LUDWIG VON MISES,
Nationalökonomie: Theorie des Handlens und Wirtschaftens (1940)

Ludwig von Mises (1881-1973)  
[Created: 17 February, 2024]
[Updated: 17 February, 2024]
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Ludwig von Mises, Nationalökonomie: Theorie des Handlens und Wirtschaftens (Genf: Editions Union, 1940).http://davidmhart.com/liberty/GermanClassicalLiberals/Mises/1940-NationalOeconomie/index.html

Ludwig von Mises, Nationalökonomie: Theorie des Handlens und Wirtschaftens (Genf: Editions Union, 1940).

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This book is part of a collection of works by Ludwig von Mises (1881-1973).

 


 

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Inhaltsverzeichnis

 


 

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VORWORT

Meine im Jahre 1934 erfolgte Berufung an das Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf hat mir die Möglichkeit geboten, das Werk, das ich hiermit der Öffentlichkeit übergebe, in Angriff zu nehmen und zu vollenden. Dem Institut und seinen Direktoren, den Herren Paul Mantoux und William-E. Rappard, schulde ich dafür besonderen Dank.

Zu herzlichem Dank verpflichtet bin ich meiner Frau und Frau Dr. Helene Berger-Lieser für die Hilfe, die sie mir beim Lesen der Korrekturen geleistet haben.

Genf, April 1940.

Ludwig v. Mises

 


 

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EINLEITUNG

I. Nationalökonomie und Praxeologie

Die Nationalökonomie ist unter allen Wissenschaften die jüngste. In den letzten zweihundert Jahren sind wohl viele neue Wissenschaften aus den Disziplinen, die schon die Griechen begründet haben, hervorgegangen; doch immer handelte es sich dabei um Abzweigung und Verselbständigung eines Teiles, der schon im alten Systeme seinen Platz gefunden hatte. Das Forschungsgebiet wurde genauer abgeteilt und mit neuen Verfahren bearbeitet, man entdeckte in ihm bisher nicht beachtete Provinzen und man lernte, es in anderem Lichte zu sehen, als die Vorfahren es gesehen hatten. Doch der Umkreis der Forschung selbst wurde nicht erweitert. Mit der Nationalökonomie betrat die Wissenschaft jedoch ein Gebiet, das ihr früher verschlossen geblieben war. Die Entdeckung der Gesetzmäßigkeit im Ablauf der Markterscheinungen führte über das altüberlieferte System der Wissenschaften hinaus. Sie brachte Erkenntnis, die man weder als Logik, Mathematik oder Psychologie, noch als Physik oder Biologie ansehen durfte.

Die älteren Denker hatten die gesellschaftlichen Probleme unter dem Gesichtspunkte der Regierung von Menschen durch die Obrigkeit betrachtet. Sie suchten Normen für die Politik aufzustellen, eine Kunstlehre der Menschen- und Staatsführung. Die philosophischen Köpfe entwarfen Reformpläne für den Neubau des Staates, die bescheideneren begnügten sich mit der Sammlung und Ordnung des gegebenen Erfahrungsstoffes. Alle aber waren von der Überzeugung durchdrungen, dass im gesellschaftlichen Leben keine Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit von der Art walte, die man im Ablauf des Denkens und der Naturvorgänge bereits erkannt hatte. Man forschte nicht nach den Baugesetzen der Gesellschaft, weil man dachte, die Gesellschaft könne von den Menschen willkürlich gebaut werden. Wenn im Staate nicht alles den Wünschen der Reformer entsprach und wenn ihre Utopien sich als undurchführbar [2] erwiesen, so konnte das nur der sittlichen Unzulänglichkeit der Menschen zugeschrieben werden. Die gesellschaftlichen Probleme erschienen als ethische Probleme. Um den Idealstaat nach den Plänen der Reformer zu errichten, bedürfe es, meinte man, guter Fürsten und guter Bürger; mit guten Menschen lasse sich jedes Gesellschaftsideal verwirklichen.

Die Entdeckung der notwendigen Verbundenheit der Markterscheinungen stürzte diese Auffassung. Man stand mit Verblüffung einer neuen Erkenntnis gegenüber. Es gibt also, musste man sich sagen, auch für die Betrachtung menschlichen Verhaltens in der Gesellschaft einen anderen Gesichtspunkt als den von gut und böse, von gerecht und ungerecht. Auch im Gesellschaftlichen waltet eine Gesetzmäßigkeit, der sich das Handeln anzupassen hat, wenn es erfolgreich sein will. Man hat an die gesellschaftlichen Erscheinungen nicht mehr als Richter heranzutreten, der Lob und Tadel spendet nach Wertmaßstäben, die er aus seinem Empfinden hervorholt; man hat die Gesetze der gesellschaftlichen Kooperation zu erforschen, wie der Physiker die Gesetze der Mechanik erforscht. Die menschliche Gesellschaft und das menschliche Handeln als Gegenstand einer Wissenschaft vom Sein, nicht mehr einer Normwissenschaft vom Wünschenswerten, das war eine Wendung von ungeheuerer Tragweite sowohl für das Denken als auch für das Handeln selbst.

Die Bedeutung dieser radikalen Wendung des Denkens wurde zunächst freilich noch für mehr als hundert Jahre dadurch eingeschränkt, dass man dachte, sie beziehe sich nur auf einen engen Ausschnitt aus dem Gesamtfelde des menschlichen Handelns, auf die Markterscheinungen. Die klassische Nationalökonomie stieß auf ein Hindernis, das sie nicht zu überwinden vermochte, auf die scheinbare Antinomie des Wertes, und sah sich genötigt, ein gekünsteltes System um ihre missglückte Wertlehre herum zu bauen. Die Nationalökonomie blieb zunächst Lehre von der wirtschaftlichen Seite der menschlichen Handlungen, Lehre vom wirtschaftlichen Handeln, neben dem noch anders geartetes Handeln denkbar ist. Der Umsturz des Denkens, den die Klassiker eingeleitet haben, wurde erst durch die subjektivistische Nationalökonomie vollendet, die die Theorie der Marktpreise zur Theorie der Wahlakte ausgestaltete.

Man hat lange Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass es bei dem Übergang von der klassischen Wertlehre zu der modernen Wertlehre um mehr ging als um die Verdrängung einer unhaltbaren Wert- und Preislehre durch eine befriedigendere. Die Theorie der Wahlakte reicht über den Problemkreis hinaus, [3] den man von Cantillon, Hume und Smith bis John Stuart Mill als den nationalökonomischen angesehen hat. Sie ist mehr als bloß Lehre von der wirtschaftlichen Seite des menschlichen Handelns oder von dem auf die Versorgung mit materiellen Gütern gerichteten menschlichen Handeln. Sie ist die Lehre von allem menschlichen Handeln schlechthin. Im Wählen fallen alle menschlichen Entscheidungen. Im Wählen wird nicht nur zwischen materiellen Gütern und persönlichen Diensten entschieden. Alles Menschliche steht zur Wahl; jedes Ziel und jedes Mittel, Materielles und Ideelles, Hohes und Gemeines, Edles und Unedles stehen in einer Reihe und werden durch das Handeln gewählt oder zurückgestellt. Nichts, was Menschen begehren oder meiden wollen, bleibt der Ordnung und Reihung durch die Wertskala und durch das Handeln entzogen. Die subjektivistische Nationalökonomie erweitert das von den Klassikern bearbeitete Forschungsgebiet: aus der politischen Ökonomie geht die allgemeine Lehre vom menschlichen Handeln, die Praxeologie [1] , hervor. Die nationalökonomischen oder katallaktischen [2] Probleme sind eingebettet in eine allgemeinere Wissenschaft und können aus diesem Zusammenhang nicht mehr losgelöst werden. Keine Behandlung nationalökonomischer Probleme kann darauf verzichten, von den Wahlakten auszugehen; die Nationalökonomie wird zu einem Teil, wenn auch zum wichtigsten Teil, einer allgemeineren Wissenschaft, der Praxeologie.

II. Das Problem einer Wissenschaft vom menschlichen Handeln

An der neuen Wissenschaft schien alles problematisch zu sein. Sie war ein Fremdkörper im System der alten Wissenschaften, und man wusste nicht, wie man sie klassifizieren und rubrizieren sollte. Doch man war anderseits davon überzeugt, dass es zur Einreihung der Nationalökonomie in den Katalog der Wissenschaften keiner Umgestaltung oder Erweiterung des Katalogschemas bedürfe. Man hielt das Katalogsystem für vollständig; wenn die Nationalökonomie nicht hineinzupassen schien, so musste es an der unzulänglichen Behandlung ihrer Probleme durch die Nationalökonomen liegen.

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Man verkennt die Bedeutung, die den Auseinandersetzungen über dasWesen, den Umfang und das Verfahren der Nationalökonomie zukommt, wenn man sie geringschätzig mit dem Ausdruck Methodenstreit abtut. Nach landläufiger Annahme wurden von Pedanten über die Wahl der zweckmäßigsten Methode unnütze Worte vergeudet, während die Wissenschaft selbst, unbekümmert um diesen unnötigen Zank, ruhig ihren Weg weiterschritt. Doch im Methodenstreit ging es keineswegs um die Frage, ob dieses oder jenes Verfahren fruchtbarer sei, sondern um die Grundlagen der Wissenschaft und um ihr logisches Daseinsrecht. Ausgehend vom Standpunkte einer Wissenschaftslehre, der das praxeologische Denken fremd war, und einer Logik, die neben Logik und Mathematik nur empirische Naturwissenschaft und Geschichte gelten lassen wollte, suchte man den Erkenntniswert der Nationalökonomie zu leugnen. Der Historismus wollte sie durch Wirtschaftsgeschichte ersetzen, der Positivismus durch eine Wissenschaft, deren Struktur der Newton’schen Mechanik nachgebildet werden sollte. Beide Richtungen begegneten sich in schroffer Ablehnung aller Ergebnisse des nationalökonomischen Denkens. Durfte und konnte die Nationalökonomie diesen Angriffen gegenüber schweigen?

Der Radikalismus dieser Gesamtverwerfung wurde bald durch noch radikalere Skepsis überboten. Seit alters her hatten die Menschen in ihrem Denken, Reden und Handeln die Einheit und Unveränderlichkeit der logischen Struktur des menschlichen Denkens als fraglos gegeben erachtet. Alle Wissenschaften hatten stillschweigend diese Voraussetzung zugrundegelegt. Im Kampfe um den wissenschaftlichen Charakter der Nationalökonomie wurde, zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit, auch diese Lehre bestritten. Der Marxismus verkündete, dass das Denken von der Klassenlage des Denkers abhängig sei. Die Lehre von der Einheit und Unwandelbarkeit der logischen Struktur des menschlichen Denkens wurde als Fabel erklärt. Jeder Klasse sei eine besondere Logik eigen; was das — notwendigerweise klassengebundene — Denken zutage fördere, sei nichts als «ideologische Verhüllung» der Sonderinteressen der Klasse, der der Denker angehört. Es sei Aufgabe der Wissenssoziologie, die Gedankensysteme zu entlarven und ihren «ideologischen» Charakter zu enthüllen. Die Nationalökonomie von heute sei «bürgerliche Wissenschaft», ihre Schöpfer, die Nationalökonomen, «Sykophanten» des Kapitals. Erst die klassenlose Gesellschaft der Zukunft werde die Lügen der Ideologien durch Wahrheit ersetzen.

Dieser Polylogismus wurde bald auch in anderen Spielarten vorgetragen. Der Historismus behauptet, dass die logische [5] Struktur des Denkens und Handelns sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung verändere. Der rassenanthropologische Polylogismus will jeder Rasse eine besondere Logik zuordnen. Und schließlich tritt der Irrationalismus auf den Plan, der der Vernunft ganz allgemein den Beruf und die Befähigung aberkennen will, das Irrationale, das dem menschlichen Tun den Weg weist, geistig zu erfassen.

Alle diese neuen Lehren reichen weit über das Gebiet der Nationalökonomie hinaus. Sie stellen nicht nur die Nationalökonomie in Frage, sondern alle menschliche Wissenschaft und die menschliche Vernunft als solche. Sie gehen die Physik und die Mathematik nicht weniger an als die Nationalökonomie. Ihre Zurückweisung scheint somit nicht die Aufgabe einer Einzelwissenschaft zu sein, vielmehr der Wissenschaftslehre und der Philosophie zuzufallen. Man will daraus die Berechtigung des Vorgehens jener Nationalökonomen ableiten, die ruhig in ihrer Einzelarbeit fortfahren, ohne sich um die Grundprobleme und um die Einwendungen des Polylogismus und des Irrationalismus zu kümmern. Wie der Physiker sich nicht darum kümmert, ob man seine Theorien als bürgerlich, westlerisch, französisch oder jüdisch zu entlarven sucht, so hätte auch der Nationalökonom die Einwürfe des Polylogismus und Irrationalismus mit einem Achselzucken abzutun. Er möge doch die Hunde bellen lassen und sich um ihr Gekläff nicht weiter kümmern. Ihm zieme es, sich nach dem Worte Spinozas zu richten: Sane sicut lux se ipsam et tenebras manifestat, sic veritas norma sui et falsi est.

Doch die Sachlage ist für die Nationalökonomie eine andere als für Mathematik und empirische Naturwissenschaft. Polylogismus und Irrationalismus richten ihre Angriffe gegen Praxeologie und Nationalökonomie. Wenn sie ihre Behauptungen auch allgemein fassen, so dass sie sich auf alle Wissenschaften beziehen, so haben sie dabei doch immer nur die Wissenschaft vom menschlichen Handeln im Auge. Sie verkünden laut, dass die Auffassung, die Wissenschaft könnte zu Ergebnissen führen, die für alle Menschen ohne Unterschied ihrer Herkunft und. ihrer Klassenlage gleicherweise gültig wären, eine Illusion sei, und sie gefallen sich darin, manche Theorien der Mathematik und Physik als bürgerlich oder westlerisch zu brandmarken. Doch wenn es zur Verwendung dieser so gekennzeichneten Lehren in der Praxis kommt, schenken sie dieser Kritik weiter keine Beachtung. Die Technik Sowjetrusslands macht von allen Ergebnissen der bürgerlichen Physik, Chemie und Biologie Westeuropas unbedenklich Gebrauch, als ob sie doch allgemeingültig und allgemeinmenschlich wären. Die Funktechnik [6] Deutschlands und Italiens bedient sich der Entdeckungen von Heinrich Hertz und Robert von Lieben nicht anders als die der anderen Länder und achtet dabei nicht auf die Herkunft ihrer Urheber. Die nationalsozialistischen Ärzte verwenden Salvarsan und Insulin gerade so, als ob die Naturforschung vom rassischen und nationalen Charakter des Forschers unabhängig wäre. Wenn die Chemiker der totalitären Staaten Giftgase und Sprengstoffe erzeugen, arbeiten sie unbedenklich mit den Formeln der allgemeinen, internationalen, standpunktlosen und voraussetzungslosen Chemie.

Da geht man auf dem Gebiete der Praxeologie und der Nationalökonomie anders vor. Polylogismus und Irrationalismus wurden gerade zu dem Zwecke geschaffen, um die Nichtberücksichtigung der nationalökonomischen Theorie in der Politik zu rechtfertigen. Es ist nicht gelungen, der wissenschaftlichen Praxeologie und Nationalökonomie rassen-, klassen- oder zeitgebundene Lehren gegenüberzustellen; ja, man hat das ernstlich nicht einmal versucht. Doch ganz allgemein wird die Behauptung vertreten, dass die Lehren der Nationalökonomie nur unter bestimmten Voraussetzungen Geltung beanspruchen dürfen, dass diese Voraussetzungen im Leben nicht gegeben wären und dass die Nationalökonomie daher für die geistige Erfassung der Wirklichkeit nichts leisten könne. Und das Erstaunliche ist, dass die Nationalökonomen dieser Auffassung beipflichten, sich aber weiter um sie nicht kümmern. Sie glauben, dass sie ihre wissenschaftliche Aufgabe ganz erfüllen, wenn sie sich auf die Betrachtung eines Ausschnittes aus dem Umkreis der nationalökonomischen Probleme beschränken, und dass sie den Einwendungen der Kritik gegenüber alles geleistet haben, was man von ihnen erwarten kann, wenn sie entschuldigend sagen: Lasst uns ruhig gewähren, wir befassen uns doch nur mit hypothetischen Gebilden, und wir sind ganz eurer Meinung, dass unsere Sätze mit eurer Wirklichkeit nichts zu tun haben.

Dieser Standpunkt ist unhaltbar. Zu den wesentlichen Problemen der Wissenschaft gehört vor allem die Aufzeigung aller Bedingungen und Voraussetzungen, unter denen ihre Sätze Geltung beanspruchen. Wenn man der Nationalökonomie immer wieder die Physik als Muster hinstellen will, sollte man doch nicht vergessen, dass kein Physiker je die Auffassung vertreten könnte, die Klarstellung mancher Voraussetzungen und Bedingungen der Gültigkeit eines physikalischen Satzes läge außerhalb des Aufgabenkreises der Physik. Die erste Frage, die an den Nationalökonomen herantritt, ist doch die, in welchem Verhältnis seine Sätze zu dem Handeln der Menschen [7] stehen, dessen geistige Erfassung den Gegenstand seiner Wissenschaft bildet.

Es obliegt der Nationalökonomie, sich mit der Behauptung auseinanderzusetzen, dass ihre Lehren nur Geltung hätten für die kapitalistische Wirtschaft der kurzen und schon für immer in die Vergangenheit versunkenen liberalen Geschichtsepoche der westeuropäischen Kultur. Es obliegt ihr und keiner andern Wissenschaft, alle Einwendungen zu prüfen, die man gegen die Brauchbarkeit ihrer Sätze zur Deutung und geistigen Erfassung des gesellschaftlichen Handelns vorgebracht hat. Sie hat ihr System so aufzubauen, dass es gegen die Kritik des Irrationalismus, des Historismus, des Physikalismus und aller Spielarten des Polylogismus gefeit ist. Es ist ein unerträglicher Zustand, dass auf der einen Seite Tag für Tag neue Argumente vorgebracht werden, die die Sinnlosigkeit und Nutzlosigkeit der Bemühungen der Nationalökonomie aufzuzeigen vermeinen, und dass auf der andern Seite die Nationalökonomen so tun, als ob das alles mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit nichts zu schaffen hätte. Gewiss, die Argumente der Gegner der Nationalökonomie sind unhaltbar und oft geradezu albern. Doch die Wissenschaft hat Irrtümer nicht mit lässiger Geste abzutun, sie hat sie zu widerlegen oder, noch besser, ihr System so vorzutragen, dass es auch schon ihre Widerlegung einschliesst.

Es genügt heute nicht, sich mit den Problemen der Markttheorie in der überlieferten Weise zu befassen; man muss die Markttheorie fest in der allgemeinen Lehre vom menschlichen Handeln, in der Praxeologie, verankern. Dieses Bemühen wird auch den einzelnen Sonderproblemen der Katallaktik zu Gute kommen. Man wird entdecken, dass wichtige Fragen bisher ungenügend oder gar nicht behandelt wurden, weil sie im Rahmen der Markttheorie nicht vollständig lösbar erschienen. Das gilt vor allem vom Problem der Wirtschaftsrechnung.

III. Nationalökonomie und Zielwahl

Mit dem Schicksal der Nationalökonomie ist das Geschick der modernen Kultur, wie sie die Völker weißer europäischer Rasse seit zweihundert Jahren ausgebaut haben, unlösbar verknüpft. Diese Kultur konnte entstehen, weil die Völker von Ideen beherrscht wurden, die die Anwendung der Lehren der Nationalökonomie auf die Politik darstellten. Sie wird und muss verschwinden, wenn die Politik auf den Wegen, die sie unter dem Einfluss der die Nationalökonomie bekämpfenden Lehren eingeschlagen hat, weiterschreiten sollte.

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Die Lehre vom menschlichen Handeln hat den Menschen nicht zu sagen, welche Ziele sie sich setzen und wie sie werten sollen. Sie ist eine Lehre von den Mitteln zur Erreichung von Zielen, nicht eine Lehre von der richtigen Zielwahl. Die letzten Entscheidungen, die Wertungen und Zielsetzungen, liegen jenseits des Bereichs der Wissenschaft. Die Wissenschaft sagt nicht, wie man handeln soll; sie zeigt nur, wie man handeln müsste, wenn man die Ziele, die man sich gesetzt hat, erreichen will.

Das scheint sehr wenig zu sein, und man glaubt, dass die Wissenschaft, die sich auf die Erkenntnis des Seins beschränken muss und über die höchsten und letzten Werte nichts zu sagen vermag, für das Leben und Handeln nichts zu bedeuten habe. Doch es ist nicht so. Denn in der Tat stimmen die Menschen nahezu allgemein in der Zielwahl überein. Sie wollen gut leben, möglichst reichlich mit materiellen Gütern versorgt sein. Wohl verkünden manche Literaten aufdringlich, dass es höhere und wichtigere Ziele gebe als Wohlleben. Doch ihr eigenes Verhalten zeigt, dass sie keineswegs geneigt sind, den Grundsatz, zu dem sie sich in Worten bekennen, für ihre Person gelten zu lassen. Alle politischen Parteien versprechen ihren Anhängern, dass sie sie reicher machen wollen. Wer sagt, Kanonen sind wichtiger als Butter, will sagen, dass man heute darben müsse, um in dem Kriege zu siegen, der größeren Reichtum bringen soll. Alle Maßnahmen aller politischen Parteien sind darauf gerichtet, den Wohlstand ihrer Anhänger zu erhöhen. Alle politischen Konflikte des modernen Lebens entspringen dem Umstand, dass man durch Bekämpfung fremder Menschen und Menschengruppen die eigene Wohlfahrt zu steigern sucht. Die Militaristen wollen Kriege führen, um die Wohlfahrt ihrer Volksgenossen zu erhöhen, die Sozialisten erwarten vom Sozialismus eine Zukunft, in der «mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind, und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen» [3] , die Gewerkschaften wollen höhere Löhne für ihre Mitglieder, die Bauern wollen höhere Preise der Agrarprodukte, die Handwerker höheres Einkommen durch Schutz gegen die leistungsfähigeren Grossbetriebe. Alle wollen reicher werden und glauben, dass der Weg, den sie gewählt haben, zum Ziele führt. Wenn die Nationalökonomie auch über die Ziele nichts zu sagen hat, so ist doch sie allein berufen, die Zweckmäßigkeit der gewählten Mittel zu prüfen. Soweit Politik Zielwahl ist, [9] steht sie jenseits der nationalökonomischen Gedankengänge. Soweit Politik die Wahl der Mittel bestimmt, ist sie von der Nationalökonomie abhängig.

IV. Zusammenfassung

Es war notwendig, diese Bemerkungen vorauszuschicken, um zu rechtfertigen, dass dieses Buch die Probleme der Nationalökonomie in den weiteren Rahmen praxeologischer Ausführungen stellt. Es genügt eben bei dem gegenwärtigen Stande der Erörterung gesellschaftlicher Probleme nicht mehr, die Katallaktik gesondert darzustellen; man muss weiter ausgreifen, weil die Nationalökonomie nur ein Teil einer allgemeineren Wissenschaft vom menschlichen Handeln ist, aus der man sie nicht scharf auszusondern vermag, und weil es der Nationalökonomie obliegt, sich mit jenen Lehren auseinanderzusetzen, die ihr die Existenzberechtigung absprechen.

 




 

ERSTER TEIL: DAS HANDELN

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1. KAPITEL: DER HANDELNDE MENSCH

I. Handeln und unbewusste Reaktion

Handeln ist bewusstes Verhalten. Wir können auch sagen: Handeln ist Wollen, das sich in Tat und Wirken umsetzt und damit verwirklicht, ist ziel- und zweckbewusstes Sichbenehmen, ist sinnhafte Antwort des Subjekts — der menschlichen Persönlichkeit — auf die Gegebenheit der Welt und des Lebens. Mit diesen und ähnlichen Umschreibungen können wir die an den Anfang unserer Untersuchung gestellte Begriffsbestimmung verdeutlichen und vor manchen Missverständnissen bewahren. Doch alles, was wir zu sagen haben, ist in unserer Begriffsbestimmung schon enthalten, und, was wir zunächst zu tun haben, ist, aus diesem unserem Begriffe des Handelns alles das zu entfalten, was in ihm enthalten ist, und klar zu machen, was er nicht umschließt.

Bewusstes Verhalten hebt sich scharf ab vom unbewussten Verhalten, von den Reflexvorgängen und der Reaktion der Zellen auf Reize. Man ist geneigt anzunehmen, dass die Grenze zwischen bewusstem Verhalten der menschlichen Persönlichkeit und unbewusstem Reagieren eines im Menschen wirkenden Es fließend sei. Das ist nur soweit richtig, als es mitunter nicht leicht sein mag, festzustellen, ob ein konkretes Verhalten als bewusstes oder als unbewusstes anzusprechen ist. Doch die Scheidung von Bewusst und Unbewusst ist nichtsdestoweniger scharf und kann klar vollzogen werden.

Das unbewusste Verhalten der Zellen des Körpers und der Reflexzentren ist für das bewusste Verhalten gerade so ein Datum wie irgend eine andere Tatsache der Außenwelt. Wie [12] der handelnde Mensch mit dem Wetter rechnen muss, so muss er auch mit dem rechnen, was in seinem Leib vor sich geht. Auch das Leibliche des eigenen Leibs ist ein Datum, das der Handelnde im Handeln hinnehmen muss. Es gibt freilich einen Spielraum, innerhalb dessen das bewusste Verhalten das Leibliche auszuschalten vermag. Man kann des Leiblichen bis zu einem gewissen Grade Herr werden, man kann z.B. Krankheit und Krankheitswirkungen überwinden oder Unzulänglichkeit der leiblichen Ausstattung wettmachen oder Reflexbewegungen unterdrücken. Soweit man das kann, reicht dann aber auch das Feld des bewussten Verhaltens. Wenn das bewusste Verhalten das unbewusste Reagieren der Zellen und Reflexzentren, das es ausschalten könnte, nicht ausschaltet, liegt für unsere Betrachtungsweise bewusstes Verhalten vor.

Unsere Betrachtungen sind allein auf das Handeln gerichtet und nicht auf die seelischen Vorgänge, die zum Handeln führen. Das eben trennt die allgemeine Lehre vom Handeln, die Praxeologie, von der Psychologie. Gegenstand der Psychologie sind die Vorgänge in unserem Innern, die zu einem bestimmten Handeln führen oder führen können; Gegenstand unserer Wissenschaft ist das Handeln selbst. Damit ist auch unser Verhältnis zum psychoanalytischen Begriff des Unbewussten gegeben. Auch die Psychoanalyse ist Psychologie, und ihre Aufmerksamkeit gilt nicht dem Handeln, sondern dem, was im menschlichen Innern zum Handeln treibt. Das Unbewusste, von dem sie spricht, ist eine psychologische und keine praxeologische Kategorie. Ob der Beweggrund, der das Handeln auslöst, aus der bewussten Überlegung stammt oder aus dem Verdrängten und Unbewussten, das aus einer Versenkung heraus dem Handeln Ziele weist, die der bewussten Überlegung fremd sind, ändert nichts am Wesen des Handelns. Auch der Mörder, den das ihm unbewusste Es zur Tat treibt, und der Neurotiker, der Zwangshandlungen vornimmt, die dem ungeschulten Beobachter «sinnlos» vorkommen, handeln; sie streben Zielen zu wie jeder andere. Es ist das Verdienst der Freud’schen Psychoanalyse, gezeigt zu haben, dass auch dem Verhalten der Neurotiker und Psychopathen Sinn zukommt, dass auch sie handeln und Ziele suchen, mögen auch uns anderen, die wir uns Gesunde nennen, die Gedankengänge, die sie zu ihrer Zielsetzung führten, unlogisch und die Wahl der Mittel, die sie getroffen haben, unzweckmäßig erscheinen.

Das Unbewusste im psychoanalytischen Sinn und das Unbewusste im praxeologischen Sinn gehören zwei verschiedenen Gedankensystemen an und haben nichts gemein als den sprachlichen Ausdruck; sie sind nur homonym. Auch die [13] Wissenschaft vom Handeln verdankt — wie alle Wissenschaften vom Menschen — sehr viel der Psychoanalyse; um so wichtiger ist es darum, die Grenze zu erkennen, die sie vom Gebiet der psychoanalytischen Betrachtung scheidet.

Handeln ist nicht etwa einfaches Vorziehen und Bevorzugen. Vorziehen und Bevorzugen übt der Mensch auch dort, wo zwei Dinge, die er seinem Einfluss entzogen glaubt, unentrinnbar sind. So kann man Sonnenschein dem Regen vorziehen und hoffen, dass die Sonne erscheinen möge [4] . Wer nur wünscht und hofft, greift in das Getriebe der Welt und in die Gestaltung seines Lebens nicht selbsttätig ein. Anders der Handelnde. Er wählt und entscheidet. Von zwei unvereinbaren Dingen nimmt er das eine und lässt sich das andere entgehen. Jedes Handeln ist daher zugleich ein Nehmen und ein Verzichten.

Das Aussprechen von Wünschen und Hoffnungen, die Ankündigung geplanten Handelns und die Fassung von Entschlüssen, zu deren Durchführung man nicht schreitet, sind zwar Handeln, insoweit durch sie selbst ein Zweck verwirklicht werden soll; sie sind jedoch von dem Handeln, das sie ankündigen, empfehlen oder verwerfen, verschieden. Handeln ist ein Verhalten; der ganze Mensch muss die entsprechende Haltung einnehmen. Das Verhalten und nicht die unausgeführte Absicht über ein Verhalten ist das, worauf es ankommt. Man muss aber anderseits wieder das Handeln von dem Einsatz von Arbeit unterscheiden. Das Handeln setzt Mittel für die Erreichung von Zwecken ein. Zu diesen Mitteln wird meist auch die Aufwendung eigener Arbeit gehören. Doch das ist durchaus nicht immer der Fall. Unter bestimmten Bedingungen genügt das Wort. Wer dem Wagenlenker das Ziel angibt, wer Befehle und Weisungen erteilt, handelt auch ohne die geringste Aufwendung eigener Arbeit. Sprechen und Schweigen, ja mitunter schon Lächeln oder Ernstbewahren können Handeln sein. Verzehren und genießen sind ebenso Handeln wie die Enthaltung von Verzehr und Genuss, die sich dem Handelnden bieten. Auch das Nichtstun und das Nichtarbeiten., auch das Unterlassen und das Dulden sind Handeln.

Für die Lehre vom Handeln gibt es denn auch nicht den Unterschied zwischen «aktiven» und «passiven» oder «indolenten» Menschen. Der rührige Mensch, der tätig sein Schicksal selbst zu bereiten sucht, handelt nicht mehr als der schlaffe Mensch, der die Dinge nimmt, wie sie kommen. Denn auch das Nichtstun und die Faulheit sind Handeln, sind Entscheidung [14] und Gestaltung des Geschehens. Wo die Bedingungen des Handelns gegeben sind, handelt der Mensch immer, ob er nun eingreift oder untätig bleibt. Dem Handeln kann der Mensch nie und nirgends entrinnen; Handeln liegt in der Natur des Menschen und seiner Welt, und Handeln müssen ist dem Menschen durch die Bedingungen, unter denen er lebt, vorgeschrieben.

Der Mensch ist, weil er ein denkendes Lebewesen ist, auch ein handelndes Geschöpf. Denken und Handeln sind nicht zu trennen; menschenähnliche Geschöpfe, die nicht denken und handeln, wären keine Menschen.

II. Die Vernunft im Handeln — Das Irrationale — Subjektivismus und Objektivität der Wissenschaft

Handeln ist immer vernünftig, gleichviel ob es nun in einem Tun, einem Unterlassen oder einem Dulden besteht. Der Ausdruck «rationales Handeln» ist mithin pleonastisch und daher vom logischen Gesichtspunkt abzulehnen. Wer ein Handeln als nicht rational oder als irrational bezeichnet, wertet und richtet es. «Irrational» soll dann soviel bedeuten als: es hätte anders gehandelt werden sollen, ich oder ein konstruierter Idealmensch hätte an der Stelle des Handelnden anders gehandelt, ich würde — wenn ich nochmals vor der Entscheidung stünde — anders handeln. Schon durch diese Beurteilung des Handelns wird zugegeben, dass es der Vernunft unterworfen ist. Wäre es nicht der Vernunft unterworfen, dann wäre es auch nicht der Kritik durch die Vernunft ausgesetzt. Denn die Vernunft vermag im vernunftlosen Geschehen zwar Regelmäßigkeit zu erkennen, sie vermag es aber nicht zu kritisieren. Will sie versuchen zu kritisieren, dann muss sie zu einer Fiktion Zuflucht nehmen: sie betrachtet das vernunftlose Naturgeschehen, als ob es der Ausfluss des Handelns eines vernunftbegabten Wesens wäre.

Die Wissenschaft vom Handeln hat das Handeln zu betrachten und zu erforschen, nicht aber zu werten und zu richten. Sie kennt nicht gutes und schlechtes, richtiges und unrichtiges, vernünftiges und unvernünftiges Handeln; für sie ist alles Handeln in gleicher Weise Gegenstand der Forschung. Sie hat keine Wertmaßstäbe, um das Handeln an ihnen zu messen. Sie erforscht das Sein des Handelns und fragt nicht danach, wie gehandelt werden soll.

Unsere Zeit ist besonders gekennzeichnet durch literarische Versuche, die Überlegenheit der Vernunft über die Unvernunft, der Seele über den Geist, des Lebens über die Wissenschaft zu erweisen. Die Wissenschaft vom Handeln hat zu diesen [15] Antithesen nichts zu sagen. Wie immer es auch um die Vernunft stehen mag, daran kann wohl nicht gezweifelt werden, dass sie im menschlichen Leben wirkt, und dass wissenschaftlicher Betrachtung nicht verwehrt werden darf, dieses Wirken ins Auge zu fassen.

Die Vernunft wirkt im menschlichen Denken und im menschlichen Handeln. Vom Standpunkt der Wissenschaft vom menschlichen Handeln betrachtet, ist das Denken Vorbedenken künftigen eigenen oder fremden Handelns und Nachbedenken vergangenen (eigenen oder fremden) Handelns. Das Denken arbeitet dem Handeln vor. Der Denkakt ist stets zielgerichtet (intentional); er ist gewissermaßen ein inneres Handeln, dessen Ziel Erkenntnis ist.

Alles Handeln ist zielgerichtet, sucht Ziele zu erreichen und Zwecke zu verwirklichen. Die Bewusstheit des Handelns ist Ziel- und Zweckbewusstheit. Doch die Ziele und Zwecke selbst liegen jenseits des Handelns und der Vernunft; sie sind für unsere Betrachtung — nicht auch für die der Psychologie — Daten, die wir mit den Mitteln unserer Wissenschaft nicht weiter aufzulösen vermögen. Wenn wir das Handeln betrachten, können wir es nur im Hinblick auf die Ziele und Zwecke tun, die ihm vom handelnden Menschen gesetzt werden. Über die Ziele und Zwecke selbst können wir keine weitere Aussage machen als die, dass sie handelnden Menschen als Ziele und Zwecke erscheinen; sie stehen außerhalb unserer Erörterungen. Die Wissenschaft ist nicht berufen, die Ziele und Zwecke zu beurteilen und in eine Rangordnung zu bringen.

Nur wenn das gründlich verkannt wird, kann man gegen den Standpunkt unserer Wissenschaft einwenden, dass er dem «Irrationalen» und seiner Bedeutung im menschlichen Leben und Handeln nicht gerecht werde. Irrational sind die Ziele und Zwecke; wir aber befassen uns mit den Wegen und Mitteln, die zu den Zielen und Zwecken führen sollen.

In diesem Sinne kann man von dem Subjektivismus der Wissenschaft vom Handeln sprechen. Sie nimmt die Wertsetzungen der handelnden Menschen als gegeben an, sie bewahrt ihnen gegenüber vollständige Neutralität und fällt selbst keine Werturteile über die von den Menschen angestrebten Ziele und Zwecke. Wenn der Eudämonismus von Glückseligkeit, wenn der Utilitarismus von Nutzen, wenn die Nationalökonomie von Nützlichkeit spricht, dann muss man Glückseligkeit, Nutzen, Nützlichkeit subjektivistisch verstehen als das, was der handelnde Mensch sucht, weil er es für anstrebenswert erachtet. In diesem Formalismus liegt der Fortschritt der modernen Auffassung von Eudämonismus, Hedonismus und Utilitarismus [16] gegenüber den älteren materialistischen Auffassungen und der Fortschritt der subjektivistischen Wertlehre gegenüber der objektivistischen Wertlehre der Klassiker. In diesem Subjektivismus unserer Lehre liegt auch zugleich ihre Objektivität. Weil sie subjektivistisch gerichtet ist, weil ihr jedes Werturteil eines handelnden Menschen als gegeben und keiner weiteren Kritik unterworfen erscheint, ist sie über alle Parteiungen und Parteikämpfe erhaben, ist sie selbst ohne Weltanschauung und ohne Moral, ist sie objektiv, wertfrei, voraussetzungslos, ist sie allgemeingültig und schlechthin «menschlich».

III. Der formale und apriorische Charakter der Lehre vom Handeln

Der Mensch ist, soweit er nicht Tier ist und soweit nicht die tierischen Funktionen seines Leibes ablaufen, ganz Empfinden, Denken und Handeln. Empfinden und Denken haben ihren Ort im Innern; nach außen hin ist des Menschen Wirkung nur Handeln, und auch Empfinden und Denken werden erst durch das Handeln, das sie auslösen und leiten, fruchtbar. Das Handeln ist des Menschen Wirkung in der Welt in ihrer unendlichen Fülle und Mannigfaltigkeit. Mit dieser Unendlichkeit und Mannigfaltigkeit haben wir uns in unserer Wissenschaft in der Weise zu befassen, daß wir ihre reine Form betrachten, die von allem Materialen entleert ist und doch alles Materiale umschließt. Die reine Form ist aber nichts anderes als die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Unsere Aufmerksamkeit ist nicht auf das Besondere und Einmalige gerichtet, auch nicht auf die regelmäßige Wiederkehr des Gleichen im Besonderen, sofern diese Regelmäßigkeit nur der Erfahrung gegeben ist, sondern auf das, was notwendig im Handeln erscheinen muß. Wir betrachten nicht die Wege und Mittel, die zu bestimmten Zielen führen, wie es die Technologien tun, sondern, losgelöst von jedem konkreten Inhalt, das Verhalten des Menschen, der irgendwelche Wege geht und irgendwelche Mittel anwendet, als Wegewandeln und Mittelanwenden an sich.

Nicht aus der Erfahrung können wir solche Erkenntnis schöpfen. So wenig Logik und Mathematik aus der Erfahrung stammen, so wenig stammt das, was wir über das Handeln in seiner reinen Form wissen, aus der Erfahrung. Es ist unsere menschliche Eigenschaft, daß wir denkende und handelnde Wesen sind, und als Menschen wissen wir, was Denken und Handeln bedeuten. Wären wir nicht selbst Denkende und Handelnde, könnte uns keinerlei Erfahrung sagen, was Denken und Handeln sei.

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Es mag dahingestellt bleiben, ob es lohnt, darüber nachzusinnen, woher und wie uns diese wundersame Gabe zugekommen ist. Dass wir Denkende und Handelnde sind, ist übrigens nicht um ein Haar wundersamer, als dass wir Sehende, Hörende, Atmende und dass wir Werdende, Wachsende und Vergehende sind. Das alles ist in der Tat wunderbar, das heißt unserer Erkenntnis verschlossen. Vergebens pocht der Mensch mit seiner ärmlichen Metaphysik an die verschlossenen Pforten des Wissens um die letzten Dinge. Was Sein und Nichtsein bedeuten, liegt jenseits dessen, was unser Geist zu erfassen vermag.

Alle diese Fragen wirft unsere Wissenschaft nicht auf. Sie beschränkt sich auf ein Feld, das wir mit unseren geistigen Fähigkeiten zu bebauen vermögen. Wir besinnen uns darauf, was wir tun, wenn wir handeln, wir denken das, was im Begriffe des Handelns steckt, bis ans Ende und entfalten aus ihm alles, was er enthält. Den Begriff des Handelns aber finden wir in uns selbst; das Wesen des Handelns erkennen wir als handelnde Menschen aus einem Wissen, das uns vor aller Erfahrung gegeben ist [5] . Hätten wir dieses Wissen nicht schon in uns, könnten wir es durch keine Erklärung, Schulung, Belehrung und gewiss auch durch keine Beobachtung und Erfahrung gewinnen.

A. Über innere Erfahrung als vermeintliche Quelle praxeologischer Erkenntnis

Um der Lehre vom Handeln den Charakter einer apriorischen Wissenschaft abzustreiten und sie als Erfahrungswissenschaft zu erklären, hat man vorgeschlagen, ihre Quelle als innere Erfahrung zu bezeichnen. Würde es hier nur um die Wahl des Ausdrucks gehen, so könnte man diesen Vorschlag hinnehmen; um Terminologisches soll es keinen Streit geben. Doch es steht hier mehr und Wichtigeres auf dem Spiele als die Wahl eines geeigneten Ausdrucks.

Erfahrung ist Erwerb einer Erkenntnis durch Wahrnehmungen. Vor der Erfahrung haben wir keine Erkenntnis über den Gegenstand der Erfahrung, und nur durch die Erfahrung vermögen wir zu solcher Erkenntnis zu gelangen. Ohne Erfahrung hätte auch ein anderes Ergebnis als das, das die Erfahrung uns vermittelt, als immerhin möglich angesehen werden können. Erst die Erfahrung zeigt uns, daß die Dinge so und nicht anders liegen. Alle Erfahrung bezieht sich dabei auf Vergangenes; sie sagt, wie es gewesen ist, und nicht, wie es sein wird. «Erfahrung», sagt Kant, «gibt niemals ihren Urteilen [18] wahre oder strenge, sondern nur angenommene und komparative Allgemeinheit (durch Induktion), so dass es eigentlich heißen muss: so viel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme» [6] .Wie man von den Sätzen der Erfahrung über Vergangenes durch Induktion zur Aufstellung allgemeiner Sätze zu gelangen vermag, ist eine offene Frage, ist eines der großen Probleme der Erkenntnistheorie. Die logische Rechtfertigung der Induktion ist der Philosophie bis nun keineswegs befriedigend gelungen.

Erfahrung ist mithin dadurch gekennzeichnet, dass sie uns immer Erkenntnis bringt von etwas, was auch anders hätte erwartet werden können, und dass sie niemals zu Sätzen von strenger Allgemeinheit zu führen vermag. Doch das Wissen vom Handeln, mit dem wir uns in der Praxeologie, der allgemeinen Lehre vom menschlichen Handeln, zu befassen haben, ist von strenger Allgemeinheit. Es enthält nur Sätze, die notwendig immer und ausnahmelos gelten, wofern die vorausgesetzten Bedingungen ihrer Geltung gegeben sind. Es ist ein Wissen wie das der Logik und der Mathematik.

Alle Sätze der Lehre vom Handeln sind aus dem Grundbegriff des Handelns logisch abgeleitet und gelten immer und ausnahmelos, wofern gehandelt wird und die besonderen Bedingungen des Handelns, die für sie vorausgesetzt werden, gegeben sind. Wenn z.B. die Geldmenge unter den von der Quantitätstheorie genau bezeichneten Bedingungen vermehrt wird, dann müssen die von der Theorie genau bezeichneten Wirkungen eintreten. Nichts könnte das Eintreten dieser Folgen ausschalten, es sei denn, dass die Bedingungen ihres Eintretens ausgeschaltet werden.

Wenn wir die Quelle der Lehre vom menschlichen Handeln als innere Erfahrung bezeichnen wollten, müssten wir sie doch auf der einen Seite scharf scheiden von der inneren Erfahrung, die nur zu Erfahrungssätzen ohne strenge Allgemeinheit führt, und auf der anderen Seite feststellen, dass die strenge Allgemeinheit ihrer Sätze sie mit Logik und Mathematik in eine Reihe bringt. Wer wie J. St. Mill die Quelle der apriorischen Begriffe und Theorien in der Erfahrung zu finden glaubt, muss doch zugeben, dass zwischen den Sätzen der Logik und denen der Psychologie und der experimentellen Naturwissenschaft ein Wesensunterschied besteht. Auf die Hervorhebung dieses Wesensunterschieds, nicht auf die Terminologie kommt es an. Unser Sprachgebrauch hat jedenfalls den Vorzug, dass er diesen Zweck besser erfüllt als irgend ein anderer.

Die innere Erfahrung, deren sich die Psychologie bedient, führt zur Unterscheidung von Typen; diesen Typenbegriffen und den Aussagen über sie fehlen die Strenge und Allgemeingültigkeit, die das Wesen der praxeologischen Sätze ausmachen. Was z. B. die Psychologie von den Affekten aussagt, ist logisch durchaus von dem verschieden, was z. B. die Nationalökonomie vom Preis aussagt. Diese logische Verschiedenheit verwischt man, wenn man die innere Erfahrung, die die Quelle psychologischer Erkenntnis ist, der Quelle logischer, mathematischer oder praxeologischer Erkenntnis gleichsetzt. [7]

[19]

Doch, wie gesagt, über den Sprachgebrauch wollen wir nicht streiten. Das, worauf es ankommt, ist, dass die allgemeine Lehre vom menschlichen Handeln im logischen Charakter der Logik und Mathematik gleichzuhalten ist, und dass sie grundsätzlich verschieden ist von empirischer Naturwissenschaft und von Geschichte.

B. Über den tautologischen Charakter der praxeologischen Deduktion

Apriorische Wissenschaft ist reine Begriffswissenschaft; sie kann nichts anderes zutage fördern als Tautologien und analytische Urteile. Alle ihre Sätze werden aus den Begriffen und den Begriffsbestimmungen auf rein logischem Wege abgeleitet; sie geben nichts, was nicht schon in den Voraussetzungen enthalten war.

Wenn man aber nun meint, apriorische Wissenschaft sei daher nicht imstande unsere Erkenntnis zu fördern und die geistige Erfassung der Wirklichkeit zu ermöglichen, irrt man. Alle Sätze der Geometrie sind in den Axiomen enthalten. Im Begriff des rechtwinkligen Dreiecks ist auch der pythagoräische Lehrsatz bereits enthalten; er ist eine Tautologie, seine Ableitung führt zu einem analytischen Urteil. Nichtsdestoweniger wird man wohl kaum behaupten wollen, dass der Geometrie im allgemeinen und dem pythagoräischen Lehrsatz im besonderen kein Erkenntniswert innewohne. Auch die Erkenntnis aus Begriffen ist schöpferisch und erschließt dem Geiste Neuland. Aus den Begriffen und Begriffsbestimmungen alles das herauszuholen, was in ihnen enthalten ist, und klar zu zeigen, was sie nicht enthalten, das ist das Feld der apriorischen Wissenschaft. Ihre Aufgabe ist «l’acte par Iequel nous ramenons à l’identique ce qui nous a, tout d'abord, paru n`être pas tel» [8] .

Im Begriff des Geldes ist alles das mitgedacht, was die Geldtheorie lehrt. Die Quantitätstheorie fügt zum Begriffe des Geldes nichts hinzu, was nicht in ihm schon enthalten gewesen wäre; sie entwickelt nur, sie analysiert nur, sie ist in diesem Sinne tautologisch wie der pythagoräische Lehrsatz im Verhältnis zum Begriff des rechtwinkligen Dreiecks. Doch ihr Erkenntniswert ist nicht zu bestreiten. Dem nicht durch die Überlegungen der Nationalökonomie geklärten Denken bleibt dieser Zusammenhang verborgen. Eine lange Reihe von missglückten Versuchen, nationalökonomische Erkenntnis über diese Fragen zu gewinnen, beweist, dass es durchaus nicht leicht gewesen ist, zu der heute angenommenen Formulierung zu gelangen.

Dass das Gebäude unserer Begriffe und Sätze nicht unmittelbar die volle Erkenntnis der Wirklichkeit gibt, kann nicht als Mangel bezeichnet werden. Diese Begriffe und Sätze sind das Denkwerkzeug, das uns den Weg zur Erkenntnis der Wirklichkeit erschließt, nicht schon diese Erkenntnis selbst. [20] Theorie und Erfassung der lebenden Wirklichkeit sind nicht Gegensätze. Ohne Theorie, ohne die allgemeine Lehre vom menschlichen Handeln, gibt es keine Erfassung dessen, das sich im Handeln verwirklicht.

C. Theorie und Erfahrung

Das Verhältnis von Denken und Erfahrung ist von alters her als ein Grundproblem der Erkenntnistheorie angesehen worden. «Wie ist es möglich», fragte man, «dass die Mathematik, die doch ein von aller Erfahrung unabhängiges Produkt des menschlichen Denkens ist, auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich passt? Kann denn die menschliche Vernunft ohne Erfahrung durch bloßes Denken Eigenschaften der wirklichen Dinge ergründen?» [9] Auf diese Frage, die Kant durch seine Lehre von der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori zu lösen suchte, antwortet Einstein: «Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.» [10]

Man hat geglaubt, dass man auch für das Gebiet der Praxeologie mit einer analogen Antwort auslangen könnte, und man hat den Versuch unternommen, die ökonomische Theorie nach dem Muster von Poincarés konventionalistischer Deutung der Geometrie zu deuten. [11] Doch die Probleme liegen für die Praxeologie ganz anders, und so muss auch die Antwort ganz anders ausfallen.

Das «wirkliche Ding», mit dem die Praxeologie es zu tun hat, ist das menschliche Handeln, das eines Stammes ist mit der menschlichen Vernunft. Dass die Vernunft durch bloßes Denken das Wesen des Handelns zu ergründen vermag, ist im Ursprung des Handelns aus der Vernunft gelegen. Die durch widerspruch- und fehlerfreies Denken gewonnenen Sätze der Praxeologie sind nicht nur vollkommen sicher und unbestreitbar wie die Sätze der Mathematik; sie beziehen sich mit aller ihrer Sicherheit und Unbestreitbarkeit auf das Handeln, wie es im Leben und in der Wirklichkeit geübt wird. Die Praxeologie vermittelt daher exaktes Wissen von wirklichen Dingen.

Der Ausgangspunkt der Praxeologie ist nicht eine Konvention über Axiome und Methoden, sondern Besinnung auf das, was im Handeln selbst verwirklicht wird. Daher gibt es kein Handeln, in dem die praxeologischen Kategorien nicht voll und rein zum Ausdruck kommen würden. Es ist kein Handeln denkbar, in dem Mittel und Zweck oder Kosten und Ertrag nicht streng geschieden sind und nicht streng auseinandergehalten werden können. Es gibt nicht etwas, was mehr oder weniger genau der praxeologischen Kategorie des Tausches entsprechen würde; es gibt nur Tausch und Nichttausch, und von jedem Tausch gilt alles das in vollem Umfange und in voller Strenge, was vom Tausch allgemein ausgesagt wird. Es gibt keine Übergänge von Tausch zu Nichttausch oder von direktem Tausch zu indirektem Tausch. Keine Erfahrung kann je gemacht werden, die dem widersprechen könnte.

[21]

Ein solcher Widerspruch wäre schon darum undenkbar, weil alle Erfahrung über menschliches Handeln an die praxeologischen Kategorien gebunden und nur durch ihre Anwendung möglich ist. Verfügten wir nicht über die Schemata, die uns das praxeologische Denken an die Hand gibt, dann würden wir nirgends Handeln, Tauschen u. dgl. m. zu erkennen vermögen. Wir würden Bewegungen wahrnehmen, doch nicht Kauf und Verkauf, Preise, Löhne und Zinssätze u. dgl. Erst durch die Verwendung des praxeologischen Schemas können wir von einem Kaufe erfahren, dann aber unabhängig davon, ob uns mit diesem Kauf Bewegungen von Menschen und von nichtmenschlichen Dingen der Außenwelt wahrnehmbar werden oder nicht. Nie könnten wir ohne die praxeologische Einsicht etwas über Tauschmittel erfahren; in den Geldstücken sehen wir, wenn wir ohne diese Einsicht an sie herantreten, runde Metallplättchen besonderer Gestalt, sonst nichts. Erfahrung über Geld setzt die Kenntnis der praxeologischen Kategorie Tauschmittel voraus.

Die Erfahrung vom menschlichen Handeln ist eben dadurch von der Erfahrung, die den Ausgangspunkt der Naturwissenschaft bildet, verschieden, dass sie die praxeologische Einsicht voraussetzt.

Die moderne Naturbeobachtung und Naturwissenschaft hat die Zweckursachen aus ihrem Denken verbannt und den Versuch unternommen, alles Naturgeschehen, kausal zu erklären; sie musste das tun, weil keine Erfahrung und auch keine andere Erkenntnisquelle uns irgend eine Kunde von einem Handeln vermittelt, als dessen Erfolg der Ablauf der Naturprozesse zu erfassen wäre. Das Verfahren der Naturwissenschaften ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass es an das Handeln nicht heranzukommen vermag. Die wohlgemeinten Ratschläge, man möge doch einmal anfangen, das Handeln der Menschen mit der Methode und der Begriffsbildung der Naturwissenschaften zu studieren, verkennen das Wesen [12] des Handelns und die Stellung, in der sich der denkende Mensch dem Handeln gegenüber befindet.

Die Erfahrung vom menschlichen Handeln ist — wie jede Erfahrung — Erfahrung eines Vergangenen, das sich damals und dort ereignet hat; sie ist immer Erfahrung von einem komplexen Tatbestand, in dem verschiedene Elemente zusammenwirken. Sie kann von dieser Verknüpfung mit einem komplexen Tatbestand, der einmal da gewesen ist und nie in derselben Gestaltung wiederkehrt, auch nicht in der Weise herausgelöst werden, in der der Versuch Naturgeschehen zu isolieren vermag. Alle Erfahrung vom menschlichen Handeln ist daher Geschichte; sie kann nie etwas beweisen oder widerlegen in dem Sinn, in dem es ein Experiment in den Naturwissenschaften vermag. Verification oder Falsification einer Aussage durch die Erfahrung ist den Wissenschaften vom menschlichen Handeln nicht gegeben.

Wenn man von Nichtübereinstimmung von Erfahrung und Theorie spricht, gebraucht man eine Wendung, die dem Gedankenkreis der Erfahrung vom menschlichen Handeln fremd ist. Übereinstimmen oder Nichtübereinstimmen [22] von Theorie und Erfahrung lässt sich unmittelbar nur bei der Erfahrung aus isolierenden Versuchen feststellen. Die Erfahrung komplexer Tatbestände, in denen verschiedene Kausalreihen durcheinanderlaufen, kann für die Prüfung der Theorie nicht verwendet werden. Komplexe Tatbestände können Theorien weder bestätigen noch widerlegen; sie werden durch theoretische Gedankengänge gedeutet. Handelt es sich um naturwissenschaftliche Erfahrung komplexer Tatbestände, dann ist die Bewegungsfreiheit der Deutungen durch die Verpflichtung eingeengt, sie in Einklang mit den experimentell verifizierten Sätzen zu halten. Wo, wie im Felde des Handelns, solche Bindung fehlt, weil es keine experimentelle Verifikation oder Falsifikation von Sätzen gibt, könnte die Deutung sich frei tummeln. Dann ließe sich jede Tatsache und jede Erfahrung unschwer theoretisch erklären; der Menschengeist war nie verlegen, zu jeder Erfahrung, eine Erklärung aus allgemeinen Sätzen heraus zu liefern.

Die Beschränkung, die den Deutungs- und Erklärungsversuchen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften durch die Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit der Aussagen auferlegt wird, ist auf dem Gebiete der Wissenschaften vom menschlichen Handeln ein Werk der apriorischen Sätze. Die praxeologischen Sätze stehen logisch vor der Erfahrung und sind Bedingung und Voraussetzung der Erfahrung; sie können durch die Erfahrung, die nur durch sie möglich wurde, weder bestätigt noch widerlegt werden.

Für die Erklärung der Entwertung eines Binnengeldes gegenüber einem Außengeld wurden zwei Theorien aufgestellt: die Zahlungsbilanztheorie und die Inflationstheorie (Kaufkraftparitätentheorie). Keine von beiden kann von der Erfahrung bestätigt oder widerlegt werden. Denn die Tatbestände, die sich der Erfahrung bieten, sind stets komplexe Tatbestände, die in ihrer besonderen Gegebenheit einmaligen Charakter tragen. Nie bietet die Erfahrung die Möglichkeit, die Wirkung des Faktors, dessen Bedeutung man erkennen will, isoliert zu studieren; nie sind für die Erfahrung die übrigen Umstände unverändert, so dass man die Folgen der Veränderung eines Faktors allein beobachten könnte. Die Verteidiger der Zahlungsbilanztheorie strecken daher keineswegs die Waffen, wenn man ihnen vorhält, dass sich kein Fall nachweisen lasse, in dem es ohne Inflation zu Entwertung gekommen wäre. Wenn sie ihre Auffassung zu beweisen suchen oder wenn man daran geht, die Unhaltbarkeit ihrer gekünstelten Erklärungen zu enthüllen, so gelangt man in der Erörterung unversehens auf ein Gebiet, in dem ohne Rücksichtnahme auf die Erfahrung über die Richtigkeit und Unrichtigkeit apriorischer Sätze gestritten wird. Diese apriorischen Begriffe und Sätze sind aber schon die Bedingung der Erfahrung der Tatsachen; sie stehen in jedem Sinne — logisch und zeitlich — vor der Erfahrung des Tatsächlichen; wir erfassen die Tatsachen nur durch sie.

D. Über Kausalität

Handeln kann der Mensch nur, weil er in einer Welt lebt, in der er Kausalbeziehungen zu entdecken vermag. Handeln setzt die Kategorie der Kausalität voraus. Nur der Mensch, der die Umwelt im Lichte der Kausalität sieht, vermag zu handeln. Die Kausalität ist eine Kategorie des Handelns. Die Kategorie Mittel-Zweck setzt die Kategorie Ursache-Wirkung voraus. In einer — unserem Denken unvorstellbaren Welt ohne Kausalität wäre für menschliche Vernunft und für menschliches Denken kein Feld. Eine so beschaffene Welt wäre ein Chaos, in dem die Menschen sich nicht zu orientieren vermöchten.

[23]

Wo der Mensch keinen Kausalzusammenhang zu entdecken weiß, kann er auch nicht handeln. Der Satz lässt sich nicht umkehren. Der Mensch kann, auch wenn er den Kausalzusammenhang kennt, nicht handeln, wenn er es nicht vermag, die Ursache zu beeinflussen. Dann liegt eben, im strengen Sinn des Wortes, unentrinnbare Notwendigkeit vor.

Die Grundform der Kausalforschung lautet: wo habe ich einzusetzen, um den Ablauf der Dinge von der Richtung, die er ohne mein Eingreifen nehmen würde, in Bahnen abzulenken, die meinen Wünschen besser entsprechen? In diesem Sinne wirft der Mensch zuerst die Frage auf: wer oder was trägt die Schuld? Weil er handeln will, forscht er nach dem Gesetz. Erst später wird dieses Suchen durch die Metaphysik in eine Forschung nach dem letzten Grunde alles Bestehenden umgedeutet. Viele Jahrhunderte hatten zu tun, um diese überspannten Vorstellungen wieder auf die bescheidenere Fragestellung zurückzuführen: wo müsste man einsetzen oder einsetzen können, um dies oder das zu erreichen?

Die Behandlung, die dem Kausalitätsproblem in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss einiger physikalischer Missverständnisse zuteil wurde, war recht unglücklich. Diese unerfreuliche Episode der Philosophiegeschichte wird hoffentlich künftigem Philosophieren zur Warnung dienen.

Es gibt Veränderungen, deren Ursache wir nicht kennen oder zumindest heute noch nicht kennen. Mitunter gelingt es uns, ein Teilwissen zu erlangen, so dass wir sagen können: auf A folgt in 70 % der Fälle B, in den übrigen Fällen C oder auch D, E, F, und s. w. Um dieses Wissen in ein befriedigenderes Wissen zu verwandeln, wird man A in seine Elemente aufzuspalten haben; solange das nicht gelingt, wird man mit einem statistischen Gesetz vorliebnehmen müssen. Doch dieser Tatbestand erschüttert nicht die praxeologische Bedeutung der Kategorie der Kausalität. Dass Nichtwissen oder teilweises Nichtwissen der Annahme einer Kategorie der Kausalität widersprechen sollte, hatte man früher nie zu behaupten gewagt.

Mit den metaphysischen Lehren, die vom Kausalitätsproblem ausgehen, kann sich die Praxeologie nicht befassen. Sie muss sich von jeder Metaphysik fernhalten. Wir haben einfach festzustellen: Um handeln zu können, muss der Mensch die Verknüpfung zweier Tatbestände kennen. Und nur wenn er sie richtig erkannt hat und soweit er sie richtig erkannt hat, wird sein Handeln Erfolg haben können. Wir bewegen uns dabei bewusst in einem Zirkel. Denn dass der Kausalzusammenhang richtig erfasst wurde, vermögen wir nur daran zu erkennen, dass das Handeln, das an dieser Auffassung über den Kausalzusammenhang orientiert war, zu dem erwarteten Erfolg geführt hat. Doch diesem Zirkelschluss können wir nicht entrinnen, weil eben die Kausalität eine praxeologische Kategorie ist. Das gerade zwingt uns, in der Darstellung der Praxeologie einige Worte diesem Grundproblem allen Philosophierens zu widmen.

IV. Eigenes und fremdes Handeln

Das Handeln, das ich als ein selbst handelndes Wesen erfasse, ist mein Handeln. Vom Handeln der anderen weiß ich zunächst nichts. Sie sind für mich Außenwelt, und ich trete ihnen mit meiner Vernunft nicht anders gegenüber als jedem [24] andern Stück der Außenwelt. Ich könnte versuchen, sie so zu betrachten, als ob sie nicht Handelnde wären, wie ich ein Handelnder bin, sondern nur Erduldende wie das Rohr im Winde oder wie der Stein.

Dem primitiven Menschen ist diese Betrachtungsweise allerdings fremd. Er nimmt im Gegenteil ganz naiv an, dass die Außenwelt nur aus Wesen besteht, die handeln, wie er selbst handelt. Er beseelt die Natur, er sieht die Tiere und die Pflanzen, die Berge, die Flüsse, die Quellen, die Steine als empfindende, wollende und vor allem auch als handelnde Wesen. Er sieht jede Veränderung als Ausfluss zielgerichteten Handelns eines Wesens, das denkt und handelt wie er selbst. Langsam nur wird dieser Animismus aufgegeben und Schritt für Schritt durch die kausale Betrachtungsweise ersetzt. Die mechanistische Weltansicht, die die Dinge der Außenwelt entseelt, bewährt sich so ausgezeichnet, dass man schließlich meint, sie könne alles leisten, was vom Denken geleistet werden kann. Das mechanistische Erkennen wird als das Um und Auf aller Erkenntnis angesehen und die physikalisch-mathematische Denkform als die einzige wissenschaftliche Denkform hingestellt; alle Veränderungen in der Welt sollen als Bewegungen aufgefasst werden, die den Gesetzen der Mechanik gehorchen.

Dem Hinweis auf die offene erkenntnistheoretische Problematik des Kausalitätsprinzips und des Induktionsschlusses vermögen die Verfechter der mechanistischen Auffassung die Tatsache entgegenzuhalten, dass ihr Verfahren sich im Leben bewährt habe. Dass die Laboratoriumsversuche so verlaufen, wie man nach den Theorien erwarten durfte, und dass die Maschinen so arbeiten, wie die Technologien es voraussagen, sei eine Bestätigung der Naturwissenschaft, der man zumindest für die Praxis die Bedeutung nicht zu bestreiten vermöge. Wenn die Wissenschaft vielleicht auch nicht Wahrheit gebe — und wer wisse, was Wahrheit letzten Endes ist? — so bringe sie doch zumindest zweckmäßigen Irrtum.

Doch gerade wenn man sich auf den Boden dieses pragmatischen Bewährungsbegriffes stellt, muss man die Überspannung der mechanistischen Weltansicht ablehnen. Es ist — zumindest bisher — nicht gelungen aufzuzeigen, wie äußere Tatsachen sich im Innern des Menschen in Wollen und Handeln umsetzen. Zwischen Bewegung und Empfindung, zwischen Seelischem und Materiellem klafft ein Abgrund, den zu überbrücken sich die Wissenschaft — sicherlich heute noch, vielleicht aber für immer — als unfähig erweist. Eine immanente Kritik des positivistischen Standpunkts muss die zur Entschuldigung des Versagens des kausalmechanistischen [25] Verfahrens vorgebrachten Behauptungen, dass es doch einmal endlich gelingen müsse, diese Fragen zu beantworten, und dass uns nur die Unzulänglichkeit unserer Erkenntnismittel hindere, sie zu lösen, als leer und sinnlos abweisen. Man bedarf zu dieser Abweisung nur jener Argumente, deren sich der Positivismus bedient, um die metaphysischen Fragestellungen nach den letzten Ursachen und den letzten Dingen abzutun.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Vorgang, die Mitmenschen als Wesen zu betrachten, die handeln gleich uns, sich im Leben bewährt hat und dass dem Versuch, sie einfach wie die Gegebenheiten der naturwissenschaftlichen Betrachtung zu sehen, keine Bewährung werden kann. Das Problem des Fremdverstehens (oder, richtiger ausgedrückt, des Fremdbegreifens) mag der Erkenntniskritik nicht geringere Schwierigkeiten bieten als das des Kausalprinzips oder das der Induktion. Dass meine Logik auch die Logik der anderen und schlechthin die einzige menschliche Logik ist, und dass die Kategorien meines Handelns auch die Kategorien des Handelns der anderen und schlechthin alles menschlichen Handelns sind, kann, wollen wir zugeben, nicht bewiesen werden. Doch der Pragmatist möge bedenken, dass diese Annahmen sich in Wissenschaft und Leben bewährt haben, und der Positivist möge nicht vergessen, dass er, wenn er zu uns spricht, stillschweigend und naiv die intersubjektive Gültigkeit der Logik und damit den Gegenstandbereich des Fremdpsychischen bereits voraussetzt [13] . Denken und Handeln sind das Menschliche, das, was allen Menschen gegeben und eigen ist und was sie, über die Zugehörigkeit zur zoologischen Spezies homo sapiens hinaus, zu Menschen stempelt. Es ist nicht die Aufgabe der Praxeologie, zu untersuchen, in welchem Verhältnis Denken und Handeln stehen. Ihr muss es genügen festzustellen, dass es nur ein Denken gibt, das für Menschen denkbar ist, und nur ein Handeln, das menschlich ist und vom Menschengeist begriffen werden kann. Ob es nicht noch irgendwo Welten gibt oder geben kann, wo anders gedacht und gehandelt werden kann, entzieht sich der Erkenntnis durch die menschliche Vernunft. Wir beschränken uns auf die Betrachtung menschlichen Handelns.

Dieses menschliche Handeln, das mit dem menschlichen Denken untrennbar verbunden ist, ist denknotwendig bestimmt. Sowenig einer menschlichen Vernunft eine Logik fassbar wäre, die von dem Inhalte unserer Logik abweicht, sowenig könnte [26] ein Mensch ein Handeln fassen, das kategorial von dem Handeln verschieden wäre, von dem wir sprechen. Wie ich aus meinem Denken über das Denken zu Sätzen gelange, von denen ich weiß, dass sie auch für jedes andere menschliche Denken gelten müssen, so gelange ich aus meinem Denken über das Handeln zu Sätzen, von denen ich weiß, dass sie für alles menschliche Handeln gelten müssen und dass jedes menschliche Denken über das Handeln sie als gültig anerkennen muss.

Zur geistigen Erfassung des Weltlaufs stehen der menschlichen Vernunft zwei Prinzipien zur Verfügung: das teleologische und das kausale. Was weder mit dem einen noch mit dem andern bewältigt werden kann, vermag der Mensch überhaupt nicht geistig zu erfassen, zu begreifen und zu verstehen. Ein Geschehen, das mit keinem dieser beiden Mittel erfasst werden könnte, erschiene dem menschlichen Geist schlechthin unbegreiflich. Das menschliche Denken mag sich noch so sehr anstrengen, es könnte doch nie dazu gelangen, Veränderungen anders zu erfassen als entweder durch das Prinzip der Kausalität oder durch das der Teleologie [14] . Man hat geglaubt, den Gegensatz dieser beiden Prinzipien dadurch verwischen zu können dass man sie als zwei verschiedene Auffassungsweisen desselben Geschehens zu deuten suchte. Auch das Eingreifen des Handelns könne als Ursache angesehen werden und so lasse sich das Handeln unschwer in die kausale Betrachtung einfügen. Der Fehler dieses Gedankenganges ist, dass er das wesentliche Element des Zweckhaften, die sinnhafte Absicht, verkennt. Wohl kann jedes Geschehen kausal erklärt werden; es braucht dazu nur der Bereitschaft, an einer oder an mehreren Stellen der Kausalkette den Eingriff des Handelns einzusetzen. Doch damit ist dem Kausalprinzip nur formal Genüge geleistet.

Der der panmechanistischen Weltansicht zugrundeliegende Verfahrensmonismus, der nur die Kausalität gelten lassen will, weil er ihr einen höheren Erkenntniswert oder überhaupt nur ihr Erkenntniswert beilegt, wurzelt in einem metaphysischen Vorurteil. Beide Erkenntnisprinzipien — das kausale sowohl als das teleologische — sind, dem begrenzten Wirkungsbereich der menschlichen Vernunft entsprechend, unvollkommen und führen nicht zu letzter Erkenntnis und Einsicht. Das Kausalprinzip leitet zu einem regressus in infinitum, den die Vernunft nie auszuschöpfen vermag, und die Teleologie versagt, wenn die Frage nach dem Beweger des Bewegers gestellt wird. [27] Für beide Verfahren gibt es ein Gegebenes, das nicht weiter aufgelöst und erklärt werden kann. Volle Beruhigung, Befriedigung und Aufklärung kann weder das eine noch das andere bringen. Gewissheit und Allerkenntnis können Denken und Wissenschaft nicht bieten. Wer diese finden will, muss sich an den Glauben wenden und versuchen, sie dort zu erlangen.

Bleiben wir im Bereiche des Denkens und der Erfahrung, so dürfen wir uns der Einsicht nicht verschließen, dass der Mitmensch handelt und dass wir nicht berechtigt sind, aus modischer Vorliebe und aus unbegründetem metaphysischen Vorurteil von der Tatsache dieses Handelns abzusehen. Die tägliche Erfahrung, dieselbe, die uns zeigt, dass wir durch kausale Deutung des Geschehens der übrigen Außenwelt gut fahren, lehrt uns, in unseren Mitmenschen handelnde Wesen zu sehen. Für die Deutung des Handelns aber steht uns kein anderes Deutungsschema zur Verfügung als das, das wir durch die Einsicht in das Wesen unseres eigenen Handelns gewonnen haben. Wir haben nur die Wahl zwischen diesem und der kausalmechanistischen Betrachtung, die sich für die Erfassung des Handelns unserer Mitmenschen als unbrauchbar erweist.

Wenn der Behaviorismus und der Neopositivismus des Kreises deren um Schlick und Carnap meinen, man könnte und müsste beim Erfassen des Handelns der Mitmenschen vom Psychischen absehen und hätte es nicht anders zu studieren als die Vorgänge der unbeseelten Außenwelt, sind sie in Irrtum befangen. Das Problem, das hier vorliegt, hat mit der Annahme der Existenz einer Seele oder gar einer unsterblichen Seele nichts zu tun, und soweit sich die Kritik der Behavioristen und Positivisten gegen diese Annahme richtet, ist sie für unser Problem bedeutungslos. Uns beschäftigt die Frage, ob man menschliches Verhalten von außen her geistig zu erfassen vermag, wenn man darauf verzichtet, in ihm den Ausfluss sinnerfüllten vernunftmäßigen Gebahrens zu erblicken. Der Behaviorist und der Neopositivist wollen mit der in der naturwissenschaftlichen Forschung bewährten Methode an das menschliche Verhalten herantreten. Sie sehen im Handeln Reaktionen auf Reize. Doch schon der Reiz, von dem hier die Rede ist, kann nicht mit naturwissenschaftlichen Verfahren, von außen her und ohne Eingehen auf den Sinn, der ihm vom handelnden Menschen beigemessen wird, bestimmt werden. Man mag die Erhöhung eines Preisanbotes immerhin als Reiz bezeichnen; doch das, was das höhere vom niedrigeren Anbot unterscheidet, ist ohne Eingehen auf den Sinn, den die beiden Partner der Situation beilegen, nicht zu umschreiben. Keine Künstelei kann die Tatsache, dass das Verhalten der Menschen in allen Lagen [28] von der Absicht, Zwecke zu verwirklichen, geleitet wird, wegwischen. Eben dieses Verhalten — das Handeln — ist Gegenstand unserer Erforschung. Wir können an diesen unseren Gegenstand gar nicht herankommen, wenn wir nicht auf den Sinn eingehen, den die handelnden Menschen in den Situationen erblicken, und auf den Sinn, den sie mit ihrem eigenen Handeln verbinden.

Es ist der Physik nicht angemessen, teleologisch vorzugehen, weil für den Physiker nichts auf ein in den physikalischen Vorgängen wirkendes Handeln eines nach menschlicher Weise handelnden Wesens hindeutet. Es ist dem Praxeologen nicht angemessen, von dem Wirken des menschlichen Handelns abzusehen, weil er dann eben nicht Praxeologie, nicht Ökonomie und nicht Gesellschaftslehre betreiben würde, sondern Mechanik, Chemie oder Biologie. Das Handeln ist der Gegenstand seiner Forschung, und diesen Gegenstand darf er nicht fahren lassen. Man kann die Erscheinungen menschlichen Handels oft — nicht immer — auch als Gegenstand naturwissenschaftlicher Betrachtung ansehen. Man kann das Gehen und das Sprechen biologisch studieren, man kann das Abfeuern eines Gewehres physikalisch untersuchen u.s.w. Doch dann treibt man eben Biologie oder Physik und nicht Praxeologie.

Die Existenz der Mitmenschen als Wesen, die gleich ihm bewusst handeln, ist jedem Menschen fraglos gegeben. Er wächst mit dieser Einstellung heran und in die menschliche Umwelt hinein. Naiv nimmt er ohne Bedenken an, dass auch die anderen Menschen handeln, wie er selbst handelt. (Ja, der primitive Mensch ist, wie wir gesehen haben, bereit, dasselbe auch von anderen belebten und unbelebten Wesen anzunehmen, und wird erst durch die Erfahrung genötigt, den Kreis der Wesen denen er bewusstes Verhalten zuschreibt, einzuengen.) Über die Entstehung und die Herkunft dieser Annahme vermögen wir nichts auszusagen; wir können sie auch nicht nach den Regeln der Kunst beweisen. Es steht da nicht besser als um andere Grundlagen unseres Denkens und Handelns, etwa um das Kausalprinzip. Wir können nur sagen: menschliches Handeln (und nicht etwa bloß Denken über das menschliche Handeln) wäre ohne diese Annahme des gleich mir bewussten und handelnden Du nicht möglich. Und diese Annahme hat sich im Leben bewährt. Und in diesem ist schon eingeschlossen: wenn das Du handelt, kann sein Handeln nur von der gleichen Kategorie sein, die meinem Handeln eigen ist [15] .

[29]

Über den Instinkt.

Dass wir nur die Wahl zwischen den beiden Wegen der Kausalität und der Teleologie haben und dass wir ein Geschehen, das wir einerseits mit der kausal-naturwissenschaftlichen Methode nicht ganz fassen können, das wir aber auch anderseits nicht als menschliches Handeln ansehen dürfen, zu einem Quasi-Handeln stempeln müssen, um geistig an seine Erklärung heranzukommen, zeigt am klarsten der Begriff des Instinkts.

Wo wir ein Verhalten beobachten, dass zwar unbewusst abläuft, uns aber in seiner Ausrichtung so erscheint, dass wir es als bewusstes Verhalten, als Handeln, zu fassen wüssten, wenn wir hinter ihm einen bewussten Willen zu erblicken vermöchten, greifen wir zur Annahme, dass ein uns unbekannter Faktor — eben der Instinkt wirksam war. Der Instinkt löst die zielstrebige Regung des Tieres aus, der Instinkt lenkt unbewusstes und doch zweckmäßiges Verhalten menschlicher Nerven und Muskeln. Indem wir das Unbekannte und Rätselhafte solchen Verhaltens als Instinkt hypostasieren, kommen wir der Lösung des Problems, das hier vor uns liegt, nicht um einen Schritt näher. Wir gewinnen nur die Möglichkeit, dieses Verhalten in der Art zu erfassen, die wir für die geistige Erfassung des Handelns ausgebildet haben. Instinkt wäre ein Wortfetisch, ein Stück Sprachmetaphysik, das der Klarheit unseres Denkens und Forschens gefährlich werden könnte, wie die Donner- und Windgottheiten primitiver Völker ihrem Naturerkennen im Wege standen, wenn wir vergessen wollten, dass dieser Ausdruck nur — vielleicht vorläufig, vielleicht für immer — als Markstein steht, um eine Stelle zu bezeichnen, über die hinaus unser Denken und Forschen nicht zu dringen vermochte.

Es ist der Naturwissenschaft gelungen, für manche Abläufe, die man früher dem Wirken des Instinkts zuschrieb, eine natürliche, d.h. eine kausal-mechanische Erklärung zu finden, die sie als mechanische oder chemische Reaktionen auf Reize zeigt. Doch es blieb genug übrig, das auf diesem Wege nicht geklärt werden kann. Tiere (und auch Pflanzen) zeigen ein Verhalten, das wir nicht anders zu erfassen vermögen als durch die Annahme, dass in ihnen etwas — nämlich der Instinkt wirksam ist, ein Agens, das Ziele sucht wie wir handelnde Menschen.

Das Bestreben des Behaviorismus, das menschliche Verhalten von außen her mit den von der Tierpsychologie entwickelten Methoden zu studieren, beruht auf einer argen Selbsttäuschung. Wir können das Verhalten der Tiere (und der Pflanzen), soweit es sich nicht als Ausfluss physiologischer Prozesse von der Art des Blutumlaufs, der Atmung und des Stoffwechsels darstellt, nur nach den Methoden, die wir zur Erfassung menschlichen Handelns ausgebaut haben, d.i. nur unter Zugrundelegung der Instinkt-Hypothese studieren. Die Lehre vom menschlichen Verhalten kann sich nicht auf die vom tierischen Verhalten stützen; es ist umgekehrt die Tierpsychologie, die der Stützung durch die Menschenpsychologie nicht entraten kann. Hätten wir nicht das praxeologische Denken zur Verfügung, könnten wir auch das Verhalten der Tiere nicht begreifen und verstehen.

Die Beobachtung der tierischen Instinkthandlungen erfüllt den Menschen immer von neuem mit Staunen und regt zu Fragen an, die niemand zu beantworten vermag. Doch dass Tiere und auch Pflanzen sich zweckmäßig verhalten, ist nicht mehr und nicht weniger wunderbar, als das, dass der Mensch denkt und [30] handelt, dass in der unbelebten Weit jene Funktionalbeziehungen bestehen, die die Physik beschreibt, und dass in der belebten Welt die biologischen Prozesse ablaufen. Der Begriff Instinkt ist keine Erklärung im metaphysischen Sinne, er ist einfach die Bezeichnung eines Punktes, über den hinaus die Bemühungen unseres Denken nicht zu dringen wissen oder zumindest bisher nicht zu dringen vermochten. Die Einführung dieses Begriffes ermöglicht es uns, für Erscheinungen, an die wir mit dem Denkverfahren der mechanischen Kausalität nicht heranzukommen vermögen, das andere menschliche Denkverfahren, das, das wir für die Erfassung des menschlichen Handelns zur Verfügung haben, anzuwenden. Wie Bewegung und Bewusstsein ist auch Instinkt nur ein Ausdruck für einen Grenzpunkt menschlichen Denkens, und nicht etwa ein Wort zur Bezeichnung der Ursache oder gar der letzten Ursache [16] .

V. Die allgemeinen Bedingungen des Handelns.

Zufriedenheit oder Befriedigtsein nennen wir den Zustand eines Menschen, der nicht zum Handeln führen kann und führt. Der Handelnde sucht einen Zustand, der ohne sein Dazutun gegeben ist, durch einen anderen Zustand zu verdrängen. In seinem Denken sieht er einen Zustand, der ihm mehr zusagt als der gegebene, und sein Handeln ist darauf gerichtet, diesen gewünschten Zustand zu verwirklichen. Antrieb des Handelns ist das Unbefriedigtsein [17] . Ein zufriedenes Wesen würde nicht handeln; es würde nur einfach dahinleben.

Doch damit gehandelt werde, muss zum Unbefriedigtsein und zum Wissen von einem Zustand, der besser befriedigen würde, noch ein Weiteres hinzutreten: die Meinung, dass man fähig sei, durch sein Verhalten das Unbefriedigtsein zu beheben oder doch wenigstens zu mildern. Wo diese Meinung fehlt, wird nicht gehandelt. Dem Unabwendbaren und Unentrinnbaren muss sich der Mensch fügen. Er muss das Schicksal über sich ergehen lassen.

Allgemeinste Bedingungen des Handelns sind mithin: Unzufriedenheit mit dem gegebenen Zustand [18] und die Annahme der Möglichkeit der Behebung oder Milderung dieser [31] Unzufriedenheit durch das eigene Verhalten. Der Mensch ist das irdische Wesen, das unter diesen Bedingungen lebt; er ist nicht nur homo sapiens, sondern auch homo agens, das handelnde Wesen. Geschöpfe menschlicher Abkunft, die von Geburt aus oder durch erworbene Mängel unabänderlich handlungsunfähig (im strengen Sinne des Wortes, und nicht etwa im Sinne des Sprachgebrauches des Rechts) sind, werden von den anderen Menschen mit Grauen und Erschütterung betrachtet. Mögen auch Recht und Pathologie solche Wesen als Menschen ansehen, so fehlt ihnen doch das, was das Wesen des Menschen ausmacht. Auch das Neugeborene ist nicht handlungsfähig; es hat den Weg, der von der Empfängnis bis zum Eintritt in den Kreis der Menschen führt, noch nicht ganz zurückgelegt, doch am Ende dieser Wanderung wird es ein handelndes Geschöpf.

Ein Handeln, das nicht unter diesen beiden Bedingungen stünde, wäre nicht denkbar. Nur wo sie gegeben sind, kann gehandelt werden. Wo auch nur eine fehlt, wird nicht gehandelt. Dass sie für den Menschen gegeben sind und dass der Mensch mithin ein handelndes Wesen ist, zeigt die Erfahrung. Doch dass es ohne ihr Zutreffen nicht zu dem kommen kann, was wir Handeln nennen, ist keine Kenntnis, die uns erst durch Erfahrung vermittelt wird; das ist eine Einsicht, die vor aller menschlichen Erfahrung liegt.

 


 

2. KAPITEL: DIE WISSENSCHAFT VOM MENSCHLICHEN HANDELN

I. Der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Betrachtung des menschlichen Handelns: das Handeln des Einzelnen

Unsere Untersuchungen setzen beim einzelnen Menschen und seinem Verhalten in einer bestimmten Lage ein. Unsere Wissenschaft befasst sich zunächst mit dem Einzelnen und seinem Handeln, und wenn sie dann, von diesem Ausgangspunkte weiterschreitend, dazu gelangt, alles Geschehen, an dem menschliches Handeln beteiligt ist, in ihr Begriffsgebäude einzubeziehen, so gibt sie doch die Bezugnahme auf das Handeln des Einzelnen niemals auf und bleibt sich auch in der Lehre von den gesellschaftlichen Gebilden der Grundlage ihrer Erkenntnisse, d.i. Begreifen des Handelns einzelner Menschen, bewusst. Das ist es, was man als ihren Nominalismus und Individualismus getadelt hat, und dem man die kollektivistische Methode, [32] die man auch als Universalismus bezeichnet, entgegenstellen wollte.

Es wäre nun leicht, den Einwendungen, die von dieser Seite kommen, dadurch zu begegnen, dass man die Ergebnisse der ob ihres Individualismus getadelten Wissenschaft mit dem vergleicht, was man als Ergebnis der universalistisch verfahrenden Forschung vorzuweisen pflegt. Es wäre nicht minder leicht zu zeigen, dass die Kritik die Universalismus und Kollektivismus am Verfahren der Wissenschaft vom menschlichen Handeln üben, auf groben Missverständnissen und Irrtümern beruht, und dass ihr eigenes Lehrgebäude nichts anderes darstellt als eine notdürftige und wenig geschickte Tarnung politischer Postulate, die mit willkürlichen Annahmen und mit argen Trugschlüssen arbeitet. Nichts wäre einfacher, als sich auf diesem Wege einen billigen Triumph zu verschaffen und sich dabei über die Unanfechtbarkeit und apodiktische Gewissheit der Grundlagen unseres Vorgehens zu beruhigen.

Doch wir dürfen und wollen uns nicht damit begnügen, unzulängliche Kritik unzulänglicher Kritiker zurückzuweisen. Wir müssen, ohne Rücksicht auf die Schwäche der vom Universalismus, Kollektivismus und Begriffsrealismus vorgebrachten Einwendungen, unsererseits selbst die Frage aufwerfen, ob der Punkt, von dem wir unsere Untersuchungen den Ausgang nehmen lassen, zum Ausgangspunkt überhaupt geeignet ist, und ob nicht ein anderer, besser entsprechender Ausgangspunkt gefunden werden könnte. Wir müssen prüfen, welche Voraussetzungen die Wahl dieses Ausgangspunktes bedingen und zu welchen Folgen sie führt. Wir müssen feststellen, ob wir tatsächlich auch immer so vorgehen, dass unsere Untersuchung in jedem Teile mit diesem Ausgangspunkt in Verbindung bleibt und alles das im Auge behält, wozu sie ihre Grundsätze verpflichten. Wir müssen die Problematik dessen, was man an unserem Verfahren als den methodologischen Individualismus bezeichnet, einsehen und uns mit ihr radikal auseinandersetzen.

Es fällt uns nicht ein, zu bestreiten, dass es gesellschaftliche Gebilde eben die Kollektiva, die Gesamtheiten und Ganzheiten, von denen Universalismus, Kollektivismus und Begriffsrealismus sprechen — gibt; wir betrachten es vielmehr als eine unserer vornehmsten Aufgaben, zu deren Erkenntnis zu gelangen. Was wir bestreiten, ist nur das, dass wir unseren Ausgangspunkt von intuitiver Schau solcher Ganzheit nehmen dürfen.

Der Streit, ob dem Ganzen oder den Teilen geschichtlich, logisch oder in irgend einer andern Hinsicht der Vorrang zukommt, ist freilich müßig. Er ist müßig als Aufgabe reiner [33] Logik, weil Ganzes und Teile korrelative Begriffe sind, die logisch gleichen Rang haben. Er ist aber auch müßig als Problem der Wissenschaft vom menschlichen Handeln, weil gesellschaftliche Kollektivgebilde nur in Menschen und in menschlichem Handeln erscheinen und wirken. Dass es Kollektivgebilde, Gesamtheiten und Ganzheiten gibt, können wir nur im menschlichen Handeln erkennen. Wir müssen den Einzelnen und sein Handeln betrachten, um das Kollektivgebilde zu erkennen. Kein Kollektivgebilde ist und lebt außerhalb des Handelns einzelner Menschen. Um den Kollektivisten entgegenzukommen, wollen wir es zunächst dahingestellt sein lassen, ob es überhaupt ein Handeln Einzelner gibt, das außerhalb eines Kollektivgebildes gedacht werden kann. Doch unbestreitbar ist, dass alle Kollektivgebilde im Handeln Einzelner erscheinen müssen und dass die Kollektiva im Einzelnen leben und wirken, dass sie von den Einzelnen gelebt werden und dass ein anderes Sein als das in den Einzelnen ihnen nicht zugeschrieben werden kann. Wenn wir die Glieder betrachten, müssen wir auch ihre Gliedhaftigkeit entdecken und damit auch das Ganze, in dem sie als Glieder stehen und dienen. Nur über die Betrachtung des Einzelnen führt unser Weg zur Erkenntnis der Gesamtheit. Ob es möglich ist, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, wie es die alte Redensart will, mag man bezweifeln; doch sicher ist, dass wer keine Bäume sieht, auch keinen Wald erblicken kann.

Dass es Völker, Staaten und Kirchen gibt, erkennen wir am Handeln Einzelner. Niemand hat noch ein Volk erkannt, der nicht zuerst Volksgenossen erkannt hat. Dass es Staaten gibt, erkennen wir im Handeln der Einzelnen, das aus dem Staatsgedanken seinen Antrieb empfängt. Wenn wir sagen, das gesellschaftliche Gebilde entsteht aus dem Handeln Einzelner, so bedeutet das keine Stellungnahme zu den Fragen, ob der Einzelne vor oder nach der Gesamtheit ist und ob die Gesamtheit die Summe der Einzelnen oder ein Gebilde sui generis ist. Wir wollen damit nur einfach sagen, dass gesellschaftliche Gebilde in den Einzelnen zum Ausdruck kommen und nur in den Einzelnen sein und wirken können.

Endlich müssen wir bedenken, dass der Einzelne verschiedenen Kollektivgebilden angehören kann und auch — abgesehen von den Hordenmenschen auf niedrigster Kulturstufe verharrender Völkerschaften - in der Regel angehört. Wir können die Probleme, die das Nebeneinander, Miteinander, Gegeneinander und Durcheinander der gesellschaftlichen Gebilde stellt, nie erfassen, wenn wir von den Gebilden ausgehen und nicht von den Einzelnen, in denen die Gebilde leben.

