitions on all foreign cloths? Is there any other way of establishing a new manufacture anywhere?
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5) daß es die zur Manufaktur- und Haudelssuprematie gelangte Nation nicht lehrt, durch Zulassung der freien Konkurrenz auf ihren eigenen Märkten ihre Manufakturisten und Kaufleute gegen Indolenz zu schützen;
6) daß es in ausschließlicher Verfolgung des politischen Zwecks die kosmopolitischen Verhältnisse aller Nationen, die Zwecke der gesamten Menschheit verkennt und demnach die Regierungen verleitet, das Prohibitivsystem in Anwendung zu bringen, wo das Schutzsystem ausreichte, oder einem Ver- bot gleichkommende (468) Zölle aufzulegen, wo mäßige Schutzzölle dem Zweck besser entsprächen; endlich
7) daß es überhaupt infolge der gänzlichen Verkennung des kosmopolitischen Prinzips nicht in der künftigen Union aller Nationen, in der Herstellung des ewigen Friedens und der allgemeinen Handelsfreiheit das Ziel erkennt, nach welchem alle Nationen zu streben und dem sie mehr und mehr sich zu nähern haben.
Die folgenden Schulen aber haben diesem S^'stem fälsch- lich vorgeworfen, daß es die edlen Metalle allein als Gegen- stände des Reichtums betrachte, während sie doch wie alle anderen Dinge von Wert nur eine Ware seien, und daß es darauf ausgehe, möglichst viel an andere Nationen zu ver- kaufen und möglichst wenig von ihnen zu kaufen.
Den ersten Vorwurf betreffend, kann weder von der Colbertschen noch von der englischen Administration seit G-eorg I. behauptet werden, sie hätten einen ungebührlich hohen Wert auf die Geldeiafuhren gelegt. Ihre inneren Manufakturen, ihre eigene Schiffahrt, ihren fremden Handel zu heben war die Tendenz ihrer Handelspolitik, die freilich an manchen Irrtümern litt, die aber im ganzen bedeutende Resultate gewährte. Wir haben gesehen, daß die Engländer seit dem Methuenvertrag (1703) jährlich große Quantitäten edler Metalle nach Ostindien ausführten, ohne diese Ausfuhr für einen Übelstand zu halten.
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Die Minister Georgs I., als sie 1721 die Einfuhr der ostindischen Baumwollen- und Seidenwaren verboten, sagten nicht : es geschehe darum, weil eine Nation soviel als möglich nach dem Ausland verkaufen und sowenig als möglich vom Ausland kaufen müsse — dieser Unsinn wurde dem Industrie- system von einer (469) späteren Schule unterlegt ; sie sagten : es sei klar, daß eine Nation nur durch die Ausfuhr eigener Manufakturwaren und durch die Einfuhr fremder Rohstoffe und Lebensmittel zu Reichtum und Macht gelangen können. Diese Staatsmaxime hat England bis auf den heutigen Tag befolgt, und durch ihre Befolgung ist es reich und mächtig geworden; diese Staatsmaxime aber ist die einzig wahre für eine Nation alter Kultur, die ihren Ackerbau schon auf einen hohen Grad der Entwicklung gebracht hat.
(470) Dreißigstes Kapitel. Das physiokratische Agrikultiirsysteni.
Wäre Colberts großer Versuch geglückt, hätte nicht die Widerrufung des Edikts von Nantes, die Prachtliebe und falsche Ruhmsucht Ludwigs XIV. und die Liederlichkeit und Verschwendung seiner Nachfolger den von Colbert aus- gestreuten Samen im Keim erstickt, wäre demnach in Frank- reich ein reicher Manufaktur- und Handelsstand aufge- kommen, hätte ein günstiges Geschick die Besitzungen der französischen Geistlichkeit dem Bürgertum überliefert, wäre infolge dieser Fortschritte ein kräftiges Unterhaus erstanden und durch den Einfluß desselben die französische Feudal-
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aristokratie roformiert worden: das physiokratische System hätte schwerlich das Licht der Welt erblickt. Offenbar war dieses System ein von den zeitweiligen Zuständen Frank- reichs abstrahiertes, ein bloß für diese Zustände berechnetes.
Zur Zeit seines Aufkommens in Frankreich war der größte Teil von Grund und Boden in den Händen der Geist- lichkeit und des Adels. Bebaut ward er (471) durch einen in der Leibeigenschaft und persönlichen Unterwürfigkeit schmachtenden, in Aberglauben, Unwissenheit, Trägheit und Armut versunkenen Bauernstand. Nur eitlen Dingen nach- jagend, hatten diejenigen, in deren Eigentum sich die pro- duktiven Instrumente befanden, weder Sinn noch Interesse für den Ackerbau; die aber den Pflug führten, besaßen weder die geistigen noch die materiellen Mittel zu Agri- kulturverbesserungen. Verstärkt ward der Druck der Feudal- institutionen auf die Agrikulturproduktion durch die uner- sättlichen Anforderungen der Monarchie an die Produzenten, die um so unerschwinglicher waren, als Adel und Geist- lichkeit Steuerfreiheit behaupteten. Unmöglich konnten unter solchen Umständen die wichtigsten Gewerbe, diejenigen nämlich, welche auf die Produktion des inneren Ackerbaues und auf die Konsumtion der großen Masse der Bevölkerung basiert sind, gedeihen; nur diejenigen vermochten sich zu erheben, welche Luxusgegenstände für die bevorrechteten Klassen produzierten. Der auswärtige Handel war be- schränkt durch die Unfähigkeit der materiellen Produzenten, große Quantitäten von Produkten der heißen Zone zu kon- sumieren und sie mit ilu-em Produktenüberfluß zu bezahlen; den inneren Handel erdrückten Provinzialdouanen.
Bei solchen Verhältnissen konnte nichts natürlicher sein, als daß denkende Männer bei ihren Forschungen nach den Ursachen der herrschenden Armut und Not zur Über- zeugung gelangten, der Nationalwohlstand könne unmöglich gedeihen, solange der Ackerbau von jenen Fesseln nicht be-
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freit sei, solange die Grimcl- und Kapitalbesitzer sich nicht für den Ackerbau interessierten, solange der Bauernstand in persönlicher Unterwürfigkeit, in Aberglauben, Trägheit und Unwissenheit versunken (472) bleibe, solange die Ab- gaben nicht vermindert und gleichheitlich verteilt würden, solange die inneren Handelsbeschränkungen beständen und der auswärtige Handel nicht blühe.
Allein diese denkenden Männer waren Ärzte des Mon- archen und des Hofes, Günstlinge, Vertraute und Freunde des Adels und der Geistlichkeit, sie konnten und wollten gegen die absolute Gewalt so wenig als gegen den Adel und den Klerus einen offenen Feldzug unternehmen. Es blieb ihnen somit nur das Auskunftsmittel, ihren Reform- plan in das Dunkel eines tiefsinnigen S^^stems zu hüllen, wie früher und später politische und religiöse Reformations- ideen in das Gewand philosophischer Systeme gehüllt worden sind. Den Philosophen ihrer Zeit und ihres Landes folgend, welche bei der totalen Zerrüttung der nationalen Zustände Frankreichs auf dem weiten Gebiete der Philan- thropie und des Kosmopolitismus Trost suchten, ungefähr wie ein Hausvater aus Verzweiflung über die Zerrüttung seines Hauswesens in der Schenke Zerstreuung sucht, ver- fielen die Physiokraten auf das kosmopolitische Prinzip der Handelsfreiheit als auf eine Panacee, wodurch alle herr- schenden Übel zu heilen seien. Als sie diesen Richtpunkt in der Höhe gefunden hatten, gruben sie in die Tiefe und fanden in dem „Revenu nef des Bodens eine ihren Vor- stellungen entsprechende Basis. Sofort folgte der Einbau des Systems: „der Boden allein gibt reines Einkommen, der Ackerbau ist also die einzige Quelle des Reichtums,'' ein Satz, aus dem herrliche Folgerungen zu ziehen waren: einmal mußte das Feudalwesen stürzen und zwar zugunsten der Grundbesitzer selbst, sodann durften alle Abgaben auf den Boden gelegt werden, als auf die Quelle alles (473)
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Reichtums — es fiel also die Steuerfreiheit des Adels und der Geistlichkeit; endlich waren die Manufakturisten eine unproduktive Klasse, die keinerlei Abgaben zu entrichten, aber auch keine Ansprüche auf Staatsschutz zu machen hatten — damit fiel auch die Douane.
Kurz, man kam vermittels der unsinnigsten Argumente und Behauptungen dahin, die großen Wahrheiten zu be- weisen, die man zu beweisen sich vorgenommen hatte.
Von der Nation, von den nationalen Zuständen und Verhältnissen, anderen Nationen gegenüber, konnte nicht mehr die ßede sein, denn — die Encyclopedie methodique beweist es — „die Wohlfahrt des Individuums ist durch die Wohlfahrt der gesamten Menschheit bedingt." — Hier gab es also keine Nation, keinen Krieg, keine fremden Handelsmaßregeln ; Geschichte und Erfahrung mußten ignoriert oder entstellt werden.
Der größte Vorteil bei diesem System war, daß man das Ansehen gewann, als kämpfe man gegen das Colbert- sche System und die Privilegien der Manufakturisten zu- gunsten der Grundbesitzer, während die Streiche doch haupt- sächlich den Vorrechten der letzteren galten. Der arme Colbert sollte alle Schuld der Verkümmerung des fran- zösischen Ackerbaues tragen, während doch jedermann wußte, daß Frankreich erst seit Colbert eine große Industrie besaß, und der gemeinste Menschenverstand begriff, daß die Manufakturen das Hauptmittel sind, Ackerbau und Handel emporzubringen.
Die Widerrufung des Edikts von Nantes, die leicht- fertigen Kriege Ludwigs XIV,, die Verschwendung Lud- wigs XV. wurden gänzlich ignoriert.
(juesnay hat in seineu Schriften die Einwendungen, die gegen sein System erhoben wurden, Punkt für Punkt (474) angeführt und widerlegt: man erstaunt über die Masse ge- sunden Menschenverstandes, die er seinen Gegnern in den
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Mund legt, und über die Masse mystischen Unsinns, die er als eigenes Räsonnement jenen Einwürfen gegenüberstellt. Gleichwohl ward all dieser Unsinn von den Zeitgenossen des Reformators als Weisheit hingenommen, weil die Ten- denz seines Systems den zeitweiligen Verhältnissen Frank- reichs und der phiiantropischen und kosmopolitischen Rich- tung des Jahrhunderts entsj^rach.
(475) Einunddreißigstes Kapitel. Das Tauschwertsystem,
(von der Schule talschlich Indus triesystem genannt.)
Adam Smith.
Adam Smiths Lehre ist in Beziehung auf die nationalen und internationalen Verhältnisse eine bloße Fortsetzung des physiokratischen Systems. Gleich diesem ignoriert sie die Natur der Nationalitäten, schließt sie die Politik und die Staatsgewalt fast gänzlich aus, setzt sie den ewigen Frieden und die Universalunion als bestehend voraus, verkennt sie den Wert einer nationalen Manufakturkraft und die Mittel, dazu zu gelangen, verlangt sie absolute Handelsfreiheit.
Auch ist Adam Smith ganz auf demselben Wege, den vor ihm die Physiokraten einschlugen, in diese Grundirr- tümer geraten, nämlich dadurch, daß er die absolute Frei- heit des internationalen Handels als eine Forderung der Vernunft betrachtete und der geschichtlichen Entwicklung dieser Idee nicht auf den Grund forschte.
Dugald Steward, Adam Smiths geistreicher Bio- graph, berichtet uns: Smith habe schon 21 Jahre vor der
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Erscheinung seines Werkes (1776), nämlich im (476) Jahr 1755, in einer literarischen Gesellschaft die Priorität der Idee der allgemeinen Handelsfreiheit mit folgenden Worten in Anspruch genommen : „der Mensch wird gewöhnlich von Staatsmännern und Projektenmachern als das Material einer Art politischen Handwerks betrachtet. Die Projektenmacher stören die Natur in ihren Operationen auf die menschlichen Angelegenheiten, während man sie doch nur sich selbst überlassen und frei wirken lassen darf, damit sie ihre End- zwecke erreiche. Um einen Staat aus der niedrigsten Bar- barei auf die höchste Stufe des Keichtums zu erheben, be- darf es nur des Friedens, mäßiger Auflagen und einer guten Rechtspflege; alles übrige folgt im natürlichen Lauf der Dinge von selbst. Alle Kegierungen, welche diesem natürlichen Lauf sich entgegenstellen, welche die Kapitale in andere Kanäle leiten oder die Fortschritte der Gesell- schaft in ihrem Lauf aufhalten wollen, handeln der Natur zuwider und werden, um sich zu halten, unterdrückerisch und tyrannisch."
Von dieser Grundansicht ist Adam Smith ausgegangen, und alle seine späteren Arbeiten hatten nur zum Zweck, sie zu beweisen und ins Licht zu stellen. Bestärkt ward er später in dieser Ansicht durch Quesnay, Turgot und die übrigen Koryphäen der ph^'^siokratischen Schule, deren Be- kanntschaft er im Jahr 1765 auf einer Reise nach Frankreich gemacht hatte.
Offenbar schätzte Smith die Idee der Handelsfreiheit als einen geistigen Fund, der seinen literarischen Ruhm be- gründen sollte. Wie natürlich also, daß er in seinem Werk alles zu entfernen und zu widerlegen suchte, was dieser Idee sich in den AVeg stellte, daß er sich als den Anwalt der absoluten (477) Handelsfreiheit betrachtete und in diesem Geist dachte und schrieb.
Wie war bei so vorgefaßten Ansichten zu erwarten,
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Smith werde die Dinge und die Menschen, die Geschichte und die Statistik, die politischen Maßregeln und ihre Ur- heber anders beurteilen, als je nachdem sie seinem Grrund- prinzip entsprächen oder widersprächen?
In der oben von Dugald Steward angeführten Stelle ist das ganze System Adam Smiths in nuce enthalten. Die Staatsgewalt kann und soll nichts tun als Recht sprechen lassen und möglichst wenig Abgaben erheben. Staats- männer, welche trachten, eine Manufakturkraft zu pflanzen, die Schiffahrt emporzubringen. den auswärtigen Handel zu befördern, ihn durch die Seemacht zu schützen und Ko- lonien anzulegen oder zu erwerben, sind ihm Projekteu- macher, die nur die Fortschritte der Gesellschaft aufhalten. Es existiert für ihn keine Nation, sondern nur eine Gesell- schaft, d. h. zusammenlebende Individuen. Die Indinduen wissen selbst am besten, welche Nahrungszweige für sie die vorteilhaftesten sind, und sie werden für sich selbst am besten die zu ihrem Wohlstand führenden Mittel wählen.
Diese völlige Nullifizierung der Nationalität und der Staatsgewalt, diese Erhebung der Individualität zum Urheber aller schaffenden Kraft konnte nur plausibel gemacht werden? indem man nicht die schaffende Kraft, sondern das Ge- schaffene, den materiellen Reichtum, oder vielmehr nur den Wert, den das Geschaffene im Tausch hat, zum Hauptgegen- stand der Forschungen machte. Dem Individualismus mußte der Materialismus zur Seite gestellt werden, um die (478) un- ermeßlichen Summen von Kräften zu verdecken, welche den Individuen aus der Nationalität, der Nationaleinheit und der nationalen Konföderation der produktiven Kräfte erwachsen. Man mußte eine bloße Theorie der Werte als National- ökonomie geltend machen, weil nur die Individuen Werte hervorbringen und weil der Staat, unfähig, Werte zu schaffen, seine Wirksamkeit bloß auf die Hervorrufung, Beschützung und Beförderung der produktiven Kräfte der Individuen be-
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schränken muß. In dieser Kombination stellt sich die Quint- essenz der politischen Ökonomie folgendermaßen dar: der Reichtum besteht im Besitz von Tauschwerten. Tauschwerte werden hervorgebracht durch die individuelle Arbeit in Ver- bindung mit der Naturkraft und den Kapitalien. Vermittels der Teilung der Arbeit wird die Produktivität derselben ver- mehrt. Die Kapitale bilden sich durch Sparsamkeit — da- durch daß die Produktion die Konsumtion übersteigt. Je größer die Summe der Kapitale, desto größer die Teilung der Arbeit, also die Produktionsfähigkeit. Das Privatinteresse ist der beste Sporn zur Arbeit und zur Sparsamkeit. Die höchste Weisheit der Staatsgewalt besteht also darin: der Privattätigkeit kein Hindernis in den Weg zu legen und bloß für die Rechtssicherheit zu sorgen. Torheit ist es also, die Staatsangehöi^igen durch Staatsmaßregeln zu zwingen, das- jenige selbst zu produzieren, w^as sie wohlfeiler vom Ausland beziehen könnten.
Ein so konsequentes, den Reichtum in seine Elemente auflösendes, den Prozeß der Reichtumsproduktion so sonnen- klar darlegendes, die Irrtümer der früheren Schulen scheinbar so gründlich nachweisendes System mußte in Ermangelung eines anderen notwendig (479) Eingang finden. Der Fehler war nur, daß das System im Grunde genommen nichts anderes war als ein System der Privatökonomie aller Individuen eines Landes oder auch des ganzen menschlichen Geschlechts, wie sie sich bilden und gestalten würde, wenn es keine besonderen Staaten, Nationen und Nationalinteressen, keine besonderen Verfassungen und Kulturzustände, keine Kriege und Nationalleidenschaften gäbe; daß es nichts anderes war als eine Theorie der Werte, eine Kontor- oder Kaufmannstheorie, nicht eine Lehre, wie die produktiven Kräfte einer ganzen Nation zum besonderen Vorteil ihrer Zivilisation, ihres Wohlseins, ihrer Macht, ihrer
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Fortdauer und Unabhängigkeit geweckt, vermehrt, erhalten und bewahrt werden.
Dieses System betrachtet alles aus dem Gesichtspunkt des Kaufmanns. Der Wert der Dinge ist ihm ßeichtum, es will nur Werte gewinnen. Die Pflanzung der produktiven Kräfte überläßt es dem Zufall, der Natur oder unserem lieben Herrgott, wie man will ; nur der Staat soll nichts damit zu tun haben, nur die Politik soll sich nicht in das Wertauf- häufungsgeschäft mischen. Es will da kaufen, wo es die Waren am wohlfeilsten haben kann; daß die Einfuhren die inneren Fabriken ruinieren, tut nichts. Setzen fremde Nationen eine Ausfuhrprämie auf ihre Manufakturwaren — um so besser, es kauft um so wohlfeiler. Nur diejenigen, welche Tauschwerte produzieren, sind ihm produktiv. Wohl be- merkt es, wie die Teilung der Arbeit im Detail die Ge- schäfte fördert, aber von der Teilung der Arbeit im natio- nalen Maßstab sieht es nichts. Nur durch individuelle Spar- samkeit vermehrt es die Kapitale, (480) und nur nach Maßgabe seiner Kapital Vermehrung kann es seine Geschäfte ausdehnen; auf die Vermehrung der Produktivkraft, infolge des Aufkommens der inneren Fabriken und des daraus er- wachsenden auswärtigen Handels und der Nationalmacht, legt es keinen Wert. Was in Zukunft aus der ganzen Nation werden wird, kann ihm gleichgültig sein, wenn nur die Privatleute an Tauschwerten gewinnen. Es kennt nur die Laudrente, keinen Wert der Ländereien ; es sieht nicht, daß der größte Teil des Reichtums einer Nation in den Werten ihrer Läudereien und ihres liegenden Eigentums besteht. Um den Einfluß des auswärtigen Handels auf den Wert und Preis der Ländereien und um die dadurch entstehenden Fluktuationen und Kalamitäten kümmert es sich ganz und gar nicht. Kurz, dieses S^'stem ist das strengste und konse- quenteste Merkantils^'stem, und es ist unbegreiflich, wie man diese Benennung dem System Colberts beilegen
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konnte, welches doch seiner Haupttendenz nach ein Industrie- system, d. h. ein System ist, das, ohne Rücksicht auf den gegenwärtigen Gewinn oder Verlust an Tauschwerten, nur die Pflanzung einer nationalen Industrie, eines nationalen Handels im Auge hat.
Damit wollen wir jedoch keineswegs die großen Ver- dienste Adam Smiths in Abrede stellen. Er zuerst führte die analytische Methode mit Erfolg in die politische Ökonomie ein. Vermittels dieser Methode und eines un- gewöhnlichen Grades von Scharfsinn brachte er Licht in die wichtigsten Zweige der Wissenschaft, die früher fast ganz im Dunkeln lagen. Vor Adam Smith gab es nur eine Praxis; erst durch seine Arbeiten ist es möglich geworden, eine Wissenschaft der politischen Ökonomie zu bilden, und er hat (481) dazu eine größere Masse von Materialien geliefert als alle seine Vorgänger und Nachfolger.
Allein in derselben Eigentümlichkeit seines Geistes, wo- durch er in Analysierung der einzelnen Bestandteile der politischen Ökonomie so Bedeutendes leistete, lag auch der Grund, daß er das Ganze der Gesellschaft nicht übersah, daß er das Einzelne nicht zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden vermochte, daß er vor lauter Individuen die Nation nicht gewahr wurde, daß er vor lauter Sorgfalt für die freie Tätigkeit der einzelnen Produzenten die Zwecke der ganzen Nation aus dem Gesicht verlor. Er, der die Vorteile der Teihmg der Arbeit in der einzelnen Fabrik so klar erkennt, sieht nicht, daß dasselbe Prinzip auf ganze Provinzen und Nationen mit gleicher Stärke anwendbar ist.
Mit diesem Urteil steht in vollkommenem Einklang, was Dugald Steward von ihm sagt. Einzelne Charakterzüge konnte Smith beurteilen, und zwar mit dem ungewöhnlichsten Scharfsinn; fällte er aber ein Urteil über das Ganze eines Charakters oder eines Buches, so konnte man nicht genug erstaunen über die Einseitigkeit und Scliiefheit seiner An-
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sichten. Ja, er wußte nicht einmal den Charakter derjenigen, mit welchen er viele Jahre lang in der vertrautesten Freund- schaft gelebt hatte, richtig zu würdigen. „Das Gemälde," sagt sein Biograph, „war immer lebendig und ausdrucksvoll und hatte eine starke Ähnlichkeit mit dem Original, wenn man es unter einem gewissen Gesichtspunkte damit verglich, gab aber nie davon eine richtige und vollständige Vorstellung nach allen Dimensionen und Verhältnissen."
(482) Zweiunddreißigstes Kapitel.
(Portsetzung.)
Jean Baptiste Say und seine Schule.
Im ganzen hat dieser Autor nur die von Adam Smith ordnungslos aufgehäuften Materialien in ein System zu bringen, sie zu verdeutlichen und zu popularisieren gestrebt, was ihm auch vollkommen gelungen ist, indem er die Gabe des Systematisierens und der Darstellung in hohem Grade be- saß. Neues und Originelles findet sich in seinen Schriften nicht, ausgenommen daß er die von Adam Smith den geistigen Arbeiten abgesprochene Produktivität für dieselben reklamiert. Allein diese nach der Theorie der produktiven Kräfte sehr richtige Ansicht steht im Widerspruch mit der Tauschwerts- theorie, und ofTenbar ist Smith sich konsequenter als Say. Die geistigen Arbeiter produzieren unmittelbar keine Tausch- werte, sie vermindern vielmehr zunächst durch ihre Kon- sumtion die Summe der materiellen Erträgnisse und Erspar- nisse, folglich des materiellen Eeichtums. Auch ist der Grund, weshalb Say den geistigen Arbeiten von seinem Standpunkt aus Produktivität zuschreiben will, daß sie näm-
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lieh in Tauschwerten (483) belohnt werden, ein ganz nichtiger, denn diese Werte sind schon produziert, ehe sie in die Hände der geistigen Arbeiter übergehen; sie wechseln nur den Besitzer; ihre Quantität wird durch diesen Wechsel nicht vermehrt. Produktiv kann man die geistigen Arbeiter nur dann nennen, wenn man die produktiven Kräfte der Nation, nicht aber den Besitz von Tauschwerten als Nationalreichtum betrachtet. Say befand sich in dieser Beziehung Smith gegen- über in derselben Lage, in welcher sich Smith den Physio- kraten gegenüber befunden hatte. Um den Manufakturisten Produktivität zuzuschreiben, mußte Adam Smith den Begriff des Reichtums erweitern, und Say an seinem Teil hatte keine andere Wahl, als den Unsinn, daß die geistigen Ar- beiter nicht produktiv seien, zu adoptieren, wie er ihm von Adam Smith überliefert worden war, oder den Begriff des Nationalreichtums zu erweitern, wie er von Adam Smith den Physiokraten gegenüber erweitert worden ist, nämlich ihn auf die produktive Kraft auszudehnen und zu sagen : der Nationalreichtum besteht nicht in dem Besitz von Tausch- werten, sondern in dem Besitz von produktiver Kraft, wie der Reichtum eines Fischers nicht in dem Besitz von Fischen, sondern in der Fähigkeit und in den Mitteln besteht, fort- während sein Bedürfnis an Fischen zu fangen.
Es ist bemerkenswert und soviel wir wissen, nicht all- . gemein bekannt, daß Jean Baptiste Say einen Bruder hatte, dessen schlichter, gesunder Menschenverstand der Fehler- haftigkeit der Werttheorie klar auf den Grund sah, und daß J. B. Say selbst gegen den zweifelnden Bruder Zweifel an der Richtigkeit seiner eigenen Lehre aussprach.
(484) Louis Say von Nantes meinte: in der politischen Ökonomie sei eine Terminologie herrschend geworden, womit man viel falsches Spiel treibe, und sein Bruder selbst sei nicht frei davon.*) Nach seiner Meinung besteht der Reich-
*) Louis Say, Etudes svu- la richesse des nations. Preface, p. IV.