[34]

Man hüte sich davor, von anschaulicher Erfassung der Gestalt gesellschaftlicher Gebilde zu sprechen. Sie sind nie konkret wahrnehmbar, sie werden von uns im Denken erfasst, indem wir menschliches Handeln denkend in Bezug setzen zum Handeln anderer Menschen. Die Anschauung mag uns zeigen, dass viele Menschen — ein Haufen, eine Menge im arithmetischen Sinne — beisammen sind; dass sie als soziologische Masse oder als organischer Verband oder sonst als gesellschaftliche Gesamtheit handeln, sagt uns erst das Denken, das ihr Handeln erfasst. Und dieses Handeln ist immer ein Handeln Einzelner. Nicht Anschauung, sondern Überlegung führt uns zur Erkenntnis der gesellschaftlichen Gebilde, und diese Überlegung muss von dem ausgehen, was uns im Handeln Einzelner unmittelbar entgegentritt.

Ich und Wir

Das Ich ist die Einheit des handelnden Menschen. Es ist fraglos gegeben und kann durch kein Denken aufgelöst werden.

Das Wir ist immer das Ergebnis eines gedanklichen Summationsverfahrens, das zwei oder mehrere Ich zusammenfasst. Wenn jemand Ich sagt, bedarf es keiner Rückfrage, um den Sachverhalt und den Sinn der Aussage klarzustellen; ebenso steht es mit dem Du und wofern die Person, auf die hingewiesen wird, eindeutig bezeichnet wird, auch mit dem Er . Doch wenn jemand Wir sagt, dann bedarf es der Feststellung, wer die Ich sind, die in diesem Wir zusammengefasst werden. Wir können immer nur Einzelne sagen; auch wenn sie es im Chor sagen, bleibt es doch Aussage von Einzelnen.

Die Wir können nicht anders handeln, als indem jeder Einzelne von ihnen handelt. Sie handeln entweder alle zusammen. Oder es handelt einer von ihnen zugleich auch für die übrigen. Dann besteht das Mithandeln der übrigen in dem Akt, durch den sie die Lage, die das Handeln des Einen auch für sie wirksam macht, haben entstehen lassen. Nur in diesem Sinne handelt ein Organ für ein gesellschaftliches Gebilde; die Einzelnen, die das Kollektivgebilde zusammensetzen, bewirken es oder lassen es zu, dass das Handeln eines Einzelnen auch für sie wirksam werde.

Die Bemühungen der Psychologie, das Ich aufzulösen und als Schein zu entlarven, sind für die Praxeologie belanglos. Das praxeologische Ich läßt sich nicht wegdisputieren. Ein Ich ist der, der wählt. Was er auch immer früher gewesen sein mag und was in Zukunft noch aus ihm werden mag, im Akt der Wahl und der Entscheidung ist der Mensch ein Ich.

II. Der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Betrachtung des menschlichen Handelns : die einzelne Handlung

Wie vom einzelnen Menschen, so nimmt unsere Wissenschaft auch von der einzelnen Handlung ihren Ausgang. Wir sprechen nicht in unbestimmten und unklaren Ausdrücken vom [35] Handeln der Menschen, sondern von einem bestimmten Handeln, das ein bestimmter Mensch dort und damals vollzogen hat. Doch wir betrachten dieses Handeln nicht im Hinblick auf das, was ihm durch die besonderen Umstände des Einzelfalls zuteil wurde und was es von allem anderen Handeln unterscheidet, sondern nur im Hinblick auf das, was in ihm als Allgemeines erkannt werden kann. Wir suchen im Handeln auch nicht die besonderen Eigenschaften des gerade hier und heute handelnden Menschen, sondern allein das, was es zum Handeln stempelt.

Jahrtausendelang hat der Universalismus den Zugang zu den Problemen unserer Wissenschaft behindert, wie denn auch die Universalisten von heute niemals den Weg zu ihr zu finden vermögen. Universalismus, Kollektivismus und Begriffsrealismus sehen nur Ganzheiten und Gesamtheiten. Sie spekulieren von der Menschheit, von Völkern, von Staaten, Kirchen, Ständen, Klassen. Sie arbeiten mit Allgemeinbegriffen wie Tugend und Laster, Recht und Unrecht, mit Bedürfnisgattungen, mit Gütergattungen und dgl. m. Sie fragen etwa: Warum ist die Tugend ein Gut? Warum schätzt man das Gold höher als das Eisen? Auf diesen Wegen gelangen sie niemals zu Ergebnissen; sie finden nur Antinomien, die ihnen unlösbare Probleme aufgeben. Die bekannteste dieser Antinomien ist die Wertantinomie, an der noch die klassische Nationalökonomie Schiffbruch gelitten hat.

Wir aber fragen: Was geht im Handeln vor? Was ist es, wenn der Einzelne dort und damals, hier und heute, immer und überall handelt? Was vollzieht sich, wenn er das Eine wählt und Anderes läßt? Darauf wollen wir antworten und nicht auf die Frage nach dem Urgrunde der Dinge.

Wir betrachten den Einzelnen, wenn er, vor eine Wahl gestellt, den Wahlakt vollzieht, d.i. handelt. Der Akt des Handelns ist immer konkrete Entscheidung zwischen gegebenen Möglichkeiten. Niemals wird zwischen Tugend und Laster gewählt, stets nur zwischen zwei konkreten Handlungsweisen, von denen man, von bestimmten Gesichtspunkten aus, die eine tugendhaft, die andere lasterhaft nennen mag. Niemals wird zwischen «Gold» und «Eisen» gewählt, stets nur zwischen gegebenen Mengen von Gold und gegebenen Mengen von Eisen. Die einzelne Handlung ist in ihrer unmittelbaren Tragweite scharf begrenzt, und wenn wir sie betrachten wollen, haben wir streng auf diese Grenzen zu achten.

[36]

III. Einflüsse der Herkunft und der Umwelt auf das Handeln

Jedes Handeln ist in seinem konkreten Inhalt durch das konkrete Sein des handelnden Menschen bestimmt. Der einzelne Mensch ist das Ergebnis einer langen zoologischen Entwicklung, die sein Animalisches geformt hat. Er wird als Erbe geboren und trägt als Erbgut den Niederschlag der Geschichte seiner Vorfahren. Mit der Geburt tritt er dann nicht in die Welt schlechthin, sondern in eine bestimmte Umwelt. Das Angeborene und das in der Umwelt im Laufe des Lebens Erworbene ergeben zusammen die Gesamtheit dessen, was das Sein des Einzelnen ausmacht, sein Wesen und sein Schicksal. Sein Handeln ist nicht «frei» in dem metaphysischen Sinne, den man diesem Ausdrucke beizulegen pflegte; es ist tausendfach bestimmt durch Herkunft und Umwelt.

Herkunft und Umwelt des Einzelnen weisen seinem Handeln die Richtung. Die Ziele, denen er zustrebt und die Wege, auf denen er diese Ziele zu erreichen sucht, sind ihm durch sie gegeben. Er lebt als Sohn seiner Rasse und als Bürger seiner Zeit, seines Landes, seines Volkes, seiner Gesellschaftsschicht, seines Berufes, seiner Kirche, seiner Weltanschauung und seiner Partei. Er bildet seine geistigen Inhalte und seine Wertmaßstäbe nicht selbst, er übernimmt sie, und nur sehr wenigen ist es vergönnt, aus Eigenem heraus an dem überkommenen Ideengut etwas zu ändern.

Der Handelnde steht auch im einzelnen Akt nur selten so allein, dass seine aktuelle Wahl von Einflüssen anderer unabhängig wäre. Ansteckung durch das Beispiel anderer und Nachahmung ihres Handelns ist die Regel. Man handelt im gegebenen Augenblick so und nicht anders, weil alter Brauch und geheiligte Sitte es so und nicht anders verlangen. Man handelt, wie die andern, wie alle, wie eben jedermann handeln soll und handelt. Die Gewohnheit erstarrt allmählich zu nahezu mechanischem Befahren vorgezeichneter Bahnen:

Elle conduit les pieds de l'homme, Sait le chemin qu'il eût choisi, Connaît son but sans qu'il le nomme Et lui dit tout bas : «Par ici».

(Sully Prudhomme, L'Habitude.)

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der historischen Geisteswissenschaft, das Wechselspiel des Überkommenen und Altgewohnten mit dem Neuen und Unerhörten zu verfolgen und [37] darzustellen und in jedem konkreten Handeln den Anteil des Alten und den des Neuen zu sondern. Für die von Zeit und Raum unabhängigen Lehren der allgemeingültigen Wissenschaft vom menschlichen Handeln ist diese Unterscheidung nicht wesentlich.

IV. Die Unwandelbarkeit der Struktur des Handelns

Denn das haben wir vor allem anderen festzuhalten: Bei allem Wandel des Inhaltes der einzelnen Handlungen bleibt die Struktur des Handelns selbst unwandelbar. Keine geschichtliche Überlieferung und kein Reisebericht hat je Kunde gebracht von einem Volke oder von Einzelnen, deren Handeln — nicht etwa im Inhalte, sondern in seiner praxeologischen Struktur — verschieden gewesen wäre von unserem Handeln und vom Handeln unserer Umgebung. Keine philosophische Überlegung führt uns zu Auffassungen, die auch nur entfernt die Möglichkeit eines strukturell anders gearteten Handelns offen lassen würden.

Man hat das freilich in den letzten Jahrzehnten mitunter bestreiten wollen und hat diese Bestreitung als die soziologische Auffassung der wie man meinte — -unberechtigten philosophischen entgegengestellt. Man hat geglaubt, auf die Ergebnisse der ethnographischen Forschung die Behauptung stützen zu können, dass die logische Struktur des menschlichen Denkens im Laufe der Zeiten Veränderungen erfahren habe. Man sprach von einem prälogischen Denken, das erst auf einer höheren Stufe der Entwicklung vom logischen Denken abgelöst worden sei. Demgemäß sei das rationale Verhalten und das Handeln gemäß dem wirtschaftlichen Prinzip das Ergebnis einer späten Entwicklung; es habe Zeiten gegeben, in denen anders gehandelt worden sei, wie denn auch heute vielfach oder selbst überwiegend anders gehandelt werde. Überprüft man das, was zur Stützung dieser Behauptungen vorgebracht wurde, so zeigt es sich, dass grobe Irrtümer und Mißverständnisse im Spiel sind. Die Primitiven dachten anderes, aber nicht anders als wir, und sie handelten wie wir, wenn sie auch andere Ziele anstrebten und sich zur Erreichung ihrer Zwecke jener Mittel bedienten, die ihnen ihre von den unsrigen verschiedenen technologischen Auffassungen wiesen. Ihre Magie mit ihrem Zauberwerk, ihren Beschwörungen und ihrem Ritual war Technik. Sie war in ihren Augen der Inbegriff dessen, was der Kausalzusammenhang der Dinge als geeignet erscheinen läßt, angestrebte Ziele zu verwirklichen, nicht anders als unsere Technologie die Lehre von den Wegen zur Herstellung von [38] brauchbaren Erzeugnissen darstellt, die auf dem Boden unserer naturwissenschaftlichen Kenntnisse fußt [19] .

Wer Mensch sagt, wer vom Denken schlechthin spricht, wer überzeugen, beweisen oder widerlegen will, wer zu den Mitmenschen spricht oder auf der Mitmenschen Rede achtet, setzt stillschweigend die Allgemeinheit, Ewigkeit und Unwandelbarkeit der Struktur menschlichen Denkens voraus. Dass A zugleich Nicht A oder dass das Vorziehen von A gegenüber B zugleich ein Vorziehen von B gegenüber A sein könnte, erscheint unserem Denken als absurd. Ein prälogisches oder ein metalogisches Denken können wir nie fassen. Was in unsere Logik nicht einzugehen vermag, erscheint uns schlechthin als unlogisch, als Wider-, Aber- und Unsinn.

Ob jenseits des Gebietes, dessen Erfassung der menschlichen Vernunft möglich ist, ein von unserem Denken und Handeln dem Wesen nach verschiedenes Denken und Handeln vorkommen kann oder nicht, ist für das menschliche Denken, dem der Zutritt zu solchen Sphären verschlossen bleibt und zu dem keine Kunde von dorther zu dringen vermag, bedeutungslos. Ob Lichter leuchten, deren Schein wir nie zu sehen vermögen, ob die Dinge an sich anders sind als wir sie empfinden, ob Welten sind, von denen wir nichts ahnen können, und ob es Gedanken gibt, die unsere Vernunft nicht zu fassen vermag, das sind Fragen, mit denen sich die menschliche Wissenschaft nicht abgeben kann. Sie ist an die Denkstruktur gebunden, die unserer Vernunft eigen ist, und wenn sie das menschliche Handeln zum Gegenstand ihrer Forschung macht, so kann sie nur das Handeln meinen, das dieser Denkstruktur entspricht und ihre Projektion aus der Welt der Gedanken in die Welt der Entscheidungen darstellt. Alle Sätze unserer Wissenschaft vom menschlichen Handeln beziehen sich nur auf dieses unserer Vernunft und unserem Denken zugängliche menschliche Handeln. Sie haben im Rahmen der diesem Handeln gesetzten Bedingungen Geltung und beanspruchen nicht, Aussagen zu machen über ungeahnte und für uns nicht ausdenkbare Welten und Beziehungen.

So ist unsere Wissenschaft in zweifachem Sinne menschlich. Sie ist menschlich, indem sie den Anspruch erhebt, Aussagen zu machen, die, soweit die von ihr genau bestimmten Bedingungen zutreffen, ausnahmelos für alles menschliche Handeln gelten. Sie ist aber auch in dem Sinne menschlich, dass sie sich [39] nur mit dem menschlichen Handeln befasst, und über außermenschliches — übermenschliches oder untermenschliches — Verhalten nichts auszusagen weiß.

V. Der logische Charakter der Praxeologie

Die allgemeine Wissenschaft vom menschlichen Handeln ist Theorie und nicht Geschichte, sie ist apriorische Erkenntnis und nicht Erfahrungswissenschaft.

In der Geschichte liegt vor uns ein ungeheurer Erfahrungsstoff ausgebreitet. Von diesem Erfahrungsstoff führt jedoch kein Weg zu Erfahrungswissen von der Art, wie es die Physik und die auf ihr beruhenden Wissenschaften in empirischen Gesetzen formen. Denn die geschichtliche Erfahrung bietet sich uns stets nur als komplexe Erscheinung dar. Wir sehen Ergebnisse, die durch das Zusammenwirken von unbekannt vielen unbekannten Kräften entstanden sind, und wir sind nicht wie der Physiker imstande, Versuche anzustellen, in denen wir die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Elemente oder Umstände einer Erscheinung prüfen könnten. Wir sind in der Lage, in der sich die Naturwissenschaften befinden würden, wenn es ihnen niemals möglich gewesen wäre, ein Experiment anzustellen. Wir hätten mit dem Erfahrungsstoff der Geschichte nichts anzufangen gewusst, wir hätten ihn denkend überhaupt nicht erfassen können, hätten wir nicht, weil wir selbst handelnde Menschen sind, in uns selbst die Einsicht, die uns allein zu einem Begreifen der Geschehnisse führt. Wir können gar nicht naiv, voraussetzungslos und frei von aller Theorie an die geschichtliche Welt herantreten, um zu erforschen, wie es eigentlich gewesen ist. In jedem schlichten Bericht der Vorgänge steckt notwendigerweise schon Theorie. Die Betrachtung des Handelns setzt das Bewusstwerden der Grundkategorien des Handelns voraus. Wer das nicht zugeben will, wer ohne Theorie und ohne vorgefasste Erkenntnis Geschichtsforschung treiben will, arbeitet darum noch nicht theoriefrei und voraussetzungslos; er verzichtet nur darauf, die durch das wissenschaftliche Denken geläuterte Theorie zu verwenden und begnügt sich mit den nicht immer klaren, oft widerspruchsvollen und auch sonst vielfach unzureichenden und irrigen Auffassungen, die das weniger scharfe Denken des Alltags ausgebildet hat.

Um das Wirkliche zu erforschen, bedürfen wir in gleicher Weise sowohl der Theorie als auch der Geschichte. Sie sind beide gleich unentbehrlich für den denkenden Menschen, und niemand, der nicht beide beherrscht, kann hoffen, im Erkennen [40] menschlichen Handelns irgendwelche Erfolge zu erzielen. Doch logisch besteht zwischen Theorie und Geschichte ein kontradiktorischer Gegensatz, und nichts muss sorgfältiger vermieden werden als Verwischung der Unterschiede die zwischen den beiden Verfahrensarten bestehen. Bei jedem Satz, bei jedem Gedanken, bei jedem Begriff tut vor allem Klarheit darüber not, ob es sich um die eine oder die andere Denkform handelt.

VI. Das praxeologische Problem.

Alles, was unsere Wissenschaft enthält, ist Entfaltung des Begriffes menschliches Handeln. Alles, was wir brauchen, um denkend die Sätze unserer Wissenschaft abzuleiten, ist Wissen um das Wesen des menschlichen Handelns, jenes Wissen, das uns eigen ist, weil wir Menschen sind, und das keinem Menschenkind, das nicht durch Krankheit auf bloß tierisches Dasein beschränkt ist, abgeht. Wir brauchen keine besondere Erfahrung, um diese Sätze aufzustellen, und keine noch so reiche Erfahrung würde es uns ermöglichen, zu ihnen zu gelangen. Der einzige Weg, der zu ihnen führt, ist denkende Verarbeitung unseres Wissens um das Handeln an sich, ist ein Sichbesinnen auf das Wesen des eigenen und damit eines jeden Handelns.

Alle Begriffe unserer Lehre sind im Begriffe menschliches Handeln mitgedacht, und die Aufgabe der Wissenschaft ist es, sie aufzuzeigen, zu entwickeln, zu verdeutlichen und genau zu bestimmen. Es ist weiter ihre Aufgabe, die Bedingungen aufzuweisen, die das Handeln voraussetzt. Da ist zunächst zu zeigen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit überhaupt gehandelt wird. Sind einmal so die Bedingungen aufgezeigt, die jedes Handeln voraussetzt, dann sind weiter die Bedingungen und Voraussetzungen weniger allgemeinen Charakters — natürlich auch sie nur kategorial und nicht etwa empirisch und materiell — aufzuweisen, also Bedingungen und Voraussetzungen, die nicht jedes Handeln, sondern nur ein genauer bestimmtes Handeln verlangt. Diese weitere Aufgabe der Wissenschaft könnte man in der Weise lösen, dass man alle logisch verfolgbaren Möglichkeiten durchdenkt und für sie alles das systematisch aufbaut, was sich mit Mitteln der Theorie vollziehen lässt. Wir würden so zu einer allgemeinen Theorie des Handelns unter allen denkbaren Bedingungen und Voraussetzungen gelangen, einer Theorie, die nicht nur das Handeln einbeziehen würde, das unter Bedingungen und Voraussetzungen vor sich geht, die in der uns gegebenen Welt verwirklicht sind, sondern auch Handeln, wie es unter unrealisierbaren Voraussetzungen [41] bloß gedachter Welten vor sich gehen müsste. Erfreulicherweise hat man auf die Pedanterie solcher Vollständigkeit verzichtet und sich darauf beschränkt, nur soweit zu gehen, als es die Mehrung unserer Erkenntnis der Wirklichkeit wünschenswert erscheinen ließ. Wir betrachten das Handeln unter den Voraussetzungen und Bedingungen, die uns in der gegebenen Welt durch die Erfahrung als gegeben erscheinen, oder deren Behandlung ein Interesse erweckt, sei es, weil geprüft werden soll, wie Handeln unter Bedingungen und Voraussetzungen bestimmter Art, mit deren Auftreten gerechnet werden kann, beschaffen wäre, sei es, weil die Erkenntnis des Handelns unter gegebenen Bedingungen und Voraussetzungen durch die Prüfung des Handelns unter nicht gegebenen und auch allenfalls gar nicht verwirklichbaren Bedingungen und Voraussetzungen gefördert werden soll.

Diese Art der Bezugnahme auf die Erfahrung ändert nichts am apriorischen Charakter unserer Erkenntnis. Die Erfahrung lenkt unser Interesse auf bestimmte Probleme und zieht es von anderen Problemen ab; sie sagt uns, was wir machen sollen, doch sie sagt nicht, wie wir es machen sollen. Diese Erfahrung bezieht sich auch oft gar nicht auf das Gegebensein von Bedingungen des Handelns, sondern auf das Vorhandensein eines Interesses, das Handeln unter nicht gegebenen Bedingungen und Voraussetzungen zu studieren.

Dass die Arbeit mit Arbeitsleid verknüpft ist, ist nicht a priori einzusehen. Man könnte auch eine Welt denken, in der die Arbeit dem Arbeitenden kein Arbeitsleid bringt, und wir können die Zustände, die in einer so beschaffenen Welt herrschen würden, ausmalen [20] . Doch die Welt, in der wir leben, ist eine Welt des Arbeitsleids. Nur die praxeologischen Sätze, die den Tatbestand des Arbeitsleids als gegeben annehmen, haben Bedeutung für die Erkenntnis dessen, was in dieser unserer Welt vorgeht.

Dass es den Tatbestand, den wir Arbeitsleid nennen, gibt, lehrt die Erfahrung. Doch sie lehrt es nicht unmittelbar. Es gibt keine Erfahrung, die sich uns als Arbeitsleid vorstellt. Es gibt nur Erfahrungstatsachen, die wir auf Grund unserer apriorischen Einsicht dahin interpretieren, dass der Zustand der Muße besser befriedigt als der Zustand der Aufwendung von Arbeit. Wir sehen, dass Menschen auf den Ertrag von Arbeit, die sie noch leisten könnten, verzichten, dass sie also für die Muße Opfer bringen, und leiten daraus ab, dass das Freisein [42] von Arbeit als Gut angesehen wird und die Aufwendung von Arbeit als Nachteil. Ohne unsere apriorische Erkenntnis vom Wesen des Handelns könnten wir gar nicht dazu gelangen, die Erfahrung zu machen, dass die Arbeit als leidbringend angesehen und behandelt wird.

Die nationalökonomische Lehre von der Kreditausweitung ist nationalökonomisch auch für eine Welt richtig, in der es Umlaufsmittel und Zirkulationskredit nicht gibt und daher Kreditausweitung nicht vorgenommen werden kann. Sie wäre für eine so beschaffene Welt freilich nur Theorie ohne Belang für die Deutung dessen, was vorgeht. Es ist zu vermuten, dass in einer derartigen Welt kein Denker darauf verfallen wäre, sich mit diesem Problem zu befassen. Für die Deutung der Vorgänge in unserer Welt ist sie unentbehrlich.

Wieder haben wir festzustellen, dass die Tatsache der Kreditausweitung uns nicht unmittelbar durch die Erfahrung gegeben wird. Wir müssen erst mühsam ein ganzes Gebäude von Begriffen aus unserem Grundbegriff des Handelns durch diskursives Denken ableiten, um bestimmte Erscheinungen als Kreditausweitung deuten zu können. Wir müssen z. B. den Begriff Kapital, wie ihn das Handeln der Geschäftsleute kennt, analysieren und ihn zum Begriffe Kapitalgüter in Beziehung bringen, wir müssen den Begriff des Neutralzinses konstituieren u.s.f. Die praxeologische Erfahrung setzt eben immer die apriorische Theorie der Praxeologie voraus und nicht umgekehrt.

VII. Theorie und Geschichte — Qualitative und quantitative Erkenntnis.

Die Wissenschaftslehre von Windelband und Rickert kennt nur zwei Gruppen von Wissenschaften: die nomothetischen Naturwissenschaften mit ihrer generalisierenden Begriffsbildung und die idiographischen Geschichtswissenschaften, die ihr Augenmerk auf das Besondere und Individuelle richten [21] .

Diese Zweiteilung kann uns nicht genügen, weil sie auf die Praxeologie keine Rücksicht nimmt; wir müssen sie durch eine Dreiteilung ersetzen. Wir haben zu unterscheiden: die nomothetische Erfahrungswissenschaft, die individualisierende Erfahrungswissenschaft und die apriorische Wissenschaft. Die [43] nomothetische Erfahrungswissenschaft steht vor uns als Naturwissenschaft, vor allem als Physik. Die individualisierende Erfahrungswissenschaft kennen wir als Geschichtswissenschaft; inwieweit auch Wissenschaften von dem, was man gemeiniglich als Natur bezeichnet, unter diese Kategorie fallen, wie etwa Geologie, ist für unsere Untersuchung zunächst belanglos [22] . Auch mit den apriorischen Wissenschaften Logik und Mathematik haben wir uns nicht weiter zu befassen. Für uns ist allein der Gegensatz von Geschichte und Theorie des Handelns von Bedeutung.

Die Theorie des Handelns unterscheidet sich von der nomothetischen Erfahrungswissenschaft dadurch, dass ihre Sätze als Sätze einer apriorischen Theorie unter den von ihnen genau bestimmten Voraussetzungen ausnahmelose Geltung beanspruchen. Sie ist strenge Wissenschaft.

Die Geschichtswissenschaft unterscheidet sich von der Theorie des Handelns dadurch, dass sie die Erfahrung vom menschlichen Handeln verarbeitet, wobei sie ihr Augenmerk auf das Besondere und Individuelle richtet.

Zwischen diesen beiden Polen Theorie und Geschichte liegt keine nomothetische Erfahrungswissenschaft vom menschlichen Handeln; eine derartige Wissenschaft hat es nie gegeben, gibt es nicht und wird es wohl auch nie geben können.

Von der nomothetischen Naturwissenschaft führt kein Weg zu nomothetischer Erfahrungswissenschaft vom menschlichen Handeln. Wir mögen, ungeachtet aller erkenntnistheoretischen Bedenken, der Kategorie der Kausalität allgemeine Geltung zuschreiben und annehmen, dass das menschliche Handeln gerade so in die Kausalketten eingefügt ist wie alles übrige Geschehen. Wir mögen annehmen, dass Körperliches und Geistiges untrennbar durch die Kausalität verbunden sind, und dass alles Seelische vom Leiblichen abhängig, seine Begleiterscheinung oder sein Erzeugnis sei. Doch nichts von dem, was uns die Erfahrung lehren konnte, berechtigt uns anzunehmen, dass es menschlicher Wissenschaft einmal gelingen könnte zu erkennen, wie sich Körperliches in Seelisches umsetzt. Das Verhältnis der Außenwelt — und in diesem Sinne ist auch alles Physiologische des eigenen Leibes Außenwelt — zur inneren Welt des Wahrnehmens und Denkens ist uns immer noch ein Rätsel und wird es wohl bleiben. Die Unzulänglichkeit unserer geistigen Werkzeuge hindert uns, die Einheit der äußeren und der inneren Welt, die der Monismus lehrt, zu erfassen und einen [44] Weg, der vom Materiellen zum Psychischen führt, zu sehen. Die Erfahrung zeigt uns zwei Welten, die des Geistes und der Seele auf der einen Seite und die Welt, die den Gegenstand der nomothetischen Naturwissenschaft bildet, auf der andern Seite. Die Erfahrung sagt uns aber nichts darüber, wie diese beiden Welten verknüpft sind.

Die innere Welt ist die Welt des Bewusstseins. In ihr wird gewertet, gewollt und gehandelt; in ihr gibt es Zwecke und Ziele. Sie ist die Welt der Sinngebung und Sinnerfassung. Von der Außenwelt der Bewegung scheidet sie eine — für die Beschränktheit unserer geistigen Mittel unüberbrückbare Kluft. Das Sinnerfüllte und das Sinnleere zu verbinden, das wäre die Aufgabe, die der Monismus zu lösen hätte, wollte er die Berechtigung seiner Haltung erweisen. Man löst diese Aufgabe gewiß nicht, wenn man, wie es der Positivismus macht, die Sinnhaftigkeit einfach nicht beachtet. Kein noch so kleiner Ausschnitt der geschichtlichen Erfahrung — denn das ist die Erfahrung vom menschlichem Handeln — kann erkannt werden, wenn man vom Sinn der Erscheinungen absehen wollte. Der Sinn (der Wert, der Logos) erfüllt diese Welt und macht ihr Wesen aus. Die empirische Naturerkenntnis der modernen Wissenschaft ist aber gerade dadurch ausgezeichnet, dass ihr Sinn und Wert durchaus fremd sind; es ist ihr Stolz, dass sie nichts sieht als funktionale Beziehungen.

Die Ergebnisse der Naturwissenschaft können mithin in keiner Weise helfen, nomothetische Erkenntnis auf dem Gebiete des menschlichen Handelns zu gewinnen. Es mag vielleicht einmal gelingen, das Physiologische um die Bewusstseinsvorgänge herum naturwissenschaftlich zu erfassen. Das Wesentliche an ihnen: der Inhalt des Gedachten, Gewollten und in Tat Umgesetzten, das Sinnvolle des Handelns, wird sich wohl immer der naturwissenschaftlichen Erkenntnis entziehen.

Nicht minder aussichtslos sind die Bemühungen, eine nomothetische Lehre vom menschlichen Handeln aus der Erfahrung über menschliches Handeln selbst zu gewinnen. Die geschichtlichen Vorgänge sind, wie wir immer wieder mit größtem Nachdruck festzustellen haben, das Ergebnis des Zusammenwirkens einer unendlichen Menge von Einzelursachen; wir können sie immer nur als komplexe Erscheinungen erfahren und sind nicht imstande, die Wirkungen der einzelnen Faktoren gesondert zu erkennen. Dem Geschichtlichen gegenüber versagt das Experiment, jene Methode der Forschung, der die empirische Naturwissenschaft so viel verdankt, dass man sie mit Recht auch als die experimentelle Naturwissenschaft zu bezeichnen pflegt. Der Versuch ist «die absichtliche selbsttätige Erweiterung der [45] Erfahrung und die planmäßige Beobachtung»; seine Aufgabe ist, «die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Elemente (oder Umstände) einer Erscheinung von einander festzustellen» [23] . Nur der Versuch macht es möglich, Aussagen zu setzen über Gleichförmigkeiten und Abhängigkeiten, d.i. empirische Gesetze des Naturgeschehens zu bilden. Die nomothetische Naturwissenschaft ist Experimentalwissenschaft und wäre ohne das Experiment nicht zu denken; was sie ist, verdankt sie der Anstellung von Versuchen. Das ist ebensowenig bestritten wie das, dass auf dem Gebiete des menschlichen Handelns das Experiment nicht angewendet werden kann.

Dem geschichtlichen Erfahrungsstoff kann man keine Gesetze über menschliches Handeln entnehmen, da uns dieser Stoff immer nur als unzerlegbarer Komplex vieler Einzelerscheinungen und als Gewebe vieler Ursachen und vieler Wirkungen gegeben ist. Eine menschliches Handeln betreffende Hypothese könnte durch die Erfahrung weder bestätigt noch widerlegt werden. In dem Erfahrungsstück, das wir betrachten, sind stets auch noch andere Beziehungen und Abhängigkeiten wirksam, da in ihm eben niemals wie im Versuch die Bedingungen einer Veränderung gesondert beobachtet werden können. Ob nun die Erfahrung scheinbar bestätigend oder scheinbar widerlegend gedeutet wird, sie vermag unter solchen Umständen weder in dem Sinne zu bestätigen noch in dem Sinne zu widerlegen, in dem wir Bestätigung oder Widerlegung dem naturwissenschaftlichen Versuch zuschreiben.

Positivismus und Panphysikalismus lehren, dass es grundsätzlich möglich sein müsste, alle Determinanten menschlichen Handelns gesondert zu erfassen, sie in ihre letzten Elemente zu zergliedern, und die Wirkung jedes einzelnen von ihnen naturwissenschaftlich festzustellen. Für die Weltbetrachtung einer so vollkommenen Intelligenz würde die Welt des Handelns sich in einem Bündel von empirisch ermittelten Gesetz- und Regelmäßigkeiten darstellen. Dieser umfassende Laplace’sche Geist könnte in der Tat alles künftige Geschehen aus der Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes der Welt vorauswissen. Er würde von jedem einzelnen Menschen alle Elemente des körperlichen und des geistigen Seins kennen; die Vertrautheit mit den Regeln, die die Reaktion des handelnden Menschen auf äußeres Geschehen und auf das Verhalten anderer Menschen bestimmen, würde ihn wissen lassen, wie jeder Einzelne in jeder Lage., in die er geraten könnte, handeln wird. Wir wollen [46] dieser Auffassung des Positivismus und der «Einheitswissenschaft» der Panphysikalisten weder zustimmen, noch sie ablehnen. Mit den geistigen Mitteln der Wissenschaft vermag man zu metaphysischen Phantastereien keine Stellung zu nehmen.

Die Erfahrung, über die die menschliche Wissenschaft verfügt, zeigt uns eine Welt von handelnden Individuen. Wir vermögen nie mit jener freilich auch nicht absoluten — Sicherheit, mit der wir die physikalischen und chemischen Gesetze zu erkennen imstande sind, im Voraus irgend etwas über das künftige Handeln der Einzelnen auszusagen, das über den Bereich dessen hinausginge, was uns die apriorische Wissenschaft vom Handeln lehrt. Wir können nicht im Voraus wissen, wie sich der Einzelne einer gegebenen Situation gegenüber verhalten wird. Die Menschen reagieren verschieden auf dieselbe Situation (denselben Reiz), und Art und Stärke der Reaktion ändern sich mit der Zeit auch bei demselben Menschen. Wir können feststellen, wie unter gegebenen Verhältnissen gehandelt wurde, doch wir vermögen weder aus dieser Feststellung noch aus anderem uns zu Gebote stehenden Wissen vorauszusagen, wie sich dieselben oder andere Menschen in gleicher Lage in Hinkunft verhalten werden.

Alles, was uns die Erfahrung auf dem Gebiete des menschlichen Handelns lehrt und lehren kann, ist, dass sich dies und jenes damals und dort mit Menschen zugetragen hat. Wenn uns die Erfahrung sagt, dass in einem bestimmten Jahr in einem bestimmten Gebiet einem Ausfall von 50 % in der Erzeugung einer Ware eine Preissteigerung von 75 % gefolgt sei, so ist das eine Feststellung, die uns nicht ermöglicht, das Ausmaß der Preissteigerung vorauszusagen, die auf einen 50 % Ausfall in der Erzeugung dieser Ware in einem anderen Jahre oder in einem andern Gebiet eintreten wird. Der Grund dafür liegt nicht nur darin, dass die übrigen Verhältnisse anders liegen mögen, sondern vor allem darin, dass verschiedene Menschen auf die gleichen Umstände verschieden reagieren, und dass auch dieselben Menschen nicht immer gleich reagieren. Wir mögen immerhin durch Übertragung unserer aus der empirischen Naturwissenschaft gewonnenen Naturansicht auf das menschliche Verhalten annehmen, dass uns nur die Beschränktheit unseres Wissens hindert, die Voraussetzungen des Verhaltens so genau zu unterscheiden, dass wir zur Aufstellung von regelmäßigen Beziehungen zwischen Ursache und Folge auch auf diesem Gebiet gelangen könnten. Doch nichts, was wir bisher aus der geschichtlichen Erfahrung gewonnen haben, berechtigt uns, diese Annahme als Ergebnis dieser Erfahrung zu bezeichnen.

[47]

Diesen Sachverhalt hat man im Auge, wenn man vom Individuum und vom Individuellen als dem Gegenstand der geschichtlichen Erfahrung spricht. Das Individuum ist das, was unser Denken nicht in Elemente und gesetzmäßige Beziehungen von Elementen zu zergliedern vermag; es ist das, was in seiner Eigenartigkeit und Mannigfaltigkeit der Zurückführung auf Einfacheres und Bekannteres trotzt. «Individuum est ineffabile». Das Individuum ist eine der Grundkategorien der Erfahrung auf dem Gebiete menschlichen Handelns; diese Erfahrung verarbeitet die Geschichte. Ob man der Historik, die individualisierend vorgeht, den Namen Wissenschaft vorenthalten will oder nicht, ist eine belanglose terminologische Frage. Fest steht, dass eine andere Art der Verarbeitung des geschichtlichen Erfahrungsstoffes logisch nicht zulässig ist.

Der Positivismus hat die grundsätzliche Verschiedenheit, die zwischen Erfahrungswissen von der Natur und Erfahrungswissen vom Handeln besteht, nicht beachtet. Er hat in der mathematisch-physikalischen Naturwissenschaft das alleinige, für alle Gebiete menschlichen Wissens gültige Schema gesehen und wollte daher die Geschichtswissenschaft ersetzt sehen durch eine der Newton’schen Physik nachgebildete Wissenschaft der historischen und gesellschaftlichen Gesetze. Es ist demgegenüber als das Verdienst von Windelband und Rickert anzuerkennen, dass sie die Irrtümer, die dieser Auffassung zugrunde liegen, aufgedeckt und das logische Wesen der geschichtlichen Forschung dargelegt haben. Die Geschichte sieht nach Rickert ihre Aufgabe «in der Darstellung des Einmaligen, Besonderen und Individuellen». Sie «will nicht» — und wir fügen hinzu: sie könnte auch nicht — «in der Weise generalisieren, wie die Naturwissenschaften es tun». Ihr Verfahren ist Individualisieren und ist nicht auf die Auffindung von empirischen Gesetzen gerichtet [24] .

Die bahnbrechenden Untersuchungen Windelband’s, Rickerts und Max Webers sind insofern unzulänglich, als ihnen der Tatbestand und die Bedeutung apriorischer Erkenntnis menschlichen Handelns fremd blieben. Sie weisen aber noch andere Lücken auf. Um die Irrtümer des Positivismus und Panphysikalismus grundsätzlich zurückzuweisen, wäre vor allem der Nachweis zu erbringen gewesen, warum es menschlicher Wissenschaft verwehrt ist, aus dem geschichtlichen Erfahrungsstoff a posteriori zu empirischen Gesetzen nach Art der Gesetze der empirischen Naturwissenschaft zu gelangen. Das haben diese Forscher nicht geleistet. Sie haben sich damit [48] begnügt, zu zeigen, was Geschichte ist, wie sie methodisch vorgeht und wie sie logisch von dem Verfahren der nomothetischen Naturwissenschaft verschieden ist. Sie haben die Grundsteine einer Logik der Geisteswissenschaften gelegt und damit der Wissenschaft der Logik, die bis dahin nur Mathematik und mathematische Naturwissenschaft, daneben etwa auch noch Biologie und Entwicklungsgeschichte in den Bereich ihrer Forschung einbezogen hatte, ein neues Feld erschlossen. Ihr Verdienst liegt darin, dass sie die grundsätzliche Verschiedenheit der Methoden der Erfahrungswissenschaften von der Natur und der Erfahrungswissenschaft vom menschlichen Handeln entdeckt haben.

Erst wenn man die Lehren der südwestdeutschen Philosophenschule durch den Nachweis ergänzt, dass und warum aposteriorische Geisteswissenschaft vom menschlichen Handeln nicht möglich ist, und dass apriorische Wissenschaft allein zu allgemeinen Sätzen über menschliches Handeln zu führen vermag, kann man die Ergebnisse der logischen Forschung für die Arbeit der Einzelwissenschaften unmittelbar nutzbar machen. Dann erst wird es möglich, mit ihrer Hilfe die Grundprobleme der Wissenschaft vom menschlichen Handeln zu lösen.

Theorie vom menschlichen Handeln und Geschichte stehen in unüberbrückbarem logischen Gegensatz. Die Theorie kann nur apriorisch sein; die Geschichte kann sich immer nur des individualisierenden Verfahrens bedienen und kann niemals aus ihrem Erfahrungsmaterial empirische Gesetze gewinnen. Damit sind die Ansprüche des Positivismus und des Panphysikalismus ebenso zurückgewiesen wie Versuche, Gesetze des geschichtlichen Werdens im Allgemeinen oder des wirtschaftsgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen, kunstgeschichtlichen Werdens im Besonderen zu finden.

Das, was man mitunter als durch Beobachtung aus dem geschichtlichen Stoffe abgeleitete Regelmäßigkeiten des menschlichen Handelns auszugeben pflegt, erweist sich meist als Anwendung von naturwissenschaftlichen Sätzen, die über das Handeln selbst nichts sagen; diesen Charakter tragen z. B. viele Aussagen über Wachstum und Abnahme der Bevölkerungszahl, über Vererbung, über Gesundheitsverhältnisse, über Begabung und Leistungsfähigkeit. Wo man den Versuch gemacht hat, abseits von den Fragen, die nur das physiologische Wesen des Menschen betreffen, aus der Erfahrung zu Sätzen über das menschliche Handeln zu gelangen, hat man nichts anderes zu erzielen vermocht als Feststellungen über das, was sich einst begeben hat, ohne dass wir uns dabei veranlaßt sehen könnten, einer derartigen Feststellung logisch den [49] Charakter beizulegen, der sie in eine Reihe mit einem Satze der empirischen Naturwissenschaft stellen würde.

Die Versuche, historische Gesetze aufzustellen, sind so vollkommen gescheitert, dass es nicht lohnt, sich mit ihnen näher zu befassen. Kein Geschichtsschreiber von Bedeutung hat ihnen Beachtung geschenkt; sie sind nie über einige Banalitäten hinausgelangt. Was Buckle an geschichtlichen Regelmäßigkeiten und Allgemeinsätzen vorzubringen wusste, waren Sätze, die aus den Lehren der klassischen Nationalökonomie abgeleitet waren. Er hat nicht aus geschichtlichem Material Sätze gewonnen, sondern Sätze der nationalökonomischen Theorie und der allgemeinen Gesellschaftslehre seiner Zeit auf das Material der Geschichte angewendet und an ihm aufzuzeigen gesucht. Nur diese von der apriorischen Wissenschaft her an den geschichtlichen Erfahrungsstoff herangetragenen Sätze haben es ihm ermöglicht, das Material zu sichten, das eine als wesentlich zu bezeichnen, anderes als unwesentlich beiseite zu lassen. Ohne diese Sätze wäre er — wie jeder Geschichtsforscher — dem Erfahrungsmaterial, das unermesslich groß, aber dennoch lückenhaft ist, hilflos gegenübergestanden.

Besonders verderblich hat sich die Unklarheit über die logische Unterscheidung von Naturwissenschaft und Geschichte für die historische Schule der Nationalökonomie erwiesen. Wenn man die Ergebnisse der nationalökonomischen Theorie ablehnt, sei es, weil man sie für apriorische Aussagen über Dinge hält, von denen uns nur die Erfahrung Wissen vermitteln kann, oder sei es, weil man in ihnen unzulässige Abstraktionen oder vorschnelle Verallgemeinerung aus einem unzulänglichen Material erblickt, hätte man die Verpflichtung gehabt, zu untersuchen, auf welchem Wege man zu korrekteren Ergebnissen zu gelangen vermöchte. Die historische Schule der Staatswissenschaften hat es unterlassen, diese Fragen zu klären. Manche ihrer Vertreter haben ohne Bedenken angenommen, dass man aus dem wirtschaftsgeschichtlichen Material nationalökonomische Sätze gewinnen könne, die den Charakter von empirischen Gesetzen tragen. Andere wieder haben die Möglichkeit der Gewinnung von Gesetzen bestritten und haben neben der Wirtschaftsgeschichte keine allgemeine Lehre von der menschlichen Wirtschaft gelten lassen wollen. Meist freilich wurden diese beiden unverträglichen Standpunkte in einem logisch widerspruchsvollen Kompromiss verbunden.

Man muss zugeben, dass die Auffassung dieser Probleme durch einen großen Teil der Forscher, die sich mit nationalökonomischen Fragen befassen, auch heute noch durchaus unzulänglich ist. Es fehlt die Klarheit darüber, dass Theorie [50] und Geschichte, Nationalökonomie und Wirtschaftsgeschichte logisch streng geschiedenen Gebieten angehören. Man sieht nicht immer ein, dass Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftsbeschreibung und Wirtschaftsstatistik immer der Logik des Geschichtlichen verhaftet bleiben, dass sie nie zu empirischen Gesetzen des Wirtschaftens zu führen vermögen und dass sie nie ohne Zugrundelegung der Ergebnisse der apriorischen Theorie des Handelns betrieben werden können. Wenn man diese grundlegenden Dinge einmal begriffen haben wird, wird man erkennen, dass wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen, mögen sie sich auch mit den jüngsten Ereignissen befassen, nie die Aufgaben erfüllen können, die der nationalökonomischen Theorie gesetzt sind.

Auch die Wirtschaftsstatistik ist Geschichte und nicht Theorie. Man mag noch so geistreiche und kunstvolle Methoden zur Verarbeitung und Darstellung ihres Zahlenmaterials ersinnen, an dem historischen Charakter alles statistischen Materials, das sich auf menschliches Handeln bezieht, kann man damit nichts ändern. Niemals können wir durch die Aufarbeitung statistischer Daten zu einer «quantitativen» Nationalökonomie gelangen. Wir können durch die Anwendung der Lehren der nationalökonomischen Theorie in das verfügbare Zahlenmaterial Ordnung bringen und es zu gestalten suchen. Wir werden aber nie vermögen, aus dem statistischen Stoff zu Erkenntnissen zu gelangen von jener Art von Allgemeinheit, die die Sätze der nomothetischen Naturwissenschaft ausdrücken. Das hat einen doppelten Grund.

Erstens: Es gibt auf dem Felde des menschlichen Handelns keine unveränderlichen Größenbeziehungen. Die Veränderung der Preishöhe, die auf eine Veränderung des Angebotes oder der Nachfrage folgt, steht zu dieser Veränderung in keinem festen Größenverhältnis. Man hat lange geglaubt, dass das beim Gelde anders sei und dass eine Verdoppelung der Geldmenge unter sonst gleichen Umständen zu einer Verdoppelung der Geldpreise der Kaufgüter führen müsse. Die moderne Geldtheorie hat gezeigt, dass auch diese Annahme falsch ist, und dass die Preisveränderungen, die auf eine Veränderung der Geldmenge folgen, zu dieser in keinem festen Verhältnis stehen. Es wird gewiss noch eine Zeit lang Nationalökonomen geben, die ihre Vorliebe für die mathematischstatistischen Methoden hindert, diesen Fundamentalsatz der Geldtheorie anzuerkennen. Doch kein ernstzunehmender Nationalökonom wird behaupten wollen, dass die Veränderung der Preise der einzelnen Kaufgüter zu der Veränderung von Angebot oder Nachfrage in festem Verhältnis steht.

[51]

Zweitens: Doch selbst wenn es solche konstante Beziehungen geben würde, könnten wir sie durch die Statistik nie auffinden. Die Naturwissenschaften finden die Konstanten im Versuch, in dem die Bedingungen einer Veränderung gesondert beobachtet werden können. Die statistischen Ämter sind aber keine Laboratorien, wenn man ihnen auch mitunter diesen Namen gegeben hat, um den problematischen Charakter ihrer Arbeit zu verhüllen und sie auf eine Stufe mit den physikalischen, chemischen oder biologischen Versuchsanstalten zu stellen. Das statistische Material, das dem Wirtschafts- und Sozialstatistiker vorliegt, stammt nicht aus isolierenden Versuchen; es ist der zahlenmäßige Niederschlag geschichtlicher Vorgänge, deren Komplexität das Erkennen der Beziehungen einer Ursache und einer Wirkung nicht zulässt.

Der kontradiktorische Gegensatz von apriorischer Theorie des menschlichen Handelns und geschichtlicher Erfahrung lässt sich logisch nicht überbrücken. Zwischen Theorie und Geschichte steht auch keine nomothetische Erfahrungswissenschaft von menschlichen Handeln.

VIII. Begreifen und Verstehen.

Die praxeologische Erkenntnis erfasst den Sinn des Handelns durch diskursives Denken, durch Begreifen. Sie setzt beim Begriff des Handelns ein und bildet, Schritt für Schritt fortschreitend, ein System von strengen Begriffen, indem sie genau Voraussetzungen und Bedingungen umschreibt und Aussage mit Aussage verknüpft. Sie wendet sich allein an das logische Denken und verlangt nichts weiter zu ihrer Aufnahme als die Bereitschaft, logisch zu denken und zu urteilen. Ihre Begriffsbestimmungen und ihre Urteile beanspruchen allgemeine Geltung nicht nur in dem Sinne, dass sie von allem Handeln ohne Rücksicht auf Ort und Zeit, auf die Eigenschaften der Handelnden und auf die Ziele des Handelns gelten sollen, sondern auch in dem Sinne, dass sie von allen Menschen ohne jeden Unterschied in gleicher Weise als richtig anerkannt werden müssen. Dem praxeologischen Gedankengang gegenüber sind nur zwei Haltungen möglich: man hat ihn als richtig anzuerkennen, wenn man in ihm keinen logischen Fehler zu entdecken vermag, oder man hat ihn als falsch abzulehnen, wenn man seine Beweisführung logisch als nicht schlüssig erachtet.

Logik und Verfahren der Wissenschaft sind von der Logik und dem Verfahren, deren sich der Mensch im Alltag bedient, dem Wesen nach nicht verschieden. Jedermann übt im täglichen [52] Leben die Methoden, deren sich — mit größerer Genauigkeit und auf ein breiteres und systematisch geordnetes Erfahrungsmaterial gestützt — die Naturwissenschaften bedienen. Schon die gewöhnlichen Verrichtungen des Kindes und des primitiven Menschen sind an einem Stock physikalischer und biologischer Einsicht orientiert, der sich nur durch den kleineren Umfang, durch die geringere Deutlichkeit und durch das Fehlen systematischer Ordnung von den Erkenntnissen fortgeschrittenster Wissenschaft unterscheidet. Auch der schlichteste Verstand verfügt dabei über die Grundelemente der Logik und Mathematik, die den Ausgangspunkt jedes und somit auch des wissenschaftlichen Denkens bilden. Die Wissenschaft denkt und verfährt grundsätzlich nicht anders als der Alltag, sie denkt und verfährt nur genauer, kritischer und umfassender.

Jedes Handeln eines Menschenkindes, das sich auf ein Ziel richtet, ist schon praxeologisch orientiert. Das Handeln des unter Menschen und mit Menschen lebenden Einzelnen impliziert schon fortgeschrittenere praxeologische Einsicht. Dass der Mensch dem Menschen nicht so gegenübertritt wie der Lawine, die vom Berge niederfährt, oder wie dem Regen und dem Blitz, dass er ihn als ein Wesen nimmt, das handelt wie er selbst, ist schon ein Stück gesellschaftlicher Erkenntnis. Die wissenschaftliche Praxeologie geht in ihren Gedankengängen weiter und arbeitet mit schärferer Kritik, doch sie hat keinen andern Ausgangspunkt als die des Alltags, ohne die niemand leben und schon gar nicht inmitten von Menschen wirken könnte, und sie bedient sich keines andern Denkverfahrens als diese.

Doch um den Sinn des Handelns der Mitmenschen zu erfassen, bedarf es noch eines Weiteren als des bloßen Begreifens. Man muss auch den Sinn der Zielsetzungen und der Beweggründe dieser Zielsetzungen erfassen. Es genügt nicht praxeologisch zu begreifen, man muss auch verstehen.

Das Verstehen ist das Erfassen des Sinns, den die handelnden Menschen mit ihren Zielsetzungen verbinden. Das Begreifen ist auf die Erfassung des Sinns des Handelns als reines Zweckverfolgen und Zielesuchen ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit der Zwecke und Ziele gerichtet. Das Verstehen ist auf die Erfassung des Sinns der konkreten Zielsetzungen und Zwischenzielsetzungen gerichtet.

Die Ziele und Zwecke liegen jenseits des Bereichs der Vernunft. Sie sind der Überprüfung und der Beurteilung durch die Vernunft und durch das Denken entzogen. Sobald man anfängt, die Ziele und Zwecke vernunftgemäß zu erörtern, drückt man sie zu Mitteln herab. Man kann Ehre und man [53] kann Reichtum als Ziel anstreben. Das ist der subjektiven Entscheidung des Einzelnen überlassen. Will man die Vernunft befragen, ob man Ehre und Reichtum anstreben soll und ob man der Ehre oder dem Reichtum den Vorzug geben soll, so kann man das nicht anders tun als indem man sie in Beziehung setzt zu einem höheren Ziel, zu dem Ehre und Reichtum als Mittel hinführen sollen. Man fragt etwa: was macht mich froher? und betrachtet damit beides als Mittel zur Erlangung von Glück. Man kann ein Bild von Velasquez höher schätzen als ein Bild von Murillo. Doch man kann darüber nicht mit Vernunftgründen streiten, wie man etwa über die Brauchbarkeit zweier Maschinen streiten kann. Man kann eine Reihe von Merkmalen der beiden Bilder hervorheben, man kann aber über jedes einzelne Merkmal und über das Bild als Ganzes nur Werturteile abgeben, die man nie durch Argumente, die sich an die Vernunft wenden, in schlüssiger Weise zu begründen vermag. Ich mag alle rationalen Erwägungen und Gesichtspunkte, die zugunsten eines Werturteils geltend gemacht werden können, als richtig anerkennen, ohne dass ich mich darum dem Werturteile selbst anschließe oder überhaupt nur zu verstehen vermag, wie man zu einem solchen Werturteil gelangen konnte.

Man kann Werturteile nicht beweisen und nicht in einer Weise rechtfertigen und begründen oder ablehnen und verwerfen, die jedermann, der logisch denkt, als gültig annehmen muss. Werturteile sind irrational und subjektiv, man kann sie loben oder tadeln, billigen oder missbilligen, doch man kann sie nicht als wahr oder unwahr bezeichnen. Ein Ziel mag von vielen, ja nahezu von allen Menschen sehr hoch oder an höchster Stelle gewertet werden, wie etwa Leben, Gesundheit, Freiheit; es bleibt doch subjektiv. Man hat mitunter behauptet, dass der Wertung des eigenen Lebens, die man als Ausfluss eines aller Kreatur innewohnenden Selbsterhaltungstriebes hinstellen wollte, eine Sonderstellung zukomme, die sie zu einer absoluten Wertung stemple. Doch es wird immer wieder verkündet und immer wieder, wenn auch seltener, durch die Tat bewiesen, dass man andere Ziele höher stellen kann als die Erhaltung des Lebens.

Ziele und Zwecke und die Wertung der Ziele und Zwecke kann man weder praxeologisch begreifen noch mit den Methoden des naturwissenschaftlichen Kausalitätsprinzips erklären; man kann mit der Vernunft an sie überhaupt nicht herankommen. Den Sinn der Zielsetzungen und Wertungen kann man verstehen.

Das Verstehen ist zunächst Feststellung des irrationalen Tatbestandes und dann Versuch, die Empfindungen und [54] Gefühle, die die handelnden und die übrigen Menschen zu ihrer Bewertung dieser irrationalen Tatbestände geführt haben, nachzuempfinden und nachzufühlen. Beides kann nur gelingen, wenn dem Verstehenden Empfänglichkeit für den Gegenstand gegeben ist. Für das Nachempfinden und Nachfühlen der Wertungen bedarf diese Behauptung wohl keines Beweises. Doch schon die schlichte Feststellung des irrationalen Tatbestandes kann ohne diese besondere Empfänglichkeit nicht gelingen. Es gibt Menschen, die gewisse Tatbestände gar nicht wahrzunehmen vermögen, z. B. Menschen, denen die Fähigkeit mangelt, Musikwerke oder Bilder überhaupt als solche zu erkennen und von Dissonanzen oder von Klecksereien zu unterscheiden. Mitunter kann selbst unter sonst Empfänglichen die Auffassung des Tatbestandes verschieden sein, z. B. darüber, ob ein Bildnis oder eine Karikatur vorliegt, und ob ein literarisches Werk ernst gemeint oder als Satire zu betrachten sei.

Die Sprache, in der wir die Ergebnisse praxeologischen Denkens ausdrücken, kann den Begriffen und Sätzen so genau angepasst werden, dass ein Zweifel darüber, ob unsere Aussagen auch so aufgefasst werden, wie wir sie aufgefasst wissen wollen, nicht entstehen kann. Wenn man einen praxeologischen Begriff — z. B. Preis, Tauschmittel, Kosten — scharf bestimmt hat, dann muss jeder ihn so begreifen, wie alle anderen ihn begriffen haben. In dieser Hinsicht gleicht die Praxeologie der Logik der Mathematik und der Naturwissenschaft.

Der Sprache des Verstehens mangelt diese Schärfe und allgemeine Zugänglichkeit. Man kann nie bestimmt wissen, ob man so oder ganz so verstanden wird, wie man verstanden werden will. Das Qualitative, das den Gegenstand des Verstehens bildet, kann weder durch die Sprache noch sonst irgendwie so genau bezeichnet werden, dass der Ausdruck nur eine Deutung zuläßt. [25]

Gefühle und Empfindungen sind an das Ich geknüpft. Weil wir selbst Menschen sind, weil wir selbst fühlen und empfinden, glauben wir uns ungefähr auch eine Vorstellung von dem machen zu können, was andere fühlen und empfinden. Einfühlen und Nachempfinden fallen mitunter nicht schwer; mitunter freilich verlangen sie eine besondere Anstrengung. Ob man aber mit dem Versuche zu verstehen und verstanden zu [54] werden den gewünschten Erfolg erzielt, kann nie mit Sicherheit klargestellt werden. Denn das Verstehen will an das heran, was im Menschen das Eigenste und Persönlichste ist, an das, was ihn von den anderen unterscheidet, an das Besondere und Einmalige, an das Individuelle.

Das Verstehen, das der Mensch übt, um sich inmitten der Menschen und der menschlichen Gesellschaft zu bewegen und zu wirken, ist von dem Verstehen, das die Psychologie und die übrigen Geisteswissenschaften, die Geschichtswissenschaften im weitesten Sinne, üben, im Wesen nicht verschieden. So wie auch sonst das Denken der Wissenschaft dem Denken des Alltags wesensgleich ist und wie das Begreifen des Praxeologen von dem Begreifen des in der Gesellschaft lebenden Menschen nicht kategorial verschieden ist, so ist auch das Verstehen des Alltags und das der Wissenschaft von gleicher Art.

Die Wissenschaft vom menschlichen Handeln zerfällt demnach in zwei logisch scharf geschiedene Teile: in die Praxeologie, die den Sinn zu begreifen sucht, und in die verstehenden Wissenschaften (Geisteswissenschaften) Psychologie und Geschichte [26] . Die verstehenden Wissenschaften bedienen sich aller geistigen Hilfsmittel, die ihnen die apriorischen Wissenschaften Logik, Mathematik und Praxeologie und die empirischen Naturwissenschaften zur Verfügung stellen, und darüber hinaus ihrer spezifischen Methode: des Verstehens. Dabei muss darauf geachtet werden, dass das Verstehen nirgends in Widerspruch mit dem gerate, was durch apriorische Untersuchung und durch naturwissenschaftliche Erfahrung festgestellt wurde. Das Begreifen hat logisch unbedingt den Vorrang gegenüber dem Verstehen, und das naturwissenschaftliche Denken hat dem Verstehen gegenüber solange den Vorrang, als es nicht durch die Erfahrung erschüttert werden kann. [56] Der logische Raum des Verstehens liegt allein dort, wohin praxeologisches Begreifen und naturwissenschaftliches Erklären nicht zu dringen vermögen [27] .

IX. Praxeologischer Begriff und geisteswissenschaftlicher Typus

Die Wirklichkeit wird von der Geschichte nicht beschrieben und nicht ab- oder nachgebildet; beides würde grundsätzlich unlösbare Aufgaben bieten. Die geschichtliche Bearbeitung des Erfahrungsstoffes sucht vielmehr umbildend die Wirklichkeit in vereinfachter Gestalt darzustellen. [28]

Das vorzüglichste geistige Mittel dieser vereinfachenden Darstellung ist die Bildung von Typen. Der Typus ist ein Begriff, der verschiedenartige Dinge nach einem oder nach mehreren Merkmalen, die ihnen ungeachtet sonstiger Verschiedenheit gemeinsam sind, zu einer Klasse vereinigt. Auch wo der Geschichtsforscher sich mit Einzelnen und mit einmaligen Ereignissen befasst, kann er die Typenbegriffe nicht entbehren. Wenn er von Napoleon oder von Goethe spricht, kann er die Bezugnahme auf Typen — etwa Feldherr, Diktator, Gewaltmensch bei jenem, Dichter, Bürger der Aufklärungszeit, Theaterdirektor bei diesem nicht meiden, mag auch diese Bezugnahme nur in der Ablehnung der Anwendbarkeit dieser Typenbegriffe für die Lösung der gestellten Aufgabe liegen. Nicht nur die Einzelnen werden durch die Typenbildung erfasst, sondern auch Gruppen von Einzelnen, Ereignisse, Ideen und gesellschaftliche Gebilde. Und wie das Begreifen und Verstehen der Wissenschaft von dem Begreifen und Verstehen des Alltags, das jedermann übt, im Wesen nicht verschieden ist, so ist auch die Typenbildung der Geschichtswissenschaften logisch nicht verschieden von der des Alltags.

Typus und praxeologischer Begriff sind so verschieden wie Verstehen und Begreifen. Man kann Typen nicht begreifen; man muss suchen, sie zu verstehen. Man kann nicht einmal die Zweckmäßigkeit der Verwendung eines Typenbildes mit rationalen Mitteln erörtern. Denn offenkundig hängt die Entscheidung über seine Zweckmäßigkeit vom Verstehen des Sinnzusammenhangs ab, in den er gestellt wird.

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Es kommt vor, dass ein Ausdruck, dessen sich die Praxeologie zur Bezeichnung eines praxeologischen Begriffs bedient, zugleich auch von den verstehenden Wissenschaften zur Bezeichnung eines ihrer Typenbegriffe verwendet wird. Der gleiche Ausdruck hat zwei verschiedene Bedeutungen; wir haben Homonyme vor uns. So liegt der nationalökonomische Begriff «Unternehmer» auf einer anderen Ebene als der Typus «Unternehmer», den Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftsbeschreibung und Wirtschaftsstatistik verwenden [29] . Der nationalökonomische Begriff ist ein eindeutiger Begriff, dem im Gedankenbau des Systems eine genau umrissene Stellung und Bedeutung zukommt. Der historische Unternehmertypus kann in verschiedenen Gestalten auftreten. [30] Man kann den Großunternehmer vom Mittelunternehmer und vom Kleinunternehmer unterscheiden; den Unternehmer im Baugewerbe von dem in der Eisenerzeugung und von dem in der Schneiderei; den englischen Unternehmer vom französischen; den katholischen vomprotestantischen; den, der die Unternehmerstellung ererbt hat, von dem, der sie sie selbst erworben hat; den Unternehmer der 80iger Jahre von dem des 20. Jahrhunderts und so fort. Wie man den Typus von anderen Typen unterscheidet und wie man innerhalb des Typus Untertypen unterscheidet, wird durch das Verstehen bestimmt.

Die Typen der verstehenden Geisteswissenschaft werden nicht so gebildet, wie die Statistik Mittelwerte zu errechnen sucht. Auch diese Mittelwerte können der Forschung Dienste leisten und mögen das Verstehen so fördern, wie es die übrigen Feststellungen rationaler Wissenschaft — Praxeologie und Naturwissenschaft — fördern. Doch unmittelbar haben sie mit dem Verstehen nichts zu schaffen. Die Merkmale, die Verstehens-Typen konstituieren, sind übrigens meist der zahlenmäßigen Erfassung nicht zugänglich; schon das allein verbietet es, sie als Durchschnittstypen im Sinne der Statistik zu bezeichnen.

Die spezifischen Typen der verstehenden Geistes- und Geschichtswissenschaften — zum Unterschiede von den Typenbegriffen, die von anderen Wissenschaften, insbesondere von der Biologie und Physiologie, gebildet werden, auch Idealtypen genannt — werden durch die Merkmale charakterisiert, die den unter den Typenbegriff subsummierten Einzelnen oder Einzelfällen in größerem oder geringerem Masse oder Umfange [58] zukommen. Bei der Bildung der Typen müssen die Anforderungen der Logik beachtet werden. Doch nicht jeder logisch einwandfreie Typenbegriff muss sich als zweckmäßig erweisen. Zweckmäßig ist ein Typenbegriff nur dann, wenn er das Verstehen der zu erfassenden Sinnzusammenhänge fördert. Das Verstehen entscheidet über die Verwendbarkeit des Typenbegriffe, und nicht der Typenbegriff über das Verstehen.

Logisch kann man gegen die Bildung eines Typenbegriffs «Schwerindustrielle» nichts einwenden. Eine andere Frage ist es, ob man diesen Begriff zum Verstehen der deutschen Geschichte der letzten vierzig oder sechzig Jahre mit Nutzen verwenden kann. Es mag die Auffassung vertreten werden, dass man gerade durch die Verwendung dieses Begriffes wichtige Geschehnisse der deutschen Geschichte — den Übergang zum Schutzzoll, den Flottenbau, die wilhelminische Kriegspolitik, die Zurückweisung aller Friedensmöglichkeiten zwischen 1914 und 1917, das Aufkommen des Nationalsozialismus — gründlich missverstanden hat. Wenn man die politische Haltung des italienischen Faschismus, des deutschen Nationalsozialismus, der französischen Anhänger der Croix de Feu und anderer ähnlicher Parteien unter dem Typenbegriff «Faschismus» oder «Rechtsdiktatur» zusammenfasst und der Haltung des russischen Bolschewismus als «Linksdiktatur» gegenüberstellt, so ist das bereits Ausfluss eines bestimmt gerichteten Verstehens. Man kann auch anders verstehen und die Haltungen, die in jedem der beiden Typen zusammengefasst werden, unter einen Typus, nämlich «Diktatur» bringen und diesem den Typus «Demokratie» gegenüberstellen. Ob man das eine oder andere Verfahren vorzieht, ist nicht nur Zweckmäßigkeitsfrage oder Frage der Logik. Es wird von der ganzen Auffassung der Probleme, vom Verstehen ihrer Sinnzusammenhänge bestimmt.

Man muss Begreifen und Verstehen, praxeologische Begriffsbildung und Typenbildung der historischen Wissenschaften streng auseinanderhalten. Es war ein verhängnisvoller Irrtum, die praxeologischen Sätze als Aussagen über das Verhalten eines Idealtypus, des vielberufenen homo oeconomicus aufzufassen. Nach dieser Auffassung hat es die Nationalökonomie nur mit einem Teile — mit einer Seite — des menschlichen Verhaltens, nämlich mit dem ökonomischen Verhalten zu. tun. Sie betrachte den Menschen so, als ob er sich nur von wirtschaftlichen Beweggründen leiten ließe, und berücksichtige nicht, dass ihn auch noch andere Beweggründe, z. B. solche moralischer Natur, leiten. Sie habe den englischen Businessman der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts vor Augen, einen zeitlich und national gebundenen Typus, der sich zu keiner [59] anderen Zeit und bei keinem anderen Volke finden ließe und gefunden werden konnte. Jedes Wort dieser Deutung der klassischen Nationalökonomie ist ein Missverständnis. Die klassische Nationalökonomie hat es nicht vermocht, die scheinbare Antinomie des Wertes aufzulösen. Sie konnte daher ihre Absicht, eine allgemeine Lehre des menschlichen Handeln zu geben, nicht erfüllen; sie musste sich damit begnügen, das Handeln des Geschäftsmannes zu begreifen, und musste darauf verzichten, weiter zurückzugehen und das Handeln der Verbraucher, das Handeln jedermanns, das hinter dem Handeln des Unternehmers steht und es durchaus bestimmt, in den Umkreis ihrer Untersuchungen einzubeziehen. Diese Unzulänglichkeit suchten die Epigonen der klassischen Nationalökonomie dann später dadurch zu rechtfertigen und zu entschuldigen, dass sie erklärten, man habe sich notwendigerweise absichtlich darauf beschränkt, nur eine Seite — nämlich die wirtschaftliche — des menschlichen Handelns zu studieren. Man hätte die Fiktion aufgestellt, dass der Mensch sich nur von wirtschaftlichen Beweggründen leiten lasse, wiewohl man genau wisse, dass der Mensch noch von Beweggründen anderer Art bestimmt werde. Doch es sei eben die Aufgabe anderer Disziplinen, diese anderen Beweggründe zu erforschen und ihren Einfluss auf das Handeln zu untersuchen. Was von der diesem Erklärungs- und Entschuldigungsversuchen zugrundeliegenden Unterscheidung wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Verhaltens zu sagen ist, wird noch zu zeigen sein [31] . Vorläufig sei nur festgestellt, dass sie, dogmengeschichtlich betrachtet, die Klassiker missversteht. Nichts lag der klassischen Nationalökonomie ferner als diese Auslegung ihrer Lehren. Die Klassiker wollten die wirkliche Preisbildung begreifen und nicht etwa die Preisbildung, die unter hypothetischen, in der Wirklichkeit nicht gegebenen Bedingungen erfolgen würde, und sie wollten eine Lehre aufstellen, die für alle Tauschakte ohne Rücksicht auf die besonderen Eigenschaften der Tauschenden gilt.

Die moderne Nationalökonomie, deren Auftreten mit der Überwindung der Schwierigkeiten, die die scheinbare Antinomie der Werterscheinung bot, anhebt geht nicht von dem Handeln des Geschäftsmannes oder eines fiktiven homo oeconomicus aus, sondern von dem jedermanns. Sie umfasst alles Handeln, mag es egoistisch oder altruistisch sein, mag es nach Idealem oder nach Gemeinem streben. Sie begreift in derselben Weise das Handeln des Sparsamen, Berechnenden, Vorausschauenden [60] wie das des Verschwenders, des Leichtsinnigen und des nur auf das Heute Bedachten. Sie begreift alles menschliche Handeln, nicht nur das eines bestimmten menschlichen Typus.

X. Die Einheit der Wissenschaft

Der Positivismus fordert eine Wissenschaft, die aus der geschichtlichen Erfahrung a posteriori zur Aufstellung von empirischen Gesetzen des menschlichen Handelns gelangen soll. Ähnliches haben manche der Gegner der nationalökonomischen Theorie gefordert. Sie haben die Nationalökonomie wegen ihres Apriorismus abgelehnt und gemeint, man müsse eine neue Nationalökonomie schaffen, die ihre Lehren aus der Erfahrung zu schöpfen hätte.

Wir haben gesehen, warum eine solche Physik des Handelns einerseits unmöglich und anderseits überflüssig ist. Die Einheit der Wissenschaft liegt in ihrem Ausgangspunkt, an dem nichts anderes vorausgesetzt wird als das, was die logische Struktur des menschlichen Denkens fordert. Von diesem Ausgangspunkt gelangen wir mit dem Rüstzeug der Logik sowohl zum Apriorismus der Logik, Mathematik und Praxeologie als auch zum Aposteriorismus der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Eine andere Einheit der Wissenschaft als diese kann es nicht geben, mag sie auch von dem metaphysischen Vorurteil eines unbelehrbaren engstirnigen Panphysikalismus noch so ungestüm postuliert werden.

Die Positivisten werden nicht müde, der Nationalökonomie und der Soziologie den Gebrauch exakten Denkens zu empfehlen. Sie ahnen nicht, dass die Praxeologie die einzige exakte Wissenschaft von der Wirklichkeit ist. Sie sehen nicht, dass die Anwendung der mathematischen Ausdrucksweise der Exaktheit des praxeologischen Denkens gegenüber kein Mehr an Exaktheit bedeuten kann, dass es quantitative Nationalökonomie nicht geben kann, und dass die Zahlen, die Statistik und Wirtschaftsgeschichte bringen, nicht der Theorie angehören, sondern der Geschichte, der der Positivismus die Bezeichnung Wissenschaft vorenthalten will.

Schließlich lieben es die Positivisten, auf den zurückgebliebenen Stand der Sozial- und Geisteswissenschaften hinzuweisen. Damit meinen sie aber nicht die selbstverständliche, wenn auch bedauerliche Tatsache, dass die Wissenschaften vom menschlichen Handeln — wie auch Logik, Mathematik und Naturwissenschaften — von Vollkommenheit weit entfernt sind. Sie halten die Wissenschaften vom Handeln für rückständig, weil sie [61] eben nicht Physik sind, wie der gemeine Mann alle anderen Völker für Barbaren hält, weil sie nicht so sind wie sein eigenes Volk. Man pflegt einen Beweis für die Behauptung von der vermeintlichen Rückständigkeit der Sozialwissenschaften in dem Umstande zu erblicken, dass im Gesellschaftlichen Grund zur Unzufriedenheit zu finden sei. Die Misserfolge der Wirtschaftspolitik wären ein untrügliches Zeichen für das Versagen der Nationalökonomie. Man beachtet dabei nicht, dass die Wirtschaftspolitik, die versagt hat, aus Ideen floss, die man als die Ablehnung der Lehren der Nationalökonomie, als «Siege über die Nationalökonomie» bezeichnen konnte und bezeichnet hat. Auch die Elektrizitätswerke würden unbefriedigend arbeiten, wenn man Bau und Betriebsführung grundsätzlich Leuten übertragen wollte, die von Elektrizität nichts verstehen. Wenn man z. B. die Währungspolitik nur Männern anvertraut, die sich stolz Praktiker nennen, weil sie von der Geld- Bank- und Konjunkturtheorie nichts wissen, denn darf man ihr Versagen gewiss nicht der Wissenschaft zum Vorwurf machen.

Nach Comte ist die Aufgabe der Wissenschaft: savoir pour prévoir. Für die Wissenschaften vom menschlichen Handeln ist dieses Ideal nicht in der Weise zu erreichen wie für die Physik.

Die Praxeologie entspricht als apriorische Wissenschaft, deren Gewissheit apodiktisch ist, dem Kant’schen Begriff der «eigentlichen Wissenschaft» [32] . Zum Unterschied von den anderen apriorischen Wissenschaften Logik und Mathematik ermöglicht sie uns als Wissenschaft von der Wirklichkeit auch Voraussagen über künftiges Geschehen. Doch da diesem Voraussehen die quantitative Bestimmtheit fehlt und, wie wir gezeigt haben, fehlen muss, entspricht sie nicht ganz dem von der Physik hergeholten Ideal Comtes.

Die verstehende Geisteswissenschaft vermag uns nichts Bestimmtes über die Zukunft auszusagen. Sie ist ein Wissen von Vergangenem. Dennoch vermag man aus diesem Wissen vom Vergangenen heraus im Alltag — freilich sehr vage — Vermutungen über die künftige Gestaltung zu machen, die auch quantitative Angaben enthalten. Wenn die Kartoffelernte um 20 % hinter der des Vorjahres zurückbleibt, vermag die Praxeologie nicht zu sagen, wie hoch der Preis steigen wird. Der Kartoffelhändler bildet sich aber seine Meinung über die künftige Gestaltung des Preises, die er seinem Handeln zugrundelegt, doch aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Er [62] nimmt an, dass die Menschen auf ähnliche Umstände nicht viel anders reagieren werden als in der Vergangenheit; er sucht sich in die einzelnen Menschen und Menschentypen einzufühlen, um ihre Reaktion auf neue Tatsachen zu erraten. Es ist der Versuch einer Voraussage, der sich, soweit sie quantitativ ist, nicht auf die wissenschaftliche Erkenntnis gründet, sondern auf die Annahme, dass die Verhältnisse und die Menschen sich in der Regel nur langsam ändern, und im Übrigen auf die Gabe der Einfühlung in anderer Menschen Denken und Werten. Trifft die Erwartung nicht ein, dann wird man das wohl mehr oder weniger bemerkenswert finden, doch durchaus nicht jene Erschütterung verspüren, die das Nichteintreffen einer wissenschaftlichen Voraussage — etwa der Physik — auslösen würde.

Das menschliche Leben und Handeln ist ganz an der Tatsache orientiert, dass wir bis zu einem gewissen Grade äußeres Geschehen vorauszusehen wissen, dass aber das Handeln der Menschen nur praxeologisch formal, nicht aber auch inhaltlich in Bezug auf seine Ziele und die Wertung der einzelnen Ziele vorausgesagt werden kann. Darum nennen wir den Unternehmer, der eine Seilbahn errichtet, einen Spekulanten, den Ingenieur aber, der sie in dessen Auftrag baut, einen Baumeister. Wenn die Spekulation des Unternehmers fehlgeht, wundern wir uns nicht allzu sehr; dass ein großer Teil aller Spekulationen fehlgehen muss, sagt uns eben die praxeologische Lehre vom Unternehmer. Misslingt aber der Bau technisch, dann suchen wir den Kunstfehler, den der Baumeister begangen haben soll; wir sind überzeugt, dass er falsch gerechnet hat. Er müsse, meinen wir, die Regeln unrichtig angewendet haben, sonst wäre der Bau gelungen. Wenn das menschliche Handeln nicht nur nach Kategorie, sondern auch nach Gehalt und Quantität voraussehbar wäre, würde die Welt so verschieden sein von der, in der wir leben, dass es einer besonderen Anstrengung der Phantasie bedarf, diesen hypothetischen Zustand durchzudenken.

Die Nachfrage- und Angebotskurven, die die mathematische Nationalökonomie zeichnet, können in der Wirklichkeit immer nur ex post gesucht werden. Voraus weiß man nichts und kann man nichts darüber aussagen, wie groß die durch Einschränkung der Nachfrage bewirkte Preisveränderung sein wird. Es ist, wie schon wiederholt hervorgehoben wurde, eine Illusion zu glauben, dass man je zu einer quantitativen Nationalökonomie gelangen könnte. Dass der praktische Geschäftsmann auf die Nationalökonomie mit weniger Achtung blickt als auf die physikalische und chemische Forschung, ist leicht zu verstehen; er nimmt es der Nationalökonomie übel, dass sie [63] ihm keine quantitative Voraussage zu liefern vermag. Dass aber auch Schriftsteller, die sich als Männer der Wissenschaft betrachten, die Nationalökonomie ob dieses Mangels verächtlich behandeln, ist unzureichender Einsicht zuzuschreiben.

XI. Praxeologischer Begriff und Wirklichkeit.

Von den apriorischen Schwesterwissenschaften Logik und Mathematik scheidet die Praxeologie nicht nur die Beziehung auf die Zeit, von der wir noch zu sprechen haben werden. Nicht weniger wichtig ist, dass sie im Gegensatz zu jenen sich auf Bedingungen des Handelns bezieht, die in der Wirklichkeit, mithin in der Erfahrung gegeben sind. Dadurch wird der apriorische Charakter der Praxeologie nicht berührt, da diese Bedingungen nur kategorial gesetzt werden, und ihre praxeologische Behandlung von dem Umstand, ob die Erfahrung sie als gegeben aufweist, unabhängig ist.

Die praxeologischen Begriffe sind exakt und können mit voller Exaktheit auf die Wirklichkeit angewendet werden. Doch diese Wirklichkeit ist immer die Wirklichkeit des Handelns, nicht etwa die Wirklichkeit, wie sie sich der naturwissenschaftlichen Betrachtung der Außenwelt darstellt.

Soweit die Praxeologie die Dinge der Außenwelt betrachtet, betrachtet sie sie im Hinblick auf ihre Beziehung zu menschlichem Unbefriedigtsein. Für die naturwissenschaftliche Betrachtung ist Wasser ein naturwissenschaftliches Phänomen. Für die praxeologische Betrachtung ist Wasser ein praxeologisches Phänomen. Sie fragt allein: welche Beziehung hat dieses Wasser, (nicht etwa ganz allgemein Wasser im naturwissenschaftlichen Sinn, nicht etwa alles Wasser, nicht etwa Wasser zu jeder Zeit und für jedermann) zum Handeln dieses heute und hier handelnden Menschen? Welches Handeln gibt es in Bezug auf dieses Wasser? Wird in Bezug auf dieses Wasser überhaupt gehandelt?

Das Handeln der Menschen wird durch ihre naturwissenschaftlichen und technologischen Kenntnisse geleitet. Man kann vom Standpunkt richtigerer Erkenntnis des Kausalzusammenhangs dieses Handeln kritisieren. Doch an die praxeologische Begriffsbildung selbst darf man keine naturwissenschaftlichen oder technologischen Maßstäbe anlegen. Sie liegt und bewegt sich in einer anderen Ebene.

Der Physiologe mag sagen: welch eine Torheit, der Alraunwurzel heilende Kraft zuzuschreiben! Doch den Praxeologen interessiert jede Zielsetzung und jede Mittelwahl, ob sie nun töricht ist oder klug, in gleicher Weise.

[64]

XII. Die Grenzen der praxeologischen Begriffsbildung

Alle praxeologischen Begriffe sind dem menschlichen Handeln angepasst und nur auf menschliches Handeln anwendbar. Sie werden paradox, sobald man sie auf ein Sein anzuwenden sucht, dessen Bedingungen dem menschlichen Handeln fremd sind.

Das erklärt die Paradoxien des Anthropomorphismus. Das vollkommene Wesen denkt man als allmächtig und allwissend und dabei auch als handelndes Wesen. Doch handeln kann nur, wer unzufrieden ist, und fortfahren zu handeln kann nur, wer nicht mit einem Schlag seine Unzufriedenheit abzustellen weiß und vermag. Der Handelnde ist unzufrieden und nicht allmächtig. Wäre er zufrieden, würde er nicht handeln, und wäre er allmächtig, so wäre er schon längst nicht mehr unzufrieden. Denn für die Allmacht fehlt der Zwang, zwischen zwei oder mehreren Zuständen der Unbefriedigung, die sie nicht zugleich in Befriedigung zu verwandeln vermag, zu wählen. Allmacht bedeutet doch: Fähigkeit, alles zu bewirken; Fähigkeit, Befriedigung zu finden, ohne dabei an irgendwelche Schranken gebunden zu sein. Doch damit wird der Begriff des Handelns, wie wir ihn für menschliches Handeln verwenden, gesprengt. Die Allmacht unterscheidet nicht die Kategorien Mittel und Zweck; sie ist von der Begrenztheit der Mittel in jeder Beziehung frei, sie kann jedes Mittel für alle Zwecke verwenden, jedes Mittel gibt ihr unbegrenzte Wirkung und sie kann schließlich auch ohne Mittel alles erreichen. Für die Allmacht gibt es weder Mittel noch Ziel, weder Unzufriedenheit noch Handeln. Doch Allmacht folgerichtig bis ans Ende zu denken, geht über unsere Denkfähigkeit; sie führt uns immer wieder ins Paradoxe. Kann z. B. die Allmacht auch etwas bewirken, das ihrer eigenen ferneren Einwirkung entzogen bleibt? Wenn sie es kann, dann gibt es doch eine Schranke ihrer Macht und diese Macht ist keine Allmacht; und wenn sie es nicht kann, ist sie schon darum nicht allmächtig.

Sind Allwissenheit und Allmacht vereinbar? Allwissenheit setzt doch voraus, dass alle künftigen Dinge schon unwandelbar feststehen. Wenn Allwissenheit möglich ist, kann es keine Allmacht geben; an dem festgelegten Ablauf, der nicht mehr zu ändern ist, müsste sie eine Grenze ihrer Bewegungsfreiheit finden. Nicht minder paradox ist der Begriff der letzten Ursache und die damit verbundenen Vorstellungen des Absoluten und des Ding an sich.

Es ist recht zweckmäßig, an einige dieser Gespenster scholastischen Denkens zu erinnern, um die Bedeutung unserer [65] praxeologischen Begriffe ins rechte Licht zu setzen. Handeln ist ein Ausfluss der Beschränktheit und Knappheit, der Unvollkommenheit und des Unbefriedigtsein, und es ist unlogisch, vom Begriff des Handelns auszugehen, wenn man im Denken ein schlechthin Vollkommenes, das heißt ein einer weiteren Vervollkommnung nicht mehr Bedürfendes konstruieren will. Um zum Vollkommenen zu gelangen, darf man gewiss nicht vom Handeln und von der Veränderung ausgehen. Das Vollkommene müsste man als ein Ruhendes, Unveränderliches, Starres zu begreifen suchen. Dann aber müsste man Vollkommenheit und Leben als unvereinbar erkennen. Das Lebendige ist nicht vollkommen, weil es sich verändert, also nicht tot ist; das Tote ist nicht vollkommen, weil es nicht lebt [33] .

Nichts, was als vollkommen gedacht werden soll, kann man widerspruchsfrei bis zu Ende denken. Jeder Versuch, das Leben im Paradies oder im Schlaraffenland oder das Leben der Engel folgerichtig durchzudenken, verliert sich in einem Gestrüpp von Widersprüchen.

Die menschliche Sprache, die Sprache der lebenden und handelnden Menschen, vermag Superlative zu bilden, indem sie Grade unterscheidet, und das Bessere dem Guten und das Beste dem, das es nicht ist, gegenüberstellt. Mit Ausdrücken wie «das schlechthin Gute» oder «das schlechthin Vollkommene» kann der handelnde Mensch keinen Sinn verbinden.

Niemand sucht heute durch Denken das Wesen des Vollkommenen zu ergründen. Doch in neuer Form feiert der alte Drang nach einem Unveränderlichen und Absoluten seine Auferstehung. Was ist denn die Sehnsucht nach «Stabilisierung» anderes?

 


 

3. KAPITEL: DIE KATEGORIEN DES HANDELNS

I. Ende, Ziel, Zweck — Mittel und Wege — Knappheit der Mittel — Freie und wirtschaftliche Güter — Die Güterordnungen

Den Erfolg, den das Handeln herbeiführen will, nennen wir Ziel, Zweck oder Ende. Man bedient sich dieser Ausdrücke im Sprachgebrauch des Alltags auch zur Bezeichnung von Zwischenzielen, Zwischenzwecken und Zwischenenden; das sind [66] Punkte, die das Handeln nur darum erreichen will, weil es über sie zum Endziel, zum Endzweck und zum letzten Ende gelangen zu können glaubt. Streng genommen ist in letzter Linie Ziel, Zweck oder Ende immer die Behebung eines Unbefriedigtsein.

Mittel ist das, was zur Erreichung des Ziels, Zwecks oder Endes führt. Mittel sind nicht schlechthin in der Welt, in der der Mensch lebt; in dieser Welt sind nur Dinge. Ein Ding wird zum Mittel, indem menschliches Denken es zur Erreichung eines Zweckes einzusetzen plant und menschliches Handeln es zur Erreichung eines Zweckes einsetzt. Der denkende Mensch sieht in den Dingen Mittelhaftigkeit, und der handelnde Mensch macht sie zu Mitteln. Mittel sind immer begrenzt, d.h. knapp im Hinblick auf die Zwecke, zu deren Erreichung sie eingesetzt werden sollen. Denn wäre dem anders, dann müsste in Bezug auf sie nicht gehandelt werden. Denken wir alle Dinge, von denen die Behebung eines Unbefriedigtsein abhängt, im Überflusse gegeben, dann haben wir auch das Unbefriedigtsein fortgedacht. Das Handeln muss sich durch die Unzulänglichkeit der Versorgung beengt fühlen, damit es Handeln werde. Es ist daher überflüssig, von einem besonderen Prinzip der Knappheit der Mittel zu sprechen [34] . Der Begriff des Mittels schließt schon alles ein, was dieses Prinzip ausdrücken soll. Wären die Mittel im Hinblick auf das Unbefriedigtsein nicht knapp, so würde nicht gehandelt werden; es würde mithin keine Veranlassung bestehen, Mittel und Zweck zu unterscheiden.

Man kann das Ziel auch das höchste oder letzte Gut nennen und die Mittel als Güter bezeichnen. Man hat beim Gebrauch dieser Ausdruckweise in der Nationalökonomie meist den Ausgangspunkt von naturwissenschaftlich-technologischen und nicht von praxeologischen Gedankengängen genommen. Man hat freie Güter und wirtschaftliche Güter unterschieden. Dabei hat man als freie Güter Dinge bezeichnet, die so reichlich zur Verfügung stehen, dass mit ihnen nicht gewirtschaftet, d.h. in Bezug auf sie nicht gehandelt wird, und als wirtschaftliche Güter Dinge, die im Hinblick auf die Knappheit der verfügbaren Menge bewirtschaftet werden. Für das Handeln kommen nur die wirtschaftlichen Güter in Betracht. Nur sie sind Mittel, nur mit ihnen ist das Handeln befasst. Die freien Güter sind nur Umwelt, in der der Mensch in Bezug auf die wirtschaftlichen Güter handelt. [35]

[67]

Wirtschaftliche Güter, die schon für sich allein eine Befriedigung gewähren und nicht erst mit anderen wirtschaftlichen Gütern verbunden werden müssen, nennen wir Genussgüter, auch Güter erster oder niederster Güterordnung. Sie gewähren unmittelbar Befriedigung, d.h. ohne dass es weiterer Mittel dazu bedarf. Mittel, die nur durch Zusammenwirken zu befriedigen vermögen, nennen wir Produktivgüter, Produktionsmittel oder Güter höherer Güterordnungen. Die Wirkung, die von einem Produktionsmittel ausgeht, befriedigt nur dann, wenn die entsprechende Mitwirkung anderer Produktionsmittel sie ergänzt; erst die sich wechselseitig ergänzende Wirkung aller komplementären Produktionsmittel führt das Produkt herbei, das entweder ein Produktionsmittel für weitere Produktion oder ein Genussgut ist. Das Genussgut führt direkt zur Befriedigung; die Produktionsmittel oder Produktivgüter führen die Befriedigung auf dem Umweg über die Hervorbringung eines Genussgutes herbei.

Wirtschaftliche Güter aller Güterordnungen müssen nicht immer in greifbaren Dingen der Außenwelt verkörpert erscheinen. Güter, die nicht greifbar sind, nennen wir wirtschaftliche Dienste.

Wenn man von diesen Begriffen und begrifflichen Unterscheidungen zur Erkenntnis des Handelns Gebrauch macht, ist es überflüssig, die Güter höherer Ordnung in die einzelnen Güterordnungen (zweite bis n te) einzugliedern, weil es für alle Sätze, für die wir diese Gliederung brauchen, ohne Bedeutung ist, ob ein Gut der zweiten, dritten oder n ten Ordnung zuzuweisen ist. Es wäre ebenso überflüssig, sich mit der Frage zu befassen, ob ein konkretes Gut als Gut erster Ordnung anzusprechen ist, oder ob man es noch einer höheren Ordnung zuzählen soll. Ob roher Kaffee, ob gerösteter Kaffee, ob gekochter Kaffee oder ob erst der mit Sahne und Zucker versetzte gekochte Kaffee als genussreif anzusehen sei, ist kein Gegenstand, der wert wäre, erörtert zu werden. In unsere Untersuchung kommt keine Ungenauigkeit, wenn wir bei dem Ausdruck Genussgut einmal an rohen, das andere mal an gerösteten, das drittemal an zum Trinken zubereiteten Milchkaffee denken. Denn alles, was wir vom Genussgut aussagen, kann von jedem Gut in der Reihe der Güterordnungen ausgesagt werden, das wir als das letzte betrachten. Der Zweck der Gliederung der Güter in Güterordnungen ist der, zu zeigen, dass die Wertung der Güter von der Wertung der Güter erster Ordnung den Ausgang nimmt und von da auf die Wertung der komplementären Güter höherer Ordnung übertragen wird. Wenn wir unsere Betrachtung der Wirklichkeit einmal von einem Gut in der [68] Mitte der Reihe, von einem Zwischenprodukt, ausgehen lassen, weil das für den Gedankengang, den wir gerade einschlagen wollen, genügen mag und die Darstellung vereinfacht, ist die Zulässigkeit dieser Vereinfachung nicht zu bestreiten, weil wir, wenn es der weitere Gedankengang erfordern sollte, mit Anwendung der gleichen Grundsätze auch in der Reihe weiter hinabzusteigen in der Lage sind. Kaffeeerzeuger und Kaffeegroßhändler mögen in der Regel den ungerösteten Kaffee im Auge haben, wenn sie vom Kaffeeverbrauch sprechen und das Genussgut bezeichnen wollen. Wenn sie aber etwa zur Erklärung des Rückganges des Kaffeeabsatzes auf die Verteuerung des Kaffeeröstens oder der Milch oder des Zuckers hinweisen, haben sie den Kaffee als Gut höherer Ordnung aufgefasst. So manche überflüssige Diskussion wäre vermieden worden, wenn man sich diese Regel immer vor Augen gehalten hätte, z. B. der Streit um den Charakter der «persönlichen Dienste» [36] .

Die Übertragung des praxeologischen Begriffsschemas auf die Wirklichkeit kann meist an verschiedenen Punkten erfolgen, ohne dass die Gedankenführung darunter leiden müsste. Ob wir von den verschiedenen zulässigen Ansatzpunkten diesen oder jenen wählen, ist nach der unserer Untersuchung im konkreten Falle gestellten Aufgabe zu entscheiden. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit der Gedankenführung; auch unzweckmäßige Wahl kann die Exaktheit des Denkens und der Schlussfolgerung nicht stören, da diese vom Ansatzpunkt unabhängig ist. Es wäre höchste Verschwendung von Denken und Zeit und würde mit Recht den Spott aller Welt herausfordern, wollte man die Frage erörtern, ob das Einwerfen des Zuckers in die Kaffeetasse, das Umrühren des Getränks und das Ansetzen der Tasse an den Mund nicht noch als Akte der Produktion des Kaffeegenusses anzusehen sind. Mit den Aufgaben, die uns gestellt sind, hätte solche Haarspalterei nichts zu schaffen.

Unsere Aufgabe besteht allein darin: in allem Handeln die Beziehung auf menschliches Unbefriedigtsein aufzuweisen.

A. Hedonismus, Eudämonismus, Utilitarismus

Dass das Unbefriedigtsein die Triebfeder des menschlichen Handelns ist und dass sein Ziel die Abstellung des Unbefriedigtsein ist, das heißt die Erreichung eines Zustandes, in dem man wunschlos ist und nicht handelt, weil man eben voll befriedigt ist, haben schon Hedonismus und Eudämonismus gelehrt. In der άταραξία des Epikur mögen wir dieses Endziel erblicken, dem [69] menschliches Handeln zustrebt, ohne es je erreichen zu können. Gegenüber der Großartigkeit dieser Erkenntnis verblasst der Fehler, in den diese Schulen verfielen, wenn sie die Begriffe Lust und Unlust nicht formal fassten, ihnen vielmehr einen mehr oder weniger grobsinnlichen Inhalt gaben. Die Kritik hat nie vermocht, das Wesen dieser Lehren zu erschüttern, weil sie nie etwas anderes getan hat und tun konnte als — mit einiger Berechtigung — den Epikuräern die Nichtberücksichtigung der «höheren» und «edleren» Genüsse vorzuwerfen. Wenn heute der Eudämonismus noch immer mit dem Argument bekämpft wird, Ziel und Zweck des Lebens sei gar nicht das «Glück», so mag man Betrachtungen darüber anstellen, wie vergebens die Bemühungen sind, Unbelehrbare zu belehren. Dass die Ausdrucksweise vieler ausgezeichneter Vertreter des Hedonismus, Eudämonismus und Utilitarismus solchen Missverständnissen und Irrtümern entgegenkommt, sei ohne weiteres zugegeben.

B. Trieb und Triebsoziologie.

Man kommt um keinen Schritt in der Erkenntnis weiter, wenn man — einer weitverbreiteten Übung folgend — die Ziele, denen die Menschen zustreben, nach Klassen unterscheidet und jeder Klasse einen besonderen Trieb als Beweggrund zuordnet. Der Mensch erscheint dann als ein Wesen, das von vielen Trieben geleitet wird. Man glaubt wohl, damit der eudämonistischen Problematik entrinnen zu können, und bemerkt nicht, dass — worauf schon Feuerbach hingewiesen hat — jeder Trieb ein Glückseligkeitstrieb ist [37] . Das Verfahren besteht in nichts anderem als in einer willkürlichen Klassifizierung der Ziele des Handelns und in einer Verdinglichung der einzelnen Klassen von Zielen, ohne dass der Zweck dieses Vorgangs ersichtlich wäre. Wenn wir sagen, Ziel des Handelns sei Befriedigung, sei Behebung eines Unbefriedigtsein, sagt die Trieblehre, Ziel des Handelns sei Befriedigung der Triebe.

Die Triebsoziologie glaubt, dass es ihr gelungen sei, den verhassten Rationalismus zu bannen, indem sie erwiesen habe, dass das Handeln nicht von der Vernunft und von vernünftiger Überlegung bestimmt werde, sondern von dunklen Urtrieben, Urkräften und Urinstinkten, die nie zu begreifen und nur aus Intuition zu verstehen wären. Doch der Rationalismus hat mit den letzten Vielen des Handelns und mit der ihnen zuerkannten Rangstellung nichts zu tun. Sein Feld ist das der Mittel und Wege, auf denen man den Zielen und Zwecken, die man sich gesetzt hat, zustrebt. Ein Trieb mag noch so geheimnisvoll dem Dunkel der Urgewalten und Urerlebnisse entstammen, die Wege, auf denen der handelnde Mensch ihn zu befriedigen sucht, werden von dem Lichte der vernünftigen Abwägung von Aufwendung und Erfolg erhellt.

Auch wer im Affekt handelt, handelt. Was das Handeln im Affekt vom übrigen Handeln unterscheidet, ist die Wertung von Kosten und Erfolg. Der Affekt verschiebt die Wertung; von Leidenschaft erfüllt, sieht der Handelnde das Ziel viel begehrenswerter und die Nachteile, die mit seiner Erreichung verbunden sind, viel kleiner als sonst. Nie haben die Menschen ernstlich bezweifelt, dass auch im Affekt Mittel und Zweck abgewogen werden und dass man durch Maßnahmen, die die Kosten der Hingabe an den Affekt erhöhen, diese Wahl zu beeinflussen vermag. Wenn man die aus Leidenschaft oder in [70] Trunkenheit verübten Verbrechen milder bestraft als andere Verbrechen, dann fördert man sie, wogegen strenge Strafen in vielen Fällen abschreckend wirken.

Da auch die Triebsoziologie nicht jeder einzelnen Handlung einen Trieb zuordnet, sondern die Handlungen nach der Verwandtschaft der Ziele, auf die sie gerichtet sind, gruppenweise zusammenfasst, ist nicht einzusehen, mit welchen Gründen sie sich gegen eine Betrachtungsweise wenden könnte, die alles Handeln als auf Abstellung von Unbefriedigtsein gerichtetes bewusstes Verhalten bezeichnet und ihm den einzigen Trieb auf Abstellung von Unbefriedigtsein, den Trieb auf Erhöhung des Wohlbefindens, kurz den Glückseligkeitstrieb, zuordnet. Für die Lehre vom Handeln leistet die Lehre, die die Triebe nach der Gattung der Ziele gliedert, überhaupt nichts. Um das Handeln begreifen zu können, muss man vor allem erkennen, dass die Entscheidungen der Handelnden nicht etwa zwischen der Befriedigung ganzer Gattungen von Trieben die Wahl zu treffen haben, sondern zwischen konkreten Triebregungen ohne Rücksicht auf die Klasse, in die der einzelne Trieb eingereiht erscheint.

Das Verhalten der Tiere suchen wir durch die Annahme zu erfassen, dass das Tier dem Trieb, der gerade in ihm am stärksten wirksam, ist, blind und hemmungslos folgt. Da wir beobachten können, dass das Tier bald Nahrung sucht, bald den Begattungsakt vollzieht, bald andere Tiere oder Menschen angeht, sprechen wir von seinem Nahrungstrieb, von seinem Geschlechtstrieb, von seinem Aggressionstrieb. Wir nehmen an, dass ihm solche Triebe angeboren sind und dass es ihnen folgen muss. Ob diese Annahmen berechtigt sind oder nicht, können wir freilich nicht wissen. Wir bemänteln unsere Unwissenheit, so gut wir es verstehen.

Wenn wir jedoch von den Trieben des Menschen sprechen, haben wir anderes im Sinne. Der Mensch ist eben nicht ein Wesen, das blind und hemmungslos dem Impuls folgt, der in ihm gerade am stärksten wirkt. Der Mensch bändigt seine Triebe durch die Vernunft, er rationalisiert sein Verhalten. Er weiß auf die Befriedigung eines Triebes zu verzichten, um andere Triebe zu befriedigen. Er ist nicht der Spielball seiner Triebe. Er bedenkt die Folgen seines Verhaltens. Der Mann fällt nicht über jedes Weib her, das seinen Geschlechtstrieb entzündet; er verschlingt nicht jede Nahrung, die seinen Appetit reizt; er schlägt nicht jeden nieder, den er am liebsten umbringen möchte. Er ordnet die Wünsche und Begehrungen, die in seiner Brust aufsteigen, in eine Rangordnung, er wählt, er handelt. Dass er sein Verhalten durch die Vernunft regelt, unterscheidet den Menschen vom Tier. Der Psychologe sagt: der Mensch ist das Wesen, das Hemmungen kennt, das Wesen, das der Kraft der Triebe Widerstand zu leisten vermag, das Wesen, das Triebe zu verdrängen weiß.

Es kann im Grenzfall geschehen, dass ein Begehren — ein Trieb — im Menschen mit solcher Vehemenz auftritt, dass kein Nachteil, den die Befriedigung nach sich ziehen könnte, ihn davon abhalten kann, die Befriedigung zu suchen. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht wählt; er wählt, indem er sich für die Befriedigung des Triebes entscheidet [38] .

[71]

Es gab eine Zeit, da man dachte, die Wirkung des Opiums aus der «virtus dormitiva, cuius est natura sensus assupire» erklären zu können. Kant, der doch Gelegenheit gehabt hätte, aus den Schriften der großen Engländer und Schotten des 17. und 18. Jahrhunderts sich eines Besseren belehren zu lassen, vermochte das Werden der Gesellschaft nicht anders zu erklären als aus dem Widerspiel zweier Neigungen, der Neigung «sich zu vergesellschaften» und der Neigung «sich zu vereinzelnen» [39] . Wer sich mit derartigen Erklärungen heute noch zufrieden geben will, ahnt überhaupt nicht, um was es in der Wissenschaft geht.

C. Bedürfnis und Bedürfnislehre

Darin ist die subjektivistische Wertlehre mit ihrer Feststellung, dass nicht die Wichtigkeit der Bedürfnisgattungen als Ganze, sondern die Wichtigkeit der einzelnen konkreten Bedürfnisregungen für den Handelnden den Ausschlag gibt, der Triebsoziologie unendlich überlegen. Die Triebsoziologie steht noch immer dort, wo die Nationalökonomie vor der Überwindung der Wertantinomie war.

Doch auch der Begriff Bedürfnis ist nicht weniger Hypostasierung als der Begriff Trieb. Wieweit die Psychologie sich beider Vorstellungen mit Nutzen bedienen mag, kann hier dahingestellt bleiben. Für die Lehre vom Handeln bedeutet der Bedürfnisbegriff nichts, was nicht schon im Begriffe Behebung des Unbefriedigtsein enthalten wäre. Wenn man von Bedürfnisbefriedigung so formal und ohne Bezugnahme auf konkreten Inhalt sprechen wollte, wie man allenfalls noch den Ausdruck Glück verwenden kann, dann wäre gegen den Gebrauch dieses Begriffes nicht viel einzuwenden. Auch die Übung, jedem Ziel ein Bedürfnis zuzuordnen, in dessen Befriedigung das Ziel zu suchen ist, wäre an sich harmlos, solange man daran festhält, dass man das Bedürfnis nur daran zu erkennen vermag, dass Handeln auf das Ziel, dem man es zugeordnet hat, gerichtet ist. Das Bedürfnis nach Trank erkennt man allein aus dem auf die Ermöglichung des Trinkens gerichteten Handeln; Bedürfnisse, die nicht Ziel des Handelns sind oder werden können, gibt es nicht. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht unrichtig, sondern nur überflüssig, den Bedürfnisbegriff zu verwenden.

Die Irrtümer beginnen dort, wo man anfängt, die Bedürfnisse von den Zielen des Handelns zu sondern. Man baut das Luftschloss einer Lehre von den Bedürfnissen, ohne sich um das Handeln zu kümmern, und spricht dann von Handeln, das den Bedürfnissen gemäß ist, und von solchem, das den Bedürfnissen nicht gemäß ist. Man hört damit auf, Wissenschaft vom Sein des Handelns zu treiben, und wendet sich dem Sollen des Handelns zu; man betrachtet das Handeln nicht mehr theoretisch, sondern richtet und wertet es nach willkürlichen Maßstäben. Man fragt nicht mehr darnach, wie gehandelt wird, sondern darnach, wie gehandelt werden sollte. Man unterscheidet den Bedürfnissen entsprechendes — richtiges — Handeln und den Bedürfnissen nicht entsprechendes — unrichtiges — Handeln. Man fragt, wie man hätte handeln sollen und wie man in Zukunft handeln soll.

[72]

Es war auf dem Boden der Lehre von den Bedürfnissen ein gewaltiger Fortschritt, als man erkannte, dass für das Handeln die Bedeutung der einzelnen Bedürfnisregungen und nicht die der ganzen Bedürfnisgattungen entscheidet. Doch das allein kann das Festhalten an der Bedürfnislehre nicht rechtfertigen. Für die Lehre von den Wahlhandlungen erweist sich die Bedürfnislehre als Hindernis, sie führt irre und muss daher restlos aufgegeben werden.

Die Ziele des Handelns sind uns Daten; sie liegen jenseits der Grenzen, innerhalb deren das Feld unserer Wissenschaft zu beackern ist. Es ist nicht die Aufgabe der Lehre vom Handeln, sich mit einem Handeln zu befassen, das nicht ist, aber sein sollte. Es ist Aufgabe der Katallaktik, die Bildung der Marktpreise zu erklären; es ist nicht ihre Aufgabe, zu sagen, wie die Preise sich bilden würden, wenn die Menschen anders — nämlich ihren «wahren» Bedürfnissen entsprechend — handeln würden.

Der ethisierende Charakter der Bedürfnislehre, die das Handeln nicht erfassen und begreifen, sondern richten will, tritt am deutlichsten darin zutage, dass man zwischen dem auf rationalen Erwägungen beruhenden Handeln und dem auf Übereilung, Affekt, Stimmung, Willens- und Charakterschwäche beruhenden irrationalen Handeln unterscheiden will [40] . Das kann doch keinen andern Sinn haben als den, dass man den Bedürfnissen besser und weniger gut entsprechendes Handeln unterscheidet.

Psychologie und Physiologie mögen von Bedürfnissen sprechen und mögen auch echte Bedürfnisse von unechten Bedürfnissen unterscheiden. Sie mögen z. B. sagen, dass das Bedürfnis nach Nahrung berechtigt, das nach Nikotin unberechtigt ist. Sie richten damit das Handeln der Menschen. Doch die Lehre vom Handeln sieht nur auf das Handeln. Für die Erklärung der Preisbildung des Tabaks ist es ohne Belang, ob es nicht gesünder wäre, weniger oder gar nicht zu rauchen.

Es ist auch nichts als ethische Kritik des Handelns, wenn man das Handeln an Plänen misst, die der Handelnde selbst entworfen hat, oder an seiner eigenen Kritik eigenen abgelaufenen Handelns. Dass einmal die Absicht bestanden hat, anders zu handeln, als dann wirklich gehandelt wurde, oder dass nach einem Handeln das Urteil gefällt wird, man hätte anders handeln sollen, kann am Geschehenen und Gewordenen nichts mehr ändern. Dass dem Entwurf oder der Kritik gegenüber dem verwirklichten Handeln eine — von Wertungen höchst subjektiver Art unabhängige — Überlegenheit zuzuschreiben wäre, kann doch wohl nicht behauptet werden.

Die Bedürfnislehre ist ein böses Stück Begriffsrealismus, das man aus dem Bestand unseres Systems schonungslos entfernen muss. Dann darf man ab und zu den Ausdruck Bedürfnis als eine bequeme Abkürzung ebenso unbedenklich verwenden, wie der Physiker mitunter den Ausdruck Kraft verwendet.

II. Das Vorziehen und die Rangordnung der Zwecke und der Mittel

Das Handeln trifft eine Entscheidung zwischen Möglichkeiten, die sich dem Handelnden zur Auswahl bieten; die eine der sich bietenden Möglichkeiten wird den übrigen vorgezogen.

[73]

Man hat, ähnlich hypostasierend wie bei der Bildung der Vorstellung Bedürfnis, davon gesprochen, dass das Handeln sich an der Rangordnung der Werte orientiert, die der Handelnde gelten lässt. Auch gegen diese Ausdrucksweise kann man schwere Bedenken geltend machen. Auch sie kann dazu verleiten, das Handeln nicht theoretisch mit dem objektiven Auge der Wissenschaft zu betrachten, sondern es zu richten; nur zu leicht gelangt man dazu, ein der Wertskala entsprechendes von einem ihr nicht entsprechenden Handeln zu unterscheiden. Nur wenn man solche Missgriffe zu meiden weiß, mag es zulässig und unter Umständen nützlich sein, von Rangordnung und Wertskala zu sprechen. Man darf dabei jedoch nie vergessen, was man dem Grundsatz des Subjektivismus schuldig ist.

Unsere Lehre ist subjektivistisch; das bedeutet: sie erblickt das Ziel des Handelns in der Erhöhung des Wohlbefindens des Handelnden. Worin der Handelnde sein Glück sucht, was er für Glück hält und wie er selig werden will, das ist für unsere Betrachtung gegeben. Wir sagen dem Menschen nicht: Du sollst dein Glück in dem oder in jenem suchen; wir stellen einfach fest, was die Menschen als höchstes und letztes Ziel anstreben und nennen das ihr Glück. Wir wissen, dass nicht alle Menschen dasselbe anstreben, wir wissen, dass dieselben Menschen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Ziele anstreben, wir wissen auch, dass die Ziele verschiedener Menschen mitunter mit den Zielen anderer Menschen dergestalt in Widerstreit geraten, dass der eine sein Ziel nicht erreichen kann, wenn der andere das Ziel, das er sich gesetzt hat, erreichen soll. Dieses Wissen aber ist schon Erfahrungswissen. A priori können wir nun die Möglichkeit dieser Verschiedenheit, dieser Veränderungen und dieses Widerstreites erkennen und das Handeln unter der Annahme betrachten, dass diese Voraussetzungen gegeben sind. Dass die Bedingung, die wir setzen, dem Handeln wirklich gegeben ist und in welchem Umfang sie ihm gegeben ist, lehrt uns erst die Erfahrung.

Der Begriff des perversen Menschen und der Perversität wäre daher für uns sinnlos. Es wäre sinnlos zu sagen, jener Mensch ist pervers, weil er das Unangenehme, das Schädliche, das Schmerzende dem Angenehmen, dem Nützlichen, dem Lustbringenden vorzieht. Wir können höchstens sagen: jener Mensch ist anders als andere Menschen; ihm ist angenehm, was anderen unangenehm ist; er hält Dinge für nützlich, die andere als schädlich meiden; er findet Lust in dem Ertragen von Schmerz, den andere meiden, weil er ihnen Unlust bringt. Das Begriffspaar normal- pervers kann anthropologisch verwendet [74] werden zur Unterscheidung derer, die so handeln, wie die Mehrzahl handelt, von den Einzelgängern und Ausnahmen; es kann biologisch verwendet werden zur Unterscheidung derer, deren Handeln lebensfördernd wirkt, von denen, deren Handeln lebenszerstörend wirkt; es kann ethisch verwendet werden zur Unterscheidung derer, die richtig handeln, von denen, die anders handeln, als sie handeln sollten. In der aprioristischen Wissenschaft vom Handeln hat es keinen Platz.

Die Ziele des Handelns sind unserer Kritik entzogen. Die Mittel des Handelns haben wir vom Standpunkte dieser Ziele zu betrachten. Wir dürfen sie nicht auf ihre Zulässigkeit prüfen; wir dürfen aber Mittel, die geeignet sind, zum Ziel zu führen, von solchen, die dazu nicht geeignet sind, unterscheiden. Zweckmäßigkeit und Zweckwidrigkeit des Handelns sind Begriffe, die im Rahmen unseres Systems sinnvoll sind; was zweckwidrig und zweckmäßig im einzelnen Fall sein mag, sagt bald die Praxeologie selbst, bald nur die Erfahrung. Wenn wir auch das Handeln nicht im Hinblick auf seine letzten Ziele kritisieren dürfen, so sind wir berechtigt und genötigt, uns zu fragen, ob und in welchem Masse es geeignet war, ist oder sein wird, die Ziele, die der Handelnde anstrebt, auch wirklich zu erreichen.

Das, was sogleich geeignet ist, das Wohlbefinden zu erhöhen, wird nach dem Grade der unmittelbaren Befriedigungssteigerung gewertet. Die entfernteren Bedingungen der Wohlfahrt, die Mittel zur Erlangung der Mittel der sofortigen Erhöhung des Wohlbefindens, werden nach der Bedeutung gewertet, die den durch sie erreichbaren Mitteln der sofortigen Wohlbefindenssteigerung beigemessen wird. Die Wertung der Mittel geht von der Wertung der letzten Ziele aus, und pflanzt sich von den Mitteln der sofortigen (nicht weiter durch andere Mittel vermittelten) Befriedigung von Schicht zu Schicht weiterschreitend auf die entferntesten Mittel fort. Vom Zweck empfängt das Mittel seine Wertung.

Der nichthandelnde Mensch

Wer das Nichthandeln zum höchsten Zweck des Lebens machen will, wer es als das Letzte und Beste ansieht, nicht zu handeln, ganz duldend zu sein wie die Pflanze, mit einem Worte: pflanzenhaft dahin zu leben (zu vegetieren), hat sich das Auslöschen des Menschentums zum Ziele gesetzt, wie es auch — in anderer Art — der Selbstmörder macht. Kritisieren kann die Wissenschaft von ihrem Standpunkte diese Zielsetzung nicht, sie kann sie nur verzeichnen und dazu bemerken, dass sie sich nur mit dem handelnden Menschen befasst und nicht mit einem zur Pflanze gewordenen.

[75]

III. Das Handeln als Tausch — Wert und Preis, Kosten — Erfolg und Misserfolg — Gewinn und Verlust

Jedes Handeln ist eine durch den Menschen hervorgerufene Veränderung. Wir pflegen eine solche provozierte Veränderung Tausch oder ein Tauschen zu nennen. Ein weniger befriedigender Zustand wird mit einem mehr befriedigenden Zustand vertauscht. Das Wenigerbefriedigende wird hingegeben, um ein Mehrbefriedigendes zu empfangen. Das, was hingegeben wird, ist der Preis, der für die Erreichung des Zweckes gezahlt wird. Die Bedeutung oder Wertung des gezahlten Preises nennen wir die durch die Erreichung des Zweckes aufgelaufenen Kosten.

Der Unterschied, der zwischen der Schätzung des hingegebenen Preises (der aufgelaufenen Kosten) und der Schätzung des erreichten Zweckes besteht, macht den Gewinn aus, der durch das Handeln erzielt wurde, oder den Vorteil, der dem Handelnden aus dem Handeln erwächst. Gewinn und Vorteil sind psychische Zustände, die nicht gemessen und nicht gewogen werden können. Es gibt ein Mehr oder ein Weniger an Befriedigung und Behebung von Unbefriedigtsein, doch wie weit eine Befriedigung eine andere übertrifft, kann nur empfunden, nicht festgestellt und objektiv angegeben werden. Das Werturteil misst nicht, es skaliert; es drückt Rangordnung und Reihung, aber nicht Maß und Gewicht aus. Nur die Ordnungszahlen, nicht auch die Kardinalzahlen stehen uns für den Ausdruck der Werturteile zur Verfügung.

Es wäre daher irreführend, wollte man von Wertrechnung sprechen. Rechnen kann man nur mit Grundzahlen. Das Werturteil reiht die in Betracht gezogenen Gegenstände; es kann nicht messen. Der Abstand in der Wertung zweier Zustände, die verschieden gewertet werden, ist ganz seelisch. Er kann sich nach außen in keiner Weise bemerkbar machen; er ist nur für den Handelnden in der Stärke der Gefühlsbetonung erkennbar. Psychologie und Physiologie können die Projektion der verschiedenen Stärke der Betonung auf objektiv vergleichbare und messbare Zustände der Außenwelt vornehmen und mögen das als Ersatz für die grundsätzliche Unmöglichkeit dessen, was man Messung psychischer oder intensiver Größen genannt hat, betrachten. Für die Wissenschaft vom Handeln, die es mit dem Handeln und nicht mit den seelischen Vorgängen, die zum Handeln führen, zu tun hat, sind solche Bemühungen und ihre Ergebnisse ohne Belang.

Für die Praxeologie ist auch Bedeutung ein formaler Begriff ohne materiellen Inhalt. Weil das Handeln ein A einem [76] B vorzieht, sagen wir, dass der Handelnde dem A größere Bedeutung beilegt als dem B . In diesem Sinne sagen wir, dass die Kosten der Schätzung der Befriedigung gleichkommen, auf die um der Erreichung des Zweckes willen verzichtet werden musste.

Handeln soll nach der Absicht des Handelnden zur Erreichung des Zweckes führen. Doch der angestrebte Erfolg wird nicht immer erreicht. Es kann sein, dass das Ergebnis des Handelns noch immer einen Gewinn darstellt, wenn nämlich der eingetretene Erfolg eine Mehrbefriedigung gegenüber den aufgewendeten Kosten bedeutet. Es kann aber auch sein, dass der Misserfolg Verlust bedeutet, weil der neue Zustand geringere Befriedigung gewährt als der hingegebene Zustand.

 


 

4. KAPITEL: ZEIT UND HANDELN

I. Die Zeitlichkeit der Praxeologie

Wer von Veränderung spricht, spricht auch von Aufeinanderfolge und von Zeit. Eine starre, ewig unveränderliche Welt wäre zeitlos, aber auch tot. Veränderung und Zeitablauf sind nicht getrennt zu denken. Handeln bewirkt Veränderung und ist somit in der Zeit.

Der menschliche Verstand mag sich noch so sehr anstrengen, er kann zeitloses Sein nicht fassen, und es kann ihm nie gelingen, den Begriff handelnder und doch über den Zeitablauf erhabener Wesen widerspruchsfrei zu denken. Wer handelt, muss notwendig die Zeit vor der Befriedigung von der späteren Zeit unterscheiden und ist damit dem Zeitablauf gegenüber nicht mehr unbeteiligt.

Logik und Mathematik haben ein ideales Sein vor Augen, das zeitlos gedacht wird. Die funktionalen Beziehungen, die sie aufzeigen, sind gleichzeitig und wechselseitig. Ein vollkommener Geist könnte sie mit einem Denkakt auf einmal erfassen. Dass wir das nicht vermögen, ist nur dem Umstand zuzuschreiben, dass unser Denken selbst ein Handeln ist, das nur in der Zeit von dem unbefriedigenden Zustand geringerer Einsicht zu dem befriedigenderen Zustand besserer Einsicht fortzuschreiten vermag. Wir werden uns nur allmählich darüber klar, dass wir im Denken des Begriffs rechtwinkliges Dreieck auch den pythagoräischen Lehrsatz mitgesetzt haben. Logik und Mathematik sprechen immer von Koexistenz. Wenn sie von [77] Folgerungen und von logischem Vorher und Nachher sprechen, haben sie nicht Aufeinanderfolgen des Seins im Auge, sondern die Aufeinanderfolge unserer menschlichen Gedankenoperationen, die zur Erkenntnis des Koexistierenden in seinem vollen Umfang nur schrittweise führen [41] .

Die Sätze der Praxeologie implizieren Aufeinanderfolge. Sie sprechen nicht von einem zeitlosen Sein wie die der Logik und Mathematik. Das Sein, das den Gegenstand ihrer Erkenntnis bildet, ist die Veränderung, deren begriffliches Erfassen die Begriffspaare Früher und Später, Vorherund Nachher, Vergangenheit und Zukunft, und den Begriff der Dauer einschließt.

Im Begriff des Handelns ist der der Zeitfolge enthalten. Wir haben hier die Zeit vor der Befriedigung, wir haben den Einsatz des Handelns und die Dauer zwischen dem Einsatz des Handelns und dem Eintritte des Erfolges, und wir haben schließlich die Dauer der durch den Erfolg erzielten Befriedigung.

Durch die Bezugnahme auf das Aufeinanderfolgen scheidet sich die Praxeologie von der Logik. Man mag sie immerhin die Logik des Handelns nennen, man darf aber nicht vergessen, dass sie das Element der Zeitlichkeit kennt, das der Logik und der Mathematik fremd ist.

II. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Das Handeln gibt dem Menschen den Begriff der Zeit und das Bewusstsein des Zeitablaufes. Der Begriff der Zeit ist ein praxeologischer Begriff.

Das Leben an sich, das allmähliche Werden und Aufblühen und das schließliche Vergehen, gibt dem Menschen sowenig das Bewusstsein des Zeitablaufs wie die wechselnden Bilder der Außenwelt, die vor seinem Auge vorbeiziehen. Die moderne Philosophie lehrt, dass das schlichte Dahinleben im Erlebnisstrom durch die Vernunft erfasst und umgestaltet werden müsse, damit das Bewusstsein der Veränderung und der Zeit entstehe. Was ohne dieses Eingreifen des Intellekts erlebt wird, sei «la durée pure, dont l'écoulement est continu, et où l'on [78] passe, par gradations insensibles, d’un état à l’autre: Continuité réellement vécue» [42] . Vor dem Auge dessen, der nur lebt ohne zu handeln, rollen sich Bilder ab, die Moment für Moment «Als-Jetzt» erfasst und festgehalten werden. Auf jede solche «Als-Jetzt» Erfassung folgen weitere gleicher Art, die fortgesetzt die früheren in die Vergangenheit zurückschieben [43] . Die Entstehung der rationalen Zeitvorstellung müsse aus dem reflektierenden Erfassen der abgelaufenen Veränderungen und aus dem Gedächtnis, das die nur erlebte, aber nicht bewusstgewordene Vergangenheit reproduziert, erklärt werden. [44] Die Zeit werde zuerst als abgelaufene Zeit, als Vergangenheit erfasst.

Doch dem Handeln ist nicht die Vergangenheit das erste, sondern die Zukunft. Handeln ist immer auf die Zukunft gerichtet. Weil er das weniger befriedigende Jetzt in ein befriedigenderes Später verwandeln will und dem Künftigen das Augenmerk zuwendet, nimmt der Handelnde die Gegenwart als Gegenwart und die Zukunft als Zukunft gewahr. Die Vergangenheit wird als solche erst dadurch erkannt, dass sie sich von Gegenwart und Zukunft abhebt. Der Zeitbegriff und die Zeitvorstellung sind Korrelate des Handelns. Nicht durch beschauliches Versenken in die Erinnerung, sondern durch tätiges Eingreifen zur Gestaltung des eigenen Lebens wird der Mensch zuerst zum Erfassen der Veränderung und des Zeitablaufs geführt.

Alle Versuche, die Zeit zu veranschaulichen, bedienen sich des Vergleichs mit räumlichen Vorstellungen, und alle Verfahren, die Zeit zu messen, setzen sie mit Bewegungen gleich. Objektives Empfinden der Zeitdauer fehlt den Menschen. Die Stunden können verfliegen oder sich zur Unerträglichkeit dehnen. [45] Nur im Handeln wird die Zeit unmittelbar erfasst und gewinnt die Zeitdauer einen lebendigen Sinn, einmal als Dauer zwischen dem Einsatz des Handelns und dein Eintritt des Erfolgs und dann als Dauer der Befriedigung. Gemessen kann die Zeit auf diesem Wege freilich nicht werden. Kardinalzahl, Maß und Rechnen können an das Handeln nicht direkt herankommen und können ihm nur mittelbar dienstbar gemacht werden.

[79]

Die Zeit, die gemessen wird, ist immer Vergangenheit, und die Zeit, von der die Philosophie spricht, ist immer Vergangenheit oder Zukunft. Zwischen beiden ist im Denken der reinen Logik kein Raum für eine Gegenwart. Die Gegenwart erscheint als eine ideale Scheide zwischen Vergangenheit und Zukunft. Nur das Handeln stellt zwischen Vergangenheit und Zukunft eine reale Gegenwart. Das Handeln ist Gegenwart, weil es den Augenblick nutzt und weil es die Wirklichkeit des Augenblicks ist [46] . Die spätere rückschauende Betrachtung sieht von dem verflossenen Augenblick vor allem das Handeln und die Bedingungen, die er dem Handeln geboten hat. Das, was nicht mehr getan werden kann, weil die Bedingungen für sein Unternehmen verflossen sind, hebt die Vergangenheit, und das, was noch nicht getan oder genossen werden kann, weil die Bedingungen für sein Unternehmen oder sein Reifen noch nicht gekommen sind, hebt die Zukunft von der Gegenwart ab, die dem Handeln Möglichkeiten und Aufgaben stellt, für die es bisher zu früh war und fortan zu spät sein wird.

Der Begriff der Gegenwart gehört nur dem praxeologischen Denken an. Zu den Begriffen Vergangenheit und Zukunft vermag auch das naturwissenschaftliche Denken zu führen, zum Begriff der Gegenwart als Dauer führt nur das Denken der Praxeologie.

Die Gegenwart als Dauer ist das Andauern der dem Handeln gegebenen Bedingungen. Jedes Handeln setzt besondere Bedingungen voraus, denen es im Hinblick auf die gestellten Ziele angepasst wird. Der Begriff der Gegenwart ist daher für jede einzelne der möglichen Arten von Handeln verschieden. Er ist ganz unabhängig von den Zeitmassen der die Zeit durch Bewegungsablauf messenden Verfahren. Die Gegenwart schließt soviel vom Vergangenen ein, als davon noch aktuell ist, d.h. für das Handeln (agere) Bedeutung hat. [47] Die Gegenwart hebt sich je nach dem Handeln, das man im Auge hat, vom Mittelalter ab, vom 19. Jahrhundert, vom vergangenen Jahr, Monat oder Tag, aber auch von der eben verstrichenen Stunde, Minute oder Sekunde. Die Gegenwart ist eine andere für jeden Aspekt. Wenn man sagt: gegenwärtig wird Zeus nicht mehr als Gott verehrt, meint man eine andere Gegenwart als die, die der Kraftwagenlenker im Sinne hat, wenn er denkt: jetzt ist es noch zu früh zum Wenden.

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Da der Mensch über die Zukunft nichts sicher weiß, bleibt es immer unbestimmt, wieviel von der noch nicht verstrichenen Zeit wir zum jetzt und zur Gegenwart zählen. Wenn jemand 1913 denken mochte: in der Gegenwart (jetzt) wird in Europa das Recht der freien Meinungsäußerung allgemein anerkannt, wird er wohl kaum geahnt haben, dass diese Gegenwart schon in wenigen Jahren sich in Vergangenheit verwandelt haben wird.

Das Denkenmodo futuri exacti

Alfred Schütz, der sich bemüht, die psychologischen Vorgänge um das Handeln herum zu klären, will den Unterschied zwischen Handeln und Verhalten im Entworfensein der Handlung erblicken, die durch das Handeln zur Selbstgegebenheit gelangen soll, wobei der Entwurf die in einem Akt modo futuri exacti in der Zukunft abgelaufen sein werdende Handlung antizipiert [48] . Das ist doch nichts anderes als Umschreibung des Tatbestandes, dass Handeln auf Ziele und Zwecke bewusst gerichtetes Verhalten ist und dass es stets auf dem Boden bestimmter Vorstellungen über den Kausalzusammenhang wurzelt. Es ändert nichts an der Feststellung, dass das Handeln allein auf die Zukunft gerichtet ist, und dass dem Handelnden allein die Zukunft und nicht die Vergangenheit wichtig ist.

III. Die Bewirtschaftung der Zeit

Der Mensch selbst ist dem Zeitablauf unterworfen. Er wird, reift heran, altert und vergeht. Seine Zeit ist knapp bemessen. Er muss mit ihr wirtschaften, wie er mit den übrigen Mitteln des Handelns wirtschaftet.

Dieses Bewirtschaften der Zeit erhält einen besonderen Charakter durch die Einmaligkeit und Nichtumkehrbarkeit des Zeitablaufs. Die Tragweite dieser Tatsache wird durch jedes Stück der Lehre vom Handeln beleuchtet.

Nur auf einen Punkt muss schon hier hingewiesen werden. Die Bewirtschaftung der Zeit ist unabhängig von der Bewirtschaftung der wirtschaftlichen Güter. Auch in einem Schlaraffenland, in dem, von dem etwaigen Wunsch nach ewigem Leben in voller Kraft und Gesundheit abgesehen, alle nur irgendwie denkbaren Wünsche des Menschen sogleich und ohne jede Müheaufwendung befriedigt werden, müsste der Mensch mit der Zeit wirtschaften. Er müsste sich die Zeit einzuteilen suchen, weil es Zustände gibt, die nicht gleichzeitig verwirklicht werden können. Die Zeit müsste auch dem Schlaraffen knapp und im verschiedenen Wertaspekt des Früher und Später erscheinen.

[81]

IV. Das Problem der Gleichzeitigkeit und die Vorstellung vermeintlich irrationalen Handelns

Die Einstein’sche Relativitätstheorie bestreitet die Möglichkeit absoluter Gleichzeitigkeit. Die physikalische Definition der Zeit hat nur Bedeutung mit Bezug auf ein Koordinatensystem von bestimmten Bewegungszustand. A priori sei aber nicht evident, dass zwei Ereignisse, die im Bezug auf ein Koordinatensystem gleichzeitig sind, auch für alle anderen Koordinatensysteme gleichzeitig sein müssen. Das sei als die Relativität der Zeit zu verstehen.

Mit dieser Lehre hat der praxeologische Satz, den wir nun zu entwickeln haben, nichts zu schaffen. Es ist zweckmäßig ausdrücklich darauf hinzuweisen, um von vornherein Missverständnissen vorzubauen.

Zwei Handlungen eines Einzelnen sind nie gleichzeitig. Von Handlungen verschiedener Einzelner kann Gleichzeitigkeit in Bezug auf die physikalische Zeitmessung behauptet werden. Gleichzeitigkeit ist mithin ein praxeologischer Begriff nur im Hinblick auf das Zusammenwirken des Handelns verschiedener Menschen.

Die einzelnen Handlungen eines Menschen folgen aufeinander; sie können nie zur gleichen Zeit getan werden, sie können nur schneller oder weniger schnell aufeinander folgen. Es gibt Handlungen, die verschiedene Zwecke mit einem Schlage (uno actu) verwirklichen. Es wäre unzweckmäßig und irreführend, sie als mehrere gleichzeitig vor sich gehende Handlungen zu bezeichnen.

Man hat die Ausdrücke Wertung und Wertskala missverstanden und hat sich über die Bedenken, die der Annahme der Gleichzeitigkeit von Handlungen desselben Menschen entgegenstehen, hinweggesetzt. Man hat die einzelnen Wahlhandlungen eines Einzelnen als Ausfluss einer unabhängig von ihnen und vor ihnen bestehenden Wertskala und eines vorentworfenen Planes, dessen Ausführung sie dienen sollen, aufgefasst. Wertskala und Wirtschaftsplan, denen man Dauer und damit Unveränderlichkeit während eines Zeitraumes beilegte, wurden zur Ursache und zum Beweggrund des Handelns hypostasiert. Die Gleichzeitigkeit, die von verschiedenen Handlungen nicht ausgesagt werden kann, konnte dann in der Skala und im Wirtschaftsplan unschwer entdeckt werden. Man beachtete nicht, dass die Skala der Werte nur eine gedankliche Hilfskonstruktion der Wissenschaft ist, und dass es unzulässig ist, sie, die nur im Handeln aufscheint und nur aus ihm erkannt werden kann, in einen Gegensatz zum Handeln zu setzen und zum [82] Richter über die Angemessenheit des Handelns zu machen. Es ist daher auch unzulässig, durch Vergleich des Handelns mit Plänen und Entwürfen eine Scheidung von rationalem und nichtrationalem Handeln vorzunehmen.

Es mag sehr bemerkenswert sein, dass gestern anderes für das Handeln von heute geplant worden war, als heute ausgeführt wurde. Doch die Pläne von gestern geben uns ebensowenig ein Richtmass zur Kritik des Handelns von heute wie irgendwelche andere Entwürfe, Ideen oder Normen.

Man hat versucht, zum Begriffe eines irrationalen Handelns durch folgenden Gedankengang zu gelangen: Wenn a dem b vorgezogen wird und b dem c , so müsste auch a dem c vorgezogen werden. Wenn aber tatsächlich c dem a vorgezogen wird, dann liege hier Handeln vor, dem man Folgerichtigkeit (Konsequenz, engl. consistency) und demgemäss Rationalität nicht zubilligen kann [49] . Der Fehler dieser Beweisführung liegt in der Nichtbeachtung der Tatsache, dass zwei Handlungen nie gleichzeitig sein können. Wenn einmal a dem b vorgezogen wurde und ein anderes mal b dem c , so ist es nicht zulässig, daraus eine einheitliche Wertskala zu konstruieren, in der b auf a und c auf b folgt, mögen die beiden Handlungen auch zeitlich noch so nahe aneinandergerückt sein. Ebensowenig ist es zulässig, eine spätere dritte Handlung als gleichzeitig mit den beiden ersten zu setzen. Alles, was man aus dem Beispiel zu folgern vermag, ist das, dass die Werturteile nicht unveränderlich sind und dass daher eine Wertskala, die aus mehreren — notwendigerweise ungleichzeitigen — Handlungen eines Menschen herausgelesen wird, Widersprüche enthalten kann [50] .

Man darf den logischen Begriff Konsequenz (gleich Folgerichtigkeit) dem praxeologischen Begriff Konsequenz (gleich Beständigkeit) nicht gleichsetzen. Folgerichtigkeit gibt es nur im Denken, Beständigkeit nur im Handeln.

Konsequenz im praxeologischen Sinne und Rationalität sind durchaus verschiedene Begriffe. Wenn die Wertungen sich geändert haben, wäre Festhalten an der einmal eingeschlagenen Handlungsweise nur um der Konsequenz willen nicht zweckmäßig sondern starrsinnig. Nur in einem kann Handeln konsequent (im praxeologischen Sinn) sein: im Vorziehen des Wichtigeren vor dem weniger Wichtigen. Wenn die Wertungen [83] sich ändern, muss sich auch das Handeln ändern. Konsequenz (Beständigkeit) unter veränderten Bedingungen wäre sinnlos. Das Denken muss folgerichtig und einheitlich geschlossen sein, weil das Gedankensystem Koexistenz seiner Teile impliziert. Im Handeln, das sich in der Zeit abspielt, ist für Folgerichtigkeit in diesem Sinne kein Raum. Handeln muss zweckmäßig sein, und die Zweckmäßigkeit verlangt unter geänderten Bedingungen wechselnde Einstellung.

Als eine Tugend handelnder Menschen wird die Geistesgegenwart gepriesen. Über Geistesgegenwart verfügt, wer so schnell zu denken und sein Handeln umzustellen vermag, dass die Zeitspanne zwischen dem Eintritt einer neuen Bedingung des Handelns und der Anpassung des Handelns an die vollzogene Änderung möglichst klein wird. Wenn man in der Konsequenz das Festhalten an einem einmal gefassten Plan ohne Rücksicht darauf, ob sich die Bedingungen geändert haben, erblicken will, dann sind Geistesgegenwart und schnelle Reaktion das Gegenteil von Konsequenz.

Wenn der Spekulant zur Börse geht, mag er einen Plan für seine Operationen entwerfen. Ob er an diesem Plan festhält oder nicht, sein Handeln bleibt darum rational auch in dem Sinne, den die, die rationales Handeln vom nichtrationalen Handeln scheiden wollen, dem Ausdrucke beilegen. Es kann geschehen, dass unser Spekulant im Verlaufe der Börsenzeit Geschäfte abschließt die ein Beobachter, der nicht auf die in der Marktlage vorgegangenen Änderungen achtet, nicht als Ausfluss konsequenten Vorgehens bezeichnen wird. Doch der Spekulant ist nichtsdestoweniger konsequent. Das, woran er konsequent festhält, ist die Absicht, zu verdienen und nicht zu verlieren. Dieser Absicht entsprechend, muss er, den wechselnden Gestaltungen der Marktlage und dem Wechsel seiner Auffassungen über die weitere Preisgestaltung entsprechend, sein Verhalten öfters ändern [51] .

Man mag die Dinge drehen und wenden, wie man will, es [84] kann doch nie gelingen, einen nicht von Werturteilen abhängigen Begriff eines «irrationalen » Handelns zu konstruieren. Nehmen wir an, es habe sich jemand vorgenommen, inkonsequent vorzugehen zu keinem anderen Zweck als dem, dem Praxeologen die Haltlosigkeit seines Standpunktes zu erweisen. Was hat sich da ereignet? Ein neues Ziel — die Widerlegung eines praxeologischen Satzes — ist aufgestellt worden, und diesem neuen Zweck zu Liebe wird anders gehandelt, als sonst gehandelt worden wäre oder als früher gehandelt worden war. Man hat zur Widerlegung der Praxeologie ein unzweckmäßiges Mittel gewählt, das ist alles.

 


 

5. KAPITEL: DAS HANDELN IN DER WELT

I. Das Handeln und die Quantität und Qualität der Mittel — Das Grenznutzengesetz

Der handelnde Mensch steht den Zuständen der Außenwelt, die seine Umwelt ist, niemals neutral gegenüber. Er wertet die bestehenden und die möglichen Zustände, er schätzt den einen höher, den andern weniger hoch, er zieht vor und stellt zurück. Wo er zwischen zwei Zuständen keinen Wertungsunterschied macht, wo er nicht verschieden wertet, sondern gleich wertet, handelt er nicht.

Das Handeln reiht und ordnet, es kennt nur die Ordnungszahl, nicht auch die Kardinalzahl. Doch die Welt, in der das Handeln zu wirken hat, ist eine Welt der Masse und Mengen. Diese Mengenbeziehungen der Außenwelt sind für das Handeln ein Datum. Wäre die Welt quantitätslos, könnten die Mittel nicht knapp, könnten sie mithin nicht Mittel sein. Dass einem bestimmten Quantum Ursache ein bestimmtes Quantum Wirkung zugeordnet ist, ist Bedingung für die Knappheit der Mittel.

Die Befriedigung wird vom handelnden Menschen immer als einer Art angesehen. Für die naturwissenschaftliche Betrachtung der Dinge von außen her stellen sich die Vorgänge, die das Unbefriedigtsein herabmindern, als recht verschiedenartig dar; das Handeln sieht in ihnen stets nur ein Mehr oder Weniger von gleicher Art. Indem der Handelnde die verschiedenartigsten Zustände wertet, stellt er sie in eine Reihe und erkennt in ihnen nur die Beziehung, die sie zu seinem Wohlbefinden haben. Die Befriedigung, die durch den Genuss [85] von Speise und Trank erzeugt wird, und die, die das Betrachten eines Kunstwerks vermittelt, sind für das Handeln mehr oder weniger wichtig, mehr oder weniger dringend und werden durch Vorziehen und Zurückstellen in eine Reihe eingeordnet. Für das Handeln gibt es originär weder Quantität noch Qualität, für das Handeln gibt es nur verschiedene Grade von Wichtigkeit.

Quantität und Qualität sind Kategorien der Außenwelt, nicht Kategorien des Handelns. Sie erlangen nur mittelbar für das Handeln Bedeutung. Weil jedes Ding nur ein begrenztes Maß von Wirkung zu leisten vermag, können Dinge zu Mitteln und knapp werden. Weil die Wirkung, die von den Dingen ausgeht, verschiedener Art ist, werden die Mittel nach Klassen unterschieden. Weil Mittel gleicher Art und Menge stets ein bestimmtes Quantum von Wirkung gleicher Art abgeben, macht das Handeln keinen Unterschied zwischen den konkreten Teilmengen gleichartiger Mittel. Doch das bedeutet keineswegs, dass es die einzelnen Teilmengen gleich wertet. Jede Teilmenge eines homogenen Vorrats wird anders gewertet als jede einzelne der übrigen Teilmengen, aus denen der Vorrat besteht. Jeder Teilmenge ist eine Ordnungszahl zugeordnet, doch diese Rangnummern dürfen zwischen den einzelnen Teilmengen beliebig vertauscht werden.

Hat das Handeln zwischen zwei oder mehreren verschiedenartigen Mitteln, die verschiedenartige Wirkungen abgeben, zu entscheiden, dann ordnet es die einzelnen Teilmengen dieser Mittel. Jeder Teilmenge wird eine Ordnungszahl zugewiesen, wobei es durchaus nicht notwendig ist, dass die einzelnen Teilmengen desselben Mittels mit unmittelbar aufeinanderfolgenden Rangnummern bedacht werden.

Die Zuteilung von Rangnummern erfolgt immer nur durch das Handeln und im Handeln, und es hängt von der Lage, in der zu handeln ist, ab, wie groß die Teilmengen genommen werden, denen eine einzige Rangnummer zugewiesen wird. Das Handeln hat es nicht mit irgendwelchen metaphysischen oder physikalischen Einheiten zu tun, über die es abstrakt akademische Werturteile fällt, sondern stets mit zwei Alternativen, zwischen denen es zu entscheiden hat. Die Wahl ist immer zwischen zwei Mengen von Mitteln zu treffen. Man kann die kleinste Teilmenge, über die eine Entscheidung gefällt werden kann, als Einheit bezeichnen. Doch man darf nicht dem Irrtum verfallen, anzunehmen, dass das Urteil über eine Summe von solchen Einheiten aus dem Urteil über die einzelne Einheit hervorgeht oder gar die Summe der Werte der einzelnen Einheiten ergibt.

[86]

Ein Wirt verfüge über 5 Einheiten des Gutes a und über 3 Einheiten des Gutes b. Den Einheiten von a seien in seiner Wertung die Rangnummern 1, 2, 4, 7 und 8 zugeordnet, den Einheiten von b die Rangnummern 3, 5 und 6. Das bedeutet: vor die Wahl gestellt, zwischen zwei Einheiten von a und zwei Einheiten von b zu entscheiden, wird er lieber auf 2 a als auf 2 b verzichten. Vor die Wahl gestellt, zwischen 3 a und 2 b zu entscheiden, wird er leichter auf 2 b denn auf 3 a verzichten. In der Wertung eines Vorrates wird eben stets der von diesem Vorrat abhängige Nutzen — die von der Verfügung über diesen Vorrat erreichbare Wohlfahrtssteigerung oder, was dasselbe ist, die von seinem Verlust abhängige Verringerung der Wohlfahrt — unmittelbar beurteilt. Es wird nicht addiert oder multipliziert, es wird der von dem Vorrat, über den zu entscheiden ist, abhängige Nutzen erwogen.

Nutzen sagt dabei nichts anderes als: Bedeutung für die Beseitigung oder Milderung von Unbefriedigtsein; der Handelnde hält ein Ding für ein brauchbares Mittel, Unbefriedigtsein zu beheben oder zu mindern, und bezeichnet das als den Nutzen, den das Ding bringt. Der Gebrauch, den die Praxeologie von dem Ausdruck Nutzen macht, gibt ihm keinen von dem Ausdruck Bedeutung für die Abstellung von Unbefriedigtsein verschiedenen Sinn. Der praxeologische Begriff Nutzen (der subjektive Gebrauchswert der Ausdrucksweise der älteren Österreicher) ist streng zu unterscheiden von dem technologischen Begriff Nutzen (vom objektiven Gebrauchswert der Ausdrucksweise der älteren Österreicher). Diese Unterscheidung ist der Ausgangspunkt der Gedankengänge der modernen Nationalökonomie.

Betrachten wir einmal die Problemlage, die zur Ausarbeitung der Lehre vom Grenznutzen geführt hat. Wer zum Aufbau einer elementaren Wert- und Preistheorie gelangen will, dem drängt sich der Gedanke, vom Nutzen der Güter auszugehen, mit unabweislicher Notwendigkeit auf. Nichts scheint selbstverständlicher zu sein, als dass die Güter ihres Nutzens wegen geschätzt werden. Doch da türmt sich eine Schwierigkeit auf, die man zunächst nicht zu beseitigen vermag. Man sieht eine Antinomie: Güter, die geringeren Nutzen geben, werden oft höher geschätzt als Güter, die höheren Nutzen bringen. Eisen wird niedriger geschätzt als Gold. Diesen Tatbestand vermag man mit dem Nutzgedanken nicht zu vereinbaren. Man glaubt, ihn preisgeben zu müssen, und versucht, auf anderen Wegen zu einer Wert- und Preislehre zu gelangen.

Verhältnismäßig spät erst erkennt man, dass die Antinomie, die man nicht zu erklären vermochte, auf einer falschen [87] Fragestellung beruhte. Die Wertungen und Wahlakte, die zur Bildung der Preise führen, entscheiden nicht zwischen dem Gold und dem Eisen. Der handelnde Mensch ist nicht in einer Lage, in der er Entscheidungen zwischen allem Gold und allem Eisen zu treffen hat. Er hat hier und heute zwischen einer begrenzten bestimmten Menge Gold und einer begrenzten bestimmten Menge Eisen zu wählen. Die Entscheidung, die er trifft, wenn er zwischen hundert Gramm Gold und hundert Meterzentner Eisen zu wählen hat, ist nicht abhängig von der Entscheidung, die er treffen würde, wenn er in die — wohl wenig wahrscheinliche — Lage käme, zwischen allem Gold und allem Eisen wählen zu müssen. Für die Entscheidung des Handelnden ist allein maßgebend, ob er den unmittelbaren oder mittelbaren Nutzen, der für ihn von der Verfügung über 100 Gramm Gold in seiner gegenwärtigen Lage abhängig ist, höher oder niedriger wertet als den unmittelbaren oder mittelbaren Nutzen, der für ihn von der Verfügung über 100 Meterzentner Eisen in seiner gegenwärtigen Lage abhängig ist. Er gibt kein akademisches oder philosophisches Urteil über den Wert von Gold oder Eisen ab, er erklärt nicht, ob Gold oder Eisen für die Menschheit wichtiger ist, er benimmt sich nicht wie der Geschichtsphilosoph oder wie der Moralkritiker, die theoretische Abhandlungen verfassen. Er wählt einfach zwischen zwei Befriedigungen, von denen ihm nur eine zugänglich ist.

Vorziehen und Zurückstellen und das aus ihnen hervorgehende Wählen sind kein Messen. Das Handeln misst nicht den Nutzen, es wählt zwischen verschiedenen Nutzen, zwischen denen in der gegebenen Lage zu entscheiden ist. Es gibt kein abstraktes Gesamtnutzen- oder Gesamtwertproblem. Es gibt keine Gedankenoperation, die von der im Wählen gesetzten Wertung einer kleineren oder größeren Menge oder Anzahl zur Ermittlung der Wertung einer größeren oder kleineren Menge oder Anzahl hinleiten könnte. Es gibt keine Feststellung des Wertes eines Gesamtvorrates, wenn man nur den Wert einzelner Teile kennt, über die in einem konkreten Wahlakt entschieden wurde; und es gibt keine Feststellung des Wertes eines Teilvorrates, wenn man nur den Wert des Gesamtvorrates kennt, über den in einem konkreten Wahlakt entschieden wurde. Es gibt im Werten keine Rechnungsoperationen und kein Rechnen mit Werten. Das Werturteil über die Gesamtvorräte zweier Güterklassen kann anders ausfallen als das über Teile oder Einheiten dieser Klassen und umgekehrt. Es mag ein isolierter Wirt, der sieben Kühe und sieben Pferde besitzt, ein Pferd höher schätzen als eine Kuh und sich von einer Kuh leichter [88] trennen als von einem Pferd; dennoch kann er, wenn er die Wahl hat, auf alle Kühe oder auf alle Pferde zu verzichten, den Verzicht auf die Pferde dem Verzicht auf die Kühe vorziehen. Dem Begriff des Gesamtwertes (Gesamtnutzens) oder Wertes (Nutzens) eines Gesamtvorrates kommt Sinn überhaupt nur im Hinblick auf eine Wahlhandlung zu, in der über den Gesamtvorrat zu verfügen ist. Damit die Frage, ob Gold oder Eisen wertvoller oder nützlicher ist, einen Sinn erhalte, müsste sie im Hinblick auf eine Lage gestellt werden, in der zwischen dem gesamten der Menschheit oder einem isolierten Teil der Menschheit zur Verfügung stehenden Vorrat von Gold und dem gesamten zur Verfügung stehenden Vorrat von Eisen zu wählen ist.

Ist nicht über den gesamten zur Verfügung stehenden Vorrat zu entscheiden, dann bezieht sich das Werturteil nur auf den Teilvorrat, über den gerade zu entscheiden ist. Da ein Vorrat ex definitione homogen ist, da jeder Teil geeignet ist, die gleiche Nutzwirkung abzugeben und daher an die Stelle jedes anderen Teils zu treten vermag, ist es ohne Bedeutung für die Wahlakte, ob im gegebenen Fall über diesen oder über jenen Teil zu entscheiden ist. Alle Teile — Einheiten — eines gegebenen Vorrats werden als gleich nützlich angesehen und gleich gewertet, wenn es darauf ankommt, über einen von ihnen zu verfügen. Wird der Vorrat um einen Teil — eine Einheit — verringert, dann wird neu zu entscheiden sein, in welcher Weise die zur Verfügung übrig gebliebenen Teile zu verwenden sind. Die Verwendung, die in der neuen Ordnung nicht mehr statthat, erschien dem Wahlakt als die mindest wichtige unter den früheren Verwendungen, und die Befriedigung, die von dieser Verwendung ausging, als die wenigst dringende Befriedigung. Die Schätzung einer Einheit aus einem gegebenen Vorrat erfolgt nach dem Nutzen, der von der Verwendung abhängt, die unter den Verwendungen, zu denen der Vorrat herangezogen wird, die mindest wichtige ist, d.i. nach der Wichtigkeit der Grenzverwendung, nach dem Grenznutzen.

Man bedarf zum Ausdrucke dieses Tatbestandes nicht der Sprache der Psychologie und zu seinem Beweise nicht der psychologischen Argumentation. Wenn wir sagen, dass für die Wahlakte nicht die Rangordnung der Bedürfnisgattungen, sondern die Rangordnung der einzelnen Bedürfnisregungen, der konkreten Bedürfnisse [52] , maßgebend sei, haben wir unserem [89] Wissen nichts hinzugefügt und haben nichts von dem Erkannten auf Bekannteres oder Allgemeineres zurückgeführt. Diese Ausdrucksweise wird uns überhaupt nur dann sinnvoll erscheinen, wenn wir uns daran erinnern, welche Rolle die vermeintliche Antinomie des Wertes in der Entwicklung des nationalökonomischen Denkens gespielt hat, und verstehen, dass es für Menger und Böhm-Bawerk darauf ankommen musste, die Bedenken zu zerstreuen, die gegen ihre Auffassung vom Standpunkte einer Lehre vorgebracht werden konnten, die Brot ohne Einschränkung als nützlicher ansah als etwa Seide, weil das Nahrungsbedürfnis vor dem nach schöner Kleidung stehe. Der Begriff Bedürfnisgattung ist durchaus überflüssig; es kommt ihm für die Ableitung der Sätze der Wert- und Preislehre keine Bedeutung zu. Die Unterscheidung der Wichtigkeit oder Rangordnung von Bedürfnisgattungen ist aber nicht nur überflüssig und bedeutungslos, sie führt irre. Denn das Wesen unserer Auffassung liegt gerade darin, dass festgestellt wird, dass eine Rangordnung von Bedürfnisgattungen für die Wertung nicht in Betracht kommt. Das Handeln weiß von ihr nichts, für das Handeln besteht sie nicht. Selbst wenn der Ausdruck Bedürfnis in den Gedankengängen der Wert- und Preislehre mehr wäre als eine bequeme, doch ungenaue und daher nicht immer unbedenkliche Bezeichnung für das Unbefriedigtsein, könnten wir mit dem Begriff der Bedürfnisgattung nichts anfangen. Begriffsbildungen und Klassifikationen empfangen ihre Bedeutung erst durch die Theorien, in denen von ihnen Gebrauch gemacht wird [53] . Welchen Sinn hat es, die Bedürfnisse in Gattungen zusammenzufassen, um dann festzustellen, dass die so gebildeten Klassen für die Wertung keine Rolle spielen?

Das Grenznutzenprinzip und das Gesetz vom sinkenden Grenznutzen sind auch unabhängig vom Gossen’schen Gesetz der Bedürfnissättigung (l. Gossen’sches Gesetz). Wir sprechen, wenn wir den Grenznutzen in unsere Lehre einführen, weder von Genuss noch von Sättigung. Wir bleiben im Rahmen unserer Lehre vom Handeln, wenn wir sagen: Ist ein Gut dergestalt teilbar, dass von jedem Teil die gleiche Nutzwirkung auszugehen vermag, dann nennen wir die Verwendung, die das Handeln setzt, wenn es über n Einheiten verfügt, die es aber nicht mehr setzen würde, wenn es caeteris paribus nur über [90] n-1 Einheiten verfügen würde, die mindest wichtige Verwendung oder die Grenzverwendung und den Nutzen, der von ihr ausgeht, den Grenznutzen. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, bedürfen wir keiner physiologischen oder psychologischen Erwägungen. Sie folgt notwendig aus unseren Annahmen: dass überhaupt gehandelt (gewählt) wird und dass in dem einen Fall über n Einheiten, im zweiten Fall über n-1 Einheiten eines homogenen Vorrats zu verfügen ist. Lassen wir diese Voraussetzungen gelten, dann ist ein anderes Ergebnis undenkbar. Unser Satz ist formal und aprioristisch und von keiner Erfahrung abhängig.

In einer Welt, in der dieses Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen nicht gelten würde, könnte es auch kein Handeln geben. Allgemeinste Voraussetzung des Handelns ist doch die dem Menschen gebotene Möglichkeit, durch bewusstes Verhalten einen Zustand von Unbefriedigtsein in einen Zustand von geringerem Unbefriedigtsein (höherem Befriedigtsein) zu verwandeln. Würde der Zustand, den das Handeln herbeiführen soll, nicht als befriedigender erscheinen als der Zustand, der bestehen würde, wenn nicht gehandelt worden wäre, dann wäre Handeln sinn- und zwecklos, dann würde nicht gehandelt werden. Wie auch immer der Mensch sich verhalten würde, er könnte an seiner Lage nichts bessern. Es würde keinen Nutzen geben: Nutzen nennen wir doch den abhängigen Zuwachs an Befriedigung (an Lust) oder die abhängige Abnahme des Unbefriedigtsein (der Unlust). Wenn überhaupt gehandelt werden soll, muss der Zustand, den das Handeln herbeiführen soll, befriedigender erscheinen als der Zustand, der ohne das Handeln bestehen würde. Da das Handeln nicht zur vollen Befriedigung, nicht zu einem Zustand voller Sättigung, in dem dann wieder nicht gehandelt wird, führt, da es satter macht, doch nicht ganz satt oder zumindest nicht dauernd ganz satt, kommen nur zwei Möglichkeiten in Betracht. Entweder gibt es zwischen dem Unbefriedigtsein, das das Handeln mildern will, und dem — unerreichbaren — Zustand der vollen Befriedigung nur einen Zwischenzustand, der durch das Handeln erreicht werden kann, oder es gibt zwischen dem Unbefriedigtsein, von dem das Handeln ausgeht, und dem Zustand voller Befriedigung verschiedene Stufen stärkerer und geringerer Sättigung. In jenem ersten Falle würde es nur eine Art von Handeln geben und nur ein einmaliges Handeln. Es bestünde keine Wahl zwischen verschiedenen Arten des Handelns; die Wahl wäre nur zwischen Handeln und Nichthandeln zu treffen. Ist dann einmal gehandelt worden, dann ist zwar nicht volle Befriedigung und Wunschlosigkeit eingetreten, doch ein Zustand, der, so [91] wenig befriedigend er auch sein mag, durch weiteres Handeln nicht mehr verbessert werden kann. Diese Alternative widerspricht somit unserer Annahme; sie enthält nicht mehr die allgemeine Bedingung, die alles Handeln voraussetzt. Es bleibt somit nur die andere Alternative: dass es verschiedene Stufen oder Grade der Annäherung an den Befriedigungszustand gibt, dass man zwischen einer besseren und einer weniger guten Behebung von Unbefriedigtsein unterscheidet. Dann aber ist das Grenznutzengesetz bereits in unserer Annahme enthalten gewesen. Wir haben es aus dem Begriff des Handelns, den wir unseren Gedankengängen zugrundegelegt haben, abgeleitet.

Auch da haben wir noch einmal festzustellen, dass die Unterscheidung von Bedürfnisgattungen überflüssig und irreführend ist. Zunächst sei bemerkt, dass die Unterscheidung der Bedürfnisgattungen durchaus willkürlich ist. Man pflegt von einem Nahrungsbedürfnis zu sprechen, indem man das Bedürfnis nach der Einverleibung von Fett, Eiweiß, Kohlenhydraten und mancherlei anderen Stoffen unter einen Ausdruck bringt. Die Ernährungsphysiologie wird diese Ausdrucksweise als recht naiv ansehen. Wenn man aber schon derartige Zusammenfassungen vornehmen will, warum dann nicht von einem Bedürfnis nach Erhaltung der Körperwärme sprechen, das nicht nur nach Nahrung sondern auch nach Behausung, Beheizung und Kleidung verlangt? Um das erste Cossen’sche Gesetz physiologisch und psychologisch zu beweisen, müsste man wohl mehr von Physiologie und Psychologie wissen, als die höchst oberflächlichen Ausführungen der Nationalökonomen enthalten. Man muss da klar sehen: Entweder stützen wir unsere Lehre auf physiologische und psychologische, aus der Erfahrung gewonnene Erkenntnis; dann müssen wir entweder selbst Physiologen und Psychologen werden, in Laboratorien gehen und Versuche anstellen, oder wir müssen die Psychologen und Physiologen ersuchen, diese Untersuchungen für uns vorzunehmen. Doch dann dürfen wir uns nicht damit begnügen, natur- und erfahrungswissenschaftliche Ausdrücke wie Genuss, Bedürfnis, Bedürfnisgattung und dgl. m. zu gebrauchen; wir müssen schon tiefer in das physiologisch-psychologische Material eindringen. Oder aber wir erkennen, dass unser Grenznutzengesetz mit Psychologie und Erfahrung überhaupt nichts zu tun hat. Dann haben wir die Aufgabe, zu zeigen, wie es aus unseren Grundannahmen abgeleitet werden kann.

Wenn man von einem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens in einem andern als dem formal-praxeologischen Sinn sprechen will, wenn man in ihm eine Aussage über das konkrete Verhalten erblicken will, dann müsste man ihm auch ein Gesetz des [92] zunehmenden Grenznutzens gegenüberstellen. Es kann sich ergeben, dass der Nutzen, der von der Verfügung über eine Mindestmenge — n Einheiten — eines Gutes a abhängig ist, den Nutzen, der von der Verfügung über eine Einheit des Gutes b abhängig ist, übersteigt; steht aber nur eine geringere Menge als n Einheiten von a zur Verfügung, dann kann von a nur ein anderer Gebrauch gemacht werden, wobei der von der verfügbaren Menge an a abhängige Nutzen niedriger bewertet wird als der von einer Einheit von b abhängige Nutzen. Die Vermehrung des Vorrates an a von n-1 auf n bedeutet dann Steigerung des Grenznutzens einer Einheit von a . Wer über hundert Bretter verfügt, kann eine Hütte errichten, die ihn vor den Unbilden der Witterung besser schützt als ein Regenmantel. Stehen ihm nur drei Bretter zur Verfügung, so mag er etwa diese als Liegestätte benützen können, um sich gegen die Feuchtigkeit des nackten Bodens zu schützen. Als Besitzer von 98 Brettern wäre er bereit, für die Erwerbung von 2 weiteren Brettern den Regenmantel zu opfern; als Besitzer von nur 3 Brettern würde er den Regenmantel auch für 90 Bretter nicht hergeben. Es mag jemand, dessen Ersparnisse 1000 Dollar betragen, nicht bereit sein, eine Mehrarbeit für ein Entgelt von 200 Dollar zu übernehmen; würde er 2000 Dollar besitzen und den dringenden Wunsch haben, ein unteilbares Gut, das 2100 Dollar kostet, zu erwerben, dann würde er selbst für 100 Dollar den in Betracht kommenden Dienst zu leisten bereit sein. An dem allen ist nichts, was im Widerspruch mit der Lehre stünde, dass die Wertung nach dem abhängigen Nutzen erfolgt.

Das Grenznutzenprinzip hat weder mit Bernouilli’s Lehre de mensura sortis noch mit dem Weber-Fechner’schen psychophysischen Grundgesetz irgend etwas zu tun. Bernouilli hat seinen Ausführungen die jedermann geläufigen Tatbestände zugrundegelegt, dass ein Reicher seine Bedürfnisse reichlicher befriedigen kann als ein Ärmerer und dass die wichtigeren Bedürfnisse vor den als weniger wichtig erachteten befriedigt werden. Von diesen Tatbeständen ausgehend, ist er jedoch wie alle früheren Denker, die dieselben Tatbestände sahen, keineswegs zur Ausbildung einer Lehre gelangt, die das Wesen des Handelns im Vorziehen und Zurückstellen erblickt und auf dieser Erkenntnis alles Weitere aufbaut. Er entwickelte vielmehr eine mathematische Lehre von der Abnahme des Lustzuwachses bei steigendem Gesamtvermögen, die nichts als phantastisches Gedankenspiel ist. Die Behauptung, dass es, falls nichts Ungewöhnliches dazwischen tritt, in hohem Grade wahrscheinlich sei, dass für jemand, der ein Einkommen von 5000 Dukaten hat, ein Dukaten gerade nur so viel bedeutet, wie für [93] jemand, der nur ein Einkommen von 2500 Dukaten hat, ein halber Dukaten, ist willkürlich. Es sei ganz davon abgesehen, dass es nicht angeht, die Wertschätzungen verschiedener Wirte zu vergleichen. Auch wenn Bernouilli analog die Wertschätzungen desselben Subjekts bei verschiedener Höhe des Einkommens zu bestimmen sucht, verfährt er nicht minder willkürlich. Bernouilli sieht nicht, dass alles, was man in dem von ihm behandelten Fall behaupten darf, das ist, dass mit steigendem Vermögen oder Einkommen jeder neue Zuwachs nur zur Abstellung eines als weniger drückend empfundenen Unbefriedigtseins verwendet werden kann und verwendet wird. Er sieht nicht, dass im Werten und Handeln nicht gemessen, sondern skaliert und vorgezogen und zurückgestellt wird [54] . So konnten denn auch weder Bernouilli selbst noch die Mathematiker und Nationalökonomen, die seine Auffassung übernommen haben, dazu gelangen, die Schwierigkeiten, die die vermeintliche Antinomie des Wertes bot, zu überwinden.

Gegen die Irrtümer, die durch die Vermengung der Gedankengänge des Weber-Fechner’schen Gesetzes und der subjektivistischen Wertlehre begangen werden, hat sich schon Max Weber mit großer Entschiedenheit gekehrt. Max Weber stand selbst der Nationalökonomie zu fern und war zu sehr in den Vorurteilen des Historismus befangen, als dass es ihm hätte gelingen können, das Wesen des nationalökonomischen Denkens richtig zu erfassen. Sein Genie hat ihn aber gerade in der Abhandlung, die er unserem Probleme gewidmet hat, den die volle Wahrheit enthaltenden Satz aussprechen lassen, «die Grenznutzenlehre, und überhaupt jede subjektive Wertlehre» wären «nicht psychologisch, sondern — wenn man dafür einen methodologischen Terminus will — pragmatisch fundamentiert, d.h. unter Verwendung der Kategorien: Zweck und Mittel». [55]

Wer zur Behebung einer pathologischen Störung des körperlichen Wohlbefindens eine Menge von p Einheiten eines Heilmittels einnehmen soll, wird durch das Einnehmen eines Mehrfachen nicht bessere Wirkung erzielen; die größere Gabe wird entweder nicht mehr wirken als die angemessene, als das Optimum, oder gar schädlich wirken. Das gilt aber von allen Arten der Befriedigung oder, wie man zu sagen pflegt, der Befriedigungsgattungen, mag auch mitunter das Optimum erst durch eine ziemlich große Gabe erreicht werden und mag auch [94] der Punkt, über den hinaus der Zusatz weiterer Gaben wirkungslos wird oder gar als schädlich erachtete Wirkungen hervorruft, weit hinausgeschoben sein. Es gilt von der Befriedigung, die durch Nahrungsmittel und Getränke, durch Häuser, durch Klaviere, durch Bücher, durch Reitpferde und durch Kraftwagen vermittelt wird. Das ist eben der Tatbestand, dass die Welt, in der der Mensch Unbefriedigtsein beheben und somit handeln will, eine Welt der Kausalitäten und quantitativen Beziehungen von Ursachen und Wirkungen ist. Wer das Unbefriedigtsein, das ihm der Aufenthalt in einem Raum bereitet, in dem das Thermometer nur 2 Grad über Null zeigt, beheben will, wird die Erwärmung des Raumes auf 15 oder 20 Grad anstreben. Es hat nichts mit dem Weber-Fechner’schen Gesetz zu tun, dass er den Raum nicht auf 100 oder 1000 Grad erhitzt haben will; mit Psychologie hat es nur insofern zu tun, als uns die Psychologie, wenn sie es kann, erklären mag, aus welchen Beweggründen ein Mensch in der Regel die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens der Krankheit und dem Tode vorzieht. Für die Praxeologie ist allein wichtig, dass der handelnde Mensch zwischen mehreren Alternativen zu wählen hat und wählt. Dass er an Scheidewegen steht, entscheiden muss und entscheidet, ist neben anderen Bedingungen auch dadurch bedingt, dass er in dieser Welt der Quantitäten lebt und nicht in einer — unserem Denken nicht vorstellbaren — quantenlosen Welt.

Man hat das Weber-Fechner’sche Gesetz mit dem Grundprinzip der subjektivistischen Wertlehre in Verbindung gebracht, weil man nicht auf die Befriedigung, sondern auf die Mittel, die zur Befriedigung führen, das Augenmerk richtete. Hätte man an die Befriedigung gedacht, dann hätte man nicht auf den absurden Gedanken verfallen können, die Gestaltung des Verlangens nach Wärme auf die Abnahme der Empfindung für Reize zurückzuführen. Dass ein normaler Mensch die Zimmerwärme nicht auf 40 Grad steigern will, hat nichts mit einer Abnahme der Empfindung für Wärmereize zu tun. Dass jemand darauf verzichtet, sein Zimmer auf den Wärmegrad zu bringen, den andere anstreben und den er wahrscheinlich auch anstreben würde, wenn ihm nicht eben die Beschaffung eines Anzuges oder das Anhören einer Beethoven’schen Symphonie wichtiger erscheinen würde, kann man nicht objektiv und naturwissenschaftlich erklären. Objektiv sind die einzelnen Nutzwirkungen zu erfassen, doch nicht die Wertung, die sie durch die Menschen erfahren.

Praxeologisch betrachtet ist das Gesetz vom Sinken des Grenznutzens nichts anderes als die Umkehrung des Satzes, [95] dass das Wichtigere dem Minderwichtigen vorgezogen wird. Wächst der verfügbare Vorrat von n-1 Einheiten auf n Einheiten, dann kann durch den Zuwachs nur ein Unbefriedigtsein abgestellt werden, das weniger lästig empfunden wird als das Unbefriedigtsein, das unter den mit Hilfe des Vorrates von n-1 Einheiten abgestellten am wenigsten lästig empfunden wird.

II. Das Ertragsgesetz

Wir haben gesehen, dass ein Mittel nur dann knapp sein kann, wenn von ihm nur eine begrenzte Wirkung ausgeht. Ursachen, die eine Wirkung, die wir als nützlich ansehen, in unbegrenzter Menge hervorrufen, könnten von uns nie als knapp angesehen werden, sie sind keine wirtschaftlichen Güter und werden nicht bewirtschaftet. Das gilt in der gleichen Weise von den Gütern der niedersten Güterordnung, die unmittelbar unser Wohlbefinden erhöhen, als auch von den Gütern höherer Güterordnungen, die unser Wohlbefinden nur mittelbar — auf dem Wege über Güter erster Ordnung, zu deren Hervorbringung sie Mittel sind, — erhöhen.

Begrenztheit der Wirkung, bedeutet dabei für Güter erster Ordnung: einer Menge a an Ursache entspricht in einem gegebenen Zeitabschnitt oder überhaupt eine Menge α an Wirkung. Für Güter höherer Ordnung, bedeutet es: einer Menge b an Ursache entspricht eine Menge β an Wirkung, wenn die komplementäre Ursache c die Menge γ an Wirkung abgibt; erst die vereinte Wirkung β und γ bringt das Gut erster Ordnung in der Menge p hervor. Wir haben hier drei Quantitäten vor uns: b und c der beiden komplementären Güter B und C und p des aus dem Zusammenwirken der beiden komplementären Güter hervorgegangenen Produkts D .

Bleibt die Menge b unverändert, dann nennen wir jenen Wert für c , bei dem p / c den höchsten Wert ergibt, das Optimum. Ergeben mehrere Werte für c diesen höchsten Wert, dann ist derjenige unter ihnen das Optimum, bei dem auch p den höchsten Wert ergibt. Werden die beiden komplementären Güter im Verhältnis des Optimums verwendet, dann geben ihre Elemente die höchste Nutzwirkung ab; sie werden voll ausgenützt, weil nichts von ihrer Wirkungsfähigkeit unbenutzt bleibt. Entfernen wir uns vom optimalen Mischungsverhältnis durch Vergrößerung der Menge des einen komplementären Produktionsfaktors, des C , lassen aber die Menge des andern, des B , unverändert, denn vermögen wir wohl in der Regel den Ertrag p zu steigern, doch bleibt die Ertragssteigerung in jedem Fall hinter [96] der Steigerung des Aufwandes an C zurück. Ist es überhaupt möglich, den Ertrag durch Vermehrung eines Faktors allein zu steigern, dann gilt jedenfalls: wird b unverändert gelassen, statt c aber cx aufgewendet, wobei x größer ist als 1, dann wird ein Ertrag von p 1 erzielt, wobei p 1 > p 1 und p 1 c < pcx . Denn würde jede beliebige Verkleinerung von b durch eine entsprechende Vergrößerung der auf die Einheit von B aufgewendeten Menge von C so wettgemacht werden, dass p unverändert bleibt, dann wäre die von dem komplementären Gute B ausgehende Wirkung unbegrenzt und B könnte nicht als wirtschaftliches Gut behandelt werden. Denn es wäre für den handelnden Menschen ohne Bedeutung, ob er über eine größere oder kleinere Menge von B verfügt; auch die kleinste Menge von B würde hinreichen, um jede beliebige Menge von D zu erzeugen, wenn entsprechende Mengen von C verfügbar sind. Anderseits könnte eine Vermehrung der verfügbaren Menge von B bei unverändertem Stande der verfügbaren Menge von C den Ertrag nicht steigern. Der ganze Erfolg der Produktion würde allein dem Gute C zugerechnet werden; B könnte nicht als wirtschaftliches Gut behandelt werden. Ein solches Ding, das unbegrenzte Wirkung abgibt, mögen wir etwa die Kenntnis des Kausalzusammenhanges nennen. Das Rezept, das uns zeigt, wie man aus Teeblättern, heißem Wasser und Arbeit Tee bereiten kann, gibt, wenn man es nur kennt, unbegrenzte Nutzwirkung ab; es verliert nichts von seiner Nutzwirkung, wenn man es noch so viel gebraucht, es ist unerschöpflich in seiner Wirkung und wird daher nicht bewirtschaftet. Der handelnde Mensch ist nie in einer Lage, in der er zwischen der von dem ihm bekannten Rezept ausgehenden Nutzwirkung und irgend einem andern Nutzen zu wählen hat.

Wir haben damit das Ertragsgesetz gewonnen, das besagt: für die Verbindung von komplementären wirtschaftlichen Gütern zur Produktion besteht ein optimales Mengenverhältnis. Entfernt man sich durch Vergrößerung der Menge nur eines der komplementären Güter von dem optimalen Mengenverhältnis, dann steigt der Ertrag entweder überhaupt nicht oder nicht in dem Masse, in dem der Aufwand wächst. Indem wir die Quantenhaftigkeit der Nutzwirkung als Voraussetzung dafür, dass ein Gut als wirtschaftliches Gut behandelt werde, erkannt haben, haben wir implizit schon ausgesagt, dass für die Kombination von komplementären Gütern ein Optimum gegeben sein müsse.

Das ist aber auch alles, was uns das Ertragsgesetz, das man gewöhnlich als das Gesetz vom abnehmenden Ertrag bezeichnet, lehrt. Ob bis zur Erreichung des Optimums der Ertrag, wenn [97] bei unveränderter Menge des einen Komplementärgutes die aufgewendete Menge des andern Komplementärgutes vergrößert wird, verhältnismäßig oder in stärkerem Masse steigt, kann a priori nicht entschieden werden.

Ist der Nutzeffekt, der von einem der Komplementärgüter ausgeht, nicht teilbar, dann ist das Optimum überhaupt das einzige Mischungsverhältnis, das zu dem angestrebten Erfolg führt, also das einzige, das Ertrag gibt. Um ein Stück Zeug auf eine bestimmte Farbe zu färben, bedarf es einer bestimmten Menge Farbstoff; ein Mehr oder Weniger an Farbe würde den Erfolg vereiteln. Wer mehr Farbe zur Verfügung hat, wird den Überschuss unverwendet lassen müssen; wer weniger Farbe zur Verfügung hat, wird nur einen Teil des Gewebes färben können. Das Sinken des Ertrages, von dem unser Gesetz spricht, tritt hier durch die vollständige Nutzlosigkeit der Zusätze an Farbe ein, die gar nicht verwendet werden dürfen, weil sie den Erfolg vereiteln würden.

In anderen Fällen wieder bedarf es eines bestimmten Mindestmasses an Nutzwirkung, um den kleinsten Erfolg zu erzielen. Zwischen diesem kleinsten Erfolg und dem Optimum liegt ein Spielraum, in dem Steigerung der Dosen entweder verhältnismäßige oder überverhältnismäßige Steigerung des Erfolges bewirkt. Damit eine Maschine überhaupt laufe, bedarf es eines Mindestaufwandes an Schmieröl. Ob Steigerung der Ölmenge bis zur Erreichung des Optimums die Leistungsfähigkeit der Maschine im Verhältnis des Zusatzes oder stärker erhöht, kann nur durch die Technologie, mithin nur a posteriori festgestellt werden.

Das Ertragsgesetz sagt uns nur, dass es für die Kombination der Produktionsfaktoren ein optimales Verhältnis gibt. Ob dieses Verhältnis nicht überhaupt das einzige ist, das zum Erfolg führt, sagt das Gesetz nicht. Dagegen sagt es uns, dass, wenn weitere Zusätze eines Faktors bei unveränderter Menge des andern Faktors den Erfolg überhaupt noch zu erhöhen vermögen, das nur in schwächerem Maße geschehen würde. Das Ertragsgesetz sagt ferner nichts darüber, ob bis zur Erreichung des Optimums der Ertrag mit dem Steigen des Aufwandes eines Faktors allein verhältnismäßig oder stärker steigt. Es sagt uns nichts darüber, ob es eine starre Grenze des Ertrags gibt, so dass weitere Zusätze überhaupt keine Ertragssteigerung mehr zu bewirken vermögen. Es sagt auch nichts darüber aus, ob das Sinken des Ertrages gleichmäßig oder ungleichmäßig vor sich geht. Wie die Kurve der Ertragssenkung verläuft, wenn caeteris paribus die Dosierung eines Produktionsfaktors über das Optimum hinaus erhöht wird, und [98] ob sie einen Punkt erreicht, an dem sie gleich null wird, kann nur a posteriori durch die Erfahrung gezeigt werden.

Das Ertragsgesetz selbst ist, wie aus dem Vorstehenden ersichtlich ist, a priori einzusehen. Aus den Bedingungen, die gegeben sein müssen, wenn ein Produktionsfaktor als wirtschaftliches Gut angesehen werden soll, ergibt sich auch das Ertragsgesetz. Man kann das Ertragsgesetz freilich auch noch anders ableiten, als es hier geschehen ist. Für logische Deduktionen apriorischer Beweisführung gibt es oft mehrere Wege.

Das Malthussche Bevölkerungsgesetz und die seiner Fortbildung dienenden Begriffe der absoluten Übervölkerung und Untervölkerung und des absoluten Bevölkerungsoptimums stellen die Anwendung des Ertragsgesetzes auf ein besonderes Problem dar. Weil man aus unwissenschaftlichen Gründen das Bevölkerungsgesetz ablehnen wollte, hat man das Ertragsgesetz, das man zunächst nur in der Gestalt des Gesetzes vom abnehmenden Bodenertrag kannte, leidenschaftlich, doch mit unzulänglichen Argumenten bekämpft. Diesen heute längst erledigten Auseinandersetzungen gegenüber ist nur festzustellen, dass es verfehlt ist, im Ertragsgesetz eine Besonderheit des Produktionsfaktors Boden zu erblicken. Verfehlt sind auch alle Versuche, das Ertragsgesetz, das Bodengesetz oder das Bevölkerungsgesetz empirisch zu beweisen oder zu widerlegen. Wer das Bodengesetz bestreitet, hätte die Verpflichtung, zu erklären, wieso es komme, dass für die Erwerbung von Grundstücken Preise bezahlt werden.

Man hat mitunter den Gedanken vertreten, dass dem vermeintlichen Bodengesetz — Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag — ein Gesetz vom zunehmenden Ertrag in der Industrie gegenüberstehe; es hat lange gebraucht, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass das Ertragsgesetz allgemein gilt und dass es sinnlos ist, hier zwischen Urproduktion und Verarbeitung grundsätzlich zu unterscheiden. Das, was man in höchst unzweckmäßiger, ja irreführender Ausdrucksweise als das Gesetz vom zunehmenden Ertrag bezeichnet, ist nichts als die Umkehrung des Ertragsgesetzes, eine andere Darstellung des Gesetzes vom sinkenden Ertrag. Wenn man sich, bei unveränderter Menge des einen Produktionsfaktors, dem Optimum durch Steigerung der Menge des anderen Produktionsfaktors annähert, steigen die Erträge entweder im Verhältnis der Steigerung des Aufwandes oder noch stärker. Eine Maschine mag etwa, wenn sie von 2 Arbeitern bedient wird, den Ertrag von p zu liefern, wenn von 3 Arbeitern bedient, den Ertrag von 3 p , wenn von 4 Arbeitern bedient, den Ertrag von 6 p , der das Optimum sei; 5 Arbeiter könnten etwa nur 7 p erreichen, 6 Arbeiter [99] aber überhaupt nicht mehr als 5 Arbeiter. Werden statt 2 Arbeitern 3 oder 4 eingestellt, dann steigen die Erträge stärker als im Verhältnis 2:3:4, nämlich im Verhältnis 1:3:6; wir haben hier überverhältnismäßig zunehmende Erträge. Doch das ist eben nichts anderes als die Kehrseite dessen, was das Gesetz vom sinkenden Ertrag aussagt.