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tum der Nationen nicht in den materiellen Gütern und in ihrem Tauschwert, sondern in der Fähigkeit, diese Grüter fortwährend zu produzieren. Smiths und J. B. Says Tauschwertstheorie betrachten den Reichtum bloß aus dem beschränkten Gesichtspunkt eines Kaufmanns, und dieses System, welches das sogenannte jVIerkantilsystem refor- mieren wolle, sei selbst nichts anderes als ein beschränktes Merkantilsystem.*) Auf diese Zweifel und Einwürfe erwiderte J. Baptiste dem Bruder, „seine (J. Baptiste's) Methode (Methode?!), die Tauschwertstheorie nämlich, sei allerdings nicht die beste, die Schwierigkeit bestehe aber darin, eine bessere zu finden."**)
(485) Wie? eine bessere zu finden? Hatte denn nicht Bruder Louis sie gefunden ? Nein ! die Schwierigkeit be- stand offenbar darin, daß man nicht Scharfsinn genug be- saß, die von dem Bruder freilich nur im allgemeinen aus- gesprochene Idee aufzufassen und zu entwickeln, oder auch wohl darin, daß man die schon gestiftete Schule nicht wieder auflösen und geradezu das Gegenteil von dem lehren wollte, wodurch man Celebrität erlangt hatte.
*) Folgendes sind die eigenen Worte Louis Says, p. 10: „la richesse ne consiste pas dans les choses qui satisfont nos besoins ou nos goüts, mais dans le pouvoir d'en jouir annuelle- ment." Ferner p. 14 ä 15: „le faux Systeme mercantile, fonde sur la richesse en metaux precieux, a ete remplace par un autre, fonde- sur la richesse en valeurs venales ou echangeables, qui consiste ä n'evaluer ce qui compose la richesse d'une nation que comme le fait un raarchand." Note p. 14: Tecole moderne qui röfüte le systt?rae mercantile, a elle-meme cree un systfeme qui lui-meme doit etre appelc le Systeme mercantile.
**) Ibid. p. 36 Worte J. B. Says: que cette methode etait loin d'etre bonne, mais que la difficulte etait d'en trouver une meilleure.
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Eigen ist Say an seinen Schriften nur die Form des Systems, daß er nämlich die politische Ökonomie als die Lehre darstellte, wie die materiellen Reichtümer produziert, verteilt und konsumiert werden. Mit dieser Einteilung allein und mit ihrer Durchführung hat Say sein Glück und seine Schule gemacht. Kein Wunder; denn es war hier alles mit Händen zu greifen, so klar und faßlich wußte Say den speziellen Produktionsprozeß und die darin beschäftigten individuellen Kräfte darzustellen, so deutlich machte er innerhalb seines beschränkten Kreises das Prinzip der Teilung der Arbeit, so anschaulich erklärte er den Handel der Individuen. Jeder Töpfer, jeder Krämer konnte ihn verstehen, um so besser verstehen, je weniger Herr J. B. Say ihm Neues und Unbekanntes sagte. Denn daß bei dem Töpfer Hände und Geschicklichkeit (Arbeit) mit dem Ton (Naturstoff) in Verbindung gesetzt werden müssen, um vermittels der Drehscheibe, des Brennofens und Brennholzes usw. (Kapital) Töpfe (wertvolle Produkte, Tauschwerte) hervorzubringen, das war denn doch einem ehrsamen Töpferhandwerk schon früher bekannt gewesen, nur vermochte man nicht, diese Dinge mit Kunstausdrücken zu bezeichnen und sie vermittels derselben zu generali- sieren. Auch mag es wohl selten irgendwo Krämer ge- geben haben, die nicht vor (486) J. B, Say gewußt hätten, daß b5i dem Tausch beide Teile an Tauschwert gewinnen können und daß, wer für 1000 Taler Wert an Waren außer Landes schickt und 1500 Taler an Wert dafür vom Aus- land zurückempfängt, 500 Taler gewinnt. Bekannt war schon früher, daß Arbeit bereichert und Trägheit an den Bettelstab bringt, daß der Privateigennutz der mächtigste Sporn zur Tätigkeit ist und daß man, um junge Hühner zu bekommen, die Eier nicht essen darf. Gewußt hatte man freilich früher nicht, daß alles dieses politische Ökonomie sei, aber man war erfreut, mit so leichter Mühe in die
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tiefsten Geheimnisse der Wissenschaft eingeweiht zu werden, dabei die verhaßten Zölle, die unsere liebsten Genüsse so sehr verteuern, los zu werden und noch den ewigen Frieden, Weltbrüderschaft, das tausendjährige Reich in den Kauf zu bekommen. Auch ist gar nicht zu verwundern, daß so viele Gelehrte und Staatsbeamte sich in die Reihe der Smith- Sayschen Bewunderer stellten ; denn das Prinzip des Machenlassens und Gehenlassens erforderte nur bei denen, die es zuerst auf die Bahn brachten und durch- führten, einigen Aufwand an Scharfsinn — die ihnen nach- folgenden Schriftsteller hatten nichts zu tun, als das Argu- ment zu wiederholen, auszuschmücken, zu verdeutlichen ; wer aber sollte nicht den Wunsch und die Fähigkeit haben, ein großer Staatsmann zu sein, wenn man nichts zu tun hat, als die Hände in den Schoß zu legen?
Es ist eine eigene Sache mit den Systemen ; man braucht nur die ersten Sätze zuzugeben, man darf nur einige Kapitel hindurch gläubig und vertrauensvoll an der Hand des Autors wandeln, und man ist verloren. Sagen wir also Herrn Jean Baptiste Say von vorne (487) herein, daß politische Ökonomie uns nicht diejenige Wissen- schaft sei, welche einzig und allein lehre, wie die Tausch- werte von den Individuen produziert, unter sie verteilt und von ihnen konsumiert werden; sagen wir ihm, daß der Staatsmann überdies auch noch wissen wolle und Vissen müsse : wie die produktiven Kräfte einer ganzen Nation ge- weckt, vermehrt und geschützt und wodurch sie geschwächt oder eingeschläfert oder gar getötet Averden, und wie ver- mittels der Nationalproduktivkräfte die Nationalhilfsquellen am besten und zweckmäßigsten ausgebeutet werden, um Nationalexistenz, Nationalunabhängigkeit, Nationalprosperität, Nationalstärke, Nationalkultur und Nationalzukunft zu pro- duzieren.
Dieses System ist von dem Extrem, daß der Staat alles
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regulierea könne und müsse, zu dem entgegengesetzten Ex- trem übergesprungen, daß er nichts wirken könne und dürfe, und daß das Individuum alles und der Staat nichts sei. Die Meinung des Herrn Say von der Allmacht der Indi- viduen und der Impotenz des Staats geht bis ins Lächer- liche. Wo er nicht umhin kann, die Wirksamkeit Colberts für die industrielle Erziehung Frankreichs zu loben, ruft er aus: „kaum wäre den Privatpersonen ein so hoher Grad von Weisheit zuzutrauen!"
Wenden wir uns vom System zum Autor, so sehen wir in ihm einen Mann, der ohne umfassende Kenntnis der Ge- schichte, ohne gründliche Einsichten in die Staatswissen- schaften und in die Staatsadministration, ohne politischen oder philosophischen Blick, bloß mit einer einzigen von einem anderen adoptierten Idee im Kopfe, die Geschichte, die Politik, die Statistik, die Handels- und Gewerbsverhält- nisse durchwühlt, um (488) einzelne Beweise und Tat- sachen aufzufinden, die ihm dienen können, und sie zu seinem Gebrauch zuzustutzen. Man lese seine Ansichten über die Navigationsakte, den Methueu vertrag, das Colbert- sche System, den Edenvertrag usw., und man wird dieses Urteil bestätigt finden. Die Handels- und Gewerbsgeschichte der Nationen im Zusammenhang zu verfolgen, ist ihm nicht eingefallen. Daß Nationen unter dem Douanenschutz reich und mächtig geworden, gesteht er ein, allein nach seiner Meinung ist dies trotz und nicht infolge des Schutzes geschehen, und er verlangt von uns, wir sollen ihm diese Behauptung aufs Wort glauben. Die Holländer, behauptet er, seien dadurch,- daß ihnen Philipp IL die portugiesischen Häfen verboten, veranlaßt worden, mit Ostindien direkt zu verkehren ; als ob ein solches Verbot durch das Schutz- system gerechtfertigt würde, als ob die Holländer nicht auch ohne jenes Yerbot ihren Weg nach Ostindien gefunden hätten. Mit der Statistik und Politik lebt Herr Say noch
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mehr im Unfriedea als mit der Geschichte, ohne Zweifel, weil jene die unbequemen Tatsachen produziert, „die sich so oft gegen sein System rebellisch bewiesen", und weil er von dieser gar nichts versteht. Er kann nicht aufhören, vor den Trugschlüssen zu warnen, wozu statistische Tat- sachen verleiten könnten, und in Erinnerung zu bringen, daß die Politik nichts mit der politischen Ökonomie zu tun habe, was ungefähr klingt, wie wenn man behaupten wollte, das Zinn könne bei Betrachtung eines zinnernen Tellers nicht in Berücksichtigung kommen.
Erst Kaufmann, dann Fabrikant, dann verunglückter Politiker, griff Say zur politischen Ökonomie, wie man zu einem neuen Unternehmen greift, wenn das (489) alte nicht mehr gehen will. "Wir haben sein eigenes Geständnis dafür, daß er anfänglich im Zweifel stand, ob er zum sogenannten Merkantilsystem oder zum System der Handelsfreiheit sich bekennen wolle. Haß gegen das Kontinentalsystem, das ihm seine Fabrik zer- störte, und gegen dessen Urheber, der ihn aus dem Tribunat verstoßen hatte, bestimmte ihn, die Partei der absoluten Handelsfreiheit zu ergreifen.
Das "Wort Freiheit, in welcher Verbindung es genannt werde, bat seit 50 Jahren eine bezaubernde Wirkung in Frankreich. Dazu kam, daß Say unter dem Kaiserreich wie unter der Restauration der Opposition angehörte und daß er unaufhörlich Sparsamkeit predigte. So wurden seine Schriften aus ganz anderen Gründen als wegen ihres inneren Gehalts populär. Oder wäre es sonst begreiflich, daß diese Popu- larität nach dem Fall Napoleons noch fortdauerte, zu einer Zeit, wo die Befolgung seines Systems die französischen Manufakturen unfehlbar ruiniert haben würde? Sein steifes Beharren auf dem kosmopolitischen Prinzip unter solchen Umständen beweist, welchen politischen Blick der Mann hatte. "Wie er die "Welt kannte, davon zeugt sein fester
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Glaube an die kosmopolitischen Tendenzen Cannings und Huskissons. Seinem Ruhm fehlte nur, daß ihm nicht Ludwig XVIII. oder Karl X. das Ministerium des Handels und der Finanzen übertrug. Ohne Zweifel hätte dann fortan die Geschichte seinen Namen neben Colbert genannt — diesen als Schöpfer der Nationalindustrie, ihn als ihren Zerstörer.
Nie hat ein Schriftsteller mit so geringen Mitteln einen so großen wissenschaftlichen Terrorismus ausgeübt wie J. B. Say; der leiseste Zweifel an der Unfehlbarkeit (490) seiner Lehre ward mit dem Brandmal des Obskurantismus gebüßt, und selbst Männer wie Chaptal fürchteten die Bann- strahlen dieses politisch- ökonomischen Papstes. Das "Werk Chaptals über die französische Industrie von Anfang bis zu Ende ist nichts anderes als eine Darstellung der Wirkungen des französischen Schutzsystems; er sagt dies ausdrücklich, er spricht es offen aus, daß unter den gegenwärtigen Welt- verhältnissen nur unter dem Schutzsystem für Frankreich Heil zu hoffen sei. Gleichwohl sucht Chaptal, im Wider- spruch mit der ganzen Tendenz seines Buches, durch eine Lobrede auf die Handelsfreiheit sich für seine Ketzerei Ver- zeihung von der Say sehen Schule zu erschmeicheln. Bis auf den Index ahmte Say das Papsttum nach. Zwar prohibierte er ketzerische Schriften nicht namentlich; aber er ist noch strenger, er prohibiert alle, die Nichtketzer wie die Ketzer; er warnt die politisch- ökonomische Jugend, nicht zu viele Bücher zu lesen, sie möchte gar zu leicht auf Irrwege geraten; nur wenige, aber gute Bücher sollte sie lesen, d. h. mit anderen Worten: „mich nur und den Adam Smith sollt ihr lesen, keinen anderen". Daß aber von der Anbetung der Jünger kein gar zu großer Anteil auf den verewigten Vater der Schule kam, dafür hatte sein Statt- halter und Dolmetscher auf Erden gesorgt; denn nach Say sind Adam Smitlis Bücher voll Konfusion, Unvollkommen-
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heit und Widerspruch, und deutlich gibt er zu verstehen, daß man nur von ihm lernen könne, „wie man den Adam Smith zu lesen habe".
Gleichwohl erhoben sich, als Say auf dem Zenith seines Kuhmes stand, junge Ketzer, welche die Basis seines Systems so wirksam und so keck angegriifen, daß er vorzog, sie privatim zurechtzuweisen und der (491) öffentlichen Dis- kussion sanftmütig auszuweichen; darunter war Tanneguy du Chätel, nachher und jetzt wiederum Minister, der heftigste und der genialste. „Selon vous, mon eher critique," sagte Say Herrn du Chutal in einer Privatzuschrift, „il ne reste plus dans mon economic politique que des actions sans motifs, des faits sans exphcation, une chaine de rapports dont les extremites manquent et dont les anneaux les plus iraportants sont brises. Je partage donc l'infortune d'Adam Smith dont un de nos critiques a dit qu'il avait fait retro- grader l'economie politique." *)
In einer Nachschrift zu diesem Brief bemerkt er sehr naiv : „dans le second article que vous annoncez, il est bien inutile de revenir sur cette polemique, par laquelle nous pouvions bien ennuyer le public."
Jetzt ist die Smith-Saysche Schule aufgelöst in Frank- reich, und der strengen und geistlosen Herrschaft der Tausch- wertstheorie ist eine Revolution und eine Anarchie gefolgt, die weder Hr. Rossi noch Hr. Blanqui zu beschwören ver- mag. Die Saint-Simonisten und Fourrieristen, mit bedeutenden Tale"nten an der Spitze, anstatt die alte Lehre zu reformieren, haben sie ganz auf die Seite geworfen und sich ein utopisches System erbaut. Erst in der neuesten Zeit haben die geni- alsten von ihnen das Verhältnis ihrer Lehre zu der früheren
*) Saj', Cours coniplet d'economie politique pratique, VII. 378.
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Schule zu ermittel Q und ihre Ideen mit den bestehenden Zuständen in Verbindung zu setzen gesucht. Von ihren Arbeiten, namentlich von denen des talentvollen Michel Chevalier, ist Bedeutendes zu erwarten. Was diese (492) neuen Lehren "Wahres und in unseren Tagen Anwendbares enthalten, ist zumeist aus dem Prinzip der Konföde- ration und derHarmonie der produktiven Kräfte zu erklären. Vernichtung der individuellen Freiheit und Selbständigkeit ist ihre schwache Seite; bei ihnen geht das Individuum gänzlich in der Gesellschaft auf, im direkten Gegensatz zu der Tauschwertstheorie, in welcher das Indi- viduum alles und der Staat nichts sein soll. Es mag sein, daß die Tendenz des Weltgeistes auf Verwirklichung von Zuständen gerichtet ist, wie diese Sekten sie träumen oder ahnen; jedenfalls aber glaube ich, daß er sich eine lange Reihe von Jahrhunderten dazu nehmen wird, sie zu ermög- lichen. Es lebt kein Sterblicher, dem gegeben wäre, die Fortschritte künftiger Jahrhunderte in den Erfindungen und in den gesellschaftlichen Zuständen zu ermessen. Vermochte doch selbst ein Platonischer Geist nicht zu ahnen, daß nach Verlauf von Jahrtausenden die Sklaven der Gesellschaft von Eisen, Stahl und Messing fabriziert werden würden ; konnte doch selbst ein Ciceronischer Geist nicht voraussehen, daß die Buchdruckerpresse die Ausdehnung des Repräsentativ- systems auf ganze Reiche, ja vielleicht auf ganze Weltteile und auf das ganze menschliche Geschlecht ermöglichen werde. Wenn indessen auch einzelnen großen Geistern gegeben ist, einzelne Fortschritte künftiger Jahrtausende zu ahnen, wie Christus die Abschaffung der Sklaverei geahnt hat, so ist doch jedem Zeitalter seine besondere Aufgabe gestellt. Die Auf- gabe dessen, in welchem wir leben, scheint aber nicht die zu sein, die Menschheit in Fourriersche Phalausteren zu zer- bröckeln, um die Individuen in ihren geistigen und körper- lichen Genüssen möglichst gleichzustellen, sondern die —
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die produktive (493) Kraft, die geistige Kultur, die politischen Zustände und die Macht ganzer Nationalitäten zu vervoll- kommnen und sie durch möglichste Gleichstellung zur Uni- versalunion vorzubereiten. Denn zugegeben, daß unter den gegenwärtigen Weltverhältnissen durch jene Phalanstere der von ihren Aposteln beabsichtigte — der zunächst liegende Zweck erreicht würde: wie würden sie auf die Macht und Selbständigkeit der Nation wirken? Und würde die in Phalanstere zerbröckelte Nation nicht Gefahr laufen, von minder vorgerückten, in den alten Zuständen fortlebenden Nationen erobert zu werden und ihre vorzeitigen Schöp- fungen mitsamt ihrer ganzen Nationalität vernichtet zu sehen ?
Gegenwärtig ist die Tauschwertstheorie so sehr in Im- potenz verfallen, daß sie sich fast ausschließlich mit Unter- suchungen über die Natur der Rente beschäftigt und daß Ricardo in seinen „principles of political economy" sagen durfte: „die Gesetze zu bestimmen, nach welchen der Er- trag des Grund und Bodens auf die Grundbesitzer, Pächter und Arbeiter verteilt werde, sei Hauptaufgabe der politischen Ökonomie".
Während die einen der getrosten Meinung sind, diese Wissenschaft sei vollendet und es sei nichts Wesentliches mehr darüber beizubringen, behaupten diejenigen, welche diese Schriften mit philosophischem oder praktischem Blick lesen : es gebe noch gar keine politische Ökonomie, diese Wissenschaft sei erst noch zu bilden ; bis jetzt sei sie bloß noch eine Astrologie, es sei aber möglich und wünschenswert, daß daraus eine Astronomie her- vorgehe.
Schließlich haben wir, um nicht mißverstanden zu werden, in Erinnerung zu bringen, daß unsere Kritik der Schriften J. B. Says wie die seiner Vorgänger (494) und Nachfolger sich nur auf die nationalen und internationalen
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Verhältnisse erstreckt und daß wir ihren Wert in Beziehung auf die Ausbildung untergeordneter Doktrinen auf sich be- ruhen lassen. Es ist klar, daß ein Autor sehr wertvolle Ansichten und Deduktionen über einzelne Zweige der Wissen- schaft beibringen und daß gleichwohl die Basis seines Systems eine ganz irrige sein kann.
(497) Drei und dreißigstes Kapitel.
Die lusularsuprematie und die Koutineiitalmächte.
Nordamerika und Frankreich.
Zu allen Zeiten hat es Städte und Länder gegeben, die sich in Gewerben, Handel und Schiffahrt vor allen anderen auszeichneten, aber eine Suprematie, wie die unserer Tage, hat die Welt noch nicht gesehen. Zu allen Zeiten haben Nationen und Mächte nach Weltherrschaft gestrebt, aber noch keine hat das Gebäude ihrer Macht auf so breiter Grundlage aufgeführt. Wie nichtig erscheint uns das Be- streben jener, die ihre üniversalherrschaft bloß auf Waffen- gewalt gründen wollten, gegen den großen Versuch Englands, sein ganzes Territorium zu einer unermeßlichen Manufaktur-, Handels- und Hafenstadt zu erheben und so unter den Ländern und Reichen der Erde zu werden, was eine große Stadt dem flachen Lande gegenüber ist — der Inbegriff aller Gewerbe, Künste und Wissenschaften, alles großen Handels und Reichtums, aller Schiffahrt und Seemacht — eine Welt- stadt, die alle Länder mit Manufakturwaren versorgt und
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sich dagegen an Rohstoffen und Agrikulturprodukten von jedem Lande liefern läßt, was seine Natur (498) Brauch- bares und Annehmbares bietet — eine Vorratskammer aller großen Kapitale — eine Bankhalterin aller Nationen, die über die Zirkulationsmittel der ganzen Welt verfügt und durch Anleihen und Rentenerwerb alle Völker der Erde zinsbar macht.
Seien wir indessen gerecht gegen diese Macht und ihr Streben. Nicht aufgehalten, sondern unermeßlich gefördert in ihren Fortschritten ward die Welt durch England. Allen Nationen ist es Vorbild und Muster geworden — in der inneren und äußeren Politik wie in großartigen Empfindungen und Unternehmungen aller Art, in Vervollkommnung der Gewerbe und Transportmittel wie in Auffindung und Urbar- machung unkultivierter Länder, insbesondere in Ausbeutung der Naturreichtümer der heißen Zone und in Zivilisierung barbarischer oder in Barbarei zurückgefallener Völkerschaften. Wer weiß, wie weit die Welt noch zurückstände, hätte es kein England gegeben ? Und hörte es auf zu sein, wer kann ermessen, wie weit die Menschheit zurückgeworfen würde? freuen wir uns also der unermeßlichen Fortschritte jener Nation, wünschen wir ihr Prosperität für alle Zeiten. Sollten wir aber darum aucli wünschen, daß sie auf den Trümmern der übrigen Nationalitäten ein Universalreich gründe? Nur bodenloser Kosmopolitismus oder kaufmännische Beschränkt- heit kann diese Frage bejahen. Wir haben die Folgen einer solchen Entnationalisierung in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführt und gezeigt, daß die Kultur der Menschheit nur aus einer Gleichstellung vieler Nationen in Kultur, Reichtum und Macht hervorgehen könne ; daß, wie England selbst aus einem barbarischen Zustand sich auf seine jetzige Höhe emporgeschwungen, anderen Nationen die gleiche Bahn offen stehe und daß zurzeit (499) mehr als eine Nation berufen sei, nach dem höchsten Ziel der Kultur, des Reichtums und
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der Macht zu streben. Stellen wir mm liier summarisch die Staatsmaximen zusammen, vermittels welcher England zu seiner gegenwärtigen Größe gelangt ist; sie lauten kurz gefaßt so:
— die Einfuhr von produktiver Kraft der Einfuhr von Waren stets vorzuziehen ; *)
— das Aufkommen der produktiven Kraft sorgfältig zu pflegen und zu schützen;
— nur Eohstoffe und Agrikulturprodukte einzuführen und nur Manufakturwaren auszuführen;
— den Überschuß an produktiver Kraft auf die Kolonisation und die Unterwerfung barbarischer Nationen zu verwenden ;
— die Versorgung der Kolonien und unterworfener Länder mit Manufakturwaren dem Mutterland ausschließlich vorzu- behalten, dagegen aber denselben ihre Rohstoffe und be- sonders ihre Kolonialprodukte vorzugsweise abzunehmen; (600) — die Küstenfahrt, die Schiffahrt zwischen dem Mutter- lande und den Kolonien ausschließlich zu besorgen, die See- fischerei durch Prämien zu pflegen und an der internationalen Schiffahrt den möglich größten Anteil zu erlangen;
— auf diese Weise eine Seesuprematie zu gründen und ver-
*) Selbst ein Teil der englischen Wollproduktion ist der Be- folgung dieser Maxime zu verdanken. Eduard IV. importierte mit besonderer Vergünstigung 3000 Stück Schafe aus Spanien, wo die Schaf ausfuhr verboten war, und verteilte sie unter die Kirchspiele mit dem Befehl, sieben Jahre lang keines zu schlachten oder zu verschneiden. (Essai sur le commerce d'Angleterre, tome I. pag. 379.) Nachdem der Zweck dieser Maßregel erreicht war, erwiderte England die Vergünstigung der spanischen Regierung mit einem Einfuhrverbot der spanischen Wolle. Die Wirksam- keit dieses Verbotes, wie widerrechtlich es war, kann ebenso- wenig geleugnet werden als die der Wolleinfuhrverbote Karls II. (1672 und 1674).
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mittels derselben den auswärtigen Handel auszubreiten und den Kolonialbesitz fortwährend zu vergrößern ;
— Freiheit im Kolonialhandel und in der Schiffahrt nur zu- zugeben, insofern mehr zu gewinnen als zu verlieren ; wechsel- seitige Schiffahrtsrechte erst dann zu bedingen, wenn der Vorteil auf englischer Seite, wenn fremde Nationen dadurch abgehalten werden konnten, Schiffahrtsbeschränkungen zu ihren eigenen Gunsten einzuführen;
— fremden independenten Nationen nur Konzessionen in Ansehung der Agrikulturprodukteneinfuhr zu machen, falls dagegen Konzessionen in Ansehung der Manufakturprodukten- ausfuhr zu erlangen wären ;
— wo keine solchen Konzessionen durch Vertrag zu er- langen, den Zweck durch Konterbandhandel zu erreichen;
— Kriege zu führen und Allianzen zu schließen mit aus- schließlicher Rücksicht auf das Manufaktur-, Handels-, Schifi"- fahrts- und Kolonialinteresse; an Freunden und Feinden dadurch zu gewinnen ; an diesen, indem man ihren Seehandel unterbricht, an jenen, indem man ihre Manufakturen durch Subsidien, die in der Form von englischen Manufakturwaren bezahlt werden, ruiniert.
Diese Maximen wurden in früheren Zeiten von allen Ministern und Parlamentsrednern unumwunden ausgesprochen. Unverhohlen erklärten die Minister Gleorgs I. 1721 bei Ge- legenheit des Einfuhrverbots der (501) ostindischen Fabri- kate: es sei klar, daß eine Nation nur reich und mächtig werden könne, indem sie Rohstoffe einführe und Manu- fakturwaren ausführe. Noch zu den Zeiten der Lords Chatham und North trug man keine Scheu, im offenen Parla- ment zu sagen : man sollte nicht zugeben, daß in Nordamerika ein einziger Hufnagel fabriziert werde.
Erst mit Adam Smith kam noch eine neue zu den oben aufgezählten Staatsmaximen, nämlich die: die wahre Politik Englands durch die von Adam Smith er-
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fundenen kosmopolitischen Redensarten und Argumente zu verdecken, um fremde Nationen abzuhalten, diese Politik nachzuahmen.