Abweichungen von der optimalen Kombination der Produktionsfaktoren bewirken, dass ein Betrieb oder ein Unternehmen weniger leistungsfähig ist als Betriebe und Unternehmungen, die dem Optimum näherliegen. Wenn nicht vollkommen teilbare Produktionsfaktoren zu verwenden sind, was sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie sehr häufig der Fall ist, dann kann das Optimum in der Regel durch Vergrößerung des Betriebes leichter erreicht werden als durch Verkleinerung; wenn ein oder mehrere Produktionsfaktoren in ihrer kleinsten Einheit über die Masse eines kleinen oder mittleren Betriebes weit hinausgehen, dann kann es für diese überhaupt nur durch Vergrößerung des Betriebes erreicht werden. Die technische Überlegenheit der Erzeugung in großem Maßstab beruht vor allem auf diesem Tatbestand, dessen volle Tragweite die Behandlung der Kostenrechnung beleuchtet [56] .

III. Die menschliche Arbeit als Mittel

Den Einsatz menschlicher Lebensbetätigung als Mittel nennen wir Arbeit. Menschliche Lebensäußerung und Lebensbetätigung, die vom Menschen, dessen Leben sie zugehören, nicht Zielen und Zwecken, die außerhalb und jenseits dieser Lebensäußerung und Lebensbetätigung selbst liegen, dienstbar gemacht werden, sind nicht Arbeit; sie sind Leben schlechthin. Der Mensch arbeitet, indem er seine Kräfte und Fähigkeiten als Mittel für die Behebung von Unbefriedigtsein verwendet, indem er über das schlichte Dahinleben und Indentagleben hinausgeht, um zu wirken und zu bewirken. Arbeit ist als solche immer Mittel, nie Zweck.

Jeder einzelne Mensch verfügt nur über eine begrenzte Menge von Leistungskraft, und jede menschliche Arbeit vermag nur ein begrenztes Ausmaß an Erfolg zu bewirken. Wäre dem nicht so, dann wäre die menschliche Arbeit im Überfluss vorhanden, sie wäre nicht knapp und würde nicht als Mittel zur Steigerung des Wohlbefindens betrachtet und als solches bewirtschaftet werden.

[100]

In einer Welt, in der mit der Arbeit nur darum hausgehalten werden muss, weil sie im Hinblick auf die Zwecke, zu deren Erreichung sie als Mittel brauchbar ist, knapp ist, würde den Menschen jeweils ein Vorrat an Arbeit zur Verfügung stehen, der der gesamten Arbeitsmenge gleichkommt, die die Menschen überhaupt zu leisten vermögen. In einer so beschaffenen Welt würde jeder bis zur vollkommenen Verausgabung und Erschöpfung seiner Arbeitskraft arbeiten. Die Zeit, die nicht als Erholungszeit verstreichen muss, ehe die aufgebrauchte Arbeitskraft sich wieder erneuert hat, würde ganz der Arbeit gewidmet werden. Jede Nichtausnützung der vollen Arbeitskraft würde als Verlust angesehen werden. Durch Leistung einer Arbeit hätte man das Wohlbefinden steigern können; dass ein Teil des Arbeitspotentials ungenützt blieb, würde als Entgang an Wohlfahrtsgewinn erscheinen, der durch keinen anderen Wohlfahrtsgewinn aufgewogen wird. Der Begriff der Faulheit wäre unbekannt. Niemand würde sagen oder denken: ich könnte dies oder jenes machen; es steht jedoch nicht dafür; der Erfolg lohnt nicht den Aufwand; ich ziehe das Nichtstun vor. Jeder Arbeitsfähige würde vielmehr sein ganzes Arbeitspotential als einen Vorrat von Produktionsmitteln betrachten, dessen Nichtausnützung einer Vergeudung gleichkäme. Jeder Erfolg würde groß genug erscheinen, um den Aufwand noch verfügbarer Arbeit, für die im Augenblick sich keine wichtigere Verwendung bietet, zu rechtfertigen. Jeder Arbeiter würde bereit sein, um noch so geringen Lohn zu arbeiten, wenn er für den noch verfügbaren Teil seiner Arbeitskraft gerade keine lohnendere Verwendung findet, und wäre unzufrieden, wenn er nicht die Möglichkeit hätte, seine Arbeitsfähigkeit voll zu verwerten.

In der Welt, in der wir leben und handeln ist es anders. Arbeit wird als Unlust empfunden, und das Freisein von Arbeit erscheint als ein Zustand, der besser befriedigt als das Arbeiten. Die Mußezeit wird caeteris paribus der Arbeitszeit vorgezogen. Gearbeitet wird nur dann, wenn man den Ertrag der Arbeit höher bewertet als den Wohlfahrtsverlust durch Entfall von Muße. Wir drücken das aus, in dem wir sagen: die Arbeit ist mit Arbeitsleid verknüpft.

Psychologie und Physiologie mögen sich bemühen, diesen Tatbestand zu erklären. Wieweit ihnen das gelingen kann, kümmert die Praxeologie nicht. Die Praxeologie hat es einfach als ein Datum hinzunehmen, dass die Menschen Muße anstreben, und dass sie daher ihre eigene Leistungsfähigkeit mit anderen Augen betrachten und anders behandeln als die Leistungsfähigkeit sachlicher Produktionsmittel. Ob die Untersuchung der Probleme menschlichen Handelns unter der Annahme, dass [101] die Arbeit nicht als leidbringend betrachtet wird, wissenschaftliches Interesse erweckt, kann verschieden beurteilt werden. Zur Erfassung dessen, was in der wirklichen Welt, in der wir leben, vorgeht, können nur Gedankengänge führen, die mit der Tatsache des Arbeitsleides und des Strebens nach Muße rechnen.

Mit der Arbeitsfähigkeit wird anders gewirtschaftet als mit sachlichen Produktionsmitteln. Der handelnde Mensch bewirtschaftet seine Arbeit nicht nur in der Weise, dass er darauf bedacht ist, sie für die Befriedigung des Bedarfes zu verwenden, den er als den wichtigsten ansieht, sondern auch in der Weise, dass er darnach strebt, einen möglichst großen Teil des Arbeitspotentials ungenutzt zu lassen. Ehe Arbeit aufgewendet wird, wird nicht nur erwogen, ob es für sie keine dringlichere Verwendung gibt, sondern auch, ob es nicht besser wäre, auf die Aufwendung von Arbeit, die noch geleistet werden kann, überhaupt zu verzichten. Der Arbeitserfolg wird im Werturteil nicht nur dem Erfolg, der durch andere Verwendung der Arbeit erzielt werden könnte, gegenübergestellt, sondern auch dem Zustand der Nichtarbeit, der Muße.

Wir können diesen Tatbestand auch in der Weise ausdrücken, dass wir die Muße als ein Ziel menschlichen Handelns ansehen und die nichtverwendete Arbeitsfähigkeit als Arbeitsaufwand zur Erlangung der Muße bezeichnen. Wenn man sich dieser gekünstelten Ausdrucksweise bedient, muss man die Muße wie jedes andere wirtschaftliche Gut unter dem Gesichtswinkel des Grenznutzengesetzes sehen. Man muss dann sagen: Die erste Zeiteinheit an Muße befriedigt ein dringenderes Bedürfnis als die zweite, die zweite ein dringenderes als die dritte und so fort. Durch Umkehrung erhalten wir dann den Satz, dass das Arbeitsleid mit dem Zunehmen der Menge geleisteter Arbeit steigt.

Die Frage, ob das Arbeitsleid mit dem Fortschreiten der Verausgabung von Arbeit steigt oder ob es proportional der Menge der verrichteten Arbeit ist, hat jedoch für die Praxeologie keine Bedeutung. (Ob sie psychologisches und physiologisches Interesse bietet und ob Psychologie und Physiologie sie zu beantworten vermögen, soll dahingestellt bleiben.) In jedem Fall bricht der Arbeiter die Arbeit an dem Punkte ab, an dem die Lust, die der Arbeitsertrag bringt, die Unlust, die die Arbeit erweckt, nichtmehr übersteigt. Es wird dabei zwar, wenn wir von dem Rückgang des Ertrages infolge wachsender Ermüdung absehen wollen, jede Arbeitszeiteinheit der gleichen Ertragsmenge gegenüber gehalten wie die vorausgegangenen. Doch die Bedeutung dieser Menge wird mit dem Fortschreiten [102] der Arbeit und der Erträgnisse sinken. Die Erträgnisse der vorausgegangenen Arbeitszeiteinheiten haben Bedürfnisse befriedigt, die dringender erscheinen als die, für die durch die Erträgnisse der nachfolgenden Arbeitszeiteinheiten vorzusorgen ist. Diese weniger wichtigen Bedürfnisse mögen zu leicht befunden werden, auch wenn man sie demselben Ausmaße von auf die Arbeitszeiteinheit entfallendem Arbeitsleid gegenüberhält wie die dringenderen.

Ob wir annehmen wollen, dass das Arbeitsleid der Menge der geleisteten Arbeit proportional ist oder mit dem Wachsen dieser Menge steigt, ist für die praxeologischen Sätze, die wir zu entwickeln haben, ohne Bedeutung. Auf jeden Fall sinkt caeteris paribus mit dem Fortschreiten der Bedürfnisdeckung die Bereitschaft zur Ausnützung des noch übrigen Restes des verfügbaren Gesamtarbeitspotentials. Ob sie schneller oder weniger schnell sinkt, bleibt immer eine Frage der Daten, nicht eine Frage der praxeologischen Grundsätze.

Dass in der Wertung der Arbeit nicht nur der Nutzen, den die Arbeit durch Mitwirkung an der Produktion von wirtschaftlichen Sachgütern und durch Leistung persönlicher Dienste gewährt, geschätzt wird, sondern auch der Genuss, der im Freisein von Arbeitsplage, in der Muße, gefunden wird, erklärt nicht nur, warum die Menschen nicht das ganze verfügbare Arbeitsquantum aus sich herausholen. Es erklärt auch die geschichtliche Tatsache, dass mit dem Fortschreiten der kapitalistischen Wirtschaft und der durch sie erreichten Verbesserung der Bedarfsdeckung die Menge der vom Einzelnen geleisteten Arbeit im Vergleich zu der gesamten Arbeitsmenge, die er zu leisten fähig wäre, im Allgemeinen sinkt. Die tägliche Arbeitszeit wird verkürzt, weil auf der einen Seite mit dem Wachsen der Ergiebigkeit der Arbeit die Bedeutung, die dem Ertrag zusätzlicher Arbeit beigemessen wird, immer kleiner wird, obwohl die Menge des durch die zusätzliche Arbeit Geleisteten zunimmt, und weil auf der anderen Seite die Bedeutung der zusätzlichen Mußezeiteinheit in dem Masse zunimmt, in der für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse besser vorgesorgt wurde. Damit wird auch die Frage, die Philosophen und Menschenfreunde oft gestellt haben, ob nämlich der wirtschaftliche Fortschritt die Menschen. glücklicher gemacht habe, soweit beantwortet, als man sie überhaupt beantworten kann. Wäre die Arbeit weniger ergiebig, als sie unter den gegebenen Umständen ist, dann würden die Menschen entweder mehr Arbeitsleid auf sich nehmen oder auf manche Befriedigung verzichten müssen.

[103]

Der praxeologische Grundsatz, dass das Handeln das Wichtigere dem als minderwichtig Erachteten vorzieht, und dass die Güter nach dem von ihnen abhängigen Nutzen geschätzt werden, bedarf keiner Berichtigung oder Ergänzung durch eine Lehre vom Arbeitsleid. In der Aussage, dass ein Zustand höherer Befriedigung einem solchen geringerer Befriedigung vorgezogen wird, ist schon die Aussage enthalten, dass eine Arbeit nur dann der Muße vorgezogen wird, wenn die Befriedigung, die das Produkt der Arbeit gewährt, der Befriedigung, die die Muße gewähren würde, vorgezogen wird.

Man hat daher im Entgegenkommen der Arbeitsleidtheorie gegenüber nicht soweit zu gehen, wie es Böhm-Bawerk tat, indem er einräumte, dass es vom allgemeinen Gesetz, dass die Schätzung eines Gutes sich nach dem abhängigen Nutzen richte, eine Ausnahme gebe, wenn nämlich Gelegenheit vorhanden sei, ein Ersatzgut lediglich um den Preis eines zusätzlichen Leides zu erkaufen, und wenn dieses Leid kleiner sei als der positive Grenznutzen des Gutes [57] . Auch in diesem Fall werden zwei Güter verglichen: die Muße, die hingegeben werden müsste, wenn man das Ersatzgut beschaffen will, und die Befriedigung, die von dem Ersatzgut ausgeht [58] .

Die Sonderstellung, die dem Produktionsfaktor Arbeit in unserer Welt zukommt, liegt in seinem nicht spezifischen Charakter. Alle naturgegebenen sachlichen Produktionsmittel haben spezifischen Charakter; es gibt Zwecke, für deren Erreichung sie mehr oder weniger brauchbar sind, und solche, für die sie überhaupt nicht geeignet sind. Doch menschliche Arbeit ist für die Durchführung aller denkbaren Produktionen erforderlich und geeignet.

Es ist allerdings unzulässig, von menschlicher Arbeit im Allgemeinen zu sprechen und nicht zu beachten, dass die Menschen verschieden sind, dass ihre Arbeit verschiedener Art ist, und dass die Arbeit mancher Menschen für manche Zwecke besser, für andere Zwecke weniger und für noch andere Zwecke gar nicht brauchbar ist. Es war einer der Irrtümer der klassischen Nationalökonomie, dass sie diesen Umstand nicht gewürdigt hat, und dass sie ihm im Aufbau ihrer Lohntheorie und ihrer Preistheorie nicht Rechnung getragen hat. Die Menschen wirtschaften nicht mit Arbeit schlechthin, sondern mit den verschiedenen Arten von Arbeit, die ihnen zur Verfügung stehen. Löhne werden nicht für Arbeit schlechthin gezahlt, sondern für [104] Leistungen (Arbeitsergebnisse), die verschiedener Art sind und nicht von jedem Arbeiter geleistet werden können. Man darf sich über diesen Tatbestand nicht mit der Berufung darauf hinwegsetzen, dass die «ungelernte» oder «unqualifizierte» Arbeit, die jeder gesunde Mensch zu leisten fähig wäre, den größten Teil des Bedarfes an Arbeit decke und dass die «qualifizierte» Arbeit gewissermaßen als Ausnahmeerscheinung zu betrachten wäre. Es mag unerörtert bleiben, ob dies für die Verhältnisse, unter denen unsere Vorfahren vor vielen Jahrtausenden zu wirtschaften hatten, zugetroffen hat und ob nicht schon in den Horden der Urmenschen der Ungleichheit der angeborenen und der erworbenen Arbeitsfähigkeit in der Bewirtschaftung der Arbeit die entscheidende Rolle zukam. Wenn man von der Bewirtschaftung der Arbeit in der Kulturmenschheit sprechen will, darf man von der Qualitätsverschiedenheit der Arbeit nicht absehen. Die Arbeit, die die einzelnen Menschen zu leisten vermögen, ist verschieden, weil die Menschen von Geburt aus verschieden sind und weil sie durch ihre Erziehung und durch ihre Erlebnisse noch weiter differenziert werden.

Wenn wir vom nichtspezifischen Charakter der menschlichen Arbeit sprechen, wollen wir nicht etwa behaupten, dass die menschliche Arbeit gleicher Art sei. Wir wollen damit nur den Tatbestand ausdrücken, dass die Verschiedenheit der Arbeitsleistungen, die für die Herstellung der verschiedenen Produkte erfordert werden, größer ist als die Verschiedenheit der angeborenen menschlichen Befähigung, Arbeit zu verrichten. (Wir müssen dabei von der schöpferischen Leistung des Genies, die in keiner Hinsicht in den Rahmen der Wirtschaft hineingepresst werden kann und der Menschheit gewissermaßen als ein Geschenk der Natur in den Schoss fällt, absehen [59] . Wir müssen auch von institutionellen Hemmnissen, die den Zutritt zu einzelnen Zweigen der Arbeitschulung erschweren, absehen.) Die zoologische Einheit der Spezies Mensch wird durch die Ungleichheit der einzelnen Individuen nicht so sehr durchbrochen, dass nicht für jede einzelne Art von Arbeit ein potentielles Angebot zur Verfügung stünde, das über den Umfang der Nachfrage hinausgeht. Jede Art von Arbeit könnte durch Heranziehung von Menschen, die andere Arbeit leisten, vermehrt werden. Das Ausmaß der Befriedigung und Bedürfnisdeckung wird in keinem Zweige der Produktion dauernd dadurch begrenzt, dass ein Mangel an Menschen besteht, die zur [105] Leistung einer bestimmten Art von Arbeit geeignet sind. Nur zeitweilig kann ein Mangel an Spezialisten auftreten, der durch die Schulung von Menschen, die über die erforderlichen angeborenen Eigenschaften verfügen, schließlich behoben werden kann.

Weil die Arbeit einerseits in diesem eingeschränkten Sinne nicht spezifischen Charakter hat und weil anderseits für jede Produktion Arbeit benötigt wird, ist sie das knappste unter allen ursprünglichen Produktionsmitteln. Die Knappheit der übrigen, der außermenschlichen ursprünglichen Produktionsmittel wird für den handelnden Menschen zu einer Knappheit der mit geringstem Arbeitsaufwand nutzbar zu machenden ursprünglichen sachlichen Produktionsmittel [60] . Das Maß der verfügbaren Arbeit entscheidet darüber, in welchem Maß der Produktionsfaktor außermenschliche Natur in jeder einzelnen seiner Spielarten zur Bedarfsdeckung herangezogen wird.

Wird die Menge an Arbeit, die die Menschen leisten wollen und können, vermehrt, dann wird auch mehr produziert werden; Arbeit kann nicht brachliegen, weil kein wohlfahrtmehrender Gebrauch von ihr zu machen wäre. Der isolierte Wirt, der mehr arbeiten kann und will, findet immer noch die Möglichkeit, durch Mehrarbeit seine Bedürfnisse besser zu befriedigen, und auf dem Arbeitsmarkte findet sich für jeden, der Arbeit leisten will, ein Käufer, der die Arbeit zu entlohnen bereit ist. Überfluss an Arbeit kann es nur auf Teilarbeitsmärkten geben; er führt zu Abdrängen von Arbeit auf andere Teilarbeitsmärkte und irgendwo im Wirtschaftsgefüge notwendigerweise zu Erweiterung der geleisteten Arbeitsmenge und Erhöhung der Produktion. Dagegen könnte eine Vermehrung des verfügbaren Bodens durch Boden, der nicht ergiebiger ist als der Grenzboden, die Produktion caeteris paribus nicht erhöhen. [61] Das gleiche gilt aber auch von den produzierten sachlichen Produktionsmitteln. Es wäre Verschwendung von Arbeit, wollte man alle verfügbare Produktionskapazität von Anlagen ausnützen, wenn die erforderlichen Arbeitsmengen einer Verwendung zugeführt werden können, in der sie dringenderen Bedarf zu befriedigen vermögen.

Komplementäre Produktionsmöglichkeiten können eben nur [106] soweit ausgenützt werden, als es die Menge desjenigen Faktors gestattet, der unter ihnen am knappsten ist. Nehmen wir an, dass zur Erzeugung einer Einheit von p erforderlich sind: 7 Einheiten von a und 3 Einheiten von b, und dass weder a noch b eine andere Verwendung zulassen als die zur Erzeugung von p . Stehen nun 49 a und 2000 b zur Verfügung, dann kann man höchstens 7 p erzeugen. Die verfügbare Menge von a entscheidet über das Ausmaß der Ausnützung von b. Nur a wird als wirtschaftliches Gut behandelt, nur für a werden Preise bewilligt, der volle Preis von p wird für a gezahlt. Dagegen wird b als freies Gut angesehen, es ist wertlos und man zahlt keine Preise dafür; man hat Überfluss an b, d.h. es gibt Mengen von b, für die man keine Verwendung hat.

Wir können versuchen, eine Welt zu denken, in der alle sachlichen Produktionsmittel so vollkommen ausgenützt werden, dass für einen Teil der Menschen und für einen Zuwachs an Menschen keine Verwendung im Produktionsverfahren mehr zu finden ist. In dieser Welt besteht Überfluss an Arbeit, da durch Einstellung eines neuen Arbeiters keine Steigerung der Produktion erzielt werden kann. Nehmen wir an, dass alle Arbeiter gleiche Fähigkeit und gleichen Fleiß aufweisen, und sehen wir vom Arbeitsleid ab, dann wäre die Arbeit in dieser Welt freies Gut. Wenn diese Welt sozialistisch organisiert ist, würde man in der Vermehrung der Bevölkerung einen Zuwachs an unnützen Essern sehen. Wenn sie marktwirtschaftlich organisiert ist, würde man keine Löhne zahlen, die ausreichen, um das Leben des Arbeiters auch nur notdürftig zu fristen. Die Arbeitsuchenden würden um jeden Lohn, mag er auch so niedrig sein, dass er zur Erhaltung des Lebens nicht ausreicht, bereit sein, zu arbeiten; sie müssten zufrieden sein, den Tod ein wenig hinauszuschieben.

Wir brauchen uns bei den Paradoxien dieser Hypothese nicht länger aufzuhalten und können es uns ersparen, die gesellschaftlichen Probleme einer derartigen Welt zu erörtern. Die Welt, in der wir leben, ist anders beschaffen. In ihr ist die Arbeit knapper als die sachlichen Produktionsmittel. Wir wollen dabei an dieser Stelle nicht auf die Frage des optimalen Verhältnisses zwischen Arbeit und sachlichen Produktionsmitteln eingehen. Wir haben allein den Tatbestand zu betrachten, dass es sachliche Produktionsmittel gibt, die nicht ausgenützt werden, weil für die Arbeitskräfte, die zu ihrer Ausbeutung erforderlich wären, dringendere Verwendung gegeben ist. In der Welt, in der wir leben, gibt es keinen Überfluss, sondern Mangel an Arbeit und brachliegende sachliche Produktionsmöglichkeiten.

[107]

Dieser Zustand könnte nur dadurch beseitigt werden, dass die Vermehrung der Menschen so weit fortschreitet, dass alle Produktionsmöglichkeiten oder zumindest die, die für die Erzeugung der zur Fristung des menschlichen Lebens im strengen Sinne des Wortes unentbehrlichen Nahrungsmittel erfordert werden, voll ausgenützt werden. Keineswegs aber kann er, ehe dieser Punkt erreicht wird, durch Verbesserung der Produktionsverfahren, die den Ertrag der menschlichen Arbeit steigern, behoben werden. Wenn Verfahren, die mehr Arbeit beanspruchen, durch Verfahren, die den gleichen Erfolg durch Aufwendung geringerer Arbeitsmengen erzielen, ersetzt werden, entsteht kein Überfluss an Arbeit und an Arbeitern, solange noch sachliche Produktionsmöglichkeiten, deren Heranziehung zur Produktion die Wohlfahrt von Menschen erhöhen kann, unausgenützt bleiben. Man zieht dann mehr sachliche Produktionsmöglichkeiten heran und erhöht so die Menge der Produkte. Arbeitsparende Erzeugungsverfahren bringen verbesserte Bedürfnisbefriedigung und nicht etwa «technologische Arbeitslosigkeit».

Nur im Schlaraffenland, in dem die gebratenen Tauben den Menschen in den Mund fliegen, gibt es Genussgüter deren Herstellung keine Arbeit erfordert. Jedes Genussgut ist in unserer Welt ein Produkt, zu dessen Herstellung auch Arbeit als komplementäres Produktionsmittel benötigt wird. Doch anderseits gibt es keine Arbeit, die ohne Aufwand an sachlichen Produktionsmitteln geleistet werden könnte. Gewirtschaftet wird daher nicht nur mit der Arbeit, sondern auch mit sachlichen Produktionsmitteln. Nicht nur Arbeit ist knapp; auch die sachlichen Produktionsmittel sind es.

Man kommt der Lösung der Wirtschaftsprobleme und der Erklärung der Wertung nicht um einen Schritt näher, wenn man, an die Gedankengänge der Arbeitswertlehre anknüpfend, darauf hinweist, dass die Knappheit der ursprünglichen sachlichen Produktionsmittel in der Regel nur als Knappheit der mit geringerem Aufwand an Arbeit nutzbar zu machenden ursprünglichen sachlichen Produktionsmittel gegeben ist. Selbst wenn man zugeben wollte, dass der Umfang jeder Art von Bedürfnisbefriedigung allein vom Aufwand der Arbeit abhängt, und nicht beachten wollte, dass es Produktionszweige gibt, in denen auch die Erhöhung des Arbeitsaufwandes nicht imstande wäre, die Versorgung zu verbessern, und selbst wenn man von der Bedeutung des Zeitmoments abzusehen bereit wäre, muss man erkennen, dass man auf diesem Wege Handeln, Werten und Preisbildung nicht begreifen kann. Die Produkte werden nicht geschätzt, weil auf sie Arbeit verwendet wurde; weil die [108] Produkte geschätzt werden, verwendet man Arbeit (und sachliche Produktionsmittel) auf ihre Herstellung. Man kann die Arbeitsmenge auch nicht zum Maß des Wertes und der Wertung nehmen; Wertungen können nicht gemessen werden.

Man kann die Arbeitsmenge aber auch nicht zum Ausdruck des objektiven Tauschwertes der Güter machen. Auch wenn wir von dem unüberwindbaren Hindernis, das die Verschiedenheit der Arbeitsqualität der Arbeitsstundenrechnung entgegenstellt, absehen wollten, müssen wir einsehen, dass die Gedankengänge der Arbeitswertlehre sich im Kreise bewegen. Denn nicht auf die wirklich geleistete Arbeitsmenge kann es dabei ankommen [62] , sondern auf die, die man für die Erlangung des Produkts aufzuwenden bereit wäre, weil man eine dringenderen Bedarf befriedigende Verwendung für sie nicht zu finden vermag. Die Aussage der Arbeitswertlehre reduziert sich somit auf die Feststellung: das Handeln ist bestrebt, die verfügbare Arbeit — aber auch alle anderen verfügbaren Produktionsmittel — so zu verwenden, dass der dringlichere Bedarf vor dem weniger dringlicheren befriedigt werde.

A. Mittelbarer und unmittelbarer Arbeitsgenuss

Mitunter können auch spontane Lebensäußerungen, die freier Ausfluss menschlicher Lebenskräfte sind und als solche das Wohlbefinden des Menschen, dessen Leben sie zugehören, unmittelbar erhöhen, zugleich auch Mittel für weitere menschliche Zwecke darstellen. Sie bringen unmittelbaren Genuss an sich und darüber hinaus als Mittel zu weiteren Genüssen auch mittelbaren Genuss. Betrachtet man sie im Hinblick auf diese mittelbare Wirkung als Arbeit, dann hat man zu sagen: sie geben unmittelbaren und mittelbaren Arbeitsgenuss zugleich.

Man hat die Bedeutung, die diesem Tatbestand im menschlichen Leben zukommt, oft übertrieben und hat diese Verkennung des Sachverhalts zum Ausgangspunkt ausschweifender Reformphantasien gemacht. Man hat nicht beachtet, dass in vielen Fällen, in denen man an unmittelbaren Arbeitsgenuss denkt, die Dinge durchaus anders liegen, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt.

Jene Betätigung, die unmittelbaren Genuss bringt, ist von der Arbeit, die um des mittelbaren Arbeitsgenusses willen geleistet wird, oft durchaus verschieden, und nur eine sehr oberflächliche Betrachtung vermag diese Verschiedenheit zu verkennen. Das Rudern, das dem Sonntagsruderer Vergnügen bereitet, ist physikalisch dem Rudern der Schiffer, Ruderknechte und Galeerensklaven gleich; als Mittel zu Zwecken, d.h. im Hinblick auf seine Nutzwirkung [109] betrachtet, ist es von diesem so verschieden wie die Opernarie, deren Melodie ein Spaziergänger hersummt, von dem Vortrag des Sängers im Opernhaus. Dem Sonntagsruderer und dem singenden Spaziergänger bringt die Betätigung zwar unmittelbaren Genuss, doch keinen weiteren mittelbaren Genuss [63] . Sie ist daher nicht Arbeit — Einsatz menschlicher Lebensbetätigung als Mittel zu Zielen und Zwecken, die außerhalb dieser Lebensäußerung selbst liegen, — sondern einfach Vergnügen; sie genügt sich selbst und wird um ihrer selbst willen unternommen, obwohl sie keinen weiteren Nutzen stiftet. Man darf daher hier auch nicht von unmittelbarem Arbeitsgenuss sprechen.

Sehr oft glaubt der Beschauer, dass eine von anderen Leuten verrichtete Arbeit unmittelbaren Arbeitsgenuss gewähren müsse, weil er sich an einem Spiel, das jene Arbeit äußerlich nachahmt, gerne vergnügen würde. Wie die Kinder bald Schule, bald Soldaten, bald Eisenbahn spielen, so möchten auch die Erwachsenen einmal dies und einmal das spielen und glauben, dass dem Lokomotivführer das Bedienen und Lenken der Lokomotive ebensoviel Spaß machen müsse wie ihnen, wenn sie einmal mit der Lokomotive spielen dürften. Wie gut hat es der Schutzmann, der für bloßes Auf- und Abgehen besoldet wird, denkt der in das Kontor eilende Buchhalter; wie gut hat es der Buchhalter, der in der warmen Stube auf bequemem Stuhl einige Schreiberei zu leisten hat, die man doch nicht als Arbeit ansehen kann, denkt der Schutzmann. Doch den Äußerungen derer, die das Wesen fremder Arbeit verkennen und in ihr nur angenehmen Zeitvertreib erblicken wollen, hat man keine weitere Beachtung zu schenken.

Es gibt aber auch echten unmittelbaren Arbeitsgenuss. Manche Arten von Arbeit sind so beschaffen, dass eine geringe Menge davon unter Umständen dem Arbeiter auch unmittelbaren Arbeitsgenuss bereitet. Doch diese Mengen sind so klein, dass sie im Gesamtsystem der menschlichen Wirtschaft keine Rolle spielen. Die Welt des Handelns steht im Zeichen des Arbeitsleids, das nur um des mittelbaren Arbeitsgenusses willen überwunden wird.

Wo eine Betätigung unmittelbaren Arbeitsgenuss und nicht Arbeitsleid bringt, wird für sie kein Lohn gezahlt; im Gegenteil: der «Arbeiter» muss für den Genuss dem zahlen, dem er ihn verdankt. Das Jagen von Wild war und ist für viele Menschen auch heute leidbringende Arbeit. Doch es gibt Jagdliebhaber, denen es unmittelbaren Arbeitsgenuss bringt. Für den Abschuss von Wild zahlt daher der Jäger dem Jagdberechtigten ein Schussgeld. Ein erlegter Gamsbock, der zur Verwertung des Fleisches, der Haut und der übrigen Teile bereit liegt, ist daher nicht mehr, sondern weniger wert als ein noch im Revier schweifender, obwohl man beträchtliche Kletterleistung und einiges Material aufwenden muss, um den Bock zur Strecke zu bringen. Man kann sagen: eine der Nutzwirkungen, die ein (lebender) Gamsbock abzugeben vermag, ist die, dem Jäger das Vergnügen des Abschusses zu bereiten.

B. Die bahnbrechende Leistung

Aus den Millionen und Hunderten von Millionen, die kommen und gehen, ragen die Bahnbrecher hervor, die Männer, die durch ihr Denken und Gestalten [110] den Menschen neue Wege erschließen. Für diese Bahnbrecher [64] ist das Schaffen innere Lebensnotwendigkeit. Sie denken und bilden, nicht um mittelbaren Arbeitsgenuss zu erlangen, nicht um des Lohnes und der Anerkennung willen, sondern weil sie ihr Leben, das Leben, wie sie es verstehen, nur so zu leben wissen. Sie schaffen, weil sie nicht anders können, und sie verzichten daher auch dann nicht auf die Betätigung ihrer Schöpferkraft, wenn man sie durch Gewalt und heimtückische Verfolgung zum Schweigen bringen will.

Diese schöpferische Betätigung einzelner Ausnahmenaturen kann man durch die praxeologische Kategorie der Arbeit nicht erfassen. Sie ist nicht Arbeit, weil sie ihrem Urheber nicht Mittel, sondern Ziel und Zweck ist; im Schaffen, im Hervorbringen sucht er zu leben und zu wirken; nicht das Werk und nicht die Schöpfung sind ihm Ziel, sondern das Schaffen. Sein Werk bringt ihm weder mittelbaren Arbeitsgenuss, noch unmittelbaren. Nicht mittelbaren Arbeitsgenuss weil die Mitmenschen ihm im günstigsten Fall gleichgültig gegenüberstehen, nicht selten aber es durch Hohn und Spott und durch Feindseligkeiten und Verfolgungen schlimmster Art lohnen. Mancher geniale Mann hätte seine Gaben gebrauchen können, um sein Leben angenehm und genussreich zu gestalten; doch er zog diese Möglichkeit gar nicht in Betracht und wählte ohne Zögern den Dornenpfad. Der Bahnbrecher strebt das zu vollbringen, was er als seine Sendung ansieht, auch wenn er weiß, dass er dabei den Untergang finden wird.

Doch auch unmittelbarer Arbeitsgenuss ist dem schöpferischen Denker und Gestalter versagt. Sein Schaffen bringt ihm Qualen und Leiden, es ist ein unaufhörliches peinvolles Ringen mit inneren und äußeren Widerständen , es verzehrt und zermalmt ihn. Grillparzer hat das in seinem Gedicht «Abschied von Gastein» in ergreifender Weise geschildert, und man wird wohl annehmen dürfen, dass er dabei nicht nur an sein eigenes Leid gedacht hat, sondern auch an das größere Leid eines Größeren, an Beethoven, dessen Schicksal dem seinen glich und den er durch die Kraft verehrender Liebe und ahnungsvoller Einfühlung besser verstand als die übrigen Mitbürger und Zeitgenossen. Auch das Bild der Flamme, das Nietzsche gebraucht hat, verdeutlicht den Tatbestand, der mit den Inhalten, die die Menschen den Begriffen Arbeit und Plage, Erzeugung und Erwerb, Genuss und Lebensunterhalt geben, nichts gemein hat.

Das Ergebnis der Arbeit des schöpferischen Bahnbrechers, seine Gedankengänge, Dichtungen, Gebilde und Tongefüge, sind daher praxeologisch auch nicht als Produkte menschlicher Arbeit anzusehen. Sie sind nicht das Ergebnis der Verwendung von menschlicher Arbeit, die auch für die Erzeugung von anderen Gütern verwendet werden könnte, für die «Erzeugung» von Meisterwerken des Denkens und der Kunst. Denker und Künstler sind nicht selten für alle andere Art von Arbeit untauglich. Jedenfalls aber werden Zeit und Mühe, die sie der schöpferischen Betätigung widmen, nicht anderer Verwendung und Nutzung ihrer Kräfte und Fähigkeiten entzogen. Die Verhältnisse mögen einen Mann, der Unerhörtes schaffen könnte, unfruchtbar machen, indem sie [111] ihm nur die Wahl lassen, zu verhungern oder seine ganze Kraft der Gewinnung des Lebensunterhaltes zu widmen. Doch wenn er dazu gelangt, sein Werk zu vollbringen, dann hat er niemand andern als sich selbst die «Kosten» tragen lassen. Goethe ist vielleicht durch seine Ämter am Weimarer Hofe in mancher Hinsicht gehemmt worden; doch sicher hätte er als Minister, Hofkavalier und Theaterdirektor nicht mehr leisten können, wenn er sein Werk nicht vollbracht hätte.

Die Leistung des Bahnbrechers kann auch nicht durch Leistungen anderer Menschen ersetzt werden. Wenn es Goethe und Beethoven nicht gegeben hätte, hätte man weder den Faust noch die Neunte dadurch erzeugen können, dass man talentierte Schriftsteller und Musiker für solche Produktion «freigemacht» hätte. Weder die Gesellschaft noch einzelne Menschen oder Menschengruppen haben die Möglichkeit, das Genie und sein Werk zu fördern. Die höchste Intensität der «Nachfrage» nach dem bahnbrechenden unerhörten Werk und der bestimmteste Auftrag, der Obrigkeit, es endlich hervorzubringen, bleiben wirkungslos. Die natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, die den Genius und sein Werk entstehen lassen, können durch Menschen nicht positiv beeinflusst werden. Man kann Genies nicht eugenisch züchten, man kann sie nicht heranbilden und man kann ihr Wirken nicht organisieren. Man kann dagegen die Gesellschaft so aufbauen, dass in ihr für den Bahnbrecher und sein Werk kein Raum ist.

Die schöpferische Leistung ist praxeologisch als eine naturgegebene Bedingung des menschlichen Daseins zu betrachten. Sie tritt in die menschliche Geschichte ein als eine freie Gabe des Schicksals, die mit dem Handeln der Menschen nichts zu tun hat. Die Untersuchung der Frage, ob es sinnvoll sein kann, die Leistungen der Bahnbrecher dem Genie ihrer Rasse oder ihres Volkes zuzurechnen, geht über den Rahmen der praxeologischen Probleme hinaus. Doch fest steht, dass das Genie Shakespeares oder Humes ein Datum für jede denkbare Art der praxeologischen Betrachtung menschlichen Handelns darstellt und dass man das, was an dem Werk dieser Männer wesentlich ist, nicht als Ergebnis einer Produktion in dem Sinne ansehen kann, in dem man in der Nationalökonomie diesen Ausdruck zu verwenden pflegt.

IV. Die Produktion

Das Handeln führt, wenn es zweckmäßig angelegt ist, zum angestrebten Erfolg. Es führt den Erfolg herbei, es produziert das Produkt.

Die Produktion ist kein Schaffen, ist kein Hervorbringen von bisher nicht Dagewesenem. Sie ist Umformung des im Kosmos Gegebenen durch Kombination von Mitteln. Der Produzent ist kein Schöpfer und kein Erschaffer. Schöpferisch ist der Mensch nur im Denken und im Reich des Geistes. In der Welt der Erscheinungen ist er nur Umgestalter. Alles, was er da vollbringen kann, ist, die verfügbaren Mittel so zu verbinden, dass naturgesetzlich aus der Kombination das wird, was er anstrebt.

[112]

Man hat zwischen der Produktion von Gütern und der Leistung persönlicher Dienste unterscheiden wollen. Man hat den Tischler, der Tische und Stühle baut, einen Produzenten genannt; doch man hat den Arzt, der durch seinen Rat dem kranken Tischler zur Wiedererlangung der Fähigkeit, Tische und Stühle zu bauen, verhilft, in eine andere Kategorie einreihen wollen. Man hat im Verkehr zwischen Arzt und Tischler etwas anderes erblicken wollen als in dem zwischen Tischler und Schneider. Der Arzt, meinte man, produziere nicht selbst; er könne nur von dem leben, was andere erzeugt haben, er werde von den Tischlern und Schneidern erhalten. Es war nur folgerichtig, wenn man dann weiter zur Auffassung gelangte, dass alle Nicht-Landwirte von den Landwirten ausgehalten werden. Der Erzeuger der Geräte, mit denen der Landwirt den Boden bestellt, erschien schließlich als ein Schmarotzer, der vom Landwirt ernährt werden muss [65] .

Alle diese Gedankengänge beruhen auf Verkennung des Wesens der Arbeitsteilung [66] . Wenn das isolierte Handeln Einzelner durch Zusammenhandeln ersetzt wird, bleibt das Wesen des Handelns unberührt. Dass es Schneider und Tischler, Ärzte und Bauern gibt, ist eben Arbeitsteilung. Der Austausch von Diensten verleiht diesem System seinen Sinn. Es gibt in der Gesellschaft, der Gesamtheit der kooperierenden Wirte, keine Erhalter und keine Erhaltenen; es gibt hier nur ein Geben und Empfangen, ein wechselseitiges Tauschen, ein Hin und Her von Diensten. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass zwar der Landwirt ohne den Schneider, nicht aber der Schneider ohne den Landwirt leben könnte. Um allein für sich zu wirtschaften, müssten beide ihre Spezialisierung aufgeben. Nicht nur der Schneider müsste auch Landwirt werden; der Landwirt müsste auch Schneider werden, wenn er nicht nackt gehen will.

Man hat gemeint, dass zwischen der Aufwendung der ursprünglichen außermenschlichen Produktionsmittel und der Aufwendung menschlicher Arbeit ein Unterschied gemacht werden müsste. Die Natur stelle ihre Leistung den Menschen gewissermaßen unentgeltlich zur Verfügung; doch die Arbeit müsse durch Arbeitsleid erkauft werden. Indem der Mensch sich plagt, Arbeitsleid überwindet und Arbeit aus sich herausholt, füge er dem Kosmos ein Neues hinzu, das vor der [113] Aufwendung der Arbeit nicht vorhanden gewesen wäre. Die Arbeit sei mithin in diesem Sinne schöpferisch.

Auch diese Auffassung irrt. Menschliche Arbeitskraft und Arbeitsfähigkeit sind im Kosmos geradeso gegeben und vorhanden wie die Bodenkräfte und die tierischen Substanzen und Kräfte. Dass man sie ungenützt lassen kann, unterscheidet sie nicht von den außermenschlichen Mitteln; auch diese können brachliegen. Dass der Einzelne Arbeitsleid überwindet, ist die Folge des Umstandes, dass er das Ergebnis höher wertet als den Aufwand an Arbeit und den Verzicht auf Muße.

Schöpferisch ist nur der menschliche Geist, der dem Handeln den Weg weist. Auch dieser Geist gehört der Welt und dem Kosmos an; er ist ein Teil des Gegebenen und Vorhandenen. Wenn man ihn schöpferisch nennen will, darf es gewiss nicht in mystisch-metaphysischem Sinne geschehen. Er stellt sich unserer Betrachtung insofern als schöpferisch dar, als wir die durch das Handeln bewirkten Veränderungen nicht weiter zurück zu verfolgen vermögen als bis zu dem Punkte, auf dem wir auf den Einsatz des Geistes, auf die Entscheidung der das Handeln lenkenden Vernunft, stoßen. Die Produktion erscheint uns nicht als ein Materielles, sondern als ein Geistiges. Nicht dass Dinge der Außenwelt und menschliche Arbeit kombiniert werden, sondern dass sie durch die Vernunft als Mittel zur Erreichung von Zwecken verwendet werden, macht ihr Wesen aus. Nicht dass einer sich plagt und Arbeitsleid auf sich nimmt, führt den Erfolg herbei, produziert das Produkt; das Entscheidende ist, dass er im Plagen und Mühen den Geboten der Vernunft folgt. Der Geist allein stellt Unbefriedigtsein ab.

Die materialistische Metaphysik des Marxismus verkennt das in naivster Weise. Die «Produktionsverhältnisse» sind nichts Materielles. Die Produktion ist ein geistiger Prozess, durch den der vernünftige Mensch sein Unbefriedigtsein so gut zu beheben versucht, als es die Bedingungen, die seinem Dasein gesetzt sind, zulassen. Nicht Materielles unterscheidet die Lage der Menschheit von heute von der ihrer Vorfahren, die vor fünf tausend oder vor zwanzigtausend Jahren gelebt haben, sondern ein Geistiges.

Die Produktion ist ein Umgestalten des Gegebenen nach den Weisungen der Vernunft. Diese Weisungen — die Rezepte, die Formeln, die Ideologien — sind das aktive Element in der Produktion; das Materielle — die ursprünglichen Produktionsfaktoren Natur und menschliche Arbeit — wird durch die Weisungen zum Mittel. Der Mensch produziert kraft seiner Vernunft; er setzt den Zweck und setzt die Mittel ein, um den [114] Zweck zu erreichen. Man konnte das nicht ärger missdeuten als durch die landläufige Behauptung, die Nationalökonomie hätte es mit der materiellen Seite des Menschen zu tun. Das menschliche Handeln ist ein Geistiges. In diesem Sinne ist die Praxeologie Geisteswissenschaft.

Was Geist ist, wissen wir freilich ebensowenig wie wir wissen, was Elektrizität, was Bewegung, was Leben ist. Geist ist der Ausdruck, mit dem wir jenes Unbekannte bezeichnen, das die Menschen befähigt hat, all das zu bewirken, was sie bewirkt haben: die Theorien und die Gedichte, die Bauwerke und die Kraftwagen.

 




 

ZWEITER TEIL: DAS HANDELN IN DER GESELLSCHAFT

[115]

1. KAPITEL: DIE MENSCHLICHE GESELLSCHAFT

I. Gesellschaft als Vereinigung menschlichen Handelns

Gesellschaft ist Vereinigung des Handelns, ist Zusammenwirken und Zusammenhandeln von Menschen.

Gesellschaft ist somit das Ergebnis bewussten Verhaltens. Das bedeutet nicht etwa, dass die Einzelnen sich durch Verträge, die die Gründung der Gesellschaft zum Zwecke hatten, wechselseitig gebunden hätten. Das Handeln, dessen Wirken die Gesellschaft gebildet hat und täglich bildet, ist auf nichts anderes gerichtet als auf Zusammenhandeln und Zusammenwirken mit anderen zur Erreichung bestimmter einzelner Zwecke. Die Gesamtheit dieser Kooperation, die an die Stelle der — immerhin denkbaren — Vereinzelung der Einzelnen das gemeinsame Wirken treten lässt, nennen wir die Gesellschaft. Gesellschaft ist Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung. Als Handelnder gehört der Mensch der Gesellschaft an.

Der Einzelne wird schon in eine Welt hineingeboren, die gesellschaftlich geformt ist. In diesem Sinne mag man den im übrigen entweder nichtssagenden oder unsinnigen Ausdruck, dass die Gesellschaft (logisch oder historisch) vor dem Einzelnen war, hinnehmen. Der Einzelne lebt und handelt in der Gesellschaft. Doch anderseits ist die Gesellschaft nichts anderes als Vereinigung der Einzelnen zur Gemeinschaft des Handelns. Die Gesellschaft ist nirgends als in dem Handeln der Einzelnen. Es ist ein Wahn, sie außerhalb der Einzelnen zu suchen. Von einer gesonderten Existenz der Gesellschaft, von ihrem Leben, von ihrer Seele, von ihrem Handeln zu sprechen, ist metaphorische Redeweise, die Gefahren birgt.

[116]

Damit erscheint auch die Fragestellung, ob der Einzelne oder die Gesellschaft Zweck sein soll, und ob die Interessen der Einzelnen denen der Gesellschaft untergeordnet werden sollen oder umgekehrt die Interessen der Gesellschaft denen der Einzelnen, als gegenstandslos. Handelnd treten immer nur Einzelne auf; das Gesellschaftliche ist eine bestimmte Einstellung der Handelnden in ihrem Handeln. Die Kategorie Zweck ist sinnvoll nur in Bezug auf ein Handeln. Theologen und Geschichtsmetaphysiker mögen von den Zwecken der Gesellschaft und von den Zwecken, die Gott mit der Gesellschaft und durch die Gesellschaft verfolgt, sprechen, geradeso wie sich ihnen auch die Frage nach dem Zweck jedes anderen Stückes der Schöpfung aufwirft. Für die Wissenschaft, die an das für die Lösung solcher Aufgaben ungeeignete Werkzeug des menschlichen logischen Denkens gebunden ist, wäre das Bemühen, sich mit solchen Problemen zu befassen, aussichtslos.

II. Kritik der universalistischen und kollektivistischen Gesellschaftsauffassung

Nach der Lehre der Universalisten und Kollektivisten wäre die Gesellschaft ein Gebilde, das unabhängig und gesondert von den Einzelnen ein eigenes Leben lebt und für sich handelt, um seine Zwecke zu erreichen, die von denen der Einzelnen verschieden sind. Dann freilich könnte es sich ergeben, dass die Interessen der Gesellschaft und die der Einzelnen in Widerstreit geraten. Um der gesellschaftlichen Entwicklung Raum zu schaffen, wäre es nötig, die im Hinblick auf ihre eigenen Zwecke den gesellschaftlichen Zwecken entgegen arbeitenden Individuen zu zwingen, den Vorrang der Gesellschaft anzuerkennen und sich unter Hintansetzung der eigenen Zwecke der gesellschaftlichen Ordnung zu fügen. Das ist der Punkt, wo Universalismus und Kollektivismus sich genötigt sehen, den irdischen Standpunkt menschlicher Wissenschaft und logischen Denkens mit dem der transzendenter Metaphysik zu vertauschen. Sie müssen annehmen, dass die Vorsehung durch Sendboten - Gesetzgeber und Zwingherren — die Menschen, die von Natur aus böse sind, d.h. andere Zwecke verfolgen, dazu zwingt, die Wege zu wandeln, die Gott sie führen will.

Der Kollektivismus übernimmt sein Weltbild von uralten Auffassungen, die schon dem Götterglauben der Primitiven vertraut waren und in allen Götterlehren wiederkehren: der Mensch hat einem Gesetz, das von höheren Mächten erlassen wurde, und der Obrigkeit, die diese Mächte zur Vollziehung des [117] Gesetzes eingesetzt haben, zu gehorchen. Die durch dieses Gesetz geschaffene Ordnung ist die menschliche Gesellschaft, die somit Gotteswerk und nicht Menschenwerk ist. Ohne das Eingreifen der Gottheit, das den irrenden Menschen das Gesetz brachte, gäbe es keine Gesellschaft. Wohl liegen auch nach Universalistisch-kollektivistischer Auffassung gesellschaftlicher Fortschritt und Ausgestaltung der gesellschaftlichen Bindungen im Interesse der Menschen, denn nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft vermöge der Mensch sich aus der Rohheit und aus dem sittlichen und materiellen Elend des Naturzustandes emporzuarbeiten und aus dem nur den animalischen Trieben gehorchenden Wilden zur sittlichen Persönlichkeit in der göttlichen Weltordnung zu werden. Doch nie vermag er diesen Weg allein zu finden. Denn die Eingliederung in die Gesellschaft und die Unterwerfung unter die Gebote des Sittengesetzes stellen an ihn Anforderungen, die er vom Standpunkte seiner beschränkten Einsicht als Übel, als Verzicht auf winkenden Vorteil und als Entbehrungen betrachten muss, ohne dass die Unzulänglichkeit seiner Vernunft ihn die späteren Vorteile, die durch die gegenwärtigen und erkennbaren Nachteile herbeigeführt werden, ahnen ließe. Wenn Gott ihn nicht erleuchten würde, wüsste er in seiner Einfalt nicht, was Gott mit ihm zu seinem eigenen Besten oder zum Besten seiner Nachkommen vorhat.

Demgegenüber zeigt die wissenschaftliche Auffassung, dass jeder Schritt, den der Einzelne auf dem Wege zur Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung zurücklegt, ihm — sogleich und unmittelbar erkennbaren Nutzen bringt. Die Vorteile, die das gesellschaftliche Zusammenhandeln und Zusammenwirken schaffen, sind allgemein und kommen jedem Geschlecht zugute, mithin auch schon dem gegenwärtigen, dem handelnden Geschlecht, nicht erst entfernten Enkeln und Urenkeln. Dass die Opfer, die der Einzelne zu bringen hat, um sich in die gesellschaftliche Kooperation einzugliedern, ihm durch größeren Nutzen vergolten werden, kann von der menschlichen Vernunft erkannt werden. Wenn die gesellschaftliche Bindung dadurch verdichtet wird, dass die Kooperation auf ein Gebiet ausgedehnt wird, das ihr bisher verschlossen war, oder wenn der Friedens- und Rechtsschutz verbessert wird, um das ungestörte Wirken der gesellschaftlichen Kooperation zu sichern, sind die treibenden Kräfte im Streben der Beteiligten nach Verbesserung ihrer Lage zu suchen. Indem jeder Einzelne seine Wege, die zu seinen Zwecken führen, geht, geht er schon den Weg der Vergesellschaftung. Das ist der Inhalt der natürlichen Theorie des gesellschaftlichen Werdens; sie weist keine [118] logische Lücke auf, zu deren Schließung man die Berufung auf das Eingreifen übernatürlicher Kräfte benötigen würde.

Der kollektivistischen Gesellschaftauffassung liegt die Verkennung dieses Tatbestandes zugrunde. Da man nicht gesehen hat, dass jeder einzelne Schritt auf dem Wege zur Vergesellschaftung und zur Verdichtung der gesellschaftlichen Beziehungen schon den Menschen, die ihn setzen, Vorteil bringt und nicht nur späteren Geschlechtern, vermochte man nicht, in dem gesellschaftsbildenden und gesellschaftsfördernden Handeln der Einzelnen das Wirken derselben Kräfte und Antriebe zu erkennen, die jedes auf irdische und «egoistische» Ziele gerichtete Handeln auslösen. Dieses Handeln im Interesse der Gesellschaft konnte nicht als vorläufiges Opfer, nicht als Verzicht auf einen kleineren Vorteil, der sich durch die spätere Erlangung eines als größer erachteten Vorteils lohnen soll, angesehen werden, weil man eben nicht zu erkennen vermochte, dass es schon den Handelnden selbst und nicht erst ihren entfernten Nachkommen Vorteil bringt. Wenn man im gesellschaftsbejahenden Handeln ein Sichaufopfern des Einzelnen zu Gunsten späterer Geschlechter oder zu Gunsten eines von den Einzelnen verschiedenen Kollektivgebildes sah, musste man wohl guten Glaubens die Frage verneinen, ob denn der Einzelne aus freien Stücken zu solchem Edelmut bereit zu finden wäre. Dann sieht man einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen dem selbstsüchtigen Tun des auf sein Glück und sein eigenes Wohlbefinden bedachten Bösen und dem gottgefälligen Wandel des Guten, der dem Sittengesetz zuliebe sein Glück dem Glück des Ganzen und späterer Nachfahren opfert.

Das Kernproblem der universalistisch-kollektivistischen Lehre ist die Frage: Woran erkenne ich das echte Gesetz, den echten Verkünder des Gotteswortes und die gottgewollte Obrigkeit? Denn viele behaupten von sich, dass die Vorsehung sie gesandt habe, und jeder von ihnen verkündet andere Lehren. Für den Gläubigen gibt es da keine Zweifel; er weiß sich im Besitze des richtigen Glaubens. Doch das macht die Sache erst recht bedenklich, wenn abweichende Lehren vorgetragen werden. Jede Gruppe will ihrem Glauben zum Siege verhelfen; da man mit logischer Beweisführung nicht dazu gelangen kann, die anderen zu überzeugen, bleibt nur ein Ausweg offen: die Widerstrebenden mit Gewalt zur Unterwerfung unter das Gesetz zu zwingen. Universalismus und Kollektivismus führen unausweichlich zum Kampf, der bis zur Vernichtung oder bis zur Unterwerfung des Gegners fortgesetzt wird.

Die Unduldsamkeit und die Propaganda durch das Schwert des Kriegers oder durch das des Scharfrichters liegen im Wesen [119] der heteronomen Ethik. Das Gesetz Gottes fordert allgemeine Anerkennung und Befolgung, und der von ihm bestellten Obrigkeit sind alle Menschen von Rechts wegen untertan. Solange die Kraft der Götterlehren und ihrer philosophischen Entsprechung, des Begriffsrealismus, nicht gebrochen war, gab es weder Duldsamkeit noch Frieden; man ließ höchstens zu Zeiten die Waffen ruhen, um Kräfte für neue Kämpfe zu sammeln. Der Gedanke der Duldsamkeit gegen den vermeintlichen Irrtum der anderen konnte erst entstehen, als mit der Ausbreitung der Idee autonomer zweckgerichteter Ethik und mit der Zurückdrängung der theologischen Ideen die liberale Gesellschaftslehre sich durchzusetzen begann. Für diese Auffassung ist die Gesellschaft keine Einrichtung zur Aufrechterhaltung einer Gottheit aus Gründen, die menschlicher Vernunft nicht erkennbar sind, wohlgefälligen Ordnung, die den irdischen Interessen vieler oder gar aller Menschen zuwiderläuft, sondern das große Mittel zur Verwirklichung der von den Menschen angestrebten Zwecke, das durch menschliches Handeln geschaffen und erhalten wird. Die heteronome Ethik kann man nicht mit Vernunftgründen beweisen; man hat sie gläubig hinzunehmen oder man muss zum Glauben gezwungen werden. Die Zweckmäßigkeit, der autonomen Ethik zu gehorchen, kann man logisch beweisen.

Freilich, es wird immer Einzelne und ganze Gruppen geben, denen diese Beweisführung nicht einleuchtet, und wieder andere, die sie wohl begreifen, doch nicht die Kraft aufbringen, ihr Handeln so einzurichten, dass es die gesellschaftliche Ordnung nicht stört. Denn die Eingliederung in die Gesellschaft fordert vom Einzelnen Opfer; es sind das zwar nur vorläufige Opfer, die durch die Vorteile, die ihm die Gesellschaft vermittelt, aufgewogen werden; doch zunächst, im Augenblicke des Verzichts auf einen winkenden Vorteil, ist das Opfer schmerzlich, und es ist nicht jedermanns Sache, im Hinblick auf höheren mittelbaren Gewinn geringeren unmittelbaren Gewinn fahren zu lassen. Um der Versuchung, sich auf Kosten der gesellschaftlichen Ordnung augenblickliche Sondervorteile zu verschaffen, zu widerstehen, bedarf es nicht nur der Einsicht in die Zusammenhänge des gesellschaftlichen Getriebes, sondern auch der Kraft, den einmal gewählten Weg unbeirrt von allen Lockungen der Abwege zu wandeln. Es gibt eine Schule, die meint, man könnte durch Belehrung alle Menschen von der Notwendigkeit überzeugen, immer sozial zu handeln, dass heißt so zu handeln, dass man im Handeln auf die Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung Rücksicht nimmt; richtig belehrt, würden dann alle Menschen schon freiwillig sozial handeln. Dem Anarchismus [120] erscheinen daher Einrichtungen, die den Einzelnen zur Befolgung der Regeln, die die Aufrechthaltung der Gesellschaft fordert, zwingen sollen, als überflüssig. Seiner Auffassung nach könnte eine Gesellschaftsordnung, die nicht einzelnen Menschengruppen Vorrechte auf Kosten und zu Lasten der übrigen einräumt, auch ohne die Einrichtung eines Zwangsapparates zur Unterdrückung gesellschaftsschädlichen Handelns auskommen. Die ideale Gesellschaft brauche daher keinen Staat und keine Regierung, keine Richter, keine Büttel und keine Schergen.

Der Grundfehler der anarchistischen Lehre liegt in der Nichtbeachtung der Erfahrungstatsache, dass es Menschen gibt, denen die Einsicht oder die Kraft mangelt, ihr Handeln den Anforderungen der Gesellschaft gemäß einzurichten. Wollte man selbst zugeben, dass alle gesunden Erwachsenen über beides verfügen, so kann man doch nicht bestreiten, dass es beim heranwachsenden Menschen, beim kranken Menschen und bei dem vom Kräfteverfall des Alters ergriffenen Menschen gar häufig anders ist. Schon dass es Kinder, Geisteskranke und Altersschwache gibt, macht einen gesellschaftlichen Zwangsapparat unentbehrlich. Wenn die übrigen Glieder der Gesellschaft freiwillig stets sozial handeln, dann wird ihnen gegenüber ein Einschreiten der Regierungsorgane sich als überflüssig erweisen. Man mag der Ansicht sein, dass jeder, der antisozial handelt, als krank zu betrachten und daher vor allem zu heilen sei; doch solange nicht alle geheilt sind, muss ein Zwangsapparat darüber wachen, dass durch das Verhalten solcher Kranker kein Schaden entstehe. Gesellschaftliches Zusammenleben und Zusammenwirken von Menschen ist daher nur im staatlichen Verbande denkbar, d.h. nur in einem Verbande, der über einen Zwangsapparat zur Unterdrückung gesellschaftsstörenden Handelns von Einzelnen oder von Gruppen verfügt.

Die auf den Ergebnissen der Wissenschaft vom menschlichen Handeln aufgebaute Staatslehre des Liberalismus sieht das Problem des Verhältnisses der von der Regierung zu beachtenden Normen zu den Auffassungen der Staatsbürger in anderem Lichte als die universalistisch-kollektivistische Staatslehre der heteronomen Ethik. Der Liberalismus geht davon aus, dass auf die Dauer die Regierungsgewalt nur mit Zustimmung und daher nur im Sinne der öffentlichen Meinung geführt werden kann. Wenn sich die Regierung in Widerspruch setzt mit den Auffassungen, die die Mehrzahl der von ihrem Zwangsapparat Beherrschten als richtig anerkennt, wird sie schließlich der Mehrheit weichen müssen; als Minderheit wird sie im äußersten Falle von der Übermacht der Mehrzahl gewaltsam [121] niedergekämpft und beseitigt werden. Um Bürgerkriege zu vermeiden und den Frieden innerhalb der Staaten dauernd zu erhalten, fordert der Liberalismus daher demokratische Verfassung. Der Staat soll so eingerichtet sein, dass man die Übereinstimmung zwischen dem Willen der Regierenden und dem der Regierten auf friedlichem Wege erzielen kann. Gewaltanwendung zur Unterdrückung normwidrigen Verhaltens lässt der Liberalismus nur gegen Minderheiten zu, die sich gegen das Gesetz auflehnen. Will die Minderheit ihre Auffassung zur herrschenden machen, so muss sie sich bemühen, die Mehrheit durch geistige Mittel zu bekehren. Der liberale Staat geht nicht darauf aus, die übrigen Staaten zur Anerkennung seiner Auffassung gewaltsam zu zwingen. Seine Hochschätzung des Friedens lässt ihn sowohl für die Ordnung im Innern als auch für die Beziehungen der Staaten untereinander eine Verfassung suchen, die gewaltsame Zusammenstösse auszuschließen vermag.

Das Mehrheitsprinzip des Liberalismus bedeutet nicht etwa, dass die Minderwertigen, die die Masse bilden, die Höherwertigen, die immer in der Minderzahl sind, vergewaltigen sollen. Auch der Liberalismus sieht in der Regierung durch die Besten und Tüchtigsten das Ideal. Doch er meint, dass die Eignung eines Mannes oder einer Anzahl von Männern zur Erfüllung der Obliegenheiten der Regierung sich besser dadurch erweist, dass es ihnen gelingt, ihre Mitbürger von ihrer Befähigung zur Ausübung dieser Ämter zu überzeugen, so dass sie ihnen freiwillig die Besorgung der Regierungsgeschäfte übertragen, als dadurch, dass sie die übrigen durch Gewalt zur Anerkennung ihrer Ansprüche zwingen.

Für die heteronome Ethik der universalistisch-kollektivistischen Gesellschaftslehre liegt die Sache anders. Da nach ihrer Auffassung der Einzelne durch die Befolgung der Normen nicht mittelbar seinen eigenen irdischen Zwecken dient, vielmehr auf die Erreichung seiner eigenen Zwecke zu Gunsten der Zwecke der Gottheit oder des Kollektivgebildes verzichtet, und die bloße Vernunft weder die Geltung der Norm noch ihren Inhalt zu erkennen vermag, muss es ihr aussichtslos erscheinen, die Mehrheit durch Überredung auf den rechten Weg zu leiten. Die, denen die Gnade zuteil wurde, die echte Norm zu erkennen, haben die Pflicht, die übrige Welt aufzuklären und zur Befolgung der Norm zu veranlassen. Geht es nicht friedlich, dann müsse man eben Gewalt brauchen.

Dieser Gegensatz der praktischen Ergebnisse folgt unmittelbar aus dem Gegensatz der Grundauffassungen. Der Wissenschaft vom Handeln ist Gesellschaft das Zusammenhandeln [122] der Menschen, die durch das Zusammenhandeln ihre eigenen Zwecke besser zu erreichen gedenken als in gesondertem Handeln; die gesellschaftliche Kooperation ist für jeden Einzelnen Mittel im Dienste seiner eigenen Zwecke. Für den Begriffsrealismus aber steht über den Einzelnen ein Wesen mit eigenem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln, und dieses Wesen, mag man es nun Gott, Natur, Gesellschaft, Staat, das Absolute oder wie immer nennen, verfolgt seine eigene Zwecke. Universalismus und Kollektivismus finden, dass das wahre Sein nicht das der Einzelnen und ihrer Zwecke sei, sondern dass es ein höheres und echteres Sein gebe, dessen Zwecke von denen der Einzelnen verschieden seien und denen die Einzelnen ihre eigenen Zwecke unbedingt unterzuordnen hätten.

Es ist verkehrt, den Gegensatz dieser beiden Auffassungen derart zu fassen, dass man zwischen einer vermeintlichen individualistischen Auffassung, dem Individualprinzip, dem der Einzelne als Zweck erscheint, und der kollektivistisch-universalistischen Auffassung, dem Sozialprinzip, dem die Gesellschaft als Zweck erscheint, unterscheidet. Dass angenommen wird, es könne zwischen den Zwecken der Gesellschaft und denen der Einzelnen ein Gegensatz entstehen, dass überhaupt in hypostasierender Weise von der Gesellschaft als von einem beseelten Wesen gesprochen wird, das eigene Zwecke verfolgt, ist schon Bekenntnis zur Lehre des Kollektivismus und Universalismus. Wenn man das Sein eines Wesens, das schon ex definitione höher, vollkommener und edler als die Einzelnen erscheint und dem gegenüber die Einzelnen ein minderes oder gar nur ein schattenhaftes Dasein führen, einmal angenommen hat, dann kann man den weiteren Schlussfolgerungen des Kollektivismus nicht mehr ausweichen. Dann haben die Zwecke des höheren Seins, der Gesellschaft, Vorrang vor denen des niedrigeren Seins, des Einzelnen, dann ist der Einzelne nur ein Seiender vermöge des Seins der Ganzheit, dann ist die Gesellschaft alles, der Einzelne nichts, dann ist jedes Mittel gut, um den aus Tollheit sich auflehnenden Einzelnen in die Schranken zu weisen. Dass manche Freunde paradoxer Sentenzen — z. B. Stirner — ein Vergnügen daran gefunden haben, den Sachverhalt umzukehren und justament den Vorrang des Einzelnen zu behaupten, ist belanglos. Wenn es eine Gesellschaft als zweckbewusstes Wesen mit all den Attributen gibt, die ihr die Lehre zuschreibt, dann ist es einfach töricht, die Zwecke des armseligen Einzelnen ihren erhabenen Zwecken entgegen zu setzen.

Nicht minder verfehlt ist es, den Gegensatz in der Weise zu fassen, dass man eine vermeintliche individualistische [123] Auffassung, nach der die Gesellschaft nur die Summe der Einzelnen sei, der universalistisch-kollektivistischenAuffassung gegenüberstellt, nach der die Gesellschaft ein Eigenleben mit eigenem Denken, Fühlen und Handeln führt. Für die wissenschaftliche Auffassung ist das Wort Gesellschaft Ausdruck für das Gebilde, das in und aus der Vereinigung des Handelns der Einzelnen besteht. Der Begriff «Summe der Einzelnen» wäre, auf die Gesellschaft angewendet, in ihren Augen sinnlos; die Summe von Einzelnen ist immer eine Anzahl von Einzelnen.

Erdgebundene menschliche Wissenschaft und metaphysischer Glaube gehören durchaus verschiedenen Sphären an. Wissenschaft will nicht weiter gehen, als menschliche Vernunft zu gehen vermag. Glauben will Fragen beantworten, die die Vernunft nie beantworten kann. Zu einem Zusammenstoss der beiden kann es mithin nur kommen, wenn Glaube oder Wissenschaft das Gebiet, auf dem sie sich betätigen, überschreiten, wenn entweder der Glaube Auffassungen vorträgt, die den Ergebnissen der Denkarbeit widersprechen, oder wenn die Wissenschaft anfängt, von Dingen zu reden, über die mit den Mitteln der Wissenschaft nichts behauptet werden kann.

Ein solcher Konflikt liegt hier vor. Metaphysische Lehren werden gegen die Ergebnisse des wissenschaftlichen Denkens ausgespielt. Der wissenschaftlichen Gesellschaftslehre werden andere Gesellschaftslehren gegenüber gestellt, die man zwar auch mitunter als Wissenschaft auszugeben versucht, um ihnen das Ansehen zu verschaffen, das die Wissenschaft sich im Zeitalter des Rationalismus und Liberalismus erworben hat, die aber letzten Endes unrationalistisch, unwissenschaftlich und mit der bloßen Vernunft nicht zu erfassen sind. Denn alle diese Lehren gelangen an einen Punkt, wo sie zum Beweise ihrer Geltung auf Logik und auf vernünftiges Denken verzichten und sich auf den Glauben berufen, auf die innere Stimme, die das Gesetz offenbart habe, auf Führer, denen übernatürliche Kräfte und Einsichten zugeschrieben werden, auf die Auserwähltheit einer Gruppe, einer Klasse, eines Volkes, einer Rasse, kurz auf die besondere Gnade des Schicksals, die einem Einzigen oder einer Minderheit, die Gabe verliehen habe, über die der Vernunft gezogene Schranke hinaus intuitiv die Wahrheit zu schauen [67] .

[124]

Wer glaubt, kann durch Vernunftgründe nicht zur Aufgabe seines Glaubens bewogen werden. Denn das ist gerade das Kennzeichen des Glaubens, dass er Vernunftgründen nicht zugänglich ist. Es schiene demnach aussichtslos, den Dichtungen der verschiedenen metaphysischen Systeme vom gesellschaftlichen Leben die Lehre der Wissenschaft entgegen zu halten. Wer an die Mythen wirklich glaubt, wird fortfahren, an sie zu glauben. Doch die Zahl derer, die der Vernunft den Glauben vorziehen, ist viel kleiner, als man gemeiniglich anzunehmen pflegt. Die überwiegende Mehrzahl der Anhänger dieser Lehren wollen nur in Bezug auf jene Probleme Glauben gelten lassen, die die Vernunft nicht zu behandeln vermag. Sie suchen im Glauben eine Lehre von den letzten Dingen, doch sie wollen keineswegs dem Glauben einen Vorrang gegenüber der Vernunft einräumen. Sie wenden sich bei unheilbaren Krankheiten an das wundertuende Gnadenbild, doch bei heilbaren Krankheiten ziehen sie die Wissenschaft des Arztes vor. Sie lassen die metaphysischen Gesellschaftslehren gelten, weil sie der Meinung sind, dass man das Werden und Wesen der gesellschaftlichen Verbundenheit nicht anders zu erklären vermöge. Doch sie erörtern das, was für und wider die verschiedenen denkbaren und ausführbaren Typen gesellschaftlicher Ordnung spricht, und die einzelnen gesellschaftlichen Einrichtungen mit den Mitteln der bloßen Vernunft. Sie prüfen Zweckmäßigkeit und Erfolgsaussichten durch diskursives Denken und vermeiden es dabei, die logische Geschlossenheit der Gedankenführung durch die Berufung auf der Vernunft nicht erkennbare Faktoren zu stören.

Die Wissenschaft ist daher auf dem richtigen Wege, wenn sie ihren Standpunkt nicht nur negativ durch Aufzeigung der Unzulänglichkeit und der Widersprüche der metaphysischen Lehren zu rechtfertigen sucht, sondern vor allem positiv dadurch, dass sie zeigt, wie eine vollständige geschlossene Lehre von der Gesellschaft aufgestellt werden kann, die auf die Annahme eines besonderen Eingreifens des Weltgeistes zur Stiftung und Erhaltung der Gesellschaft verzichten kann. Indem die Wissenschaft ihr System aufbaut, entwickelt und begründet, weist sie auch die Ansprüche der metaphysischen Lehren zurück.

[125]

III. Die Arbeitsteilung

Die wissenschaftliche Erfassung des Problems der Gesellschaft und der Vergesellschaftung hat von der Arbeitsteilung und ihrem Gegenstück, der Arbeitsvereinigung, auszugehen. Gesellschaft ist das Zusammenhandeln, Zusammenwirken und Zusammengehen der Menschen, das in der Arbeitsteilung seinen Ausdruck findet.

Die Erfahrung lehrt den handelnden Menschen, dass die arbeitsteilig verrichtete Arbeit ergiebiger ist als die in Vereinzelung geleistete. Denn die Bedingungen, unter denen der Mensch sein Handeln betätigt, sind so beschaffen, dass Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung ergiebiger sind als Sonderhandeln der Einzelnen. Diese Bedingungen sind:

Erstens: die Ungleichheit der einzelnen Menschen, insbesondere auch in Hinblick auf ihre Eignung zur Verrichtung verschiedener Arbeiten [68] . Zweitens: die ungleiche Verteilung der natürlichen Produktionsbedingungen auf der Erde. Man kann diese beiden Voraussetzungen auch als eine auffassen, indem man von der Mannigfaltigkeit der Natur spricht, die das Weltall zu einem Gefüge von unendlichem Reichtum der Spielarten gemacht hat. Wäre die Erdoberfläche so beschaffen, dass die Produktionsbedingungen an allen ihren Punkten gleich wären, und würde ein Mensch den übrigen Menschen so gleichen wie ein Kreis jedem andern Kreis mit demselben Durchmesser in der euklidischen Geometrie gleicht, dann würde Arbeitsteilung den Handelnden keine Vorteile bieten.

Abseits von diesen beiden Voraussetzungen steht eine dritte, die — wie die Erfahrung zeigt — gleichfalls gegeben ist: dass es nämlich Arbeiten gibt, die die Kraft der Einzelnen übersteigen und nur durch Zusammenfassung der Kräfte mehrerer geleistet werden können. Es ist dabei gleichgültig, ob die Unzulänglichkeit der Kräfte eines Einzelnen in dem Missverhältnis zwischen dem, was er an Kraft aufzubringen vermag, und dem erforderlichen Arbeitsaufwand liegt, oder darin, dass der Einzelne zwar imstande wäre, das geplante Werk allein zu vollbringen, dass er aber dazu so viel Zeit brauchen würde, dass er die Vollendung voraussichtlich überhaupt nicht erleben würde oder dass sie so spät eintreten würde, dass sie ihm nicht einen Nutzen zu bringen vermöchte, der den Aufwand lohnen könnte. In beiden Fällen kann das Ziel des Handelns nur mit vereinten [126] Kräften erreicht werden. Die Verbindung der Einzelnen zum gemeinsamen Handeln schafft erst die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen.

Wäre nur diese dritte Voraussetzung der höheren Ergiebigkeit der Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung gegeben, so würde es wohl auch zeitweilig Zusammenhandeln und Zusammenwirken geben. Es kann aber bezweifelt werden, ob aus solcher Kooperation engere und dauernde Beziehungen zwischen den Einzelnen hätten entstehen können. Die Arbeiten, die nur so vollbracht werden können, sind in den Anfängen der Kultur nicht allzu zahlreich, und nur ab und zu tritt eine Gestaltung der Dinge ein, bei der alle für die Mitwirkung in Betracht Kommenden gerade die Vornahme dieser Gemeinschaftsarbeit als wichtiger ansehen als die Verrichtung von Arbeiten, die sie als Einzelne ohne Mitwirken anderer vollbringen könnten. Die Zahl der bei einem dieser Unternehmen Mitwirkenden wird in der Regel nicht groß sein; die Beziehungen, die durch das Zusammenwirken geschaffen werden, sind vorübergehend und umfassen nur einen engen Kreis. Die ökumenische Gesellschaft, die alle Menschen in allen ihren Lebensbetätigungen umfasst, hätte aus den vorübergehenden Bündnissen zur Erreichung eines gemeinsamen Vorteils nie hervorgehen können. Die Gesellschaft ist mehr als ein Bündnis, das zu einem bestimmten Zweck geschlossen wird und nach Erreichung dieses Zwecks aufhört zu bestehen und zu wirken, mögen seine Teilnehmer auch die Absicht haben, es gegebenenfalls wieder zu erneuern.

Es bedarf nicht vieler Worte, um darzutun, in welcher Weise die Arbeitsteilung die Ergiebigkeit des Handelns erhöht, wenn die Ungleichheit der Produktionseignung derart gegeben ist, dass jeder Einzelne und jedes einzelne Stück Land zumindest in einer Hinsicht einem Teil der übrigen Einzelnen und der übrigen Länder überlegen ist. Wenn A in der Zeiteinheit 6 p oder 4 q zu erzeugen vermag und B nur 2 p , jedoch 8 q , dann werden die beiden ohne Arbeitsteilung in der Zeiteinheit 4 p + 6 q erzeugen, bei Arbeitsteilung, in der jeder nur die Ware erzeugt, für deren Erzeugung er besser geeignet ist, jedoch 6 p + 8 q. Wie aber, wenn A dem B sowohl in der Erzeugung von p als auch in der von q überlegen ist? Das ist das Problem, das Ricardo aufgeworfen und gleich gelöst hat.

IV. Das Ricardo’sche Vergesellschaftungsgesetz

Ricardo hat das Vergesellschaftungsgesetz entwickelt, um zu zeigen, welche Wirkungen die Arbeitsteilung zwischen einem in jeder Hinsicht begünstigten Einzelnen (oder Gruppe) und [127] einem in jeder Hinsicht unterlegenen Einzelnen (oder Gruppe) hervorruft. Er untersuchte die Wirkungen des Verkehrs zwischen zwei Gebieten ungleicher natürlicher Ausstattung unter der Annahme, dass wohl die Waren, nicht aber auch die Menschen (die Arbeiter) und das Kapital von jedem der beiden Gebiete in das andere wandern können. Die Arbeitsteilung zwischen den beiden Gebieten ist, wie das Ergebnis von Ricardo's Überlegungen zeigt, in jedem Fall für die Bewohner beider Gebiete von Vorteil, selbst dann, wenn die natürlichen Produktionsbedingungen in dem einen Lande für die Erzeugung aller Güter ungünstiger liegen als in dem andern. Es ist nämlich für das bevorzugte Land vorteilhaft, sich der Erzeugung jener Güter zuzuwenden, für deren Erzeugung seine Überlegenheit größer ist, und die Erzeugung der übrigen Güter, in deren Erzeugung es zwar gleichfalls, jedoch in einem geringerem Masse überlegen ist, dem weniger von der Natur begünstigten Gebiet zu überlassen. Das zunächst paradox scheinende Ergebnis, dass es vorteilhafter sein soll, günstigere Produktionsbedingungen unausgenützt zu lassen und an Stätten zu arbeiten, die von der Natur für die Erzeugung weniger gut ausgestattet wurden, ist die Folge des Umstandes, dass die Arbeiter und das Kapital an die Produktionsstätten gebunden sind, so dass ihnen die günstigeren Produktionsstätten des anderen Landes unzugänglich sind.

Ricardo wusste schon, dass das Gesetz der komparativen Kosten, das er entwickelte, um eine besondere Aufgabe der Lehre vom Außenhandel zu lösen, die Anwendung eines allgemeineren Gesetzes ist, das die Wirkungen der interpersonellen Arbeitsteilung begreifen lehrt [69] .

Wenn A dem B in der Weise überlegen ist, dass er zur Erzeugung einer Einheit der Ware p drei Stunden Arbeit benötigt gegen fünf, die B dazu braucht, und zur Erzeugung einer Einheit der Ware q zwei Stunden gegen vier, die B braucht, dann ist es für A vorteilhafter, seine Kraft ganz auf die Erzeugung von q zu wenden und die Erzeugung von p dem B zu überlassen. Wenn jeder von ihnen je 60 Stunden der Erzeugung von p und von q widmet, dann ist das Ergebnis der Arbeit für A 20 p + 30 q, für B 12 p + 15 q, mithin für beide zusammen 32 p + 45 q. Beschränkt sich jedoch A auf die Erzeugung von q , dann erzeugt er in 120 Stunden 60 Einheiten, während B, wenn er sich auf die Erzeugung von p beschränkt, in der gleichen Zeit 24 Einheiten erzeugt. Das Ergebnis ihrer [128] Tätigkeit ist dann 24 p + 60 q , was, da p für A einen Substitutionswert von 3/2 q und für B einen solchen von 5/4 q hat, einen höheren Ertrag bedeutet als 32 p + 45 q. Für jeden Einzelnen bringt somit die Arbeitsteilung auch dann Vorteil, wenn er sich mit Personen verbindet, denen er in jeder Hinsicht für die Leistung jeglicher Art von Arbeit überlegen ist. Die höhere Ergiebigkeit der Arbeitsteilung lässt den Anschluss des Höherbegabten an den Minderbegabten für beide zum Vorteil ausschlagen. Der Nutzen der Arbeitsteilung ist stets wechselseitig.

Das Vergesellschaftungsgesetz lässt uns den Weg der Arbeitsteilung erfassen. Wir können nun begreifen, was die Einzelnen dazu getrieben hat, sich nicht als Konkurrenten im Kampfe um die Aneignung von Unterhaltsmitteln, die die Natur nur in beschränktem Masse zur Verfügung gestellt hat, zu betrachten; wir vermögen zu begreifen, was sie veranlasst hat und fortdauernd veranlasst, sich zu gemeinsamem Handeln zusammenzuschließen.

Die arbeitsteilig verrichtete Arbeit bringt höhere Erträge als die Arbeit des für sich allein arbeitenden Einzelnen. Die Erkenntnis dieses Umstandes hat die Menschen veranlasst, die Einzelarbeit und das gesonderte Handeln durch die Arbeitsvereinigung und Arbeitsteilung, durch das Zusammenwirken und Zusammenhandeln, zu ersetzen. Jeder Schritt, der auf dem Wege zu weiterer Arbeitsteilung gemacht wird, nützt allen Beteiligten sogleich. Um zu begreifen, dass die Menschen nicht gesondert auf die Nahrungssuche gehende Einzelgänger geworden und geblieben sind, müssen wir keineswegs ein besonderes Eingreifen der Gottheit durch Offenbarung und Bestellung von charismatischen Führern oder einen geheimnisvollen Trieb zur Vergesellschaftung zu Hilfe nehmen. Wir können eine Hypothese entbehren, der eine Gläubigen gewiss anstößige Auffassung zugrunde liegt, dass das ursprüngliche Schöpfungswerk so mangelhaft gewesen sei, dass zu seiner Befreiung von einem Grundfehler noch einmal oder gar öfter ein neues Eingreifen des Schöpfers notwendig wurde. Wir können auf die allzu einfache Zurückführung der gesellschaftlichen Bindung auf das Wirken eines Vergesellschaftungstriebes verzichten. Wir brauchen auch nicht anzunehmen, dass die isolierten Einzelnen sich zur Stiftung der Gesellschaft durch förmlichen Vertrag verbunden hätten. Die Kraft, die gesellschaftliche Bindung entstehen lässt und sie fortschreitend verdichtet, ist menschliches Handeln, das der Einsicht in die höhere Ergiebigkeit des Zusammenhandelns und Zusammenwirkens durch Arbeitsteilung entspringt.

[129]

Weder Urgeschichte noch Ethnologie noch irgendeine andere Wissenschaft kann uns den geschichtlichen Werdegang darstellen, der von den Rudeln und Horden vormenschlicher Ahnen des Menschengeschlechts bis zu den einfachen und doch schon hoch entwickelten Gesellschaftsformen führt, die uns Urkunden ältester Geschichte und Berichte von Reisenden, die primitiven Völkerschaften begegnet sind, schildern. Die Aufgabe, die der Wissenschaft hier gesetzt ist, kann nur darin bestehen, Kräfte aufzuweisen, die zur Vergesellschaftung führen können und müssen. Diese Aufgabe löst die Praxeologie. Sie zeigt: wenn und insoweit arbeitsteilig verrichtete Arbeit ergiebiger ist als Einzelarbeit und wenn und insoweit diese Tatsache von den Menschen erkannt wird, drängt das Handeln zur Vergesellschaftung und zwar zu fortschreitender Vergesellschaftung, nicht aus geheimnisvollem, unerklärbarem Trieb, sondern aus dem Wesen des Handelns selbst. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Bedingung — höhere Ergiebigkeit der arbeitsteilig verrichteten Arbeit — gegeben ist, weil ihre Voraussetzungen — ungleiche Begabung der Menschen und ungleiche Eignung der verschiedenen Punkte der bewohnbaren Teile der Erde für die Erzeugung der verschiedenen Güter gegeben sind. So vermögen wir das Werden und das Fortschreiten gesellschaftlicher Bindung zu begreifen.

Missverständnisse in Bezug auf das Vergesellschaftungsgesetz

Am Ricardo'schen Vergesellschaftungsgesetz, das man als das Gesetz der komparativen Kosten zu bezeichnen pflegt, wird heute viel herumgemäkelt. Es steht eben allen Versuchen, Schutzzollpolitik in den Augen der Verbraucher zu rechtfertigen, im Wege.

Ricardo’s Genius hat dieses Grundgesetz menschlicher Kooperation und menschlicher Gesellschaftsbildung nur so nebenbei gefunden und höchst bescheiden in einer Anmerkung zu dem Kapitel, das er dem Außenhandel in seinem Hauptwerk widmet, — vorgetragen; im Übrigen macht er davon nur Gebrauch, um einen Einwand zu widerlegen, der den Befürwortern des Freihandels immer wieder entgegenhalten wird. Was soll denn, fragt der Schutzzöllner, mit einem Land geschehen, das von der Natur so stiefmütterlich bedacht wurde, dass in ihm die natürlichen Bedingungen für jede Art von Produktion ungünstiger liegen als in anderen Ländern? Was muss das Schicksal eines solchen Landes in einer freihändlerischen Welt werden? In einer Welt, in der nicht nur für Waren, sondern auch für Kapitalgüter und für Menschen volle Freizügigkeit besteht, würde ein für die Produktion so wenig geeignetes Land aufhören, Standort menschlicher Arbeit zu sein. Wenn die Menschen ohne die Heranziehung der in diesem Land gegebenen Produktionsbedingungen besser fahren, werden sie diese Gebiete meiden und sie so menschenleer liegen lassen wie die Polargegenden, die Tundra und die [130] Wüstenflächen. Ricardo aber hat eine durch die geschichtliche Landnahme und Besiedlung gebundene Welt vor Augen, in der Kapital und Menschen mit der Scholle der Heimat verknüpft sind. In dieser Welt kann Freihandel, d.h. Beweglichkeit der Produkte, nicht dazu führen, dass Kapital und Arbeit sich über die ganze Erdoberfläche nach dem Verhältnis der größeren oder geringeren Gunst der natürlichen Produktionsbedingungen verteilen. In dieser Welt gilt für diesen Fall das Gesetz der komparativen Kosten: jedes Land wendet sich jenen Produktionszweigen zu, für die es relativ, wenn auch nicht absolut, die günstigsten Bedingungen bietet. Es ist für die Bewohner eines Landes vorteilhafter, manche Produktionsmöglichkeiten, die — absolut und rein technologisch betrachtet — günstiger sind als die des Auslandes, unbenützt zu lassen und aus dem Auslande Waren einzuführen, die dort unter Bedingungen erzeugt wurden, die — absolut und rein technologisch betrachtet — ungünstiger erscheinen als die unbenützten inländischen Möglichkeiten. Der Fall ist analog dem Falle des Chirurgen, der es vorteilhaft findet, die Instandhaltung des Operationssaales und der Instrumente einem Gehilfen zu überlassen, der ihm auch in dieser Tätigkeit an Geschicklichkeit nachsteht, um sich ganz jener Arbeit zuzuwenden, in der seine Überlegenheit größer ist, der chirurgischen Operationstätigkeit.

Die Theorie der komparativen Kosten ist auch in ihrer Anwendung auf die Probleme des interregionalen Handels unabhängig von der Wertlehre der klassischen Nationalökonomie; sie sagt überhaupt nichts über Wertung und Wertgestaltung. Sie ist ein analytisches Urteil, das aus den beiden Annahmen, dass Mittel des Handelns nämlich die Produktionsfaktoren (sowohl die persönlichen Produktionsfaktoren, menschliche Arbeit, als auch die ursprünglichen sachlichen Produktionsfaktoren) verschieden sind in der Ergiebigkeit und beschränkt sind in der Beweglichkeit, mit Notwendigkeit folgt. Sie kann dabei von Wertungen absehen, weil sie ohne Schaden für die Richtigkeit und Brauchbarkeit ihrer Schlüsse die vereinfachende Annahme machen darf, dass die Produktion nur auf die Erzeugung von zwei Gütern gerichtet ist, und dass für deren Erzeugung nur drei Produktionsfaktoren in Betracht kommen: einer, der für die Produktion beider Güter benötigt wird, und zwei andere, die für jedes dieser Güter verschieden sind, wobei die größere Knappheit des gemeinsamen Produktionsfaktors das Ausmaß der Ausnützung der beiden anderen Produktionsfaktoren bestimmt. Unter diesen Annahmen, die zwischen den beiden Gütern eine Substitutionsbeziehung schaffen, sucht sie die Frage zu beantworten, die sie sich gestellt hat.

Das Gesetz der komparativen Kosten ist ebenso wenig an die klassische Wertlehre gebunden wie das Ertragsgesetz, dem es in der Gedankenführung verwandt ist. Man kann ohne Bedenken die Annahmen, die man für die Ableitung dieser Gesetze benötigt, so einfach fassen, dass beim Ertragsgesetz nur ein Vergleich von zwei Mengen desselben Gutes zu machen ist, und dass beim Gesetz der komparativen Kosten der Vergleich zwischen zwei Mengen verschiedener Güter dadurch möglich wird, dass wir angenommen haben, dass ihre Erzeugung neben einem spezifischen Produktionsmittel nur nichtspezifische Produktionsmittel gleicher Art erfordert.

Das, was an der Ausdrucksweise und Darstellung des Ricardo'schen Gesetzes heute unbefriedigend erscheint und den Eindruck erweckt, dass es mit [131] den Auffassungen der modernen Wertlehre unverträglich sei, ist gerade diese Vereinfachung der Annahmen, die es ermöglichen soll, Aufwand verschiedener Art und Ertrag ohne Verwendung der Geldrechnung zu vergleichen. Man meint, es müsse dem Gesetz, wenn es aufrechterhalten und bewiesen werden soll, eine Formulierung gegeben werden, die es der vollen Wirklichkeit dadurch näher bringt, dass man an Stelle der einfachen Annahmen alle Bedingungen einsetzt, die im Leben gegeben sind; man will aber anderseits doch nicht die Geldrechnung verwenden, sondern sich jener Nutzen- und Kostenrechnung bedienen, die manchen modernen Nationalökonomen als das brauchbarste Werkzeug nationalökonomischer Gedankenführung erscheint. Es wird im Fortgange unserer Untersuchungen gezeigt werden, dass dieser Versuch zur Ausschaltung der Geldrechnung auf Selbsttäuschung beruht und dass diese Nutzen- und Kostenrechnung, die man bedenkenlos handhabt und als Errungenschaft der Wissenschaft ansieht, auf unhaltbaren Voraussetzungen beruht und das nationalökonomische Denken irreführt. Nutzen- und Kostenrechnung kann immer nur Geldrechnung sein [70] .

Die Bedeutung jener vereinfachenden Annahmen, deren sich Ricardo in der Darstellung seines Gesetzes bedient, ist für uns von der Bedeutung, die ihnen Ricardo beilegt, verschieden. Für Ricardo waren sie Ausgangspunkte von Überlegungen, die zu Wertrechnung führten. Für uns, die wir von einer Wertauffassung ausgehen, die den Gedanken einer Wertrechnung nicht zulässt, sind sie ein Weg, der uns die Wahlakte von Wirten evident machen soll, denen die Geldrechnung, (die nicht Wertrechnung, sondern Wirtschaftsrechnung ist,) fremd ist. Sie soll uns den allgemeinsten Fall des Handelns veranschaulichen, um die Verknüpfung des allgemeinsten Falls mit den spezielleren Fällen zu gestatten. Sie soll uns zeigen, was hinter den Geldrechnungen der Wirte in der Marktwirtschaft in letzter Linie steht.

Wenn wir das Ricardo'sche Gesetz nicht in der vereinfachenden Fassung Ricardo's darstellen wollen, müssen wir uns der Geldrechnung offen bedienen und dürfen uns nicht der Illusion hingeben, als sei ein Vergleich von Kostenaufwendungen verschiedener Art und von Nutzerträgen verschiedener Art auch ohne Geldrechnung durchführbar. Wenn wir den Fall des Chirurgen und des Instrumentenreinigers betrachten, haben wir einfach zu sagen: Wenn der Chirurg seine begrenzte Arbeitszeit für Operationen verwenden kann, die mit 50 Dollar für die Stunde entlohnt werden, wird es für ihn vorteilhaft sein, einen Instrumentenreiniger zu beschäftigen, dessen Arbeit nur mit 2 Dollar für die Stunde entlohnt wird, auch wenn dieser drei Stunden für die Verrichtung benötigt, die der Chirurg in einer Stunde leisten könnte. Wenn wir die Lage zweier Länder vergleichen wollen, haben wir zu sagen: Wenn die Produktionsbedingungen in England so beschaffen sind, dass zur Erzeugung einer Einheit der Ware a und einer Einheit der Ware b je 1 Arbeitstag gleichartiger Arbeit aufgewendet werden muss, wogegen in Indien bei gleichem Kapitalaufwand für a 2 Arbeitstage und für b 3 Arbeitstage aufgewendet werden müssen, dann müsste, wenn die Industrien beider Länder in Wettbewerb stehen, der Lohn in Indien in derErzeugung von a halb so hoch sein als in England und [132] in der Erzeugung von b ein Drittel des englischen Lohnsatzes ausmachen. Wenn der englische Lohnsatz 6 Schilling beträgt, müsste er in Indien in der Erzeugung von a 3 Schilling und in der von b 2 Schilling ausmachen. Diese Verschiedenheit in der Entlohnung gleichartiger Arbeit kann auf die Dauer nicht aufrechtbleiben. (Wir haben doch angenommen, dass die Wanderung der Arbeiter im Verkehr zwischen England und Indien unmöglich ist, dass aber im Inlande selbst Freizügigkeit der Arbeiter besteht.) Arbeiter müssten mithin in Indien aus der Erzeugung von b in die von a strömen und dort den Lohnsatz herabdrücken; ihr Abströmen würde zugleich den Lohn in der Erzeugung von b hinauftreiben. Schließlich werden in Indien die Lohnsätze in der Erzeugung von a und in der von b gleich sein. Die Erzeugung von a könnte bei diesem Lohnsatze die englische Konkurrenz zurückdrängen. Anderseits müsste die Erzeugung von b in Indien unrentabel werden und eingestellt werden, wogegen für die Konkurrenz in England die Ausbreitung der Produktion rentabel würde. Die Überlegung würde zu keinem andern Ergebnis gelangen, wenn wir annehmen wollten, dass die Verschiedenheit der Produktionsbedingungen in England und in Indien auch oder nur in Verschiedenheit der Menge der zur Erzeugung erforderlichen Kapitalmengen hervortritt.

Man hat die Behauptung aufgestellt, dass die Ricardo'sche Lehre nur unter den Voraussetzungen, von denen Ricardo ausgeht, gelten könne und dass sie für die Gegenwart, die anders geartet sei als die Zeit Ricardos, ohne Bedeutung wäre. Ricardo hat den Unterschied von Binnenhandel und Außenhandel in der Verschiedenheit der Beweglichkeit von Kapital, Arbeit und Produkten gesehen. Nimmt man an, dass Kapital, Arbeit und Produkte vollkommen beweglich sind, dann besteht zwischen regionalem und interregionalem Handel nur soweit ein Unterschied, als die Versandkosten in Frage kommen. Dann ist es überflüssig, eine Lehre von den von den Wirkungen des Binnenhandels unterschiedenen Wirkungen des Außenhandels auszubauen; Kapital und Arbeit verteilen sich über die Oberfläche der Erde im Verhältnisse zur größeren und geringeren Gunst der natürlichen Produktionsbedingungen. Es gibt Gegenden, die dichter besiedelt und stärker mit Kapital ausgestattet sind, und Gegenden, die dünner besiedelt und schwächer mit Kapital ausgestattet sind. Überall werden für gleiche Arbeit gleiche Löhne gezahlt.

Ricardo geht aber von der Annahme aus, dass wohl im Innern der Staaten, nicht aber auch im Verkehr zwischen den Staaten Beweglichkeit von Kapital und Arbeit besteht, und er setzt es sich zur Aufgabe, zu prüfen, was eintreten müsse, wenn unter diesen Voraussetzungen die Produkte frei beweglich sind. (Wenn auch die Beweglichkeit der Produkte nicht gegeben ist, dann sind die einzelnen Staatsgebiete isoliert, es besteht Autarkie und es gibt überhaupt keinen internationalen Handel.) Die Theorie der komparativen Kosten erteilt die Antwort auf diese Frage. Die Voraussetzungen, die Ricardo zugrundegelegt hat, waren im Grossen und Ganzen für seine Zeit gegeben. Im weiteren Verlaufe des 19. Jahrhunderts haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert. Die Bindung von Kapital und Arbeit lockerte sich, internationale Wanderung von Kapital und Arbeit, wurde in immer größerem Maßstabe möglich. Dann trat ein Rückschlag ein. Heute sind Kapital und Arbeit im zwischenstaatlichen Verkehr in der Bewegungsfreiheit wieder gehemmt, und die Voraussetzungen Ricardo's stimmen wieder mit dem überein, was die Wirklichkeit zeigt.

[133]

Die Bedeutung der Ricardo’schen Lehre für die Erkenntnis der Wirklichkeit ist über allen Wandel der realen Zustände erhaben, da sie uns gestattet, die Wirkungen des interregionalen Handels unter allen denkbaren Voraussetzungen zu erkennen [71] .

V. Wirkungen der Arbeitsteilung

Um Voraussetzungen und Wirkungen der Arbeitsteilung zu sondern, müssen wir zunächst das Ricardo'sche Vergesellschaftungsgesetz derart fassen, dass es nur von Unterschieden in der Eignung der Menschen für verschiedene Produktionszweige spricht und nicht auch von Unterschieden in den natürlichen Produktionsbedingungen verschiedener Länder. Wir projizieren zu diesem Behufe die Unterschiede in den lokalen Produktionsbedingungen auf die Menschen. Dass institutionelle Faktoren Menschen in Gebieten von weniger günstigen Produktionsbedingungen festhalten und ihre Arbeit daher weniger ergiebig gestalten, erscheint dann als eine Eigenschaft dieser Menschen. Kapitalgüter, die nicht so frei beweglich sind, als es ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften zulassen, sondern auch durch institutionelle Faktoren in der Bewegung behindert werden, betrachten wir wie die durch die Natur selbst mit dem Boden untrennbar verknüpften Produktionsbedingungen. Die zur Arbeitsteilung führenden Umstände stellen sich dann folgendermaßen dar:

Erstens: die Verschiedenheit der menschlichen Leistungsfähigkeit; wie diese den Handelnden auch dann die Arbeitsteilung als für alle Beteiligten vorteilhaft erscheinen lassen muss, wenn die einen den anderen in jeder Hinsicht in der Leistungsfähigkeit überlegen sind, zeigt das Ricardo'sche Gesetz. Es ist dabei ohne Bedeutung, ob die Verschiedenheit der Leistungsfähigkeit natürlich oder institutionellen Ursprungs ist.

Zweitens: die ungleiche Verteilung spezifischer Produktionsmittel über die Erdoberfläche. [72] Hier wirkt die Arbeitsteilung wegsparend; die Aufwendungen und der Zeitverlust, der mit dem Aufsuchen der unbeweglichen Standorte der Produktion durch jeden Einzelnen verbunden wären, entfallen.

[134]

Diese beiden Voraussetzungen der Arbeitsteilung sind unabhängig von einander in der Weise, dass jede von ihnen für sich allein zur Entstehung von Arbeitsteilung hätte führen können, auch wenn die andere Voraussetzung nicht gegeben wäre. Dass wir sie, naturwissenschaftlich betrachtet, auf einen gemeinsamen Nenner mit der Bezeichnung Mannigfaltigkeit der Natur zurückführen könnten, hat nichts damit zu tun, dass sie für unsere praxeologische Betrachtung von einander unabhängige Bedingungen darstellen. Es ist ferner irrelevant für uns, ob man nicht etwa naturwissenschaftlich die Verschiedenheit der Begabung der einzelnen Menschen und Menschengruppen ganz oder zum Teil als Folge der Verschiedenheit der Erdoberfläche ansehen will.

Von den Bedingungen, die zur Arbeitsteilung führen mussten, sobald die handelnden Menschen sie erkannt hatten, sind die Folgen der Arbeitsteilung zu unterscheiden. Diese sind:

Erstens: Die Differenzierung der Leistungsfähigkeit wird durch Übung und Anpassung an besondere Bedingungen verschärft; die Menschen werden immer ungleicher.

Zweitens: Die Arbeitsteilung, die die Vornahme gleicher Prozesse örtlich konzentriert, macht die Zerlegung in Teilprozesse und die Anwendung spezieller Werkzeuge möglich; sie führt zur Mechanisierung von Teilprozessen, die die Ergiebigkeit der Arbeit vervielfachen. Das ist jene Seite der Arbeitsteilung, der man stets mit Vorliebe die Aufmerksamkeit zugewendet hat. Es handelt sich aber da um eine Wirkung, nicht um eine Voraussetzung der Arbeitsteilung. Erst musste durch die Arbeitsteilung die Voraussetzung für die Mechanisierung des Verfahrens geschaffen werden. Die Konzentrierung gleichartiger Prozesse ging voran, die Mechanisierung folgte nach. Aus der höheren Ergiebigkeit mechanisierter Erzeugung konnte daher die Arbeitsteilung nicht entstehen. Damit soll nicht etwa bestritten werden, dass einer der Hauptvorzüge der Arbeitsteilung gerade in der durch sie ermöglichten Steigerung der Ergiebigkeit durch die Einführung von Maschinen zu suchen ist.

VI. Der Einzelne in der Gesellschaft

Nur um zu begreifen, was die gesellschaftliche Bindung bedeutet, denken wir uns den Einzelnen isoliert, auf sich selbst gestellt und selbständig handelnd. Wir nehmen nicht etwa an, dass es solche freie Individuen einmal wirklich gegeben hätte und dass dem Zeitalter menschlicher Gesellschaft ein Zeitalter [135] individueller Nahrungssuche freischweifender Menschen vorangegangen wäre. Die Menschwerdung vormenschlicher Ahnen der Menschen hat sich zugleich mit der Ausbildung der einfachsten Gestaltung gesellschaftlicher Bindung vollzogen. Der Weg, der von der Tierheit entfernter Ahnen zur Menschheit des Urmenschentums führte, war auch zugleich schon der Weg zur Urgesellschaft; in die Menschheit tritt der Mensch schon vergesellschaftet. Der isolierte Einzelne ist das Gebilde einer Fiktion.

Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass die Verwendung dieser Fiktion dem Rationalismus seine Entstehung verdanke und vorzugsweise jener Auffassung des gesellschaftswissenschaftlichen Denkens eigen wäre, die man als individualistisch zu bezeichnen pflegt. Der freischweifende Einzelmensch begegnet uns zuerst in religiösen Lehren, die ihn als Einzelnen erschaffen werden lassen und ihn als Einzelnen der Gottheit gegenüberstellen. Dass der Rationalismus des 17. und 18. Jahrhunderts an dieser Fiktion festhielt, geschah vornehmlich aus dem Grunde, dass er es nicht vermocht hat, sich ganz von den Fesseln theologischer Weltanschauung freizumachen, und weil ihm die Lehre von der Konstanz der Arten selbstverständlich schien. Sowohl die romantische Staats- und Gesellschaftslehre als auch der moderne Sozialismus marxistischer und anderer Spielarten bedienen sich derselben Fiktion, um in ihren Klagen über den Fortschritt der Arbeitsteilung und der Vergesellschaftung das historischer Realität ermangelnde Bild eines alle Kräfte harmonisch entfaltenden Menschen älterer Kulturepochen dem einseitigen Berufsmenschen von heute gegenüberzustellen.

Der in die Gesellschaft eingegliederte Mensch ist an die Gesellschaft gebunden, weil er ohne die Gesellschaft die Zwecke seines Handelns nicht verwirklichen könnte; Rückbildung der Gesellschaft zu weniger weitgehender Arbeitsteilung wäre für ihn mit Verschlechterung seines Versorgungsstandes verknüpft. Er ist in seinen Kenntnissen und Fähigkeiten dem Leben in der Gesellschaft und auf der gegenwärtigen Höhe gesellschaftlicher Entwicklung angepasst. Wenn man ihn mit jenem fiktiven freien Individuum vergleicht, mag man ihn daher auch einseitig nennen. Man darf aber nie vergessen, dass das Urteil, das in dieser Bezeichnung liegt, eine phantasievolle Kritik des Gegebenen darstellt und nichts anderes sagen kann, als dass der Kritiker die Welt anders beschaffen sehen will, als der Wirklichkeit entspricht. Die Welt, die uns gegeben ist, kennt den Menschen nur als ζώογπολιτιχόγ, als Gesellschaftsmenschen.

[136]

In allen seinen Lebensäußerungen ist der Einzelne durch die Gesellschaft geformt. Auch sein Denken, an das gesellschaftliche Werkzeug der Sprache gebunden, ist durch das Leben in der Gesellschaft entwickelt worden. Kein Mensch kann sich daher der Gesellschaft und ihrem Einfluss entziehen. Auch der Einsiedler bleibt Gesellschaftsmensch; die Ideen, die ihn in die Einsamkeit treiben und die er in die Einsamkeit mitnimmt, sind im gesellschaftlichen Leben geformt worden.

Die Anerkennung dieser Tatsachen darf aber nicht dazu führen, nach dem Vorbild der universalistisch-kollektivistischen Lehren dem Einzelnen das echte Sein abzusprechen. Keine Polemik ist müßiger gewesen als der Kampf, den Universalismus und Kollektivismus gegen die von ihnen missverstandenen Lehren der Wissenschaft vom menschlichen Handeln und ihren methodologischen Individualismus geführt haben.

Die Fabel von der Gemeinschaft.

Der praxeologischen Gesellschaftslehre, wie sie zuerst von der klassischen Nationalökonomie ausgebildet wurde, hat man die Fabel von der Gemeinschaft gegenübergestellt.

Die gesellschaftlichen Beziehungen wären, meint man, nicht Gebilde rationalen Handelns; ihren Ursprung und ihr Wesen hätte man «tiefer» zu suchen. Für die einen ist die Gemeinschaft geistiger und metaphysischer Natur: Erfüllt sein vom Geiste, der das wahre Sein ist, und Verbundenheit durch unio mystica mit der göttlichen Kraft und Liebe. Für die anderen wieder ist sie animalischer Natur: die Stimme des Blutes und des Bodens, das Band, das die Abkömmlinge gemeinsamer Stammeltern mit diesen und untereinander verbindet, und die mystische Verbundenheit zwischen dem Pflüger und dem Boden, den er bestellt.

Dass jene metaphysischen Beziehungen empfunden werden, ist ein Tatbestand, der nicht zu bestreiten ist. Es gibt Menschen, die die unio mystica zu erleben glauben und dieses Erlebnis über alles Irdische und Materielle stellen, und es gibt Menschen, die glauben, dass sie die Stimme des Blutes vernehmen und den besonderen Geruch der heimatlichen Scholle nicht nur mit den Sinnen wahrnehmen, sondern auch seelisch erfassen. Das mystische Erlebnis und die Ekstase sind Tatsachen, die man psychologisch zu deuten und zu erklären hat, sie sind aber ebenso harte Tatsachen, wie nur irgendeine psychische Disposition oder Funktion. Es wäre unsinnig, anderes zu behaupten.

Der Grundirrtum der mystischen Gemeinschaftslehren liegt nicht darin, dass sie die Tatsächlichkeit solcher Erlebnisse annehmen, sondern darin, dass sie sie als Urphänomene ansehen, die von rationalen Erwägungen und rationalen Theorien unabhängig sind.

Die Stimme des Blutes, die den Vater seinem Kinde nahe bringt, haben die Angehörigen jener primitiven Völkerschaften nicht vernommen, denen der Kausalzusammenhang zwischen dem Begattungs- und Zeugungsakt und der Geburt unbekannt war. Heute, da jedermann diesen Zusammenhang kennt, [137] kann sie der Mann, der der Treue seines Weibes sicher zu sein glaubt, vernehmen. Doch wenn Zweifel an der Treue des Weibes auftauchen, dann versagt die Stimme des Blutes. Nie hat noch jemand ernstlich behaupten wollen, dass Zweifel über die Vaterschaft durch die Antwort, die die Stimme des Blutes erteilt, behoben werden könnten. Die Mutter, die ihr Kind von der Geburt an nicht aus dem Auge verloren hat, kann die Stimme des Blutes hören. Doch nimmt man ihr frühzeitig das Kind, dann mag sie es später einmal an besonders markanten Kennzeichen, etwa an jenen Muttermalen und Narben, die einst in der Romanliteratur eine Rolle spielten, erkennen; doch die Stimme des Blutes schweigt, wenn solche sinnliche Wahrnehmung und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen sie nicht erwecken. Die Stimme des Blutes, meint man, verbindet mystisch alle Angehörigen des deutschen Volkes. Doch die naturwissenschaftliche Rassenforschung stellt nüchtern fest, dass das deutsche Volk aus Angehörigen verschiedener Rassen, Unterrassen und Arten zusammengesetzt und keineswegs etwa durch gemeinsame Abkunft blutsverwandschaftlich verbunden ist. Der frisch germanisierte Slawe, der seinen ererbten Familiennamen vor kurzer Zeit gegen einen deutschklingenden vertauscht hat, glaubt, dass ihn das Blut, dessen Stimme er zu hören vermeint, mit allen Deutschen verbindet, doch er vernimmt keine Stimme, die ihn zu seinen tschechisch oder südslawisch gebliebenen Brüdern und Vettern ruft.

Die Stimme des Blutes ist nicht ein ursprüngliches Faktum, das die Volksgemeinschaft geheimnisvoll begründet; sie wird durch rationale Überlegungen ausgelöst. Weil der Einzelne sich mit anderen Einzelnen durch gemeinsame Abstammung blutsverwandt weiß oder zu wissen glaubt, entstehen in ihm die Gefühle und Empfindungen, die man als Ausdruck der Stimme des Blutes zu bezeichnen pflegt.

Für die Mystik der religiösen Ekstase und des Bodens ist das nicht minder wahr. Der unio mystica mit Gott muss die Lehre von Gott, seinem Wesen und Wirken vorangehen; nur weil der Mystiker die religiösen Begriffe, Vorstellungen und Theorien sich zu eigen gemacht hat, ist es ihm möglich, die inbrünstige Vereinigung mit Gott zu vollziehen. Die Mystik des Bodens ist an die Ausbildung bestimmter geopolitischer Vorstellungen gebunden. Dass der Bewohner der Tiefebene und der Küstengebiete in den Umkreis des Bodens, dem er sich verbunden fühlt, Hochgebirgsgebiete, die ihm fremd sind und an deren Lebensbedingungen er sich nicht zu gewöhnen vermöchte, einschließt, weil sie politisch und rational zu dem Staate und Volke gehören, dem auch er angehört oder anzugehören wünscht, dass er dagegen benachbarte Gebiete gleicher geographischer Beschaffenheit, weil sie in das politische oder nationale Gebiet eines anderen Staates und Volkes fallen, in diesen Umkreis nicht einbezieht, zeigt schon, dass die Mystik des Bodens auf politischer Ideologie aufgebaut ist.

Die einzelnen Mitglieder eines Staates, oder Volkes und die verschiedenen Gruppen, die sie bilden, stehen einander nicht in Liebe und inniger Verbundenheit gegenüber. Sie hassen und bekämpfen einander nicht selten als Todfeinde. Der Bayer hasste den Preußen und der Preuße den Bayer; wenn sie sich auf gemeinsamem Boden zusammenzufinden und als Glieder eines Volkes zu lieben gelernt haben, war das das Werk der nationalen Ideologie. Der Adelige sieht nicht im Unadeligen seines eigenen Volkes den ihm artgleichen Menschen, wohl aber im Adeligen fremder Völker und Staaten.

[138]

Die wechselseitige sexuelle Anziehung der Geschlechter ist ein der animalischen Natur des Menschen eigentümlicher Vorgang, der von allem Denken und Theoretisieren unabhängig ist. Von ihm mag man sagen, dass er ursprünglich, vegetativ, triebhaft und geheimnisvoll ist, und, bildlich gesprochen, dass er aus zwei Wesen eines macht. Man mag ihn Gemeinschaft und Vereinigung nennen. Doch weder der Begattungsakt noch das, was ihm vorausgeht und ihm nachfolgt, schaffen an sich gesellschaftliche Beziehungen und Verbundenheiten. Auch die Tiere finden sich im Begattungsakt, doch sie haben kein gesellschaftliches Leben aufgebaut. Die menschliche Familie ist nicht etwa Produkt des Geschlechtsverkehres; es ist durchaus nicht natürlich oder notwendig, dass Eltern und Kinder so zusammenhalten, wie in der Familie gelebt wird. Aus den geschlechtlichen Beziehungen kann das Familienleben hervorgehen, doch es muss nicht so sein. Auch die menschliche Familie ist ein Produkt des Geistes, des Denkens und des Handelns. Dass sie das ist, unterscheidet sie von den tierischen Gruppen, die man nach Analogie der menschlichen Familie zu benennen pflegt.

Das mystische Erlebnis der Gemeinschaft ist nicht die Wurzel, sondern ein Produkt der gesellschaftlichen Beziehungen.

Das Gegenstück zur Fabel von der Gemeinschaft ist die Fabel von der natürlichen Abneigung der Rassen und Völker. Ein Instinkt lehre jeden Menschen, die Stammesverwandten von den Stammesfremden zu unterscheiden, und erfülle ihn mit Abneigung gegenüber den Fremden. Die Angehörigen der edlen Rassen empfänden Abscheu und Ekel vor der Berührung mit Angehörigen niederer Rassen. Es genügt dem gegenüber auf die Tatsache der Rassenmischung hinzuweisen. Wenn es heute in Europa keine reinen Rassen gibt, muss man wohl annehmen, dass zwischen den Angehörigen verschiedener Rassen sexuelle Anziehung und nicht Abstoßung besteht. Die vielen Millionen Mischlinge, die aus Verbindung von Weißen und Negern hervorgegangen sind, darf man wohl als lebenden Gegenbeweis gegen die Lehre von der natürlichen Abstoßung der Rassen ansehen. Wenn heute in den Vereinigten Staaten nicht nur der Geschlechtsverkehr, sondern jede gesellschaftliche Berührung zwischen Weißen und den Nachkommen von Negern unter Duldung der Behörden mit den schärfsten Mitteln hintangehalten wird, so ist auch dies ein Beweis dafür, dass zwischen Schwarzen und Weißen keine Abneigung, sondern eher Anziehung besteht; bestünde natürliche Abneigung, dann würde man keiner gesellschaftlichen Zwangsmittel bedürfen, um den Verkehr zwischen den Rassen zu verhindern. Auch die Beliebtheit, deren sich schwarze Ammen, Kinderfrauen, Zofen, Kellner und Köche bei den Weißen erfreuen, spricht gegen diese Theorie.

Der Rassenhass ist ebenso wie die mystischen Gemeinschaftsgefühle keine ursprüngliche, natürliche und den Menschen angeborene Erscheinung; er ist das Erzeugnis einer Ideologie. Doch selbst dann, wenn es einen Tatbestand gäbe, den man als ursprünglichen oder natürlichen Rassenhass zu bezeichnen hätte, würde das die gesellschaftliche Kooperation der Menschen nicht berühren und die Ricardo'sche Vergesellschaftungstheorie nicht entkräften. Die gesellschaftliche Verbundenheit hat weder mit individueller Liebe noch mit einem allgemeinen Liebesgebot etwas zu schaffen. Nicht weil die Menschen einander lieben oder einander lieben sollten, kooperieren sie, sondern weil es im Interesse jedes Einzelnen liegt, sich die Vorteile der Arbeitsteilung zunutze zu [139] machen. Selbst wenn es wahr wäre, dass die Natur zwischen den Rassen Hass wachsen ließ, so läge darin nichts, was die wechselseitigen Vorteile der Arbeitsteilung beeinträchtigen könnte. Nicht aus Liebe zu den Mitmenschen, sondern aus Liebe zu sich selbst zieht der in Gesellschaft lebende Mensch den Frieden und die einträchtige Zusammenarbeit dem unsozialen Gegeneinander vor.

VII. Gesellschaft als Tauschgesellschaft im weitesten Sinne

Nicht jede Beziehung zwischen Menschen ist gesellschaftlicher Natur. Wenn Menschengruppen in einem Vernichtungskampf zusammenstoßen, in dem nichts als der Wille zur Vernichtung des Gegners gilt, wenn Mensch den Menschen so bekriegt, wie der Mensch schädliche Tiere und Pflanzen zu verderben trachtet, gibt es wohl Wechselwirkung und Beziehung, doch nicht Gesellschaft. Gesellschaft ist Zusammenwirken und Zusammenhandeln, das im Erfolg des Partners ein Mittel zum eigenen Erfolg sieht.

Die Kämpfe der Urhorden um Tränke, Futterplatz, Weide und Jagdbeute mögen den Charakter des schonungslosen Ausrottungskrieges, (des «totalen Krieges», wie man heute zu sagen pflegt), getragen haben. Die ersten Zusammenstösse der Europäer mit den Ureinwohnern neuerschlossener Gebiete, die Kämpfe der arabischen Sklavenhändler und ihrer Verbündeten mit den afrikanischen Völkerschaften, bei denen sie auf Sklaven Jagd machten, haben sich bis in das neunzehnte Jahrhundert hinein in dieser Weise abgespielt. Doch schon in ferner Urzeit, lange bevor die geschichtliche Überlieferung einsetzt, hat sich ein Verfahren ausgebildet, das selbst im Krieg manche gesellschaftliche Beziehungen, die vor dem feindlichen Zusammenstoss bestanden hatten, fortbestehen ließ, oder beim Zusammenstoss von Gruppen, zwischen denen früher noch keinerlei Beziehungen bestanden hatten, dem Gedanken Rechnung trug, dass zwischen Menschen über die augenblickliche Feindschaft hinweg eine Kooperation möglich sei. Der Krieg wurde zur Schädigung des Gegners geführt, doch man führte ihn nicht mehr im strengsten Sinne des Wortes schonungslos und rücksichtslos. Man begann gewisse Grenzen zu achten, die im Kampfe gegen Menschen — anders als im Kampfe gegen wilde Bestien — nicht überschritten werden sollten. Über die Todfeindschaft und die Raserei der Vernichtung und Zerstörung hinaus begann ein gesellschaftliches Element Geltung zu beanspruchen. Es bildete sich die Auffassung heraus, dass in jedem Menschen und in jeder Menschengruppe potentiell ein Genosse einer möglichen Zusammenarbeit zu suchen sei und dass man auf diesen Umstand auch im Kampfe Rücksicht zu nehmen habe. Als man erkannt hatte, dass es vorteilhafter sei, die [140] Besiegten zu versklaven statt sie zu töten, zog der Gedanke der Kooperation in die Kriegsgesinnung ein. Die Versklavung ist schon ein erster Schritt auf dem Wege, der zu gesellschaftlicher Zusammenarbeit führt.

Auch zivilisierte Europäer haben, wie schon angedeutet wurde, vor nicht allzu langer Zeit noch Verstöße begangen gegen den Grundsatz, dass selbst im Kampfe der Gegner nicht wie eine wilde Bestie anzusehen ist, die angegriffen und schonungslos vernichtet werden soll, sondern als Mitmensch einer durch keinen Kampf zu zerstörenden, alle Menschen umfassenden Gesellschaft. Erst der Sieg dieser Auffassung, dass auch im Kampfe noch Recht und Unrecht unterschieden werden müsse, dass es ein Recht, also einen Friedensverband gebe, der über den Völkern, auch über den im Kriege einander bekämpfenden Völkern, steht, hat die gesellschaftliche Bindung zur allgemeinen, zur großen, alle Menschen umfassenden ökumenischen Gesellschaft geführt. Die einzelnen Gesellschaften waren in der einen großen Gesellschaft aufgegangen.

Die Kriegführenden, die den Krieg nicht wild nach Art der Bestien führen, sondern nach gesellschaftlichen und «menschlichen» Regeln, verzichten auf die Anwendung mancher ihnen zu Gebote stehender Mittel, um vom Gegner ähnliches Entgegenkommen zu erlangen. Insoweit diese Rücksichten genommen werden, besteht auch zwischen den Kriegführenden noch ein gesellschaftliches Band. Die Kriegshandlungen selbst sind nicht nur asozial, sie sind antisozial. Es ist eine wenig empfehlenswerte Redeweise, den Begriff des Gesellschaftlichen so zu fassen, dass auch die Handlungen, die auf Vernichtung des Lebens von Menschen und auf Unwirksammachung ihres Handelns gerichtet sind, als soziale Beziehungen aufzufassen sind [73] . Wenn zwischen Menschen oder Menschengruppen keine anderen Beziehungen bestehen als Handeln, das die andere Seite zu schädigen sucht, ist überhaupt keine gesellschaftliche Bindung gegeben.

Gesellschaft ist nicht bloße Wechselwirkung. Wechselwirkung gibt es zwischen allen Teilen des Kosmos: zwischen dem Wolf und dem Lamm, dass jener verzehrt; zwischen dem Menschen und dem Bazillus, der sein Leben zerstört; zwischen dem fallenden Stein und dem Gegenstand, auf den er auffällt. Gesellschaft ist immer menschliches Handeln, das mit anderen Menschen mithandelt, damit alle Beteiligten in diesem Mithandeln ihr Handeln verwirklichen.

[141]

VIII. Der Kampf- und Zerstörungstrieb.

Man hat die Behauptung aufgestellt der Mensch sei von Natur aus ein Raubtier, dem wie allen Raubtieren als wilder Urtrieb die Kampfbegierde und die Lust am Zerstören eingeboren sei. Die Kultur habe durch die Ausbildung naturwidriger Humanitätsduselei, die den Menschen seiner animalischen Herkunft entfremdet, diesen Urtrieb zu ersticken versucht. Sie habe den Kulturmenschen zu einem dekadenten Schwächling gemacht, der sich der seinem Wesen entsprechenden Charaktereigenschaften schämt und seine Entartung stolz seine Menschlichkeit nennt. Um dem weiteren Verfall der Menschenart Einhalt zu tun, müsse man den Menschen von der Kultur befreien. Denn Kultur und Zivilisation wären nichts anderes als listige Erfindung der minderwertigen Menschen. Weil diese Untermenschen zu schwach sind, um im Kampfe gegen die Starken ihren Mann zu stellen, weil sie zu feige sind, um das ihnen naturgemäß gebührende Los des Vernichtetwerdens zu erdulden, und weil sie zu faul und zu frech sind, um als Sklaven und Haustiere den Starken zu dienen, hätten sie die ewigen, von der Natur unabänderlich gesetzten Wertmaßstäbe durch eine Wertung zu ersetzen gesucht, die ihre Minderwertigkeit in Wert und die Höherwertigkeit der Starken in Unwert verkehrt. Dieser Sklavenaufstand der Moral müsse durch eine neue Umwertung aller Werte um die Frucht seines Sieges gebracht werden. An Stelle der aus dem Ressentiment der Schwachen geborenen Sklavenmoral müsse wieder die Moral der Starken oder, richtiger ausgedrückt, ihre Moralfreiheit treten. Der Mensch müsse wieder ein würdiger Nachkomme seiner Vorfahren, der edlen Bestien des Urwaldes, werden.

Man hat diese Lehre als soziologischen Darwinismus bezeichnet; ob das berechtigt ist, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht fest, dass man eine Auffassung, die die ganze menschliche Entwicklung vom Zeitpunkte der Loslösung der Vorfahren der Menschen von ihren tierisch gebliebenen Vettern bis zur Gegenwart als naturwidrig abtut, nicht entwicklungsgeschichtlich und überhaupt nicht naturwissenschaftlich nennen darf. Die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung hat keinen anderen Maßstab zur Beurteilung von Veränderungen, die mit Lebewesen vorgegangen sind, als den, ob die Veränderung die Anpassung an die naturgegebenen Bedingungen ihres Daseins und damit die Erfolgsaussicht im Kampfe ums Dasein fördert. Dass die Kultur dem Menschen diesen Dienst geleistet hat, dass sie es ihm ermöglicht hat, sich im Kampfe gegen die anderen Lebewesen — gegen die großen Raubtiere und gegen [142] die ihm noch verderblicheren Mikroben — zu behaupten und seinen Nahrungsmittelspielraum zu erweitern, dass sie die Vermehrung der Spezies Mensch gefördert hat, dass sie die Menschen im Durchschnitt größer, gewandter und widerstandsfähiger gemacht hat, dass sie ihre durchschnittliche Lebensdauer verlängert hat, kann nicht bestritten werden. Dass diese Entwicklung manche Gaben, die einst dem Existenzkampf förderlich waren und es unter den geänderten Verhältnissen nicht mehr sind, verkümmern ließ, und dafür andere Gaben entwickelt hat, kann eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung gewiss nicht einfach als Entartung bezeichnen. Dem Urmenschen waren harte Fäuste im Kampfe ums Dasein ebenso förderlich wie dem Kulturmenschen die Gabe, richtig zu rechnen und gut zu sprechen. Es ist willkürlich und entspricht gewiss nicht entwicklungsgeschichtlicher Denkweise, allein die Eigenschaften, die dem Urmenschen förderlich waren, als natur- und artgemäß zu werten, und die Eigenschaften, die den Kulturmenschen fördern, als Entartungserscheinungen zu verwerfen. Mit demselben Rechte, mit dem man fordert, der Kulturmensch möge sich zu den seelischen Eigenschaften der Urmenschen zurückzüchten, könnte man auch die Forderung aufstellen, der Mensch möge trachten, sich wieder einen Schwanz anzuzüchten.

Es ist bemerkenswert, dass das Lob der wilden Urtriebe von Leuten verkündet wurde, deren Körper den Anforderungen des gefährlichen Lebens keineswegs genügt hätte. Nietzsche war auch vor seinem Zusammenbruch so leidend, dass er sich nur im Engadin und in einigen Landstrichen Italiens wohl fühlte. Er konnte sein Werk nur unter dem schirmenden Dach vollbringen, das die Kultur dem feinnervigen Denker zur Verfügung stellte. Die Apostel der Gewalt haben ihre Bücher im Schutze der bürgerlichen Sekurität geschrieben, die sie nicht müde wurden zu verhöhnen und zu verurteilen. Sie durften ungefährdet ihre Brandreden halten, weil der Liberalismus, dem sie feind waren, die Freiheit des Wortes und der Schrift gewährleistete. Sie hätten sich unglücklich gefühlt, wenn sie auf die Errungenschaften der Kultur, deren Geringschätzung den Kern ihrer Lehre, bildete, hätten verzichten müssen. Welch ein Schauspiel bietet doch der ängstliche Literat Georges Sorel, der die Intellektuellen und die Bürger verachtet und im Lob der Brutalität soweit geht, dass er es dem Erziehungssystem zum Vorwurf macht, «d'atténuer nos tendances à la violence.» [74]

[143]

Man mag zugeben, dass dem Urmenschen Mord- und Zerstörungslust und der Hang zur Grausamkeit angeboren waren. Man mag auch annehmen, dass die Mordlust unter den Bedingungen, die dem menschlichen Leben damals gesetzt waren, der Erhaltung des individuellen Lebens und der Art förderlich war. Der Mensch war einmal eine brutale Bestie [75] . Doch man darf nicht vergessen, dass er ein schwaches Tier war, das sich mit den stärkeren Bestien nicht hätte messen können, wenn ihm nicht noch außer den Raubtiereigenschaften eine andere Gabe geworden wäre, die ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet, die Vernunft. Dass der Mensch vernünftig ist, dass er daher nicht blind und hemmungslos jedem Antrieb folgt, vielmehr sein Verhalten der vernünftigen Überlegung unterordnet, darf die entwicklungsgeschichtliche und zoologische Betrachtung doch nicht als Unnatur werten. Das vernünftige Verhalten, das Handeln, besteht aber gerade darin, dass man die Triebe, die nach Befriedigung verlangen, nach der Wichtigkeit unterscheidet und dass man, da nicht alle Triebe voll befriedigt werden können und Widerstreit zwischen der Befriedigung der verschiedenen Triebe waltet, auf Minderwichtiges verzichtet, wenn es Wichtigerem im Wege steht. Um die gesellschaftliche Kooperation auszubauen, muss der Mensch auf die Befriedigung der Triebe verzichten, deren Befriedigung der Bildung und Fortbildung der gesellschaftlichen Arbeitsvereinigung hinderlich wäre. Dass dieser Verzicht schmerzhaft ist, und dass er Opfer auferlegt, ist nicht zu bezweifeln. Doch, vor die Entscheidung gestellt, zwischen der Befriedigung dieser, mit dem gesellschaftlichen Zusammenleben unvereinbaren Triebe und der Befriedigung aller jener Triebe zu wählen, die nur in der Gesellschaft oder doch besser in der Gesellschaft als in Vereinzelung befriedigt werden können, hat der Mensch zu Gunsten der Gesellschaft und der Kultur gewählt.

Die Entscheidung, die damit getroffen wurde, war keine endgültige. Die Wahl der Ahnen präjudiziert nicht die Wahl der Enkel. Auch heute haben die Menschen zu wählen, und die Entscheidung der Vorfahren beschränkt nicht ihre Freiheit. Jeden Tag können sie an die Umwertung der Werte schreiten und, wie man bis vor kurzem zu sagen pflegte, die Barbarei der Kultur oder, wie man heute zu sagen pflegt, die Seele dem Geist, den Mythos der Vernunft, die Gewalt dem Sichvertragen vorziehen. Doch es gilt zu wählen. Man kann das Unverträgliche nicht zugleich haben.

[144]

Nicht das hat man den Verkündern des Evangeliums der Gewalt vorzuwerfen, dass sie die Wonnen des Blutrausches und die Lust sadistischer Befriedigung preisen. Wertungen sind subjektiv, und die bürgerliche, die liberale Gesellschaft gestattet jedermann, seinen Gefühlen in Worten Ausdruck zu verleihen. Die dem Urmenschen eingeborenen Mord- und Grausamkeitsinstinkte sind durch die Kultur nicht beseitigt worden. Sie sind, wenn vielleicht auch nicht bei allen Menschen, so doch bei der großen Mehrzahl latent vorhanden und brechen hervor, wenn die durch die Kultur gebildeten inneren und äußeren Hemmungen, die sie bändigen, fortfallen. Jeder Kriegsteilnehmer konnte darüber Erfahrungen sammeln, und die Zeitungen berichten täglich von Einzel- und von Massenverbrechen, in denen sich jene Urinstinkte offenbaren. Dass die beliebtesten Filme die sind, in denen Rohheitsakte dargestellt werden und dass die Menge nichts mehr interessiert als Blutverbrechen und Hinrichtungen, kann man nicht bestreiten.

Wenn ein Schriftsteller sagt: das freut die Menge und es freut auch mich, hat er ebenso recht wie mit der Behauptung, dass auch die Vorfahren der Kulturmenschen darin Genuss gefunden haben. Doch wenn er verschweigt, dass die Befriedigung der sadistischen Triebe der Ausbildung und dem Fortbestand der gesellschaftlichen Kooperation im Wege steht, oder wenn er gar erklärt, dass Wohlfahrt und Gesellschaft ein Werk der hemmungslos ihrer Mordlust frönenden Gewaltmenschen sind, dass die Zurückdrängung der Grausamkeitsinstinkte die Menschheit gefährdet und dass man zu ihrer Rettung die Humanität durch die Rückkehr zur natürlichen Rohheit beseitigen muss, irrt er. Die gesellschaftliche Arbeitsvereinigung und Arbeitsteilung beruht auf dem friedlichen Sichvertragen; nicht der Krieg, der Frieden ist der Vater aller gesellschaftlichen Dinge. Dem Menschen sind auch andere Triebe als der Grausamkeitstrieb angeboren und artgemäß, und wenn er diese anderen Triebe befriedigen will, muss er auf die Befriedigung des Grausamkeitstriebes verzichten. Wer sein eigenes Leben und die Unversehrtheit seines Leibes so gut und so lange es geht erhalten will, muss sich darüber klar werden, dass die Achtung vor dem Leben und der Unversehrtheit der Mitmenschen der Erreichung seiner Absicht besser dient als das gegenteilige Verhalten. Man mag bedauern, dass die Welt so beschaffen ist, dass man durch die Befriedigung des Mordtriebes die Befriedigung anderer Triebe stört, doch man kann die Tatsache mit solchem Bedauern nicht beseitigen.

Auch die immer wiederkehrende Berufung auf das Irrationale kann daran nichts ändern. Alle Triebe sind der vernünftigen [145] Überprüfung entzogen, weil die Vernunft es nur mit den Mitteln und nicht mit den Zielsetzungen zu tun hat. Doch das gerade unterscheidet den Menschen vom Tier, dass er nicht ein Spielball der ihn bald hin, bald her treibenden Instinkte ist, dass er nicht widerstandslos jedem augenblicklichen Impuls nachgibt, sondern seine Vernunft zwischen der unvereinbaren Befriedigung verschiedener Triebe wählen lässt.

Man darf den Massen nicht sagen: frönet nur unbedenklich eurer Mordlust, das ist echt menschlich im höchsten Sinne und fördert die menschliche Wohlfahrt. Man muss ihnen sagen: Wenn ihr eure Bluttriebe befriedigen wollt, dann müsst ihr auf sehr viel, ja, auf alles andere verzichten, was euch freut. Ihr wollt essen, trinken, gut wohnen, euch kleiden und noch tausend andere Sachen, die euch nur die Gesellschaft bieten kann. Alles könnt ihr nicht haben, darum müsst ihr wählen. Das gefährliche Leben hat seinen Reiz, doch es verträgt sich schlecht mit der Geborgenheit und dem Wohlstand, die ihr doch auch nicht missen wollt.

Die Wissenschaft kann den Werturteilen der Handelnden nicht vorgreifen. Nicht sie hat zu entscheiden, sondern das Leben. Sie fördert das Leben nicht durch die Fällung von Werturteilen, sondern durch Klarstellung aller Bedingungen, die dem Handeln gesetzt sind, und durch das Aufzeigen der Wirkungen des Handelns. Sie bereitet dem, der entscheiden und handeln soll, das Wissen, auf Grund dessen er die Wahl in voller Erkenntnis ihrer Tragweite treffen kann. Sie stellt die Bentham'sche Berechnung an, sie zeigt, was dies und was jenes kostet. Sie hat nur den einen Beruf, diese Kostenberechnung richtig und vollständig durchzuführen. Sie wird ihrem Beruf untreu, wenn sie Posten, die in die Rechnung einzugehen haben, außer Betracht lässt.

 


 

2. KAPITEL: DIE IDEE IM HANDELN

I. Die menschliche Vernunft

Die Sonderstellung des Menschen im Umkreis des uns bekannten Kosmos liegt in der ihm allein eigentümlichen Vernunft. Ob und inwieweit die menschliche Vernunft ein Werkzeug darstellt zur Erkenntnis der letzten und höchsten Dinge, kann für uns außer Betracht bleiben. Wir betrachten die Vernunft nur soweit, als sie den Menschen zum Handeln befähigt.

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Auch an den Sinnen des Tieres ziehen alle jene äußeren Eindrücke vorbei, die den Stoff menschlicher Beobachtung bilden. Doch nur der Mensch vermag aus der Sinnesempfindung das zu gewinnen, was sie zur Beobachtung und Erfahrung macht, und nur die Vernunft vermag aus den einzelnen Beobachtungen und Erfahrungen den Weg zum systematischen Zusammenhang zu finden.

Vor jedem Handeln steht das Denken. Das Denken ist Vorbedenken künftigen Handelns und Nachbedenken vergangenen Handelns. Denken und Handeln sind nicht zu trennen. Jedes Handeln ist auf der Feststellung von Kausalzusammenhängen aufgebaut. Wer einen Kausalzusammenhang denkt, denkt einen zu Grunde liegenden Satz mit, denkt eine Theorie mit. Handeln ohne Denken, Praxis ohne Theorie sind unvorstellbar. Das Denken mag fehlerhaft, die Theorie mag falsch sein, doch Denken und Theorie können nie fehlen. Anderseits ist Denken stets das Denken eines Handelns. Auch wer reine Theorie denkt, unterstellt sie als wahr, d.h. er nimmt an, dass ein nach dieser Lehre ausgerichtetes Handeln zu dem gemäß der Theorie zu erwartenden Erfolg führen werde. Ob solches Handeln durchführbar ist, ist dabei ohne Belang. Es ist immer der Einzelne, der denkt. Die Gesellschaft denkt nicht, so wenig sie isst oder trinkt. Die Entwicklung des Denkens vom naiven Denken der Urvölker zum schärferen Denken moderner Wissenschaft hat sich in der Gesellschaft vollzogen. Doch das Denken selbst ist ein durchaus Individuelles; es gibt Zusammenhandeln, aber kein Zusammendenken. Es gibt nur eine Überlieferung, die das einmal Gedachte erhalten und den andern mitteilen kann, damit sie es nutzen oder auf der empfangenen Grundlage weiter denken.

Das Denken ist an die Sprache gebunden wie die Sprache an das Denken. Die Begriffe sind Sprachbegriffe. Die Sprache ist Werkzeug des Denkens, wie sie Werkzeug des Handelns ist.

Die Geschichte der Wissenschaft ist ein Gespräch zwischen Denkern, das von Geschlecht zu Geschlecht weitergeführt wird. An dem Denken der Vorgänger rankt sich das Denken des Späteren empor. Ohne diese Anregung und ohne diese Hilfe kann kein Denken vorwärts kommen. Die Beständigkeit der menschlichen Entwicklung, das Säen für die Nachkommen und das Ernten auf den von den Vorfahren bestellten Feldern, tritt auch in der Geschichte der Wissenschaft und des Denkens hervor. Wie wir von unseren Vorfahren produzierte Güter aller Art und aller Güterordnungen geerbt haben, auf deren Besitz sich unser Wohlstand aufbaut, so haben wir von ihnen auch Ideen und Gedanken, Theorien und Technologien geerbt, denen [147] unser Denken und unser Handeln erhöhte Fruchtbarkeit dankt.

Doch das Denken bleibt darum doch durchaus ein Denken des einzelnen Menschen. Es mag sich am Denken anderer entzünden, wie es Anstoß und Anregung auch sonst von Äußeren Dingen empfangen kann, es ist immer ein Individuelles und Persönliches.

II. Weltanschauung und Ideologie

Die Theorien, die dem Handeln zu Grunde liegen, sind mitunter sehr unvollkommen und unzulänglich. Sie mögen Widersprüche enthalten und sich nur schlecht oder gar nicht zu einer logisch geschlossenen Einheit zusammenfassen lassen.

Betrachten wir die Gesamtheit der Theorien, die dem Handeln eines Einzelnen oder dem von Gruppen zugrunde liegen, als ein Ganzes und versuchen wir, so recht und schlecht es gehen mag, dieses Ganze als System, das heißt als eine geordnete Einheit von Erkenntnissen zu sehen, so sprechen wir von Weltanschauung. Weltanschauung ist als Theorie eine Ansicht über alles und jedes und als Anweisung für das Handeln eine Auffassung über den besten Weg, der zum Glück oder — um ein den Gegnern des Eudämonismus weniger anstößiges Wort, das doch dasselbe bezeichnet, zu gebrauchen — zur Zufriedenheit oder mindestens zu geringerem Maß von Unzufriedenheit führt. Weltanschauung ist mithin Naturlehre und Technologie, beide Ausdrücke im weitesten Sinn gesetzt. Religion, Metaphysik und Philosophie wollen Weltanschauung sein, das heißt, sie geben Erklärung der Natur und des Menschen auf der einen Seite, und Anweisung, wie der Mensch sich benehmen soll, auf der anderen Seite.

Enger als der Begriff der Weltanschauung ist der der Ideologie. Wenn wir von Ideologie sprechen, so fassen wir von dem, was den Inhalt der Weltanschauung ausmacht, vor allem das ins Auge, was sich auf das Menschliche und Gesellschaftliche bezieht, und schenken den Problemen der naturwissenschaftlichen Erfahrung und der auf ihr aufgebauten Technologie weniger Beachtung. Wir lassen Physik und Biologie beiseite und denken in erster Linie, oder, so weit es geht, nur an das, was mit Bezug auf die Probleme des gesellschaftlichen Lebens der Menschen von Bedeutung ist. Ideologie ist Zusammenfassung unserer Theorien und der auf ihnen aufgebauten Technologien, soweit sie Fragen der Gesellschaft betreffen.

Als Anweisung zum Handeln ist jede Ideologie einerseits eine Lehre von dem, was frommt, und anderseits eine Lehre von den Wegen und Mitteln, die zum Heile führen. Sie lehrt das [148] letzte Mittel zur Behebung des Unbefriedigtseins kennen und gibt dann die Mittel an zur Erreichung dieses letzten Mittels, das endlich zum Heile führt.

Es gibt Heilslehren, die dem Menschen als einziges und allein wirksames Mittel zur Behebung aller Unzufriedenheit, die ihn quält, die Abkehr vom Leben und Wirken empfehlen. Dem, der diese Auffassung sich ganz und ohne Rückhalt und Vorbehalt zu eigen gemacht hat, ist alles Handeln ein Greuel. Sein Ziel muss es sein, durch vollkommene Enthaltung von allem Wirken und Handeln sein Leben dem der Pflanzen gleich werden zu lassen, nur leidend alles auf sich wirken zu lassen, was von außen kommt, und sein Denken zu nichts anderem zu gebrauchen als zum Nachsinnen über das Heil, das ihn in einer besseren Welt erwartet. Doch die Zahl derer, denen es um die vollkommene Abkehr vom Leben und menschlichen Wirken ernst ist, ist sehr gering. Sie ist so gering, dass man Mühe hätte, auch nur wenige Beispiele solcher Abkehr zu nennen. Wohl ist die Abkehr von allem Irdischen immer wieder empfohlen worden, und immer wieder haben sich Verkünder bemüht, durch Beispiel zur vollständigen Entsagung anzueifern. Doch die Weltflucht scheint der Menschennatur und der Menschenvernunft zu widersprechen. Das Leben hat immer wieder über die Idee der Weltflucht gesiegt. Die asketischen Lehren wurden verwässert, und die selbstlos verzichtenden Heiligen haben sich doch dazu bereit gefunden, manches dem Leben und Handeln einzuräumen, was ihre Lehre, folgerichtig bis ans Ende gedacht, nicht gestattet hätte.

Sobald aber einmal irdische Ziele anerkannt werden, sobald einmal an die Stelle vollkommener Ablehnung alles Irdischen, eine wenn auch bedingte und mit den übrigen Auffassungen der Entsagungslehre kaum zu vereinbarende Anerkennung des Lebens und des Handelns getreten ist, betritt man den Boden, auf dem man sich mit allen Auffassungen begegnet, die das Leben, Handeln und Wirken, kurz die diesseitige Welt, bejahen. Dann gibt es Gemeinsames sowohl im endlichen Ziel als auch in den Mitteln.

Die Auffassungen, die die einzelnen Menschen von Dingen haben, von denen sie weder durch die Vernunft noch durch die Erfahrung Kunde erhalten, können so weit von einander abweichen, dass eine Verständigung schlechterdings unmöglich ist. Auf diesem Gebiet, auf dem der freien Betätigung des menschlichen Geistes keine Schranken gezogen sind, wo er weder durch die Struktur des logischen Denkens noch durch die Empfänglichkeit der Sinne gebunden ist, kann seine Eigenart und Individualität sich am Stärksten ausdrücken. Nichts ist so ganz an [149] die Persönlichkeit gebunden wie das Gefühl und das Verhältnis zum All. Nichts ist so asozial wie das Metaphysische und das Mystische. Die Sprache reicht nicht aus, um das Transzendente von Geist zu Geist zu vermitteln; es kann nie festgestellt werden, ob bei dem Versuche, es durch die Sprache zu übertragen, nicht gerade das Wesentliche verlorengegangen ist. In Dingen des Jenseitigen gibt es keine Verständigungsmöglichkeit. Glaubenskriege sind die fürchterlichsten Kriege, weil sie ohne Hoffnung auf Frieden geführt werden.

Doch wo es sich um Irdisches handelt, macht sich die natürliche Verwandtschaft alles Menschlichen geltend. Wo die Menschen irdischen Zielen nachgehen, kommt die Überlegenheit der arbeitsteilig verrichteten Arbeit zur Geltung. Indem die gesellschaftliche Vereinigung des Handelns zum wichtigsten Mittel des Handelns jedes Einzelnen wird, wie auch immer seine Ziele beschaffen sein mögen, wird sie zum allgemeinen Mittel für alle Ziele und Zwecke, denen Menschen zustreben.

Keine Weltanschauung und keine Ideologie, die nicht unbekümmert um alles andere an dem Gedanken, dass das Heil allein in vollständiger Abkehr von Welt, Wirken und Handeln liegt, festhalten, können sich der Einsicht verschließen, dass die Gesellschaft das große Mittel ist, das zu allen irdischen Zielen des Menschen führt. Damit aber ist ein Boden gewonnen, auf dem eine Verständigung durch Erörterung der einzelnen Fragen angebahnt werden kann. Die Ideologien mögen sich im übrigen noch so schroff gegenüberstehen, darin, dass sie alle die Gesellschaft bejahen, finden sie einander.

Man pflegt das gewöhnlich zu verkennen, weil man sich bei Betrachtung der Ideologien mehr mit dem befasst, was sie über das Jenseitige und Unerfahrbare lehren, als mit dem, was sie in Bezug auf das Handeln auf Erden sagen. Zwischen den Teilen einer Ideologie, die als Einheit vorgetragen wird, klafft oft eine unüberbrückbare Kluft. Wirkung hat aber nur das, was von Menschen als Richtschnur des Verhaltens genommen wird, nicht aber die, im Praktischen als unverbindlich betrachtete, theoretische oder akademische Anerkennung einer Lehre. Schon weil folgerichtig und vollständig durchgeführte Askese längstens in einem Menschenalter zum Aussterben der Anhänger führt, sind nur jene Ideologien praktisch wirksam, deren Lehre in Anerkennung der Notwendigkeit zu leben und zu handeln mündet, mag diese Anerkennung auch nur bedingt sein und mag sie auch in unlösbarem Widerspruch zum übrigen Inhalt der Lehre stehen.

Der Wissenschaft vom Handeln, die über die letzten Ziele des Handelns nichts zu sagen hat, die diese Ziele als gegeben [150] hinnehmen muss und nur über die Mittel und Wege, die zu ihnen führen, Aussagen innerhalb der ihr gezogenen Grenzen machen kann, ist damit das Gebiet für die Befassung mit den Ideologien abgesteckt. Soweit die Ideologien die Gesellschaft als das große Mittel alles menschlichen Handelns bejahen und soweit sie die Befriedigung der gemeinen Notdurft des Lebens als ein dem menschlichen Handeln gegebenes Ziel anerkennen, stehen sie alle auf einem Boden, der der Erforschung durch die Wissenschaft vom Handeln zugänglich ist.

Diese Feststellung ist nicht bloß für die Absteckung des Betätigungsgebietes der Wissenschaft wichtig; sie ist auch von unmittelbar praktischer Bedeutung.

Man nimmt gewöhnlich an, dass es sich bei dem Gegensatz der politischen Parteien oder wenigstens der meisten politischen Parteien um Weltanschauungsfragen handelt, um letzte Entscheidungen, die einer rationalen Überprüfung nicht zugänglich sind. Wenn dem wirklich so wäre, dann wäre jeder Versuch, die Gegensätze zu überbrücken, aussichtslos; zwischen den Menschen, die verschiedenen Parteien angehören, wäre jede Verständigung ausgeschlossen; der Kampf der Parteien könnte nie aufhören, es sei denn, dass es einer Partei gelingen würde, alle übrigen für immer auszurotten.

Eine Untersuchung der Parteiprogramme — sowohl der schön ausgearbeiteten und öffentlich verlautbarten, als auch der von den Parteien, wenn sie am Ruder sind, wirklich befolgten – lässt jedoch die Parteigegensätze anders erscheinen. Alle Parteien erstreben irdischen Reichtum für die Gruppen, denen sie dienen wollen. Wenn sie dabei gewöhnlich die Auffassung vertreten, dass sich dieses Ziel nur auf Kosten des Wohlstands anderer Gruppen erreichen lasse, wenn sie mitunter selbst soweit gehen, die Unterjochung, ja Vernichtung aller übrigen Gruppen als die unumgängliche Voraussetzung für das Glück der eigenen Gruppe anzusehen, so ist ihnen diese Schädigung anderer nur Mittel zur Erreichung der angestrebten Ziele, nicht selbst Ziel. Wenn sie zur Einsicht gelangen würden, dass ihre Ziele auf anderem Wege besser zu erreichen sind, oder gar zur Einsicht, dass gerade die Förderung der Wohlfahrt der übrigen eine Voraussetzung für die Förderung der Gruppen bildet, für deren Wohlfahrt allein sie eintreten, würden sie ihre Stellung ändern.

Die großen Worte, die die Menschen um Dinge machen, die außerhalb des Bereiches liegen, den sie mit dem Werkzeug ihrer Vernunft zu erfassen vermögen, ihre Kosmologien und Weltanschauungen, ihre Religionen, Mystiken, Metaphysiken und Begriffsdichtungen sind so verschieden, wie Erzeugnisse [151] menschlicher Geistestätigkeit sich überhaupt unterscheiden können. Der praktische Kern aller Ideologien aber, jener Teil, der von den Zielen handelt, die im irdischen diesseitigen Leben anzustreben sind, und von den Wegen, die zu diesen Zielen führen, weist im Grundsätzlichen weitgehende Übereinstimmung auf. Wohl gibt es auch hier Unterschiede und Gegensätze sowohl in den Zielen als auch in den Mitteln. Diese Unterschiede sind aber, soweit sie die letzten Ziele betreffen, keineswegs von solcher Art, dass sie eine Verständigung über gemeinsames Handeln im gesellschaftlichen Verbande ausschließen würden. Soweit sie die Mittel betreffen, mithin technischer Natur sind, ist eine Auseinandersetzung auf dem Boden vernünftiger Überlegung von vornherein möglich.

Dreifach sind die Möglichkeiten menschlicher Beziehungen: Krieg aller gegen alle, friedliches Nebeneinander in vollständiger Isolierung der Einzelnen und schließlich Zusammenwirken in der Gesellschaft. Indem alle Ideologien dazu gelangen, das Zusammenwirken als die allein den Menschen fördernde Gestaltung anzunehmen, bejahen sie die Gesellschaft. Die praktische Bedeutung des unüberwindbaren Gegensatzes der Weltanschauungen wird damit wesentlich herabgemindert. Denn die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Bindung erscheint nun allen Richtungen als Mittel zur Erreichung ihrer weiteren Ziele, wie immer diese beschaffen sein mögen. Auffassungen, die auf irrtümlichen Lehren über das Wesen und Wirken der Gesellschaft aufgebaut sind, und Programme, deren Durchführung die gesellschaftlichen Einrichtungen zerstören würde, können nun auf einem Boden erörtert werden, der durch die Gemeinsamkeit eines Zieles — sei es auch für niemand das letzte Ziel eine vernunftgemäße Austragung der Gegensätze durch Erörterung und Aussprache gestattet.

Wenn in Auseinandersetzungen über gesellschaftliche Probleme von der einen oder der anderen Seite die Behauptung aufgestellt wird: «da liegt eine Frage der Weltanschauung vor, über die wir nicht weiter verhandeln können; hier müssen wir starr und unnachgiebig sein, koste es, was es wolle», so muss man der Sache nur genauer auf den Grund gehen, um festzustellen, dass es sich um eine Redeweise handelt, die den Gegensatz unrichtig und vor allem auch als schärfer kennzeichnet, als dem Sachverhalt entspricht. Denn für alle Parteien, die die Gesellschaft bejahen, sind Fragen der Gesellschaftsverfassung nicht weltanschauliche, sondern ideologische, nicht grundsätzliche, sondern technische Probleme, die rationaler Erörterung zugänglich sind und in Bezug auf die eine Ausdruckweise wie: «hier gibt es kein Verhandeln; das streben [152] wir an, mag auch darob alles andere in Trümmer gehen», nicht dem Sinne der Haltung entspricht, die die Parteien wirklich einnehmen. Denn alle Parteien wollen, wenn sie: fiat justitia, pereat mundus rufen, in Wahrheit sagen: fiat justitia, ne pereat mundus wobei unter mundus wohl die Gesellschaft zu verstehen ist. Über die justitia des ersten Ausspruches kann es keine rationalistische Auseinandersetzung geben, die justitia des zweiten Ausspruches verlangt nach einer rein vernunftgemäßen Auseinandersetzung über das, was geeignet ist die Welt — die Gesellschaft - zu erhalten, und über das, was ihr Gefahr bringt.

In den einzelnen Parteiprogrammen nehmen die technischen Mittel zur Erreichung des allen Parteien vorschwebenden Zieles freilich eine andere Stellung ein. Parteien haben sich auf bestimmte Mittel festgelegt, sie empfehlen bestimmte Mittel als die einzigen, die geeignet wären, das angestrebte Ziel zu erreichen, und lehnen alle anderen Mittel als ungeeignet ab. Für die Partei ist das Mittel wesentlich, und Parteibildung vollzieht sich nach der Wahl der Mittel; das Ziel, Wohlfahrt derer, die sie vertreten wollen, im geselllschaftlichen Verbande und durch die Gesellschaft zu erreichen, ist allen Parteien gemeinsam. Die Partei geht unter, wenn das Programm, das sie aufgestellt hat, sich als ungeeignet erweist; die Parteiführer, deren Ansehen mit diesem Programm verknüpft ist, mögen Grund genug haben, eine Erörterung nicht zuzulassen. Doch für die, als deren Sachwalter die Partei auftritt, liegt die Sache anders. Für sie ist im Parteiprogramm nichts der Erörterung entzogen; sie können in einem Parteiprogramm nichts anderes erblicken als die Empfehlung eines Verfahrens zur Erlangung der Wohlfahrt, und sie dürfen es in allen seinen Teilen kritisch prüfen.

Die Parteien, die man heute als Weltanschauungsparteien bezeichnet, scheiden sich entweder nach ihrer Stellung zur Religion oder nach ihrer Stellung zum Nationalismus oder nach ihrer Stellung zum Eigentum an den Produktionsmitteln oder auch nach ihrer Stellung zum Problem der politischen Verfassung.

Beginnen wir mit der letzten der angeführten Gruppen. Wenn die einen für Demokratie, die anderen für Erbmonarchie, andere wieder für cäsaristische oder, wie man heute sagt, faschistische Diktatur, andere schließlich für die Herrschaft einer Elite eintreten, so werden diese Programme zwar einfach durch Berufung auf ewiges Recht, auf die Natur, auf die göttliche Weltordnung oder auf andere, der Erörterung durch die beschränkte menschliche Vernunft entzogene transzendente [153] Gesichtspunkte gerechtfertigt. Doch diese Berufung dient nur der Ausschmückung des Programms. Im Kampf um die Gewinnung von Anhängern bedienen sich die Parteien anderer Argumente. Da suchen sie zu zeigen, dass die von ihnen empfohlene Staatsverfassung besser als die von den Gegnern empfohlenen imstande sei, die Gesellschaft jenen Zwecken dienstbar zu machen, die die Bürger durch sie erreichen wollen. Da wird von den Erfolgen gesprochen, die man durch die empfohlene Verfassung schon erzielt hat und in Zukunft zu erzielen hofft, da wird von den Nachteilen gesprochen, die das von den Gegnern befürwortete System mit sich bringt. Der Faschismus beruft sich nicht einfach auf seine Weltanschauung, sondern er sucht zu erweisen, dass die faschistische Ordnung der Wohlfahrt bessere Dienste zu leisten vermöge als die liberale Demokratie. Die Demokratie beruft sich nicht einfach auf demokratische Weltanschauung, sondern auf Vernunftgründe, die die Demokratie als die zweckmäßigste Einrichtung des Staatswesens erscheinen lassen, und auf geschichtliche Erfahrung, die diese Vernunftgründe bestätigen soll.

Nach ihrer Stellung zum Problem des Eigentums an den Produktionsmitteln scheiden sich Sozialismus, Liberalismus und Interventionismus. Auch in der Auseinandersetzung über diese Gegensätze beruft man sich nicht selten auf das Irrationale; man vernimmt Worte wie Gerechtigkeit, Menschlichkeit, wahre Freiheit, Individualität, Gemeinschaft, Solidarität und dgl. mehr. Doch jede Partei ist bemüht, den Nachweis zu erbringen, dass nur eine nach ihren Ideen aufgebaute Wirtschaftsordnung das allgemeine Beste und das der Einzelnen gewährleisten könne. Die Parteien suchen zu zeigen, dass die Durchführung ihres Programms nützlicher sei als die Durchführung der Programme der anderen Parteien. Die Verwirklichung unseres Programms wird euch zufriedener machen als die Verwirklichung des Programms unserer Gegner, sagen sie. Nicht durch das Ziel unterscheiden sie sich, sondern durch die Mittel, durch die sie das Ziel erreichen wollen. Eine Erörterung über die Mittel, die zu einem gesetzten Ziele führen, ist von Anfang bis zu Ende die Sache vernunftgemäßer Erwägungen.

Der Nationalist geht von der Auffassung aus, dass die Interessen der Völker einander entgegenstehen und dass innerhalb des Volkes die richtig verstandenen Interessen der Einzelnen und der Volksgesamtheit identisch sind. Des einen Volkes Vorteil sei der Schaden aller anderen Völker; der Einzelne aber könne nur gedeihen, wenn sein ganzes Volk gedeiht. Der Liberalismus ist anderer Ansicht. Er hält die richtig verstandenen [154] Interessen der Völker ebensowenig für unverträglich wie die der einzelnen Gruppen, Klassen und Schichten innerhalb eines Volkes. Er sieht nicht im Vernichtungskampf der Völker, sondern in ihrem friedlichen Zusammenwirken das geeigneteste Mittel zur Erreichung des Zieles, das ihm mit dem Nationalismus gemein ist: höchste Entfaltung der nationalen Kräfte. Sowie der Liberale für Sondereigentum an den Produktionsmitteln nicht darum eintritt, weil er den Interessen der übrigen Volksteile entgegenstehenden Sonderinteressen einer Klasse dienen will, sondern weil er die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhende Wirtschaftsordnung für die Gesellschaftsverfassung hält, die die reichste Versorgung aller Volksgenossen gewährleistet, so tritt er für Freihandel und für Frieden nicht etwa im Interesse der Ausländer ein, wie ihm die Nationalisten vorwerfen, sondern im Interesse aller Völker, vor allem aber auch des eigenen Volkes. Nicht das Ziel scheidet ihn vom Nationalismus, sondern die Mittel, die zum Ziele führen sollen.

Religiöse Gegensätze können durch die Vernunft nicht behoben werden. Das Wesen der Religion liegt gerade darin, dass sie eine Sphäre der logischen Erörterung entzieht und Lehren vorträgt, zu denen menschliche Vernunft und menschliche Erfahrung nicht zu gelangen vermögen. Über Glaubensfragen kann man sich mit den Mitteln der Vernunft nicht auseinandersetzen, es sei denn, man beschränkt von vornherein den Umfang des auszutragenden Gegensatzes auf die rationalistische Auslegung gewisser von allen Teilnehmern als verbindlich anerkannter Texte und Lehren, auf deren Boden gekämpft wird. Von diesem Fall abgesehen kann man daher von religiösen Parteiungen sagen, dass sie hoffnungslose unüberbrückbare Feindschaft stiften.

Doch wenn eine Kirche oder Sekte sich im irdischen Leben, sei es auch nur als Kriegsmacht, bewähren will, ist sie den Gesetzen, die das Handeln der Menschen regieren, unterworfen. Eine fanatische Sekte mag sich als Todfeind allem übrigen Menschentum gegenüberstellen, doch dann muss sie sehen, wie sie der vereinten Macht dieser anderen Widerstand leistet. Vom Austausch wirtschaftlicher Güter abgeschlossen, wird sie im Kampf schon wegen der schlechteren Ausrüstung unterliegen müssen. Ihr Verhältnis zur übrigen Menschheit wird dem einer Bande von asozialen Einzelnen gleichen, die den Zwang, den das Leben in der Gesellschaft auferlegt, nicht ertragen wollen; sie wird bei aller Tapferkeit und Tüchtigkeit doch endlich erliegen müssen. Dass es so kommen muss, ist durch vernunftgemäße Überlegungen zu erkennen. Da handelt es sich nicht mehr um [155] Fragen des Glaubens und der letzten, der rationalen Erwägung entzogenen Ziele, sondern um Fragen der Mittel. Die Völker und Sekten, die sich dieser Erkenntnis verschlossen haben, sind im Kampfe untergegangen. Andere wieder haben, durch die Vernunft von der Aussichtslosigkeit solcher Haltung belehrt, ihre Grenzen den fremden Waren und den von den Ausländern erdachten Technologien eröffnet. Die Reiche des Ostens, die sich jahrtausendelang abgesperrt gehalten haben, sind damit in die große ökumenische Gesellschaft eingetreten. Wohl haben sie dabei ihren Glauben an die Überlegenheit ihrer Rasse und ihrer Weltanschauung nicht aufgegeben und sich die Waffen der Ungläubigen nur verschaffen wollen, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Doch die Logik des Handelns ist unentrinnbar. Das, was sie genötigt hat, einmal ihren Standpunkt starrer Absonderung aufzugeben, wirkt weiterhin nicht weniger als im Augenblick der ersten Nachgiebigkeit. Jede Gruppe oder Sekte, die sich heute von der Welt und dem Weltverkehr wieder ausschließen wollte, um in stolzer Vereinzelung den übrigen Menschen feindlich gegenüberzutreten, würde sich in eine aussichtslose Kampfstellung begeben.

Nur eine Weltanschauung, deren Bekenner auf jedes Wirken auf Erden verzichten wollen, kann sich der Macht der rationalistischen Erwägungen verschließen, die letzten Endes zur Anerkennung der gesellschaftlichen Kooperation als eines allen handelnden Menschen gemeinsamen Zwischenzieles führen. Weil der Mensch ein soziales Wesen ist, weil er nur in der Gesellschaft leben und gedeihen kann, müssen alle Ideologien die Gesellschaft bejahen und müssen alle Parteien die zweckmäßigste Einrichtung der politischen Organisation des gesellschaftlichen Zusammenlebens anstreben. Auf diesem gemeinsamen Boden trennt die Parteien nichts mehr, was man als irrational und der vernunftgemäßen Erörterung entzogen bezeichnen darf, sondern nur Probleme der Mittelwahl, deren Erörterung Aufgabe der Vernunft ist.

A. Die marxistische Ideologienlehre

Der Marxismus sucht die Gefahr, die seinen Lehren von Seite der logischen Kritik droht, dadurch zu bannen, dass er die Vernunft in Frage stellt. Das Denken sei an die Interessen der Klasse gebunden; es könne nur «Ideologien» hervorbringen, was im Sprachgebrauch des Marxismus soviel bedeuten soll wie Lehren, die dem Klasseninteresse des Denkers entsprechen.

Die Unhaltbarkeit der marxistischen Ideologienlehre, die heute vor allem unter der Bezeichnung «Wissenssoziologie» vorgetragen wird, ist längst erwiesen worden. Der Marxist lässt freilich, ausgerüstet mit seiner Ideologienlehre diesen Nachweis nicht gelten, da er doch seiner Auffassung nach nur [156] mit «bürgerlicher» Vernunft als «kapitalistische Ideologie» geführt werden kann. Eigens zu dem Zwecke, um die Lehren der klassischen Nationalökonomie und Soziologie und die auf ihnen aufgebauten Lehren des Liberalismus, die man durch logische Beweisführung nicht zu erschüttern vermag, zu bestreiten, ohne diese Bestreitung logisch rechtfertigen zu müssen, wurde die marxistische Ideologienlehre geschaffen. Sie ist so paradox, dass der Marxismus nie streng an ihr festhalten konnte. Im Widerspruch zu seiner Ideologienlehre lässt er sich in Erörterungen mit anderen Klassen angehörenden Gegnern ein, beruft er sich als auf einen besonders beweiskräftigen Umstand auf Zustimmung, die sein Sozialisierungsprogramm bei Angehörigen anderer Klassen gefunden hat, nimmt er endlich für seine eigenen Lehren allgemeingültigen Wahrheitscharakter an. Besonders schlimm ist es, dass ihm schließlich aus seinen eigenen Reihen gesagt werden musste, dass der Marxismus selbst «bürgerlichen» Ursprungs sei [76] . Man kann mit Hilfe der marxistischen Ideologienlehre nichts beweisen und alles widerlegen, denn sie führt zu radikalster Skepsis. [77]

Marx hat seine Ideologienlehre im Hinblick auf die zeitgenössische Auffassung vom Wesen und von den Aufgaben der Nationalökonomie geformt. Er wollte diese Nationalökonomie, die er nicht zu widerlegen vermochte und die er mit allen Mängeln, die scharfsichtigeren Zeitgenossen schon aufgefallen waren, bedenkenlos hinnahm, entwerten, um der auf ihr aufgebauten Kritik der sozialistischen Pläne den Boden zu entziehen. Hätte er die Klassiker und deren von ihm als «Vulgärökonomen» gebrandmarkten Nachfolger wirklich gekannt, hätte er ihre Schriften geistig verarbeitet und ihr Denken nachdenkend in sich aufgenommen, statt in ihren Werken nach Aphorismen zu jagen, die er zur Ausschmückung seiner Agitationsschriften verwenden konnte, dann hätte er bemerken müssen, dass die Ideologienlehre an dem grundlegenden Tatbestand der Wissenschaft vom menschlichen Handeln gar nicht zu rühren vermochte. Doch wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen hat Marx nicht begriffen, dass die Nationalökonomie keine Lehre von den Zielen ist, denen die Menschen zustreben sollen, sondern eine Lehre von den Mitteln und Wegen, die zu Zielen führen über die die Wissenschaft keine Aussagen macht und die sie weder empfiehlt noch verwirft. Wenn man in der Wissenschaft eine Lehre von den Zielen, die angestrebt werden sollen, sieht, hätte die Ideologienlehre noch einen logischen Sinn. Hat man aber einmal den wahren Charakter der Lehren der Wissenschaft vom menschlichen Handeln erkannt, hat man den Sinn ihrer «Wertfreiheit», ihres formalen Charakters und ihrer Neutralität gegenüber den menschlichen Zielsetzungen erfasst, dann verliert sie jeden Sinn. Wer ein Ziel will, will auch wissen, welche Wege zu diesem Ziel führen. Was könnte es ihm frommen, falsche Lehren über die Mittel und Wege auszudenken? Wie kann es einer Klasse, die einem bestimmten Ziele zustrebt, nützen, dass sie an Stelle einer richtigen Lehre über die Wege, die zu ihrem Ziele zu führen vermögen, nur falsche Lehren — «Ideologien» im marxistischen Sinn dieses Wortes — zu ersinnen vermag? Der Umstand, dass der Jäger das Wild erlegen will, treibt ihn dazu, sich eine brauchbare Waffe zu verschaffen und [157] zu diesem Behufe eine «richtige» und keine «ideologische» Ballistik zu ersinnen; er mag irren, weil sein Geist der Aufgabe nicht gewachsen ist; doch wenn er irrt, irrt er nicht, weil er das Wild erlegen will, sondern obwohl er es erlegen will. Der Umstand, dass eine Klasse einem bestimmten gesellschaftlichen Ziele zustrebt, treibt sie dazu, eine richtige Lehre vom gesellschaftlichen Handeln zu ersinnen, und nicht dazu, eine unrichtige Lehre aufzustellen, die doch ungeeignet wäre, die brauchbaren Mittel zur Erreichung des Ziels zu zeigen.

Die marxistische Ideologienlehre ist unhaltbar, weil sie die logischen Beziehungen Mittel und Zweck, Denken und Handeln, Wissenschaft und Kunstlehre verkennt. Selbst der verbissenste Anhänger des Sozialismus wird zugeben müssen, dass diese Beziehungen von den gesellschaftlichen Verhältnissen und von der Klassenlage unabhängig sind.

B. Die rassenbiologische Variante des Polylogismus

In ähnlicher Weise und aus ähnlichen Gründen wie der Marxismus sucht auch die rassenbiologische Ideologie die Einheit der menschlichen Vernunft in Frage zu stellen.

Es ist nicht zu bestreiten, dass soweit das Verstehen reicht, eine Einigung zwischen den Menschen nicht zu erzielen ist. Das Verstehen ist immer an die Persönlichkeit des Einzelnen gebunden, es ist subjektiv und wird von allem beeinflusst das die Persönlichkeit des Verstehenden geformt hat. Wir dürfen annehmen, dass unter den Faktoren, die die Persönlichkeit und damit die Wertungen und das Verstehen gestalten, auch das Rassenelement eine Rolle spielt, d.h. alles das, was der Mensch bei der Geburt, an leiblicher Ausstattung mit in das Leben bringt, seine angeborenen und von den Ahnen ererbten Eigenschaften. Doch wir wissen bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse nichts über den Zusammenhang des Körperlichen und des Geistigen, und wir können keine wie immer geartete Aussage darüber machen, ob und in welcher Weise das Leibliche imstande ist, das Verstehen zu beeinflussen. Man hat den Versuch unternommen, bestimmte Wertungen (Typen des Verstehens, Verstehenstypen) einzelnen Völkern zuzuordnen; die Versuche sind fehlgeschlagen, da sich leicht nachweisen lässt, dass jede Gliederung der Menschen nach Verstehenstypen die Gliederung nach Volkszugehörigkeit durchkreuzt. Niemals aber hat man es gewagt, die Verstehenstypen angeborenen körperlichen Merkmalen zuzuordnen. Die Versuche, etwa die Blonden von den Brünetten in Bezug auf das Verstehen zu sondern, werden selbst von den Fanatikern der Rassenlehre nicht ernst genommen.

Doch es handelt sich weder bei der marxistischen Ideologienlehre noch bei ihrem rassenbiologischen Gegenstück um das Verstehen, sondern um das Begreifen der praxeologischen Kategorien, um Logik, Mathematik und empirische Naturwissenschaft. Die rassenbiologische Lehre behauptet, dass die logische Struktur des Denkens nicht allgemein menschlich und daher nicht für alle Menschen identisch sei, dass es vielmehr ebenso viele Logiken, Mathematiken, Nationalökonomien und Naturwissenschaften gäbe als Menschenrassen. Die Versuche, Mathematik und empirische Naturwissenschaft im Lichte der rassenbiologischen Lehren zu sehen, berühren die praxeologischen Probleme nur mittelbar. An die Grundlage der Praxeologie will dagegen die Behauptung [158] rühren, dass jeder Rasse eine besondere Art der Erfassung der praxeologischen und insbesondere der nationalökonomischen Probleme arteigen ist.

Man darf auf die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem rassenbiologischen Einwand nicht darum verzichten, weil er bisher nur in unzulänglicher Weise vorgebracht wurde. Dass auf den Prämissen der rassenbiologischen Lehre bewusst eine Politik aufgebaut wird, die mit diesen Prämissen nicht übereinstimmt, und dass man die Schlagworte der Rassentheorie zur Rechtfertigung von Maßnahmen verwendet, die mit ihr nichts zu tun haben, enthebt das wissenschaftliche Denken nicht der Verpflichtung, das Problem der Menschenrassen im Hinblick auf seine praxeologische Bedeutung bis ans Ende durchzudenken.

In der nationalsozialistischen Doktrin und in den ihr nachgebildeten Lehren des italienischen Faschismus und mancher anderer Gruppen klafft zwischen den rassenbiologischen Aussagen der Begründer der Lehre und ihrer Zustutzung für die Propaganda und für ihre Anwendung in der praktischen Politik eine unüberbrückbare Kluft. Die Rassenlehre Hitlers und Mussolinis ist nichts weiter als der Versuch, für eine gegen Juden und die Nachkommen von Juden gerichtete Politik eine neue Bezeichnung und damit auch eine neue Rechtfertigung zu finden. Die gegen Juden und die Nachkommen von Juden gerichteten Maßnahmen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches und anderer Staaten haben jedoch mit Rassenlehre und Rassenpolitik nichts zu schaffen. Eine Rassengesetzgebung müsste die körperlichen Merkmale der einzelnen Rassen genau umschreiben, müsste dann ein Verfahren bestimmen, in dem in jedem einzelnen Fall das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein dieser Merkmale festzustellen wäre, und hätte zu verfügen, dass nach dem Ergebnis dieses Verfahrens die Zuweisung des Einzelnen an eine der Rassen zu erfolgen hat; auf dieser Zuweisung hätten sich dann alle Maßnahmen zur Diskriminierung der Angehörigen verschiedener Rassen aufzubauen. Die Gesetze, die man im Deutschen Reiche Rassengesetze nennt, gehen anders vor. Sie verfügen Maßnahmen zu Ungunsten von Juden und Nachkommen von Juden und ermitteln die Zugehörigkeit zum Judentum auf Grund der Zugehörigkeit des Betroffenen oder seiner Vorfahren zur jüdischen Religion. Alles, was man im nationalsozialistischen Staatswesen Rassenpolitik und Rassengesetzgebung nennt, erschöpft sich in Diskriminierung der Bekenner der jüdischen Religion und der Nachkommen der Bekenner der jüdischen Religion.

Man hat mitunter gemeint, man könne angesichts des Umstandes, dass die Rassen stark gemischt wären, nicht anders vorgehen. Doch dieser Rechtfertigungsversuch gibt den Standpunkt der rassenbiologischen Lehre preis. Wenn die Rassen gemischt sind, dann muss man eben bei jedem Einzelnen feststellen, ob er die Rassenmerkmale aufweist, die man als schädlich und als Zeichen biologischen Andersgeartetseins und rassischer Minderwertigkeit ansieht, und hätte seine Behandlung nach dem Ergebnis dieser Prüfung einzurichten [78] . Für die rassenbiologische Betrachtung der Menschen gibt es keine anderen Kriterien als solche, die der Leib des Menschen aufweist. Wenn die Rassenbiologie [159] nicht imstande ist, körperliche, mit den Mitteln der Anthropologie erkennbare Merkmale der vermeintlichen jüdischen Rasse aufzuzeigen, dann bleibt ihr nichts anderes übrig als zu erklären: es gibt keine jüdische Rasse und keine jüdischen Rassenmerkmale; die Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinden und ihre Nachkommen können rassisch von den übrigen Deutschen nicht unterschieden werden, sie gehören folglich derselben Rasse an, der die übrigen Deutschen angehören. Man mag dann die Juden und die, die von jüdischen Vorfahren abstammen, noch so sehr rechtlich diskriminieren, man mag sie ausplündern, berauben, misshandeln, einkerkern und morden, mit Rassentheorie hat das nichts mehr zu tun.

Es ist dabei ganz bedeutungslos, wie man sich dieses Versagen der Rassenbiologie gegenüber dem vermeintlichen Judenproblem erklären will. Man kann annehmen, dass schon die alten Palästinenser derselben Rasse zugehört haben, der die nichtjüdischen Deutschen von heute zugehören, oder dass die jüdischen Deutschen nicht die Nachkommen der palästinensischen Urjuden sind, sondern die Nachkommen von deutschen und den übrigen Deutschen rassenmäßig gleichgearteten Vorfahren, die den jüdischen Glauben angenommen haben. Man kann aber auch annehmen, dass die Rasseneigenschaften und Rassenmerkmale nicht unveränderlich sind, sondern sich mit der Zeit wandeln, und dass die Nachkommen von Juden, deren Vorfahren in das Land, das heute Deutschland genannt wird, vor 1600 oder 1800 Jahren eingewandert sind, und die Nachkommen der «nordischen» Stämme, die teils schon früher, teils später als jene Juden in dieses Land eingewandert sind, im Laufe der Zeiten unter dem Einfluss des Klimas und des Bodens sich körperlich derart gewandelt haben, dass man sie nicht mehr an körperlichen Merkmalen unterscheiden kann. Bei den beiden ersten Annahmen bleibt die Rassenlehre als solche unangefochten, es wird nur ihre Anwendbarkeit auf die Judenfrage verneint. Bei der dritten Annahme wird auch die Rassenlehre als solche ad absurdum geführt. Es ist für uns, die wir uns nur mit dem Grundgedanken der rassenbiologischen Doktrin und seiner Verwendung zur Kritik der praxeologischen Lehren zu befassen haben, gleichgültig, welche der Alternativen man zur Entscheidung des konkreten Judenproblems zu wählen hat.

Der Nationalsozialismus hat nicht nur in seiner Stellungsnahme zu den Juden, sondern auch in jeder anderen Hinsicht sich eines Verfahrens bedient, das den von ihm verkündeten rassenpolitischen Ideen schroff widerspricht. Das deutsche Volk von heute ist, wie auch die Nationalsozialisten zugeben, keine rassische Einheit, sondern ein Gemisch verschiedener Rassen. Nach nationalsozialistischer Auffassung besteht es aus den Nachkommen der Edelrasse, der alle hohen Leistungen des deutschen Volkes und auch die Gründung des deutschen Staates zu verdanken sind, und den Nachkommen der minderwertigen Rassen, die von jenen Edelrassigen einst unterworfen worden waren und deren gesellschaftlicher Aufstieg später dem deutschen Volke Unheil gebracht hat. Die Aufgabe des Nationalsozialismus lag nun zunächst darin, die Edelrassigen zu finden, die «als Nachfolger und somit als Erbträger der einstigen Schöpfer unseres Volkskörpers heute seine Festhalter sein können» [79] . Um diese Aufgabe zu lösen, gab es, wie Hitler ausführt, «nur eine Möglichkeit : Man konnte [160] nicht von der Rasse auf die Befähigung schließen, sondern man musste von der Befähigung den Schluss auf die rassische Eignung ziehen. Die Befähigung aber war feststellbar durch die Art der Reaktion der einzelnen Menschen auf die neu zu proklamierende Idee. Dies ist die unfehlbare Methode die Menschen zu suchen, die man finden will ... Man fordere Opfer und Mut, Tapferkeit, Treue, Glaube und Heroismus, und melden wird sich der Teil des Volkes, der diese Tugenden sein eigen nennt. So habe ich im Jahre 1919 ein Programm aufgestellt und eine Tendenz niedergelegt, die der pazifistisch-demokratischen Welt bewusst ins Gesicht schlug» [80] . Hitler hat wohl nicht bemerkt, dass dieses, seiner Meinung nach einzig mögliche Verfahren mit den Grundsätzen der nationalsozialistischen Rassenlehre unvereinbar ist. Nach nationalsozialistischer Auffassung sind die Edelrassen von den Unterrassen durch das biologische Erbgut, das ihr Leibliches gestaltet, geschieden. Werte, die die Edelrassigen als gültig anerkennen, sind echte Werte, und Gedankengänge, die ihnen richtig erscheinen, sind richtige Gedanken; dagegen sind Werte, die die Unedlen als gültig anerkennen, und Gedankengänge, die den Unedlen richtig erscheinen, Unwerte und schlechte Gedanken. Ein anderes Kriterium zur Unterscheidung von Wert und Unwert und von richtigem und falschen Denken gibt es für sie nicht. Wenn die Liberalen sagen: der Mensch, der Edles will und logisch denkt, ist ein hochstehender und wertvoller Mensch, so sagen die folgerichtigen Nationalsozialisten: edel ist, was die Edelrassigen wollen, und logisch ist, was die Edelrassigen denken. Und nun lässt Hitler den ersten Grundsatz der rassenbiologischen Gesellschaftslehre fallen und sucht die Edelrassigen nicht an den Merkmalen ihres Leibes zu erkennen, sondern an den Qualitäten ihrer Wertungen und Gedankengänge. Ein dunkelhaariger Mann, dessen Leib durchaus nicht den Merkmalen entspricht, die die Rassentheoretiker seiner eigenen Partei als Merkmale der nordischen Edelrasse bezeichnen, erklärt seine Theorien als die allein den Angehörigen der blondhaarigen nordisch-deutschen Edelrasse angemessenen und will nur den dieser Edelrasse zurechnen, der ihm blindlings folgt. Man kann wohl kaum deutlicher zeigen, dass man die Rassenlehre nicht ernst nimmt, als durch diese Haltung.