Es ist eine gemeine Klugheitsregel, daß man, auf den Gipfel der Größe gelangt, die Leiter, vermittels welcher man ihn erklommen, hinter sich werfe, um anderen die Mittel zu benehmen, uns nachzuklimmen. Hierin liegt das Ge- heimnis der kosmopolitischen Lehre Adam Smiths und der kosmopolitischen Tendenzen seines großen Zeitgenossen William Pitt und aller seiner Nachfolger in der britischen Staatsverwaltung. Eine Nation, die durch Schutzmaßregeln und Schiffahrtsbeschränkungen ihre Manufakturkraft und ihre Schiffahrt so weit zur Ausbildung gebracht hat, daß keine andere Nation freie Konkurrenz mit ihr zu halten vermag, kann nichts Klügeres tun, als diese Leiter ihrer Größe weg- werfen, anderen Nationen die Vorteile der Handelsfreiheit predigen und sich selbst reumütig anklagen, sie sei bisher auf der Bahn des Irrtums gewandelt und jetzt erst zur Er- kenntnis der Wahrheit gelangt.
William Pitt war der erste englische Staatsmann, der zur Einsicht gelangte, wozu die kosmopolitische Theorie (502) Adam Smiths eigentlich zu gebrauchen sei, und nicht um- sonst hat er stets ein Exemplar des Werkes über den Nationalreichtum bei sich getragen. Seine Rede vom Jahr 1786, weder dem Parlament noch der Nation, sondern offen- bar den von aller Erfahrung und politischer Einsicht ent- blößten Staatsmännern Frankreichs zu Gehör gesprochen und einzig darauf berechnet, die letzteren für den Edenvertrag zu bearbeiten, ist ein Muster Smithscher Dialektik. Yon der Natur, sagte er, sei Frankreich auf die Agrikultur und den Weinbau, wie England auf die Manufakturproduktion angewiesen, diese Nationen verhielten sich zueinander wie zwei große Kaufleute, die in verschiedenen Zweigen Handel trieben und die sich wechselseitig durch Waren-
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tausch bereicherten;*) — kein Wort von der (503) alten Maxime Englands, daß eine Nation im auswärtigen Handel nur durch den Tausch von Manufakturprodukten gegen Agri- kulturprodukte und Rohstoffe zum höchsten Grad von Reich-
*) „Frankreich," sagt Pitt, „hat Vorzüge vor England hin- sichtlich des Klimas und sonstiger Naturgaben, übertrifft letz- teres daher in seinen rohen Erzeugnissen, dagegen hat England hinsichtlich seiner Kunsterzeugnisse das Übergewicht über Frank- reich. Die Weine, Branntweine, Öle, Essige von Frankreich, besonders die beiden ersteren, sind Artikel von solcher Wichtig- keit und von solchem Werte, daß der Wert unserer Naturpro- dukte gar keinen Vergleich mit ihnen aushält (?); auf der anderen Seite aber ist es eine ebenso gewisse Tatsache, daß England einige Manufakturwaren ganz ausschließlich hervorbringt und daß es in anderen solche Vorzüge besitzt, daß es ohne Bedenken jeder Mitbewerbung- Frankreichs Trotz bieten kann. Dies ist gegenseitige Bedingung und die Basis, auf welche eine vorteil- hafte Verbindung zwischen beiden Nationen gegründet werden sollte. Da jede von ihnen ihre eigentümlichen Stapelwaren hat, jede das besitzt, was der anderen fehlt, so verhalten sich beide zueinander wie zwei große Kauf leute, die in verschiedenen Zweigen Handel treiben und durch gegenseitigen Austausch ihrer Waren einander gleich nützlich werden können. Erwägen wir überdies noch den Heichtum des Landes, mit dem wir in nach- barlichem Verkehr stehen, seine große Bevölkerung, seine Nähe und den daraus fließenden schnellen und regelmäßigen Umsatz — wer könnte dann noch einen Augenblick anstehen, dem System der Freiheit seinen Beifall zu schenken, und wer nicht mit Eifer nnd Ungeduld die möglichste Beschleunigung der Befestigung desselben wünschen? Der Besitz eines so ausgedehnten und sicheren Marktes müßte unserem Handel einen ganz außerordent- lichen Aufschwung geben, und die Zollabgaben, die dann aus den Händen der Schmuggler in die Staatskasse geleitet würden, kämen unseren Finanzen zugut; ergiebiger würden sonach zwei Hauptquellcn des britischen Keichtums und der britischen Macht."
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tum und Macht gelangeu könne. Diese Maxime war und blieb von jetzt an ein englisches Staatsarcanum ; sie ward nie wieder öffentlich ausgesprochen, aber um so strenger befolgt.
Hätte übrigens England seit William Pitt wirklich das Schutzsystem als eine unnütze Krücke von sich geworfen, es stände jetzt unendlich höher, als es steht; es wäre seinem Ziel, die Manufakturkraft der ganzen Welt zu monopolisieren, viel näher gerückt. Offenbar war der günstige Zeipunkt zur Erreichung dieses Ziels nach Herstellung des. allge- meinen Friedens. Der Haß gegen das Kontinentalsystem hatte den Lehren der kosmopolitischen Theorie bei allen Kontinentalnationen Eingang verschafft. Rußland, der ganze europäische Norden, Deutschland, die spanische Halbinsel und die Vereinigten Staaten von Nordamerika hätten sich glücklich geschätzt, ihre (504) Agrikulturprodukte und Roh- stoffe gegen englische Manufaktur waren zu vertauschen. Frankreich selbst wäre vielleicht durch .einige ansehnliche Konzessionen hinsichtlich seiner Weine und seiner Seiden- fabrikate zu vermögen gewesen, von seinem Prohibitivsystem abzustehen. Jetzt war also die Zeit gekommen, „wo es" — wie Priestley von der englischen Navigationsakte gesagt hatte — „ebenso klug gewesen wäre, das englische Schutzsystem abzuschaffen, als es früher klug war, dasselbe einzuführen."
Infolge einer solchen Politik wäre aller Überfluß an Rohstoffen und Agrikulturprodukten aus den beiden Kon- tinenten nach England geflossen, und alle Welt hätte sich mit englischen Stoffen bekleidet; alles hätte dazu beige- tragen, den Reichtum und die Macht Englands zu ver- größern. Unter solchen Umständen wäre es im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts schwerlich den Amerikanern oder den Russen in den Sinn gekommen, ein Schutzsystem — oder den Deutschen, eine Handelsunion einzuführen.
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Man hätte sich schwerlich dazu entsclilossen, die Vorteile des Augenblicks den Hoffnungen einer entfernten Zukunft zum Opfer zu bringen.
Aber es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht bis in den Himmel wachsen. Lord Castlereagh gab die Handels- politik Englands in die Hände der Landaristokratie, und diese tötete das Huhn, das goldene Eier gelegt hatte. Hätte sie zugelassen, daß die englischen Manufakturisten den Markt aller Nationen monopolisierten, daß Großbritannien der Welt gegenüber würde, was eine Maniifakturstadt dem flachen Lande gegenüber ist, der ganze Grund und Boden des Inselreichs wäre mit Häusern und Fabriken bedeckt oder zur (505) Anlegung von Lust-, Gemüse- und Obst- gärten, zur Milch- und Fleisch produktion oder zur Hervor- bringung von Handelsgewächsen, überhaupt zu Kulturen ver- wendet worden, wie sie nur in der Nähe großer Slädte be- trieben werden können. Diese Kulturen wären für die eng- lische Agrikultur ungleich lukrativer geworden als der Ge- treidebau, hätten folglich der englischen Landaristokratie mit der Zeit ungleich höhere Renten abgeworfen als die Ausschließung des fremden Getreides vom inländischen Markt. Allein die Landaristokratie, nur ihren augenblick- lichen Vorteil im Auge, zog es vor, mit Hilfe der Korn- gesetze ihre Renten auf dem hohen Stand zu erhalten, worauf die durch den Krieg bewirkte unfreiwillige Aus- schließung fremder Rohstoffe und fremden Getreides vom englischen Markt sie gestellt hatte, und damit zwang sie die Kontinentalnationen, ihre "Wohlfahrt auf einem anderen Weg zu suchen als auf dem des freien Austausches von Agrikulturprodukten gegen englische Fabrikate, nämlich auf dem Weg der Emporbringung einer eigenen Manufakturkraft. Die englischen Ausschließungsgesetze wirkten somit ganz in derselben Weise wie das Napoleonische Kontinentalsystem, nur etwas langsamer.
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Als Canning und Huskisson zur Gewalt gelangten, hatte die Landarislokratie schon zu viel von der verbotenen Frucht gekostet, als daß sie durch Yernunftgründe hätte bewogen werden können, auf ihren Genuß zu verzichten. Diese Staatsmänner befanden sich in der schwierigen Lage, eine unmögliche Aufgabe zu lösen, eine Lage, in der sich noch heute das englische Ministerium befindet. Sie sollten die Kontinentalnationen von den Vorteilen des freien Handels überzeugen und gleichwohl die Einfuhrbeschränkungen fremder (506) Agrikulturprodukte zum Vorteil der eng- lischen Landaristokratie aufrecht erhalten. Unmöglich konnte also ihr System sich in der Art entwickeln, daß die Hofi"- nungen der Anhänger des freien Handels auf den beiden Kontinenten wären gerechtfertigt worden. Bei all ihrer Freigebigkeit mit philanthropischen und kosmopolitischen Phrasen, die sie bei der allgemeinen Diskussion über das Handelss3"stem Englands und anderer Länder hören ließen, fanden sie es doch nicht inkonsequent, so oft von Ver- änderung einzelner englischer Zollsätze die Rede war, ihre Argumente auf das Schutzpriuzip zu stützen.
Zwar setzte Huskisson viele Zollsätze herunter, aber nie unterließ er dabei den Beweis zu führen, daß auch bei geringerem Tarif die inländischen Fabriken noch hinreichend beschützt seien. So befolgte er ungefähr die Regeln des holländischen Waterstaats; da, wo die Wasser von außen hoch steigen, führt diese weise Behörde hohe Dämme, wo sie nur wenig steigen, baut sie nur niedrige Dämme. Solchergestalt reduzierte sich die mit so großem Pomp an- gekündigte Reform der englischen Handelspolitik auf eine politisch-ökonomische Jonglerie. Man hat die Herabsetzung des englischen Zolls auf Seidenwaren als einen Beweis der englischen Liberalität geltend machen wollen, ohne zu be- denken, daß damit England nur dem Schmuggelhandel in diesem Artikel, zum Vorteil seiner Finanzen und ohne Nach-
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teil für seiae eigenen Seiden fabriken, steuern wollte, welchen Zweck es auch damit vollkommen erreicht hat. Wenn aber ein Schutzzoll von 50—70 Proz. (so viel bezahlen mit Ein- schluß des Zuschlags heute noch fremde Seidenwaren in England) als Beweis von Liberalität gelten soll, so dürften die meisten (507) Nationen den Engländern eher darin vor- angegangen als gefolgt sein.
Da die Canning-Huskissonschen Demonstrationen haupt- sächlich darauf berechnet waren, in Frankreich und Nord- amerika Effekt zu machen, so wird es nicht iminteressant sein , in Erinnerung zu bringen , auf welche Weise sie in beiden Ländern Schiffbruch gelitten haben.
Wie im Jahre 1786 fanden auch diesmal die Engländer unter den Theoretikern und in der liberalen Partei von Frankreich großen Anhang. Verführt durch die große Idee der Welthandelsfreiheit und durch Says oberflächliche Ar- gumente, aus Opposition gegen eine verhaßte Regierung und unterstützt durch die Seestädte, die Weinproduzenten und die Seidenfabrikanten, verlangte die liberale Partei wie im Jahre 1786 mit Ungestüm Erweiterung des Handels mit England als das einzig wahre Beförderungsmittel des National- wohlstandes.
Was man auch der Restauration vorwerfen mag, ein unleugbares Verdienst hat sie sich um Frankreich erworben, ein Verdienst, das ihr die Nachwelt nicht streitig machen wird: sie ließ sich weder durch englische Stratageme noch durch das Geschrei der Liberalen in Hinsicht auf die Handelspolitik zu einem Fehltritt verleiten. Herrn Canning war die Sache so sehr am Herzen gelegen, daß er selbst nach Paris ging, um Herrn VillMe von der Vortrefflich keit seiner Maßregeln zu überzeugen und ihn zur Nachahmung derselben zu überreden. Herr Villele war aber viel zu praktisch, als daß er diesem Stratagem nicht auf den Grund gesehen hätte ; er soll Herrn Canniug erwidert haben : „wenn
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England bei dem vorgerückten Stand seiner (508) Industrie eine größere auswärtige Konkurrenz zulasse als früher, so entspreche diese Politik dem eigenen wohlverstandenen In- teresse Englands. Zurzeit liege es aber in dem wohlver- standenen Interesse Frankreichs, daß es seinen noch nicht zur vollständigen Ausbildung gelangten Fabriken den Schutz gewähre, der ihnen zu diesem Behuf jetzt noch unentbehr- lich sei. "Würde aber einmal der Zeitpunkt eingetreten sein, in welchem die französische Fabrikation mehr durch Zu- lassung fremder Konkurrenz als durch Abhaltung derselben befördert werden könne, so werde er, Villele, nicht säumen, aus dem Beispiel des Herrn Canning Nutzen zu ziehen."
Aufgebracht über diesen abschlägigen Bescheid, rühmte sich Canning nach seiner Rückkehr im offenen Parlament, wie er der französischen Regierung mit der spanischen Intervention einen Mühlstein an den Hals gehängt habe, woraus folgt, daß es mit dem Weltbürgersinn und dem euro- päischen Liberalismus des Herrn Canning nicht eben so ernst- lich gemeint war, als die guten Liberalen auf dem Kontinent glauben mochten ; denn wie konnte Herr Canning, hätte ihn die Sache des Liberalismus auf dem Kontinent im mindesten interessiert, die liberale Verfassung Spaniens der französischen Intervention preisgeben, in der bloßea Absicht, der fran- zösischen Regierung einen Mühlstein an den Hals zu hängen? Die Wahrheit ist: Herr Canning war jeder Zoll ein Engländer, und philanthropische oder kosmopolitische Gesinnungen ließ er sich nur beikommen, wenn sie ihm dazu dienen konnten, die englische Industrie- und Handelssuprematie zu befestigen und weiter auszudehnen, oder den Industrie- und Handels- rivalen Englands Sand in die Augen zu streuen.
(509) Indessen bedurfte es eben keines großen Scharf- blickes von seifen des Herrn Villele, um die ihm von Herrn Canning gelegte Schlinge wahrzunehmen. In der Erfahrung des benachbarten Deutschlands, das nach Aufhebung des
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Kontinentalsystems in seiner Industrie immer weiter zurück- gekommen war, besaß er einen sprechenden Beweis von dem Avahren Wert des Prinzips der Handelsfreiheit, wie es in England verstanden wurde. Auch befand sich Frankreich damals bei dem von ihm seit 1815 angenommenen System zu wohl, als daß es sich hätte versucht fühlen können — gleich dem Hund in der Fabel — die Substanz fahren zu lassen und nach dem Schatten zu haschen. Männer von der tiefsten Einsicht in das Wesen der Industrie, wie Chaptal und Charles Dupin, hatten sich über die Erfolge dieses S^^stems auf die unzweideutigste Weise ausgesprochen.
Das Werk Chaptals über die französische Industrie ist nichts anders als eine Schutzschrift zugunsten der fran- zösischen Handelspolitik und eine Darstellung ihrer Erfolge im ganzen wie im einzelnen. Die Tendenz dieses Werks spricht sich in folgender demselben entnommenen Stelle aus: „anstatt uns in dem Labyrinth metaphysischer Abstrak- tionen zu verlieren, erhalten wir vor allem das Bestehende, suchen wir vor allem es zu vervollkommnen. Eine gute Douanengesetzgebung ist die Schutzwehr der Manufaktur- industrie ; sie erhöht oder vermindert die Eingangszölle nach den Umständen; sie gleicht die Nachteile hoher Taglöhne und hoher Brennmaterialpreise aus; sie beschützt Künste und Gewerbe in der Wiege, bis sie hinlänglich erstarkt sind, um die fremde Konkurrenz aushalten zu können ; sie erwirkt die industrielle Unabhängigkeit von Frankreich und bereichert die Nation durch die Arbeit, welche, (510) wie ich schon öfters bemerkt habe, die Haupt(|uelle des Reichtums ist."*)
Charles Dupin • hatte in seiner Schrift „über die produk- tiven Kräfte von Frankreich und über die Fortschritte der französischen Industrie von 1814 — 1827" ein so helles Licht auf die Erfolge der von Frankreich seit der Restauration
*) Chaptal, De riudustrie franraise, Vol. II. p. 247.
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befolgten Handelspolitik geworfen, daß ein französischer Minister sich unmöglich hätte beigehen lassen dürfen, dieses Werk eines halben Jahrhunderts, so teuer an Opfern, so reich an Früchten und so vielversprechend an Hoffnungen, gegen die Herrlichkeiten eines Methuenvertrags zu ver- tauschen.
Der amerikanische Tarif vom Jahr 1828 war eine natür- liche und notwendige Folge des englischen Handelssystems das nordamerikanisches Holz, Getreide, Mehl und andere Agrikullurprodukte und Rohstoffe der Nordamerikaner von den englischen Grenzen zurückwies und nur Baumwolle in Tausch für seine Manufakturwaren zuließ.
Auf diese Weise ward durch den Handel mit England nur die Agrikulturarbeit der amerikanischen Sklaven be- fördert; die freiesten, aufgeklärtesten und mächtigsten Staaten der Union dagegen sahen sich in ihren ökonomischen Fort- schritten gänzlich aufgehalten und darauf reduziert, ihren jährlichen Überschuß an Bevölkerung und Kapital nach den westlichen Wildnissen zu schicken. Herr Huskisson kannte diesen Stand der Dinge sehr wohl; es war öffentlich be- kannt, daß der englische Gesandte in Washington ihn von den (511) notwendigen Folgen der englischen Politik mehr als einmal genau unterrichtet hatte. Wäre Herr Huskisson wirklich der Mann gewesen, wofür man ihn im Ausland hat ausgeben wollen, so hätte er die Erlassung des amerikanischen Tarifs als eine willkommene Gelegenheit benützt, um der englischen Aristokratie das Törichte ihrer Korngesetze und die Notwendigkeit ihrer Abolition begreiflich zu machen. Was tat aber Herr Huskisson? Er geriet gegen die Ameri- kaner in Zorn (oder affektierte ihn wenigstens), und in seiner Aufgeregtheit behauptete er Dinge, deren Unrichtigkeit jedem amerikanischen Pflanzer bekannt war, erlaubte er sich
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Drohungen, die ihn lächerlich machten. Herr Hiiskisson sagte : die Ex^iortationen der Engländer nach Nordamerika betrügen nur ungefähr den sechsten Teil aller englischen Exportationen, während die Exportationen der Amerikaner nach England die Hälfte aller ihrer Exportationen ausmachten. Damit wollte er beweisen, die Amerikaner seien mehr in der Ge- walt der Engländer als diese in der Gewalt jener; und die Engländer hätten Handelsunterbrechungen durch Krieg- Noninterkurse usw. ungleich weniger zu fürchten als die Amerikaner. Sieht man nur auf die Zahlen des Wertes der Ein- und Ausfuhren, so scheint das Argument des Herrn Huskisson hinlänglich plausibel. Betrachtet man aber die Natur der beiderseitigen Importationen und Exportationen,- so muß es unbegreiflich erscheinen, wie Herr Huskisson ein Argument führen konnte, welches das Gegenteil von dem bewies, was er zu beweisen beabsichtigte. Alle oder doch bei weitem die meisten Exportationen der Nordamerikaner nach England bestehen nämlich in Rohstoffen, deren Wert von den Eügländern verzehnfacht wird und die sie (512) gar nicht entbehren und auch nicht sogleich aus andern Welt- gegenden, wenigstens nicht in der ihnen erforderlichen Quantität beziehen können, während alle Importationen der Nordamerikaner aus England in Gegenständen bestehen, die sie entweder selbst fabrizieren oder doch ebensogut von andern Nationen kaufen können. Betrachtet man nun die Wirkungen einer Handelsunterbrechung zwischen den beiden Nationen nach der Werttheorie, so scheinen sie allerdings zum Nachteil der Nordamerikaner sich stellen zu müssen, während sie, nach der Theorie der produktiven Kräfte beurteilt, den Engländern nur unberechenbaren Nachteil bringen können. Denn zwei Dritteile aller englischen Baum wollenfabriken kämen dadurch zum Stillstand und gerieten in Zerfall, England ver- löre wie durch Zauberschlag eine produktive Hilfsciuelle, deren jährlicher Ertrag an Werten den Wert seiner gesamten
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Ausfuhren bei weitem übersteigt; die Folgen eines solchen Verlustes für die Ruhe, den Reichtum, den Kredit, den Handel und die Macht Englands sind unberechenbar. Welches aber wären die Folgen einer solchen Maßregel für die Nord- amerikaner'? Gezwungen, diejenigen Manufakurwaren selbst zu fabrizieren, die sie bisher von England bezogen, würden sie im Lauf weniger Jahre gewinnen, was die Engländer verloren hätten. Ohne Zweifel müßte eine solche Maßregel, wie einst die Navigationsakte zwischen England und Holland, einen Kampf auf Leben und Tod zur Folge haben, vielleicht würde er aber auch dasselbe Ende nehmen wie einst der Kampf im Kanal. Es ist unnötig, an diesem Ort die Folgen einer Rivalität weiter auszuspinnen . die, wie uns scheint, früher oder später der Natur gemäß zum Ausbruch kommen (513) muß. Das Gesagte genügt, um die Nichtigkeit und Gefährlichkeit des Huskissonschen Arguments einleuchtend zu machen und darzutun, wie un weise England handelte, daß es die Nordamerikaner durch seine Korngesetze zur Selbstfabrikation nötigte, und wie weise es von Herrn Hus- kisson gewesen wäre, wenn er, statt mit so nichtigen und gefährlichen Argumenten zu spielen, die Ursachen, wodurch der amerikanische Tarif von 1828 herbeigeführt worden ist, aus dem Wege zu räumen getrachtet hätte.
Um den Nordamerikanern zu beweisen, wie nützlich ihnen der Handel mit England sei, wies Herr Huskissou auf das außerordentliche Steigen der englischen Einfuhren an Baumwolle hin ; aber auch dieses Argument wußten die Amerikaner zu würdigen. Die Produktion an Baumwolle in Nordamerika war nämlich seit mehr als 10 Jahren der Kon- sumtion und der Nachfrage nach diesem Artikel von Jahr zu Jahr so sehr vorangeeilt, daß die Preise fast in dem- selben Verhältnis sich vermindert hatten, in welchem die Ausfuhr gestiegen war, dergestalt daß im Jahr 1816 die Amerikaner für 80 Mill. Pfund Baumwolle 24 Mill. Dollars
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erlöst hatten, während sie im Jahr 1826 für 204 MilJ. Pfund Baumwolle nur 25 Mill. erlösten.
Endlich drohte Herr Huskisson den Nordamerikanern mit der Organisation eines großartigen Schmuggelhandels über Kanada. Es ist wahr, bei den bestehenden Verhältnissen kann ein amerikanisches Schutzsystem durch nichts so ge- fährdet werden als durch das von Herrn Huskisson ange- gebene Mittel. Was folgt aber daraus? Etwa daß die Amerikaner ihr Sj-stem dem englischen Parlament zu Füßen legen und in Demut erwarten, was dasselbe von Jahr zu Jahr (614) über ihre Nationalindustrie zu beschließen ge- ruhen wird? Wie töricht! Daraus folgt nur, daß die Amerikaner Kanada nehmen und mit ihrer Union vereinigen oder doch ihm zur Independenz verhelfen müssen, sobald ihnen der kanadische Schmuggelhandel unerträglich geworden ist. Heißt es aber nicht das Maß der Torheit bis zum Über- laufen füllen, wenn eine zur Industrie und Handelssuprematie gelangte Nation eine mit ihr durch die Bande des Bluts, der Sprache und der Interessen in der engsten Verbindung stehende Agrikulturnation allererst zwingt, selbst eine Manu- fakturnation zu werden, und dann — um zu verhindern, daß sie dem ihr mit Gewalt gegebenen Impuls folge — sie nötigt, ihren eigenen Kolonien zur Independenz behilflich zu sein?
Nach Huskissons Tode übernahm Herr Poulett Thompson die Leitung der englischen Handelsangelegenheiten. Wie im Amte, folgte dieser auch in der Politik seinem berühmten Vorgänger. Indessen, was Nordamerika betriift, blieb ihm wenig zu tun übrig, da in jenem Lande ohne besonderes Bemühen der Engländer, unter dem Einfluß der Baumwoll- pflanzer und der Importer und auf Betreiben der demo- kratischen Partei, bereits vermittels der sogenannten Kom- promißbill (1832) eine Modifikation des früheren Tarifs statt- gefunden, welche, ob sie zwar die Übertreibungen und Fehle
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des früheren Tarifs verbesserte und auch den amerikanischen Fabriken hinsichtlich der gröberen Baumwollen- und Wollen- artikel immer noch ziemlichen Schutz gewährte, den Eng- ländern alle Konzessionen machte, die sie nur wünschen mochten, ohne daß England Gegen kon Zessionen zu machen nötig gehabt hätte. Seit jener Bill sind die Ausfuhren der Engländer nach (515) Amerika ins Ungeheure gestiegen, und seither übersteigen sie bei weitem ihre Einfuhren aus Nord- amerika, dergestalt daß es zu jeder Zeit in der Macht Eng- lands steht, soviel von den in Nordamerika zirkulierenden edlen Metallen an sich zu ziehen, als es für gut erachtet, und dadurch Handelskrisen in den Vereinigten Staaten hervorzubringen , so oft es sich selbst in Geldverlegenheit befindet. Das merkwürdigste hierbei ist, daß jene Bill den angesehensten und einsichtsvollsten Verteidiger der ameri- kanischen Manufakturinteressen, Henry Clay, zum Urheber hatte. Es hatte nämlich die infolge des Tarifs von 1828 eingetretene Prosperität der amerikanischen Fabrikanten so sehr die Eifersucht der Baumwollenpflanzer erregt, daß die südlichen Staaten mit Auflösung der Union drohten, im Fall der Tarif von 1828 nicht modifiziert würde. Die der demokratischen Partei ergebene ü n ions regier ung selbst hatte aus puren Partei- und Wahlrücksichten sich auf die Seite der südlichen Pflanzer gestellt und auch die der Partei angehörigen Agrikulturisten der mittleren und westlichen Staaten dafür zu stimmen gewußt. Bei letzteren hatte sich infolge der eingetretenen hohen Produktenpreise, die doch größtenteils eine Folge der Prosperität der Innern Fabriken und der vielen Kanal- und Eisenbahnanlagen waren, die frühere Sympathie für das Fabrikinteresse verloren; auch mochten sie in der Tat fürchten, die südlichen Staaten würden ihre Opposition bis zu einer tätlichen Auflösung der Union und bis zum Bürgerkrieg treiben. Dabei lag es in dem Parteiinteresse der Demokraten der mittleren und öst-
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liehen Staaten, die Sympathien der Demokraten in den süd- lichen Staaten nicht zu verscherzen. Infolge dieser Be- wegungen war die öffentliche Meinung zugunsten (516) des freien Handels mit England so sehr umgestimmt worden, daß zu befürchten stand, die sämtlichen Manufakturinteressen des Landes möchten ganz und gar der freien Konkurrenz mit England preisgegeben werden. Unter solchen Um- ständen erschien die Kompromißbill Henry Clay's als das einzige Mittel, das Schutzsystem wenigstens teilweise zu retten. Durch diese Bill ward ein Teil der amerikanischen Fabrikation — ■ nämlich die der freieren und teureren Artikel — der fremden Konkurrenz geopfert, um einen andern Teil, nämlich die Fabrikation der gröberen und minder teuren Artikel zu retten.