Die Behandlung, die die nationalsozialistischen Rassentheoretiker den Tatsachen der Rassenforschung zuteil werden lassen, ist durchaus unzulänglich. Wir haben uns mit diesem Gestrüpp von Irrtümern nicht zu befassen. Es ist nicht nötig, neuerdings auf den Umstand hinzuweisen, dass es wohl sinnvoll sein mag, arische Sprachen von nichtarischen Sprachen zu unterscheiden, dass es aber nicht angeht, diese Unterscheidung als eine rassenmäßige anzusehen und arische und unarische Rassen zu unterscheiden. Die Rassentheorie, wie sie die nationalsozialistischen Schriftsteller vortragen, ist durchaus unwissenschaftlich. Sie entstellt die spärlichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Rassenforschung, um sie zur Rechtfertigung von politischen Maßnahmen zu verwenden. Dass wir uns mit ihr überhaupt zu befassen haben, ist nur darauf zurückzuführen, dass sie aus der Tatsache der Rassenunterschiede erkenntnistheoretische und gesellschaftspolitische Schlüsse gezogen hat, an denen die Praxeologie nicht wortlos vorbeigehen darf. Denn wenn auch die arische und die jüdische Rasse dem Reich der Fabeln angehören, so gibt es doch zweifellos körperliche Verschiedenheiten unter den Menschen, die man durch naturwissenschaftliche [161] Betrachtung des Körpers der einzelnen Menschen festzustellen vermag. Die Behauptungen der nationalsozialistischen Schriftsteller mögen, soweit sie auf die vermeintlichen Rassen der Juden und der Arier angewendet werden, unangebracht sein, sie könnten aber doch für das Verhältnis der echten, d.h. naturwissenschaftlich unterscheidbaren Rassen zutreffen.

Wenige Worte werden hinreichen, um den erkenntnistheoretischen Kernsatz der Rassentheorie zu widerlegen. Wenn die Behauptung vertreten wird, die logische Struktur des Denkens sei nicht bei allen Rassen dieselbe, so genügt es, die Frage aufzuwerfen, ob es denn gelungen sei, irgendwo denkende Wesen zu finden, für die A und Nicht-A identisch wären? Oder Menschen, die Vorziehen und Zurückstellen, Zweck und Mittel, Erfolg und Misserfolg nicht unterscheiden? Es gibt — bei allen Menschenrassen — Menschen, denen der Zugang zu den schwierigeren Problemen des wissenschaftlichen Denkens verschlossen ist. Doch es gibt keinen Menschen, dessen Denken innerhalb des Bereiches, das es zu umfassen vermag, eine von dem wissenschaftlichen Denken der abendländischen Kultur verschiedene logische Struktur aufweist, oder dessen Handeln andere Kategorien kennt als das Handeln, mit dem sich unsere Praxeologie befasst. Es gibt Menschen, die nur bis drei zählen können, doch sie zählen bis drei nicht anders, als auch Gauss bis drei gezählt hat. Es gibt Menschen, die so handeln, dass sie die Ziele, die sie anstreben, nicht erreichen; aber alle Menschen bestreben sich, dem Unbefriedigtsein soweit abzuhelfen, als sie es vermögen. Die Nationalsozialisten wollen deutsche Logik, Mathematik, Physik und Nationalökonomie der von ihnen als jüdisch und westeuropäisch gebrandmarkten Wissenschaft gegenüberstellen; doch sie haben nicht vermocht, zu zeigen, welche Verschiedenheit in der Struktur des Denkens und Handelns zwischen denen, die sie Artgleiche nennen, und denen, die sie Artfremde nennen, besteht. Wenn man die Nationalökonomie im allgemeinen oder einzelne ihrer Lehrstücke, etwa die Lehre von den Wirkungen der Handelsbeschränkungen, ablehnt, dann genügt es nicht, diese Ablehnung einfach durch den Hinweis auf eine durch die Rasseneigenschaften bedingte Verschiedenheit der Denkstruktur zu begründen. Man müsste genau zeigen, wo in der Schlusskette der westlerischen Gedankengänge eine logische Operation vorgenommen wird, die der vermeintlichen deutschen Logik widerspricht. Wer eine «deutsche» Nationalökonomie schaffen will, hätte damit zu beginnen, im Einzelnen zu zeigen, wie und wodurch die «westlerisch-jüdische» Nationalökonomie das «deutsche» Denken unbefriedigt lässt. Er hätte zu zeigen, worin die «deutsche Logik» von der Logik anderer Rassen abweicht und wie man diese deutsche Logik zu gebrauchen hat, um zu Schlüssen zu gelangen, die von den Ergebnissen der undeutschen Wissenschaft abweichen. Das aber hat noch nie jemand versucht und wird nie jemand versuchen können.

Die rassenbiologische Gesellschaftsdoktrin greift die Ergebnisse der Praxeologie und der Nationalökonomie noch in anderer Hinsicht an. Diese Wissenschaften, meint sie, gingen von der unzutreffenden Annahme der Gleichheit aller Menschen aus. Die Menschen wären aber nicht gleich; das ganze Gebäude der jüdisch-westlerischen Gesellschaftswissenschaft ruhe somit auf brüchigen Grundlagen.

Die Behauptung, Praxeologie und Nationalökonomie hielten alle Menschen für gleich, ist jedoch unrichtig. Dass es verschiedene Menschenrassen gibt und dass die Angehörigen der einzelnen Rassen in vielen Dingen verschieden sind, [162] wird von ihnen ebensowenig bestritten wie die Tatsache, dass auch innerhalb der Menschenrassen, der Völker, der Stämme und der Familien die Einzelnen sehr verschieden sind. Mit dem Vorurteil, das alle Verschiedenheit unter den Menschen auf ihr Schicksal im Leben zurückführen und die angeborene Verschiedenheit ihres Charakters nicht sehen will, hat die Praxeologie nichts zu tun. Das Ricardo'sche Vergesellschaftungsgesetz geht gerade von der Annahme aus, dass die Menschen verschieden sind, und es ist für die Gedankengänge dieser Lehre bedeutungslos, ob man diese Charakterunterschiede als angeboren oder als erworben anzusehen hat. Das Ricardo'sche Gesetz zeigt, dass die Arbeitsteilung nicht nur im Interesse der Minderleistungsfähigen, sondern auch im Interesse jener liegt, die ihren Mitmenschen in jeder Hinsicht überlegen sind. Die Feststellung, dass es verschiedene Menschenrassen gibt, berechtigt somit durchaus nicht, den Schluss zu ziehen, den die rassenbiologische Gesellschaftslehre ziehen will, dass räumlich zwischen den Rassen natürliche Feindschaft herrschen müsse und dass die stärkeren Rassen die schwächeren auszurotten oder zu versklaven hätten.

Es hat zwischen rasseverschiedenen Gruppen Ausrottungskriege gegeben, doch es hat noch mehr und noch blutigere Ausrottungskriege zwischen Gruppen gegeben, zwischen denen keine Rassenverschiedenheit stand. Alle Argumente, mit denen man beweisen will, dass es im Interesse der höheren Rasse liege, die minderwertigen Rassen zu bekriegen und zu vernichten, können geradesogut auch zu Gunsten der Behauptung vorgebracht werden, dass es im Interesse jeder Menschengruppe liege, andere Menschengruppen, auch solche artgleicher Menschen, zu bekriegen und zu vernichten. Und alle diese Argumente erweisen sich gegenüber dem Ricardo'schen Gesetz als haltlos.

Die höheren Rassen, meint man, hätten Anspruch darauf, die niederen Rassen zu führen; die auf den Ergebnissen der jüdisch-angelsächsisch-romanischen Praxeologie aufgebaute demokratische Staatslehre aber strebe die Herrschaft der Minderwertigen über die Höherwertigen an. Auch diese Behauptung ist unrichtig.

Die Praxeologie vermag überhaupt nichts über den Anspruch auf Führung und Herrschaft auszusagen. Die Praxeologen behaupten nicht, dass sie besondere Kenntnis der Pläne des Schöpfers hätten oder dass sie wüssten, dass er eine Rasse oder ein Volk auserwählt habe, um die übrigen Rassen und Völker zu beherrschen. Solche aus der Intuition stammende Vertrautheit mit den Absichten der Vorsehung bleibt dem Mythos vorbehalten.

Die Praxeologie empfiehlt weder demokratische noch andere Staatsformen. Wenn die Liberalen aus den Lehren der Praxeologie und Nationalökonomie den Schluss ziehen, dass nur demokratische Verfassung die ungestörte friedliche Entwicklung der Gesellschaft gewährleisten könne und wenn sie darum für Demokratie eintreten, so mögen die Gegner der Demokratie trachten, sie zu widerlegen, indem sie Fehler in den Gedankengängen der Wissenschaft oder in den aus ihr gezogenen Schlüssen aufzeigen. Wenn sie das nicht können, dann sind alle Einwände gegen die Lehre vom geistigen Charakter der Macht und gegen die aus dieser Lehre gezogenen politischen Schlüsse haltlos.

Wenn man meint, demokratische Verfassung müsse, weil sie Mehrheitsherrschaft sei, in einem gemischtrassigen Volke die rassisch minderwertigen Elemente zur Herrschaft bringen, dann hat man stillschweigend zwei Dinge vorausgesetzt: einmal, dass die Menschen schlechter Rasse in diesem Volke die [163] Mehrheit bilden, und ferner, dass die Menschen edler Rasse, die zahlenmäßig in der Minderheit sind, nicht die Fähigkeit haben, ihre minderwertigen Volksgenossen zu veranlassen, ihnen freiwillig die Führung zu überlassen. Doch unter diesen Bedingungen ist die Sache der Edelrassigen hoffnungslos verloren, welcher Art immer auch die Staatsverfassung sein möge. Wenn die Edelrassigen nicht die Kraft haben, geistig zu führen, müssten sie, wenn sie am Ruder wären, die Regierungsgeschäfte so besorgen, wie es den Ideen der Schlechtrassigen entspricht. Wollten sie anders vorgehen, dann werden sie durch gewaltsame Erhebung der Beherrschten verdrängt werden.

Doch da kommen wir zu einem der Kernsätze des nationalsozialistischen Rassenmythus, zu der Vorstellung, dass die Edelrasse durch höhere kriegerische Fähigkeiten die minderwertigen Rassen überrage. Die Edelrassigen, meinen sie, müssen sich der Herrschaft einer Mehrheit nicht beugen, weil sie die Kraft haben, sich der Herrschaft gewaltsam zu bemächtigen. Demokratie und Pazifismus wären listige Erfindung der minderwertigen, zum Kriege untüchtigen Rassen, um den kriegsbegabten Heldenrassen die Hände zu binden. Wenn die Edelrasse das erfasst hat, wird sie, unbekümmert um die Lehren der Demokraten und Pazifisten, sich zuerst die Herrschaft im Staate erkämpfen und dann alle minderwertigen Völker in Kriegen niederwerfen, um den ersten Platz in der Welt einzunehmen. Gott und die Natur, die sie zur Edelrasse geformt haben, hätten es so bestimmt.

Der Fehler dieses Gedankenganges liegt in der falschen Vorstellung vom Wesen der militärischen Überlegenheit. Man sieht das Um und Auf dessen, was im Kampfe den Sieg sichert, in körperlicher Stärke und Gewandtheit und in Mut und Angriffslust. Diese Eigenschaften wären nun den Edelrassigen in hohem Maße eigen. Dagegen wären sie in den Geschäften des Friedens, die mehr Geist als Kraft, mehr List als Mut, mehr Fleiß als Tapferkeit erfordern, den Schlechtrassigen gegenüber im Nachteil. Doch Stärke und Gewandtheit des Körpers und Mut und Angriffslust sind nicht spezifisch menschliche Eigenschaften; sie sind vielen Raubtieren in weit höherem Masse eigen als den Menschen. Die Bestien wissen in den Kämpfen, die sie untereinander und gegen Menschen führen, von nichts anderem Gebrauch zu machen als von diesen Naturgaben; ihr Kampfpotential liegt allein in der rohen Kraft und im stürmischen Draufgängertum. Die Menschen aber sind dadurch ausgezeichnet, dass sie sich im Kampfe auch ihres Geistes und ihrer Erfindungsgabe zu bedienen verstehen. Obwohl sie an physischer Kraft vielen Tieren gegenüber im Nachteil sind, haben sie dennoch durch Geist, List und Beharrlichkeit über alle wilden Bestien gesiegt. Wenn der Mensch kämpft, kämpft er immer auch mit geistigen Mitteln. Kämpfe der Menschen sind in diesem Sinne immer Materialkriege; immer spielten Ausrüstung, Bewaffnung und die Waffentechnik in ihnen eine Hauptrolle, immer war das, was man das Wirtschaftliche nennt, für sie von höchster Bedeutung. Die kriegerische Überlegenheit der mittelalterlichen Ritter lag in ihrem Kriegsmaterial. Auf schwerem gepanzertem Pferd, von Kopf zu Fuß in undurchdringlichen Schutzwaffen hatten sie mit ungepanzerten Gegnern leichtes Spiel [81] . Diese Überlegenheit stärkte ihren Mut und ließ sie hochmütig auf die wehrlosen Massen blicken, die nicht etwa feige [164] waren, sondern zu arm, um sich so gut zu wappnen wie die Ritter. Dass die modernen Kriege nicht durch die bloße Faust entschieden werden, bedarf keiner weiteren Ausführung.

Wenn eine Gruppe von Menschen den anderen Menschengruppen nicht geistig überlegen ist, kann sie ihnen auch nicht militärisch überlegen sein. Wenn die Edelrassigen den Schlechtrassigen im friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft nicht standhalten können, wenn sie im Wettbewerb des Marktes weniger erfolgreich sind als die Schlechtrassigen, wenn sie nicht die Gabe haben, die Schlechtrassigen von ihrem Beruf zur Herrschaft zu überzeugen, werden sie auch aus dem Waffenkampfe nicht als Sieger hervorgehen.

Die militärischen Vorzüge des französischen Volkes, die den französischen Heeren die größten militärischen Erfolge der Neuzeit gebracht haben, lagen nicht in roher Kraft, sondern im Geiste. Alle anderen Völker haben von den Franzosen die Grundideen der Kriegskunst entlehnt. Selbst die Ausdrücke für militärische Dinge wurden dem Französischen entnommen. Die Terminologie des Rittertums war französisch und ebenso die des modernen Kriegswesens; die preußische Armee hat erst nach 1870 schrittweise in einem bewussten Sprachreinigungsverfahren den größten Teil der französischen Bezeichnungen ausgemerzt. Die wichtigsten technischen Fortschritte der Kriegführung zu Lande, zu Wasser und in der Luft wurden von Franzosen gemacht und zuerst in der französischen Wehrmacht verwendet. Nicht nur viele philosophische und politische Ideen sind zum deutschen Volke aus dem Westen gekommen, auch die Kriegskunst und die Kriegstechnik kamen vom Westen her.

Die Unterscheidung von Edelrasse und Untermenschentum, die den nationalsozialistischen Rassentheorien zugrunde liegt, ist vom Ressentiment bestimmt. Sie stellt eine vermeintliche deutsche Edelrasse von durch physische Kraft ausgezeichneten Helden einem Untermenschentum von schlauen Händlern gegenüber. Niemand, auch nicht der Erfolgreichste, immer vom Glücke Begünstigte, erreicht im Leben alles das, was er angestrebt hat. Jedermann muss sich eingestehen, dass seine Kräfte und Fähigkeiten in manchen oder in vielen Beziehungen sich als unzulänglich erwiesen haben; solche Einsicht ist aber für das Selbstbewusstsein und für die Eitelkeit beschämend. Da kommt nun die nationalsozialistische Rassenlehre, tröstet den seelisch Bedrückten und richtet seinen verletzten Stolz wieder auf. Nicht seine Unzulänglichkeit trage die Schuld an seinem Missgeschick; er sei in jeder Hinsicht vollkommen und mit allen guten und edlen Tugenden begabt. Doch gerade seine Tugenden hätten sein Unheil herbeigeführt. Seine Arglosigkeit, die einen der Vorzüge der Menschen edler Rasse bilde, wäre von minderwertigem Untermenschentum benützt worden, um sich auf tückische Weise Vorteile zu erschleichen. Diese Untermenschen haben durch die Verbreitung von Irrlehren — Christentum, westliche Philosophie, Rationalismus, Liberalismus, Demokratie, Parlamentarismus, Marxismus, Psychoanalyse — die Heldenrasse geistig zu vergiften versucht, und das sei ihnen nur zu gut gelungen. Die Edlen haben sich von den Unedlen umgarnen lassen. Nun aber gelte es, das schimpfliche Joch abzuwerfen und den deutschen Menschen wieder in seine Rechte einzusetzen.

Das Bild, das diese Lehre von der Edelrasse entwirft, ist widerspruchsvoll. Dieses tapfere Geschlecht von Helden lässt sich von einer minderwertigen Rasse besiegen. Es gibt seine Herrenmoral auf, um die Sklavenmoral des Christentums [165] anzunehmen, und hält an diesem artfremden Glauben hartnäckig durch mehr als tausend Jahre fest. Es lässt sich von jeder neuen Lehre umgarnen, die irgendein Angehöriger der minderwertigen Rassen ausheckt. Es ist nicht imstande, im Wettbewerb des Marktes die Minderwertigen auszustechen. Es ist unvermögend, im geistigen Streit der Wissenschaften die Minderwertigen zu überwinden. Die Minderwertigen schaffen eine Kultur, die die ganze Welt annimmt, und verstehen es, alle Gebiete zu erobern, in denen wertvolle Rohstoffe und Lebensmittel gewonnen werden. Selbst die ausgezeichnetsten Männer der Edelrasse erweisen sich als unfähig, sich dem Einflusse der Ideen der Minderwertigen zu entziehen. Der Franke Karl der Grosse lässt edle Sachsen, die sich rassebewusst der Einführung des artfremden Glaubens widersetzen, grausam schlachten. Albertus Magnus, Meister Eckehart und Martin Luther wurzeln geistig im artfremden Christentum, Mathias Grünewald und die Brüder van Eyck verherrlichen es mit dem Pinsel. Leibniz denkt und schreibt in der Sprache des französischen Erbfeinds, Kant empfiehlt den ewigen Frieden, Friedrich der Grosse schätzt nur das französische Schrifttum und verachtet das deutsche. Goethe ist voll Verehrung für Napoleon und trägt mit Stolz das Band der Ehrenlegion, Schiller bekennt sich in rauschenden Versen zu den Lehren der Aufklärung. Mozart vertont Texte eines Juden und Worte, die die freimaurerischen Gedanken preisen; Beethoven will die Eroica Napoleon widmen und singt im Fidelio ein unsterbliches Freiheitslied.

Eine von Ressentiment nicht beeinflusste Wertung der Rasseneigenschaften würde niemals dazu gelangen, den «reinen Toren» als das Ideal hinzustellen; sie würde den Vorzug der Edelrasse gewiss nicht allein in Körperkraft und in blindem Draufgängertum und die Untugend der Minderwertigen in geistiger Überlegenheit erblicken. Das Erstaunlichste aber ist, dass die Lehre, die die ungeschlachte Körperkraft so hochstellt und den Geist verachtet, sich für die dem deutschen Blute artgemäße Lehre ausgibt. Es wäre zu verstehen, wenn Neger oder Eskimos in ihr Trost suchen würden. Neger und Eskimos mögen die europäische Kultur als artfremd ansehen, und sie mögen es schmerzlich empfinden, dass sie im Wettbewerb des Marktes wenig Erfolg haben und dass sie in geistigen Auseinandersetzungen nicht aufzukommen vermögen. Doch die Deutschen, aus deren Mitte in den letzten zweihundert Jahren Denker, Dichter und Forscher hervorgegangen sind, deren Werk unvergängliche Spuren in der Menschheitsgeschichte hinterlassen hat, die im weltwirtschaftlichen Wettbewerb des 19. Jahrhunderts größere Erfolge erzielt haben als alle andere Völker? Man mag, wenn auch nur mit einiger Anstrengung, die Gefühle verstehen, die die tschechischen Nationalisten dazu führten, hartnäckig die Echtheit der Königinhofer Handschrift zu behaupten. Doch unverständlich erscheinen die Gedankengänge deutscher Nationalisten, die die Ura Linda Chronik für echt ausgeben wollten. Bedurfte es der Berufung auf eine ungeschickte und einfältige Fälschung, um den Anspruch des deutschen Volkes auf die Bezeichnung Kulturvolk zu bezeugen?

Man hat die Ausbreitung der nationalsozialistischen Rassenlehre durch die Niederlage im Weltkrieg zu erklären gesucht. Doch die Niederlagen von 1870 haben auf die Franzosen anders gewirkt. Anderseits sehen wir heute, dass die Rassenlehre der Nationalsozialisten sich auf einem Siegeszug durch die ganze Welt befindet, Es gibt nur eine Erklärung für ihren Erfolg: sie entspricht [166] dem Ressentiment aller, die im Wettbewerb der Marktwirtschaft nicht alles das erreichen, was sie erreichen wollen [82] .

Nochmals sei hervorgehoben, dass das Rassengut für das, was der Mensch ist und was er leistet, von entscheidender Bedeutung ist. Mit der Ablehnung der Rassenlehre des Nationalsozialismus und verwandter Richtungen wird nicht etwa beabsichtigt, die Rolle, die den ererbten und angeborenen Eigenschaften der Menschen zukommt, oder die Tatsache, dass innerhalb der Menschheit Rassenverschiedenheit besteht, zu bestreiten; es soll nur festgestellt werden, dass die nationalsozialistische Rassenlehre mit dem, was die Wissenschaft von den Rassen aussagt, nichts zu tun hat.

III. Idee, Macht, Gewalt, Herrschaft

Die Gesellschaft ist das Erzeugnis menschlichen Handelns. Menschliches Handeln wird von den Ideologien bestimmt. Mithin ist Gesellschaft ein Produkt der Ideologie, und nicht die Ideologie ein Produkt der Gesellschaft. Gewiss, auch das menschliche Denken und die menschlichen Ideen sind nicht das Werk Einzelner; auch das Denken führt zu Ergebnissen nur durch Zusammenarbeit und Zusammenwirken der Denkenden. Kein Einzelner wäre imstande, im Denken weiter zu kommen, müsste er von Anfang an alles allein leisten. Nur weil er auf den Schultern ungezählter Geschlechter steht, die vor ihm gedacht haben, die das Werkzeug des Denkens, die Sprachbegriffe, geformt und die Fragen gestellt haben, kann er im Denken über erste Ansätze hinausgelangen.

Wenn wir sagen, die Gesellschaft sei ein Erzeugnis der Ideologie, so heißt das, dass die jeweilige Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenwirkens zuerst erdacht werden muss, um dann ausgeführt zu werden, wie das Werkzeug, dessen sich der Arbeiter bedient, zuerst erdacht und dann ausgeführt wird. Dieses vorangehende Ausdenken bedeutet nicht etwa das Ausdenken eines vollständigen Planes zur Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie es Utopisten machen, die Zukunftsgesellschaften konstruieren. Was vorher ausgedacht sein muss, ehe es ausgeführt wird, ist nicht das Zusammenwirken alles Handelns zum Ganzen des Gesellschaftsbaus, sondern das Handeln des Einzelnen oder der bereits gesellschaftlich verbundenen Gruppe den anderen Einzelnen oder Gruppen gegenüber. Bevor ein Mann einem andern beispringt, um ihm einen Baum fällen zu helfen, muss er diese Mitarbeit in Gedanken geplant haben. Bevor ein Tauschakt vor sich geht, müssen [167] die beiden Teile das Tauschen gedacht und entworfen haben. Dass aus ihrem Zusammenwirken und Tauschen ein gesellschaftliches Gebilde erwächst, muss ihnen dabei durchaus nicht bewusst werden. Das gesellschaftliche Gebilde ist, wie Carl Menger treffend sagt, das «unreflektierte Ergebnis, die unbeabsichtigte Resultante spezifisch individueller Bestrebungen der Mitglieder einer Gesellschaft» [83] . Der Einzelne plant und vollführt nicht ein Handeln, das, seiner Absicht nach ein gesellschaftliches Gebilde begründen soll; aus seinem Handeln und dem entsprechenden Handeln anderer Einzelner geht das gesellschaftliche Gebilde hervor.

Die Gesellschaft, die besteht, ist das Erzeugnis einer früher gebildeten Ideologie. In der Gesellschaft mögen dann neue Ideologien entstehen und die Gesellschaft umgestalten. Doch die bestehende Gesellschaft bleibt immer das Erzeugnis einer Ideologie, die ihr zeitlich und logisch vorangegangen ist. Das Handeln wird von Ideologien geleitet, das heißt: es führt aus, was das ihm vorangehende Denken entworfen hat.

Vergegenständlichen oder vermenschlichen wir den Begriff der Ideologie, dann können wir davon sprechen, dass die Ideologien Macht über Menschen haben. Macht ist die Fähigkeit, das Handeln von Menschen zu bestimmen. [84] In der Regel wird man nur von Menschen oder Menschengruppen sagen, dass sie Macht haben oder mächtig sind. Dann lautet die Begriffsbestimmung des Ausdruckes Macht: Macht ist die Fähigkeit, fremdes Handeln (das Handeln anderer) zu bestimmen. Wer mächtig ist, ist es durch eine Ideologie. Nur Ideologien können einen Menschen befähigen, fremdes Handeln zu bestimmen. Man kann Führer werden, wenn man sich auf eine Ideologie zu stützen vermag, die Mitmenschen gefügig macht. Macht ist sohin ein Geistiges, kein Körperliches. Die Macht des Königs ruht in der monarchistischen Ideologie, die die Untertanen als gültig anerkennen.

Wer die Macht nützt, um im Staate zu führen, übt Herrschaft. Herrschaft ist die Ausübung der Macht im politischen Verbande, im Staate. Herrschaft ist immer auf Macht, d.i. auf der Kraft, fremdes Handeln zu bestimmen, begründet.

Man kann Herrschaft wohl auch auf Gewalt begründen, d.h. auf dem Bestreben, fremdes Handeln durch körperliche [168] Überwindung oder durch die Bereitschaft, etwaigen Widerstand durch körperliche Überwindung niederzuringen, gegen den Willen der Beherrschten zu bestimmen. Doch auch Gewaltherrschaft ist ohne Macht, die Geister gefügig formt, nicht denkbar. Wer Gewalt im politischen Verbande anwenden oder zur Verwendung bereit halten will, muss sich auf das freiwillige Mitwirken von Menschen stützen können. Er muss, in einem Verbande Machtherrschaft ausüben, um in der Unterstützung durch diesen Verband die Mittel zu finden, die ihn zur Vergewaltigung anderer Menschen in einem größeren Verbande befähigen. Der Einzelne kann, allein auf sich gestellt, nie Gewaltherrschaft ausüben [85] . Der Tyrann muss über eine Gefolgschaft oder Garde verfügen, die Kraft einer Ideologie seinem Befehle freiwillig folgt. Ihr freiwilliger Gehorsam bietet ihm den Gewaltapparat, dessen er zur Unterdrückung der anderen bedarf. Ob es ihm gelingen mag, mit Hilfe dieses Gewaltapparats seine Herrschaft dauernd aufrechtzuerhalten, hängt von dem zahlenmäßigen Verhältnis der beiden Gruppen ab, derer, die sich ihm freiwillig zur Verfügung stellen, und derer, die er vergewaltigt. Auf die Dauer kann eine Minderheit die Mehrheit nicht vergewaltigen. Die Unterdrückten werden aufstehen und das Joch abschütteln.

Alle Herrschaft, die Dauer haben soll, muss daher ideologisch fundiert sein. Das «reale» Element, die «realen Mächte», die Herrschaft begründen und zur Ausübung von Gewalt gegenüber widerstrebenden Schwächeren befähigen, sind in letzter Linie stets geistiger Natur. Herrscher, die das verkannt, auf die vermeintliche Unwiderstehlichkeit ihrer Waffen gepocht und den Geist und die Ideen verachtet haben, sind schließlich dem Ansturm ihrer Gegner erlegen. Die im politischen und geschichtlichen Schrifttum vielfach übliche Auffassung der Macht als einer «realen», vom Ideologischen unabhängigen Größe ist verfehlt. Der Begriff Realpolitik hat nur dann einen Sinn, wenn man Realpolitik als Politik, die mit den herrschenden Ideologien rechnet, ansehen will im Gegensatz zu einer Politik, die mit Ideologien arbeiten will, die in der Gegenwart keine so allgemeine Anerkennung gefunden haben, dass man auf sie Herrschaft zu stützen vermöchte.

Wer die Gewalt und die Anwendung der Gewalt als den entscheidenden Faktor im gesellschaftlichen Leben ansieht, sieht [169] die Dinge von der Froschperspektive des Unterführers, des Unteroffiziers und des Gendarmen, und vom bloß militärischen Standpunkt des Befehlshabers, dessen Aufgabe sich auf die Führung eines ihm anvertrauten Heereskörpers beschränkt. Den Unterführern ist der Wirkungskreis im Rahmen einer Ideologie zugewiesen. Sie empfangen eine Truppe, die nicht nur materiell ausgerüstet, bewaffnet und für ihre Verwendung organisiert ist, sondern auch von dem Geist erfüllt ist, der den Einzelnen zum gefügigen Werkzeug in der Hand der Befehlshaber macht. Sie nehmen das Wirken dieses Geistes als gegeben hin, weil sie selbst von ihm erfüllt sind und weil sie sich einen anderen Zustand gar nicht vorzustellen vermögen. Darin äußert sich gerade die Herrschaft einer Ideologie am schärfsten, dass sie als selbstverständlich fraglos hingenommen wird.

Für den Oberführer liegen die Dinge anders. Er muss darauf bedacht sein, den «guten Geist», die «Moral» der Truppen, und die «Loyalität», die «gute Gesinnung», der übrigen Untertanen zu erhalten. Denn diese geistigen Faktoren sind das einzige «reale» Moment, von dem der Fortbestand seiner Herrschaft abhängt. Sie schwindet, wenn der Geist geschwunden ist, der sie trägt.

Auch Minderheiten können durch überlegene Kriegskunst über die Überzahl Siege davontragen und damit ihre Herrschaft über die Mehrheit aufrichten. Doch solche Herrschaft kann nicht von Dauer sein. Wenn es den Siegern nicht gelingt, ihre Gewaltherrschaft durch nachträgliche Bezwingung des Geistes der Unterworfenen in Machtherrschaft zu verwandeln, dann werden sie in neuen Kämpfen erliegen. Alle siegreichen Minderheiten, die dauernde Herrschaft über die vorerst nur durch die Waffen bezwungenen Mehrheiten aufgerichtet haben, haben nur durch den Geist ihrer Herrschaft Bestand geben können. Sie haben ihre Stellung in den Augen der Besiegten nachträglich entweder dadurch legitimiert, dass sie sie den Ideologien der Besiegten angepasst haben, oder dadurch, dass sie die Ideologien der Besiegten umzugestalten wussten. Wo weder das eine noch das andere gelungen ist, haben die besiegten Vielen den siegreichen Wenigen die Herrschaft bald wieder entrissen, mitunter durch gewaltsame Auflehnung, öfter durch das stille, doch erfolgreiche Wirken des Geistes.

Viele der größten Eroberungen der Weltgeschichte haben dadurch Bestand gewonnen, dass die Sieger sich mit den Beherrschern des Landes verbündeten, deren Herrschaft sich auf von der Mehrheit anerkannte Ideologien stützte und dadurch in den Augen der Massen legitimiert war. So haben die Tataren Russland beherrscht, so die Türken die [170] Donaufürstentümer und in gewissen Sinne auch Ungarn und Siebenbürgen, so haben die Engländer und die Niederländer ihrer Herrschaft in Indien Bestand zu verleihen gesucht. Eine verhältnismäßig kleine Zahl von Engländern vermag über mehrere hundert Millionen Inder zu herrschen, weil die indischen Fürsten und ihr Anhang in der englischen Herrschaft das Mittel zur Sicherung ihrer eigenen Stellung erblicken und ihr die Stütze leihen, die die herrschende Ideologie ihrer eigenen Herrschaft gibt. Englands Herrschaft in Indien ruhte so lange auf festen Grundlagen, als die öffentliche Meinung des Volkes die Erhaltung der überkommenen Gesellschaftsordnung für notwendig erachtete. Die Pax Britannica sichert den einzelnen Fürsten und den Adeligen, die unter ihrem Schutze leben, die Privilegien und bewahrt alle Schichten der Bevölkerung vor den Greueln der Kriege zwischen den Fürstentümern und der Kämpfe um den Thron in den Fürstentümern selbst. Erst das Eindringen europäischer Lehren, die im Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung das Heil sehen, untergräbt die englische Herrschaft im Lande. Die revolutionäre Bewegung bedroht zugleich die englische Herrschaft und die bestehende, durch uralte Tradition geheiligte Gesellschaftsordnung.

Die Minderheiten, die über die Überzahl triumphiert haben, verdankten ihren Sieg nicht selten der technischen Überlegenheit ihres Kriegsgeräts. Doch auch von diesen Siegen gilt alles das, was von jedem Siege einer Minderheit gilt. Die besseren Waffen kann man auf die Dauer den Angehörigen der Mehrheit nicht vorenthalten. Nicht die besseren Waffen sichern Englands Herrschaft in Indien, sondern die ideologische Lage im Lande. Wenn die Inder sich einmal einmütig und geschlossen gegen die britische Herrschaft wenden wollten, würde es ihnen nicht schwer fallen, ihr Ziel zu erreichen. Auch ohne Waffen könnten sie der englischen Herrschaft ein Ende bereiten, sei es mit den Mitteln, die Gandhi empfiehlt, sei es durch die schrittweise Erkämpfung der Selbstverwaltung auf parlamentarischem Wege [86] .

Es kann geschehen, dass in der öffentlichen Meinung eines Volkes solche Zersplitterung besteht, dass keine Gruppe imstande ist, eine dauerhafte Herrschaft aufzurichten. Dann versinkt das Land in Anarchie. Aufstand folgt auf Aufstand, der Bürgerkrieg wird zu einer ständigen Einrichtung.

[171]

A. Traditionsgebundenheit als Ideologie.

Unter Traditionsgebundenheit versteht man eine Ideologie, die das Festhalten an von den Vorfahren oder von den vermeintlichen Vorfahren überlieferten oder vermeintlich überlieferten Wertungen und Techniken als richtig oder zweckmäßig erklärt. Die Vorfahren müssen nicht gerade im biologischen Sinne Vorfahren sein oder als Vorfahren im biologischen Sinne angesehen werden; sie sind oft nur Vorgänger im Berufe, Amte oder Gewerbe. Wer als Vorfahre im Sinne der Lehre anzusehen ist und was den Inhalt der Überlieferung bildet, bestimmt der konkrete Gehalt jedes einzelnen Traditionalismus. Die Ideologie belichtet einen Teil der Vorfahren und stellt andere in den Schatten und erklärt mitunter Menschen zu Vorfahren, die mit diesen Enkeln nichts zu schaffen haben. Die Ideologie konstruiert eine «historische» Doktrin, die mitunter sehr modernen Ursprungs ist und von den Ideologien der vermeintlichen Vorfahren stark abweicht.

Die Bindung an die Tradition besteht darin, dass man sich zur Rechtfertigung und Begründung einer Ideologie, zu Recht oder zu Unrecht, auf das Vorbild älterer Ideologien beruft. Die Geschichtsforschung konnte oft die Irrtümer der Traditionalismen aufdecken; der Irrtum büßte darum noch nicht seine ideologiestützende Kraft ein. Denn das Wesen des Traditionalismus ist nicht die Tradition, sondern der Glaube an einen Inhalt, den man als überliefert ansehen will.

B. Der bildliche Gebrauch des Ausdruckes «Herrschaft»

Man bedient sich des Ausdrucks Herrschaft nicht selten im bildlichen Sinne zur Kennzeichnung bestimmter Lagen in der Marktwirtschaft, wie man es überhaupt liebt, die Ausdrucksweise der militärischen und politischen Kämpfe für die Darstellung der Marktverhältnisse zu verwenden. Man spricht von der Eroberung eines Marktes wie von einer kriegerischen Eroberung, man spricht von Angriff und Vorstoß, von Sieg und Niederlage. Die modernen totalitären Staaten sehen überall Fronten und Schlachten: Arbeitsfronten, Arbeitsschlachten, Getreideschlachten.

Die großen Unternehmer pflegt man Herrscher zu nennen; man kennt Beherrscher des Schweinemarktes, Kanonenkönige, Weizenkönige und Konservenkönige. Gegen den Gebrauch von Metaphern kann man mit logischen Argumenten nicht ankämpfen. Wer sich einer Metapher bedient, weiß ohnehin, dass seine Ausdrucksweise nur bildlich ist und logischer Kritik nicht standhält. Doch jede bildliche Ausdrucksweise trägt den Keim der Konfusion in sich. Aus dem Vergleich wird nur zu leicht Gleichsetzung. Dann muss man Widerspruch erheben.

In der absoluten Monarchie herrscht der König, in der parlamentarischen Monarchie das von der Parlamentsmehrheit gestützte Kabinett. Der Herrscher oder das herrschende Kollegium verfügt über den Gewalt- und Unterdrückungsapparat des Staates. Die Beherrschten müssen sich diesem Zwangsapparat beugen und den Weisungen seiner Träger gehorchen, wenn sie nicht die Macht haben, sich erfolgreich aufzulehnen. Die Macht, die die anerkannte Ideologie den Herrschen verleiht, befähigt sie, zu befehlen und ihren Befehlen Achtung zu erzwingen.

[172]

Die «Herrschaft» der Unternehmer und Kapitalisten in der Marktwirtschaft ist anderer Art. Der Schokoladekönig befiehlt nicht und hat keinen Zwangsapparat zur Verfügung, um etwaigen Anordnungen Nachdruck zu verleihen. Er erzeugt Schokolade besser und billiger als andere es können, er versorgt die Verbraucher besser und billiger als andere. Er mag ein Schloss bewohnen, das einst für einen Herrscher gebaut worden war; er mag in Prunkentfaltung es einem kleinen Potentaten gleichtun. Doch er bleibt darum doch der Diener der Verbraucher, dessen Reichtum davon abhängt, dass er die Verbraucher, die nicht seine Untertanen, sondern seine Kunden sind, so gut und so billig als möglich bedient. Nichts bindet die Kunden an ihn, sie können ihm jederzeit ihre Kundschaft entziehen. Der Eisenbahnkönig verliert sein «Reich», wenn die Menschen Kraftwagen oder Flugzeug vorziehen. Die Unternehmer und Kapitalisten herrschen nicht über die Verbraucher, sie bedienen sie. Sie herrschen auch nicht über die Arbeiter; sie kaufen die Arbeit zu dem Preise, den die Verbraucher ihnen in den Preisen der Produkte zu vergüten bereit sind. Sie herrschen auch nicht im Staate. Die Kulturstaaten Europas und Amerikas wurden lange Zeit hindurch von Regierungen beherrscht, die der Entfaltung der Marktwirtschaft keine besonderen Hindernisse in den Weg gelegt haben. Heute werden auch diese Staaten von Parteien beherrscht die sich bestreben, den Gang der Marktwirtschaft durch Eingriffe zu lenken, die Gewinne der Unternehmer zu kürzen oder ganz einzuziehen und den Kapitalisten die Verfügung über das Kapital zu nehmen.

In der unbehinderten Marktwirtschaft haben die Unternehmer und Kapitalisten weder an der Beeinflussung der öffentlichen Meinung noch an der Bestechung der Regierungsfunktionäre Interesse. Im Staatswesen, das durch Eingriffe der Obrigkeit in das Marktgetriebe Privilegien schafft, die einer Anzahl von Menschen oder Gruppen von Menschen Vorteile auf Kosten der übrigen Bürger bringen, ist jedermann darauf bedacht, bei der Verteilung der Gnaden so gut als möglich abzuschneiden. Nicht selten werden die Unternehmer und Kapitalisten zum Bestechen gezwungen. Sie müssen trachten, die öffentliche Meinung, die Parteien und die Regierung durch Geschenke davon abzuhalten, ihnen Schaden zuzufügen. Zu den öffentlichen Abgaben treten die Abgaben, die die Beamten, die Parteien und die Parteipresse allen, die zahlen können, auferlegen. Es liegt in der Natur der Sache, dass man von der Bestechung, die man leistet, um verschont zu werden, schließlich zur Bestechung gelangt, die zur Erlangung von einträglichen Privilegien geleistet wird.

Der Tatbestand, dass Unternehmer und Kapitalisten die Regierungsmänner mitunter bestechen, beweist nicht, dass sie herrschen, sondern, dass sie beherrscht werden. Nicht die Herrscher zahlen Tribute, sondern die Beherrschten.

IV. Praxeologischer Subjektivismus und pseudohistorischer Relativismus

Man hat die politische Theorie des Liberalismus und die Prinzipien des Subjektivismus und der Objektivität der Praxeologie und der Nationalökonomie nicht ärger missverstehen können als durch ihre Vermengung mit den Gedankengängen des Relativismus.

[173]

Wer von der Wahrheit seiner eigenen Auffassung voll durchdrungen ist, müsse, meint man, rücksichtslos darauf bedacht sein, ihr Anerkennung und Herrschaft zu sichern. Der Fanatismus sei die Geisteshaltung, die sich mit logischer Notwendigkeit aus dem Bewusstsein, die volle Wahrheit zu besitzen, ergeben müsse. Wer von Zweifeln frei und von der Richtigkeit seiner Lehre überzeugt ist, müsse daher die Andersdenkenden unterdrücken, die Verbreitung ihrer Irrlehren hindern und mit allen Mitteln für seinen Glauben Propaganda machen. Er könne niemals ein Regierungssystem anerkennen, das die Möglichkeit, dass die Gegner zur Herrschaft kommen könnten, nicht ganz ausschließt. Nur wer von der Richtigkeit seiner eigenen Auffassungen nicht ganz überzeugt ist, wer an sich selbst zweifelt und die Möglichkeit des Irrtums zugibt, trete für Duldung, Geistes- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Rede und der Schrift, für Parlamentarismus und Demokratie ein [87] . Der Gegensatz der beiden Gesellschafts- und Staatsauffassungen, der liberalen und der autoritären, sei daher durch vernunftgemäße Erörterung nicht zu bereinigen. Wer das absolut Wahre erkannt zu haben glaubt, werde sich nie zu dem Subjektivismus und Relativismus der Zweifler und Skeptiker bekehren und werde nie von der Forderung ablassen, die Wahrheit triumphieren zu sehen.

Der Irrtum dieser Darstellung des Gegensatzes der beiden Auffassungen und ihrer seelischen Motivierung ist offenkundig. Die liberalen Denker waren durchaus nicht Skeptiker und Zweifler; sie hatten alle irdischen Dinge und alle Probleme der Gesellschaft durchdacht und ihre Auffassungen zu einem System verarbeitet. Sie erkannten freilich genau die Grenzen, über die hinaus dem Menschen Erkenntnis versagt bleibt, und hielten sich von Spekulationen über das Unerfahrbare fern; sie behaupteten auch nicht, im Besitze einer Wahrheit zu sein, die man nicht durch die Vernunft prüfen dürfe und an die man gerade darum blind glauben müsse, weil sie der Kritik durch vernünftige Überlegung nicht standhält. In dieser Ablehnung der Theologie und der Metaphysik waren sie jedoch ihres Unglaubens nicht weniger sicher als ihre Gegner ihres eigenen Glaubens. Wenn sie aus ihrer Überzeugung heraus nicht zur Forderung gelangten, das, was sie für Irrtum ansahen, mit jenen Mitteln auszurotten, die die Kirchen gegen die Dissidenten und die Regierungen gegen die Anhänger ihnen nicht genehmer Staatsideologien anzuwenden pflegten, so geschah [174] das nicht aus mangelndem Vertrauen in die Wahrheit der eigenen Auffassung.

Die Gesellschaft bedarf vor allem des Friedens. Nur aus der friedlichen Kooperation der Menschen kann Wohlstand entspringen. Die Ziele, die sich die Menschen setzen und die sie durch die gesellschaftliche Kooperation zu erreichen suchen, können nur erreicht werden, wenn der gesellschaftliche Fortschritt — die Ausgestaltung der Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung — nicht durch Kriege und Bürgerkriege immer wieder aufs neue gestört wird. Dauernder Friede kann aber nicht gesichert werden, wenn man die Menschen ob ihres Glaubens und ob ihrer Überzeugungen und Ideologien verfolgt und wenn man ihnen verwehrt, zu denken und ihre Gedanken frei auszusprechen. Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass viele Menschen irren und sich hartnäckig weigern, von ihrem Irrtum zu lassen. Doch was könnte Unterdrückung der freien Meinungsäußerung daran ändern? Die Geschichte hat bewiesen, dass die schärfsten Verfolgungen die Ausbreitung einer Lehre nicht hindern können. Die Unduldsamkeit hat den Irrtum nicht ausrotten können, sie hat aber zu den fürchterlichsten Kriegen geführt.

Kein Rationalist des 18. und 19. Jahrhunderts hat im katholischen Heiligen-, Bilder- und Reliquienkult etwas anderes sehen wollen als anstößigen Aberglauben, den man wegen seiner schädlichen Wirkungen auf Sittlichkeit und Intelligenz ausrotten müsste. Wenn der Liberalismus dennoch nicht nur Duldung des Katholizismus, sondern auch Achtung der Überzeugung der katholischen Mitbürger zu seinem Programm machte, geschah es gewiss nicht aus der Erwägung heraus, dass in diesem — in seinen Augen sinnlosen — Gehaben vielleicht doch die Wahrheit zu finden wäre. Der Liberalismus wollte Frieden auf Erden, und den Frieden, meinte er, könne nur die Duldung jeder Überzeugung und jeder Glaubenslehre bringen. Wer den Irrtum ausrotten wolle, müsse ihn mit dem Geist bekämpfen und nicht mit Gewalt.

Der Liberalismus konnte so denken, gerade weil er seiner Sache vollkommen sicher zu sein glaubte. Die Vernunft werde doch schließlich siegen müssen, sagte sein Optimismus. Wer unduldsam ist, ist es aus der Erkenntnis heraus, dass seine Sache der Kritik durch die Vernunft nicht standhalten könnte.

Der Relativismus, die Lehre, dass alle Ideen und Wertungen, die Menschen je als richtig betrachtet haben, als gleich richtig und als gleich unrichtig anzusehen sind, ist nicht aus liberalen Anschauungen hervorgegangen. Der Relativismus war und ist eine Doktrin zur Bekämpfung des Liberalismus. Wenn [175] der Liberalismus z. B. Aberglauben oder die Folter als Verirrungen menschlichen Denkens und Handelns verwarf, so lehrte der Relativismus, man müsse diese Ideen und Einrichtungen nur aus dem Geist der Zeit heraus zu verstehen suchen, um in ihnen doch einen berechtigten Kern zu entdecken und das Urteil über sie zu mildern. Auch manches von dem, was heute als wahr und richtig angesehen wird, werde später einmal als Irrtum verworfen werden. Man dürfe die Vergangenheit nicht vom Standpunkt moderner Auffassungen betrachten. So gelangte man zu einem Pseudohistorismus, der alle Wertungen und Einrichtungen, mochten sie sich auch unserer Auffassung als noch so verkehrt, unvernünftig und zweckwidrig darstellen, als berechtigt erklärte, weil sie eben alt und damit historisch erschienen.

Es ist freilich nicht die Aufgabe des Geschichtsforschers, über die Vergangenheit zu Gericht zu sitzen. Er hat zu verstehen und nicht zu richten. Doch das Verstehen darf nicht über den Bereich hinausgehen, den ihm die Logik einräumt; es darf sich nicht mit den Einsichten der vernünftigen Überlegung in Widerspruch setzen [88] . Wenn der Geschichtsschreiber von der Opferung Iphigeniens spricht, darf er das von Agamemnon gebrachte Opfer nicht etwa als ein Mittel ansehen, das den Schiffen der Griechen günstigen Fahrwind herbeischaffen konnte. Auch wenn man die Zeitumstände und Gedankengänge, die zu den Verfolgungen von Hexen geführt haben, noch so gut zu verstehen glaubt, kann das an dem Tatbestand, dass diese Gedankengänge irrig sind, nichts ändern. Die Weltgeschichte ist nicht das Weltgericht, doch sie ist auch nicht berufen, Irrtümer zu rechtfertigen und widersinnige Maßnahmen zu empfehlen.

Der Subjektivismus der Praxeologie und Nationalökonomie hat mit der relativistischen Einstellung des Pseudohistorismus nichts gemein. Wenn er feststellt, dass die Entscheidungen der Menschen über letzte Werte der Kritik durch die Vernunft entzogen sind, verzichtet er nicht darauf, die Mittel auf ihre Brauchbarkeit zur Erreichung der angestrebten Ziele zu prüfen.

V. Kritik der rassenbiologischen Gesellschafts- und Staatstheorie

Die Lehre, dass Gesellschaft und Staat aus der gewaltsamen Unterwerfung schwächerer Menschengruppen durch stärkere Menschengruppen hervorgegangen sind, und dass das Wesen [176] des Staates in der Gewaltherrschaft einer Elite über die Masse der Minderwertigen liege, ist uralt. Ihre moderne Prägung, die sie als rassenbiologische Gesellschafts- und Staatstheorie erscheinen lässt, hat sie vor allem durch den Franzosen Comte Arthur de Gobineau [89] und durch den österreichischen Polen und Juden Ludwig Gumplowicz [90] empfangen. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit Gobineau und Gumplowicz von älteren Schriftstellern abhängig waren. Jedenfalls erscheint die Lehre bei diesen beiden zuerst in der Gestalt, in der sie dann später von anderen Autoren — z. B. vom österreichischen Feldmarschall-Leutnant Gustav Ratzenhofer [91] und vom germanisierten Engländer Houston Stewart Chamberlain [92] — vorgetragen und in der sie zur Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie wurde. Auch Adolf Hitler hat sich ausdrücklich zu Auffassungen bekannt, die dieser Lehre entsprechen. [93]

Die rassenbiologische Gesellschafts- und Staatslehre erklärt die Lehre, dass Gesellschaft und Staat aus dem Sichvertragen und Kooperieren von Menschen hervorgegangen sind und hervorgehen können und dass das Wesen von Gesellschaft und Staat eben in diesem Sichvertragen und friedlichen Kooperieren liegt, für eine Fabel. Nie hätten Gesellschaft und Staaten entstehen können, wenn die Menschen anthropologisch eine Einheit bilden würden. «Nie und nirgends sind Staaten anders entstanden als durch Unterwerfung fremder Stämme seitens einer oder mehrerer verbündeten und geeinigten Stämme.» [94] Die stärkeren Rassen unterwerfen die schwächeren Rassen durch brutale Gewalt und bilden so Staaten. Der Staat ist Gewaltherrschaft einer ethnisch und rassisch homogenen Minderheit über eine ethnisch und rassisch andersgeartete Mehrheit. Es ist daher durchaus falsch zu glauben, dass Herrschaft auf ideologischen Grundlagen beruht; Herrschaft beruht auf Gewalt und ist Unterdrückung.

Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung vermischen sich dann im staatlichen Zusammenleben die Rassenunterschiede. Durch ehelichen und häufiger noch durch außerehelichen [177] Geschlechtsverkehr gelangt einiges vom rassischen Erbgut — vom «Blut» der herrschenden Rasse in die beherrschte Rasse und umgekehrt vom Erbgut der Unterrasse in die Edelrasse. Diese Bastardisierung, die die Herrscher-Instinkte der Edelrasse schwächt und der Unterrasse den Geist der Auflehnung einimpft, führt zum Verfall des Staates. Die Unterrassen verlangen Anteil an der Herrschaft, sie proklamieren das Prinzip der Gleichheit aller Staatsangehörigen, und die Edelrasse setzt diesem Aufstand der Minderwertigen nicht den entsprechenden Widerstand entgegen. Sie duldet es, dass die Unterrassen zur ideologischen Verhüllung und Rechtfertigung ihres vom natürlichen Standpunkte widersinnigen Anspruches auf Gleichberechtigung und Teilnahme an der Regierung besondere Theorien aufstellen. So entstehen die individualistischen Theorien, die im Widerspruch zu aller Erfahrung die Gleichheit aller Menschen behaupten und mit ihnen die Nationalökonomie und die liberalen und demokratischen Staatslehren. Die Vorherrschaft der Aristokraten wird gestürzt, die Minderwertigen bemächtigen sich der Herrschaft und verkehren die staatliche Ordnung in Chaos. Damit ist, meinen die Pessimisten, der Untergang der Kultur besiegelt. Doch die Optimisten glauben, dass es noch nicht zu spät sei. Sie hoffen durch eine neue Revolution Kapitalismus und Demokratie zu vernichten und die Herrschaft wieder denen zu geben, für die Gott und die Natur sie bestimmten, als sie die Rassen ungleich geschaffen haben.

Der Grundirrtum dieser Lehre liegt darin, dass sie glaubt, aus dem Gewaltprinzip heraus die Entstehung der gesellschaftlichen Kooperation erklären zu können.

Jene Edelrassigen, die über die Minderwertigen herfallen und sie unterwerfen, mussten in ihren Kriegszügen und in der Aufrichtung ihrer Herrschaft bereits kooperieren. Sie treten den Unterrassen nicht als ein Haufen von Einzelnen gegenüber, die untereinander durch kein gesellschaftliches Band geeinigt sind, sondern als geschlossener Verband von Menschen, als staatlich organisierte Einheit. Man kommt um diesen Tatbestand nicht herum, wenn man diesen Verband nicht Staat nennen will, ihn vielmehr als Horde oder Stamm bezeichnet, dessen Mitglieder durch eine aus der Blutsverwandtschaft entspringende, instinktiv erkannte Gemeinsamkeit der Interessen verbunden sind [95] . Dass es auch zwischen Stamm- und Blutsverwandten, zwischen Brüdern und selbst zwischen Vätern und Söhnen Interessengegensätze, Feindschaft und Gewaltanwendung [178] geben kann, gegeben hat und gibt, dass also das Sichvertragen innerhalb der Blutsgemeinschaft nicht schlechthin natürlich und notwendig ist, wird wohl niemand bestreiten können. Wenn die Stammesgenossen zusammenhalten, untereinander in Frieden verkehren und gegen Stammesfremde gemeinschaftlich und im Einvernehmen vorgehen, ist darin schon der Keim der gesellschaftlichen Kooperation und der staatlichen Ordnung zu erblicken, und nicht erst in dem Ergebnis dieser Kooperation, in der Unterwerfung eines fremden Stammes. Wenn ein Stamm unter einem Führer in den Krieg zieht, stellt er bereits einen staatlichen und gesellschaftlichen Verband dar. Der Verband mag recht lose sein und mag, wenn er nur als Bündnis zur Ausführung eines Beutezuges ins Leben getreten ist, wieder zerfallen, wenn er seinen Zweck erfüllt hat und wenn Streit um die Teilung der Beute entsteht. Doch solange er besteht und wirkt, ist er ein sozialer Verband und beruht als solcher auf einem ideologischen Moment, nämlich auf der Einsicht der Genossen, dass es ihnen besser frommt, sich zu vertragen und den Weisungen eines Führers zu gehorchen, als einander zu bekämpfen. Man kommt somit, auch wenn man die unleugbare Tatsache, dass es in der Geschichte immer wieder Unterwerfung von schwächeren Verbänden durch stärkere gegeben hat, noch so sehr unterstreicht, nicht um die Notwendigkeit herum, das Werden und Wesen der Verbandsbildung zu erklären. Die Staatslehre kann der Frage nicht ausweichen, wie zwischen Menschen bewusste geregelte Kooperation möglich ist, und sie kann darauf keine andere Antwort finden als die, dass die Menschen, die in einem Verband zusammenleben und zusammenwirken, in der Kooperation das Mittel erblicken, das der Erreichung der Ziele, die sie ihrem Handeln setzen, besser dient als isoliertes Nebeneinander oder feindliches Gegeneinander. Das Werden gesellschaftlicher Verbände und ihr Fortbestand ist ohne dieses ideologische Moment nicht zu denken.

VI. Kritik des Fortschritts-Optimismus

Man hat die Lehre, dass der Geist die Gesellschaft schafft, und dass alle Herrschaft im politischen Verbande, wenn sie dauerhaft sein soll, auf der Zustimmung der Beherrschten beruhen muss, zum Ausgangspunkt eines unhaltbaren Optimismus gemacht. Weil nun erwiesen war, dass man der Lehre, die die Entstehung gesellschaftlicher Bindung auf das Eingreifen überirdischer Kräfte zurückführte, nicht mehr bedürfe, und weil man die heteronome Moral durch die autonome zu ersetzen wusste, glaubte man, das alte Axiom von der natürlichen [179] Bösartigkeit des Menschen ohne weiteres in sein Gegenteil verkehren zu dürfen. Der Mensch, meinte man, sei von Natur aus gutgeartet und immer vernünftigen Erwägungen zugänglich. Wenn es nun der Geist ist, der das Gesellschaftliche ordnet, kann über die Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklung kein Zweifel obwalten. Die Gesellschaft werde sich zu immer dichterer Knüpfung der gesellschaftlichen Bande fortentwickeln, sie werde alle gesellschaftlichen Einrichtungen immer zweckmäßiger gestalten, sie werde sich immer mehr dem Ideal ungestörter friedlicher Beziehungen annähern. Das goldene Zeitalter liege nicht hinter uns, sondern vor uns in der Zukunft. Je weiter die Zeit fortschreite, desto mehr werde die Gesellschaft zu einer Gesellschaft der Guten und Vernünftigen werden, desto erfolgreicher wird sie das größte Glück der größten Zahl gewährleisten. In diesem Sinn gewöhnte man sich, von Fortschritt zu sprechen und Entwicklung mit Höherentwicklung gleichzusetzen. Vorübergehende Rückschläge hielt man nicht für ausgeschlossen, doch man zweifelte nicht daran, dass das Gute, Wahre und Edle endlich siegen müsse, weil es das Vernunftgemäße ist. Man pries sich glücklich, im Zeitalter zu leben, das durch die Entdeckung der Gesetze vernünftigen Handelns das Heil der Welt vorbereitet, und bedauerte höchstens, dass man zu alt sei, um selbst noch in das gelobte Land der Zukunft einziehen zu können. Ich wünschte, sagte Bentham zu Philarète Chasles, dass es mir vergönnt wäre, jedes der Jahre, die ich noch zu leben habe, am Ende eines jeden der Jahrhunderte zu verleben, die meinem Tode folgen werden; so könnte ich Zeuge werden der Wirkung, die meine Schriften ausüben [96] .

Alle diese Hoffnungen und Erwartungen bauten sich auf dem dem Aufklärungszeitalter eigenen Vertrauen in die guten Eigenschaften der Volksmassen auf. Die Oberschichten, die im Genusse von Privilegien schwelgenden Adelskreise, hielt man für verderbt, das nichtadelige Volk, vor allem die Bauern und die Handarbeiter, sah man in romantischer Verklärung als gut, edelherzig und vernünftig an. Darum war man überzeugt, dass die Demokratie, die Anteilnahme des ganzen Volkes an der Regierung, den Idealstaat verwirklichen werde.

In diesem Vorurteil lag der verhängnisvolle Fehler der Philanthropen, Aufklärer und Liberalen. Die Menschen sind nicht unfehlbar. Sie können irren, und sie irren sehr oft. Es ist nicht wahr, dass die Massen immer richtig denken und die Mittel ausfindig [180] zu machen wissen, die sie den Zielen, die sie erreichen wollen, näherbringen. Die Demokratie kann die Gewähr dafür bieten, dass die Regierungsgeschäfte stets den Wünschen der Mehrheit gemäss geführt werden. Sie kann aber nicht verhindern, dass die Mehrheit, von falschen Vorstellungen über die Zweckmäßigkeit der Mittel erfüllt, eine Politik einschlägt, deren Folgen sie für unerwünscht hält. Auch Mehrheiten können irregehen und die Menschheit ins Verderben stürzen. Das Vernünftige muss nicht schon darum siegen, weil es vernünftig ist. Nur wenn die Menschen so geartet sind, dass die Vernunft schließlich doch die Oberhand gewinnt, wird unsere Kultur weiter fortschreiten, werden Gesellschaft und Staat die Menschen zwar nicht glücklich, doch glücklicher machen. Ob diese Bedingung zutrifft, wird die Zukunft lehren.

 


 

3. KAPITEL: DER TAUSCH IN DER GESELLSCHAFT

I. Innerer Tausch und zwischenmenschlicher (gesellschaftlicher) Tausch

Jedes Handeln, auch das des isoliert gedachten Einzelnen oder das des ausnahmsweise in Vereinzelung handelnden Gesellschaftsmenschen, ist ein Tauschen. Man tauscht durch das Handeln einen weniger befriedigenden Zustand gegen einen besser befriedigenden ein. Dieses Tauschen des isoliert Handelnden wollen wir inneren Tausch nennen.

In der Tauschgesellschaft wird das gesellschaftliche Zusammenwirken der handelnden Menschen zum Tausch zwischen Menschen, zu einem Geben an Menschen und zu einem Empfangen von Menschen. Man gibt, um zu empfangen; man leistet anderen, damit sie ihrerseits wieder eine Gegenleistung vollbringen. Diesen Tausch zwischen Menschen wollen wir den zwischenmenschlichen (interpersonellen oder gesellschaftlichen) Tausch nennen.

Die Tauschbeziehung ist die gesellschaftliche Grundbeziehung zwischen den Einzelnen in der Tauschgesellschaft. Der zwischenmenschliche Austausch von Gütern und Dienstleistungen schlingt um die Menschen das Band, das sie zur Gesellschaft zusammenschließt.

Zwischenmenschlicher Tausch liegt dort nicht vor, wo die Wechselwirkung zwischen Menschen nicht aus dem auf Zusammenwirken gerichteten Handeln beider Teile hervorgeht, wo [181] sie entweder Ergebnis natürlicher Vorgänge und unbewussten Verhaltens oder einseitigen Handelns des Einen ist. Wenn ein abstürzender Bergsteiger auf einen anderen fällt, wenn ein Kranker einem Gesunden die Krankheitskeime überträgt, wenn ein Mensch sich eines anderen als eines willenlosen Mittels bedient, liegt kein Zusammenwirken und kein zwischenmenschlicher Tausch vor. Vom Standpunke des Mörders gesehen, ist auch der Mord Handeln und mithin (innerer) Tausch; der Mörder nimmt alles, was mit dem Morde für ihn verbunden ist, in Kauf, um sein Ziel zu erreichen. Doch der Gemeuchelte hat in diesem Handeln nur eine leidende Rolle; nicht mit ihm, gegen ihn ist es geschehen.

Das feindliche Losgehen eines Wesens auf das andere ist schon von den tierischen Vorfahren der Menschheit geübt worden. Das bewusste Zusammenwirken der Menschen in gesellschaftlicher Verbundenheit ist das Ergebnis einer langen Entwicklung. Geschichte und Völkerkunde haben manche wissenswerte Feststellungen über die Anfänge und Urformen des Tauschverkehres zu machen gewusst. Man hat einen Vorläufer des gesellschaftlichen Tausches in der Gewohnheit wechselseitigen Beschenkens erblicken wollen [97] . Andere wieder haben die Wurzeln des Handels im stummen Handel gesucht. Doch ein Schenken, um beschenkt zu werden oder um die Freundschaft eines Mannes, dessen Feindschaft gefährlich werden könnte, zu erhalten, ist bereits ein zwischenmenschliches, also gesellschaftliches Tauschen. Nicht anders steht es um den stummen Handel, den von dem Handel, bei dem mit Worten verhandelt wird, nur die Abwesenheit der mündlichen Auseinandersetzung unterscheidet.

Es liegt im Wesen der Kategorien des menschlichen Handelns, dass sie absolut sind und keine graduelle Abstufung zulassen. Es gibt Handeln und Nichthandeln, es gibt Tausch und Nichttausch, und alles, was dem Handeln und dem Tausch wesentlich ist, ist je nachdem, ob Handeln und Tausch vorliegt oder nicht vorliegt, in jedem einzelnen Fall entweder gegeben oder nicht gegeben. So ist auch die Grenze zwischen innerem Tausch und gesellschaftlichem Tausch scharf. Einseitiges Schenken, bei dem weder vom Beschenkten noch von anderen Menschen irgend eine Gegenleistung irgendwelcher Art erwartet wird, ist innerer Tausch. Der Schenker erwirbt durch die Schenkung die Genugtuung, die ihm die bessere Befriedigung des Beschenkten bereitet, und der Beschenkte empfängt die [182] Gabe, die ihm in den Schoss fällt wie ein «von oben» kommender Glücksfall. Wenn aber geschenkt wird, um menschliches Handeln zu beeinflussen, ist das Schenken nicht mehr einseitig, sondern zwischenmenschlicher Tausch zwischen dem Schenker und dem, dessen Handeln durch die Schenkung beeinflusst werden soll. Wenn auch das menschliche Handeln und das gesellschaftliche Handeln im Besondern als Ergebnis einer Entwicklung auftreten, so mildert dennoch zwischen Handeln und Nichthandeln und zwischen innerem Tausch und gesellschaftlichem Tausch kein Übergangsverhalten die Schärfe des Gegensatzes; der Schritt, der vom Nichthandeln zum Handeln führt, erschließt ebenso eine toto coelo verschiedene Welt wie der, der vom inneren Tausch zum gesellschaftlichen Tausch hinüberleitet.

II. Tauschgesellschaft und herrschaftlicher Verband

Das gesellschaftliche Zusammenwirken von Menschen in Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung ist nicht bloß in der Organisationsform der Tauschgesellschaft denkbar. Es gibt noch eine andere Möglichkeit: die herrschaftliche Organisation gesellschaftlicher Arbeit [98] .

In der herrschaftlichen Organisation der arbeitsteilenden Gesellschaft stehen nicht Wirte einander gegenüber, die geben, um zu empfangen, und empfangen, weil sie geben, sondern der Leiter und die Versorgten. Der Leiter allein handelt, wählt und entscheidet. Die Versorgten handeln nicht, sie gehorchen. Wenn sie arbeiten, arbeiten sie, weil ihnen Arbeit aufgetragen wurde. Wenn sie geben, geben sie, weil es ihnen befohlen wurde. Wenn sie empfangen, empfangen sie, weil der Leiter es so angeordnet hat.

Die Einordnung und Eingliederung der Einzelnen in den herrschaftlichen Verband ist Handeln und damit Tausch. Keine Gewalt vermag den Einzelnen unmittelbar in die Zwangsgemeinschaft einzufügen. Gewaltanwendung und Gewaltandrohung vermögen wohl eine Lage zu schaffen, in der dem Einzelnen das Gehorchen und das Sichfügen vorteilhafter erscheinen als die Auflehnung und der Ungehorsam. Vor die Aufgabe gestellt, zwischen den Folgen der Auflehnung und den Folgen [183] der Unterordnung zu wählen, entscheidet er sich für die Unterwerfung und gliedert sich damit in den herrschaftlichen Verband ein. Jeder einzelne Befehl stellt ihn immer wieder vor dieselbe Wahl. Indem er sich immer wieder fügt, indem er immer wieder gehorcht, bindet er sich immer wieder von Neuem an den Zwangsverband. Auch die herrschaftliche Organisation kann an dem Tatbestand nichts ändern, der allem menschlichen Verhalten eigentümlich ist. Auch als Versorgter bleibt der Mensch ein handelndes Wesen, d.i. ein Wesen, das nicht blind Impulsen folgt, sondern bewusst (vernünftig) zwischen Alternativen wählt.

Was den herrschaftlichen Verband von der Tauschgesellschaft unterscheidet, ist der Spielraum, in dem die Wahlakte der einzelnen Versorgten entscheiden. Hat der Einzelne sich einmal in den herrschaftlichen Verband eingegliedert, dann wird er für die Dauer seiner Zugehörigkeit zum Verband Objekt fremden Handelns. Innerhalb der herrschaftlich geordneten Gesellschaft handelt der Leiter allein. Der Versorgte handelt, indem er die Eingliederung wählt; als Versorgter handelt er nicht weiter.

Durch die Entscheidung, die ihn zum Versorgten macht und bleiben lässt, hat der Einzelne nicht etwa eine Lage geschaffen, die seine künftige Wahlfreiheit beschränkt, wie es z. B. Unternehmer und Arbeiter in der Tauschgesellschaft machen, wenn sie Arbeitsverträge und Lieferungsverträge abschließen. Er hat nichts an seiner Lage geändert, die ihm die Wahl zwischen den Folgen des Gehorsams und denen des Ungehorsams aufnötigt; er hat auch weiterhin immer noch die Möglichkeit, sich aufzulehnen und die Folgen der Auflehnung auf sich zu nehmen. Das Charakteristische seines Tausches ist, dass er für eine unbestimmte und unbegrenzte Leistung keine bestimmte und begrenzte Gegenleistung empfängt. In der Tauschgesellschaft tauschen die Tauschparteien bestimmte und begrenzte Leistungen aus. Auch der Lohnarbeiter in der Tauschgesellschaft tauscht eine bestimmte und begrenzte Arbeitsleistung gegen eine bestimmte und begrenzte Leistung des Arbeitgebers ein. Der Versorgte des herrschaftlichen Verbandes gibt und nimmt durch die Unterwerfung nichts, was begrenzt oder bestimmt ist. Er gliedert sich einem System ein, in dem er Unbegrenztes und Unbestimmtes zu leisten und Unbegrenztes und Unbestimmtes zu empfangen hat.

Das Prinzip, das den herrschaftlichen Verband zusammenhält, ist die Unterordnung der Versorgten. Im herrschaftlichen Verband handelt und entscheidet über Produktion und Verbrauch der Leiter allein, dem die anderen gehorchen. Ob er ein [184] Tyrann ist, dem das Wohl der Versorgten gleichgültig ist, oder ein fürsorglicher Vater, der sie glücklich machen will; ob er ein Einzelner ist oder ein geordneter Verband von Einzelnen, eine Körperschaft, ist für die Struktur der gesellschaftlichen Ordnung belanglos.

Der Gegensatz, der zwischen diesen beiden denkbaren und möglichen Gestaltungen gesellschaftlicher Kooperation besteht, ist von allen sozioogischen Theorien seit dem 18. Jahrhundert erfasst worden. Ferguson kennt ihn als Gegensatz zwischen warlike nations and commercial nations, Saint Simon als Gegensatz zwischen kriegerischen und friedlichen (industriellen) Gesellschaften, Herbert Spencer als Gegensatz von Militarismus und Industrialismus, Sombart als Gegensatz von Helden und Händlern. Für die marxistischen Sozialisten ist er der Gegensatz zwischen der Gentilverfassung einer sagenhaften Vorzeit und der sozialistischen Zukunft auf der einen Seite und bürgerlicher (kapitalistischer) Warenproduktion auf der andern Seite, für den Nationalsozialismus ist er der Gegensatz zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und der totalitären Staatsordnung. Die Wertung, die die Soziologen den beiden Gesellschaftsformen zuteilen, ist verschieden gewesen. Doch in der Feststellung des Gegensatzes, der zwischen den beiden Organisationsformen besteht, stimmen sie gerade so überein wie in der Erkenntnis, dass eine dritte Möglichkeit gesellschaftlicher Ordnung menschlicher Kooperation nicht denkbar ist.

Die Kultur, die wir kennen und in der wir leben, ist das Werk von Menschen, die in tauschgesellschaftlicher Verbundenheit kooperiert haben. Auch in dieser Kultur gibt es herrschaftliche Verbände. Der Familienhaushalt stellt einen herrschaftlichen Verband dar. Doch das charakteristische Merkmal dieser Kultur liegt im Aufbau der tauschgesellschaftlichen Kooperation zwischen den einzelnen Familienhaushaltungen. Es hat isoliertes Nebeneinander von geschlossenen Familienhaushaltungen gegeben. Die Kooperation der Familienhaushaltungen trug aber bei allen Völkern, die man als Kulturvölker zu bezeichnen pflegt, seit jeher tauschgesellschaftlichen Charakter. Die menschliche Gesellschaft, die der Erfahrung gegeben ist, ist Tauschgesellschaft, nicht herrschaftlicher Verband.

Jede gesellschaftliche Kooperation von Menschen ist friedliches Zusammenleben und Zusammenwirken. Im Innern des Verbands, sei er nun tauschgesellschaftlich oder herrschaftlich, muss Frieden bestehen; wo Kampf ist und soweit Kampf ist, gibt es weder Kooperation noch Gesellschaft. Wenn auch manche der politischen Parteien, die die tauschgesellschaftliche Ordnung durch die herrschaftliche Ordnung ersetzen wollen, [185] den «faulen Frieden» und die «bürgerliche Sekurität» verächtlich machen und Gewalt und Blutvergießen als die einzige menschenwürdige Form des Umgangs mit Menschen erklären, ihr Plan für die nach ihren Idealen aufgebaute Gesellschaft muss doch die Befriedung einschließen. Auch das Reich, von dem sie träumen und schwärmen, soll ein Reich des Friedens sein. Es soll durch Pazifikation entstehen, durch die gewaltsame Niederwerfung Aller, die ihrer Eingliederung in den vom Zwingherrn geplanten herrschaftlichen Verband widerstreben. In der Tauschgesellschaft können verschiedene Staaten selbständig nebeneinander bestehen. In der herrschaftlich geordneten Gesellschaft kann es nur ein Reich und einen Herrn geben. Das sozialistische System hat nur die Wahl zwischen Verzicht auf die Vorteile allgemeiner, die ganze Erdoberfläche und alle Menschen umfassender Arbeitsteilung oder Aufrichtung eines Weltreiches durch Unterwerfung aller Länder und Menschen. Das ist es, was den russischen Bolschewismus, den deutschen Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus «dynamisch», d.h. aggressiv und expansiv macht. In der Tauschgesellschaft löst sich das «Reich» in einen losen Verband autonomer Staaten auf wie das britische Empire; der herrschaftliche Verband muss alle Völker und Staaten seinem Reich einzuverleiben suchen.

Der tauschgesellschaftliche Verband ist Rechtsstaat, der herrschaftliche Verband ist Wohlfahrtsstaat. Recht ist die Umgrenzung der dem Handeln des Einzelnen in der Tauschgesellschaft eingeräumten Sphäre. Im herrschaftlichen Verband ist dem Handeln des Einzelnen kein anderer Spielraum offen als die Wahl zwischen Gehorsam und Auflehnung; hier gibt es kein Recht, nur eine Dienstordnung. Der Leiter erlässt die Befehle, denen der Versorgte gehorcht. Dieser hat kein Recht und keine Freiheit, es sei denn, man wolle in ressentimentvoller Verkehrung des üblichen Sprachgebrauches sagen, dass er das Recht und die Freiheit habe, den Befehlen zu gehorchen.

III. Das Problem des rechnenden Handelns

Alle praxeologischen Kategorien sind in dem Sinne ewig und unwandelbar, als sie dem Menschen durch die logische Struktur seines Denkens und durch die Bedingungen, die seinem Sein gesetzt sind, eindeutig zugeordnet sind. Die Vernunft des Menschen kann, mag er handeln oder das Handeln nur betrachten, von ihnen nicht loskommen und über sie nicht hinausgehen. Ein Handeln, das von dem Handeln, das wir kennen, verschieden wäre, können Menschen nicht nur nicht [186] vollziehen, sondern auch nicht einmal denken. Für den Menschen gibt es nur Handeln oder Nichthandeln. Ein Etwas, das weder Handeln noch Nichthandeln wäre, kann der Mensch geistig nicht fassen. Es gibt keine Geschichte des Handelns, es gibt keine Entwicklung, die von Nichthandeln zu Handeln führt, es gibt keine Übergänge oder Zwischenstufen, die zwischen beiden stünden; es gibt nur Handeln oder Nichthandeln; und von jedem Handeln gilt in voller Strenge all das, was vom Handeln kategorial ausgesagt wird.

Jedes Handeln kann sich der Ordnungszahlen bedienen. Für den Gebrauch der Kardinalzahlen und des Rechnens mit ihnen müssen noch besondere Bedingungen gegeben sein. Diese Bedingungen sind im Laufe der geschichtlichen Entwicklung des gesellschaftlichen Zusammenwirkens geschaffen worden. Damit erst wurde dem Rechnen und Berechnen Eingang in die Denkverfahren eröffnet, die dem Handeln zugrunde liegen. Auch die Kardinalzahlen und das Operieren mit ihnen sind ewige und unwandelbare Kategorien des menschlichen Denkens. Doch ihre Verwendung für das Vorbedenken und Nachbedenken des Handelns ist an geschichtlich gegebene Bedingungen geknüpft.

Erst die Betrachtung des an der Wirtschaftsrechnung ausgerichteten Handelns führte zur Nationalökonomie und zur Praxeologie. Die nationalökonomischen Probleme, wie sie die Nationalökonomen von den ersten Versuchen bis heute immer gesehen und bestimmt haben, sind Probleme des rechnenden Handelns.

Wenn wir aus dem Gesamtgebiet der Praxeologie einen engeren Bezirk - den des Nationalökonomischen — besonders herausheben und behandeln wollen, dann haben wir vor allem zu untersuchen, wie es im Handeln zum Rechnen kommen kann und kommt. Keine zweite Unterscheidung ist innerhalb des Gesamtgebiets des menschlichen Handelns wichtiger als die zwischen dem Handeln, das sich des Rechnens mit Kardinalzahlen bedient, und dem Handeln, das dieses logischen Werkzeugs entbehrt.

Die geistige Zergliederung und Erfassung dessen, was in der rechnenden Marktwirtschaft im Handeln vorgeht, war der Ausgangspunkt des nationalökonomischen Denkens im Besonderen und in weiterer Folge des praxeologischen Denkens im Allgemeinen. Doch wenn wir in unserer systematischen Darstellung des Gesamtgebäudes der Praxeologie im Allgemeinen und der Nationalökonomie im Besonderen mit der Analyse der Marktwirtschaft beginnen und ihr noch überdies eine Untersuchung des Problems der Wirtschaftsrechnung vorausschicken, soll dieses Vorgehen keineswegs durch den Hinweis auf die [187] geschichtliche Entwicklung der Wissenschaft vom menschlichen Handeln gerechtfertigt werden. Nicht geschichtliche und heuristische Erwägungen, sondern logisch-systematische Notwendigkeit schreibt dieses Verfahren vor. Die Probleme, die uns beschäftigen, sind nur in der rechnenden und berechnenden Marktwirtschaft sinnvoll. Sie erlangen ihre Verwendbarkeit für das Studium von Wirtschaftssystemen, die unter anderen Bedingungen stehen, allein durch geistige Übertragung von Gedankenführungen, die im Rahmen des marktwirtschaftlichen Handelns herausgebildet wurden und nur in diesem Rahmen zu Ende geführt werden können.

 




 

DRITTER TEIL: RECHNEN IM HANDELN

[188]

1. KAPITEL: WERTUNG OHNE RECHNEN

I. Die Reihung der Mittel

Die Rangstellung oder Bedeutung, die der Handelnde den einzelnen Zielen, denen er zustrebt, beilegt, überträgt er auf die Mittel. Er legt dem Mittel oder der Gesamtheit der Mittel den Wert bei, den er dem Ziele, dessen Erreichung dieses Mittel oder diese Mittel vermitteln sollen, beimisst. Von der Zeit, die die Produktion beansprucht, und von ihrer Einwirkung auf die Gestaltung des Wertverhältnisses von Mittel und Ziel sehen wir zunächst ab.

So wie das Handeln das Vorziehen eines a gegenüber einem b ist, so ist auch die Wertung der Mittel nichts anderes. Es wird vorgezogen und zurückgestellt. Es gibt hier ein höher und ein tiefer, ein lieber und ein weniger lieb. Es gibt ein Feld zur Anwendung der Ordnungszahlen, doch keine Möglichkeit für die Anwendung der Kardinalzahlen und des Rechnens mit ihnen. Wenn mir Eintrittskarten als Mittel zum Besuche von drei Opernaufführungen: Traviata, Aïda und Falstaff, zur Auswahl angeboten werden und ich entscheide mich, wenn ich nur eine wählen darf, für Aïda, wenn ich noch eine zweite wählen darf, auch noch für Traviata, so habe ich eine Reihung vorgenommen, die meinem augenblicklichen Wunsche, Opernmusik zu hören, Ausdruck verleiht. Ich ziehe, heißt das, heute, in meiner augenblicklichen Lage und Stimmung es vor, Aïda und Traviata zu hören und verzichte auf Falstaff; würde ich nur eine Oper hören dürfen, dann würde ich auch noch auf Traviata verzichten. Es wäre unsinnig, diese Reihung unmittelbar in einen Ausdruck zu bringen, der die Verwendung von Kardinalzahlen zulassen würde. Bezeichne ich die Eintrittskarte Aïda mit a , die zu Traviata mit b und die zu Falstaff mit c , dann kann ich sagen: ich ziehe a dem b und b dem c vor.

Das nächste Ziel des Handelns ist sehr oft die Erlangung der Verfügung über zählbare und messbare Vorräte von sinnlich wahrnehmbaren Dingen der Außenwelt. Die Entscheidung des Handelnden hat zwischen zählbaren Mengen zu wählen, sie zieht etwa 7 p eine Menge von 15 r vor; würde die Entscheidung nicht zwischen 7 p und 15 r , sondern zwischen 8 p und 15 r zu treffen sein, so würden 8 p den 15 r vorgezogen werden. Man kann das auch in der Weise ausdrücken, dass gesagt wird, 15 r werden höher geschätzt als 7 p , doch niedriger als 8 p . Das bedeutet nichts anderes als der Ausspruch: a wird dem b vorgezogen und b dem c . Dass für a nun 8 p , für b nun 15 r , für c nun 7 p gesagt wird, ändert nichts an dem Charakter der Aussage und des Vorgangs, über den sie aussagt. Auch damit wird dem Rechnen noch nicht Eingang in das Gebiet des menschlichen Handelns verschafft.

II. Die Naturaltausch-Fiktion der elementaren Wert- und Preislehre

Die von der modernen subjektivistischen Nationalökonomie ausgebildete Wert- und Preislehre zeigt, wie aus den Entscheidungen der Handelnden, aus ihrem Wählen — Vorziehen und Zurückstellen — im gesellschaftlichen Tausch die Austauschverhältnisse des Marktes hervorgehen [99] . Man kann diese Ableitung heute korrekter vortragen, als sie Menger und Böhm-Bawerk vorgetragen haben, man kann einige ungeschickte Wendungen vermeiden, die jene klassischen Darstellungen verunzieren, doch man kann ihr im Wesen nichts hinzufügen und man kann von ihr nichts fortnehmen. Soweit man sie zu berichtigen hat, muss es nicht gegen die Gedankengänge ihrer Urheber geschehen, sondern vielmehr gerade in ihrer folgerichtigen Ausführung, im Ausbau und in Fortführung dessen, was sie begonnen haben.

Um die Erscheinungen des Marktverkehrs auf das einfache Vorziehen eines a gegenüber einem b zurückzuführen, muss die elementare Wert- und Preislehre mit einer Reihe von Fiktionen arbeiten. Die Verwendung von Fiktionen ist stets mit Gefahren verbunden. Die Fiktion, d.i. das Handhaben von bewusst falschen Annahmen, ist dem Denken unentbehrlich, und die Praxeologie hätte ohne sie nie einen Schritt auf dem Wege zur [190] Lösung der ihr gestellten Aufgaben machen können. Doch man muss es verstehen, die Fehler zu meiden, die aus nicht behutsamem Gebrauch von Fiktionen entspringen können.

Die elementare Wert- und Preislehre bedient sich neben anderen Gedankenbildern, von denen noch später zu sprechen sein wird, auch des Gedankenbildes eines Marktes, auf dem nur unvermittelt getauscht wird. Diese Fiktion ist unentbehrlich: kein anderer Weg führt zu den Erkenntnissen, die sie uns bringen kann. Man muss das Geld ausschalten, um zu erfassen, dass in letzter Linie immer nur Güter niederster Güterordnung gegen andere Güter niederster Güterordnung getauscht werden und dass das Geld immer nur eine Mittlerrolle spielt, dass es immer nur Tauschmittel ist. Doch man darf nicht vergessen, dass die gedankliche Konstruktion eines Marktes, auf dem ohne Vermittlung nur direkt getauscht wird, fiktiv ist und unser Denken leicht irreführen kann.

Ein schwerwiegender Fehler, der seinen Ursprung und seine lange Lebensdauer dieser Fiktion verdankt, war die Auffassung, dass das Tauschmittel im Austauschprozesse einen neutralen Faktor darstelle. Direkter und indirekter Tausch waren nach dieser Auffassung durch nichts anderes geschieden als durch den nicht für besonders wichtig angesehenen Umstand, dass in dem einen Falle ohne Vermittlung des Geldes, in dem anderen durch Vermittlung des Geldes getauscht wird. Die Einschiebung des Geldes in den Tausch bringe, meinte man, keine Verschiebung der Austauschverhältnisse mit sich. Man verschloss sich nicht der Einsicht, dass in der Geschichte heftige Veränderungen der Kaufkraft des Geldes von der Geldseite her aufgetreten sind und dass diese Bewegungen das gesamte System der Austauschbeziehungen erschüttert haben. Doch man hielt das für Ausnahmeerscheinungen, die in der Regel durch falsche Politik hervorgerufen werden. Nur das «schlechte» Geld, meinte man, sei an diesen Störungen schuld; man verkannte dabei die Natur und die Ursache dieser Störungen, da man stillschweigend annahm, dass die Veränderungen der Kaufkraft der Geldeinheit gleichzeitig und gleichmäßig allen Waren und Diensten gegenüber vor sich gehen. Man hielt das Geld eben für neutral und folgerte daraus, dass man befugt wäre, vom Gelde in der Aufstellung des Systems der Katallaktik abzusehen. Die ganze Theorie, meinte man, lasse sich unter der Annahme des direkten Tausches ableiten. Nachher habe man in die so gewonnenen Ergebnisse einfach noch die Geldausdrücke einzuführen, um alles zu leisten, was von der Nationalökonomie verlangt werden kann. Dabei dachte man, dass mit der nachträglichen Einführung des indirekten [191] Tausches und des Geldes den durch die theoretische Untersuchung des Systems des direkten Tausches gewonnenen Ergebnissen nichts mehr hinzugefügt werde, was besonderer Beachtung würdig und bedürftig wäre. Die nationalökonomische Theorie hielt man mit der Untersuchung der Probleme des direkten Tausches im Allgemeinen für abgeschlossen. Was dann noch übrig bleibe, sei höchstens eine Untersuchung der Problematik des «schlechten» Geldes.

Eine Folge dieser Auffassung war, dass die moderne Theorie aufhörte, sich mit den Problemen des indirekten Tausches zu befassen, und dass die Nationalökonomen entweder überhaupt nicht vom Gelde handelten, oder, wenn sie es taten, es unterließen, ihre Geldlehre in ihr ökonomisches System einzubauen. Um die Jahrhundertwende herum gehörte die Behandlung der Probleme des indirekten Tausches kaum noch in die Nationalökonomie. Es gab Systeme der Katallaktik, in denen vom Geld nur so nebenbei und ziemlich unzulänglich gehandelt wurde, und es gab Bücher über Geld und Kredit, die nur in loser Verbindung mit den gleichzeitigen katallaktischen Systemen standen. An den Universitäten der angelsächsischen Länder gab es neben den Lehrstühlen für Nationalökonomie besondere für currency and banking. Erst spät setzte sich die Erkenntnis durch, dass gerade die schwierigsten Probleme der Nationalökonomie in der Lehre vom indirekten Tausch enthalten sind. Die Aufnahme der Untersuchungen über das Verhältnis von Realzins und Geldzins, der Durchbruch der monetären Krisentheorie — der Zirkulationskredittheorie des Konjunkturwechsels -, vor allem aber die Untersuchungen über den Gang der Geldwertveränderungen, die zur Zerstörung der Lehre von der Gleichzeitigkeit und Gleichmäßigkeit der Kaufkraftänderungen führten, bedeuteten den Sieg der neuen (man sollte im Hinblick auf Hume, die Currency-Schule, J. St. Mill und Cairnes besser sagen: wiedergewonnenen) Erkenntnis.

Noch verhängnisvoller wurde ein zweiter Irrtum, der auf die Verwendung dieses Gedankenbildes eines Marktes zurückführt, auf dem nur direkt getauscht wird.

Den Ausgangspunkt der modernen Wert- und Preislehre bildet die Erkenntnis, dass nicht Gleichheit der Wertung, sondern stets nur Ungleichheit der Wertung Tausch auszulösen vermag. Mit der Beseitigung der entgegenstehenden Auffassung, die schon Aristoteles irregeführt und noch die Bemühungen der klassischen Nationalökonomie zu Unfruchtbarkeit verdammt hatte, verschwinden aus der Nationalökonomie alle Vorstellungen, die sich an den Ausdruck «Wertmessung» knüpfen ließen. Dass zwei Güter ausgetauscht werden, ist nicht Folge [192] des Umstandes, dass sie gleichgehalten werden, sondern im Gegenteil Folge des Umstandes, dass sie von den Tauschparteien verschieden bewertet werden. Dem Tausche geht nichts voran, worauf man den Ausdruck «Wertmessung» anwenden könnte. Man kann zwei Güter als gleich erachten; wo das eintritt, wird jedoch nicht gehandelt und wird nicht getauscht. Wenn man Güter verschieden schätzt, ist man nicht in der Lage, mehr darüber zu sagen als: das eine Gut wird höher und das andere wird weniger hoch geschätzt. Wertungen und Werte sind intensive und nicht extensive Größen. Sie können durch Operationen mit Kardinalzahlen nicht erfasst werden.

All das müsste, sollte man meinen, von einer Betrachtung, die vom Gedankenbild des nur direkten Tausch verwendenden Marktes ausgeht, besonders leicht festzuhalten sein. Doch da treten die Folgen der Auffassung hervor, dass die Ausschaltung des Geldes unwesentlich sei und dass man daher im Gedankenbilde der geldlosen Wirtschaft alle Kategorien der Marktwirtschaft nachzuweisen imstande sein müsste. Am deutlichsten und am schädlichsten zugleich wird dies im System von Wieser. Wieser entwickelt eine Theorie der «einfachen Wirtschaft», d.i. der Wirtschaft eines sozialistischen Gemeinwesens, in dem alles Handeln «von einem einzigen Sinn» ausgeht, somit «einer planmäßigen Leitung» untersteht; in dieser Wirtschaft gibt es keinen gesellschaftlichen Tausch, daher auch keinen Markt, keine Preise und kein Geld, «der wirtschaftliche Prozess der periodischen Erzeugung und Verwendung der Güter» vollzieht sich «als bloßer naturalwirtschaftlicher Prozess» [100] . Wieser nimmt dabei als ganz selbstverständlich an, dass «unter den Problemen, welche die Theorie der einfachen Wirtschaft aufzustellen hat», es keines gäbe, «das nicht bis zu Ende lösbar wäre». Denn «warum sollte es dem theoretischen Denker verschlossen sein, nachspürend die Bahnen zu beschreiben, welche der praktische Sinn des Wirtschaftens täglich und stündlich geht?» [101] . Wieser hält es offenbar für unwesentlich, dass die Bahnen, die der praktische Sinn des Wirtschaftens geht, durch die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhende, durch Vermittlung des Geldes umsetzende und in Geld rechnende Marktwirtschaft ziehen, und sieht nicht, dass der Umstand, dass die Wirte in dieser Gesellschaft rechnen können, keineswegs auch schon beweist, dass sie in einer verkehrslosen Wirtschaft, in der es weder Geld noch Geldpreise gibt, rechnen [193] könnten. Wieser wiederholt immer wieder, dass auch in der sozialistischen Gemeinwirtschaft — er nennt sie «die soziale Musterwirtschaft» [102] — genau gerechnet werden muss und soll, wobei er ohne jedes Bedenken annimmt, dass solche Wirtschaft als rechnende und berechnende Wirtschaft ganz in derselben Weise verfahren könnte wie die Marktwirtschaft. Ja, er hält diese einfache Wirtschaft, da in ihr «nichts von den Gegensätzen vorkommt, die sich bei der gesellschaftlichen Kräftebereitung äußern» [103] , für die vollkommene Wirtschaft schlechthin. Einen Augenblick nur scheinen ihm Bedenken aufzusteigen, ob seine Annahmen nicht «in unzulässiger Weise idealisieren»; dürfe man dort «vereinfachen, wo die Vielheit das Wesen ist?» Doch er weist diesen Einwand sofort wieder zurück. In Wirklichkeit sei nämlich «der volkswirtschaftliche Prozess von heute trotz seiner starken Zersplitterung und seiner starken Gegensätze doch ein Ganzes», er sei «nicht im vollsten Sinne eine Einheit», aber er vollziehe sich «doch in einem alles umfassenden Zusammenhange, welchen die Theorie der einfachen Wirtschaft idealisierend als Einheit darstellen darf». Dieser «allgemeine Zusammenhang ist durch die Produktionsverwandtschaft begründet» [104] . Wieser sieht nicht, dass dieser Zusammenhang und diese Einheit des Wirtschaftens durch den Markt allein hergestellt werden, und dass die Wirtschaftsrechnung in Geld erfolgt und sich der auf dem Markte gebildeten Geldpreise der Güter und Dienstleistungen bedient. Dass auchin der einfachen Wirtschaft, die weder Markt noch Geld kennt, gerechnet werden könnte, scheint ihm ganz selbstverständlich zu sein. Diese vorgefasste und ohne ausreichende Prüfung festgehaltene Meinung verführt Wieser dazu, das Grundprinzip der subjektivistischen Wertlehre preiszugeben und im Grenznutzen eine Einheit zu erblicken, mit der gerechnet werden könnte. Weil gleiche Teilmengen gleich hoch bewertet werden, schreibt er — in unlösbarem Widerspruch mit dem ersten Grundsatz der Wertlehre — einem Vorrat einen Wert zu, «der gleichkommt dem Produkte der Stückanzahl (oder der Anzahl von Teilmengen) mit dem jeweiligen Grenznutzen». [105] Doch selbst wenn man an diesem, mit der subjektivistischen Auffassung der Werterscheinung nicht zu vereinbarenden Gedanken festhalten wollte, ließe sich noch immer nicht zeigen, [194] wie es gelingen könnte, für die Wirtschaftsrechnung einereinfachen Wirtschaft eine Recheneinheit zu finden, die es ermöglichen würde, verschiedene Güterarten in die Rechnung eingehen zu lassen. Das komplizierte System, das Wieser da entwickelt, ist unverwendbar, weil es den Grenznutzen wie eine extensive Größe behandelt, was Wieser’s ausdrücklicher Feststellung, dass die «primären Bedürfniswerte» nicht «extensive Zahlengröße», sondern «Intensitätsgröße» haben, und dass sie «nicht rechenbar» sind, weil sie «nicht auf ein gemeinschaftliches Maß gebracht werden können, als dessen Vielfaches sie sich darstellen» [106] , widerspricht.

Wir müssen uns darüber klar sein, dass wir uns einer Fiktion bedienen, wenn wir annehmen, dass ein isolierter Wirt (oder der Leiter einer einfachen Wirtschaft in Wieser’s Sinn) in seinem Wirtschaften ebensorechnen könnte wie die Wirte einer Marktwirtschaft. In der Marktwirtschaft wird in Geld gerechnet und die einzelnen Gütermengen werden mit jenen Geldbeträgen veranschlagt, die ihren Marktpreisen oder ihren voraussichtlichen Marktpreisen entsprechen. Ob in der verkehrslosen und geldlosen einfachen Wirtschaft überhaupt gerechnet werden könnte, ist ein Problem, zu dessen Lösung von der Wirtschaftsrechnung der Marktwirtschaft her kein Weg führt.

Wertlehre und Sozialismus

Sozialisten, Etatisten, Institutionalisten und Vertreter der historischen Schule haben der Nationalökonomie das Operieren mit dem Denken und Handeln eines isolierten Wirts zum Vorwurf gemacht. Die Robinsonaden wären, sagen sie, kein Gedankengebilde, an dem man mit Erfolg die Probleme der Marktwirtschaft studieren könnte. Dieser Einwand ist bis zu einem gewissen Grade berechtigt. An der Robinsonade lassen sich die wesentlichen Probleme der Marktwirtschaft nur unter Annahme der Fiktion studieren, dass auch in der verkehrslosen Wirtschaft gerechnet werden kann und dass auch in ihr die Bildung von Geldpreisen sowohl der Güter erster Ordnung als auch der Güter höherer Güterordnungen möglich sei.

Dass die Nationalökonomie diesen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Handeln eines gedachten isolierten Wirts und dem Wirtschaften in der Marktwirtschaft verkannt hat, war der schwerste Fehler, den sie begehen konnte. Freilich, gerade Sozialisten hatten am wenigsten Ursache, ihr diesen Fehler vorzuhalten; bestand doch dieser Fehler darin, dass man stillschweigend [195] voraussetzte, dass auch einer sozialistischen Gesellschaftsordnung Rechnen im Handeln möglich wäre, und dass man auf diese Weise die Frage nach der Verwirklichbarkeit des Sozialismus bejahte. Dass die vom Marxismus «als ideologische Verhüllung der Klasseninteressen der Bourgeoisie entlarvte bürgerliche Nationalökonomie» diesem Irrtum verfallen ist, vermag — neben dem Umstande, dass das Kernstück marxistischer Nationalökonomie, die Arbeitswerttheorie, von der klassischen Nationalökonomie ausgearbeitet wurde, — in besonders einleuchtender Weise die Nichtigkeit der marxistischen Ideologienlehre und der auf ihr fußenden Wissenssoziologie aufzuzeigen.

Wenn Wieser schreibt: «Gar manche Theoretiker haben die Werttheorie des Kommunismus geschrieben ohne es zu wissen, und haben darüber versäumt, die der Gegenwart zu schreiben» [107] , so hatte er recht, wenn auch in einem andern Sinne als in dem, den er diesen Worten beilegte. Für die Arbeitswertlehre und für alle verwandten Auffassungen schien das Problem der Wirtschaftsrechnung keine Schwierigkeit zu bieten. Ihnen kann man es daher kaum zum Vorwurf machen, dass sie die Problematik sozialistischer Gemeinwirtschaft nicht sehen konnten. Wenn ihre Anhänger das Gedankenbild der einfachen Wirtschaft (im Sinne Wieser’s) als Reformvorschlag für die Umgestaltung der Gesellschaft ansehen wollten, setzten sie sich nicht in Widerspruch zu den werttheoretischen Grundsätzen ihrer Nationalökonomie. Ihr Irrtum war ihre Wertlehre; ihr Sozialismus ist vom Standpunkte dieses Irrtums begreiflich. Anders steht es um die moderne subjektivistische Nationalökonomie. Dass sie das Problem der Wirtschaftsrechnung nicht gesehen hat, ist unverzeihlich. Und es ist besonders tragisch, dass gerade Wieser sich diesem Vorwurf am stärksten ausgesetzt hat, obwohl seine Untersuchungen bereits alle Elemente zu einer befriedigenden Behandlungen des Problems enthalten.

III. Das Problem der Wirtschaftsrechnung

Aus den Erkenntnissen, die die Naturwissenschaften vermitteln, baut der auf das Handeln gerichtete Geist die Technologie, d.i. die Lehre vom möglichen Handeln. Die Technologie zeigt, was erreicht werden könnte, wenn man es erreichen will, und wie es erreicht werden könnte, wenn man bereit ist, die angegebenen Mittel aufzuwenden. Mit dem Fortschreiten der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ist die Technologie fortgeschritten; richtiger wäre vielleicht zu sagen, dass das Bestreben, die Technologie auszugestalten, die Naturwissenschaften gefördert hat. Die Quantifizierung der Naturwissenschaft hat auch die Technologie quantifiziert. Die moderne Technologie ist in ihrer Anwendung im Erzeugungsverfahren vor allem eine Kunst des Rechnens und Berechnens des Erfolges möglichen Handelns. Man berechnet mit einem für das Handeln ausreichendem Grad von Genauigkeit den Erfolg geplanten Handelns, und man rechnet, um das Handeln so zu planen, dass es einen bestimmten Erfolg zu erreichen vermag.

[196]

Doch mit dem Wissen, das die Technologie gibt, vermöchte man für das Berechnen des Handelns nur dann das Auslangen zu finden, wenn entweder alle Mittel des Handelns nach festem Verhältnis vollkommen substituierbar wären oder wenn alle Mittel absolut spezifisch wären. In jenem Falle wären alle Mittel in gleicher Weise, wenn auch in verschiedenen Mengen, für die Erreichung eines jeden Zieles brauchbar; es wäre so, als ob es nur ein einziges Mittel, nur ein einziges wirtschaftliches Gut geben würde. Im zweiten Falle wäre jedes Mittel nur für die Erreichung eines Zieles brauchbar; man würde jeder Gruppe von komplementären Produktivgütern den Wert beilegen, der dem entsprechenden Gut niederster Ordnung beigelegt wird. (Von den Schwierigkeiten, die sich aus der Berücksichtigung des Zeitelements ergeben, wollen wir vorerst absehen.) Keine dieser beiden Bedingungen ist in der Welt, in der wir Menschen zu wirtschaften haben, gegeben. Die Mittel sind nur innerhalb enger Grenzen substituierbar, sie sind in höherem oder geringerem Grade spezifische Mittel zur Erreichung verschiedener Zwecke. Anderseits aber trägt ein großer Teil der Mittel nicht absolut spezifischen Charakter; die meisten Mittel lassen mehrfache Verwendung zu. Dass es verschiedene Mittel gibt, dass sie für die Erreichung mancher Zwecke besser, anderer weniger gut und vieler überhaupt nicht geeignet sind, und dass man die einzelnen Mittel verschieden verwenden kann, stellt dem Wirtschaften die Aufgaben. Da kann uns die Naturalrechnung der Technologie, die nur zählbare und messbare Mengen kennt, der aber Wertungen fremd sind, nicht helfen. Denn die Aufgabe ist, die verfügbaren Mittel so zu verwenden, dass kein wichtigerer Zweck durch das Bestreben, einen minderwichtigen zu erreichen, leide. Diesem Problem gegenüber versagt die technische Rechnung. Sie vermag wohl zu zeigen, wie ein gegebenes Ziel durch Aufwendung verschiedener Mittel, die in verschiedener Weise kombiniert werden können, erreicht werden kann, oder wie gegebene Mittel zu verschiedenen Zielen zu führen vermögen. Doch sie vermag nichts darüber zu sagen, wie unser Handeln zwischen den unendlich vielen verschiedenen Kombinationen, die denkbar sind, zu wählen hätte. Was der Handelnde benötigt, ist die Antwort auf die Frage, wie er die Mittel verwenden soll, um sein Unbefriedigtsein soweit abzustellen, als die Mittel gestatten. Die technische Rechnung gibt ihm aber nicht mehr als quantitativen Ausdruck für erkannte Kausalbeziehungen. Sie sagt: aus 7 a + 3 b + 5 c u.s.w. können 8 P werden. Doch ob dieses Rezept oder unendlich viele andere in gleicher Art aufgebaute den Zwecken, die der Handelnde verwirklichen will, dienlich ist, [197] kann sie nicht sagen, obwohl die Reihung der Zwecke ihr vom Handelnden gegeben wird. Die Ingenieurkunst mag sagen, wie eine Brücke gebaut werden muss, damit sie einen Fluss an gegebener Stelle übersetze und eine gegebene Last zu tragen vermag, doch sie kann nicht entscheiden, ob und wo man Brücken bauen soll, wie stark man sie machen soll, und welcher der vielen Entwürfe, die sie für die Lösung der gestellten Aufgabe auszuarbeiten vermag, vorzuziehen ist. Die technische Rechnung kann zwischen den verschiedenen Mittel-Elementen nur insoweit Beziehungen finden, als sie für die Erreichung gleicher Zwecke einander vertreten können; das Handeln aber muss in seiner Rechnung zwischen allen Elementen ohne Rücksicht auf ihre Vertretbarkeit für gleiche Leistung Beziehungen finden.

Die Technologie und alle auf sie gestützten Überlegungen wären für das Handeln unbrauchbar, wenn sie nicht an den Geldpreisen aller Güter und Dienstleistungen orientiert werden könnten. Die Pläne und Entwürfe der Ingenieure und Konstrukteure wären nutzlos, wenn sie nicht Aufwand und Ertrag vergleichen könnten. Das aber können sie nur, weil die Einheit, mit der sie rechnen, das Geld ist und weil sie sich auf den Geldpreisen der Güter und Dienste aufbauen.

IV. Wirtschaftsrechnung und Marktverkehr

Das Rechnen ist gegenüber den einfacheren Überlegungen, als deren Verfeinerung es sich darstellt, durch zwei Eigenschaften ausgezeichnet: es verwendet an Stelle vager Schätzungen von Größenverhältnissen die Ergebnisse von Messungen, die so genau sind, wie es die besonderen Aufgaben der Rechnung im einzelnen Fall erfordern, und es verbindet die verschiedenen Messungsergebnisse durch Operationen mit den ihnen zugeordneten Zahlenwerten. Von den rohesten Formen vernünftiger Überlegung bis zu den genauesten und feinsten Berechnungen führen unmerkliche Übergänge. Nicht nur die Messungen wurden schrittweise feiner, auch die mathematischen Operationen [108] wurden nur allmählich exakter.

Die moderne arbeitsteilige Produktion wäre ohne Wirtschaftsrechnung hilflos. Sie hat sich in dem Masse entwickelt, in dem es ihr gelang, die Wirtschaftsrechnung auszubauen, und sie würde einem sinnlosen Chaos weichen müssen, wenn man sie der Möglichkeit zu rechnen berauben würde.

[198]

Als Aufgabe der Wirtschaftsrechnung erscheint dem einzelnen Wirt die Gegenüberstellung von Aufwand und Erfolg. Die Vorkalkulation oder Kalkulation entscheidet über das geplante Handeln; die Buchführung, Bilanzaufstellung und Gewinn- und Verlustrechnung ermitteln die Ergebnisse des vollzogenen Handelns. Die Rechnung ist nicht nur Vorbedenken des künftigen Handelns, sondern auch Nachbedenken des vergangenen Handelns. Dieses Nachbedenken verfolgt nicht etwa bloß historische und didaktische Zwecke. Es dient als Kapitalsrechnung dem Handeln, indem es zeigt, wie viel man verbrauchen darf, wenn man den Wert der verfügbaren Kapitalgüter zumindest ungeschmälert erhalten will. Die Begriffe Vermögen (Kapital) und Einkommen (Ertrag) erhalten damit ihre Bedeutung für das Handeln, das ohne sie und die Begriffe Vermögenserhaltung (Kapitalserhaltung), Vermögenszuwachs (Kapitalsmehrung) und Vermögensverringerung (Kapitalsminderung), Verzehr und Sparen nicht mehr auszukommen vermag.

Für das Gesamtsystem der Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsrechnung das Mittel zur Ausrichtung der Produktion nach den Bedürfnissen aller Genossen der arbeitteilenden Gesellschaft. Die Wirtschaftsrechnung erst macht den Markt zu einem einheitlichen Zusammenhang aller Glieder der Gesellschaft. Dass eine Veränderung von Nachfrage oder Angebot, die sich auf einem weit entfernten Teilmarkte abspielt, überall auf dem Markte spürbar und damit wirksam wird, ist ihr Werk.

Die Wirtschaftsrechnung ist auf den Geldpreisen, die auf dem Markte für Güter aller Art und aller Güterordnungen gebildet werden, aufgebaut. Nur weil es Geldpreise gibt und soweit es sie gibt, kann im Handeln beim Vergleich von Aufwand und Erfolg gerechnet werden.

 


 

2. KAPITEL: DIE GELDRECHNUNG, IHRE VORAUSSETZUNGEN UND DIE GRENZEN IHRES BEREICHES

I. Die Geldansätze der Geldrechnung.

Die Geldrechnung vermag alles zu erfassen, was gegen Geld umgesetzt wird.

Die Geldpreise der Güter und Dienstleistungen sind historische Tatsachen. Jeder Geldpreis, der uns bekannt wird, gehört der Vergangenheit an. Nie und unter keinen Umständen [199] bedeutet eine Mitteilung über ein Austauschverhältnis zwischen dem Gelde und den Kaufgütern mehr als das, dass ein oder mehrere Austauschakte nach diesem Verhältnis vollzogen wurden. Über die künftigen Preise wird damit nichts ausgesagt. Wir mögen wohl annehmen, dass die Marktlage, die die Bildung der Preise in den jüngsten Tauschakten bestimmt hat, in der nächsten Zukunft keine oder zumindest keine beträchtlichen Veränderungen erfahren werde, so dass auch die Preise zunächst keine oder nur geringfügige Änderungen aufweisen werden. Diese Annahmen werden besonders dann gerechtfertigt sein, wenn die Preise, die wir im Auge haben, das Ergebnis des Zusammenwirkens einer großen Zahl von Käufern und Verkäufern sind und wenn der Markt, auf dem sie gebildet wurden, nicht durch Umstände beeinflusst wurde, die man als zufällig, außerordentlich oder einmalig zu bezeichnen pflegt. Dass wir die Preise der jüngsten Vergangenheit nicht bloß als historische Tatsachen betrachten, sondern sie zur Richtschnur für unser stets auf die Zukunft gerichtetes Handeln nehmen, beruht allein darauf, dass wir mit der Fortdauer der Verhältnisse rechnen, die zu ihrer Bildung geführt haben, oder doch wenigstens erwarten, dass diese Verhältnisse nicht zu schnellen und zu starken Veränderungen ausgesetzt sein werden.

Denn wenn auch alle Geldpreise, die unserer Rechnung zur Verfügung stehen, Geldpreise der Vergangenheit sind, so wollen wir doch immer nur mit den Geldpreisen der Zukunft rechnen. Nur der Geschichtsforscher beschränkt sein Interesse auf die Geldpreise der Vergangenheit. Den handelnden Menschen interessieren allein die Geldpreise der Zukunft, mag es auch nur die nächste Zukunft — die nächste Stunde oder die nächsten Tage — sein; ihm sind die Geldpreise der Vergangenheit nur Mittel, um Schlüsse auf die Geldpreise der Zukunft zu ziehen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Geldrechnung dem Vorbedenken künftigen Handelns dient oder dem Nachbedenken vergangenen Handelns. Nicht nur die Kalkulation — die Berechnung der Aussichten geplanten Handelns — auch die Gewinn- und Verlustrechnung, deren Aufgabe die Feststellung des Erfolges des vergangenen Handeln ist, hat mit den Preisen der Zukunft zu rechnen.

In der Bilanz und in der Gewinn- und Verlustrechnung erscheint das Ergebnis des vergangenen Handelns als Unterschied des gegenwärtigen Vermögens — des Vermögensstandes am Bilanztage — gegenüber dem Vermögen, das bei Beginn des zu betrachtenden Handelns vorhanden war, und als Unterschied zwischen den Aufwendungen, die das Handeln verursacht hat, und dem Rohertrag, den es gebracht hat. In diesen [200] Aufstellungen müssen vorhandene Güter und Rechte auf Güter und Leistungen in Geld ausgedrückt werden; es müssen für sie Preise angenommen werden, die voraussichtlich erzielt werden können. Die kaufmännischen Faustregeln für diese Bewertungen und die Vorschriften der Handels- und Steuergesetze mögen den Sinn dieser Wertansätze mitunter verhüllen. Weder den Handelsgesetzen noch den Steuervorschriften ist es in erster Linie um eine «richtige», d.h. den Erfolg des verflossenen Handelns möglichst genau darstellende Bilanzierung und Gewinn- und Verlustrechnung zu tun. Das Handelsrecht will ein Vorgehen eingeschlagen sehen, bei dem die Gefahr der Schädigung von Personen, die an dem Ergebnis der Geschäfte des Unternehmens als Gläubiger oder in anderer Weise interessiert sind, durch vorsichtige Bewertung herabgemindert wird; es sollen die Aktiven nicht zu hoch, die Passiven nicht zu niedrig bewertet werden, damit nicht zu viel als vermeintlicher Gewinn aufgezehrt werde, und es soll verhindert werden, dass ein schlechtgehendes Unternehmen solange weiterbetrieben wird, bis durch Aufzehrung des dem Unternehmer gehörigen Kapitals oder eines großen Teils dieses Kapitals die Befriedigung der Ansprüche der Gläubiger unmöglich geworden ist. Die Steuergesetze wieder wollen oft umgekehrt einen möglichst hohen Gewinn der getätigten Geschäfte errechnet sehen, weil sie einen hohen Steuerertrag — sei es auch auf Kosten des Stammvermögens und zum Schaden späterer Steuereingänge — anstreben. So kommt es, dass Handelsbrauch, Handelsgesetze und Steuervorschriften mitunter Regeln für die Bewertung der Vermögensbestände aufstellen, deren Beobachtung die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung von dem Ziele ablenkt, das das Handeln der Wirtschaftsrechnung setzt. Man muss daher zwischen der Wirtschaftsrechnung unterscheiden und den an die Wirtschaftsrechnung anknüpfenden Berechnungen, die anderen Zwecken dienen. Die Steuerbemessung hat mit den Aufgaben, die das Handeln der Wirtschaftsrechnung setzt, nichts zu tun, mag sie auch auf einer der Wirtschaftsrechnung nachgebildeten Berechnung aufgebaut sein. Wenn ein Gesetz, das das Halten von Dienerschaft besteuert, verfügt, dass ein männlicher Diener zwei weiblichen Dienerinnen gleichzuhalten sei, wird niemand darin etwas anderes erblicken als eine Vorschrift über die Höhe der zu entrichtenden Abgabe. Wenn ein Steuergesetz verfügt, dass Aktien und andere Wertpapiere für die Bemessung der Erbschaftssteuer nach dem Börsenkurs des Todestages des Erblassers zu bewerten sind, dann haben wir auch darin nichts weiter zu sehen als eine Vorschrift über das Ausmaß der Steuer.

[201]

Die Wirtschaftsrechnung, die auf die möglichst genaue Erfassung der durch das Handeln zu gewärtigenden oder schon eingetretenen Erfolge gerichtet ist, kann ihre Aufgabe ohne Annahmen über die Preise, die der Markt künftig bilden wird, nicht lösen. Zu solchen Annahmen vermag man nur auf dem Wege zu gelangen, dass man von den Preisen der jüngsten Vergangenheit ausgeht und an ihnen unter Umständen Änderungen vornimmt im Hinblick auf voraussichtliche Preisverschiebungen, die durch eine vorausgesehene Änderung der Marktlage hervorgerufen werden dürften. Je zutreffender sich diese Abschätzung der künftigen Preisgestaltung erweist, desto genauer und richtiger wird das Bild sein, das die Rechnung liefert. Doch immer muss ihr der Umstand, dass sie es mit einer unbekannten Zukunft zu tun hat, problematischen Charakter geben.

Wie jedes Handeln auf die Zukunft gerichtet und mit all der Ungewissheit behaftet ist, die die Zukunft dem menschlichen Geist birgt, so ist auch die Wirtschaftsrechnung ein Rechnen mit Künftigem und Ungewissem, ein Tasten im Dunkeln und Unerforschten.

In der kaufmännischen Kalkulation geplanter Unternehmungen liegt dieses spekulative Element offen zutage. Doch auch mit der Überprüfung des Erfolges des vollzogenen Handelns, mit dem Abschluss der Bücher und der Aufstellung von Bilanzen und von Gewinn- und Verlustrechnungen steht es nicht anders. Alle Bilanzen sind Zwischenbilanzen, denn sie erfassen nur den Stand an einem willkürlich herausgegriffenen Zeitpunkt, während Leben und Handeln weitergehen. Alle Bilanzwerte sind auf die Zukunft gerichtete Bewertungen. Man kann einzelne Unternehmungen liquidieren, die Gesamtwirtschaft wird immer weitergehen und kann niemals als abgeschlossen betrachtet werden. Selbst die Umwandlung aller Sachwerte und Rechte eines Unternehmens in Bargeld ändert nichts an dem nur vorläufigen und spekulativen Charakter der Rechnung. Denn auch die Bedeutung von Geldsummen ist von der künftigen Gestaltung des Marktes, auf dem das Geld zum Kaufe von Sachgütern und Leistungen verwendet werden soll, abhängig. Die ziffernmäßige Genauigkeit der Buchführung und aller mit ihr in Verbindung stehenden Aufstellungen und Nachweise darf über die Zweifelhaftigkeit der wesentlichen Posten und damit des Gesamtergebnisses nicht hinwegtäuschen.

Das alles darf man aber nicht als Unzulänglichkeit der Wirtschaftsrechnung bezeichnen. Die Wirtschaftsrechnung ist als Verfahren so brauchbar, als sie nur sein kann, und keine Verbesserung könnte sie vervollkommnen. Sie leistet alles, was [202] man von ihr verlangen kann. Sie gibt dem Handeln alles, was ihm die zahlenmäßige Rechnung zu geben vermag. Dass sie kein Werkzeug zur sicheren Erforschung der künftigen Dinge ist und dass sie dem menschlichen Handeln nicht den spekulativen Charakter nehmen kann, kann nur in den Augen jener als ein Mangel erscheinen, die sich nicht damit abzufinden vermögen, dass Welt und Leben nicht starr und tot sind, sondern sich immerfort wandeln, und dass wir über diese Wandlungen im Voraus nichts sicher wissen.

Die Aufgabe, die die Wirtschaftsrechnung zu leisten hat, ist keineswegs etwa darin zu suchen, dass dem Wirtschaften der spekulative Charakter, der ihm notwendig innewohnt, genommen werden soll. Ihre Funktion ist allein die, für die Gegenüberstellung von Aufwand und Erfolg des Wirtschaftens die Zusammenfassung der verschiedenartigen Mittel des Handelns unter einen gemeinsamen Nenner zu ermöglichen. Rechnungsoperationen kann man nur mit gleichbenannten Zahlen ausführen. Der gemeinsame Nenner der Wirtschaftsrechnung ist das Geld.

II. Der Umfang der Geldrechnung.

Was nicht gegen Geld umgesetzt zu werden pflegt, kann von der Wirtschaftsrechnung nicht erfasst werden.

Es gibt Dinge, die für Geld nicht feil sind, obwohl das Handeln über sie verfügt. Es gibt Dinge, die man nicht mit Geld kaufen kann, für deren Erlangung man andere Opfer zu bringen hat als die Hingabe von Geld oder Geldeswert. Wer seinen eigenen Körper oder Geist zu hohem Können und großen Leistungen stählen will, muss große Aufwendungen machen, und diese Aufwendungen mögen auch die Hingabe von Geld erfordern; doch das Entscheidende dabei, das, was allein unmittelbar zum Erfolge zu führen vermag, ist nicht zu kaufen. Ehre, Ruhm, Tugend, aber auch Kraft, Gesundheit, Leben, die alle im Handeln als Mittel und als Zweck berücksichtigt werden, sind nicht zu kaufen und müssen daher bei der Wirtschaftsrechnung außer Anschlag bleiben.

Es gibt Dinge, die überhaupt nicht in die Geldrechnung der Wirtschaft eingestellt werden können, und solche, die nur mit einem Teil ihrer Bedeutung in ihr berücksichtigt werden können. Wenn erwogen wird, ein Bauwerk von künstlerischem und geschichtlichem Wert abzutragen, um an seine Stelle ein modernes Bauwerk zu errichten, kann man in die Rechnung den Kunst- und Pietätswert nur soweit in Geld einstellen, als er zu [203] Geldeinnahmen zu führen vermag. Was das Gemüt an das alte Bauwerk knüpft, bleibt außerhalb der Geldrechnung.

Das alles setzt die Brauchbarkeit der Geldrechnung für die Überlegungen des handelnden Menschen nicht herab. Wenn einer Stadtverwaltung zwei Vorschläge für die Neugestaltung der Strassen in einem Stadtteil vorliegen, von denen der eine den Vorzug hat, billiger zu sein, der andere aber bei höherem Kostenaufwand dadurch ausgezeichnet ist, dass er die Niederreißung eines künstlerisch und geschichtlich bedeutenden Baudenkmals, die der erste Entwurf verlangt, zu vermeiden weiß, dann bereitet es der zu treffenden Entscheidung keine Schwierigkeit, dass die Gefühle, die zu Gunsten der Erhaltung des Baudenkmals sprechen, nicht in Geld veranschlagt werden können. Die nicht in Geld abschätzbaren Werte werden dadurch, dass sie nicht in die Geldrechnung eingehen, in eine Sonderstellung gehoben, die ihre Berücksichtigung eher erleichtert. Gerade der Umstand, dass sie außerhalb der Geldrechnung bleiben, sichert ihnen besondere Beachtung. Nichts ist törichter als die Klage, dass die Geldrechnung des Geschäftslebens das Unbezahlbare nicht einschließt. Den sittlichen und ästhetischen Werten geschieht dadurch kein Abbruch, und wer für sie Opfer zu bringen bereit ist, wird daran durch ihr Nichteingehen. in die Geldrechnung nicht gehindert.

Die Kritik, die an der Geldrechnung geübt wurde, hat stets verkannt, dass die Wirtschaftsrechnung, die sie ermöglicht, allein die Rechnung eines Wirtes ist, der in der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden arbeitsteiligen Gesellschaft wirtschaftet, und dass sie nur den Rechnungen zu dienen vermag, die die in dieser Gesellschaft wirtschaftenden Einzelnen und Personenverbände für ihr Handeln anzustellen haben. Sie ist daher stets nur Rentabilitätsrechnung und nicht Produktivitätsrechnung. Das heißt, dass für sie die Preise, die auf dem Markte gebildet werden, die einzige Richtschnur bilden und dass sie keiner Überlegung genügen kann, die nicht von der Nachfrage der auf dem Markte auftretenden Verbraucher ausgeht, sondern von der hypothetischen Wertung eines das gesamte Handeln der Welt allein bestimmenden Diktators. Wer «volkswirtschaftliche» Werturteile bildet, um das, was in der kapitalistischen Gesellschaft vorgeht, an dem Maßstab einer imaginären sozialistischen Gesellschaft. als deren Herr und Leiter er sich selbst denkt, zu kritisieren, findet in der Geldrechnung keine Unterstützung. Die Geldrechnung ist die Rechnung der Verbraucher auf dem Markte der Verkehrswirtschaft und der für diesen Markt arbeitenden [204] Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer und Arbeiter. Sie ist unanwendbar für alles, was darüber hinausgeht.

Wer mit Geld rechnen will, darf sich nie auf den Standpunkt stellen, von dem aus ein das gesamte Handeln einer Menschengruppe, eines Volkes oder der Menschheit leitende Wille das Handeln sehen müsste. Mit Geld vermögen Verbraucher, Kapitalisten, Bodenbesitzer, Arbeiter und Unternehmer der kapitalistischen Gesellschaft zu rechnen. Für Rechnungen und Berechnungen, die jenseits der Aufgaben dieser Kategorien liegen, ist es unbrauchbar. Es ist sinnlos und verkehrt, in Geld Dinge abschätzen zu wollen, die auf den Märkten nicht gehandelt werden, und mit diesen willkürlichen Wertansätzen, denen keine Wirklichkeit des Lebens, Handelns und Wirkens entspricht, in Rechnungen zu operieren. Der Gesetzgeber bestimmt, welchen Betrag der zu vergüten hat, der durch Tötung eines Menschen Schaden gestiftet hat. Doch die Anweisung, wie dieser Schaden zu berechnen sei, bedeutet nicht, dass der Wert des Menschenlebens in einen Geldausdruck gebracht werden kann. Wo Sklaverei besteht, gibt es auf dem Markte Preise für Sklaven. Wo keine Sklaverei besteht, sind der Mensch, sein Leben und seine Gesundheit res extra commercium und bleiben daher außerhalb des Bereiches der Geldrechnung.

Man kann die Summe der Geldeinkommen oder der in Geld abgeschätzten Vermögen einer Anzahl von Personen errechnen; man kann aber, wenn man im Bereiche des Sinnvollen bleiben will, nicht Volkseinkommen oder Volksvermögen in Geld ausdrücken. In dem Augenblick, in dem man in die Betrachtung des menschlichen Handelns Gesichtspunkte einführt, die dem Handeln eines in der Marktwirtschaft tauschenden Wirtes fremd sind, vermag man in der Geldrechnung keine Stütze der Überlegungen mehr zu finden. Die Versuche, das Vermögen eines ganzen Volkes oder der ganzen Welt in Geld auszudrücken, sind Zahlenspielerei wie die der Zahlenmystiker, die aus den Dimensionen der Cheopspyramide Weltgeheimnisse zu enträtseln suchen. Wenn in einer kaufmännischen Rechnung einem Vorrat Kartoffel der Wert von hundert Dollar beigelegt wird, so bedeutet das, dass man erwartet, diesen Vorrat um hundert Dollar verkaufen zu können. Wenn der Gesamtwert eines Unternehmens mit 1.000.000 Dollar beziffert wird, so bedeutet das, dass man erwartet, das Unternehmen um diesen Preis veräußern zu können. Was aber sollen die Geldansätze bedeuten, die in der Aufstellung des amerikanischen Volksvermögens enthalten sind? Was ist das Gesamtergebnis dieser Rechnung? Was hat in sie einzugehen? Was hat unberücksichtigt zu verbleiben? [205] Soll man den «Wert» der Strassen, des Klima, der Tüchtigkeit der Bewohner miteinbeziehen? Der Kaufmann vermag sein Unternehmen zu veräußern, der Kapitalist vermag sein Vermögen, es stückweise in Geld verwandelnd, aufzuzehren. Kann ein Volk das Volksvermögen veräußern oder in ähnlicher Weise aufzehren wie ein Einzelner sein Vermögen?

Der Geldausdruck für auf den Märkten gangbare Güter und Leistungen ist keine Messung einer Wertgröße wie der naive Verstand annimmt, wenn er Münzen, Maße und Gewichte in eine Reihe stellt. Die Geldwerte der Kaufgüter sind nie etwas anderes als Feststellung eines Austauschverhältnisses, zu dem in der Vergangenheit ausgetauscht wurde oder in der Zukunft vermutlich ausgetauscht werden dürfte.

Immer wieder muss man es betonen: Wer das Handeln nicht ganz verkennen will, muss sich bei seiner Betrachtung von allen physikalischen Analogien und Metaphern fernhalten. Im Handeln wird nicht gemessen und nicht gewogen, im Handeln wird nicht gleichgehalten, sondern gewählt, d.h. vorgezogen und zurückgestellt.

III. Die Wandelbarkeit der Geldpreise

Alle Austauschverhältnisse des Marktes ändern sich, weil die Umstände, die zu ihrer Bildung geführt haben, sich ständig wandeln. Die Bedeutung, die die Einzelnen sowohl dem Gelde als auch den verschiedenen Waren und Dienstleistungen beilegen, entspricht den Überlegungen eines Augenblicks; schon der nächste Augenblick mag Neues bringen und anderen Überlegungen und Wertungen Raum geben. Nicht dass die Geldpreise sich ändern, vielmehr dass sie sich nicht schneller ändern, wäre als ein Problem zu bezeichnen, dem man Aufmerksamkeit zu schenken hätte.

Dass die Geldpreise der einzelnen Güter und Leistungen beständig Änderungen unterworfen sind, wird den Wirten täglich so eindringlich zu Bewusstsein gebracht, dass man annehmen sollte, dass ihr Denken über Geld und Geldpreise vor allem durch die Beachtung dieser Veränderungen bestimmt sein müsste. Dennoch werden alle volkstümlichen Anschauungen über Erzeugung und Verbrauch, über Markt und über Marktpreise von der Annahme einer Starrheit und Unwandelbarkeit der Verhältnisse bestimmt. Man hält es für natürlich und richtig zugleich, dass die alten Preise beibehalten werden, und man erblickt in jeder Verschiebung der Austauschverhältnisse etwas, was wider die Natur und wider das Recht geht.

[206]

Man darf nicht etwa versuchen, diese volkstümliche Lehre dadurch zu erklären, dass sie den Niederschlag von Meinungen bilde, die sich in alten Zeiten beständigerer Produktions- und Absatzverhältnisse und beständigerer Preise in den Köpfen festgesetzt hätten. Es sei dahingestellt, ob man berechtigt wäre zu behaupten, dass die Preise in älterer Zeit weniger stark geschwankt hätten und ob nicht eher die Behauptung zulässig wäre, dass die Ausweitung des Gebiets, das den Markt zu beschicken vermag, und die Ausbildung eines für die Stetigkeit der Marktbeschickung sorgenden Handels mehr Stetigkeit in die Preisbildung gebracht hätten. Wenn auch in den Jahrhunderten, die man als vorkapitalistisch zu bezeichnen pflegt, die Produktions- und Absatzverhältnisse sich langsamer veränderten als in unseren Tagen, so waren darum die Preise der auf den Märkten gegen Geld umgesetzten Güter nicht stabiler. Doch selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte es wenig zu sagen. Die landläufigen Vorstellungen über Geld und Geldpreise reichen nicht in die Zeiten einfacherer wirtschaftlicher Verhältnisse zurück; es wäre unzulässig, sie durch die kritiklose Übernahme von Ideen, die sich in längst verflossenen Zeiten gebildet haben, zu erklären. In der modernen Wirtschaft hat jeder Wirt Tag für Tag so viel mit Geld und Geldumsatz zu schaffen, dass man wohl anzunehmen berechtigt ist, dass sein Denken über Geld nicht einfach auf dem beruht, was ihm durch eine alte Überlieferung zugeführt wurde.

Dass die durch eine Preisveränderung in ihren unmittelbaren Interessen Geschädigten sich mit moralischen Werturteilen gegen die Veränderung kehren, dass sie den alten, ihren Sonderinteressen besser entsprechenden Preis nicht nur als gerecht, sondern auch als natürlich bezeichnen und dass sie dabei die Beständigkeit der Preise als dem Wesen der Dinge gemäss erklären und in jeder Preisveränderung etwas Unnatürliches erblicken, wäre zu verstehen. Doch jede Preisveränderung bringt anderen Leuten wieder Vorteil, und die Begünstigten werden die Lehre von der Naturgemäßheit unwandelbarer Preise bei diesem Anlass gewiss nicht hervorkehren wollen.

Weder geschichtliche Umstände noch die Gestaltung der Sonderinteressen vermögen die Entstehung des Glaubens, dass unwandelbare Preise der Natur gemäss seien, zu erklären. Seine Wurzel liegt vielmehr darin, dass alle Auffassungen über das Wesen gesellschaftlicher Beziehungen nach der Analogie der naturwissenschaftlichen Erkenntnis geformt wurden. Nicht erst die Soziologen und Nationalökonomen, die ihre wissenschaftliche Arbeit nach dem Muster der Physik oder der Biologie zu gestalten suchen, haben die Denkungsart der Naturwissenschaft [207] auf das menschliche Handeln zu übertragen gesucht. Lange vorher hat das naive Alltagsdenken der Handelnden dasselbe getan.

Seit dem 18. Jahrhundert begann der menschliche Geist über das schon durch altorientalisches Denken umschriebene und durch die griechische Philosophie abgesteckte Gebiet der Erkenntnis hinauszugehen; man fing an zu erkennen, dass auch im menschlichen Handeln eine Regelmäßigkeit waltet, die mit der Gleichförmigkeit, die man als naturgesetzlich zu bezeichnen pflegt, verglichen werden kann und die dennoch von ihr und von der Gesetzlichkeit, die das normative Denken der Ethik und des Rechts erfüllt, kategorial verschieden ist. Doch es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe man erkannte, welche Erweiterung des alten Kategoriensystems das neue Denken erforderte. Wo nicht ein Sollen, sondern ein Sein in Frage war, da glaubte man mit den Vorstellungen des Messens und Wägens, mit denen man an das Sein der Natur heranzutreten pflegte, arbeiten zu müssen und arbeiten zu können. Diese Auffassung durchzieht die klassische Nationalökonomie. Soweit man heute sehen kann, war es Samuel Bailey, der zuerst die Problematik der Wertung enthüllte [109] . Doch seine Schrift blieb lange unbeachtet wie die Werke aller Vorläufer der modernen Wertlehre.

Es entspricht dem Denken, das sich an der Beobachtung der Natur und an dem Aufsuchen der Regelmäßigkeit im Ablauf der Vorgänge derAußenwelt emporgerankt hat, von der Vorstellung des Messens und Wägens auszugehen. Wo gerechnet wird, sucht man Maß und Gewicht. Weil das Handeln rechnet, muss ihm, glaubt man, ein Messen vorausgehen. So ist es das Denken, das für die Betrachtung eines Ablaufes, der durch das Denken selbst geführt wird, Auffassungen verwendet, die es für die Betrachtung der Außenwelt gefunden hat und die die Betrachtung des menschlichen Handelns irreleiten müssen. Es ist eben leichter, äußere Vorgänge zu beobachten als das eigene Handeln.

Doch die Aufgabe, sich von den Denkkategorien zu befreien, die für die Betrachtung des Seins des Handelns nicht zureichen, ist nicht nur der Wissenschaft vom Handeln gestellt, sondern auch dem Handeln selbst. Denn das Handeln des Einzelnen wird von den Zielen, die ihm der Handelnde setzt, durch die Irrtümer über das Wesen des Handelns abgelenkt. Die Vorstellung, dass die Werte und Preise in Geld gemessen [208] werden, dass man das Geld als einen Maßstab der Werte zu benützen vermag und dass es demgemäss in Bezug auf seine Werteigenschaft als unveränderlich betrachtet werden könne und dass es in der Wirtschaft einen festen Punkt oder eine feste Größe gebe, ist nicht nur der Erkenntnis des Handelns im Wege, sondern auch dem Handeln selbst.

IV. Stabilisierung

Der Niederschlag aller dieser Irrtümer ist die Idee der Stabilisierung.

Unzulänglichkeiten in der technischen Ausgestaltung des Geldwesens und Kritik der Wirtschaftspolitik, die durch Kreditausweitung den Zins senken und die Produktionstätigkeit anregen will, damit aber notwendigerweise zur Fehlleitung von Kapital, zur Krise und zur Depression gelangt, haben den Anstoß zu den Überlegungen gegeben, die schließlich zum Schlagwort Stabilisierung geführt haben. Man kann es verstehen, wie man diesen Gedanken fassen konnte, man kann es aus der Geschichte des Geldwesens und der Umlaufsmittelbanken der letzten hundertfünfzig Jahre erklären, man kann gewissermaßen mildernde Umstände zu Gunsten der Irrlehre ins Treffen führen. Doch ein Irrtum wird dadurch noch nicht zur Wahrheit, dass man sein Werden menschlich zu erfassen versteht.

Die Vorstellungen, die der Forderung nach Stabilisierung zugrunde liegen, sind vom Anfang bis zum Ende unhaltbar und widerspruchsvoll. Die Stabilität, die die Stabilisierung sich zum Ziele setzt, ist ein leerer Begriff. Im Fliessenden und Sichewigverändernden sucht man ein Festes und Unveränderliches; das Unmessbare soll gemessen, das Flüchtige soll festgehalten werden. Der Mensch, der wird und vergeht, der in jedem Augenblicke ein anderer ist und dessen Wertungen, Wollungen und Handlungen sich mit dem Wandel seines Seins ändern, wird als ein ewig Unwandelbarer gedacht. Oder man sucht Werten und Handeln von dem handelnden Menschen und seiner Wandelbarkeit loszulösen, man nimmt das Bestehen ewiger unveränderlicher Werte an, die vom Menschen und seiner Wertung unabhängig im Kosmos für sich sind und an denen Werten und Handeln des Menschen gemessen Werden können [110] .

[209]

Allen Überlegungen, die ein Verfahren zur Messung der Geldwertveränderungen finden wollen, liegt in letzter Linie die Vorstellung zugrunde, dass ein ewiges und unwandelbares Wesen an unwandelbaren Maßstäben die Befriedigung ermittelt, die ihm durch die Verfügung über die Geldeinheit erreichbar wird. Man verhüllt diese abstruse Vorstellung nur unzulänglich, wenn man vorgibt, man wolle nur errechnen, wie sich die Kaufkraft der Geldeinheit geändert habe. Die Problematik des Stabilitätsbegriffs liegt doch gerade in diesem Begriff der Kaufkraft. Die naive Theorie des Laien sieht, befangen in den Maßvorstellungen der Physik, im Gelde zuerst ein Unwandelbares, einen Maßstab, und glaubt, dass Schwankungen der Austauschverhältnisse nur im Verhältnis der verschiedenen Güter und Dienstleistungen untereinander und nicht auch im Verhältnis des Geldes zu den als Gesamtheit betrachteten Gütern und Dienstleistungen vor sich gehen. Doch auch dann, als man die Erkenntnis, dass auch das Geld keinen festen Punkt abgibt und dass nicht nur die Geldpreise der Waren, sondern auch die Kaufkraft des Geldes wandelbar ist, einmal gewonnen hatte, wollte man die liebgewordene Vorstellung, es müsse doch einen festen Maßstab des Tauschwertes geben, nicht preisgeben. Man kehrt nur den Sachverhalt um: nicht das Geld erscheint hinfort als das Unwandelbare, sondern die Gesamtheit aller Güter und Leistungen, die für Geld gekauft werden können. Man sucht die Kaufgüter rechnerisch zusammenzufassen, um sie als Einheit dem Gelde gegenüberzustellen. Man ist bereit, sich über alle Bedenken hinwegzusetzen, um die Indexzahlen zu ermitteln. Man ist bereit davon abzusehen, dass alle Einzeldaten, die man für diese Zusammenfassung benötigt, anzweifelbar sind, und dass die Wahl der Methoden, mit denen man aus den Preisangaben zur Indexzahl gelangen will, willkürlich ist.

Irving Fisher, der geistige Führer der zeitgenössischen amerikanischen Bewegung für Stabilisierung, stellt dem Gelde den Inhalt eines Korbes gegenüber, in den die Hausfrau die Waren tut, die sie auf dem Markte für den täglichen Bedarf ihres Haushalts einkauft. In dem Maße, in dem der Geldbetrag, der für die Erwerbung dieser Auswahl von Gütern aufgewendet werden muss, sich verändert hat, habe sich die Kaufkraft des Geldes verändert; das Ziel der Stabilisierungspolitik wird darin erblickt, die Unveränderlichkeit dieses Geldaufwandes zu gewährleisten [111] . Das Verfahren, das hier zur Messung der Geldwertveränderungen vorgeschlagen wird, wäre vortrefflich, wenn die Hausfrau und ihr Haushalt als unveränderliche [210] Wesenheiten angesehen werden könnten, wenn der Einkaufskorb der Hausfrau immer die gleichen Waren und von jeder einzelnen Ware die gleiche Menge enthalten würde, und wenn die Bedeutung, die die Hausfrau dem Inhalt dieses Korbes beilegt, stets unverändert bliebe. Doch wir haben eine Welt vor uns, in der diese Bedingungen nicht erfüllt sind.

Da ist zunächst der Umstand, dass die Beschaffenheit der Waren, die erzeugt und verbraucht werden, sich beständig ändert, so dass es verfehlt wäre, etwa einfach Weizen und Weizen oder gar Schuhe und Schuhe gleichzusetzen. Die große Preisspanne, die zu gleicher Zeit an demselben Orte bei Umsätzen von Waren, die der Sprachgebrauch des Alltags und die Statistik einer Gattung zurechnen, festzustellen ist, beweist diese, übrigens jedermann bekannte und von niemand bestrittene Tatsache. Wenn auch eine landläufige Redensart ein Ei dem andern gleichen lässt, so unterscheiden Verkäufer und Käufer die Eier in der Preisbildung doch sehr beträchtlich. Ein Vergleich von Preisen, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten für Waren gezahlt wurden, die die Technologie oder die Preisstatistik mit demselben Wort zu bezeichnen pflegen, ist nichtssagend, wenn nicht feststeht, dass es sich um Waren derselben Beschaffenheit handelt, wobei unter Beschaffenheit alle jene Eigenschaften zu verstehen sind, die von Kauflustigen bei der Erstellung des Preisangebots berücksichtigt werden. Da die Beschaffenheit aller Waren des unmittelbaren Verbrauchs sich im Verlauf der Zeiten ändert, erweisen sich die Gedankengänge, die zur Messung der Kaufkraftverschiebungen führen wollen, schon in dieser Hinsicht als verfehlt. Der Umstand, dass eine beschränkte Anzahl von Produktionsmitteln — vor allem die Metalle und eine Reihe von anderen Stoffen, die eine chemische Formel eindeutig bestimmt, — technologisch so genau bezeichnet werden können, dass auch Unterschiede der Beschaffenheit exakt festgestellt werden können, spielt dabei keine Rolle. Eine Messung der Kaufkraft müsste auf den Preisen der Genussgüter, und zwar aller Genussgüter, aufgebaut werden. Sie kann nicht auf den Preisen der Produktionsmittel und nicht auf der Berücksichtigung einer Auswahl von Güterpreisen aufgebaut werden. Die Produktionsmittelpreise sind dafür unbrauchbar, weil man bei ihrer Verwendung nicht vermeiden kann, die verschiedenen Stufen der Produktion der einzelnen Endprodukte verschieden oft in die Rechnung eingehen zu lassen, woraus sich eine Ungleichmäßigkeit ergibt, die das Ergebnis empfindlich stört. Ganz unzulässig wäre die Beschränkung auf eine Auswahl von Gütern, da dann der Willkür Tür und Tor geöffnet wäre.

[211]

Doch auch wenn man von allen diesen unüberwindlichen Schwierigkeiten absehen wollte, bliebe die Aufgabe unlösbar. Denn nicht nur die Beschaffenheit der Waren ändert sich beständig; auch die Bedeutung, die den Waren von den wirtschaftenden Subjekten beigelegt wird, ist dem Wandel unterworfen. Neue Waren werden erzeugt, alte verschwinden. Die Ansichten über das, was zum Beheben des Unbefriedigtsein geeignet ist, wechseln und damit wechseln Nachfrage und Erzeugung. Die Voraussetzungen der Messungstheorie wären nur dann erfüllbar, wenn es zulässig wäre anzunehmen, dass die Beschaffenheit der begehrten und angebotenen Güter und der relative Umfang der Nachfrage nach ihnen und des Angebots im Verlaufe der Zeiten unverändert bleiben. Dann allein könnte man Reihen der Güterpreise aufstellen, deren Vergleich Verschiebungen des Austauschverhältnisses zwischen dem Geld und den Kaufgütern erkennen ließe.

Weil man nicht imstande ist, die Preissummen für die Gesamtheit aller in den Zeitabschnitten, deren Preisgestaltung verglichen werden soll, umgesetzten Genussgüter zu ermitteln, muss man von den Preisen der einzelnen Güter ausgehen. Da ergeben sich sofort zwei weitere Probleme, für die es wieder keine Lösung gibt, die frei von Willkür und Ermessen wäre. Man muss den einzelnen Preisangaben, die man verwenden will, Wichtigkeitskoeffizienten zuordnen, um zu verhindern, dass die Preise der Waren ohne Rücksicht auf den Umfang, den die Umsätze dieser Waren haben, und ohne Rücksicht auf die Bedeutung, die ihnen für die Versorgung zukommt, in die Rechnung eingehen. Schließlich aber muss man aus den einzelnen so bestimmten Elementen den Durchschnitt ermitteln, und da taucht die Frage auf, welches Verfahren von den verschiedenen, die die Arithmetik für die Errechnung von Mittelwerten kennt, verwendet werden soll. Jedes dieser Verfahren empfiehlt sich in mancher Hinsicht, und gegen jedes können wieder in anderer Hinsicht Einwendungen geltend gemacht werden; jedes Verfahren führt zu anderen Ergebnissen, und keines von ihnen kann als allein angemessen in der Weise bezeichnet werden, in der man logisch etwa ein Multiplikationsverfahren als das allein richtige gegenüber allen übrigen denkbaren Möglichkeiten auszeichnet [112] .

Die grundsätzliche Unzulänglichkeit aller Verfahren, die zur Messung der Veränderung der Kaufkraft des Geldes [212] vorgeschlagen wurden, beruht auf der Unklarheit der dem Gedanken solcher Messung zugrundeliegenden Ideengänge. Wenn alle menschlichen Verhältnisse ewig unwandelbar wären, wenn alle Menschen stets dieselben Handlungen setzen würden, weil ihr Unbefriedigtsein, ihre Auffassungen über seine Behebung und die ihnen zu seiner Behebung zu Gebote stehenden Mittel stets gleich wären, oder wenn wir zumindest annehmen dürften, dass alle Veränderungen, die sich in dieser Hinsicht bei einzelnen Menschen oder Menschengruppen ereignen, durch entsprechende Veränderungen bei anderen Einzelnen oder Gruppen in ihrer Wirkung auf den Markt, auf die Preise und das Handeln der Unternehmer aufgehoben werden, dann würden wir in einer Welt der Stabilität leben. Widerspruchsvoll bliebe aber dann die Vorstellung, es könnte in einer im Übrigen starren Welt das Geld allein seine Kaufkraft verändern. Wie immer man sich die Veränderungen der Kaufkraft ausgelöst denken will, sie müssen auch Verschiebungen der Verhältnisse zwischen den Einzelnen hervorrufen, sie müssen notwendigerweise die Gestaltung der Eigentums- und Reichtumsverhältnisse berühren, und sie müssen auch die Austauschverhältnisse der Kaufgüter untereinander und damit die Produktion verändern. Die im Ausdruck «Preisniveau» liegende Vorstellung, als ob caeteris paribus sämtliche Geldpreise in gleichem Masse gehoben oder gesenkt werden könnten, ist unhaltbar. Veränderungen der Preise, die von Seite des Geldes ausgehen, müssen die Preise der einzelnen Güter und Dienstleistungen in ungleichem Masse verändern.

In der praxeologischen Sphäre kann man mit dem Begriff der Messung keinen Sinn verbinden. Im gedachten Zustand der Starrheit gibt es keine Veränderungen, die zu messen wären, und im gegebenen Zustand steter Veränderung gibt es keinen festen Punkt und keine feste Beziehung, in Bezug auf welche Veränderungen gemessen werden könnten. Die Begriffe Stabilität und Stabilisierung sind leer, außer wenn damit die Vorstellung eines Zustands der Starre und der Erhaltung dieses Zustands verbunden wird. Doch der Zustand der Starre der Wirtschaft kann widerspruchsfrei nicht einmal gedacht werden, geschweige denn verwirklicht werden. Sowohl die äußeren Bedingungen der Umwelt, in der die Menschen leben, als auch die inneren Bedingungen ihres Daseins, ihre Ideen und ihre Einsicht in die für das Handeln entscheidenden Dinge, sind jeder Stabilisierungspolitik unzugänglich. Gehandelt wird, weil es Veränderung gibt, und Handeln ist selbst immer Veränderung.

[213]

V. Die Herkunft der Stabilisierungsidee

Die Wirtschaftsrechnung ist unabhängig von allem, was mit der Vorstellung wertstabilen Geldes zusammenhängt. Dass es Geld mit unveränderlicher Kaufkraft nicht gibt und nicht geben kann und dass es nicht möglich ist, ein Geld zu schaffen, bei dem das zwischen dem Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehende Austauschverhältnis von Seite des Geldes her keinen Veränderungen unterliegt, ist der Wirtschaftsrechnung notwendig und kann nicht weggedacht werden.

Nicht die Wirtschaftsrechnung verlangt «stabiles» Geld, sondern Bestrebungen, die mit der Wirtschaftsrechnung nichts zu tun haben. Was die Wirtschaftsrechnung benötigt, ist ein Geld, dessen Dienst nicht durch Eingriffe der Wirtschaftspolitik unterbunden wird. Durch Maßnahmen, die auf Steigerung der den Staatskassen zur Verfügung stehenden Mittel oder auf die Senkung des Zinssatzes unter den Stand, der sich auf dem unbehinderten Markte bildet, hinzielen, wird das Geldwesen in Unordnung gebracht und damit auch die Geldrechnung gestört. Doch die Forderung, die Regierung möge weder selbst durch Inflation das Geldwesen stören, noch Einrichtungen fördern, die es den Banken ermöglichen oder erleichtern, Inflation durch die Ausgabe von zusätzlichen Umlaufsmitteln zu treiben, ist keineswegs den Bestrebungen gleichzuhalten, wertstabiles Geld zu schaffen.

Für die Wirtschaftsrechnung genügt es, wenn das Geld nicht heftigen Schwankungen der Kaufkraft ausgesetzt ist. Goldgeld und, bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, auch Silbergeld haben allen Anforderungen der Wirtschaftsrechnung entsprochen. Die Veränderungen der Kaufkraft des Goldes vollzogen sich so langsam, dass die Wirtschaftsrechnung des Unternehmers sie unberücksichtigt lassen durfte, ohne dass daraus allzuschwere Fehler entstehen konnten. Exaktheit ist in der Wirtschaftsrechnung auch abgesehen von den Mängeln, die sich aus der Nichtberücksichtigung oder unzulänglichen Berücksichtigung der Veränderungen der Kaufkraft des Geldes ergeben, nicht zu erzielen [113] . Die kaufmännische Kalkulation muss eine Reihe von Daten verwenden, die sich auf die [214] unbekannte Zukunft beziehen, denn sie hat mit künftigen Preisen und Produktionskosten zu rechnen. Die kaufmännische Buchhaltung ist in ähnlicher Lage, soweit die Bewertung von Forderungen und Vorräten und die Vornahme von Abschreibungen und Reservierungen in Betracht kommt. Ungeachtet aller dieser Mängel vermag die Geldrechnung die Aufgabe, die ihr der Unternehmer zuweist, zu erfüllen. Denn diese Mängel liegen im Wesen der Wirtschaft und des Handelns, die immer spekulativ, d.h. auf eine menschlicher Erkenntnis verschlossene und daher ungewisse Zukunft eingestellt sind.

Der Gedanke, das Geld wertstabil zu machen, ist nicht dem Bestreben entsprungen, die Geldrechnung auf eine richtigere Grundlage zu stellen, sondern dem Wunsche, eine Sphäre zu schaffen, die durch die Veränderungen in den Produktions- und Versorgungsverhältnissen nicht berührt wird. Stiftungen, die eine kirchliche Einrichtung, eine Wohlfahrtsanstalt oder eine Familie für «ewige Zeiten» materiell sicherstellen wollten, wurden seit altersher in Grund und Boden oder in Naturalleistung von Bodenfrüchten verankert. Erst später traten auch Geldrenten auf. Die Erwartung, die Stifter und Begünstigte erfüllte, dass man die Leistung durch Bestimmung einer Summe von Edelmetallgeld aus den Schwankungen des Wirtschaftslebens herausgehoben und ihr unveränderlichen Wert gegeben habe, erwies sich aber als trügerisch. Die Enkel mussten erkennen, dass die Absicht der Vorfahren sich nicht verwirklicht hatte. Angeregt durch diese Erfahrungen fing man nun an, darüber Untersuchungen anzustellen, in welcher Weise man das angestrebte Ziel besser erreichen könnte. Man betrat damit den Weg, der zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Messung des Geldwertes und eines auf solchen Messungen aufgebauten wertbeständigen Geldes führte.

Das Problem gewann größere Bedeutung in dem Maße, in dem die Regierungen daran gingen, sich Anleihen durch die Ausgabe langfristiger und «ewiger» Schuldtitel zu beschaffen. Der als ewige und unwandelbare Anstalt hoch über den Wechselfällen der Wirtschaft thronende Staat, dieser neue Gott des aufsteigenden Zeitalters des Etatismus, bot da dem Bürger hilfreich die Hand, um ihm ein Einkommen für alle Zeiten zu sichern. Hier wurde ein Weg gezeigt, der den Einzelnen von dem Zwange des kapitalistischen Systems, sein Eigentum täglich neu wagen und neu erwerben zu müssen, befreien sollte. Wer sein Geld in Schuldverschreibungen des Staates und der Gemeinden oder der von diesen beschirmten Anstalten, für deren Verpflichtungen Staat und Gemeinden die Haftung über nahmen, anlegte, der war nicht mehr dem Markte und den [215] Verbrauchern untertan. Er musste nicht länger ängstlich bemüht sein, seine Kapitalien so anzulegen, dass sie den Wünschen der Verbraucher am wirksamsten dienen. Er war gesichert, er war aus dem gefahrvollen Bereich des Wettbewerbs der Unternehmer und Kapitalisten, wo Verluste drohen, unter die ungestörten ewigen Genuss versprechenden Fittiche des allmächtigen und vollkommenen, des «ewigen» Staates getreten. Sein Einkommen floss nicht mehr aus dem Handeln von Unternehmern, die den Verbraucher versorgen müssen, wenn sie ihre Unternehmerstellung nicht verlieren wollen, sondern aus den Steuern, die der Staat durch seinen Zwangsapparat dem Einkommen und Vermögen der Bürger entzieht. Was der Staat an Verzinsung bot, war weniger, als auf dem Markte geboten wurde; doch die Minderleistung wurde aufgewogen durch die über jeden Zweifel erhabene Kreditwürdigkeit des Schuldners, der nicht vom Markte und den Verbrauchern abhängig ist, sondern ihnen gebietet und von ihnen Zwangsabgaben heischt.

Ungeachtet aller üblen Erfahrungen, die man in vergangenen Zeiten mit dem Staat als Schuldner gemacht hatte, vertraute man rückhaltlos dem neuen Staate des 19. Jahrhunderts. Von ihm nahm man ohne weiteres an, dass er den freiwillig Übernommenen Verpflichtungen nachkommen werde. Kapitalisten und Unternehmer mussten besser als die anderen Schichten erkennen, dass es in der kapitalistischen Gesellschaft keinen anderen Weg gibt, erworbenes Vermögen zu bewahren als den, sich um die bestmögliche Versorgung der Verbraucher im Wettbewerb mit jedermann, auch mit dem Vermögenslosen, erfolgreich zu bewähren. Der alternde Unternehmer, der der täglichen Mühe, sich den wechselnden Lagen des Marktes anzupassen, müde geworden war und seinen schwer erworbenen Reichtum nicht neuerlich den Gefahren des Marktgetriebes aussetzen wollte, und der Erbe, der seine Unfähigkeit, sich im Wettbewerb der Güterversorgung zu bewähren, erkannte, suchten die Anlage in Staatspapieren, weil sie frei werden wollten von dem Zwange, den der Verbraucher ihnen durch den Markt auferlegt.

Für die ewige Rentenschuld braucht man den immerfesten Geldwert. Um dem Risiko des rastlos sich verändernden Wirtschaftslebens zu entgehen, um seinen eigenen Wohlstand aus dem Getriebe, in dem man ihn täglich neu aufs Spiel setzen muss, in Sicherheit zu bringen, flüchtet der Besitzer zum Staat. Doch wenn auch der Staat und sein Zwang ewig sein mögen, die Verpflichtung des Staates aus seinen Schulden könnte es nur dann sein, wenn sie auf ewig unveränderliche Leistung abgestellt werden könnte. In diesem Punkte tritt dem [216] Vermögenden, der um der Sicherheit willen vom wagenden und nach Erwerb strebenden Unternehmer zum Rentner geworden war, das Problem der Wandelbarkeit aller menschlichen Verhältnisse wieder in anderer Gestalt entgegen. Es erweist sich, dass der Versuch, eine vom Markte unabhängige, nie versiegende Einkommensquelle zu schaffen, auch durch die Anrufung der Staatsgewalt nicht gelöst werden kann.

Im Getriebe der Marktwirtschaft in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist für Einkommen, die nicht durch Dienst am Verbraucher täglich neu verdient werden müssen, kein Raum. Der Staat vermag aus dem Einkommen der Wirte Teile für die Bestreitung seiner Ausgaben herauszuziehen, er vermag für solche Verwendung auch Kapitalsteile zu enteignen oder zu leihen. Doch es ist unmöglich, dass er auf die Dauer für die Verzinsung der Schulden aufkommt. Hat er die Anlehensbeträge für laufende Ausgaben verwendet, dann sind sie aufgezehrt und haben keine Spur hinterlassen. Hat er die Anlehensbeträge für Unternehmungen verwendet, dann ist seine Fähigkeit, Zinslasten zu tragen, von dem Erfolg der Unternehmungstätigkeit abhängig. Bleibt der Erfolg aus, dann steht es nicht anders als im Falle der konsumtiven Verwendung der Darlehenssumme: die Verzinsung muss durch Besteuerung hereingebracht werden; die Staatsgläubiger werden zu Empfängern von Leistungen, denen keine Gegenleistung in der Gegenwart gegenübersteht. Der langfristige öffentliche Kredit fällt damit ganz aus dem System der Gesellschaftsordnung, die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruht, heraus. Dass das Geld die Funktion, die ihm im Entwurfe solcher Einrichtungen zugedacht ist, nicht zu erfüllen vermag, dass es zum unveränderlich festen Wertträger über den Wechsel der Zeiten und Umstände hinaus nicht taugt, berührt weder seine Brauchbarkeit als allgemein verwendetes Tauschmittel noch seine Bedeutung für die Geldrechnung.

Das System der öffentlichen Anleihen, wie es sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat, war ein Versuch, im Rahmen des kapitalistischen Systems vom Markte und seiner Preisgestaltung unabhängige Einkommen zu schaffen. Auch wo die Anleihen nicht formell ewig unkündbare Rentenschulden darstellten, handelte es sich um Schulden, die nach Absicht beider Teile nie zurückgezahlt werden sollten. Die Rückzahlung der kurzfristigen Anleihen bestand in der Regel in ihrer Umwandlung in langfristige, und wenn langfristige Anleihen rückgezahlt werden sollten, wurden meist neue Anleihen zur Beschaffung der erforderlichen Beträge ausgegeben. In der Gesamtsumme sind die öffentlichen Schulden stetig gewachsen, und [217] wenn ein Rückgang eintrat, so war er in der Regel nicht durch Rückzahlung, sondern durch Repudiation der Schuld bewirkt worden [114] . Kein Mensch glaubt wohl noch, dass die Staaten die ungeheuren Beträge der Zinslasten ewig weiterschleppen werden, und jedermann nimmt an, dass früher oder später in irgend einer Form eine Aufhebung der übernommenen Pflichten eintreten wird.

VI. Nebeneinanderbestehen mehrerer Geldarten

Wo die Entwicklung des Geldbrauches nicht zur Ausschließlichkeit einer einzigen Geldart geführt hat, wo nebeneinander mehrere wirtschaftliche Güter als Geld verwendet werden, ergeben sich für die Geldrechnung einige besondere Probleme.

Wenn Goldgeld und Silbergeld nebeneinander bestehen, dann kann man entweder in Gold oder in Silber rechnen. In den Ländern der Doppelwährung, des gesetzlichen Bimetallismus, hat man bald in Gold, bald in Silber gerechnet, je nachdem die Lage des Edelmetallmarktes es mit sich brachte, dass Gold oder Silber den Gelddienst versehen hat. Die Alternativwährung, die die gesetzliche Doppelwährung in der Tat darstellt, führt auch zur Alternativrechnung. In den Gebieten der Parallelwährung besteht für Buchführung und kaufmännische Kalkulation die Möglichkeit, zwischen den beiden gebräuchlichen Geldarten zu wählen.

Man kann natürlich auch mehrere verschiedene Geldrechnungen nebeneinander führen. Ob von dieser Möglichkeit oft Gebrauch gemacht wurde, ist für die grundsätzliche Betrachtung ohne Bedeutung. Europäische Niederlassungen, in deren Heimat die Goldrechnung gebräuchlich war, haben in den asiatischen Gebieten der Silberwährung und in den amerikanischen Papierwährungsländern entweder überhaupt nur in Gold kalkuliert und bilanziert oder aber neben der Rechnung in Landeswährung auch noch in Gold gerechnet. Bekannt ist, welche Rolle in den Inflationen der Kriegs- und Nachkriegszeit die Verwendung der Goldrechnung neben der in Landeswährung gespielt hat.

Richtschnur des Handelns kann immer nur eine Rechnungsart allein bilden. Wo doppelt oder gar dreifach gerechnet wird, wird doch nur eine Rechnung für das Handeln als Richtschnur [218] genommen. Wenn Bücher aus Rücksicht auf gesetzliche Vorschriften oder aus betriebstechnischen Gründen auch noch in anderen Währungen geführt werden als in der, die man als die richtige Rechnungsgrundlage ansieht, schenkt man den Ergebnissen, die sie ausweisen, doch weder im Vorbedenken des Handelns noch in der Nachprüfung verflossenen Handelns Beachtung [115] .

 


 

3. KAPITEL : DIE GELDRECHNUNG ALS GEDANKLICHES WERKZEUG DES HANDELNS

I. Die Geldrechnung als Denkverfahren — Der Begriff des Wirtschaftlichen im engeren Sinne

Die Geldrechnung ist Wirtschaftsrechnung, das bedeutet sie ist Produktionsrechnung. Man rechnet, um die vorteilhaften (rentablen) Wege der Produktion (in weitesten Sinne des Wortes) von den nicht vorteilhaften (unrentablen) zu unterscheiden. Jeder einzelne Schritt in dem von der Geldrechnung erfassten Handeln wird durch die Geldrechnung geprüft. Das Vorbedenken des Handelns wird zur kaufmännischen Kalkulation, das Nachbedenken des vollzogenen Handelns zur Erfolgsrechnung und Bilanzaufstellung durch die Buchführung.

Das Rechnen im Handeln ist an eine Reihe von gesellschaftlichen Voraussetzungen geknüpft. Es muss Arbeitsteilung und Sondereigentum an den Produktionsmitteln bestehen, und die Güter aller Güterordnungen und die Dienstleistungen müssen auf dem Markte durch Vermittlung eines allgemein gebräuchlichen Tauschmittels, des Geldes, umgesetzt werden.

Die Geldrechnung ist die Rechnung des im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung wirtschaftenden Unternehmers. Sie geht vom Handeln der in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung wirkenden Einzelnen aus, sie ist eine Rechnung der Sondervermögen und der Sondergewinne und Sonderverluste der mit ihren Sondervermögen wirtschaftenden Einzelnen. [116] Alle ihre Ergebnisse beziehen sich auf das Wirtschaften der Einzelnen, und wenn die Statistik sie zusammenfasst, so ergibt das die Summe der Ergebnisse des Handelns [219] vieler Einzelner, doch niemals Ergebnisse des Handelns der Gesamtheit. Für Überlegungen, die nicht vom Standpunkt Einzelner und ihres Handeln angestellt werden, ist sie unbrauchbar. Sie ist Rentabilitätsrechnung, doch nicht Produktivitätsrechnung. Wenn man unter Volkswirtschaft etwas anderes verstehen will als das Zusammenwirken der für den Markt erzeugenden und auf dem Markte tauschenden Einzelnen, dann darf man die Geldrechnung nicht volkswirtschaftlich nennen, sondern etwa einzelwirtschaftlich.

Die Geldrechnung ist ein geistiges Werkzeug des Handelns in der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden, durch das Getriebe des Marktes gesteuerten arbeitsteiligen Gesellschaftsordnung. Sie hat sich in dem Masse entwickelt, in dem der Marktmechanismus sich verfeinert und immer weitere Kreise des Handelns in seinen Bereich gezogen hat. Erst durch die Ausbildung der Geldrechnung haben Maß und Zahl und Rechnen für menschliches Handeln und Wirken Bedeutung erlangt. Alle Messungen der Physik und der Biologie erhalten für das Handeln erst durch die Geldrechnung Sinn; nur die Geldrechnung ermöglicht es, Rechnungen und Berechnungen anzustellen, die nicht bloß theoretisch, sondern praktisch sind, d.i. dem Handeln dienen. Das menschliche Handeln wird durch die Geldrechnung rechenhaft und rechenbar.

Ihre Vollendung erreicht die Geldwirtschaftsrechnung in der Kapitalsrechnung. Die zur Verfügung stehenden Güter werden in Geld bewertet und den Veränderungen gegenübergestellt, die sie durch das Handeln und durch alle anderen Einwirkungen erfahren. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich die Möglichkeit, den Erfolg des Handelns im Einzelnen und im Ganzen zu prüfen und nach dem Ergebnis der Prüfung zu regeln. Kalkulation und Buchhaltung werden zur Grundlage des Handelns der kapitalistischen Wirtschaft, d.i. der Wirtschaft, die dadurch ausgezeichnet ist, dass sie ein Verfahren besitzt, um den Erfolg des Handelns zu erkennen. Wenn man die moderne Gesellschaft und Wirtschaft kapitalistisch nennt, so ist das insofern eine glückliche Bezeichnung, als ihr wesentliches gedankliches Werkzeug die Wirtschaftsrechnung ist, deren vollkommenste Gestalt die Kapitalsrechnung darstellt.

Es gibt Naturen, die dieses Denkverfahren abstößt. Sie wollen in ihren Träumereien und Phantastereien nicht durch die nüchterne Kritik des rechnenden Verstandes gehemmt werden. Die Realität des menschlichen Daseins widert sie an, sie sehnen sich nach einem Reich der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie wollen von den Bedingungen frei sein, unter denen das menschliche Leben abläuft. Sie erheben Klage über die Niedrigkeit [220] und Gemeinheit einer alles berechnenden Menschheit. Man pflegt mit Unrecht diese Auffassung als die des Geistes, der Schönheit und hoher Gesinnung der Auffassung der stumpfen Banausen gegenüberzustellen. Geist, Schönheit und Edelmut werden durch die Rechenhaftigkeit des Handelns nicht behindert. Sie steht nur der romantischen Weltauffassung im Wege, die von einem Leben träumt, das die Schranken, die dem menschlichen Wirken gezogen sind, übersteigen darf. Der nüchterne Rechner ist der Feind des schwärmenden Utopisten.

Unsere Zivilisation und alle höhere Kultur, von der die Geschichte uns berichtet, ist auf Handeln aufgebaut, das durch die Geldrechnung rechenhaft geworden ist. «Sie lässt uns», sagt Werner in Goethes Meister-Roman von der kaufmännischen Buchhaltung, «jederzeit das Ganze überschauen, ohne dass wir nötig hätten, uns durch das Einzelne verwirren zu lassen.» [117]

Das Gebiet, das von der Geldrechnung erfasst wird, hebt sich durch das besondere Denkverfahren, das hier angewendet wird, scharf von dem übrigen Handeln ab. Es erscheint als ein Bereich besonderer Art und wird in seiner Sonderstellung von jedem Handelnden erkannt. Wir wollen diesen Bereich als den des Wirtschaftlichen im engeren Sinne oder auch als den des Reinwirtschaftlichen bezeichnen [118] .

II. Geldrechnung und Praxeologie

Die Ausbildung der kapitalistischen Geldrechnung war die geistige Voraussetzung für die Entstehung einer systematischen und logisch geschlossenen Wissenschaft vom menschlichen Handeln. Soziologie und insbesondere Nationalökonomie haben einen geschichtlichen Ort in der Geschichte der Menschheit und in der Entwicklung der Wissenschaften. Sie konnten erst auftreten, als im Handeln selbst Denkverfahren gestaltet worden waren, die es ermöglichten, die Überlegungen des Handelnden mit zahlenmäßiger Genauigkeit durchzuführen. Die Wissenschaft vom Handeln war zunächst Wissenschaft vom Wirtschaftlichen im engeren Sinn. Sie war die Lehre von jenen Handlungen, die als durch Geld vermittelte Tauschakte in der Gesellschaftsordnung vollzogen werden, die, auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln und auf der Arbeitsteilung aufgebaut, durch den Verkehr des Marktes gesteuert wird, auf dem Güter aller Güterordnungen und Dienstleistungen gegen [221] Geld umgesetzt werden. Sie war zunächst die Lehre von dem Ausschnitt aus dem Gesamtgebiet des menschlichen Handelns, in dem in Geld gerechnet wird. Die ersten Versuche auf ihrem Wege waren Untersuchungen über Münzwesen und über Geldpreise. Die Erkenntnisse, die das Gresham'sche Gesetz, die Quantitätstheorie in ihren ersten Formulierungen — etwa in denen von Bodin, Davanzati und anderen — und die King'sche Regel uns bieten, ließen schon lange vor der Ausbildung einer die Gesamtheit der Markterscheinungen umfassenden und sie in ihrer Verbundenheit erkennenden Lehre das Walten einer Notwendigkeit im Handeln ahnen. Das erste geschlossene System der Ökonomik, das der klassischen Nationalökonomie, ist eine Theorie des rechnenden und berechnenden Lebens, das die Scheidelinie zwischen dem wirtschaftlichen und dem übrigen Handeln dort zieht, wo die Verwendung des Geldes ihre Grenze findet.

Die Verfeinerung der das Handeln leitenden Überlegungen, die die kapitalistische Wirtschaftsrechnung darstellt, gab erst die Anregung zu den Untersuchungen, aus denen die Theorie des Handelns als Lehre vom Reichtum der Völker und als politische Ökonomie hervorging. Doch die Besinnung auf das Wesen des Handelns in der kapitalistischen, in Geld rechnenden Wirtschaft führt sogleich vom Gelde fort. Kaufen und Verkaufen werden als Tauschhandlungen begriffen, bei denen das Geld die Rolle eines Mittlers spielt. Indem man die Fiktion einer ohne Geld die Güter und Dienste austauschenden Gesellschaft als heuristisch unentbehrliches und logisch notwendiges Gedankengebilde aufbaut, beschreitet man den Weg, auf dem man schließlich zur allgemeinen Lehre vom menschlichen Handeln gelangt, in der die Katallaktik, die Lehre vom zwischenmenschlichen, durch Geld vermittelten Tausch nur ein Sondergebiet darstellt.

Der Sinn der viel bespotteten Robinsonaden ist höchste Verallgemeinerung. Die Kapitalbildung der modernen kapitalistischen Gesellschaft vollzieht sich in anderen Formen als jene der Fischer und Jäger, von deren Netzen und Speeren die Theorie mitunter sprechen muss. Sie bietet Probleme, die der durch Geld tauschenden und in Geld rechnenden Marktwirtschaft eigentümlich sind und keine Entsprechung im geldlosen System findet. Doch den Zugang zu diesen Problemen kann man nur finden, wenn man vorerst das allgemeinere Problem der unmittelbaren Bildung von Kapital erfasst hat.

Die Überlegungen, die die Wissenschaft anstellt, um den Sinn menschlichen Handelns zu erfassen, sind in mancher Hinsicht verschieden von denen, die der Handelnde selbst sowohl [222] im eigenen Handeln als auch im Vorbedenken und Nachbedenken eigenen und fremden Handelns anstellt. Und die Erwägungen der im geistigen Raum des Kapitalismus rechnenden Handelnden sind anderer Art als die des im naturalwirtschaftlichen Denken befangenen Handelnden primitiver Kultur. Es wird auch wohl nicht bestritten werden können, dass es ein aussichtsloses Beginnen wäre, einem einfachen Mann, gleichviel ob es sich um einen Angehörigen eines Volkes kapitalistischer Gesellschaftsordnung oder eines primitiven Volksstammes handelt, klarzumachen, was die Wissenschaft vom menschlichen Handeln anstrebt, und dass das, was sie bringt, auch den Sinn seines Handelns begreift. Es wird in vielen Fällen nicht weniger vergeblich sein, diese Dinge einem in seinen Geschäften scharf rechnenden und schwierige naturwissenschaftliche Ideengänge meisternden kapitalistischen Unternehmer darzulegen. Es ist eben etwas anderes, zu handeln, und etwas anderes, das Handeln wissenschaftlich zu begreifen, wie auch das Denken von der Erfassung des Denkens durch die Wissenschaft der Logik verschieden ist. Theorie und Leben sind nicht dasselbe. Es ist kein Kriterium der Wahrheit der Lehre vom menschlichen Handeln, dass jeder handelnde Mensch fähig sei, ihren Inhalt zu begreifen. Wie nicht jeder, der im Leben und Wirken logisch denkt, die Lehren der wissenschaftlichen Logik zu erfassen fähig ist, so ist auch nicht jeder, der handelt, fähig, die Lehren der Wissenschaft vom Handeln zu erfassen [119] . Es bedarf einer besonderen Anspannung des Geistes, um das Denken auf die Fragen zu richten, die unserer Wissenschaft wichtig erscheinen.

Man begegnet oft Menschen, deren Geist für die schwierigsten Probleme der Mathematik, der Physik und der Biologie Verständnis zeigt, aber allen Problemen der Wissenschaft vom menschlichen Handeln verschlossen ist. Es gibt selbst Philosophen und Historiker, denen es nicht gegeben ist, den Weg zum praxeologischen Denken zu finden. Anderseits findet man immer wieder Menschen, die auch ohne Kenntnis der Denkmethoden und der Ergebnisse der wissenschaftlichen Nationalökonomie durch eigenes Nachdenken ein tiefes Verständnis für die Probleme des menschlichen Handelns erworben haben.

Der Anstoß, über die Probleme des Handelns nachzusinnen, fehlte den Menschen der Wirtschaftsepochen, die die Arbeitsteilung, den gesellschaftlichen Tausch, den Markt und das Geld noch nicht kannten. Später standen dann der erfolgreichen [223] Behandlung der Probleme des Handelns Eigentümlichkeiten des Denkens entgegen. Das universalistische Denken konnte den Weg zum Handeln des Einzelnen und zum konkreten Einzelfall nicht finden [120] . Es ist nicht zu bestreiten, dass erst die Problematik der Geldpreise und der Märkte, auf denen Waren und Dienstleistungen gegen Geld umgesetzt werden, die geistige Luft schuf, in der die Katallaktik entstehen und zur allgemeinen Wissenschaft vom menschlichen Handeln fortgebildet werden konnte.Doch es ist die Aufgabe dieser Wissenschaft zum allgemeinsten Fall des Handelns hinaufzusteigen und alle ihre weiteren Ausführungen und Ableitungen von diesem allgemeinsten Fall ausgehen zu lassen.

 




 

VIERTER TEIL: DAS HANDELN IN DER MARKTWIRTSCHAFT

[224]

1. KAPITEL: PROBLEMSTELLUNG UND VERFAHREN DER KATALLAKTIK

I. Die Abgrenzung des katallaktischen Problemkreises

Über den Umkreis der nationalökonomischen Probleme waltete zunächst kaum ein Zweifel. Seit man von Nationalökonomie, von Sozialökonomie oder einfach von Ökonomik spricht, hat man es stets als die Aufgabe dieser Wissenschaft angesehen, die Erscheinungen des Marktes zu untersuchen, d.i. die Bildung der wechselseitigen Austauschverhältnisse der auf den Märkten umgesetzten Sachgüter und Dienste, die Entstehung dieser Austauschverhältnisse aus dem Handeln und ihre Wirkung auf weiteres Handeln. Die Schwierigkeiten der genauen Begriffsbestimmung und Abgrenzung entstammten nicht einer Unsicherheit über den Umfang der zu behandelnden Probleme; sie ergeben sich aus dem Umstand, dass man zur Erfassung und Erklärung dieser Probleme über den Markt und die Markterscheinungen hinausgehen muss. Um den Markt zu begreifen, muss man einerseits auf das Handeln eines isolierten Einzelnen zurückgehen und anderseits ein hypothetisches sozialistisches Gemeinwesen der Marktwirtschaft gegenüberstellen. Um den interpersonellen — gesellschaftlichen — Tausch zu begreifen, muss man den inneren Tausch in den Kreis der Untersuchung einbeziehen. Dann aber kann es nicht mehr gelingen, das Handeln, das Gegenstand der Nationalökonomie bildet, vom sonstigen Handeln abzugrenzen. Die Nationalökonomie erweitert sich unversehens zur Praxeologie, zur Lehre vom menschlichen Handeln, und es fällt schwer, aus dem weiteren Kreis der Gesamtheit der Probleme des menschlichen Handelns einen engeren Kreis des spezifisch Nationalökonomischen auszusondern.

[225]

Die Versuche, die zur Lösung dieses Problems unternommen wurden, gingen entweder von den Beweggründen des Handelns aus oder von den Zielen, auf die das Handeln gerichtet ist. Man musste aber bald erkennen, dass die Verschiedenheit der Beweggründe, die das Handeln auslösen, für das Handeln selbst ohne Bedeutung ist. Beweggrund jeden Handelns ist Unbefriedigtsein und es macht für das Handeln keinen Unterschied aus, wie man dieses Unbefriedigtsein psychologisch oder ethisch qualifiziert. Es ist die Aufgabe der Nationalökonomie, die Bildung der Preise zu erklären, nicht etwa bloß die Bildung der Preise, die aus einem psychologisch, ethisch oder sonstwie näher bestimmten Verhalten der Marktparteien hervorgehen oder hervorgehen würden. Die Unterscheidung des Handelns nach der Verschiedenheit der Beweggründe mag psychologisches Interesse erwecken und mag die Grundlage für moralische Wertung abgeben; für die Nationalökonomie ist sie belanglos. Man hat nicht mehr Erfolg, wenn man das spezifisch Nationalökonomische in der Beschaffenheit der Ziele, auf die das Handeln gerichtet ist, finden will und es als das Handeln bezeichnet, das die Versorgung mit den materiellen Gütern der Außenwelt zum Ziele hat. Genau genommen, ist das Handeln nicht auf die Erlangung von materiellen Dingen der Außenwelt gerichtet, sondern auf die Erlangung der Verfügung über die Nutzleistungen, die von ihnen ausgehen, oder anders ausgedrückt, über, die Dienste, die sie leisten. Dann aber kann man die persönlichen Dienste, die menschliche Wohlfahrt ohne Dazwischentreten eines materiellen greifbaren und sichtbaren — Dinges der Außenwelt vermitteln, nicht außerhalb des Kreises der «wirtschaftlichen» Ziele stehen lassen. Hat man aber einmal auch solche ideelle Güter — z. B. den Rat und Zuspruch des Arztes, die Unterweisung des Lehrers, den Vortrag des reproduzierenden Künstlers — als wirtschaftliche gelten lassen, dann kann man andere — etwa die Bewahrung der Ehre und des Selbstbewusstseins, die Hochachtung ethischer und reliziöser Normen — nicht ausschliessen.

Ob es gelingen könnte, das Unbefriedigtsein, das zum Handeln führt, physiologisch und psychologisch aufzuspalten in solches, das durch rein physiologische Bedürfnisse bedingt ist, und in solches, das durch andere Bedürfnisse bedingt ist, mag dahingestellt bleiben. Doch wir wollen die Preise, Löhne und Zinssätze des Marktes erfassen und haben dabei zu beachten, dass hier «Materielles» und «Ideelles» untrennbar verbunden ist. Keine Speise wird nur ob ihres Nährwertes, kein Kleidungsstück nur als Schutzmittel gegen die Unbilden der Witterung begehrt. Dass metaphysische, religiöse und politische [226] Ideen in der Gestaltung von Angebot und Nachfrage eine Rolle spielen, dass die Marktparteien von wissenschaftlichen Lehrmeinungen, von künstlerischem Geschmack und von ethischen Normen beeinflusst werden, darf die Markttheorie nicht aus dem Auge verlieren. Einer Betrachtungsweise, die sich auf das «Materielle» allein beschränken wollte, entschwindet ihr Gegenstand, sowie sie ihn zu erfassen sucht [121] .