Indessen deuten alle Anzeichen darauf hin, daß das Schutzsystem in Nordamerika im Lauf der nächsten Jahre aufs neue sein Haupt erheben und wiederum neue Fort- schritte machen wird. Wie sehr auch die Engländer bemüht sein mögen, die Handelskrisen in Nordamerika zu ver- mindern oder zu mildern, wie bedeutend auch die Kapitale sein mögen, welche in der Form von Stockankäufen und Anleihen oder vermittels der Auswanderung aus England nach Nordamerika gehen, das bestehende und noch fort- während steigende Mißverhältnis zwischen dem Wert der Ausfuhren und dem Wert der Einfuhren kann dadurch in die Länge unmöglich ausgeglichen werden; es müssen furchtbare und an Bedeutenheit immer höher steigende Handelskrisen entstehen, und die Amerikaner müssen am Ende wiederum zur Erkenntnis der Quellen des Übels und zu dem Entschluß geführt werden, sie zu verstopfen.
Dabei liegt es in der Natur der Dinge, daß die Zahl der Anhänger des Schutzsystems wieder steigt und die des freien Handels wieder fällt.
Bisher haben sich nämlich infolge der durch die (517)
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frühere Prosperität der Fabriken, durch die Anlage großer öffentlicher Bauten und durch die große Vermehrung der Baumwolleuproduktiou gestiegenen Nachfrage nach Lebens- mitteln und zum Teil auch durch Mißwachs die Preise der Agrikulturprodukte auf einem ungewöhnlich hohen Stande erhalten; es läßt sich aber mit Zuverlässigkeit vorhersehen, daß diese Preise im Lauf der nächsten Jahre sich ebenso- weit unter den Mittelpunkt stellen werden, als sie bisher über demselben gestanden sind. Der größte Teil des amerikanischen Kapitalzuwachses ist seit Erlassung der Kompromißbill dem Ackerbau zugeflossen und fängt jetzt erst an produktiv zu werden. Während somit die Agri- kulturproduktion ungemein gestiegen ist, muß auf der andern Seite die Nachfrage ungemein abnehmen: erstlich weil die öffentlichen Werke nicht mehr in derselben Ausdehnung wie früher betrieben werden; zweitens weil die Fabrik- bevölkerung infolge der auswärtigen Konkurrenz nicht mehr bedeutend steigen kann, und drittens weil die Baum- wollenproduktion der Konsumtion so sehr vorangeeilt ist, daß die Baumwolleupflanzer durch die niedrigen Preise der Baumwolle genötigt sein werden, diejenigen Lebensmittel, die sie bisher aus den mittleren und westlichen Staaten be- zogen, selbst zu produzieren. Kommen nun auch noch reiche Ernten hinzu, so werden die mittleren und westlichen Staaten wieder an Produktenüberfluß leiden , wie sie vor dem Tarif von 1828 daran gelitten haben. Die gleichen Ur- sachen müssen aber wieder die gleichen Wirkungen er- zeugen, d. h. die Agrikulturisten der mittleren und west- lichen Staaten müssen wieder zur Einseht kommen, daß nur durch die Vermehrung der Manufakturbevölkerung des Landes die Nachfrage nach Agrikiilturprodukten (518) ver- mehrt werden kann, und daß nur durch die Erweiterung des Schutzsystems eine solche Vermehrung zu bewirken ist. Während auf diese Weise die Partei des Schutzsystems an
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Zahl und Einfluß tagtäglich mehr ins Steigen kommt, wird die entgegengesetzte Partei in gleichem Verhältnis sich ver- mindern, indem die Baumwollenj^flanzer bei so veränderten Verhältnissen notwendig zur Einsicht gelangen müssen, daß die Vermehrung der Manufakturbevölkerung des Landes und die Vermehrung der Nachfrage nach Agrikulturprodukten und Rohstoffen in ihrem eigenen wohlverstandenen Inter- esse liege.
Da, wie wir gezeigt haben, die Baumwollenpflanzer und die Demokraten in Nordamerika von selbst aufs eifrigste be- strebt waren, den Handelsinteressen Englands in die Hände zu arbeiten, so fand sich von dieser Seite vor der Hand keine Gelegenheit für Herrn Foulett Thompson, seine Kunst in der Handelsdiplomatik zu zeigen.
Anders standen die Sachen in Frankreich. Hier hielt man noch fortwährend an dem Prohibitivsystem fest. Zwar waren viele der Theorie ergebene Staatsbeamte und De- putierte zugunsten einer Erweiterung der Handelsverbindung zwischen England und Frankreich gestimmt; auch hatte die bestehende Allianz mit England dieser Ansicht einige Popu- larität verschafft: wie aber ein solches Ziel zu erreichen sei, darüber war man weniger einverstanden und auf keiner Seite recht im klaren. Einleuchtend schien, und auch un- bestreitbar war, daß die hohen Zölle auf fremde Lebens- mittel und Rohstoffe und die Ausschließung der englischen Steinkohle und des englischen Roheisens auf die französische Industrie sehr nachteilig wirke und daß eine (519) Ver- mehrung der Ausfuhr an Weinen, Branntwein und Seiden- waren Frankreich ungemein vorteilhaft wäre. Im übrigen beschränkte man sich auf allgemeine Deklamationen über die Nachteile des Prohibitivsystems. Dieses im speziellen anzugreifen, schien jedoch zurzeit im mindesten nicht rät- lich, da die Juliusregierung ihre bedeutendsten Stützen in
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der reichen Bourgeosie hatte, die zum größten Teil in den großen Fabrikunternehmungen beteiligt war.
Bei so bewandten Umständen entwarf Herr Poulett Thompson einen Operationsplan, der seiner Feinheit und diplomatischen Gewandtheit alle Ehre macht. Er schickte einen in Handel und Industrie und in der Handelspolitik Frankreichs sehr bewanderten und wegen seiner liberalen Gesinnungen sehr bekannten, in der Feder ungemein ge- wandten Gelehrten, den Dr. Bowring, nach Frankreich, der das ganze Land und später auch die Schweiz bereiste, um an Ort und Stelle Materalien zu Argumenten gegen das Prohibitivsystem und zugunsten der Handelsfreiheit zu sammeln. Dr. Bowring entledigte sich dieses Auftrags mit der ihm eigenen Geschicklichkeit und Gewandtheit. Haupt- sächlich stellte er die oben erwähnten Vorteile eines freieren Verkehrs zwischen den beiden Ländern in Ansehung der Steinkohlen, des Roheisens und der Weine und Branntweine in ein klares Licht. In dem von ihm öffentlich bekannt ge- machten Bericht beschränkt seine Argumentation sich haupt- sächlich auf diese Artikel ; inbetreff der übrigen Zweige der Industrie gibt er nur statistische Notizen, ohne sich auf Be- weise oder Vorschläge einzulassen , wie sie vermittels des freien Verkehrs mit England gehoben werden könnten.
Dr. Bowring richtete sich damit ganz nach der (520) mit ungemeiner Kunst und Schlauheit abgefaßten, ihm von Herrn Poulett Thompson erteilten Instruktion, die seinem Bericht vorgedruckt ist. Darin spricht Herr Thompson die liberarsten Grundsätze aus, äußert er sich mit vieler Schonung der französischen Fabrikinteressen über die Un- wahrscheinlichkeit, daß ein bedeutender Erfolg von den be- absichtigten Unterhandlungen mit Frankreich zu erwarten stehe. Diese Instruktion war ganz geeignet, die so mächtig gewordenen Interessen der französischen Baumwollen- und Wollenindustrie über die Absichten Englands zu beruhigen
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Nach Herrn Thompson wäre es Torheit, in Beziehung auf diese bedeutende Konzessionen zu fordern. Dagegen gibt er einen "Wink, wie man in Ansehung „m in derb e- deutender" Artikel eher zum Ziel kommen dürfte. Diese minder bedeutenden Artikel sind zwar in der Instruktion nicht namhaft gemacht, die spätere Erfahrung Frankreichs hat aber hinlänglich ins Licht gestellt, was Herr Thompson damit meinte. „Minderbedeutend" war nämlich zur Zeit der Abfassung dieser Instruktion die Ausfuhr Englands nach Frankreich an Leinengarn und Leinengeweben.
Die französische Regierung, bewogen durch die Vor- stellungen und Darstellungen der englischen Regierung und ihrer Agenten und in der Meinung, England eine wenig be- deutende und am Ende Frankreich selbst vorteilhafte Kon- zession zu machen, setzte die Zölle auf Leinengarn und Leinengewebe in der Art herab, daß sie, bei den großen Verbesserungen, welche die Engländer in diesen Gewerbs- zweigen gemacht hatten, der französischen Industrie keinen Schutz mehr gewährten, so daß schon in den folgenden Jahren die Ausfuhr Englands nach Frankreich in diesem Artikel ins Ungeheure stieg (521) (1838: 32 Millionen Franken) und daß Frankreich durch den von England ge- wonnenen Vorsprung in Gefahr gesetzt ward, seine ganze auf viele hundert Milhonen an Wert sich belaufende Linnen- industrie zum größten Nachteil für seinen Ackerbau und für die "Wohlfahrt der ganzen ländlichen Bevölkerung zu verlieren, wofern es nicht Anstalten traf, durch eine Zoll- erhöhung der englischen Konkurrenz Einhalt zu tun.
Daß Frankreich von Herrn Poulett Thompson düpiert worden, liegt am Tage. Offenbar hatte derselbe schon im Jahre 1834 vorausgesehen, welchen Aufschwung die Lein- wandfabrikation von England infolge der dort geraachten neuen Erfindungen im Lauf der nächsten Jahre nehmen werde, und bei dieser Operation auf die Unbekanntschaft der
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französischen Regierung mit diesen Erfindungen und ihren notwendigen Folgen gerechnet. Jetzt zwar wollen die Ur- heber dieser Zollverminderiing die Welt glauben machen, man habe damit nur der belgischen Leinwandfabrikation eine Konzession machen wollen. Wird aber dadurch ihr Mangel an Kenntnis der englischen Fortschritte und an Voraussicht ihrer notwendigen Folgen gerechtfertigt?
Dem sei, wie ihm wolle, so viel ist klar und ausgemacht, daß Frankreich, bei Strafe, den größten Teil seiner Leinwand- fabrikation an England zu verlieren, sich aufs neue beschützen muß und daß der erste Versuch der neuesten Zeit zu Erweiterung der Handelsfreiheit zwischen England und Frank- reich als ein unverwischbares Denkmal englischer Schlauheit und französischer Unerfahrenheit — als ein neuer Methuen- vertrag, als ein zweiter Edenvertrag dasteht.
Was tat aber Herr Poulett Thompson, als er die Klagen der französischen Leinwandfabriken und die (522) Geneigt- heit der französischen Regierung, den begangenen Fehler wieder gut zu machen, vernahm? Er tat, was Herr Huskisson vor ihm getan hatte, er drohte — drohte mit Ausschließung der französischen Weine und Seidenwaren. Dieses ist eng- lischer Kosmopolitismus ! Frankreich soll eine tausend Jahre alte, mit der ganzen Ökonomie der untern Volksklassen und namentlich mit dem Ackerbau aufs engste verwachsene Ge- werbsindustrie, deren Produkte unter die ersten Lebensbe- dürfnisse aller Stände zu rechnen sind und die im ganzen zwischen drei- und vierhundert Millionen betragen dürften, fahren lassen, um sich dadurch das Privilegium zu erkaufen, für etliche Millionen Weine und Seidenwaren mehr als bis- her an England abzusetzen. Abgesehen von diesem Miß- verhältnis im Wert, ist zu bedenken, in welche Lage Frank- reich versetzt würde, wenn infolge eines Kriegs die Handels- verhältnisse zwischen beiden Nationen unterbrochen würden, im Fall nämlich Frankreich seinen tlberschuß an Seiden-
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fabrikalen und Weinen nicht mehr nach England absetzen könnte, zu gleicher Zeit aber an einem so bedeutenden Lebensbedürfnis wie Leinwand Mangel litte.
Denkt man hierüber nach, so wird man finden, daß die Lein wand frage nicht allein eine Frage der ökonomischen Wohlfahrt, sondern — wie alles die National manufakturkraft Betreffende — mehr noch eine Frage der Independenz und Macht der Nationen ist.
Es ist in der Tat, als ob der Erfindungsgeist sich bei Vervollkommnung der Lein wand fabrikation die Aufgabe ge- stellt hätte, den J^^ationen die Natur des Manufakturwesens, seine Beziehungen zum Ackerbau und seinen Einfluß auf die Independenz und Macht der Staaten begreiflich zu machen und die irrigen (523) Argumente der Theorie ins Licht zu stellen. Bekanntlich behauptet die Schule: jede Nation be- sitze in den verschiedenen Nahrungszweigen eigentümliche, ihr durch die Natur oder durch den Gang ihrer Erziehung usw. zuteil gewordene Vorzüge, die sich im freien Handel aus- gleichen. Wir haben in einem vorangegangenen Kapitel den Beweis geführt, daß dieses Argument nur bei der Agrikultur wahr ist, wo die Produktion größtenteils von dem Klima und der Produktivität des Bodens abhängt, nicht aber bei der Manufakturindustrie, wozu alle Nationen des gemäßigten Klimas, vorausgesetzt, daß sie die dazu erforderlichen ma- teriellen, geistigen, sozialen und politischen Hilfsmittel be- sitzen, gleichen Beruf haben. England liefert jetzt hiervon das schlagendste Beispiel. Wenn irgend Völker durch ihi-e bisherigen Erfahrungen und Bestrebungen und durch ihre natürlichen Hilfsmittel zur Leinwandfabrikation vorzüglich be- rufen sind, so sind es die Deutschen, die Belgier, die Hol- länder, die Nordfranzosen. Seit einem Jahrtausend befinden sie sich in ihrem Besitz. Die Engländer dagegen machten bis in die Mitte des verflossenen Jahrhunderts notorisch so geringe Fortschritte, daß sie einen großen Teil ihres Bedürf-
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nisses an Leinwand vom Ausland importierten. Nie wäre es ihnen, ohne die Schutzzölle, welche sie in jenem Zeitraum dieser Grewerbsindustrie gewährten, möglich gewesen, nur ihren eigenen Markt und ihre eigenen Kolonien mit selbst- fabrizierter Leinwand zu versorgen, und es ist bekannt, wie die Lords Castlereagh und Liverpool im Parlament den Be- weis führten , daß ohne Schutz die irländischen Leinwand- manufakturen mit den deutschen unmöglich Konkurrenz zu halten vermöchten. Heute aber sehen wir, ^vie infolge ihrer Erfindung die (524) Engländer die Leinwandfabrikation von ganz Europa zu monopolisieren drohen, ungeachtet sie noch vor hundert Jahren die schlechtesten Leinwandfabrikanten in ganz Europa gewesen sind, gleichwie sie seit fünfzig Jahren den ostindischen Baum wollen markt monopolisiert haben, un- geachtet sie vor hundert Jahren mit den ostindischen Baum- wollen fabrikanten nicht einmal auf ihrem eigenen Markt freie Konkurrenz zu halten vermochten.
Man streitet sich in diesem Augenblick in Frankreich darüber, wie es komme, daß Eüglaud in der letzten Zeit in der Leinwandfabrikation so unermeßliche Fortschritte ge- macht habe, da doch Napoleon zuerst auf die Erfindung einer Baumwollenspinnmaschine einen so großen Preis ge- setzt und die französischen Mechaniker und Fabrikanten sich früher mit diesem Gegenstand beschäftigt hätten als die Engländer. Man untersucht: ob die Eagländer oder die Franzosen mehr mechanisches Talent besäßen. Man gibt alle Erklärungen, nur nicht die richtige und natürliche. Es ist Torheit, den Engländern größeres Talent für die Mechanik und größeres Geschick und größere Tüchtigkeit für die In- dustrie überhaupt zuzuschreiben als den Deutschen oder den Franzosen. A^'or Eduard IIL waren die Engländer die ersten Raufbolde und Taugenichtse von Europa; damals ließen sie sich nicht einfallen, in Beziehung auf mechanisches Talent und Gewerbsgeschick sich mit den Italienern und Belgiern
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oder mit den Deutschen zu vergleichen. Seitdem hat ihre Regierung sie in die Schule genommen, und so sind sie nach und nach dahin gelangt, daß sie ihren eigenen Lehr- meistern die Gewerbsfähigkeit absprechen dürfen. Wenn die Engländer in der Maschinerie der Leinwandfabrikation in den verflossenen zwanzig Jahren schnellere Fortschritte gemacht haben (525) als andere Nationen und insbesondere als die Franzosen, so kommt dies nur daher, daß sie: 1. in der Mechanik überhaupt weiter waren, 2. daß sie insbeson- dere in der der Leinwandspinnerei und Weberei so nahe verwandten Baumwollenspinnerei und Weberei weiter voran waren, 3. daß sie infolge ihrer früheren Handelspolitik im Besitz größerer Kapitalien waren als die Franzosen, 4. daß infolge ihrer Handelspolitik ihr innerer Markt für Leinwand- fabrikate weit ausgedehnter ist als der französische, und endlich 5. daß ihre Schutzzölle in Verbindung mit den er- wähnten Verhältnissen dem mechanischen Talent des Landes größeren Reiz und größere Mittel boten, sich auf die Ver- vollkommnung dieses Industriezweiges zu werfen.
Die Engländer haben damit zu den Sätzen, die wir an einem anderen Ort aufgestellt und erörtert haben: daß im Manufakturwesen alle einzelnen Zweige in der engsten Wechselwirkung stehen, daß die Vervollkommnung des einen Zweiges auch die Vervollkommnung aller übrigen Zweige vorbereitet und befördert, daß keiner derselben vernach- lässigt werden kann, ohne alle anderen zu vernachlässigen, daß mit einem Wort die gesarate Manufakturkraft einer Nation ein unzertrennliches Ganzes bildet — zu diesen Sätzen haben sie' durch ihre neuesten Leistungen in der Leinwandindustrie ein schlagendes Beispiel geliefert.
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(526) V ieruaddreißigstes Kapitel.
Die Insularsuprematie und die deutsche Handelsunion.
Was eine große Nation in unseren Tagen ist ohne tüchtige Handelspolitik und was sie werden kann durch eine tüchtige Handelspolitik, hat Deutschland in den letzt- verflossenen zwanzig Jahren an sich selbst erfahren. Dieses Land war, was Franklin einst von dem Staat Neu-Jersey sagte, ein überall von seinen Nachbarn an- und abgezapftes Faß. England, nicht zufrieden, den Deutschen den größten Teil ihrer Fabriken ruiniert zu haben und ihnen unermeß- liche Quantitäten Wollen- und Baumwollenwaren und Kolonial- produkte zu liefern, wies deutsches Getreide und Holz, ja zeltweise sogar deutsche Wolle von seinen Grenzen zurück. Es gab eine Zeit, wo der Manufakturwarenabsatz Englands nach Deutschland zehnmal bedeutender gewiesen ist als der nach seinem vielgepriesenen ostindischen Reich; dennoch wollte der alles monopolisierende Insulaner dem armen Deutschen nicht einmal vergönnen, was er dem unterwor- fenen Hindu verstattete — seinen (527) Bedarf an Manu- fakturwaren in Agrikulturprodukten zu bezahlen. Vergebens erniedrigten sich die Deutschen zu Wasserträgern und Holz- hackern der Briten ; man behandelte sie schlechter als ein unterjochtes "Volk. Nationen wie Individuen, lassen sie sich nur erst von einem mißhandeln, werden bald von allen gehöhnt und zuletzt der Kinder Spott. Frankreich, nicht zufrieden, nach Deutschland unermeßliche Quantitäten Wein, Öl, Seide und Modewaren abzusetzen, verkümmerte den Deutschen auch ihren Absatz an Vieh, Getreide und Linnen. Ja, eine kleine, vormals deutsche und von Deutschen be- wohnte Seeprovinz, die durch Deutschland reich und mächtig
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geworden, in alle Ewigkeit nur mit und durch Deutschland zu bestehen vermag, sperrte ein halbes Menschenalter hin- durch, unter Yorschützung elender Wortverdrehungen, Deutschlands besten Strom. Zum Übermaß des Hohns ward von hundert Kathedern gelehrt, wie die Nationen nur durch allgemeine Handelsfreiheit zu Reichtum und Macht gelangen können.
So war es, und wie ist es jetzt? Deutschland ist im Lauf von zehn Jahren in Wohlstand und Industrie, in National- selbstgefühl und Nationalkraft um ein Jahrhundert vorge- rückt. Und wodurch? Daß die Schlagbäume fielen, welche den Deutschen von dem Deutschen trennten, war schon gut und heilsam, hätte aber der Nation zu schlechtem Tröste gereicht, wäre ihre innere Industrie fortan der fremden Konkurrenz bloßgestellt geblieben. Es war hauptsächlich der Schutz, den das Vereinszollsystem den Manufaktur- artikeln des gemeinen Verbrauchs gewährte, was diese Wunder bewirkte.
Gestehen wir frei — Dr. Bowring hat es (528) unwider- leglich dargetan'") — daß der Unionstarif nicht, wie vorge- geben worden, bloße Einkommenszölle auflegt, daß er sich nicht auf 10 bis 15 Prozent beschränkt, wie Huskisson glaubte; sagen wir es offen, daß er in Beziehung auf die Manufakturartikel des gemeinen Verbrauchs Schutzzölle von 20 bis 60 Prozent gewährt.
Wie aber haben diese Schutzzölle gewirkt? Zahlen die Konsumenten für ihre deutschen Manufakturwaren 20 bis 60 Prozent mehr als früher für die fremden, wie sie doch der Theorie gemäß sollten? oder sind diese Waren schlechter als die fremden ? Mit nichten, Dr. Bowring selbst bringt Zeugnisse dafür bei, daß die durch den hohen Zoll-
*) Bericht über den deutschen Zollverein an Lord Viscount Palmerston von John Bowring. BerHn, 1840.
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tarif beschützten Manufakturwaren besser und billiger sind als die fremden. Die innere Konkurrenz und die Sicherheit vor zerstörender Konkurrenz des Auslandes hat jene Wunder bewirkt, von welchen die Schule nichts weiß und nichts wissen will. Es ist also nicht wahr, was die Schule be- hauptet, daß der Schutzzoll die inländischen Waren um den Betrag des Schutzzolls verteuert. Für kurze Zeit mag sie Verteuerung verursachen, aber in jeder zur Fabrikation be- rufenen Nation muß, infolge des Schutzes, die innere Kon- kurrenz bald die Preise tiefer drücken, als sie bei freier Einfuhr sich gestellt hätten.
Oder hätte etwa der Ackerbau unter diesen hohen Zöllen gelitten? Mit nichten — gewonnen hat er, zehnfältig ge- wonnen seit den letzt verflossenen zehn Jahren. Die Nach- frage nach Agrikulturprodukten hat sich vermehrt, die Preise derselben sind überall in die Höhe gegangen ; es ist notorisch, daß einzig infolge des (529) Aufkommens der inneren Fabriken der Grundwert überall um 50 bis 100 Prozent gestiegen ist, überall bessere Taglöhne bezahlt — allerwärts Transport- verbesserungen ins Werk gesetzt oder projektiert werden. .
So glänzende Erfahrungen mußten notwendig zu Fort- schritten in dem begonnenen System ermutigen ; auch haben mehrere Staaten der Union auf Fortschritte angetragen, aber noch nicht durchdringen können, weil, wie es scheint, einige andere Staaten der Union nur noch von Abolition der eng- lischen Zölle auf Getreide und Holz ihr Heil erwarten — weil,, wie behauptet wird, noch immer einflußreiche Männer an das kosmopolitische System glauben und der eigenen Er- fahrung mißtrauen. Dr. Bowrings Bericht gibt uns hierüber sowohl als über die Verhältnisse der deutschen Handels- union und über die Taktik der englischen Regierung die gewichtigsten Aufschlüsse. Versuchen wir eine Beleuchtung dieser Schrift.
Allererst haben wir den Standpunkt anzugeben, von
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welchem aus sie geschrieben worden. Herr Laboiichore, Handelspräsident unter dem Ministerium Melbourne, hatte Dr. Bowring in derselben Absicht nach Deutschland geschickt, in welcher ihn Herr Poulett Thompson im Jahre 1834 nach Frankreich abgeordnet hatte. Denn wie die Franzosen durch Konzessionen in Ansehung der Weine und Branntweine, so sollten die Deutschen durch Konzessionen in Ansehung des Getreides und Holzes verleitet werden, ihren inneren Markt den englischen Manufaktur waren zu öffnen ; nur darin war ein großer Unterschied bei den beiden Missionen, daß die den Franzosen zu bietende Konzession keinem Widerspruch in England selbst unterlag, während die den Deutschen zu bietende erst in England zu erkämpfen war.
(530) Die Tendenz beider Berichte mußte somit eine ganz verschiedene sein. Der Bericht über die Handelsver- hältnisse zwischen Frankreich und England war ausschließ- lich an die Franzosen gerichtet. Ihnen durfte gesagt werden, Colbert habe mit seinen Schutzmaßregeln nichts Erkleck- liches ausgerichtet; sie durfte man glauben machen, der Edenvertrag sei Frankreich nützlich und das Kontinental- system sowie sein jetziges Prohibitivsystem ungemein schäd- lich gewesen. Kurz man durfte sich hier ganz an die Adam Smithsche Theorie halten ; die Erfolge des Schutzsystems durften durchweg und rund in Abrede gestellt werden.
Nicht so einfach war die Sache beim letzten Bericht; denn hier sollte man an die englischen Landbesitzer und an die deutsehen Regierungen zugleich sprechen. Jenen sollte man sagen: seht da eine Nation, die infolge von Schutz- maßregeln schon unermeßliche Fortschritte in ihrer Industrie gemacht hat und die, im Besitz aller erforderlichen Hilfs- mittel, mit starken Schritten darauf losgeht, ihren inneren Markt ganz zu erobern und auf fremden Märkten mit Eng- land zu konkurrieren; dies, ihr Tories im Oberhaus, dies, ihr Landjunker vom Unterhaus, ist euer verruchtes Werk;
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das hat eure uusinnige Kornbill zuwege gebracht; denn durch sie wurden die Preise der Lebensmittel, der Rohstoffe und Arbeitslöhne in Deutschland niedergehalten, durch sie sind die deutschen Fabriken, den englischen gegenüber, in Vorteil gestellt worden. Beeilt euch also, ihr Toren, diese Kornbill abzuschaffen. Dadurch werdet ihr die deutschen Fabriken doppelt und dreifach beeinträchtigen: erstens, indem die Preise der Lebensmittel, Rohstoffe und Taglöhne in Deutsch- land gesteigert und in England herabgedrückt werden; zweitens, (531) indem durch die Ausfuhr deutschen Korns nach England die Ausfuhr englischer Manufakturwaren nach Deutschland begünstigt wird; drittens weil die deutsche Handelsunion sich geneigt erklärt hat, ihre Zölle auf ordi- näre Baumwollen- und Wollenwaren in demselben Verhältnis herabzusetzen, in welchem England die Einfuhr deutschen Getreides und Holzes begünstigt. So kann es nicht fehlen, daß wir Briten die deutschen Fabriken wiederum erdrücken. Aber die Sache hat Eile. Mit jedem Jahr gewinnen die Fabrikinteressen größeren Einfluß in der Union, und zaudert ihr, so kommt eure Kornbillabolition zu spät. Nicht lange, und das Zünglein der Wage wird sich drehen. Bald werden die deutschen Fabriken eine so große Nachfrage nach Agri- kulturprodukten erzeugen, daß Deutschland kein Getreide mehr ins Ausland zu verkaufen haben wird. Welche Kon- zessionen wollt ihr alsdann den deutschen Regierungen bieten, um sie zu bewegen, Hand an ihre eigenen Fabriken zu legen,, um sie zu verhindern, daß sie ihre Baumwolle selbst spinnen und noch dazu überall eure fremden Märkte beein- trächtigen ?
Dies alles sollte und mußte der Berichterstatter den Landbesitzern im Parlament begreiflich machen. Die Formen der britischen Staatsverwaltung verstatten keine geheimen Kanzleiberichte. Dr. Bowrings Bericht mußte ein öffentlicher sein, mußte also in Übersetzungen und Auszügen den
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Deutschen unter die Augen kommen. Darum durfte man keiue Sprache führea, welche die Deutschen zur Erkenntnis ihrer wahren Interessen führen könnte. Darum mußte jedem Mittel, das auf das Parlament wirken sollte, eine Antidote für die deutschen Regierungen beigefügt, mußte behauptet werden, es sei infolge der (532) Schutzmaßregeln viel deutsches Kapital in falsche Kanäle geflossen ; die Agrikultur- interessen in Deutschland würden durch das Schutzsystem beeinträchtigt; das Agrikulturinteresse seinerseits könne nur nach fremden Märkten seine Blicke richten ; die Agrikultur sei in Deutschland bei weitem der überwiegende Nahrungs- zweig, denn drei Vierteile der Bewohner Deutschlands seien Ackerbauer; es sei purer Wortkram, wenn man von Schutz für die Produzenten spreche; das Manufakturinteresse selbst könne nur durch fremde Konkurrenz bestehen ; die öffent- liche Meinung in Deutschland strebe nach Handelsfreiheit; die Intelligenz sei in Deutschland zu sehr verbreitet, als daß das Begehren nach hohen Zöllen Eingang finden könnte; die einsichtsvollsten Männer des Landes seien zugunsten einer Zollverminderung auf ordinäre Wollen- und BaumwollenstofTe „im Fall die englischen Zölle auf Getreide und Holz ermäßigt würden".
Mit einem Wort, aus diesem Bericht sprechen zwei ganz verschiedene Stimmen, die sich wie zwei Gegner wider- streiten. Welche von beiden die wahre sei: die, welche zum Parlament, oder die, welche zu den deutschen Re- gierungen spricht? Die Entscheidung kann nicht schwer fallen ; alles, was Dr. Bowring vorbringt, um das Parlament zur Ermäßigung' der Einfuhrzölle auf Getreide und Holz zu Termögen, ist durch statistische Tatsachen, Berechnungen, Zeugnisse belegt, während alles, was er vorbringt^ um die deutschen Regierungen von dem Schutzsystem abzubringen, sich auf oberflächliche Behauptungen beschiänkt.
Betrachten wir im Detail die Argumente, wodurch
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Dr. Bowring dem Parlament dartut, daß, im Fall nicht den Fortschrilten des deutschen Sehnt zsj^stems auf (533) die von ihm vorgeschlagene Weise Einhalt getan werde, der Manu- fakturwarenmarkt Deutschlands für England unwiederbringlich verloren gehen müsse.
Das deutsche Volk zeichne sich aus, sagt Dr. Bowring, durch Mäßigkeit, Sparsamkeit, Fleiß und Intelligenz. Es ge- nieße allgemeinen Unterricht. Vortreffliche polytechnische Schulen verbreiteten technische Kenntnisse durch das ganze Land. Die Zeichenkunst sei sogar viel mehr kultiviert dort als in England. Die starke alljährliche Zunahme seiner Be- völkerung, seines Viehslandes und insbesondere der Schafe beweise, in welchem Aufstreben der dortige Ackerbau be- griffen sei (des Steigens der Güterwerte als eines Haupt- moments geschieht keiner Erwähnung, ebensowenig des Steigens der Produkteupreisej. Die Arbeitslöhne seien in den Fabrikdistrikten um 30 Prozent gestiegen ; das Land habe Überfluß an nicht benutzter "Wasserkraft, der wohlfeilsten aller bewegenden Kräfte. Der Bergbau stehe überall im Flor wie nie zuvor. Von 1832 bis 1837 sei gestiegen:*)
die Einfuhr von roher Baum- wolle von 118000 Ztr. auf 240000 Ztr.
die Einfuhr von B a u m -
woUengarn von. . . . 172000 „ „ 322000 „
die Ausfuhr von ß a u m -
wollenwaren von . . . 26000 „ „ 75000 „
die Zalü der Baumwollen- webstühlein Preußen von (1825) 22000 „ „ 32000(1834)
die Einfuhr an Schafwolle von 99 000 „ „ 195000 Ztr.
*) Wir geben hier nur runde Summen.
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(534) die Ausfuhr an dgl. von luOOOO Ztr. auf 122 UÜÜ Ztr. die Einfuhr von Wollen- zeugen von 15000 „ „ 18000 „
die Ausfuhr an dgl. von . . 49000 „ „ 69000 „
Die Leineweberei habe gegen die hohen Zölle in England, Frankreich, Italien schwer zu kämpfen und sei nicht im Steigen, dagegen sei die Einfuhr von Leinengarn von 30000 Ztr. (1832) auf 86000 Ztr. gestiegen (1835), hauptsächlich durch Zufuhr von England, die noch immer im Zunehmen begriffen;
Indigo sei verbraucht worden 1831 12000 Ztr., 1837 24000 Ztr. — ein schlagender Beweis der Zunahme der deutschen Industrie;
die Ausfuhr an Töpferware habe sich von 1832 bis 1836 mehr als verdoppelt;
die Einfuhr an Steingut sei von 5000 Ztr. auf 2000 Ztr. gesunken und die Ausfuhr an dergleichen von 4000 Ztr. auf 18000 Ztr. gestiegen;
die Einfuhr an Porzellan habe sich von 4000 Ztr. auf 1000 Ztr. vermindert und die Ausfuhr von 700 Ztr. auf 4000 Ztr. gehoben;
die Steinkohlenproduktion sei von 6 Millionen preußische Tonnen (1832) auf 9 Millionen (1836) gestiegen;
1816 habe man in Preußen 8 Millionen Schafe, 1837 15 Millionen gezählt;
an Strumpf webemaschinen hätten sich in Sachsen 1831 14000, 1836 20000 befunden;
von 1831 bis 1837 sei die Zahl der Wollgarn- spinnereien und der Spindeln in Sachsen um mehr als das Doppelte gewachsen; (535) überall seien Maschinen- fabriken entstanden, und viele befänden sich im blühendsten Zustand ;
kurz in allen Zweigen der Industrie, insoweit sie be- schützt worden, habe Deutschland unermeßliche Eortschritte
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gemacht, besonders in den Wollen- und Baum wollen waren des gemeinen Yerbrauchs, deren Zufuhr aus England gänz- lich aufgehört habe. GleichAvohl gesteht Dr. Bowriug in- folge eines ihm gestellten glaubwürdigen Gutachtens, „daß der Preis der preußischen Zeuge entschieden niedriger sei als der der englischen; daß zwar einige Farben denen der besten englischen Färbungen nachstünden, daß aber andere vollkommen und unübertrefflich seien; daß das Spinnen, "Weben und alle Yorbereitungsprozesse den britischen völlig gleich ständen ; daß zwar in der Appretur ein entschiedenes Zurückstehen erkennbar sei, daß aber die noch stattfindenden Mängel mit der Zeit verschwinden würden."
Ausnehmend leicht begreiflich ist, wie durch solche Darstellungen das englische Parlament endlich bewogen werden mag, von seiner Kornbill, die seither wie ein Schutz- system auf Deutschland gewirkt hat, abzustehen; aber im höchsten Grad unbegreiflich scheint uns, wie die deutsche Union, die infolge des Schutzsystems so unermeßliche Fort- schritte gemacht hat, durch diesen Bericht sollte bestimmt werden können, von einem so fruchtbringenden System ab- zulassen.
"Wohl versichert uns Dr. Bowring, die inländische In- dustrie Deutschlands werde auf Kosten des Ackerbaues be- schützt; wie sollen wir aber seiner Versicherung Glauben beimessen, wenn wir doch sehen, daß die Nachfrage nach Agrikulturprodukten, die Produkten preise, die Taglöhne, die Renten, die Güterwerte überall bedeutend (536) gestiegen sind^ ohne daß der Agrikulturist mehr als früher für seine Manufakturbedürfnisse zu bezahlen hätte?
Wohl zeigt uns Dr. Bowring eine Berechnung, nach welcher in Deutschland drei Agrikulturisten auf einen Manu- fakturisten kommen ; aber eben damit überzeugt er uns, daß die Zahl der deutschen Manufakturisten immer noch nicht mit der Zahl der deutschen Asrrikulturisten in richtigem
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Verhältnis stehe, und es ist nicht abzusehen, auf welche andere Weise ein Gleichgewicht herzustellen wäre, als in- dem mau den Schutz auf diejenigen Gewerbe ausdehnt, die jetzt noch in England für den deutschen Markt von Leuten betrieben werden, welche englische Ägrikulturprodukte statt deutscher Agrikulturprodukte verzehren.
Wohl behauptet Dr. Bowring, der deutsche Ackerbau könne nur seine Blicke auf das Ausland richten, wenn er seinen Produktenabsatz vermehren wolle; daß aber große Nachfrage nach Agrikulturprodukten nur durch eine blühende innere Manufakturkraft zu erzielen ist, lehrt nicht allein die Erfahrung von England, sondern Dr. Bowring selbst gibt dies implicite zu durch die Befüchtung, die er in seinem Bericht ausspricht, daß, wenn England mit der Abolition seiner Kornbill noch einige Zeit zuwarte, Deutschland weder Korn noch Holz nach dem Ausland zu verkaufen haben werde.
Recht hat Dr. Bowring allerdings, wenn er behauptet, das Agrikulturinteresse sei in Deutschland immer noch über- wiegend, aber eben darum, weil es überwiegend ist, muß es, wie wir in früheren Kapiteln bewiesen haben, durch Hebung der Manufakturinteressen sich mit diesen in ein richtiges Gleichgewicht zu stellen trachten, weil auf dem Gleichgewicht mit (537) dem Manufakturinter- esse, nicht aber auf dem eigenen Über gewicht die Prosperität des Ackerbaues beruht.
Gänzlich im Irrtum zu schweben scheint übrigens der Berichterstatter, wenn er behauptet, das deutsche Manu- fakturinteresse selbst fordere fremde Konkurrenz auf deut- schen Märkten, weil die deutschen Manufakturen, sobald sie imstande seien, die deutschen Märkte zu versorgen, für das überschüssige Erzeugnis mit den Manufakturen anderer Länder in Konkurrenz geraten müßten, welche Konkurrenz sie nur durch wohlfeile Produktion bestehen könnten : wohl-
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feile Produktion aber widerstreite dem Wesen des Schutz- systems, indem dieses System dahin strebe, den Manu- faktiiristen hohe Preise zu garantieren. In diesem Argu- ment sind so viele Irrtümer und Falschheiten als Worte. Dr. Bowring wird nicht leugnen können, daß der Fabrikant die Preise seiner Produkte um so wohlfeiler stellen kann, je mehr er fabriziert, daß also eine Manufakturkraft, welche den eigenen Markt zum voraus besitzt, um so wohlfeiler für das Ausland arbeiten kann. Den Beweis hiervon wird er in denselben Tabellen finden, die er über die Fortschritte der deutschen ludustrie mitgeteilt hat; denn in demselben Verhältnis, in welchem die deutschen Fabriken ihren inneren Markt in Besitz genommen haben, ist auch ihre Manufaktur- warenausfuhr gestiegen. Sodann lehrt die neueste Erfah- rung von Deutschland wie die uralte Erfahrung von Eng- land, daß hohe Manufaktur waren preise keineswegs eine not- wendige Folge des Schutzes sind. Endlich ist die deutsche Industrie noch Aveit davon entfernt, den inneren Markt zu versorgen. Um dahin zu gelangen, muß sie erst noch die IHOOO Ztr. Baumwollwaren und die (538j 18 000 Ztr. Wollenwaren und die 500 000 Ztr. Baumwollengaru und Zwirn und Linnengarn fabrizieren, die gegenwärtig aus England eingeführt werden. Ist sie aber dahin gelangt, so wird sie allein an roher Baumwolle eine halbe Million Zentner mehr importieren als bisher, so wird sie deshalb mit den Ländern der heißen Zone um so viel mehr un- mittelbaren Tauschverkehr treiben und einen großen Teil dieses Bedarfs, w^enn nicht das Ganze, mit eigenen Manu- fakturwaren bezahlen.
Die Ansicht des Berichterstatters, daß in Deutschland die öffentliche Meinung für Handelsfreiheit sei, ist wohl da- hin zu berichtigen, daß man seit der Stiftung der Handels- union zu klarer Einsicht gelangt ist, was man in England unter dem Wort Handelsfreiheit eigentlich verstehe; „denn
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seit dieser Zeit ist," wie er selbst sagt, „das Gefülil des deutschen Volkstums aus dem Gebiet der Hoffnung und der Phantasie in das der positiven und materiellen Interessen versetzt worden."
Recht hat der Berichterstatter, wenn er sagt, die In- telligenz sei unter dem deutschen Volk sehr verbreitet : eben darum hat man aber in Deutschland aufgehört, kosmo- politischen Träumen nachzuhängen — denkt man jetzt hier auf eigene Faust — vertraut man dem eigenen Urteil, der eigenen Erfahrung, dem eigenen gesunden Menschenverstand mehr als einseitigen, aller Erfahrung widerstreitenden Systemen, fängt man an zu begreifen, warum Burke dem Adam Smith im Vertrauen erklärte, „eine Nation sei nicht nach kosmopolitischen Systemen, sondern nach einer tief erforschten Kenntnis ihrer besonderen Nationalinteressen zu regieren" — mißtraut man in Deutschland ßatgebern, die aus einem und demselben Munde kalt und warm (539) blasen — weiß man besonders die Vorteile und Ratschläge industrieller Konkurrenten zu würdigen — erinnert man sich endlich in Deutschland, so oft von englischen Aner- bietungen die Rede ist, des bekannten Spruches von den Geschenke darbringenden Danaern.
Aus eben diesen Gründen ist zu bezweifeln, daß ein- flußreiche deutsche Staatsmänner im Ernste dem Bericht- erstatter Hoffnung gemacht haben, Deutschland werde seine Schutzpolitik an England ablassen für die ärmliche Kon- zession, etwas Getreide und Holz nach England zu expor- tieren. Jedenfalls dürfte wohl die öffentliche Meinung von Deutschland Bedenken tragen, dergleichen Staatsmänner unter die denkenden zu klassifizieren. Um dieses Prä- dikat heutzutage in Deutschland zu verdienen, ist es nicht genug, daß man die banalen Redensarten und Argumente der kosmopolitischen Schule auswendig gelernt habe; man verlangt, daß ein Staatsmann die Kräfte und Bedürfnisse
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der Nation kenne und, unbekümmert um Schulsysteme, jene zu entwickeln und diese zu befriedigen strebe. Eine boden- lose Unkenntnis jener Kräfte und Bedürfnisse aber würde derjenige verraten, der nicht wüßte, welche unermeßlichen Anstrengungen erfordert werden, um eine Nationalindustrie auf diejenige Stufe zu heben, welche zurzeit schon die deutsche einnimmt, der nicht im Geist die Größe ihrer Zu- kunft vorauszusehen vermöchte, der das Vertrauen, das die deutschen Industriellen in die Weisheit ihrer Regierungen gesetzt haben, so schwer täuschen und den Unternehmungs- geist der Nation so tief verwunden könnte; der den hohen Standpunkt, welchen eine Manufakturnation ersten Ranges einnimmt, nicht von dem niederen Standpunkt eines Korn und Holz ausführenden Landes zu unterscheiden vermöchte; der nicht zu (540) ermessen verstände, wie prekär schon in gewöhnlichen Zeiten ein fremder Getreide- und Holzmarkt ist, wie leicht dergleichen Konzessionen wieder zurück- genommen werden können, und welche Konvulsionen mit einer durch Kriege oder feindselige Maßregeln verursachten Unterbrechung dieses Verkehrs verbunden seien; der end- lich nicht aus dem Beispiel anderer großen Staaten gelernt hätte, wie sehr die Existenz, die Selbständigkeit und die Macht der Nation durch den Besitz einer eigenen, nach allen Teilen entwickelten Manufakturkraft bedingt sei.
Wahrlich, man muß den seit 1830 in Deutschland er- standenen Geist der Nationalität und der Einheit wenig be- achten, wenn man mit dem Berichterstatter (S. 26) glaubt, die Vereinspolitik werde den Partikalarinteressen Preußens folgen, indem zwei Dritteile der Vereinsbevölkerung preußisch seien; Preußens Interessen aber forderten Ausfuhr an Ge- treide und Holz nach England; sein in Manufakturen an- gelegtes Kapital sei unbedeutend; Preußen werde sich da- her jedem System, das die Einfulir fremder Manufakte ver-
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hindere, entgegenstelJeu, und alle preußischen Departements- chefs seien dieser Ansicht.
Gleichwohl sagt der Berichterstatter im Eingang seines Berichtes: „die deutsche Handelsunion sei eine Verkörperung der in diesem Lande weit verbreiteten Idee der National- einheit. "Werde dieser Verein gut geleitet, so müsse er die Verschmelzung aller deutschen Interessen in einen gemein- samen Bund bewirken. Die Erfahrung seiner Wohltaten habe ihn populär gemacht. Er sei der erste Schritt zur Germanisierung des deutschen Volks. Durch gemeinsame Interessen an Handelsfragen habe er den Weg zur politischen (541) Nationalität gebahnt und an die Stelle beschränkter An- sichten, Vorurteile und Gewohnheiten ein weiteres und stärkeres Element deutschen Volkstums gesetzt." "Wie nun stimmt mit diesen ganz richtigen Vorbemerkungen die An- sicht: Preußen werde dielndependenz und die künftige Größe der Nation niedrigen Rücksichten auf sein vermeintliches, jedenfalls doch nur augenblickliches Privatinteresse opfern, Preußen werde nicht begreifen, daß Deutschland mit seiner nationalen Handelspolitik steige oder falle, wie Preußen selbst mit Deutschland steige oder falle? "Wie stimmt mit der Behauptung, die preußischen Departementschefs seien dem Schutzsystem zuwider, die Tatsache, daß die hohen Schutz- zölle auf gemeine Wollen- und Baumwollenwaren von Pi'eußen selbst ausgegangen sind? Und muß man durch diese Wider- sprüche und durch den Umstand, daß der Berichterstatter den Zustand und die Fortschritte der sächsischen Industrie so glänzend schildert, nicht auf die Vermutung geleitet werden, er selbst wolle die Privateifersucht Preußens rege machen ?
Dem sei, wie ihm wolle, seltsam bleibt es immer, daß Dr. Bowring auf Privatäußerungen von Departementschefs so großes Gewicht legt — er, ein englischer Publizist, der doch die Macht der ötfentlichen Meinung kennen, der wissen
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sollte, daß in unseren Tagen die Privatansichten von Departe- mentschefs, selbst in nicht konstitutionellen Staaten wenig bedeuten wollen, wenn sie der öifentlichen Meinung und zumal den materiellen Interessen der ganzen Nation wider- streiten, und wenn sie Rückschritte intendieren, welche die ganze Nationalität gefährden. Der Berichterstatter fühlt dies auch wohl selbst, wenn er Seite 98 gesteht: die preußische Regierung habe, gleich der englischen bei Gelegenheit der (542) Abolition der englischen Kornbill, zur Genüge erfahren, daß die Ansichten der öffentlichen Behörden nicht überall durchzudringen vermögen; es möchte daher zu überlegen sein, ob nicht deutsches Getreide und Holz auch ohne vor- gängige Konzessionen von selten der deutschen Union auf den englischen Märkten zuzulassen sei, indem dadurch von selbst den englischen Manufakturwaren der Weg auf die deutschen Märkte angebahnt wnirde. Diese Ansicht ist aller- dings eine richtige. Dr. Bowring sieht klar, daß die eng- lischen Korngesetze die deutsche Industrie groß gezogen haben, daß die deutsche Industrie ohne jene Gesetze nie erstarkt wäre, daß folglich die Abolition der Kornbill nicht nur den ferneren Fortschritten der deutschen Industrie Ein- halt tue, sondern sie wiederum weit zurückwerfen müsse, vorausgesetzt nämlich, daß die deutsche Zollgesetzgebung in einem solchen Fall bleibt, wie sie ist. Schade nur, daß die Briten die Richtigkeit dieses Arguments nicht schon vor zwanzig Jahren eingesehen haben. Jetzt aber, nachdem die englische Gesetzgebung selbst die Scheidung der deutschen Agnkultur von den englischen Manufakturen vorgenommen, nachdem Deutschland seit zwanzig Jahren die Bahn der Industrievervollkommnung betreten und diesem Zweck un- ermeßliche Opfer gebracht hat, würde es politische Blindheit verraten, ließe sich jetzt Deutschland durch die Abolition der englischen Korngesetze auf irgendeine Weise von Ver- folgung seiner großen National-Laufbahn abhalten. Ja, wir
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sind der festen Überzeugung, Deutschland müßte in einem solchen Fall seine Schutzzölle in demselben Verhältnis er- höhen, in welchem die englischen Fabriken durch die Abo- lition der Korngesetze gegen die Deutschen in Vorteil ge- stellt würden. Deutschland kann noch lange Zeit gegen England keine andere Politik befolgen (543) als die einer minder vorgerückten Manufakturnation, welche mit aller Kraft dahinstrebt, sich mit der meist vorgerückten Manufaktur- nation auf gleiche Stufe zu erheben. Jede andere Politik oder Maßregel involviert eine Gefährdung der deutschen Na- tionalität. Brauchen die Engländer fremdes Korn oder Holz, so mögen sie es in Deuschland holen, oder wo sie sonst wollen, Deutschland wird darum nicht minder seine bis- herigen Fortschritte in der Industrie schützen und die künf- tigen zu befördern streben. Wollen die Briten von deutschem Getreide und Holz nichts wissen, — um so besser: die In- dustrie, die Schiffahrt, der auswärtige Handel Deutschlands werden um so schneller ihr Haupt erheben, das innere Trans- portsystem Deutschlands wird um so schneller sich vervoll- kommnen, die deutsche Nationalität wird um so gewisser ihre naturgemäße Basis erlangen. Vielleicht wird Preußen auf diesem Wege nicht so schnell das Getreide und Holz seiner Ostseeprovinzen zu hohen Preisen verwerten, als wenn ihm plötzlich England aufgeschlossen würde, aber durch die Vervollkommnung der inneren Transportmitlei und durch die von den Manufakturen erzeugte innere Nachfrage nach Agri- kulturprodukten wird sich der Absatz jener Provinzen nach dem inneren Deutschland schnell genug vermehren, und jeder Vorschritt dieser Provinzen, der sich auf den inneren Absatz ihrer Agrikulturprodukte gründet, wird ihnen für alle Zu- kunft gewonnen sein ; sie werden nicht mehr wie bisher von einem Jahrzehnt zum anderen zwischen Kalamität und Pro- sperität hin- und hertaumeln. Als Macht aber wird Preußen an intensiver Kraft durch diese Politik im Innern Deutsch-
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lands hundertfäKig gewinnen, was es für den Augenblick an Werten in den Seeprovinzen opfert oder vielmehr der Zu- kunft leiht.
(544) Offenbar geht der Hauptzweck des englischen Ministerinras bei diesem Bericht auf Erwirkung der Zu- lassung ordinärer englischer Wollen- und Baumwollen waren, teils durch Aufhebung oder doch Modifizierung der Gewichts- zölle, teils durch Herabsetzung des Tarifs, teils durch Zulassung deutschen Getreides und Holzes auf den englischen Markt; damit soll in dem deutschen Schutzsystem die erste Bresche eröffnet werden. Diese Artikel des gemeinen Verbrauchs, wie wir schon in einem früheren Kapitel ausgeführt haben, sind bei weitem die wichtigsten ; sie sind das Grundelement der Nationalindustrie. Zehn Prozent Zölle ad valorem, wie sie offenbar von England beabsichtigt sind, würden mit Beihilfe der üblichen Künste des Geringerdeklarierens den größten Teil der deutschen Industrie der englischen Kon- kurrenz preisgaben, zumal wenn infolge von Handelskrisen die englischen Manufakturisten etlichemal veranlaßt würden, ihre Warenvorräte um jeden Preis loszuschlagen. Es ist also nicht Übertreibung, wenn wir behaupten, die Tendenz der englischen Vorschläge sei auf nichts Geringeres ge- richtet als auf den Umsturz des ganzen deutschen Schutz- systems, darauf, Deutschland in den Stand einer englischen Agriktüturkolonie zurückzuwerfen. Zu diesem Endzweck macht man Preußen bemerklich, wieviel sein Ackerbau durch die Ermäßigung der englischen Korn- und Holzzölle ge- winnen könne und wie geringfügig sein Manufakturinteresse sei. In dieser Absicht eröffnet man Preußen die Aussicht auf eine Ermäßigung der Branntweinzölle. Und daß die übrigen Staaten nicht ganz leer ausgehen, verspricht man, die Zölle auf Nürnberger AVaren, Spielzeug, kölnisch Wasser und andere Bagatelle auf 5 Prozent zu vermindern. Das
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macht auch den kleinen Staaten Freude und kostet nicht viel.
(545) Demnächst will man die deutschen Regierungen durch den vorliegenden Bericht von der Überzeugung durch- dringen, wie vorteilhaft es für sie sei, daß England für sie Baumwollen- und Leinengarn spinne. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß bis jetzt die Politik der Union, allererst der Druckerei und dann der Weberei aufzuhelfen und die mittleren und feineren Garne zu importieren, die richtige gewesen ist. Daraus folgt aber keineswegs, daß sie immer und ewig die richtige bleiben wird. Die Zollgesetzgebung muß mit der Nationalindustrie fortschreiten, wenn sie ihre Bestimmung erfüllen soll. Es ist schon erwähnt worden, daß die Spinnereien, abgesehen von ihrer Wichtigkeit an und für sich, noch die unermeßlichen Yorteile mit sich führen, daß sie uns mit den Ländern der heißen Zone in direkte Tauschverbindung bringen, daß sie demnach auf unsere Schiffahrt und unsere Manufakturenausfuhr unermeßlichen Einfluß üben und daß sie unseren Maschinenfabriken mehr aufhelfen als irgendein anderer Fabrikationszweig. Da nun keinem Zweifel unterliegt, daß Deutschland weder durch Mangel an Wasserkraft und tüchtigen Arbeitern noch durch Mangel an materiellem Kapital oder Intelligenz verhindert wird, diese große und fruchtbare Industrie selbst zu be- treiben, so ist nicht einzusehen, warum wir nicht nach und nach von einer Nummer zur anderen die Gespinste der Art beschützen sollten, daß wir im Lauf von 5—10 Jahren den größten Teil unseres Bedarfs selbst spinnen. Wie hoch man auch die Vorteile der Getreide- und Holzausfuhr anschlagen mag, sie werden nie den Yorteilen, die uns aus der Spinnerei erwachsen müssen, auch nur entfernt gleichkommen. Ja, wir nehmen keinen Anstand, die Vermutung auszusprechen, es dürfte durch Berechnung (546) der aus der Spinnerei er- wachsenden Konsumtionen an Agrikultur- uöd Forstprodukten
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unwiderleglich uaclizuweisen sein, daß aus diesem Manu- fakturzweig allein den deutschen Grundbesitzern weit größere Vorteile zugehen müssen, als ihnen der fremde Markt je bieten wird und bieten kann.
Dr. Bowring bezweifelt, daß Hannover, Braunschweig, die beiden Mecklenburg, Oldenburg und die Hansestädte sich an den Verein anschließen, wofern derselbe nicht seine Ein- fuhrzölle auf radikale Weise ermäßige. Von dem vorge- schlagenen Mittel wird aber wohl vor der Hand nicht die Rede sein können, da es unendlich schlimmer wäre als das Übel, dem dadurch abgeholfen werden soll. Unser Ver- trauen in die Fruchtbarkeit der deutschen Zukunft ist jedoch keineswegs so schwach als das des Berichterstatters. Gleichwie die Juliusrevolution der deutschen Handelsunion heilbringend geworden, so dürfte das nächste große Weltereignis alle untergeordneten Bedenklichkeiten verschwinden machen, wo- durch diese kleinen Staaten bisher abgehalten worden sind, den größeren Forderungen der deutschen Nationalität nach- zugeben. Was die Handelseinheit der Nationalität wert ist und was sie, abgesehen von den materiellen Interessen, den deutschen Regierungen nützt, hat sich vor kurzem zum erstenmal recht tüchtig erprobt, als in Frankreich das Ver- langen nach der Rheingrenze laut wurde.
Von Tag zu Tag müssen die Regierungen und Völker Deutschlands mehr zur Einsicht gelangen, daß National- einheit der Fels ist, auf welchen das Gebäude ihres AVohl- standes, ihrer Ehre, ihrer Macht, ihrer gegenwärtigen Sicher- heit "und Existenz und ihrer künftigen Größe zu gründen sei. So wird mit jedem Tag (547) mehr die Abtrünnigkeit jener kleinen Uferstaaten vom Handelsbund nicht bloß den Vereinigten Staaten, sondern ihnen selbst im Licht eines Nationalskandals erscheinen, dem um jeden Preis abgeholfen werden müsse. Auch sind, beim Licht betrachtet, für jene Staaten selbst die materiellen Vorteile der Einigung ungleich
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größer als die Opfer, welche sie forciert. Je mehr die Manu- fakturindustrie, das innere Transportsystem, die Schiffahrt und der auswärtige Handel Deutschlands sich in der Art entfalten, wie sie sich, den Hilfsmitteln der Nation gemäß, bei einer klugen Handelspolitik entfalten können und ent- falten müssen, um so mehr wird bei ihnen der Wunsch rege werden, an diesen Vorteilen unmittelbar teilzunehmen, um so mehr werden sie sich die Unart abgewöhnen, vom Ausland Heil und Segen zu erwarten.
Die Hansestädte insbesondere betreffend, so schreckt uns der reichsbürgerliche ünabhängigkeitsgeist der souve- ränen Kirchspiele von Hamburg keineswegs von unseren Hoff- nungen zurück. In jenen Städten wohnt, nach dem eigenen Zeugnis des Berichterstatters, eine große Anzahl von Männern, die begreifen, daß Hamburg, Bremen und Lübeck der deutschen Nation sein und werden müssen, was London und Liverpool den Engländern, was New York, Boston und Phila- delphia den Amerikanern sind — Männer, die einsehen, daß der Handelsbund ihrem Weltverkehr Vorteile bieten kann, welche die Nachteile der Unterordnungen unter die Anordnun- gen des Bundes weit aufwiegen, und daß eine Prosperität ohne Garantie für ihre Fortdauer im Grunde bloßes Scheinleben ist.
Welcher vernünftige Bewohner jener Seehäfen möchte sich auch herzlich freuen können über die fortwährende (548) Vermehrung ihrer Tonnenzahl, über die fortwährende Erweiterung ihrer Handelsverbindungen, wenn er bedenkt, daß zwei Fregatten, die, von Helgoland auslaufend, sich an die Mündungen der Weser und Elbe legen, imstande sind, dieses Werk eineä Vierteljahrhuuderts innerhalb 24 Stunden zu zerstören '? Der Bund aber wird diesen Häfen teils durch Errichtung einer eigenen Flotte, teils durch Allianzen für alle Zeiten ihre Prosperität und ihre Fortschritte garantieren. Er wird ihre Fischereien pflegen, ihrer Schiffahrt besondere Vorteile einräumen, durch einen tüchtigen Konsularetat und
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durch Verträge ihre auswärtigen HandelsverbinduDgen in allen Häfen und Weltgegenden schützen und fördern. Zum Teil durch ihre Vermittlung wird er neue Kolonien anlegen und durch sie seinen Kolonialverkehr betreiben. Denn ein Staatenverein von 35 Millionen Menschen (soviel wird der Bund, nachdem er vollständig geworden, wenigstens zählen), der bei einer jährlichen Bevölkerungsvermehrung von durch- schnittlich IV2 Proz. jährlich 2 bis 300000 Menschen leicht entbehren kann, dessen Provinzen strotzen von kenntnis- reichen und gebildeten Bewohnern, denen der Hang, in fernen Weltgegenden ihr Glück zu versuchen, eigentümlich — Menschen, die überall Wurzel fassen und sich einbürgern, wo wildes Land urbar zu machen ist, ist von der Natur selbst berufen, sich unter den kolonisierenden und kultur- verbreitenden Nationen in die erste Reihe zu stellen.
Das Gefühl der Notwendigkeit einer solchen Vervoll- ständigung des Handelsbundes ist in Deutschland so allge- mein verbreitet, daß der Berichterstatter nicht umhin konnte, zu bemerken: „mehr Küsten, mehr Häfen, mehr Schiffahrt, eine Bundesflagge, der Besitz einer Kriegs- und Handels- marine seien unter den Anhängern (549) des Handelsvereins allgemein verbreitete Wünsche, allein für das Aufkommen der Union gegen die anwachsenden Geschwader von Rußland und gegen die Handelsmarine Hollands und der Hansestädte sei wenig Aussicht vorhanden." Gegen sie freilich nicht, um so mehr aber mit ihnen und durch sie. Es liegt in der Natur jeder Gewalt, zu teilen, um zu herrschen. Nachdem der Berichterstatter ausgeführt hat, weshalb es töricht wäre, wenn die Uferstaaten sich dem Verein anschlössen, trennt er auch die großen Häfen für alle Zeiten vom deutschen Nationalkörper, indem er uns von Altonaer Speichern spricht, die den Hamburger Speichern gefährlich werden müßten, als ob ein so großes Handelsreich nicht auch Mittel finden könnte, die Altonaer Speicher seinen Zwecken dienstbar zu
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machen. Wir folgen dem Verfasser nicht in seinen scharf- sinnigen Deduktionen, wir sagen nur, daß sie, auf England angewendet, beweisen würden, London und Liverpool könnten ihre Handelsprosperität außerordentlich fördern, wenn sie sich vom englischen Staatskörper trennten. Welcher Geist in diesen Argumenten weht, spricht der Bericht des englischen Konsuls in Rotterdam unumwunden aus. „Für Großbritanniens Handelsinteressen," sagt Herr Alexander Ferrier am Schhisse seines Berichts, ,,sclieiut es von der allerhöchsten Wichtig- keit, daß kein Mittel unversucht bleibe, die genannten Staaten und ebenso auch Belgien vom Eintritt in den ZoUverband abzuhalten, aus Gründen, die zu klar sind, um der Er- örterung zu bedürfen." Daß Herr Ferrier so spricht, und daß Dr. Bowring so spricht, und daß die englischen Minister so handeln, wie jene sprechen, wer möchte es ihnen ver- argen? Der englische Nationalinstinkt spricht aus ihnen und handelt durch (550) sie. Aber von Vorschlägen, die aus solcher Quelle kommen, für Deutschland Heil und Segen er- warten, heißt doch wahrlich das gebührliche Maß von National- gutmütigkeit überschreiten,
„Was auch sich ereignen mag," fügt Herr Ferrier den oben angeführten Worten bei, „Holland wird jederzeit als der Hauptkanal für die Verbindungen Süddeutschlands mit anderen Ländern betrachtet werden müssen." Offenbar ver- steht Herr Ferrier unter den anderen Ländern nur Eng- land, offenbar will er sagen : sollte auch die englische Manu- faktursuprematie ihre deutschen Brückenköpfe ander Nord- und Ostsee verlieren, so bleibt ihr doch noch der große Brückenkopf Holland, um den Manufaktur- und Kolonialwarenmarkt des südlichen Deutschland zu be- herrschen. Wir aber, von unserem nationalen Standpunkt aus, sagen und behaupten: Holland ist nach seiner geo- graphischen Lage wie nach seinen Handels- und Industrie- verhältnissen und nach Abstammung und Sprache seiner Be-
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wohner, eine deutsche, in Zeiten deutscher Nationalzerwürf- nisse von Deutschland abgetrennte Provinz, ohne deren Wiedereinverleibung in den deutschen Bund Deutschland einem Haus zu vergleichen ist, dessen Türe einem Fremden gehört. Holland gehört so gut zu Deutschland wie die Bretagne und die Normandie zu Frankreich gehören, und so lange Holland ein eigenes, selbständiges Reich bilden will, kann Deutschland so wenig zu Selbständigkeit und Macht kommen, als Frankreich hätte dazu gelangen können, wenn jene Provinzen in den Händen der Engländer geblieben wären. Daß Hollands Handelsmacht gesunken ist, daran ist die (Jnbedeutendheit des Landes schuld. Auch wird und muß Holland, der Prosperität seiner Kolonien (551) unge- achtet, fortan sinken, weil das Land zu schwach ist, um die unermeßlichen Kosten einer bedeutenden Land- und Seemacht aufzubringen. Durch die Bestrebungen, seine Nationalität zu behaupten, wird Holland, jener Kolonialpro- sperität ungeachtet, tiefer und tiefer in Schulden versinken. Gleichwohl ist und bleibt es ein von England abhängiges Land, verstärkt es durch seine scheinbare Independenz nur die englische Suprematie. Dies ist auch der geheime Grund, weshalb England auf dem Wiener Kongreß die Wiederher- stellung der holländischen Scheinindependenz in Schutz ge- nommen hat. Es verhält sich damit ganz wie mit den Hansestädten. Auf der Seite Englands aber ist Holland ein Schildknappe der englischen Flotte ; Deutschland einverleibt, ist es der Führer der deutschen Seemacht. In seiner gegen- wärtigen Lage kann Holland seinen Kolonialbesitz bei weitem nicht so gut ausbeuten, als wenn es einen Bestand- teil des deutschen Bundes bilden würde, schon darum nicht, weil es an den zur Kolonisation erforderlichen Elementen, an Menschen und geistigen Kiäften zu schwach ist. Außer- dem ist die Ausbeutung seiner Kolonien, insoweit sie bisher effektuiert worden, zum größten Teil von der deutschen
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Gutmütigkeit oder vielmehr von der Unbekanntschaft der Deutschen mit ihren eigenen Nationalhandelsinteressen ab- hängig; denn da alle anderen Nationen ihren Kolonien und den ihnen unterworfenen Ländern ihren Kolonialwaren markt vorzugsweise einräumen, so bleibt den Holländern für ihren Überfluß an dergleichen Waren nur der deutsche Markt. Sobald nun die Deutschen zur Einsicht gelangen, daß die- jenigen, welche ihnen Kolonialwaren liefern, sich auch dazu verstehen müssen, ihnen vorzugsweise ihre Manufakturwaren (562) abzunehmen, so wird es den Deutschen auch klar sein, daß sie es in ihrer Gewalt haben, Holland zum An- schluß an den Zollverein zu zwingen. Diese Vereinigung würde beiden Ländern zum größten Vorteil gereichen. Deutschland würde Holland die Mittel liefern, nicht nur seine Kolonien ungleich besser auszubeuten als jetzt, sondern auch neue Kolonien anzulegen und zu erwerben. Deutsch- land würde die holländische und hanseatische Schiffahrt vorzugsweise begünstigen und den holländischen Kolonial- produkten besonderen Vorteil auf den deutschen Märkten ein- räumen. Holland und die Hansestädte dagegen würden vor- zugsweise deutsche Fabrikate ausführen und ihren Kapital- übeifluß vorzugsweise den Fabriken und dem Äckerbau des inneren Deutschlands zuwenden.
Holland, wie es von seiner Höhe als Handelsmacht herabgesunken ist, weil es — die bloße Fraktion einer Nation — sich als ein Ganzes geltend machen wollte, weil es in der Unterdrückung und Schwächung der produktiven Kräfte Deutschlands seinen Vorteil suchte, statt seine Größe auf die Prosperität der hintergelegenen Länder zu basieren, mit welchen jeder Uferstaat steht oder fällt — weil es in der Trennung von der deutschen Nation, statt in der Ver- einigung mit derselben groß zu werden suchte — Holland kann nur durch die deutsche Union und in der engsten Verbindung mit derselben seinen alten Flor wieder erlangen.
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Nur durch diesen Verein ist eine Agrikulturmanufaktur- handelsnationalität erster Größe zu stiften.
Dr. Bowring stellt in seinem Tableau der Ein- und Ausfuhren die deutsche Handelsunion mit den Hansestädten, mit Holland und Belgien zusammen, und aus dieser Zu- sammenstellung erhellt, wieweit noch (553) alle diese Länder von der englischen Manufakturiudustrie abhängig sind und wie unermeßlich sie durch Vereinigung in ihrer Gesamtproduktivkraft gewinnen könnten. Er berechnet nämlich die Einfuhren dieser Länder aus England auf 19842121 Pfd. St. offiziellen oder 8 550347 deklarierten Wertes, die Ausfuhren derselben nach England dagegen nur auf 4804491 Pfd. St., worunter noch, versteht sich, die be- deutenden Quantitäten Javakaffee, Käse, Butter usw., die England von Holland bezieht, begriffen sind. Diese Summen sprechen Bände. Wir danken dem Doktor für seine tabellarische Zusammenstellung; möchte sie eine baldige politische bedeuten!
(554) Fünfunddreißigstes Kapitel. Die Koutinentalpolitik.
Das höchste Ziel der rationellen Politik ist, wie wir in unserem zweiten Buch ausgeführt haben, die Vereinigung der Nationen imter dem Rechtsgesetz — ein Ziel, das nur durch möglichste Gleichstellung der bedeutendsten Nationen der Erde in Kultur, Wohlstand, Industrie und Macht — durch Verwandlung der zwischen ihnen bestehenden Anti- pathien und Konflikte in S^'mpathie und Harmonie zu er-
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reichen ist. Die Lösung dieser Aufgabe ist aber ein Werk von unendlich langsamem Fortgang.
Zurzeit werden die Nationen aus mannigfaltigen Ur- sachen voneinander abgestoßen und entfernt gehalten. Obenan stehen unter denselben die Territorialkonflikte. Noch entspricht die Gebietseinteilung der europäischen Nationen der Natur der Dinge nicht. Ja, noch nicht einmal in der Theorie ist man über die Hauptgrundsätze einer naturge- mäßen Territorialeinteilung einverstanden. Die einen wollen ihr Gebiet — ohne Rücksicht auf Sprache, Handel, Ab- stammung (555) usw. — nach den Bedürfnissen ihrer Haupt- stadt in der Art arrondiert wissen, daß die Hauptstadt im Zentrum gelegen und gegen fremde Angriffe möglichst ge- schützt sei: sie verlangen Flüsse zu Grenzen. Andere be- haupten — und, wie es scheint, mit größerem Recht — Meeresufer, Gebirge, Sprache, Abstammung seien bessere Grenzen als die Flüsse. Noch gibt es Nationen, die sich nicht im Besitz derjenigen Strommündungen und Meeresufer befinden, welche ihnen zur Ausbildung ihres Weltverkehrs und ihrer Seemacht unentbehrlich sind.
Befände sich jede Nation im Besitz des zu ihrer inneren Entwicklung und zur Behauptung ihrer poHtischen, in- dustriellen und kommerziellen Independenz erforderlichen Gebiets, so widerspräche jeder Übergriff einer gesunden Politik, weil mit der unnatürlichen Gebietsvergrößerung die Eifersucht der dadurch beeinträchtigten Nation rege gemacht und genährt würde, folglich die Opfer, welche die über- greifende Nation der Behauptung solcher Provinzen zu bringen hätte, ohne Vergleichung größer wären als die mit ihrem Besitz verbundenen Vorteile. An eine vernunftgemäße Territorialeinteilung ist jedoch zurzeit darum noch nicht zu denken, weil diese Frage durch mannigfaltige Interessen anderer Natur durchkreuzt wird. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß die Gebietsarrondierung unter die wesent-
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liebsten Bedürfnisse der Nationen zu rechnen , daß das Streben nach derselben ein legitimes, daß sogar in manchen Fällen der Krieg dadurch zu rechtfertigen ist.
Fernere Ursachen der Antipathie unter den Nationen sind zurzeit: die Verschiedenheit der Interessen in Be- ziehung auf Manufakturen, Handel, Schiffahrt, (556) See- macht und Kolonialbesitz, die Verschiedenheit der Kultur- stufen, der Religion und der politischen Zustände. Alle diese Interessen werden in mannigfaltiger Weise durchkreuzt durch die Dynastie- und Machtverhältnisse.
Die Ursachen der Antipathie sind wiederum Ursachen der Sympathie. Die Mindermächtigen sympathisieren gegen den Übermächtigen, die Gefährdeten gegen den Eroberer, die Landmächte gegen die Seesuprematie, die Industrie- und Handelsarmen gegen den nach einem Industrie- und Handels- monopol Strebenden, die Zivilisierten gegen die Minder- zivilisierten, die monarchisch Regierten gegen die ganz oder teilweise demokratisch Regierten.
Ihre Interessen und Sympathien verfolgen die Nationen zurzeit durch Allianzen der Gleichbeteiligten und Gleich- gesinnten gegen die ihnen widerstreitenden Interessen und Tendenzen. Da aber diese Interessen und Tendenzen sich in mannigfaltiger Weise durchkreuzen, so sind die Allianzen Avandelbar. Diejenigen Nationen, die heute Freunde sind, können morgen Feinde werden, und umgekehrt, je nachdem eben eines der großen Interessen oder Prinzipien, durch welche sie sich voneinander abgestoßen oder zueinander hin- gezogen fühlen, in Frage steht.
Die Politik hat längst gefühlt, daß Gleichstellung der Nationen ihre endliche Aufgabe sei. Das, was man die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts nennt, ist von jeher nichts anderes gewesen als das Be- streben der Mindermächtigen, den Umgriffen des Über- mächtigen Einhalt zu tun. Doch hat die Politik nicht selten
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ihr nächstes Ziel mit dem entfernteren A^erwechselt, und umgekehrt.
Die nächste Aufgabe der Politik besteht jederzeit (557) darin, klar zu erkennen, in Avelchem der verschiedenen In- teressen Allianz und Gleichstellung jetzt eben am dringend- sten seien, und dahin zu streben, daß, bis diese Gleich- stellung erreicht ist, alle anderen Fragen suspendiert und in den Hintergrund gestellt werden.
Als die dynastischen, monarchischen und aristokratischen Interessen Europas sich mit Beiseitsetzuug aller Eücksichten auf Macht und Handel gegen die revolutionären Tendenzen von 1789 alliierten, war ihre Politik eine richtige.
Sie war es gleichfalls, als das Kaiserreich an die Stelle der revolutionären Tendenz die der Eroberung setzte.
Napoleon wollte durch sein Kontinentalsystem eine Kontinentalkoalition gegen die englische See- und Handels- übermacht stiften; aber um Erfolg zu haben, hätte er den Kontinentalnationen allererst die Besorgnis, von Frankreich erobert zu werden, benehmen müssen. Er scheiterte, weil bei diesen die Furcht vor der Landübermacht die Nach- teile, welche sie von der Seeübermacht empfanden, weit überwog.
Mit dem Sturz des Kaiserreichs hatte der Zweck der großen Allianz aufgehört. Yon nun an waren die Konti- nentalmächte weder durch die revolutionären Tendenzen noch durch die Eroberungssucht Frankreichs bedroht; Englands Übergewicht in den Manufakturen, in Schiffahrt, Handel, Koloniebesitz und Seemacht war dagegen während der Kämpfe gegen die Revolution und Eroberung unermeßlich gewachsen. Von nun an lag es in dem Interesse der Kontinentalmächte, sich mit Frankreich gegen die Handels- und Seeübermacht zu alliieren. Allein aus Furcht vor dem Balg des toten Löwen wurden die Kontinentalmächte den (558) lebendigen Leoparden nicht gewahr, der bisher in
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ihren Reihen gefochten hatte. Die heilige Allianz war ein politischer Fehler.
Auch strafte sich dieser Fehler durch die Juliusrevo- lutiou. Die heilige Allianz hatte einen Gegensatz, der nicht mehr bestand, oder doch lange nicht wieder aufgelebt wäre, ohne Not hervorgerufen. Zum Glück für die Kontinental- mächte gelang es der Juliusdynastie, Frankreichs revolutio- näre Tendenz zu beschwichtigen. Frankreich schloß die Allianz mit England im Interesse der Juliusdynastie und der Befestigung der konstitutionellen Monarchie; England schloß sie im Interesse der Erhaltung seiner Handels- suprematie.
Die französisch-englische Allianz hat aufgehört, sobald die Juliusdynastie und die konstitutionelle Monarchie in Frankreich sich hinlänglich befestigt fühlten, dagegen aber die Interessen Frankreichs in Beziehung auf Seemacht, Schiff- falirt, Handel, Industrie und auswärtigen Besitz wieder mehr in den Vordergrund traten. Offenbar hat Frankreich in diesen Fragen wiederum gleiches Interesse mit den übrigen Kontinentalmächten, und die Stiftung einer Kontinentalallianz gegen die Seeübermacht Englands scheint an die Tages- ordnung zu kommen, wofern es der Juliusdynastie gelänge, in Frankreich vollständige Einheit des Willens unter den verschiedenen Organen der Staatsgewalt herzustellen, die durch die revolutionären Tendenzen in Anregung gebrachte Territorialfrage in den Hintergrund zu drücken und den monarchischen Kontinentalmächten die Furcht vor den Revolu- tions- und Eroberungstendenzen Frankreichs gänzlich zu be- nehmen.
Einer engeren Vereinigung des europäischen Kontinents steht aber zurzeit nichts so sehr im Wege, als (559) daß das Zentrum desselben noch immer nicht die ihm natur- gemäß gebührende Stellung einnimmt. Anstatt Vermittler zwischen dem Osten und Westen des europäischen Kon-
— 527 — • tinents in allen Fragen der Gebietseinteilung, des Ver- fassungsprinzips, der Nationalselbständigkeit und Macht zu sein, wozu dasselbe durch seine geographische Lage, durch seine Föderativverfassung, die alle Furcht vor Eroberung bei benachbarten Nationen ausschließt, durch seine religiöse Toleranz und seine kosmopolitischen Tendenzen, endlich durch seine Kultur- und seine Machteleraente berufen ist, bildet dieser Mittelpunkt zurzeit den Zankapfel, um den der Osten und Westen sich streiten, weil man beiderseits diese durch Mangel an Nationaleinheit geschwächte, stets ungewiß hin- und herschwankende Mittelmacht auf seine Seite zu ziehen hofft. Würde dagegen Deutschland mit den dazu gehörigen Seegestaden, mit Holland, Belgien und der Schweiz sich als kräftige kommerzielle und politische Einheit kon- stituieren, würde dieser mächtige Nationalkörper mit den bestehenden monarchischen, dynastischen und aristokratischen Interessen die Institutionen des Eepräsentativsystems ver- schmelzen, insoweit beide miteinander verträglich sind, so könnte Deutschland dem europäischen Kontinent den Frieden für lange Zeit verbürgen und zugleich den Mittelpunkt einer dauernden Kontinentalalliauz bilden.
Daß Englands Seemacht die aller anderen Nationen, wenn nicht an Zahl der Segel, doch an Streitkraft weit übersteige, daß demnach die minderseemächtigen Nationen nur durch Vereinigung ihrer Streitmacht England zur See das Gegen- gewicht halten können, ist klar. Daraus folgt: daß jede minderseemächtige Nation in der Erhaltung und Prosperität der (560) Seemacht aller anderen minderseemächtigen Nationen interessiert sei; also auch darin: daß Fraktionen anderer Nationen, welche, bis jetzt getrennt, gar keine oder doch nur eine unbedeutende Seemacht besaßen, sich als eine ver- einigte Seemacht konstituieren. England gegenüber ver- lieren Frankreich und Nordamerika, wenn Rußlands See- macht sinkt, und umgekehrt. Sie alle gewinnen, wenn
— 528 — • Deutschland, Holland und Belgien eine gemeinschaftliche Seemacht bilden, denn getrennt sind letztere die Schild- knappen der englischen Suprematie, vereinigt verstärken sie die Opposition aller minderseemächtigen Nationen gegen die Suprematie.
Keine der minderseemächtigen Nationen besitzt eine Handelsmarine, welche die Verhältnisse ihres eigenen inter- nationalen Handels übersteigt; keine von diesen Nationen besitzt eine Manufakturkraft, welche über die der anderen bedeutendes Übergewicht behaupten könnte, keine von ihnen hat also Ursache, die Konkurrenz der übrigen zu fürchten. Dagegen haben alle ein gemeinschaftliches Interesse, sich gegen die zerstörende Konkurrenz von England zu schützen, allen muß daran gelegen sein, daß die über- wiegende Manufakturkraft Englands die Brückenköpfe ver- liere (Holland, Belgien und die Hansestädte), vermittels welcher England bisher die Kontinentalmärkte beherrschte.
Da die Produkte der heißen Zone hauptsächlich in den Manufakturprodukten der gemäßigten Zone bezahlt werden, da demnach die Konsumtionen an dergleichen Produkten durch den Absatz an Manufakturwaren bedingt sind, folglich jede Manufakturnation dahin streben muß, mit den Ländern der heißen Zone in unmittelbaren Verkehr zu treten, so kann, wenn alle (561) Manufakturnationen zweiten Ranges ihr In- teresse verstehen und danach handeln, von keiner Nation ein überwiegender Kolonialbesitz in der heißen Zone be- hauptet werden. Brächte es z. B. England dahin, wohin es jetzt strebt, nämlich seine Bedürfnisse an Kolonialwaren in Ostindien zu produzieren, so könnte England mit West- indien nur Verkehr treiben, insofern es die Kolonialwaren, die es von dort im Tausch gegen seine Manufakturwaren erhält, nach anderen Ländern abzusetzen Gelegenheit hätte. Könnte es aber dieselben nicht anderwärts absetzen, so wären ihm seine westindischen Besitzungen nutzlos ; es hätte dann
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keine andere Wahl, als sie gänzlich ins Freie fallen zu lassen oder doch anderen Manufaktiirländern den Handel mit ihnen frei zu geben. Hieraus folgt, daß alle minder seemächtigen Manufaktur- nationen ein gemeinschaftliches Interesse haben, diese Politik zu befolgen und sich wechselseitig darin zu unterstützen ; es folgt daraus, daß keine dieser Nationen durch den Anschluß Hollands an den deutschen Handelsbund und durch die engere Verbin- dung Deutschlands mit den holländischen Kolonien verliere. Seit der Emanzipation der spanischen und portugiesischen Kolonien in Südamerika und Westindien ist es indessen nicht mehr durchaus nötig, daß eine Manufakturnation eigene Kolonien in der heißen Zone besitze, um sich in den Stand zu setzen, unmittelbar Manufakturwaren gegen Kolonialwaren zu vertauschen. Da der Markt dieser emanzipierten Tropen- länder frei ist, so kann jede Manufakturnation, welche auf diesen freien Märkten Konkurrenz zu halten vermag, in un- mittelbaren Tauschverkehr mit denselben treten. Allein diese freien Tropenländer können nur dann viele (562) Kolonial- waren produzieren und nur dann große (^)iiantitäten Mauufak- turwaren konsumieren, wenn Wohlstand und Sitte, Ruhe und Frieden, gesetzliche Ordnung und religiöse Toleranz bei ihnen heimisch werden. Alle minder seemächtigen Nationen, zumal diejenigen, welche keine oder nur unbedeutende Kolonien besitzen, haben daher ein gemeinschaftliches Interesse, durch vereinigte Kraft einen solchen Zustand herbeizuführen. Der Handelssuprematie kann nicht soviel an den Zuständen dieser Länder gelegen sein, da sie von ihren geschlossenen und abhängigen Märkten in Ost- und Westindien mit Kolonial- waren hinlänglich versorgt wird oder doch versorgt zu werden Hoffnung hat. Aus diesem Gesichtspunkt dürfte auch die so äußerst wichtige Sklavenfrage zum Teil zu beurteilen sein. Zu verkennen weit entfernt, daß viel Philanthropie und Rechtssinn dem Eifer zugrunde liege, womit die Befreiung der Neger von England verfolgt wird, und daß dieser Eifer
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dem Charakter der englischen Nation zu großer Ehre gereiche, können wir uns gleichwohl, wenn wir die nächsten Wirkungen der in dieser Beziehung von England ergriffenen Maßregeln in Betracht ziehen, des Gedankens nicht erwehren, daß auch viel Politik und Handelsinteresse dabei im Spiel sei. Die Wirkungen sind nämlich: 1. daß durch die plötzliche Emanzi- pation der Schwarzen, durch den schnellen Übergang der- selben aus einem Zustand fast tierischer Unterordnung und Sorglosigkeit in einen hohen Grad von individueller Selb- ständigkeit die Kolonialwarenproduktion der südanaerikani- schen und westindischen Tropenländer ungemein geschwächt und am Etide gar auf Null reduziert \verden wird, wie das Beispiel von St. Domingo unwiderleglich dartut, indem dort seit der Vertreibung der Franzosen und (563) Spanier die Produktion von Jahr zu Jahr bedeutend abgenommen hat und fortwährend abnimmt; 2. daß die freien Schwarzen ihre Tagelöhne fortwährend zu steigern suchen, während sie ihre Arbeit auf die Erwerbung der allernotwendigsten Bedürfnisse beschränken, daß demnach ihre Freiheit zunächst nur dem Müßiggang zugute kommt; 3. daß dagegen England in Ost- indien alle Mittel besitzt, die ganze Welt mit Kolonialprodukten zu versorgen. Bekanntlich sind die Hindus, bei vielem Fleiß und vieler Anstelligkeit in ihren Nahrungsmitteln und übrigen Ansprüchen, schon infolge ihrer religiösen Vor- schriften, die ihnen den Fleischgenuß verbieten, ungemein genügsam. Dazu kommt der Mangel an Kapital bei den Eingeborenen, die große Fruchtbarkeit des Bodens an Vege- tabilien, der Zwang der Kasteneinteilung und die große Konkurrenz der Arbeitsuchenden. Alles dieses hat zur Folge, daß der Arbeitslohn in Ostindien ohne alle Vergleichung wohlfeiler ist als in Westindien und Südamerika, die Pflan- zungen mögen hier von freien Schwarzen oder von Sklaven betrieben werden ; daß folglich die Produktion von Ostindien, nachdem dort der Handel freigegeben ist und vernünftigere
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Administrationsgrundsätze die Oberhand gewonnen haben, in ungeheurer Progression steigen muß, und die Zeit nicht mehr ferne ist, wo England nicht bloß alle seine eigenen Bedürfnisse an Kolonialwaren aus Ostindien wird beziehen, sondern auch große Quantitäten nach anderen Ländern wird verführen können. Daraus folgt: daß England durch die Verminderung der Produktion in Westindien und Südamerika, wohin auch andere Länder Manufakturwaren verführen, nicht verlieren kann, sondern gewinnt, wenn die ostindische Kolonialproduktion (564) überwiegend wird, welchen Markt England ausschließlich mit Manufakturwaren versorgt. Endlich wird behauptet, daß mit der Sklavenemanzipation England den nordamerikanischen Sklavenstaaten ein Schwert über das Haupt habe hängen wollen, das der Union um so bedrohlicher sei, je mehr diese Emanzipation um sich greife und bei den nordamerikanischen Schwarzen den Wunsch erzeuge, ähn- licher Freiheiten teilhaftig zu werden. Beim Licht be- trachtet, muß allerdings ein philanthropisches Experiment von so zweifelhaftem Erfolg für diejenigen, zu deren Gunsten es aus allgemeiner Menschenliebe gemacht worden, denjenigen Nationen, welche auf den Tausch mit Südamerika und West- indien angewiesen sind, nichts weniger als vorteilhaft er- scheinen, und nicht ohne Grund dürften sie die Fragen stellen : ob denn ein plötzlicher Übergang aus der Sklaverei in die Freiheit den Schwarzen selbst nicht nachteiliger sei als die Erhaltung der gegenwärtigen Zustände? — Üb nicht eine Reihe von Generationen dazu gehöre, um den an fast tierische Unterordnung gewöhnten Schwarzen zur freiwilligen Arbeit und Wirtschaftlichkeit zu erziehen? Ob nicht vielmehr der Übergang aus der Sklaverei zur Freiheit zweckmäßiger zu bewerkstelligen wäre durch Einführung einer gelinden Leib- eigenschaft, wobei vorerst dem Leibeigenen einiger Anspruch an den Grund und Boden, den er bebaut, und ein billiger Anteil an den Früchten seiner Arbeit, dem Grundherrn da-
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gegen hinreichende Rechte, um den Leibeigenen zu Fleiß und Ordnung anzuhalten, eingeräumt würden? Ob ein solcher Zustand nicht wünschenswerter sei als der Zustand elender, trunksüchtiger, müßiggängerischer, lasterhafter, bettelmäßiger Horden sogenannter freier Schwarzen, im Vergleich (565) mit welchen irländisches Elend in seiner verworfensten Ge- stalt noch Wohlstand und Kultur zu nennen ist?
Würde man uns aber glauben machen wollen, der Drang der Engländer, alles, was da lebet auf Erden, des- jenigen Grades von Freiheit teilhaftig zu machen, auf wel- chem sie selbst stehen, sei so groß und unbändig, daß es zu entschuldigen sei, wenn sie vergessen hätten, daß die Natur keine Sprünge mache, so würden wir die Fragen er- heben: ob denn nicht die Zustände der niedrigsten Kasten der Hindus noch viel elender und verwerflicher seien als die der amerikanischen Schwarzen? Wie es komme, daß der philanthropische Geist Englands noch niemals für diese elendesten der Sterblichen rege geworden? Wie es komme, daß die englische Gesetzgebung noch nie zu ihren Gunsten eingeschritten sei? Wie es komme, daß England aus diesen elenden Zuständen für seine Bereicherung Nutzen zu ziehen beflissen sei, ohne an eine direkte Einwirkung zu denken?
Die englisch-ostindische Politik führt uns zur orienta- lischen Frage. Lösen wir von der Politik des Tages alles ab, was zurzeit auf die Territorialkonflikte, die dynastischen, monarchischen, aristokratischen und religiösen Interessen und auf die Machtverhältnisse Bezug hat, so ist unver- kennbar, daß die Kontinentalmächte in der orientalischen Frage ein großes gemeinschaftliches nationalökonomisches Interesse haben. Wie erfolgreich die gegenwärtigen Be- strebungen der Mächte sein mögen, diese Frage für einen Augenblick in den Hintergrund zu drängen, immer wird sie sich wieder mit erneuerter Stärke in den Vordergrund stellen. Bei allen denkenden Männern ist es eine längst
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ausgemactite Sache, daß eine in ihrer religiösen und mo- ralischen, (566) in ihrer sozialen und politischen Basis so durch und durch unterwühlte Nation wie die türkische einem Leichnam gleiche, der zwar durch die Unterstützung der Lebendigen für einige Zeit noch in aufrechter Stellung erhalten werden mag, darum aber nicht minder in Fäulnis übergeht. Mit den Persern ist es ganz derselbe Fall wie mit den Türken, mit den Chinesen wie mit den Hindus und mit allen anderen asiatischen Völkerschaften — überall wo die vermoderte Kultur Asiens mit der frischen Luft von Europa in Berührung kommt, zerfällt sie in Atome, und Europa wird über kurz oder lang sich in die Not- wendigkeit versetzt sehen, ganz Asien in Zucht und Pflege zu nehmen, wie bereits Ostindien von England in Zucht und Pflege genommen worden ist. In diesem ganzen Länder- und Völkerchaos findet sich keine einzige Natio- nalität, die der Erhaltung und Wiedergeburt wert oder fähig wäre. Gänzliche Auflösung der asiatischen Nationalitäten scheint daher unvermeidlich und eine Wiedergeburt Asiens nur möglich zu sein vermittels eines Aufgusses europäischer Lebenskraft, durch allmähliche Einführung der christlichen Religion und europäischer Sitte und Ordnung, vermittels europäischer Einwanderung und europäischer Regierungs- bevormundschaftung.
Wenn wir über den Gang nachdenken, den möglicher- weise eine solche Wiedergeburt nehmen könnte, so springt allererst in die Augen, daß der größte Teil des Orients von der Natur mit Hilfsquellen reichlich ausgestattet ist, um für die Manufakfurnationen Europas große Quantitäten an Rohstoffen und Lebensbedürfnissen aller Art, besonders aber an Früchten der heißen Zone zu produzieren und dagegen den Manufakturprodukten der letzteren unermeßliche Märkte zu (567) eröffnen. Damit scheint die Natur einen Finger- zeig gegeben zu haben, daß diese Wiedergeburt, wie über-
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haupt die Kultur barbarischer Völker, auf dem Wege des freien Tausches von Agrikulturprodukten gegen Manufaktur- waren vor sich gehen müsse. Demgemäß wäre von den europäischen Nationen allererst der Grundsatz festzuhalten, daß keiner europäischen Nation in irgendeinem Teil Asiens Handelsvorrechte einzuräumen und daß in keinerlei Weise eine Nation vor der anderen dort zu begünstigen sei. Der Erweiterung dieses Verkehrs dürfte besonders förderlich sein, wenn die Haupthandelsplätze des Orients als freie Städte konstituiert würden, deren europäischer Be- völkerung das Recht der Selbstadministration erteilt würde gegen ein jährliches Abgabenaversum an die einheimischen Regenten. Diesen aber sollten nach dem Vorgang der eng- lisch-ostindischen Politik europäische Agenten beigegeben werden, deren Ratschläge in Beziehung auf Beförderung von Sicherheit, Ordnung und Zivilisation die einheimischen Re- gierungen zu befolgen verbunden wären.
Sämtliche Kontinentalmächte haben insbesondere darin ein gemeinschaftliches Interesse, daß die beiden Wege aus dem Mittelmeer nach dem roten Meer und nach dem per- sischen Meerbusen weder in den ausschließlichen Besitz von England kommen, noch durch asiatische Barbarei un- zugänglich bleiben. Offenbar würde die Übertragung der Obhut über diese wichtigen Punkte an Österreich allen euro- päischen Nationen die besten Garantien gewähren.
Sodann haben sämtliche Kontinentalmächte mit Nord- amerika ein gemeinschaftliches Interesse in Behauptung des Grundsatzes: „frei Schiff, frei Gut" — (568) und daß nur eine wirkliche Blockade einzelner Häfen, nicht aber eine bloße Blockadeerklärung gegen ganze Küsten von den Neu- traleu zu respektieren sei. Endlich scheint der Grundsatz der Besitznahme wilder und unbewohnter Länder einer Revision im gemeinschaftlichen Interesse der Kontinental- mächte zu bedürfen. Man lächelt in unseren Tagen darüber,
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daß der heilige Vater sich früher angemaßt habe, Inseln und Weltteile zu verschenken, ja mit einem Federstrich die Weltkugel in zwei Teile zu schneiden und den einen Teil diesem, den anderen jenem zuzuscheiden. Sollte es aber um vieles vernünftiger sein, demjenigen das Eigentum eines ganzen Weltteils zuzuerkennen, der zuerst eine mit einem seidenen Lappen behängte Stange irgendwo in die Erde steckt? Daß bei Inseln von beschränkter Größe das Recht des Entdeckers geachtet werde, mag vernünftigerweise zu rechtfertigen sein, allein wenn es sich von Inseln handelt, die so groß sind als ein großes europäisches Reich, wie Neuseeland, oder von einem Kontinent, der größer ist als ganz Europa, wie Australien, so kann doch der Vernunft gemäß nur eine wirkliche Besitznahme durch Kolonisation und nur für das wirklich kolonisierte Tenitorium auf aus- schließlichen Besitz Anspruch geben, und es ist nicht ein- zusehen, warum nicht die Deutschen und Franzosen das Recht haben sollten, in jenen Weltgegenden auf von den englischen Niederlassungen entfernten Punkten Kolonien an- zulegen.
Betrachten wir die unermeßlichen Interessen, welche den Kontinentalaatiouen der Seesuprematie gegenüber ge- meinschaftlich sind, so werden wir zur Erkenntnis geführt, daß diesen Nationen nichts so sehr not tue als Einigung und daß ihnen nichts so verderblich (569) sei als Kon- tinentalkriege. Auch lehrt die Geschichte des letztver- flossenen Jahrhunderts, daß jeder Krieg, den die Kontinental- mächte gegeneinander geführt, nur dazu gedient habe, die Industrie, den Reichtum, die Schiffahrt, den Kolonialbesitz und die Macht der Insulaisuprematie zu vergrößern.
Es kann demnach nicht in Abrede gestellt werden, daß dem Napoleonischen Kontinentalsystem eine richtige Ansicht von den Berlürfnissen und Interessen des Kontinents zu- grunde lag, obwohl nicht verkannt werden darf, daß Napo-
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leon diese aa sich richtige Idee auf eine der Unabhängig- keit und den Interessen der übrigen Kontinentalmächte widerstreitende Weise zur Ausführung hatte bringen wollen. Das Napoleonische Kontinentalsystem litt an drei Haupt- gebrechen: einmal wollte es an die Stelle der englischen Seesupreraalie eine französische Kontinentalsuprematie setzen ; anstatt sich auf Hebung und Gleichstellung der übrigen Kontinentalnationen zu gründen, beabsichtigte es die Er- niedrigung oder Zerstörung und Auflösung anderer Natio- nalitäten auf dem Kontinent zugunsten Frankreichs. Sodann schloß sich dadurch Frankreich gegen die übrigen Kon- tinentalländer ab, während es freie Konkurrenz in diesen Ländern in Anspruch nahm. Endlich zerstörte es den Ver- kehr zwischen den Manufakturländern des Kontinents und den Ländern der heißen Zone fast gänzlich — sah es sich genötigt, die Störung des Weltverkehrs durch Surrogate zu rem edieren.
Daß die Idee des Kontinentalsystems immer wieder- kehren, daß die Notwendigkeit ihrer Realisierung den Kon- tinentalnationen sich um so stärker aufdringen wird, je höher Englands Übergewicht an Industrie, Reichtum und Macht steigt, ist jetzt schon klar imd (570) wird immer noch klarer werden. Aber nicht minder zu bezweifeln ist, daß eine Kontinentalallianz nur Erfolg haben kann, wenn Frankreich die Fehler Napoleons zu vermeiden weiß.
Es ist demnach töricht von Frankreich, wenn es allem Rechte und aller Natur der Verhältnisse zuwider Grenz- ansprüche gegen Deutschland erhebt und damit andere Kon- tinentalnationen nötigt, sich an England anzuschließen.
Es ist töricht von Frankieich, wenn es vom mittel- ländischen Meer als von einem französischen Binnensee spricht und nach ausschließlichem Einfluß in der Levante und in Südamerika trachtet.
Ein wirksames Kontinentalsystem kann nur aus freier
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Vereinigung der Kontinentalmächte hervorgehen und nur Er- folg haben, wenn es Gleichstellung der daraus erwachsenden Vorteile bezweckt und bewirkt. Denn nur so und nicht anders können die Seemächte zweiten Ranges der englischen Übermacht dergestalt imponieren, daß diese, ohne an die Gewalt der Waffen zu appellieren, allen gerechten Forde- rungen der M"indermächtigen nachgibt. Nur durch eine solche Allianz können die Kontinentalmanufakturmächte ihre Verbindung mit den Ländern der heißen Zone erhalten und ihre Interessen im Orient und im Okzident behaupten und wahren.
Allerdings dürfte es die nach Übermacht allzu durstigen Briten hart ankommen, auf diese Weise zuzusehen, wie die Kontinentalnationen durch gegenseitige Handelserleichterungen und durch Verträge ihre Manufakturkraft wechselseitig heben, wie sie wechselseitig ihre Schiffahrt und ihre Seemacht stärken, wie sie überall in Zivilisierung und Kolonisierung bar- barischer und wilder Länder und im Handel mit der heißen Zone (571) den ihnen von der Natur beschiedenen Anteil in Anspruch nehmen ; allein ein Blick in die Zukunft dürfte sie über diese eingebildeten Nachteile hinlänglich trösten.
Dieselben Ursachen nämlich, welche Großbritannien auf seinen gegenwärtigen hohen Standpunkt erhoben, werden — wahrscheinlich schon im Lauf des nächsten Jahrhunderts — das vereinigte Amerika auf einen Grad von Industrie, Reich- tum und Macht erheben, welcher diejenige Stufe, worauf England steht, soweit überragen wird, als gegenwärtig Eng- land das kleine Holland überragt. Im natürlichen Lauf der Dinge wird Nordamerika innerhalb dieses Zeitraums seine Bevölkerung auf Hunderte von Millionen Menschen ver- mehren, wird es über ganz Mittel- und Südamerika seine Bevölkerung, seine Institutionen, seine Kultur, seinen Geist ergießen, wie es ihn in der neuesten Zeit schon über die angrenzenden mexikanischen Provinzen ergossen hat —
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wird das Band der Konföderation alle diese unermeßlichen Länder umschließen — wird eine Bevölkerung von mehreren hundert Millionen Menschen einen Kontinent ausbeuten, der an Ausdehnung und Naturreichtum den europäischen Konti- nent unendlich übertrifft — wird die Seemacht der westlichen Welt die Seemacht von Großbritannien soweit überragen, als ihre Küsten und Ströme die britischen an Erstreckung und Größe übertreffen.
So wird in einer nicht allzu entfernten Zukunft die Naturnotwendigkeit, welche jetzt den Franzosen und Deutschen die Stiftung einer Kontinentalallianz gegen die britische Suprematie gebietet, den Briten die Stiftung einer euro- päischen Koalition gegen die Suprematie von Amerika ge- bieten. Alsdann wird Großbritannien in der Hegemonie der vereinigten Mächte von Europa (572) Schutz, Sicherheit und Geltung gegen die amerikanische Übermacht und Ersatz für die verlorene Suprematie suchen müssen und finden.
Es ist also gut für England, daß es sich in Zeiten in der Resignation übe, daß es durch zeitige Entsagung die Freundschaft der europäischen Kontinentalmächte gewinne, daß es sich bei Zeit an die Idee gewöhne, der erste unter gleichen zu sein.
(573) Sechsunddreißigstes Kapitel. Die Haudelspolitik des deutschen Zollvereins.
Wenn irgendeine Nation zu Pflanzung einer nationalen Manufakturkraft berufen ist, so ist es die deutsche — .durch den hohen Rang, den sie in den Wissenschaften und
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Künsteu, in der Literatur und Erziehung, in der öffentlichen Administration und in gemeinnützigen Institutionen behauptet — durch ihre Moralität und Religiosität, ihre Arbeitsamkeit und Wirtschaftlichkeit — durch ihre Beharrlichkeit und Ausdauer in den Geschäften, sowie durch ihren Erfindungs- geist — durch die Größe und Tüchtigkeit ihrer Bevölkerung — durch den Umfang und die Natur ihres Territoriums — durch ihren weit vorgerückten Ackerbau und ihre physischen, sozialen und geistigen Hilfsquellen überhaupt.
Wenn irgendeine Nation von einem ihren Zuständen angemessenen Schutzsystem reiche Früchte zu erwarten hat für das Aufkommen ihrer inneren Manufakturen, für die Ver- mehrung ihres auswärtigen Handels und (674) ihrer Schiffs- fahrt, für die Vervollkommnung ihrer inneren Transportmittel, für die Blüte ihres Ackerbaues, sowie für die Behauptung ihrer Unabhängigkeit und die Vermehrung ihrer Macht nach außen, so ist es die deutsche.
Ja, wir wagen die Behauptung, daß auf der Ausbildung des deutschen Schutzsystems die Existenz, die Independenz und die Zukunft der deutschen Nationalität beruhe. Nur in dem Boden des allgemeinen Wohlstandes wurzelt der National- geist, treibt er schöne Blüten und reiche Früchte; nur aus der Einheit der materiellen Interessen erwächst die geistige und nur aus beiden die Nationalkraft, Welchen Wert aber haben alle unsere Bestrebungen, seien wir Regierende oder Regierte, vom Adel- oder vom Bürgerstand, Gelehrte oder Ungelehrte, Soldaten oder Zivilisten, Manufakturisten, Agri- kulturisten oder Kaufleute, ohne Nationalität, und ohne Garantie für die Fortdauer unserer Natio- nalität!
Noch erfüllt indessen das deutsche Schutzsystem seine Zwecke nur in sehr unvollkommener Weise, solange nicht Deutschland seinen Bedarf an Baumwollen- und Flachs- maschinengarn selbst spinnt, solange es nicht seine Bedürf-
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nisse an Kolonialwaren unmittelbar aus den Ländern der heißen Zone bezieht und sie mit eigenen Manufaktur Pro- dukten bezahlt, solange es nicht diesen Handel mit eigenen Schiffen betreibt, solange es seiner Flagge keinen Schutz zu gewähren vermag, solange es kein vollständiges Strom-, Kanal- und Eisenbahntransportsystem besitzt, solange nicht der deutsche Zollverein auf alle deutschen Küstenländer und auf Holland und Belgien sich erstreckt. Wir haben diese Gegenstände an verschiedenen Orten in diesem Buche um- ständlich (575) abgehandelt und brauchen daher hier nur das bereits Angeführte zu reassumieren.
Wenn wir rohe Baumwolle aus Ägypten, aus Brasilien und Nordamerika importieren, so bezahlen wir dieselbe in unseren eigenen Manufakturprodukten; importieren vdr da- gegen Baumwollengarn aus England, so bezahlen wir den Wert desselben in Rohstoffen oder Lebensmitteln, die wir nützlicher selbst verarbeiten oder verzehren könnten, oder bezahlen wir sie auch in Barschaften, die wir anderwärts gewonnen und wofür wir nützlicher fremde Rohstoffe zur Selbstverarbeitung oder Kolonialprodukte zur Selbstkonsum- tion kaufen könnten.
Ebenso bietet uns das Aufkommen der Leinengarn- maschinenspinnerei die Mittel, nicht nur die innere Kon- sumtion an Leinwand zu steigern und unseren Ackerbau zu vervollkommnen, sondern auch unseren Verkehr mit den Ländern der heißen Zone unermeßlich zu erweitern.
In den beiden genannten Industriezweigen sowie in der Wollfäbrikation sind wir durch noch unbenutzte Wasserkraft, durch wohlfeile Lebensmittel und niedrige Taglöhne so be- günstigt wie irgendeine andere Nation. Was uns fehlt, ist einzig und allein die Garantie für unsere Kapitalisten und Techniker, wodurch sie gegen Kapitalverlust und Brotlosig- keit geschützt werden. Schon ein mäßiger Schutzzoll, der im Lauf der nächsten fünf Jahre auf ungefähr 25 Prozent
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stiege, einige Jahre auf dieser Höhe erhalten würde und dann wieder auf 15 bis 20 Prozent herabfiele, dürfte diesen Zweck vollkommen erfüllen. Alles, was von den Anhängern der Werttheorie gegen eine solche Maßregel vorgebracht wird, ist von uns widerlegt worden. Dagegen ist zu ihren Gunsten noch weiter anzuführen, (576) daß diese großen Industriezweige hauptsächlich die Mittel bieten zu Anlegung ausgedehnter Maschinenfabriken und zu Ausbildung eines Standes von tüchtigen technischen Gelehrten und prak- tischen Technikern.
Im Kolonialwaren handel hat Deutschland, wie Frank- reich und England, den Grundsatz zu befolgen, daß den- jenigen Ländern der heißen Zone, welche uns Manufaktur- produkte abnehmen, in Ansehung des Bezugs unserer Be- dürfnisse an Kolonialprodukten der Vorzug gegeben werde, oder mit kürzeren Worten, daß wir von denen kaufen, die von uns kaufen. Dies ist der Fall in unserem Ver- kehr mit Westindien und mit Süd- und Nordamerika.
Es ist aber noch nicht der Fall in unserem Verkehr mit Holland, welches Land uns unermeßliche Quantitäten von seinen Kolonialproduklen liefert, dagegen aber nur unver- hältnismäßig geringe Quantitäten unserer Manufakturprodukte entgegennimmt.
Gleichwohl ist Holland mit dem größten Teil seines Kolonialproduktenabsatzes auf den Markt von Deutschland angewiesen, indem England und Frankreich sich zum größten Teil mit dergleichen Produkten aus ihren eigenen Kolonien und aus abhängigen Ländern versehen, wo sie den aus- schließlichen Mahufakturproduktenmarkt besitzen und folg- lich nur geringe Quantitäten holländischer Kolonialprodukte zulassen.
Holland hat keine eigene, bedeutende Manufakturproduk- tion, dagegen eine große Kolonialproduktion, die in der letzt- verflossenen Zeit ungemein gestiegen ist und noch uner-
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raeßlich gesteigert werden kann. Holland aber verlangt Ungerechtes von Deutschland und handelt seinem eigenen wohlverstandenen Interesse zuwider, indem es (577) den größten Teil seiner Kolonialprodiikte nach Deutschland ab- setzen, dagegen sein Bedürfnis an Manufakturprodukten da nehmen will, wo es ihm beliebt. Dies ist eine für Holland nur scheinbar vorteilhafte, kurzsichtige Politik; denn würde Holland den deutscheu Manufakturprodukten im Mutterlande wie in den Kolonien den Vorzug geben, so würde es die Nachfrage Deutschlands nach holländischen Kolonialprodukten in demselben Verhältnis steigern, in welchem der Absatz an deutschen Manufakturprodukten nach Holland und seinen Kolonien zunimmt; oder mit anderen Worten: Deutschland würde um so mehr Kolonial produkte kaufen können, als es Manufakturprodukte an Holland verkauft; Holland würde um so mehr Kolonialprodukte nach Deutschland absetzen können, als es Manufakturprodukte von Deutschland kauft. Dieses Wechselverhältnis nun wird von Holland gestört, wenn es seine Kolonialprodukte nach Deutschland verkauft, dagegen sein Bedürfnis an Manufakturprodukten von England kauft, weil England, es mag an Manufakturprodukten nach Holland absetzen, soviel es will, immer den größten Teil seiner Be- dürfnisse an Kolonialprodukten aus seinen eigenen Kolonien oder aus den ihm unterworfenen Ländern beziehen wird.
Deutschlands Interesse fordert demnach, daß es ent- weder von Holland zugunsten seiner Manufakturproduktion einen Differenzzoll erlange, wodurch ihm der ausschließ- liche Manufakturproduktenmarkt in Holland und seinen Ko- lonien gesichert wird; oder — im Weigerungsfall — daß es selbst in Ansehung der Kolonialwareneinfuhr zugunsten der Produkte von Mittel- und Südamerika und den freien Märkten von Westindien einen Dilferenzzoll einführe.
(678) Auch läge in der letzteren Maßregel das wirk-
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samste Mittel, Holland zum Anschluß an den deutschen Zoll- verein Motive zu geben.
Wie jetzt die Sachen stehen, hat Deutschland keinen Grund, seine eigenen Runkelrüben -Zuckerfabriken dem Handel mit Holland aufzuopfern. Denn nur wenn Deutsch- land sein Bedürfnis an diesem Genußmittel in eigenen Manufakturprodukten bezahlen kann, wird es sich dieses Bedürfnis im Wege des Tausches mit den Ländern der heißen Zone auf vorteilhaftere Weise als durch Selbstpro- duktion verschaffen.
Vor der Hand sollte daher das Augenmerk Deutsch- lands hauptsächlich auf die Erweiterung seines Handels mit Nord-, Mittel- und Südamerika und mit den freien Märkten von Westindien gerichtet sein. In dieser Beziehung emp- fehlen sich außer der oben angeführten noch folgende Maß- regeln : die Herstellung einer regelmäßigen Paketdampfboot- schiffahrt zwischen den deutschen Seestädten und den haupt- sächlichsten Häfen jeuer Länder, die Beförderung der Aus- wanderung dahin, die Befestigung und Erweiterung der freundschaftlichen Verhältnisse zwischen ihnen und dem Zollverein und die Beförderung der Kultur jener Länder überhaupt.
Die Erfahrung der neuesten Zeit hat sattsam gelehrt, wie unermeßlich der große Handel durch regelmäßige Dampfschiffahrt befördert wird. Frankreich und Belgien sind bereits in dieser Beziehung in die Faßstapfen Englands getreten, wohl einsehend, daß jede Nation, die in diesem vollkommneren Transportmittel zurückbleibt, in ihrem aus- wärtigen Verkehr- Rückschritte machen muß. Auch sind die deutschen Seestädte bereits zu dieser Erkenntnis ge- kommen; schon steht eine in Bremen zustande gekommene Aktienkompagnie im (579) Begriff, zwei oder drei Dampf- boote für den Verkehr mit Nordamerika zu bauen. Offen- bar ist dies aber eine unzulängliche Maßregel. Deutsch-
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lands Handelsinteresse fordert nicht allein eine regelmäßige Dampfschiffahrt mit Nordamerika und namentlich mit New York, Boston, Charlestown und New Orleans, sondern auch mit Cuba, St. Domingo und mit Mittel- und Südamerika. In Beziehung auf die letzteren Dampfschiffahrtsverbindungen sollte Deutschland keiner anderen Nation nachstehen. Frei- lich ist nicht zu verkennen, daß die dazu erforderlichen Mittel den Unternehmungsgeist und vielleicht auch die Kräfte der deutschen Seestädte übersteigen, und uns will scheinen, sie seien nur mittels reichlicher Subvention von selten der Zoll Vereinsstaaten ausführbar. Die Aussicht auf eine solche Subvention sowie auf Differenzzölle zugunsten der deutschen Schiffahrt dürfte zugleich für diese Seestädte ein be- deutendes Motiv zum Anschluß an den Handelsverein ab- geben. Wenn man berücksichtigt, wie sehr durch eine solche Maßregel die Manufakturproduktenausfuhren und die Kolonialprodukteneinfuhren, folglich auch die Zolleinnahmen der Vereinsstaaten gehoben würden, so wird man nicht ver- kennen, daß selbst ein bedeutender Aufwand für diese Zwecke nur als ein reproduktiv angelegtes Kapital erscheint, von welchem reichliche Zinsen zu erwarten stehen.
Durch die Vermehrung der Verbindungsmittel Deutsch- lands mit den vorgenannten Ländern würde die Auswande- rung und die Ansiedlung deutscher Bürger nach denselben nicht wenig gefördert und dadurch zu künftiger Vermehrung des Verkehrs mit ihnen der Grund gelegt werden. Zu diesem Behufe sollten die Vereinsstaaten überall Konsulate und diplomatische (580) Agentschaften errichten, vermittels derselben die Ansiedlungen und Unternehmungen deutscher Bürger fördern und überhaupt jenen Staaten in jeder tun- lichen Weise zu Befestigung ihrer Regierungen und Ver- vollkommnung ihrer Kulturzustände an die Hand gehen.
Wir sind ganz und gar nicht der Ansicht derer, welche glauben, daß die in der heißen Zone gelegenen Länder von
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Amerika der deutschen Kolonisation weniger Vorteile bieten als die gemäßigte Zone von Nordamerika. So sehr wir — oifen gestanden — für das letztgenannte Land eingenommen sind und so wenig wir in Abrede stellen können und wollen, daß der einzelne deutsche Auswanderer, der sich im Besitz von einigem Kapital befindet, im westlichen Nordamerika am meisten Hoffnung hat, sein Glück dauernd zu begründen, so müssen wir doch hier die Ansicht aussprechen, daß die Auswanderung nach dem mittleren und südlichen Amerika, wenn sie gut geleitet würde und in einem großartigeu Maßstab stattfände, in nationaler Beziehung Deutschland viel größere Vorteile verspricht als die Auswanderung nach Nordamerika. Was hilft es der deutschen Nation, wenn die nach Nordamerika Auswandernden noch so glücklich werden, ihre Persönlichkeit geht der deutschen Nationalität für immer verloren, und auch von ihrer materiellen Produktion sind nur unbedeutende Früchte für Deutschland zu erwarten. Es sind blanke Illussionen, wenn man bei den innerhalb der Unionsstaaten wohnenden Deutschen die deutsche Sprache glaubt erhalten oder dort mit der Zeit ganz deutsche Staaten bilden zu können. Wir haben einst selbst diese Illusion geteilt, sind aber nach zehnjährigen Beobachtungen an Ort und Stelle davon zurückgekommen. Es liegt in dem Geist jeder Nationalität, (581) am meisten aber in der von Nord- amerika, sich in Sprache, Literatur, Administration und Ge- setzgebung zu assimilieren, und es ist gut, daß es so ist. Wie viele Deutsche gegenwärtig in Nordamerika leben, doch lebt sicherlich kein einziger dort, dessen Urenkel nicht die englische Sprache der deutschen weit vorzöge und dies aus dem ganz natürlichen Grund, weil letztere die Sprache der Gebildeten, die Sprache der Literatur, der Gesetzgebung, der Administration, der Gerichtshöfe und des Handels und Verkehrs ist. Den Deutschen in Nordamerika kann und wird es nicht anders ergehen als den Hugenotten in Deutschland List, Nationalökonoinic. 35
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und den Franzosen in Louisiana; sie werden und müssen sich naturgsmäß mit der vorherrschenden Bevölkerung ver- schmelzen, der eine etwas früher, der andere etwas später, je nachdem er mehr oder weniger mit Stammverwandten zusammen lebt.
Auf einen lebhaften Verkehr zwischen Deutschland und den nach dem westlichen Nordamerika auswandernden Deutschen ist noch weniger zu rechnen. Immer ist der erste Ansiedler durch die Not gezwungen, den größten Teil seiner Kleidungsstücke und Geräte selbst zu fabrizieren, und größtenteils vererben sich die so aus der Not hervor- gegangenen Gewohnheiten auf die zweite und dritte Gene- ration. Dazu kommt, daß Nordamerika selbst ein in der Manufakturindustrie gewaltig aufstrebendes Land ist und mehr und mehr dahin streben wird, den inneren Manufaktur- warenmarkt seiner eigenen Industrie zu gewinnen.
Übrigens w^ollen Avir damit keineswegs behaupten, daß der amerikanische Manufakturwarenmarkt überhaupt für Deutschland nicht ein sehr zu beachtender und wichtiger sei. Im Gegenteil: wir sind der (582) Meinung, derselbe sei für manche Luxusgegenstände und für leicht transportable Manufakte, wobei der Taglohu Hauptbestandteil des Preises ist, einer der bedeutendsten und müsse in Beziehung auf die angedeuteten Artikel für Deutschland von Jahr zu Jahr wich- tiger werden. Was wir behaupten, ist nur dies: daß die- jenigen Deutschen, die nach dem westlichen Nordamerika auswandern, nicht bedeutend dazu beitragen, die Nachfrage nach deutschen Manufakturprodukten zu vermehren, und daß in dieser Beziehung die Auswanderung nach Mittel- und Südamerika ungleich mehr direkter Begünstigung bedürfe und sie auch mehr verdiene.
Die letztgenannten Länder, mit Einschluß von Texas, sind größtenteils auf die Produktion von Kolonialartikeln an- gewiesen; nie können und werden sie es in der Manufaktur-
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Industrie weit bringen. Hier ist ein ganz neuer und reicher Manufakturwarenmarkt zu erobern; wer hier feste Verbin- dungen angeknüpft hat, kanu für alle Zukunft im Besitz der- selben bleiben. Diese Länder, ohne eigene moralische Kraft, sich auf einen höheren Standpunkt der Kultur zu erheben, wohlgeordnete Regierungen einzuführen und ihnen Festigkeit zu verleihen, werden mehr und mehr zur Überzeugung ge- langen, daß ihnen von außen — durch Einwanderung — Hilfe kommen müsse. Hier sind die Engländer und Franzosen wegen ihrer Anmaßlichkeit und aus Eifersucht für die Na- tionalindependenz verhalot, die Deutschen aus dem entgegen- gesetzten Grunde beliebt. Diesen Ländern sollten also die Vereinsstaaten die angestrengteste Aufmerksamkeit widmen. Ein tüchtiger deutscher Konsular- und Gesandtschaftsetat sollte hier etabliert werden und unter sich in Korrespondenz treten. Aufmuntern sollte man junge (583) Naturforscher, diese Länder zu bereisen und darüber unparteiische Berichte zu geben, junge Kaufleute, sich dort umzusehen, junge Ärzte, dort zu praktizieren. Ins Leben rufen, durch wirkliche Aktien- tcilnahme unterstützen und in besondern Schutz nehmen sollte man Kompagnien, die sich in den deutschen Seestädten bilden, um in jenen Ländern große Strecken Landes zu kaufen und sie mit deutschen Pflanzern anzusiedeln — Handels- und Schiffahrtsgesellschaften, welche zum Zweck liaben, den deutschen Manufakturprodukten in jenen Ländern neue Märkte zu eröffnen und Paketbootlinien herzustellen — Bergbaugesellschaften , die zur Absicht haben , deutsche Kenntnisse und deutschen Fleiß zur Ausbeutung der großen Mineralreichtümer jener Länder zu verwenden. Auf jede mögliche Weise sollten die Vereinsstaateu die Zuneigung der dortigen Völkerschaften und zumal der Regierungen zu erwerben und durch sie auf Beförderung der ööentlichen Sicherheit, der Kommunikationsmittel und der öffentlichen Ordnung überhaupt zu wirken streben, ja, man sollte sich
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nicht scheuen, im Fall man sich die Regierungen jener Länder dadurch verbindlich machen könnte, ihnen auch durch Absendung bedeutender Hilfskorps Beistand zu leisten.
Gleiche Politik wäre in Beziehung auf den Orient, die europäische Türkei und die unteren Donauländer zu be- folgen. Deutschland hat ein unermeßliches Interesse dabei, daß in diesen Läudörn Sicherheit und Ordnung Bestand ge- winne, -und in keiner Richtung wie in dieser ist die Aus- wanderung der Deutschen so leicht zu bewerkstelligen von den Individuen und so vorteilhaft für die Nation. Ein An- wohner der oberen Donau könnte sich mit dem fünften Teil des Aufwandes an Geld und Zeit, womit seine Auswan- derung nach den (584) Ufern des Eriesees verbunden ist, nach der Moldau und Wallachei oder nach Serbien oder auch nach den südwestlichen Ufern des schwarzen Meeres versetzen. Was ihn mehr dorthin als hierher zieht, das ist der dort herrschende höhere Grad von Freiheit, von Sicher- heit und Ordnung. Unter den gegenwärtigen Yerhältnissen der Türkei dürfte es aber den deutschen Staaten in Ver- bindung mit Österreich nicht unmöglich sein, in der Art auf die Verbesserung der öffentlichen Zustände jener Länder zu wirken, daß der deutsche Kolonist sich nicht mehr zu- rückgestoßen fühlte, zumal wenn die Regierungen selbst Kolonisationskompagnien stiften, daran teilnehmen und ihnen fortwährend ihren besondern Schutz angedeihen lassen würden.
Indessen ist klar, daß dergleichen Ansiedelungen auf die Industrie der Vereinsländer nur dann besonders wohl- tätig wirken könnten, wenn dem Tausch von deutschen Manufakturprodukten gegen die Agrikulturprodukte der Kolonisten keine Hindernisse im Weg ständen, und wenn derselbe durch wohlfeile und schnelle Kommunikations- mittel zureichend befördert würde. Es liegt daher in dem Interesse der Vereinsstaaten, daß Ost erreich den Durchfuhr-
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handel auf der Donau möglichst erleichtere und daß die Dampfschiffahrt auf der Donau zu kräftigem Leben erwache, daß sie folglich im Anfang von den Regierungen tatsächlich unterstützt werde.
Überhaupt wäre nichts so sehr zu wünschen, als daß der Zollverein und Österreich später, nachdem die Industrie der Vereinsländer sich noch besser entwickelt und der österreichischen mehr gleichgestellt haben wird, sich hin- sichtlich ihrer Manufakturprodukte vertragsmäßig wechsel- seitige Konzessionen machten.
(585) Nach Herstellung eines solchen Vertrags würde Osterreich mit den Vereinsstaaten gleiches Interesse haben die türkischen Provinzen zum Vorteil ihrer Manufaktur- industrie und ihres auswärtigen Handels auszubeuten.
In Erwartung des Anschlusses der deutschen Seestädte und Hollands an den Zollverein wäre zu wünschen, daß Preußen jetzt schon mit Kreierung einer deutschen Handels- flagge und mit Grundlegung einer künftigen deutschen Flotte den Anfang machte, und daß es Versuche anstellte, ob und wie in Australien oder in Neuseeland oder auf andern Inseln des fünften Weltteils deutsche Kolonien anzulegen wären.
Die Mittel zu dergleichen Versuchen und Anfängen und zu den von uns früher geforderten Unterstützungen und Unternehmungen müßten auf demselben Wege ge- wonnen werden, auf welchem England und Frankreich die Mittel zur Unterstützung ihres auswärtigen Handels und ihrer Kolonisation und zur Unterhaltung ihrer gewaltigen Flotten gewinnen, nämlich durch Besteuerung der eingehen- den Kolonialprodukte. Einheit, Ordnung und Energie könnten in diese Vereinsmaßregel gebracht werden, wenn die Ver- einsstaaten die Leitung derselben in betreff des Nordens imd der überseeischen Verhältnisse an Preußen und in betreff der Donau und der orientalischen Verhältnisse an
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Bayern übertrügen. Ein Zusatz von 10 Proz. zu den gegenwärtigen Manufaktur- und Kolonial wareneinfuhrzöllen würde dem Verein schon jährlich anderthalb Millionen zur Disposition stellen. Und da infolge des fortwährenden Steigen s der Manufakturproduktenausfuhr mit Sicherheit zu erw^arten ist, daß im Lauf der Zeit die Kolonialprodukten- konsumtion in den Vereinsstaaten auf das Doppelte (586) und Dreifache ihres gegenwärtigen Beiaufs, folglich auch ihre Zolleinnahme im gleichen Verhältnis steigen wird, so würde für die Bestreitung der angedeuteten Bedürfnisse hinlänglich gesorgt sein, wenn die Vereinsstaaten den Grund- satz aufstellten, daß, außer der geforderten 10 Proz. Zu- satz, auch noch ein Teil alles künftigen Zuwachses an Eingangszöllen der preußischen Regierung zum Be- huf der Verwendung für jene Zwecke zur Disposition und Verrechnung gestellt werde.
Was die Herstellung eines deutschen Transporlsystems und namentlich eines deutschen Eisenbahnsystems betrifft, so berufen wir uns auf unsere diesem Gegenstand besonders gewidmete Schrift. Diese große Verbesserung bezahlt sich selbst, und alles, was von Seiten der Regierungen dazu er- forderlich sein wird, läßt sich in ein einziges Wort fassen — es heißt — Energie.
(587) Nachtrag.
S. 241 zu den Worten: ,,so gedeiht jede Gattung von Fabriken usw."
Zu diesem Argument liefern die Maschinenfabriken das schlagendste Beispiel, Nirgends kann die Maschinenfabrika- tion auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht werden, wo die einzelne Fabrik, um bestehen zu können, die verschiedenartigsten Maschinen und Gerätschaften fertigen muß. Um möglichst vollkommen und möglichst wohlfeil zu produzieren, muß in einem Lande so große Nachfrage sein, daß jede Maschinenfabrik nur auf einen einzelnen Zweig oder nur auf wenige sich verlegen darf, z. B, auf die Baum- woflen- oder Flachsspinnmaschinen, auf Dampfmaschinen usw. ; denn nur in diesem Fall kann sich der Maschinenfabrikant möglichst vollständige Werkzeuge anschaffen, kann er jede neue Verbesserung anbringen, bilden sich bei mäßigem Lohn die geschicktesten Arbeiter und die besten Techniker. In dem Mangel an dieser Arbeitsteilung hauptsächlich liegt der Grund, weswegen die deutschen Maschinenfabriken in ihrer Ausbildung die Höhe der englischen noch nicht erreicht haben. Der Grund aber, weshalb diese Arbeitsteilung in Deutschland noch nicht besteht, liegt (588) hauptsächlich darin, daß die verschiedenen Gattungen von Spinnereien, durch welche die größte Nachfrage nach Maschinen ver- anlaßt wird, bei uns noch nicht im Flor stehen. Durch die Importation fremder Garne wird demnach der wichtigste Zweig der Fabrikation, derjenige, welcher Fabriken fabriziert, niedergehalten.
Von gleicher Wichtigkeit ist die Teilung der Arbeit in jedem anderen Zweig von Fabriken. Spinnereien, Webereien und Druckereien z. B, können nur dann ein möglichst voll- kommenes und möglichst wohlfeiles Fabrikat liefern, wenn
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die Nachfrage sie in den Stand setzt, sich ausschließlich auf besondere Arten von Gespinnsten, Geweben und ge- druckten Zeugen zu verlegen.
S. 368 zu den Worten: „wenn wir die gegenwärtige Konsumtion an Baumwolle usw."
Die Produktions Fähigkeit der Baumwollenplantageu ist äußerst verschieden; sie variiert von 2 bis 3 Ztr. bis zu 8 bis 12 Ztr. pr. Acker. Neuerlich ist in Nordamerika eine Gattung Baumwollensamen entdeckt worden , die auf den fruchtbarsten Ländereien einen Ertrag von 15 Ztr. pr. Acker (40000 Quadratfuß) gewähren soll. Übrigens scheint uns selbst ein Durchschnittsertrag von 8 Ztr. zu hoch gegriffen zu sein. Dagegen ist der Durchschnittszuckerertrag a 10 Ztr. von uns viel zu niedrig angenommen worden, da schon ge- wöhnliche Ländereien bei einer mittelmäßigen Ernte zwischen 10 und 20 Ztr. produzieren. Wie hocli oder nieder aber der Durchschnittsertrag pr. Acker für sämtliche Erzeugnisse der Produkte der heißen Zone angenommen werde, unser Argument, daß diese Produktion noch unermeßlich ge- steigert werden könne, wird dadurch in keinem Fall affiziert.
(589) S. 543 zu den Worten: „auf die Erweiterung seines Handels mit Nord-, Mittel- und Süd- amerika usw."
Wenn wir nicht irren, genießt England in Brasilien zurzeit noch den Vorteil eines Differenzzolls von 17 Prozent hinsichtlich seiner Manufakturwareneinfuhren in Kraft eines Vertrags, der mit dem Jahre 1842 zu Ende geht. Es dürfte demnach sehr zu wünschen sein, daß von den Zollvereins- staaten in Zeiten die erforderlichen Schritte geschehen, daß dieser A'ertrag nicht wieder erneuert werde.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr), Naumburg a,S.