Das Handeln ist immer mit «Materiellem» und «Ideellem» zugleich befasst. Die Wahlakte entscheiden immer zwischen Zielen, die — mögen sie nun als «materielle» oder als «ideelle» anzusprechen sein, — im Wahlakt und durch ihn in eine Reihe gestellt werden. In den Wertskalender Wirte ist Materielles und Ideelles bunt gemischt. Wenn sich selbst zwischen Materiellem und Ideellem eine scharfe Grenze ziehen ließe, so hätte die Wissenschaft vom Handeln doch zu beachten, dass jede einzelne Handlung in der Regel entweder ideelle und materielle Ziele zugleich anstrebt oder zwischen ideellen und materiellen Zielen die Wahl trifft.

Es bleibt kaum ein anderer Ausweg offen als der, von dem überlieferten Problemkreis der nationalökonomischen Überlegungen auszugehen. Die Nationalökonomie, wie sie seit dem 18. Jahrhundert betrieben wird, hat es mit der Bildung der Geldpreise der Güter und Dienstleistungen auf dem Markte einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden arbeitteilenden Gesellschaft zu tun. Um diesem ihrem Aufgabenkreis gerecht zu werden, muss sie von einer allgemeinen Theorie des menschlichen Handelns den Ausgang nehmen und muss das Handeln der einfachen Wirtschaft — des hypothetischen isolierten Wirts auf der einen Seite und des hypothetischen sozialistischen Gemeinwesens auf der andern Seite — ebenso in den Kreis ihrer Erörterungen einbeziehen wie Handeln, das auf andere als die Ziele gerichtet ist, die man gewöhnlich als die «wirtschaftlichen» zu bezeichnen liebt. Die allgemeine Lehre vom menschlichen Handeln, die Praxeologie, kann, was Umfang und Aufgabe anbelangt, scharf abgegrenzt und exakt bestimmt werden. Das spezifisch Nationalökonomische oder Wirtschaftliche im engeren Sinne kann man aus dem Gesamtgebiet des menschlichen Handelns nur ungefähr aussondern; historische und konventionelle Gesichtspunkte können bei seiner Abgrenzung nicht außer Acht gelassen werden.

[227]

Es kommt schließlich auf dasselbe heraus, ob man das spezifisch Nationalökonomische, das Wirtschaftliche im engeren Sinn, in der Lehre vom Marktverkehr finden will oder in der Lehre von dem Handeln, bei dem in Geld gerechnet wird. Markt und Geldrechnung fallen zusammen. Der Markt, auf dem nur im direkten Tausch umgesetzt wird, ist eine Fiktion des wissenschaftlichen Denkens, und Geldgebrauch und Geldrechnung sind an die Marktwirtschaft gebunden.

II. Die Methode der Gedankenbilder

Die Nationalökonomie bedient sich in ihren Untersuchungen eines besonderen Verfahrens; sie arbeitet mit Gedankenbildern.

Die Methode der Gedankenbilder ist die praxeologische Methode; sie ist die einzige Methode, die der Praxeologie zur Verfügung steht. Dass sie besonders auf dem Felde der Nationalökonomie ausgebildet wurde, ist die Folge des Umstandes, dass die Nationalökonomie, bisher wenigstens, das am höchsten entwickelte Teilstück der Praxeologie darstellt. Jedermann, der irgendeine Aussage über die Dinge machen will, die man als wirtschaftliche oder volkswirtschaftliche zu bezeichnen pflegt, bedient sich dieser Methode. Sie ist nicht etwa ein dem wissenschaftlichen Denken eigentümliches Verfahren; sie ist ebenso auch das Verfahren des über nationalökonomische Fragen sprechenden Laien. Der Laie verwendet die Gedankenbilder unbewusst und kritiklos, wogegen die Nationalökonomie sich bemüht, die Bedingungen und Voraussetzungen ihrer Verwendbarkeit streng zu prüfen.

Die Gedankenbilder der Praxeologie sind gedankliche Konstruktionen eines Ablaufs, den wir in logischer Folge aus den Elementen des Handelns hervorgehen lassen. Sie sind deduktive Gebilde, die in letzter Linie immer auf das Grundelement des Handelns, das Vorziehen und Wählen, zurückführen. Im Aufbau des einzelnen Gedankenbildes kümmert sich der Nationalökonom zunächst nicht darum, ob es dem wirklichen Wirtschaftsgetriebe, das er begreifen will, entspricht oder ob ein Wirtschaftsgetriebe, das ihm entsprechen würde, als wirklich gedacht werden kann. Auch Gedankenbilder, die Widersprüche enthalten, die sie als unrealisierbar erscheinen lassen, können dem auf die begriffliche Erfassung der Wirklichkeit gerichteten Denken Dienste, mitunter selbst unentbehrliche Dienste leisten, wofern man sich über ihre Problematik und die Tatsache und Gründe ihrer Unrealisierbarkeit Klarheit zu verschaffen weiß.

[228]

Die Rechtfertigung der Verwendung von Gedankenbildern liegt in ihrem Erfolg. Die Praxeologie, die nicht wie die Naturwissenschaften experimentieren und ihre Lehre auf der sinnlichen Erfahrung aufbauen kann, hat keinen anderen Weg zur Erfassung der Wirklichkeit. Man darf daher, wenn man die Methode der Gedankenbilder logisch prüfen will, nicht etwa nach Entsprechungen im Verfahren der Naturwissenschaften suchen. Die Gedankenbilder der Praxeologie sind keine Gedankenexperimente. Das Gedankenexperiment der Physik beruht in letzter Linie stets auf Nutzbarmachung der Ergebnisse sinnlicher Erfahrung; wenn es nicht müßiges Spiel der Phantasie bleiben soll, muss es an irgendeinem Punkte mit der Erfahrung verknüpft werden. Die Gedankenbilder der Praxeologie können nie der Erfahrung gegenübergestellt und an ihr gemessen und beurteilt werden. Sie müssen uns auf einem Boden helfen, auf dem die Erfahrung nichts zu bieten vermag. Wenn wir die Gedankenbilder an die Wirklichkeit heranbringen wollen, haben wir nicht die Erfahrung zu befragen, sondern das Denken; die Frage lautet nicht: entspricht das Bild der Erfahrung? sondern: sind die Voraussetzungen und Bedingungen des Bildes die, die dem wirklichen Handeln, das wir begreifen wollen, gegeben sind?

Die Formel für den Aufbau der Gedankenbilder ist das Fortdenken von Bedingungen, die dem Handeln gesetzt sind, um aus den Folgen der Abwesenheit einer Bedingung auf die Wirkung ihres Gegebensein zu schließen. So gelangen wir zum Begriff des Handelns, wenn wir uns das Bild eines Zustandes konstruieren, in dem nicht gehandelt wird, weil der Einzelne vollbefriedigt ist oder nicht sieht, wie eine Veränderung, die er zu bewirken vermag, sein Unbefriedigtsein mindern könnte. So gelangen wir zum Begriff des Urzinses aus einem Gedankenbild, in dem die Befriedigung in gleichlangen, jedoch verschieden weit entfernten Zeitabschnitten der Zukunft als gleich behandelt wird.

Die Methode der Gedankenbilder ist dem Praxeologen unentbehrlich, sie ist jedoch außerordentlich gefährlich, weil sie leicht zu Trugschlüssen und Irrtümern leiten kann. Sie führt über einen messerscharfen Grat; links und rechts gähnt die Tiefe des Unsinns und Widersinns. Nur strenge Selbstkritik kann vor dem Absturz in diese Abgründe bewahren.

III. Das Gedankenbild der reinen Marktwirtschaft.

Für die Untersuchung der Probleme der Marktwirtschaft formt die Katallaktik ein Gedankenbild, in dem die Elemente der Marktwirtschaft rein erscheinen, so dass die Schlüsse, zu [229] denen sie von diesen Annahmen aus gelangt, nicht durch die Rücksichtnahme auf die Wirkung anderer Faktoren getrübt werden. Sie geht davon aus, dass das Marktgetriebe nicht behindert wird durch weitere institutionelle Gegebenheiten; ihr Markt ist in dem Sinne ein freier Markt, als die Preisbildung nicht gestört wird durch das Walten von Kräften, die für das Getriebe nicht notwendig sind. Sie geht von der Annahme aus, dass Arbeitsteilung und Sondereigentum an den Produktionsmitteln bestehen, und daraus folgt dann, dass die Verwendung der Produktionsmittel durch den Markt gelenkt wird. Andere Annahmen macht sie zunächst nicht. Erst wenn sie alles erschöpft hat, was sich aus diesen Annahmen ergibt, geht sie dazu über, die Wirkung aller denkbaren weiteren Gegebenheiten zu prüfen. Diese Untersuchung der Probleme, die die Interventionen bieten, wird gewöhnlich als die Theorie der Wirtschaftspolitik bezeichnet.

Man hat erstaunlicherweise diesen logisch einwandfreien und allein zweckmäßigen Vorgang heftig kritisiert. Man hat ihn als politische Voreingenommenheit zu Gunsten einer liberalen (manchesterlichen) Wirtschaftspolitik verdächtigt und hat gemeint, dass er zur Deutung der Welt, die diesen Annahmen nicht voll entspricht, nichts oder nur wenig beitrage. Es ist richtig, dass die Nationalökonomen aus den Lehren ihrer Wissenschaft die Folgerung gezogen haben, dass die Ziele, die sich die Wirtschaftspolitik in aller Regel setzt, am zweckmäßigsten erreicht werden können, wenn das Sondereigentum an den Produktionsmitteln nicht durch Eingriffe der politischen Gewalten beschränkt wird und das Spiel des Marktgetriebes ungehindert sein Werk vollbringen darf. Doch zu dieser Auffassung sind sie gerade durch die Untersuchung dieser Eingriffe gelangt und nicht etwa aus einer Voreingenommenheit, die durch die Beschäftigung mit den Problemen der reinen Marktwirtschaft entstanden war.

Es ist auch zuzugeben, dass die Nationalökonomen der ersten Generationen das Festhalten am reinen, durch Eingriffe nicht behinderten Sondereigentum an den Produktionsmitteln als «natürlich» oder «der Natur der Dinge gemäss» und die Eingriffe als «künstlich» und «störend» bezeichnet haben. Doch auch zu diesem Sprachgebrauch hat sie gerade die Untersuchung der Probleme des Interventionismus geführt. Was vom Standpunkte der die Eingriffe setzenden Faktoren als unzweckmäßig erkannt worden war, wurde ohne Bedenken in einer Redeweise, die dem Zeitalter nahe lag, als unnatürlich erklärt.

Theismus und Deismus des Aufklärungszeitalters sahen in der Gesetzmäßigkeit des Ablaufs der Naturerscheinungen, die [230] von der Naturwissenschaft aufgezeigt wurde, das Walten der göttlichen Vorsehung. Als man nun Gesetzmäßigkeit auch im Handeln der Menschen entdeckte, wollte man auch sie als Werk Gottes auffassen. Das ist der Sinn der oft missverstandenen Lehre von der prästabilierten Harmonie, die manche Nationalökonomen vorgetragen haben [122] . Wenn die Staats- und Gesellschaftslehre des Servilismus auf die göttliche Mission der Führer hinwies, die berufen sind, durch Dekrete die Wirtschaft zu leiten, so glaubte der Liberalismus dem entgegenhalten zu müssen, dass der unbehinderte Markt in einer Weise funktioniere, die in ihm das Walten Gottes erkennen lasse.

Die klassische Nationalökonomie hat zugleich mit der Ausbildung des Gedankenbildes des unbehinderten Marktes einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden arbeitteilenden Wirtschaft sein logisches Gegenstück ausgearbeitet, das Gedankenbild eines arbeitteilenden sozialistischen Gemeinwesens. In der Fragestellung, die zur Entdekkung der Automatik der Marktwirtschaft führte, hatte — wenn auch unausgesprochen — dieses Gedankenbild den logischen Vorrang. Kann es, so lautete die Frage, dazu kommen, dass der Schneider mit Brot und mit Schuhen versorgt wird, ohne dass Bäcker und Schuhmacher durch Zwang oder durch ein Sittengebot, dem sie freiwillig gehorchen, zur Versorgung ihrer Mitbürger angehalten werden? Der erste Gedanke war, dass die Versorgung der Verbraucher durch die Obrigkeit den Erzeugern zur Pflicht gemacht werden müsste; man war geradezu betroffen, als man entdeckte, dass die Versorgung auch ohne obrigkeitlichen Befehl erfolgen kann. Wenn die Nationalökonomen den Gesichtspunkt der Produktivität dem der Rentabilität entgegenhielten und wenn sie das Verhältnis von Gemeinnutz und Eigennutz prüften, waren ihre Gedankengänge an dem Bild eines planmäßig von einer Zentralstelle geleiteten Systems menschlicher Kooperation orientiert. Ihr Staunen über die Leistung der vom Markte bewirkten Steuerung kam gerade daher, dass sie fanden, dass die Anarchie des Marktes Produktion und Verteilung so leite, als ob ein zentraler Wille sie geordnet hätte. Die Idee des Sozialismus — durch eine Zentralgewalt planmäßig und einheitlich geleitete arbeitteilende Wirtschaft — ist nicht den Köpfen der Utopisten entsprungen; diese haben zunächst Reformenvorgeschlagen, die auf das [231] Nebeneinanderleben von kleinen autarken Wirtschaftseinheiten abzielten; man denke etwa an Fouriers phalange. Die Hinlenkung der Reformbestrebungen auf zentralistischen Sozialismus geschah dadurch, dass man den von der Nationalökonomie als Hilfsvorstellung benutzten Gedanken zum Plan künftiger Ordnung erhob.

Die Praxeologie hat auch die Verpflichtung, den Ablauf des Handelns in einem System sozialistischer Gemeinwirtschaft zu untersuchen. Doch auch diese Aufgabe kann sie nicht erfüllen, wenn sie nicht zuvor die Marktwirtschaft analysiert hat. Der Zugang zu allen Problemen, die vor uns liegen, führt über die Erforschung des Getriebes eines Marktes, der durch Eingriffe systemfremder Elemente nicht behindert ist.

Die Maximalisierung der Gewinne.

Man pflegt zu behaupten, dass die Nationalökonomie ihrer Lehre von der Marktwirtschaft die — der Wirklichkeit nicht entsprechende — Annahme zugrundelege, dass jeder Wirt darauf bedacht sei, aus seinem Handeln den höchsten erzielbaren Gewinn zu ziehen. Die Nationalökonomie konstruiere willkürlich das Bild eines Menschen, der mit seinem nackten Egoismus und nüchternen Rationalismus vielleicht mitunter in den Börsensälen anzutreffen sei, der aber dem leibhaftigen Menschen, dem wir im Leben sonst begegnen, sicher durchaus unähnlich sei. Es sei falsch zu glauben, dass die Schlüsse, die man aus der Betrachtung dieses homo oeconomicus ableitet, über die wirklichen Menschen und über die wirkliche Wirtschaft irgend etwas Richtiges aussagen.

Mit dem ganzen Bündel von Irrtümern und Missverständnissen, die dieser Einwand birgt, müssen wir uns nicht noch einmal auseinandersetzen. Die beiden ersten Teile dieses Buches verfolgen doch keinen anderen Zweck als den, die Unhaltbarkeit aller dieser Kritiken aufzuzeigen. Wir dürfen uns hier darauf beschränken, dem Problem der Gewinnmaximalisierung einige Worte zu widmen.

Die Praxeologie setzt im Allgemeinen und die Nationalökonomie setzt im Besonderen in Hinsicht auf die Beweggründe, die den Einzelnen zum Handeln treiben, nichts weiter voraus als das, dass er handelt, das ist, dass er Unbefriedigtsein zu beheben sucht. Unter den besonderen Bedingungen des Marktes und der Marktwirtschaft heißt das, dass er kauft und dass er verkauft. Was von Angebot und Nachfrage gesagt wird, gilt von jedem Angebot und von jeder Nachfrage, nicht etwa nur von Angebot und Nachfrage, die irgendwie genauer zu qualifizieren oder durch irgendwelche besondere Voraussetzungen und Bedingungen näher zu umschreiben wären.

Wenn die Marktlehre annimmt, dass der Einzelne, vor die Wahl gestellt, im Austausch für ein Gut, das er herzugeben beabsichtigt, mehr oder weniger zu erhalten, sich caeteris paribus für das Mehr entscheidet, hat sie keine weitere oder neue Annahme gemacht. Mehr bedeutet für den Wirt im Vergleiche mit einem Weniger : bessere Bedürfnisbefriedigung. Genau so steht es für den Käufer: was er weniger für die Erwerbung eines Gutes aufwenden muss, gestattet ihm, weitere Bedürfnisse zu befriedigen. Caeteris paribus so teuer als möglich zu verkaufen und so billig wie möglich zu kaufen, ist nicht [232] Ausfluss eines Verhaltens, das besonderen Annahmen oder Bedingungen entspricht; es ist nichts anderes als die Gestalt, die das Streben nach Abstellung von Unbefriedigtsein, das Handeln, unter den auf dem Markte obwaltenden Verhältnissen annimmt.

Wenn man unter der Bezeichnung Marktwirtschaft die auf Sondereigentum an den Produktionsmitteln und Arbeitsteilung beruhende Gesellschaftsordnung versteht, in der die Einzelnen handeln und nicht ein Zentraldirektorium allein, wie es in der auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden sozialistischen Gesellschaftsordnung der Fall wäre, dann bedarf es keiner weiteren Annahme, dass die Wirte aus Eigennutz handeln. Wenn man dem Ausdruck Eigennutz nicht ethische Färbung gibt und wenn man ihn nicht verwendet, um die Behauptung aufzustellen, dass das Verhalten der Wirte die übrigen Wirte schädigt, dann kann er nur bedeuten: jeder Einzelne zieht das, was ihn besser befriedigt, dem, was ihn weniger befriedigt, vor. Dann aber kann kein handelnder Mensch dem Eigennutz entrinnen. Wenn wir sein Handeln nicht richten, sondern wissenschaftlich, frei von aller Wertung zu erfassen suchen, muss es uns in diesem Sinne immer als eigennützig erscheinen. Auch wenn das Handeln unmittelbar auf die Abstellung des Unbefriedigtsein anderer Menschen gerichtet ist, ist es in diesem Sinne eigennützig; der Handelnde hält es für wichtiger, dass andere essen, als dass er selbst mehr isst; die Befriedigung, die ihm im Augenblick als die dringendste erscheint, findet er in der anderen gewährten Hilfe; er sieht seinen Nutzen im Steigern der Befriedigung anderer.

Arge Missverständnisse entstammen jener nur auf das, was mit den Sinnen unmittelbar wahrgenommen werden kann, gerichteten Denkungsart, die auch zu dem berüchtigten Streit um den Gutscharakter der persönlichen Dienste geführt hat. Was der Verbraucher kauft, ist nicht einfach Futter oder Kalorien; er will nicht fressen, sondern essen. Das Essen entspricht dem Begehr vieler Verbraucher umso besser, je appetitlicher und schmackhafter es zubereitet ist, je schöner es vorgesetzt wird und je angenehmer die Umgebung, in der sie es verzehren, auf sie wirkt. Niemand wird behaupten, dass der Umstand, dass solche vom Standpunkte einer sich auf die chemischen Vorgänge [123] , die im Stoffwechsel ablaufen, beschränkenden Betrachtung als nebensächlich erscheinende Momente in der Preisbildung eine Rolle spielen, im Widerspruch stehe mit der Annahme, dass jeder Einzelne so billig als möglich kaufen will. Wenn der Käufer die Wahl hat zwischen zwei Warenmengen, die Chemiker und Technologen als in jeder Beziehung gleich ansehen, und dabei der teureren den Vorzug gibt, so hat das irgend einen Grund. Er mag irren oder er mag eben für Dinge zahlen, die Chemie und Warenkunde mit ihren Methoden nicht zu erfassen vermögen. Wenn der Snob eine teure Gaststätte der billigeren nur darum vorzieht, weil er dort in Nachbarschaft eines Herzogs seine Mahlzeit einnehmen kann, so mag man das als lächerliche Eitelkeit bezeichnen. Man darf aber nicht sagen, dass das Verhalten dieses Snobs nicht auf die Erhöhung seiner Befriedigung gerichtet wäre.

Wenn der Käufer kauft, kauft er sehr oft nicht für den eigenen Verzehr und Verbrauch, sondern um andere zu beschenken oder zu bewirten. Im [233] Abschluss des Kaufvertrages pflegt der Käufer in der Regel dem Verkäufer keine Geschenke zu machen. Doch auch das kommt vor. Die Grenze zwischen Almosen und Preiszahlung ist oft schwer zu erkennen. Wer im Wohltätigkeitsbazar einkauft, verbindet den Ankauf mit einer Spende für einen löblichen Zweck. Wer einem Leierkastenmann eine Münze hinwirft, zahlt wohl nicht für den zweifelhaften Kunstgenuss; er gibt einfach Almosen. Es wäre irrig anzunehmen, dass die Preislehre der Nationalökonomie so beschaffen ist, dass solches Verhalten ihren Annahmen widerspricht oder außerhalb ihres Rahmens bleibt. Dass die Käufer auf dem Markt in der Regel nur einkaufen und nicht auch oder nur Almosen spenden wollen, ist ein Datum ihres konkreten Handelns; die Lehre vom Handeln umfasst aber auch Handeln, dem andere Daten zugrunde liegen.

Wenn man unter Maximalisierung des Gewinns nichts anderes meint als das, dass der Käufer nur dann kauft, wenn ihn das Kaufen besser befriedigt als das Nichtkaufen, und dass er von mehreren zur Auswahl stehenden Verkaufsanträgen den wählt, von dem er mehr Befriedigung erwartet als von den übrigen, dann gibt es kein Handeln, das dieser Bedingung nicht entspricht. Wenn man aber mit Maximalisierung des Gewinns etwa sagen wollte, dass der Käufer beim Ankauf nur auf die Eigenschaften und Leistungen der Ware achtet, die Chemie und Technologie mit ihren Methoden bestimmen, messen und wägen können, dann hat man den Versuch gemacht, in die nationalökonomischen Gedankengänge Erwägungen einzuführen, die mit ihnen nichts zu schaffen haben.

Manche Nationalökonomen glauben, dass es Aufgabe der Nationalökonomie wäre, herauszufinden, wie in der Gesellschaft das Maximum an erreichbarer Befriedigung aller Menschen oder der größten Zahl von Menschen erzielt werden könnte. Sie sehen nicht, dass es keine Methode gibt, die uns gestatten würde, das Ausmaß der Befriedigung verschiedener Menschen zu vergleichen. Sie verkennen daher den Charakter der Urteile, die solchen Vergleichen zugrunde liegen. Sie glauben objektiv zu sein, wo sie subjektive Urteile fällen. Man mag es als gerecht ansehen, einem Reicheren zu nehmen und einem Ärmeren zu geben. Doch was gerecht und was ungerecht ist, wird nicht objektiv erkannt, sondern durch Werturteile subjektiv vom Beurteiler festgesetzt.

Man pflegt darauf hinzuweisen, dass die physiologischen Bedürfnisse der Menschen gleichartig wären und dass diese Gleichartigkeit einen Vergleichsmaßstab für das Ausmaß, wenn auch nicht der subjektiven Gefühle der Befriedigung, so doch des erzielten Grades der Versorgung abgeben könne. Man betrachtet damit die Menschen als Objekte einer Ernährungspolitik, wie der Viehzüchter sein Vieh betrachtet. Doch man beachtet nicht, dass der Viehzüchter das Vieh nicht füttert, um es zu befriedigen und glücklich zu machen, sondern um Ziele zu erreichen, die er selbst mit dem Vieh verfolgt. Er kann die Kuh so füttern, dass der Milchertrag möglichst hoch werde, oder so, dass sie möglichst viel Fleisch gebe. Ein objektiv richtiges Ziel gibt es weder für die Ernährung der Tiere noch für die der Menschen. Man kann die Menschen als Objekt einer Ernährungs- und Zuchtpolitik behandeln, doch wer das tut oder plant, maßt sich Herrenrechte an und will Menschen als Mittel zur Erreichung seiner eigenen Ziele verwenden, die von den Zielen, die sich diese Menschen selbst setzen, verschieden sind.

[234]

Die Werturteile des Einzelnen unterscheiden zwischen dem, was ihn mehr, und dem, was ihn weniger befriedigt. Die Werturteile, die jemand über eines Mitmenschen Befriedigung abzugeben glaubt, sagen nichts über dieses Mitmenschen Befriedigung aus; sie sagen allein, welche Lage dieses Mitmenschen den Urteilenden besser befriedigt. Die Nationalökonomen, die nach dem Maximum sozialer oder allgemeiner Befriedigung suchten, haben uns nur gezeigt, welcher Stand der Welt ihnen selbst am besten zusagen würde.

IV. Das Gedankenbild der einfachen Wirtschaft

Von allen Gedankenbildern, deren sich die Nationalökonomie bedienen muss, hat keines mehr Anstoß erregt als das der Wirtschaft eines isolierten Wirts, der auf sich allein gestellt wirtschaftet.

Die Praxeologie als apriorische Wissenschaft, die sich nicht auf das Ergebnis von Laboratoriumsversuchen stützen kann, vermag dieses Gedankenbild nicht zu entbehren. Um den interpersonellen — den gesellschaftlichen — Tausch zu studieren, muss sie auch einen Zustand denken, in dem solcher Tausch nicht vorkommt. Sie kann daher nicht darauf verzichten, das Gedankenbild einer einfachen oder tauschlosen Wirtschaft zu formen, d.i. einer Wirtschaft, in der es nur inneren Tausch gibt, aber keinen interpersonellen Tausch. Dieses Gedankenbild konstruiert sie in zwei Gestalten: in der der Wirtschaft eines isolierten Wirts und in der der Wirtschaft eines sozialistischen Gemeinwesens.

Die Idee der einfachen Wirtschaft ist ein Gedankengebilde, das für das Denken und Durchdenken der Probleme geschaffen wurde. Wenn man es benützt, will man nicht etwa behaupten, dass es solches Wirtschaften tatsächlich geben könnte [124] . Wenn wir Robinson, den es immerhin gegeben haben mag, und den Generaldirektor des isolierten sozialistischen Gemeinwesens, den es nie gegeben hat, so denken und handeln lassen, wie sie nur denken und handeln könnten, wenn sie die allein der Marktwirtschaft eigene Wirtschaftsrechnung als geistiges Werkzeug benützen könnten, sind wir uns darüber klar, dass wir mit einer Fiktion arbeiten. Ob und zu welchen Zwecken wir uns dieser Fiktion bedienen dürfen, ist eine Frage, die man nicht ohne Eingehen auf jeden einzelnen Fall ihrer Anwendung entscheiden kann.

[235]

Auf der Verwendung des Gedankenbildes der einfachen Wirtschaft beruht die Unterscheidung von Produktivität und Rentabilität, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Richtmass einer Kritik der Vorgänge in der Marktwirtschaft gemacht wurde. Dieser Auffassung erscheint die einfache Wirtschaft in der Gestalt eines sozialistischen Gemeinwesens schlechthin als das Ideal vernünftiger Wirtschaft. Alles, was sich in der Marktwirtschaft abspielt, wird darnach beurteilt, ob es auch vom Standpunkt sozialistischen Wirtschaftens zu rechtfertigen wäre. Nur Handeln, das von diesem Standpunkt aus als zweckmäßig erscheint, wird als produktives Handeln positiv gewertet; alles andere Handeln von in der Marktwirtschaft handelnden Wirten wird, weil es nur rentabel, doch nicht auch produktiv erscheint, verurteilt. Ist, fragte man z. B., der Handel produktiv? Und die Antwort lautete: Nur insofern, als er mit der Zuführung der Güter an die Verbraucher befasst ist, also gewissermaßen Transportgewerbe ist.

Mit Wertungen dieser Art hat die Nationalökonomie nichts zu schaffen.

V. Die Gedankenbilder des einfachen und des endlichen Ruhezustandes und der gleichmäßigen Wirtschaft

Man kann das Handeln nicht anders zu begreifen suchen als durch die Annahme, es sei auf die Herbeiführung eines Zustandes gerichtet, in dem nicht mehr gehandelt wird, sei es, weil alles Unbefriedigtsein geschwunden ist, sei es, weil — ohne volle Behebung des Unbefriedigtsein - durch weiteres Handeln keine weitere Abnahme des Unbefriedigtsein mehr erreicht werden kann. Das Handeln strebt so einem Ruhezustand zu, in dem die Bedingungen für weiteres Handeln fehlen.

Die elementare Wert- und Preislehre studiert demgemäss den interpersonellen Tausch unter der Annahme, dass die Tauschakte solange fortgesetzt werden, bis weitere Tauschakte nicht mehr erfolgen können, weil keine Marktpartei durch einen der — im Hinblick auf ihre eigenen Wertungen und auf die der übrigen Marktparteien — noch möglichen Tauschakte weiter einen Vorteil erzielen kann. Dieser Ruhezustand ist nicht bloß Gedankenbild der Theorie. Er wird auf dem Markte immer wieder erreicht. Wenn die Börsenversammlung geschlossen wird, sind alle Aufträge, die zu den Börsenkursen durchführbar waren, ausgeführt worden; unausgeführt bleiben nur jene Verkaufsaufträge, die einen höheren Preis als den Tageskurs verlangen, und jene Kaufaufträge, die einen niedrigeren [236] Preis als den Tageskurs bieten [125] . Wenn der Wochenmarkt zu Ende geht, haben alle gekauft, die die verlangten Preise bieten wollten, und alle verkauft, die bereit waren, sich mit den gebotenen Preisen zu begnügen. Die ganze Marktwirtschaft bildet in diesem Sinne einen einzigen großen Börsensaal oder Wochenmarkt. In jedem Augenblick werden alle die Geschäfte abgeschlossen, die Käufer und Verkäufer zu den erzielbaren Preisen abzuschließen bereit sind; sind diese Umsätze durchgeführt, dann können neue erst dann wieder abgeschlossen werden, bis sich die Schätzungen der Marktparteien geändert haben.

Man hat gemeint, das Gedankenbild des Marktes, der durch die Vornahme einer Anzahl von Tauschhandlungen einem Ruhezustande zugeführt wird, als unzulänglich ansehen zu dürfen, weil es nur die Bildung der Austauschverhältnisse von Gütern niederster Güterordnung, die einem bereits vorhandenen Vorrat entstammen, im Auge hätte und über die Produktion und die Bildung der Preise der Produktionsmittel nichts auszusagen wisse. Der Vorwurf ist unberechtigt. Die Sätze der elementaren Preislehre, die an diesem Gedankenbild aufgezeigt werden, gelten für alle Tauschakte ohne Unterschied. Dass die Käufer der Produktionsmittel nach Marktschluss und Erreichung des Ruhezustandes an die Produktion schreiten und dass sie daher bald wieder auf dem Markte erscheinen werden, um ihre Produkte abzusetzen und die Güter zu erwerben, die sie für ihren eigenen Haushalt und für die Fortsetzung der Produktionstätigkeit benötigen, stört unser Gedankenbild nicht. Dass der Ruhezustand des Marktes durch Änderung der Verhältnisse, die die Wertungen der Einzelnen gestalten, bald wieder verloren gehen wird, ist mit dem Gedankenbild durchaus verträglich.

Das Gedankenbild des im Ruhezustand befindlichen Marktes ist keine Fiktion. Es ist der adäquate begriffliche Ausdruck für das, was sich im Marktgetriebe immer wieder einstellt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Gedankenbild des einfachen Ruhezustandes von dem des endlichen Ruhezustandes.

Im Gedankenbild des einfachen Ruhezustandes betrachten wir den Markt nur so, wie er sich in einem flüchtigen Augenblick der Betrachtung bietet. Wir fassen das ins Auge, was sich gerade begeben hat, und sehen davon ab, unsere Aufmerksamkeit auch dem zuzuwenden, was sich morgen und später noch begeben wird. Wir wollen eben nur Preise erklären, die schon gezahlt wurden; das sind die Preise des jüngst verflossenen [237] Augenblicks. Wir fragen nicht darnach, ob die Preise der nächsten Zukunft diesen Preisen gleichen oder von ihnen abweichen werden.

Nun aber wollen wir weitergehen. Wir beziehen einen Tatbestand in unsere Betrachtung ein, der zu Veränderungen der Preise in der Zukunft führen muss, und suchen zu bestimmen, wie weit diese Veränderungen gehen werden, ehe sich ein Zustand einstellen wird, in dem die Wirkung dieses ins Auge gefassten Tatbestandes auf die Preisgestaltung erschöpft sein wird. Den Preis, der diesem Zustand entsprechen wird, wollen wir den endlichen Preis und den Zustand selbst den endlichen Ruhezustand nennen [126] . Der endliche Ruhezustand ist ein Gedankenbild, dem die Wirklichkeit nie entspricht. Denn noch ehe der endliche Ruhezustand erreicht sein wird, werden neue Tatbestände aufgetreten sein, die neue Preisbewegungen auslösen müssen. Was uns berechtigt und nötigt, uns des Gedankenbildes des endlichen Ruhezustandes zu bedienen, ist der Umstand, dass wir zu erkennen haben, dass der Markt in jedem Augenblick einem endlichen Ruhezustand zustrebt. Jeder spätere Augenblick kann neue Tatbestände bringen, die diesen endlichen Ruhezustand verändern; doch der Markt ist immer auf dem Wege zu einem endlichen Ruhezustand.

Der Marktpreis ist eine reale Erscheinung; er ist ein Preis, zu dem auf dem Markte wirklich Umsätze vollzogen wurden. Der endliche Preis aber ist ein gedachter Preis, zu dem vielleicht niemals Umsätze erfolgen werden. Wir würden aber unsere Aufgabe in unzulässiger Weise verengen, wenn wir uns auf die Betrachtung des Marktpreises beschränken wollten. In der Marktlage, die den von uns betrachteten Marktpreis hervorgebracht hat, sind latent schon Kräfte wirksam, die, wenn nicht neue Daten auftreten, solange zu Veränderungen der Preise treiben werden, bis der endliche Preis und damit der endliche Ruhezustand erreicht sein wird. Wir würden die Marktlage nicht vollkommen erfassen, wenn wir uns darauf beschränken wollten, unsere Aufmerksamkeit allein dem einfachen Ruhezustand und dem Marktpreis zuzuwenden, und nicht beachten wollten, dass schon auf diesem Markte Kräfte wirksam sind, die Preisbewegungen auslösen müssen.

Der Tatbestand, mit dem wir es hier zu tun haben, ist der, dass die Wirkungen einer Veränderung in den die Preisgestaltung bestimmenden Faktoren nicht sofort mit einem Schlage auftreten, dass vielmehr eine größere oder geringere Spanne [238] Zeit verstreichen muss, ehe die Wirkung erschöpft ist. Zwischen dem Auftreten eines neuen Datums und der vollkommenen Anpassung des Marktes, an diese Veränderung liegt immer ein Zeitraum. Wenn wir von der Wirkung, die eine Datenänderung hervorrufen muss, sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass wir dabei verschiedene, zeitlich aufeinanderfolgende Wirkungen zu unterscheiden haben. Wir können zwar nichts Genaueres über das Ausmaß an Zeit, das beansprucht wird, sagen. Doch wir wissen, dass eine gewisse Zeit verstreichen muss, auch wenn sie mitunter so klein ist, dass man sie im praktischen Leben kaum beachtet.

Die Außerachtlassung des Zeitmoments hat das nationalökonomische Denken oft irregeführt. Man denke etwa an den Streit um die Wirkungen der Geldmengenveränderung. Die einen hatten nur den endlichen Preisstand im Auge, die anderen wieder nur die Preisgestaltung des unmittelbar auf die Geldmengenänderung folgenden Zeitpunktes. Beide erfassten den Tatbestand nicht vollkommen und gelangten daher zu falschen Schlüssen.

Das Gedankenbild des endlichen Ruhezustandes ist dadurch ausgezeichnet, dass es dem Zeitmoment Beachtung schenkt. Ihm steht ein drittes Gedankenbild gegenüber, das gerade durch die Ausschaltung des Zeitmoments charakterisiert wird. Es ist das das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft, das man in unzweckmäßigem und daher nicht empfehlenswertem Sprachgebrauch als das des statischen Zustands, des statischen Gleichgewichts oder des stationären Zustands zu bezeichnen pflegt. Man gestaltet das Bild einer Wirtschaft, in der alle Güter und Dienste stets die endlichen Preise erzielen; in diesem System werden immer wieder dieselben Produktionsprozesse in der Weise unternommen, dass die Güter höherer Güterordnungen diese Prozesse stetig in sich regelmäßig wiederholender Gleichheit der Art und Menge durchlaufen, bis sie schließlich als Genussgüter in die Hand der Verbraucher gelangen und verbraucht werden. In diesem System, das in beständiger Bewegung ist, wird der Ruhezustand des Marktes immer wieder in der gleichen Weise gestört und immer wieder neu in der gleichen Art erreicht. Alle Daten, auch die den Ruhezustand störenden Ursachen, sind konstant, und daher bleiben auch die Preise aller Güter und Dienstleistungen unverändert. Es werden immer wieder die gleichen Preise — man spricht da vom statischen Preis oder Gleichgewichtspreis — neu gebildet [127] .

[239]

Das Wesen dieser gedanklichen Konstruktion liegt in der Ausschaltung des Zeitmoments. Es ist daher zulässig, die Annahme der Abwesenheit von Veränderung der Daten fallen zu lassen. soweit dies mit der Ausschaltung der Zeitdifferenz verträglich scheint. Veränderung darf es im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft nur in Bezug auf Nachfrage und Angebot nicht geben. Doch man darf annehmen, dass Veränderungen erfolgen, die diese Daten unberührt lassen, also Veränderungen, die in der Weise vor sich gehen, dass ihre Wirkung auf die Gestaltung von Nachfrage und Angebot und somit auf die Preise kompensiert wird. Wir müssen das Gedankenbild nicht mit unsterblichen, nie alternden und keinen Nachwuchs zeugenden Menschen bevölkern. Wir dürfen annehmen, dass Menschen geboren werden, heranwachsen und sterben, wenn nur die Bevölkerungszahl und die Besetzung der einzelnen Altersklassen unverändert bleibt. Die Nachfrage nach den Gütern, deren Verbrauch an bestimmte Altersklassen gebunden ist, bleibt dann unverändert, auch wenn es nicht dieselben Menschen sind, von denen sie ausgeht.

In der Welt des wirklichen Handelns gibt es niemals einen Zustand, der dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft entspricht. Doch um die Veränderung der Daten und die ungleichmäßige Bewegung zu begreifen, muss man ihnen in Gedanken die Abwesenheit von Datenänderung und ungleichmäßiger Bewegung gegenüberstellen. Es ist daher falsch zu behaupten, dass man aus dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft nicht zum Erfassen der sich verändernden Wirtschaft zu gelangen vermag, und die Forderung zu stellen, die Wissenschaft möge von der Betrachtung der «Statik» zu der der «Dynamik» übergehen. Diese sogenannte statische Methode ist gerade das Werkzeug zum Studium der Veränderung. Man kann die Tragweite der Veränderung nur begreifen, wenn man sie mit der statischen Methode studiert, d.h. wenn man jede Veränderung gedanklich zuerst ausschaltet und wenn man dann unter der Annahme im Übrigen unveränderter Verhältnisse die Veränderung eines einzelnen Faktors isoliert ins Auge fasst. Man darf daher auch nicht naiv glauben, dass die Leistung, die wir vom Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft erlangen, umso vollkommener werde, je mehr sich die wirkliche Wirtschaft, die wir erfassen wollen, dem Gedankenbild im Hinblick auf die Abwesenheit von Veränderung nähert. Die statische Methode dient in gleichem Masse der Deutung aller Marktvorgänge ohne Rücksicht darauf, ob sie in einer sich heftiger oder weniger heftig verändernden Wirtschaft ablaufen.

[240]

Die Kritik, die am Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft geübt wurde, hat das Ziel verfehlt. Es ist ihr nicht gelungen, die Problematik dieses Gedankenbildes aufzudecken und die Gefahren zu zeigen, die seine unachtsame Verwendung mit sich bringen kann.

Handeln ist Veränderung, und Veränderung ist in der Zeit. Das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft setzt es sich aber zur Aufgabe, die Veränderung und damit die Zeit aus dem Handeln zu eliminieren. Seinen Annahmen gemäss bleiben alle Daten unverändert, die gleichen Vorgänge wiederholen sich immer wieder, das Heute gleicht dem Gestern und das Morgen dem Heute. Handeln ist Leben und Veränderung, hier aber soll es erstarren. Handeln ist wählen und vorziehen, hier soll es zum entseelten und entmenschlichten Mechanismus werden.

Das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft gibt uns eine wichtige Erkenntnis: es lässt uns das Wesen der Unternehmerfunktion und des Unternehmergewinns erfassen. Wenn wir annehmen, dass alle Daten unverändert bleiben und dass somit dem — notwendigerweise — auf die Zukunft gerichteten Handeln keine Unsicherheit anhaftet, haben wir den Unternehmer und das Unternehmerrisiko, Unternehmergewinn und Unternehmerverlust ausgeschaltet. Man hat das in wenig zweckmäßigem Sprachgebrauch in der Weise ausgedrückt, dass man sagte, der Unternehmergewinn sei kein statischer Einkommenszweig.

Das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft stellt die Erweiterung des Gedankenbildes des auf dem Markte erreichten Ruhezustandes dar, die das Studium der Probleme Unternehmer, Unternehmergewinn und Unternehmerverlust erforderte. Man darf es bedenkenlos verwenden, wenn man sich nur stets dessen bewusst bleibt, dass es keinem andern Zweck dient als dem, Ausgangspunkt und Endpunkt der Gedankengänge der statischen Methode zu bilden, die sich auf die Probleme der Unternehmungstätigkeit und des Unternehmerrisikos beziehen. Um die Bedeutung und Tragweite der Veränderung eines einzelnen Faktors zu erkennen, denken wir uns alles andere unverändert. Wir gehen von einem gedachten Zustand der Abwesenheit von Veränderung aller Faktoren, die die Preisbildung bestimmen, aus, nehmen dann an, dass die Veränderung eines Faktors allein diesen Zustand stört, und prüfen die Wirkungen dieser einen Veränderung bis zu dem Augenblicke, da sich ein neuer Zustand der Abwesenheit von Veränderung hergestellt hat.

Damit ist der Umkreis der Aufgaben, für die das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft verwendet werden darf, [241] genau umschrieben. Wo das Verhältnis von Preis und Kosten unser Problem bildet, dürfen und müssen wir mit ihm arbeiten. Darüber hinaus ist seine Verwendung nur mit ganz besonderer Vorsicht und unter beträchtlichen Einschränkungen zulässig.

Man muss sich vor dem Missverständnis hüten, als dächten wir daran, mit diesem Gedankenbild das Wesen eines Zustandes zu erfassen, in dem die die Gestaltung der Preise bestimmenden Faktoren durch eine gewisse längere oder kürzere — Zeit hindurch unverändert bleiben. Wir wollen nicht einen — längere oder kürzere Zeit anhaltenden — Zustand denken, sondern einen flüchtigen Augenblick der Abwesenheit von Veränderung und Veränderungswirkungen, der gleich wieder durch eine neue Veränderung der Daten — eben die eine, deren Wirkung wir durchdenken wollen — gestört werden wird. Das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ist eben nichts anderes als Ausgangspunkt eines Denkens mit der Annahme caeteris paribus . Um der Forderung sonst gleicher Umstände Genüge zu leisten, müssen wir annehmen, dass die einzelnen Veränderungen der Daten nie gleichzeitig auftreten und dass die Wirkung jeder Datenänderung vollkommen abgeschlossen ist und dass der Zustand der Gleichmäßigkeit wieder erreicht wurde, ehe eine neue Datenänderung auftritt.

Nur unter diesen Einschränkungen und nur zu dem bezeichneten Zwecke — Untersuchung des Verhältnisses von Preis und Kosten und damit des Unternehmerrisikos — dürfen wir von dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft Gebrauch machen. Wenn wir mehr in ihm sehen wollten als ein gedankliches Werkzeug zum Studium dieser Probleme, dann würden die Widersprüche offenkundig werden, die es unmöglich machen, es bis ans Ende durchzudenken. Man kann gleichmäßige Wirtschaft als dauernden Zustand nicht denken, weil in diesem Gedankenbild für den Antrieb des Handelns in der Marktwirtschaft, für die Unternehmerfunktion, kein Raum ist. Man kann aus dem Ablauf des Handelns in der Marktwirtschaft das Wirken von Unternehmern nicht ausschalten. Die verschiedenen komplementären Produktionsmittel können sich nicht von selbst, d.i. ohne das Walten des menschlichen Handelns, so zusammenfügen, dass die gebrauchs- und verbrauchsreifen Güter aus ihnen hervorgehen.

Die elementare Wert- und Preislehre muss ihre Sätze unter der Annahme entwickeln, als ob die wirtschaftlichen Güter und Dienste im direkten Tausche umgesetzt würden. Diese Annahme ist, wie schon gezeigt wurde, notwendig, um zu erkennen, dass in letzter Linie die Wertungen der Verbraucher über die [242] Austauschverhältnisse entscheiden. Sie ist zulässig, wenn man sich stets vor Augen hält, dass ein Markt ohne Geldgebrauch nicht funktionieren könnte, und wenn man es vermeidet, aus ihr irgendwelche Folgerungen für die Geldlehre abzuleiten.

Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft sind indirekter Tausch und Geldrechnung mitgedacht. Man hat es freilich unterlassen, die Voraussetzungen dieser Einrichtungen im Rahmen des Gedankenbildes klarzustellen. In einem System, in dem mit Veränderung nicht zu rechnen ist, birgt die Zukunft für den einzelnen Wirt keine Rätsel. Er bedarf keiner Kassenhaltung, weil er genau vorauszusehen vermag, welche Geldbeträge er jeweils benötigen wird. Er kann daher jeden Geldbetrag, den er einnimmt, sofort wieder anlegen, d.h. dermaßen verleihen, dass er ihm am Tage seines Bedarfs wieder rückerstattet wird. Wir wollen annehmen, dass ein Sachgeld, etwa Goldgeld, verwendet wurde. Mit der schrittweisen Annäherung des Systems an das Ideal der gleichmäßigen Wirtschaft haben die Wirte ihre Kassenhaltung verkleinert, und das damit freiwerdende Gold floss in die industrielle Verwendung ab. In dem Augenblick, in dem der Gleichgewichtszustand erreicht wird, gibt es im ganzen System überhaupt keine Kassenhaltung mehr. Die einzelnen Wirte verfügen über Geldforderungen an eine Zentralbank, die stets mit dem Betrage, den sie für sofortige Zahlungen benötigen, an den entsprechenden Tagen fällig werden. Die Zentralbank benötigt ihrerseits kein Geld, um ihren Verpflichtungen pünktlich nachzukommen, da die tägliche Summe der Auszahlungen an ihre Kunden der der Einzahlungen der Kunden die Wage hält und alle Umsätze im Wege der Abrechung glatt durchgeführt werden können, ohne dass Spitzen entstehen, die durch Bargeld beglichen werden müssten. Das «Geld» dieses Systems ist daher in Wahrheit kein Geld, kein allgemein gebräuchliches Tauschmittel, sondern ein ideelles Umsatz- und Verrechnungsmittel von dem Charakter, den die Phantasie vieler nationalökonomischer Schriftsteller und der meisten Laien irrtümlicherweise dem Gelde zuschreiben wollte. Seine Verwendung und sein Dazwischentreten ändern nichts an den Austauschverhältnissen, es ist den Wirtschaftakten gegenüber durchaus neutral. Es ist kein Geld mehr, es ist ein unwirkliches und selbst dem Denken widerspruchsvoll erscheinendes Hilfsmittel eines unrealisierbaren Rechnens. Im Bilde der gleichmäßigen Wirtschaft mit ihrer Starrheit aller ökonomischen Daten und aller Austauschverhältnisse darf das neutrale Geld stabiler Kaufkraft nicht fehlen, wie es anderseits nur in diesem Bild denkbar ist.

[243]

Man kann durch das Operieren mit diesem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft manches lernen, das man auf andere Weise nicht begreifen könnte, doch man muss es richtig zu handhaben verstehen. Dass es nur ein Gedankenbild ist, dem das Handeln und das Wirtschaften in der Marktwirtschaft nie gleichen kann, dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren. Das Handeln im Rahmen des Gedankenbilds stellt einen Grenzfall dar, in dem Handeln in Nichthandeln übergeht und bewusstes Verhalten und automatisches Reagieren verschwimmen. In dieser Vereinigung von logisch Unverträglichem liegt der innere Widerspruch unserer Konstruktion; hier lauern Gefahren für die Richtigkeit und Zulässigkeit unserer Schlussfolgerungen. Wir können diesen Gefahren nur ausweichen, wenn wir begreifen, dass wir nur die Kräfte zu beachten haben, die in jedem Handeln auf die Herbeiführung eines Zustandes gerichtet sind, der dem der gleichmäßigen Wirtschaft entspricht, dass aber das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft selbst nur als Grenzfall zu denken ist. Nutzloses Gedankenspiel ist es, den Gleichgewichtszustand des Systems durch Gleichungen zu beschreiben, und irreführend ist es, aus solchen Beschreibungen, ob sie nun in mathematischer oder anderer Sprache ausgedrückt werden, Folgerungen für das Handeln ziehen zu wollen.

VI. Das Gedankenbild der stationären Wirtschaft

Man hat das Gedankenbild der stationären Wirtschaft oft mit dem der gleichmäßigen Wirtschaft identifiziert. In der Tat aber handelt es sich da um zwei verschiedene Vorstellungen.

Die stationäre Wirtschaft ist eine Wirtschaft, in der die Durchschnitte von Reichtum und Einkommen der einzelnen Wirte unverändert bleiben. Mit dieser Vorstellung sind Veränderungen vereinbar, die im Bilde der gleichmäßigen Wirtschaft den Annahmen widersprechen würden. Die Bevölkerung mag wachsen oder abnehmen, wenn dieser Veränderung Wachstum oder Abnahme der Gütermenge entspricht. Die Richtung der Nachfrage mag wechseln, wenn dieser Wechsel so langsam vor sich geht, dass man Kapital aus einem Produktionszweig in den andern in entsprechendem Ausmaße dadurch übertragen kann, dass man den Ersatz der in der Produktion aufgebrauchten Kapitalgüter statt in dem einzuschränkenden Produktionszweig in dem zu erweiternden vornimmt.

Dem Bilde der stationären Wirtschaft stehen die Bilder der fortschreitenden und der zurückgehenden (schrumpfenden) Wirtschaft gegenüber. In jener wächst der Durchschnitt des [244] Reichtums und des Einkommens der einzelnen Wirte, in dieser nimmt er ab [128] .

Das Missliche an diesen Gedankenbildern ist, dass sie strenge nur gedacht werden könnten, wenn ein Maßstab für die Größe von Reichtum und Einkommen zur Verfügung stünde. Das Fehlen dieser Voraussetzung schränkt ihre Verwendbarkeit für Gedankengänge der nationalökonomischen Theorie stark ein. Sie spielen eine große, doch mitunter recht problematische Rolle in wirtschaftsgeschichtlichen und wirtschaftspolitischen Erörterungen.

VII. Das Problem einer nationalökonomischen Dynamik

Da man zur Bezeichnung der gleichmäßigen Wirtschaft den Ausdruck Statik (statische Wirtschaft) verwendet, konnte es nicht ausbleiben, dass die Forderung erhoben wurde, man müsse der nationalökonomischen Statik eine nationalökonomische Dynamik gegenüberstellen. Man hat sich aber nie klargemacht, was diese Dynamik eigentlich sein sollte. Die Veränderung der Daten kommt und wirkt von außen auf das System der gleichmäßigen Wirtschaft, um es aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wie sich das neue Gleichgewicht, das den neuen Daten entspricht, wieder herstellt, lehrt uns die statische Methode selbst; darin gerade erblickt sie ihre vornehmste Aufgabe.

Für eine nationalökonomische Dynamik bleibt sohin kein Raum, es sei denn, man belegt mit diesem Namen alles, was wir an nationalökonomischem Wissen besitzen. Wie es wenig empfehlenswert ist, von nationalökonomischer Statik zu sprechen, so ist es auch nicht zweckmäßig, dieser Statik eine besondere Dynamik gegenüberzustellen. Alles, was die Wissenschaft vom Handeln zu sagen hat, ist Lehre von Veränderungen und hätte in diesem Sinne Anspruch auf die Bezeichnung Dynamik. Die Gedankenbilder des einfachen und des endlichen Ruhezustandes, der gleichmäßigen Wirtschaft und der stationären Wirtschaft sind nur Vorarbeit für die Erfassung von Bewegungen und Veränderungen. Das Verfahren aber, dessen sich die Lehre von den Veränderungen der Daten und den durch sie ausgelösten Handlungen bedient, ist kein anderes als das statische: man geht darauf aus, zu erkennen, wie der neue Ruhezustand und das neue Gleichmass des Ablaufs sich wieder herstellen müssten.

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VIII. Das Gedankenbild der funktionell gegliederten Marktwirtschaft

Wenn die Menschen in ihrem Handeln und Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftsbeschreibung und Wirtschaftsstatistik in der Betrachtung fremden Handelns von Unternehmern, Kapitalisten, Grundbesitzern, Arbeitern und Verbrauchern sprechen, bedienen sie sich idealtypischer Begriffe. Wenn die Nationalökonomie von Unternehmern, Kapitalisten, Grundbesitzern, Arbeitern und Verbrauchern spricht, hat sie nationalökonomische Kategorien im Auge, nicht aber Idealtypen. Die Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer, Arbeiter und Verbraucher, von denen sie spricht, sind nicht Menschen, wie man ihnen im Leben und in der Geschichte begegnet, sondern die Verkörperung von Funktionen im Ablauf der Marktvorgänge. Dass die historischen Wirtschaftswissenschaften für ihre Arbeit die Ergebnisse der nationalökonomischen Theorie verwerten müssen und dass sie ihre Idealtypen mit Hilfe der Kategorien des praxeologischen Denkens zu bilden haben, ändert nichts daran, dass der logische Charakter der praxeologischen Kategorie von dem des Idealtypus durchaus verschieden ist. Die praxeologischen Kategorien beziehen sich auf abstrakt gedachte Funktionen, die idealtypischen Figuren beziehen sich auf Menschen, die in der geschichtlichen Gegebenheit gelebt und gewirkt haben. Diese Menschen sind nie bloß die Verkörperung einer Funktion. Sie sind nicht nur notwendigerweise niemals bloß Unternehmer, Kapitalisten, Grundeigentümer oder Arbeiter, sondern zugleich auch Verbraucher. Sie sind in vielen Fällen auch nicht bloß Grundeigentümer, sondern zugleich auch Unternehmer, Kapitalisten oder Arbeiter, u.s.w. Doch das sind Probleme, die vor allem die Geschichtsforschung und die Politik angehen; für die Nationalökonomie sind sie weniger wichtig. Die Problematik der nationalökonomischen Kategorien ist von der der Idealtypen verschieden, mag sie auch einer oberflächlichen Betrachtung identisch oder ähnlich erscheinen. Das nationalökonomische Problem der Sonderung der Funktionen ist von dem geschichtlichen Problem der Sonderung verschiedener Menschengruppen grundverschieden. Das wird am nationalökonomischen Unternehmerbegriff am deutlichsten.

Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ist für den Unternehmer kein Platz, weil wir aus diesem Gedankenbild jede Veränderung der Daten, die die Preisgestaltung beeinflussen könnte, ausgeschaltet haben. Lassen wir diese Annahme der Starrheit der Daten fallen, dann erkennen wird, dass jedes Handeln durch die Veränderung der Daten und durch die durch [246] sie bewirkten Preisveränderungen berührt wird. Da alles Handeln auf die Zukunft gerichtet ist, mag es auch mitunter nur die allernächste Zukunft sein, wird es durch alle Veränderungen der Daten, die in der Zeitspanne zwischen seinem Einsatz und seiner Auswirkung eintreten, berührt. Jedes Handeln ist in diesem Sinne Spekulation; der Erfolg jedes Handelns wird durch die Veränderung der Daten beeinflusst. Das gilt für Robinson, den hypothetischen isolierten Wirt, geradeso wie für jeden Wirt in der Marktwirtschaft oder für die Wirtschaft eines sozialistischenGemeinwesens. Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ist niemand Unternehmer, in jeder anderen Wirtschaft sind alle Wirte notwendigerweise Unternehmer und Spekulanten.

Wenn wir in der Nationalökonomie von Unternehmern sprechen, meinen wir nicht Menschen, die sich von den anderen Menschen dadurch unterscheiden, dass sie im Marktgetriebe eine besondere Funktion erfüllen, sondern eine Funktion, die jeder Wirt auf sich nehmen muss. Wir isolieren und personifizieren diese Funktion, indem wir vom Unternehmer sprechen. Man kann die Unternehmerfunktion, das heißt die Ausrichtung des Handelns auf eine Zukunft, die von der Gegenwart verschieden sein kann, nicht von den Funktionen des Eigentümers der produzierten und der ursprünglichen sachlichen Produktionsmittel und von den Funktionen des Arbeiters sondern, weil auch diese Funktionen nicht außerhalb des Zeitablaufs und der Veränderungen, die ihn begleiten, gedacht werden können.

Versuchen wir den Unternehmer gesondert zu denken. Dieser Unternehmer ist mittellos. Die für die Durchführung der Erzeugungsverfahren benötigten Mittel werden ihm von den Kapitalisten in Geldform, als Geldkapital, leihweise überlassen; wenn er auch dann mit diesem geborgten Geld die sachlichen Produktionsmittel kauft, somit im Sinne der Rechtsordnung ihr Eigentümer wird, bleibt er vermögenslos, weil diesem Besitz der Betrag seiner Schulden gegenübersteht. Hat die Unternehmung Erfolg und wird Unternehmergewinn erzielt, dann fließt dieser Gewinn ihm zu. Führt aber das Unternehmen zu Misserfolg, dann muss der Verlust, den der vermögenslose Unternehmer nicht tragen kann, von denen getragen werden, die ihm die Mittel leihweise zur Verwendung in der Produktion zur Verfügung gestellt haben. Ein solcher Unternehmer wäre ein Angestellter der Kapitalisten, der für sie spekuliert und am Gewinn der Geschäfte mit 100 %, am Verlust aber gar nicht beteiligt ist. Doch auch dann, wenn der Unternehmer einen Teil des Unternehmungskapitals selbst beigestellt und nur einen Teil von den Kapitalisten als Darlehen [247] empfangen hat, liegen die Dinge grundsätzlich nicht anders. Wenn die durch verfehlte Spekulation erlittenen Verluste aus dem Vermögen des Unternehmers nicht mehr gedeckt werden können, müssen sie von den Kapitalisten getragen werden, wie auch immer das Rechtsverhältnis zwischen ihnen und dem Unternehmer beschaffen sein mag. Sie sind immer auch Unternehmer und tragen immer auch Unternehmerrisiko.

Die Unternehmerfunktion liegt im Einsatz der Produktionsmittel für die Produktion, somit für die Zukunft, und das Unternehmerrisiko entstammt der Ungewissheit, die über die künftige Marktlage herrscht. Dieses Risiko ist von der Produktion und von der Verfügung über die Produktionsmittel nicht zu trennen. Der Eigentümer d.h. der Wirt, der über sachliche Produktionsmittel verfügt, muss es tragen, weil der Wert aller Produktionsmittel vom Markte bestimmt wird und durch Änderung der Marktlage erhöht oder gesenkt wird. Auch wenn er sein Vermögen in Geldforderungen gegen Unternehmer anlegt, wird er des Risikos nicht ledig; sein Risiko ist nun mit der Gestaltung der Kaufkraft des Geldes und mit der Zahlungsfähigkeit des Schuldners verknüpft. Das Risiko des Grundeigentümers ist mit dem Schicksal des Bodens verbunden; für den isolierten, selbstgenügsam wirtschaftenden Wirt ist es von allem abhängig, was die Ertragsfähigkeit und den Ertrag des Bodens und die Bedeutung der Bodenfrüchte für seine Versorgung beeinflusst; für den in die Marktwirtschaft verflochtenen Bodeneigentümer überdies auch noch von allen Umständen, die die Bedeutung des ihm gehörenden Grundstücks für die Versorgung des Marktes berühren. Kein Eigentum kann den Eigentümer von der Einwirkung der Veränderungen befreien, die die Zukunft bringen kann. Jede Anlage ist Spekulation, das ist Bindung an die Erwartung eines im Voraus nicht erkennbaren künftigen Geschehens.

Doch auch für den Arbeiter, d.i. für den Besitzer von Arbeitskraft steht es nicht anders. Seine angeborenen Kräfte und Fähigkeiten werden vom Markte je nach den wechselnden Verhältnissen verschieden bewertet. Er ist schon durch das Erbgut mit dem ihn seine Ahnen ausgestattet haben, Besitzer eines spezifischen Produktionsmittels, das für manche Verwendung besser, für manche Verwendung weniger gut, für manche gar nicht brauchbar ist [129] . Ist er aber gelernter Arbeiter, hat er durch Aufwendung sachlicher Produktionsmittel und eigener Arbeit, besondere Eignung für die Verrichtung bestimmter [248] Arbeiten erworben, dann ist er in der Lage eines Unternehmers, der Aufwendungen gemacht hat, die der Erfolg lohnen soll. Die Abhängigkeit des Lohns von der Gestaltung des Marktes ist das Unternehmerrisiko des Arbeiters. Die Nachfrage nach den Arbeiten, die er zu leisten vermag, kann steigen oder fallen wie die Nachfrage nach jedem andern Gut höherer oder niederer Ordnung.

Wenn die Nationalökonomie vom Unternehmer spricht, dann hat sie den Wirt im Hinblick auf die Veränderungen der Marktlage im Auge. Wenn sie vom Kapitalisten und vom Grundbesitzer spricht, dann hat sie den Wirt im Hinblick auf die Wertveränderungen im Auge, die sich auf dem Markte auch ohne Veränderung der Daten und der Marktlage im bloßen Ablauf der Zeit durch die Verschiedenheit in der Schätzung der Befriedigung in gleichlangen Zeitabschnitten der näheren und der ferneren Zukunft ergeben. Wenn sie vom Arbeiter spricht, dann hat sie den Wirt als Verkäufer von Arbeitsleistung im Auge. Wenn die Nationalökonomie so vorgeht, dann hat sie die Marktwirtschaft funktionell gegliedert; jede Funktion erscheint in einem besonderen Träger verkörpert [130] . Der Unternehmer erzielt Unternehmergewinne oder erleidet Unternehmerverluste, der Eigentümer von Produktionsmitteln bezieht Urzins, der Arbeiter empfängt Lohn. Diese Kategorisierung ist von der Idealtypik der Geschichte logisch streng zu unterscheiden.

Die Nationalökonomie bedient sich jedoch des Ausdrucks Unternehmer noch in einem andern Sinne als in dem, der ihm im Gedankenbild der funktionell gegliederten Marktwirtschaft zukommt. Sie bezeichnet als Unternehmer auch jene Wirte, die es sich zur besonderen Aufgabe machen, aus den Veränderungen der Marktlage zu profitieren, jene unternehmenderen Wirte, die, weiterblickend und wagemutiger als die anderen Wirte, besonders darauf bedacht sind, Unternehmergewinne zu erzielen. Von dem Unternehmerbegriff, der dem Gedankenbilde der funktionell gegliederten Marktwirtschaft eingefügt ist, unterscheidet sich dieser Begriff durch den engeren Umfang; er schließt viele Wirte nicht ein, die jener umfasst. Er kann auch nicht streng als praxeologischer Begriff abgegrenzt werden. Dennoch kann die Nationalökonomie auf ihn nicht verzichten. Denn er bezieht sich auf einen Tatbestand, der allem Handeln in der Marktwirtschaft als Datum gesetzt ist, und dem man in der Behandlung aller nationalökonomischen Probleme Rechnung zu tragen hat. Das ist der Tatbestand, dass die einzelnen Wirte [249] auf die Veränderung der Daten nicht gleichzeitig und nicht in der gleichen Weise reagieren. Die natürliche (angeborene) und die durch die Verschiedenheit der im Leben gemachten Erfahrungen und erlittenen Schicksale erworbene Ungleichheit der Einzelnen tritt auch hierin hervor. Es gibt Menschen, die sich schneller und besser den Veränderungen der Marktlage anzupassen wissen, es gibt auch auf dem Markte unter den Wirten solche, die vorausschreiten, und solche, die nachfolgen; es gibt auch hier Führer und Geführte. Das Getriebe der Marktwirtschaft wird durch die unternehmenderen Wirte, die man kurz die Unternehmer nennt, in Gang gesetzt und in Gang erhalten.

Man kann diesen allgemein üblichen Sprachgebrauch, der mit dem einen Ausdruck Unternehmer drei verschiedene Begriffe bezeichnet — den Unternehmer als Idealtypus der geschichtlichen Wissenschaften und der Politik, den Unternehmer als Verkörperung einer Funktion. im Gedankenbild der funktionell gegliederten Marktwirtschaft und den Unternehmer im Sinne: unternehmenderer Wirt — ohne Bedenken beibehalten. Es ist nicht zu befürchten, dass er Missverständnisse hervorruft.

Die Unternehmerfunktion in der stationären Wirtschaft

Von der Unternehmerfunktion, wie sie unser Gedankenbild der funktionell gegliederten Marktwirtschaft umschreibt, ist die Funktion der Leitung des Produktionsprozesses nicht zu trennen. Der Produktionsprozess ist Verwendung der Produktionsmittel im Hinblick auf künftigen Bedarf, er ist somit Spekulation auf die immer ungewisse Zukunft, er ist Bindung der verfügbaren Produktionsmittel an die erwartete Bedürfnisgestaltung. Was auch immer heute für künftigen Bedarf vorgekehrt werden mag, ist Spekulation und Einleitung eines Ablaufs, aus dem Unternehmergewinne oder Unternehmerverluste entstehen können. Die Produktion führt in die ungewisse Zukunft, jede Verfügung über die Verwendung von Produktionsmitteln ist Spekulation.

Durch das Termingeschäft kann dem Unternehmer ein Teil seines Unternehmerrisikos abgenommen werden. Soweit ein Unternehmer terminmäßige Deckungsgeschäfte durchführt, hört er auf, Unternehmer zu sein, und die Unternehmerfunktion geht auf seinen Gegenpartner über. Der Baumwollspinner, der zugleich mit dem Ankauf der Rohbaumwolle die gleiche Menge Baumwolle auf Zeit verkauft, hat die Verlustgefahr, die ihm aus einem möglichen Rückgang des Baumwollpreises droht, ebenso ausgeschaltet, wie er sich der Aussicht, durch Steigen des Baumwollpreises zu gewinnen, begeben hat. Er hört darum nicht ganz auf, Unternehmer zu sein. Ihm bleibt das Risiko, das die Erzeugung von Garnen mit sich bringt; Veränderungen des Garnpreises im allgemeinen oder der von ihm erzeugten Garnnummern und Garnqualitäten, die nicht Veränderungen des Baumwollpreises entsprechen, berühren ihn und nicht seinen Partner auf dem Terminmarkte. Auch der nur in Lohn arbeitende Verarbeiter, der das Rohmaterial vom Auftraggeber erhält und gegen einen vereinbarten Lohn zu veredeln hat, ist noch immer insofern [250] Unternehmer, als ihm das Risiko bleibt, das mit der Anlage seiner Mittel in einem bestimmen Betrieb verbunden ist.

Denken wir uns in einer stationären Wirtschaft alle Bedingungen, die für die Ausbildung des Zeithandels erforderlich sind, für jede Ware und Dienstleistung gegeben, so hätten wir eine Wirtschaft vor uns, in der die Unternehmerfunktion — das Spekulationsrisiko — scharf von der technischen Führung der Produktion und von allen übrigen katallaktischen Funktionen geschieden werden kann. Die Unternehmerfunktion würden hier nur die ausüben, die sich mit dem Terminhandel befassen. Alle übrigen wären von dem Wechsel der Marktlage unabhängig; sie würden von den Unternehmern — den Spekulanten des Terminmarktes — gegen alle Gefahren, die die Schwankungen der Marktlage mit sich bringen können, gedeckt sein. Denken wir, was freilich widerspruchsfrei nicht zu denken ist, das Geld in der stationären Wirtschaft neutral, dann gibt es kein Risiko, das an den Besitz von Geld und Geldforderungen geknüpft wäre. Zahlungsunfähigkeit der Gegenspieler auf dem Terminmarkte ist nicht zu befürchten, wenn man sich alle Termingeschäfte bei einer Aktiengesellschaft vereinigt denkt. Bei dieser Gesellschaft müssen sich in der stationären Wirtschaft Gewinne und Verluste die Wage halten, so dass sie nicht zahlungsunfähig werden kann.

Dass wir in der stationären Wirtschaft die Unternehmerfunktion von den übrigen Funktionen auf diesem Wege scharf und rein zu sondern vermögen, ist dem Umstande zuzuschreiben, dass unseren Annahmen gemäss Unternehmergewinn und Unternehmerverlust sich hier die Wage halten müssen. An der grundsätzlichen Unmöglichkeit scharfer Sonderung der Funktionen in einem System, das diesen nicht realisierbaren Annahmen nicht entspricht, wird damit nichts geändert.

 


 

2. KAPITEL: DIE STEUERUNG DES HANDELNS DURCH DEN MARKT

I. Das Wesen der Marktwirtschaft.

Die Marktwirtschaft ist durch zwei Elemente gekennzeichnet: es besteht Sondereigentum an den Produktionsmitteln und Arbeitsteilung. Jeder handelt für sich, doch jedermanns Handeln ist mittelbar auch auf die Erfüllung der Zwecke der anderen Handelnden gerichtet. Jedes Handeln wird dadurch zu einem Mithandeln, jedermann dient handelnd seinen mithandelnden Genossen. Jeder gibt, um zu empfangen; jeder dient um bedient und bedankt zu werden. Jeder ist Zweck und Mittel zugleich: Zweck sich selbst und Mittel allen anderen zur Erreichung ihrer Zwecke.

Die Steuerung dieses Körpers erfolgt durch den Markt. Der Markt weist dem Handeln der Einzelnen die Wege und lenkt es dorthin, wo es den Zwecken seiner Mitbürger am nützlichsten [251] werden kann. Das marxistische Schlagwort von der «Anarchie der Produktion» erinnert daran, dass in der Marktwirtschaft kein Zwingherr waltet, der jedem Einzelnen eine Aufgabe zuteilt, und über ihre Ausführung wacht. Jeder ist frei, niemand hat einen Herrn über sich. Doch wenn auch frei, dient jeder allen. Auch ohne dass man ihn zwingt, muss jeder seine Aufgabe erfüllen. Der Markt lenkt, der Markt bringt in das Getriebe Sinn und Ordnung.

Unternehmer, Kapitalisten, Grundeigentümer, Arbeiter werden durch das Spiel des Marktes zu den Leistungen getrieben, die die Verbraucher von ihnen begehren, und diese Verbraucher sind wieder dieselben Unternehmer, Kapitalisten, Grundeigentümer, Arbeiter. Der isolierte Wirt der geschlossenen Hauswirtschaft ist Unternehmer, Kapitalist, Grundeigentümer und Arbeiter zugleich und verbraucht das Produkt seiner Tätigkeit selbst. In der arbeitteilenden Gesellschaft spaltet sich das Handeln in das Erzeugen und Verkaufen des Produkts und in das Einkaufen des für den eigenen Verbrauch und Gebrauch Benötigten. Wie nicht jeder Brot und Kleidung für seinen eigenen Bedarf erzeugt, wie es Müller und Bäcker, Tuchmacher und Schneider gibt, so ist auch nicht mehr jeder Eigentümer von Produktionsmitteln. Wie das Getriebe des Marktes jeden in den Produktionszweig drängt, in dem seine Arbeit dem Verbrauche die besten Dienste zu leisten vermag, so wird die Verfügung über die Produktionsmittel durch das Getriebe des Marktes in die Hände jener geleitet, die mit ihnen am besten umzugehen vermögen, d.i. jener, die es verstehen, sie der Verwendung zuzuführen, in der sie den Wünschen der Verbraucher in zweckmäßigster Weise dienen. So stellt sich uns die Marktwirtschaft dar als Arbeitsteilung, die nicht nur verschiedene Produktionsgruppen, sondern in einem begrenzten Ausmaß auch verschiedene Produktionsfunktionen verselbständigt hat; alle diese Teile werden durch den Markt zu einer Einheit.

Markt ist die Gesamtheit der Austauschbeziehungen der Glieder einer arbeitteilenden, auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist streng zu unterscheiden von der zweiten denkbaren Gestalt arbeitteilender Produktion: von der auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden — sozialistischen — Wirtschaft, die man heute auch als Planwirtschaft bezeichnet. Wenn in dem Rahmen einer im Übrigen auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaft einzelne Produktionsmittel in Gemeineigentum stehen, wird das System darum noch nicht ein Mischsystem, das Sozialismus und Sondereigentum verbindet. Denn wenn nur einzelne [252] Unternehmungen im Gemeineigentum stehen, die übrigen aber im Sondereigentum, bleiben die für das Handeln wesentlichen Merkmale der Marktwirtschaft unberührt; auch die im Gemeineigentum stehenden Unternehmungen müssen sich als Käufer (von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Arbeit) und als Verkäufer (von Waren oder Diensten) in das Getriebe der Marktwirtschaft einordnen; sie sind dem Gesetze des Marktes untertan, sie müssen, um sich zu behaupten, trachten, Gewinne zu erzielen oder zumindest keine Verluste zu erleiden. Wenn versucht wird, diese Abhängigkeit dadurch zu mildern oder auszuschalten, dass Betriebs- und Kapitalsverluste solcher Unternehmungen durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden, so gelingt damit nur eine Überwälzung der Abhängigkeit auf eine andere Stelle. Denn die Mittel für die Zuschüsse müssen irgendwie aufgebracht werden. Die Aufbringung mag durch die Eintreibung von Zwangsabgaben erfolgen; darin, dass die Belastung durch diese Abgaben sich auf dem Markte auswirken muss, dass nicht der die Steuer einhebende Staat, sondern das Getriebe des Marktes darüber entscheidet, wen die Steuer in letzter Linie belastet und wie sie auf Erzeugung, Güterversorgung, Kapitalgebarung und Einkommensbildung wirkt, kommt die Herrschaft des Marktes und die Unentrinnbarkeit seiner Gesetze auch hier zur Geltung.

Die Marktwirtschaft ist somit von anderen denkbaren Ordnungen gesellschaftlicher (arbeitteilender) Produktion streng unterscheidbar. Wir haben Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, d.i. Sozialismus (Kommunismus, Planwirtschaft oder wie man es sonst nennen mag) auf der einen Seite und Sondereigentum an den Produktionsmitteln, d.i. Marktwirtschaft (Verkehrswirtschaft, Kapitalismus) auf der andern Seite. Nichts, was mit dem Getriebe der Marktwirtschaft verbunden ist, kann als Sozialismus oder als ein Stück Sozialismus im praxeologischen Sinne bezeichnet werden. Staats- und kommunalsozialistische Einrichtungen und Betriebe im Rahmen eines kapitalistischen Gemeinwesens und der sowjetrussische Kommunismus sind dadurch, dass sie auf Märkten kaufen und verkaufen, dem kapitalistischen System verbunden. Sie geben selbst dieser Verbundenheit dadurch Ausdruck, dass sie in Geld rechnen und damit den geistigen Charakter des von ihnen grundsätzlich abgelehnten Systems übernehmen.

Denn die Geldrechnung ist das geistige Fundament der Marktwirtschaft. Die Aufgaben, die das Handeln in jedem denkbaren System arbeitteilender Produktion zu lösen hat, lassen sich ohne Wirtschaftsrechnung nicht bewältigen. Die Marktwirtschaft rechnet in Geld, und dass sie es kann, hat ihr [253] Werden und ihre Entfaltung ermöglicht und ermöglicht heute ihr Wirken. Dass die Marktwirtschaft wirklich ist, und dass Sozialismus nur ein Gedankenspiel vorstellt, ist allein diesem Umstand zuzuschreiben.

II. Kapitalrechnung und Kapital; Realkapital und Geldkapital

Das geistige Werkzeug der Marktwirtschaft ist die Geld- und Kapitalrechnung. Der Grundbegriff der Geld- und Kapitalrechnung ist der Begriff des Kapitals.

Als Kapital werden in der Geld- und Kapitalrechnung die Mittel den Zwecken gegenübergestellt. Der rechnende Wirt zieht einen Trennungsstrich zwischen den Genussgütern, die er gebrauchen und aufbrauchen will, weil ihre Aufwendung ihn unmittelbar befriedigt, und zwischen den wirtschaftlichen Gütern aller Güterordnungen — also auch denen erster Ordnung [131] , — die er verwenden will, um für die spätere Zeit durch weiteres Handeln vorzusorgen. Die Unterscheidung von Mittel und Zweck wird zur Unterscheidung von Beschaffung und Verzehr, von Erwerb und Verbrauch, von Erwerbsvermögen und Gebrauchs- und Verbrauchsvermögen, von Betrieb (Produktionswirtschaft) und Haushalt (Aufwandwirtschaft). Die Gesamtheit des dem Erwerb gewidmeten Bestandes an wirtschaftlichen Gütern wird in Geld bewertet und als Kapital vom Verbrauchsvermögen unterschieden. Als nächstes Ziel des Handelns und Wirtschaftens erscheint dann dem einzelnen Wirt die Erhaltung und Mehrung seines Kapitals. Die Aufgabe der Kapitalrechnung ist es nun, festzustellen, ob und in welchem Ausmaße dieses Ziel erreicht wurde.

Der Begriff des Kapitals entstammt der Kapitalrechnung, die immer Geldrechnung ist. Kapital ist daher zunächst Geldkapital: die in Geld ausgedrückte Summe des Wertes aller dem Erwerb gewidmeten Güter (einschließlich der dem Erwerbe dienenden Beträge an Geld). Als Geldkapital, als eine Geldsumme tritt Kapital in den Überlegungen der Handelnden auf; als Geldkapital erscheint es in der Wirtschaftsrechnung der kaufmännischen Bücher, Kalkulationen und Bilanzen. Es ist die wissenschaftliche Lehre der Nationalökonomie, die dem Begriffe des Geldkapitals einen zweiten Kapitalsbegriff gegenüberzustellen sucht, den des Realkapitals. Als Realkapital erscheinen alle jene Güter, die nicht für die Verzehrung in der [254] Aufwandswirtschaft bestimmt sind, sondern der Verwendung in der Erwerbswirtschaft gewidmet wurden. Vom Gelde wird dabei abgesehen.

Die Bildung des Begriffes Realkapital schien notwendig, um jenen naturalwirtschaftlichen Erwägungen, auf die die Nationalökonomie nicht verzichten kann, die Möglichkeit zu bieten, das Problem des Kapitals und des Zinses zu untersuchen; sie schien nicht weniger notwendig, um der Theorie des indirekten Tausches den Begriffsapparat zu geben, den die Behandlung der Probleme des Verhältnisses zwischen Veränderungen der Geldmenge und der Zinsgestaltung, der Kreditausweitung durch Ausgabe von zusätzlichen Umlaufsmitteln und des Konjunkturwechsels erfordert. Um diese Aufgaben lösen zu können, glaubte die Theorie den Begriff des Kapitals aus der Sprache der Geld- und Kapitalrechnung in die naturalwirtschaftliche Ausdrucksweise übersetzen zu müssen, ein Beginnen, das nicht restlos gelingen konnte, weil sich der Kapitalbegriff aus dem Gefüge der Gedankengänge der Geldrechnung der Unternehmer und Kapitalisten nicht rein herausheben lässt.

Die Produktion in der Marktwirtschaft ist nur ein Sonderfall eines allgemeineren Produktionsbegriffes, der für jede denkbare Gestaltung der Produktion gilt; von Realkapital und kapitalistischer Produktion könnte man somit in Hinsicht auf jede Produktion sprechen. Auch die Urfischer und Urjäger und auch Robinson wirtschaften «kapitalistisch», sobald sie Netze, Boote, Keulen oder Spaten verwenden, und auch eine sozialistische Wirtschaft müsste in diesem Sinne «kapitalistisch» produzieren. Der Begriff des Realkapitals ist von dem Bestehen interpersonellen Tausches, insbesondere auch vom Bestehen indirekten, durch Geld vermittelten Tausches, und vom Bestehen der Geldrechnung unabhängig. Man mag also berechtigt sein, zu behaupten, «dass Kapital mit Geld zunächst überhaupt nichts zu tun hat», dass «Geldkapital» in Wahrheit «nur eine in der Geldwirtschaft zum Ausdrucke gelangende Erscheinungsform von Verhältnissen» sei, welche «sich im Rahmen der Güterverwendung ergeben», und dass Kapital «auch nicht etwas einer bestimmten sozialen Organisation Spezifisches» sei [132] . Doch man darf nicht außer Acht lassen, dass die Kapitalrechnung, durch die allein jenen «Verhältnissen, die sich im Rahmen der Güterverwendung ergeben» im Handeln Rechnung getragen werden kann, an den Begriff des Geldkapitals in der Kapitalrechnung, die nur die Marktwirtschaft auszubilden vermag, gebunden bleibt.

[255]

Darum mussten denn auch alle Versuche, einen von jeder Bezugnahme auf die Wirtschaftsrechnung der Wirte befreiten Begriff des Realkapitals herauszuarbeiten, scheitern. Wer von Realkapital, Sozialkapital oder volkswirtschaftlichem Kapital spricht, sucht einen Kapitalbegriff, der auch in einer geldlosen Gemeinwirtschaft dem Handeln zur Richtschnur dienen könnte, und achtet nicht darauf, dass in einer so beschaffenen Wirtschaft nicht in Geld gerechnet werden kann. In einer Wirtschaftsverfassung, in der nicht in Geld gerechnet wird, kann man wohl von Beständen von Kapitalgütern (produzierten Produktionsmitteln) sprechen, doch nicht von Kapital. Der Kapitalbegriff ist ein marktwirtschaftlicher Begriff [133] . Wenn man sich das stets vor Augen hält, dann darf man ohne Bedenken mitunter metaphorisch auch außerhalb der Marktwirtschaft von Kapital sprechen und die Boote und Netze der Urfischer und die der Produktion gewidmeten Bestände an produzierten Produktionsmitteln eines sozialistischen Gemeinwesens als Kapital oder Realkapital bezeichnen. [134]

III. Kapitalismus

Man hat die Behauptung aufgestellt, dass das Verhalten der in der Marktwirtschaft wirkenden Menschen von dem Verhalten der Menschen, die in anderen Wirtschaftssystemen handeln und wirken, grundsätzlich verschieden sei. Die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhende, in Geld rechnende und durch Vermittlung des Geldes tauschende arbeitteilende Wirtschaftsordnung wird als Kapitalismus bezeichnet, weil sie durch eine besondere Wirtschaftsgesinnung, nämlich [256] die kapitalistische Wirtschaftsgesinnung, sich sowohl von älteren, ihr geschichtlich vorausgegangenen Wirtschaftssystemen als auch von der auf sie folgenden, voraussichtlich sozialistischen Wirtschaftsordnung unterscheide. Jedem Wirtschaftssystem entspreche eine besondere, eigenartige Wirtschaftsgesinnung. Der Wechsel der Wirtschaftsgesinnung sei es, der den Wandel der Wirtschaftssysteme herbeiführt.

Diese Auffassung verdankt ihre Volkstümlichkeit vor allem den Schriften von Marx und Engels. Sie wird nahezu allgemein in der Gestalt vorgetragen, die ihr die deutsche historische Schule der Staatswissenschaften gegeben hat. In dieser Gestalt bildet sie den Kern der Wirtschafts- und Geschichtsideologie aller Parteien, die heute auf der politischen Bühne agieren.

Zweck aller wirtschaftlichen Tätigkeit im Kapitalismus sei, meint Sombart, «der Gewinn und zwar der Geldgewinn». Diese Idee des Gewinnes sei «das Gegenstück zu der Idee der Nahrung, die alle vorkapitalistischen Wirtschaftssysteme, insbesondere auch die feudal-handwerkmäßige Wirtschaft beherrscht». In diesen stehe «im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen der Mensch. Güter werden erzeugt und gehandelt, damit die Konsumenten gut und reichlich ihren Bedarf an Gebrauchsgütern decken können, aber auch die Produzenten und Händler ihr gutes und reichliches Auskommen finden». Demgegenüber sei in der kapitalistischen Wirtschaft das Sachvermögen, ein Abstraktum, im Mittelpunkt der Wirtschaft; «dessen Vermehrung, also die Erzielung von Gewinn ist Ausgangspunkt und Endziel aller wirtschaftlichen Tätigkeit» [135] . Diese [257] Charakterisierung der kapitalistischen Wirtschaft ist durchaus schief. Auch für die kapitalistische Marktwirtschaft trifft wortwörtlich zu, was Sombart nur von den vorkapitalistischen Wirtschaftssystemen gelten lassen will, dass nämlich Güter erzeugt und gehandelt werden, damit die Konsumenten gut und reichlich ihren Bedarf an Gebrauchsgütern decken können, aber auch die Produzenten und Händler ihr gutes reichliches Auskommen finden können. Auch in ihrem Mittelpunkt steht der Mensch und nicht das Sachvermögen. Es ist nicht richtig, dass in ihr der Gewinn, das heißt: die Vermehrung des Sachvermögens, Ausgangspunkt und Endziel aller wirtschaftlichen Tätigkeit sei. Wohl ist der einzelne Unternehmer auf Gewinn bedacht; doch Gewinn ist in der kapitalistischen Marktwirtschaft nur durch bestmögliche Befriedigung der Begehrungen der Verbraucher zu erzielen. Gewinn kann daher nur dem als Endziel der wirtschaftlichen Tätigkeit erscheinen, der seine Betrachtung allein auf einen Teil des Marktprozesses richtet und den anderen Teil geflissentlich nicht ins Auge fassen will. Erwerbstrieb und Gewinnstreben in der kapitalistischen Gesellschaft sind in ihrer gesellschaftlichen Wirkung von den Bestrebungen, die die wirtschaftenden Einzelnen in nichtkapitalistischen Wirtschaftssystemen verfolgt haben oder verfolgen, nicht verschieden.

In jenen vorkapitalistischen Wirtschaftssystemen, die Sombart im Auge hat, war dem Bestreben des einzelnen Unternehmers, Gewinne zu erzielen, durch die politischen Verhältnisse ein Damm gezogen. Die Gewalthaber standen dem Kaufmann und Unternehmer feindselig gegenüber und waren stets bereit, ihn durch Gewalt zu enteignen. Wer erwerben wollte, musste sich unter den Schutz der Mächtigen stellen, musste von den Gewalthabern Privilegien erhalten oder sich dem genossenschaftlichen Schutz überantworten, den die Bürger der Städte einander wechselseitig gewährleisteten. Dieser Schutz war nur bedingt. Er legte in den Städten auch die Verpflichtung auf, die Mitbürger nicht durch überlegene Leistung im Wettbewerb des Marktes auszustechen. Die Betätigung des Unternehmers war gehemmt, weil er von dem Wohlwollen der weniger tüchtigen Konkurrenten abhängig war. Erst als der moderne Staat die Willkür der bewaffneten Enteigner, der Fürsten und des Adels, beseitigt hatte, als der Unternehmer nicht mehr Enteignung und Beraubung fürchten musste und von der Rücksichtnahme auf die Konkurrenten durch die Aufhebung des Zunftbandes befreit wurde, das im befriedeten Land seinen Sinn verloren hatte und zu einer bloßen Hemmung des Tüchtigen geworden war, konnte die Marktwirtschaft sich frei entwickeln. Aus der gehemmten Marktwirtschaft wurde die freie [258] Marktwirtschaft, sobald man den einzelnen Unternehmer gewähren ließ und ihm nicht mehr Gefahr drohte, durch Willkür um den Erfolg seiner Arbeit zu kommen.

Jedes Handeln ist auf Gewinn gerichtet, will einen Überschuss des Ertrages über die Kosten erzielen. Auch der Wirt der geschlossenen Hauswirtschaft und der zünftige Handwerker des Mittelalters wollten gewinnen und nicht verlieren. Dass erst die Geldrechnung der Marktwirtschaft es möglich macht, Gewinn und Verlust in Geld zu berechnen, und dass nur sie die allem Handeln innewohnenden Elemente dem Handelnden in voller Klarheit zeigt, verändert nicht das Wesen des Handelns.

Die Sombart’sche Kennzeichnung der Wirtschaftsgesinnung und der Wirtschaftssysteme ist eine neue Ausdrucksweise für einen alten, oft widerlegten Irrtum, der in der Bedarfsdeckungswirtschaft den Gegensatz der Profitwirtschaft sieht. In der Tat aber ist die Profitwirtschaft geradeso - nur wirkungsvoller und erfolgreicher — auf die Deckung des Bedarfes gerichtet wie die Wirtschaft, der man die Bezeichnung Bedarfsdeckungswirtschaft vorbehalten will.

Die Marktwirtschaft des kapitalistischen Wirtschaftssystems der Gegenwart ist auch nicht durch eine besondere Wirtschaftsgesinnung gekennzeichnet; sie ist in der praxeologischen Struktur des Handelns von anderen Organisationsformen der Wirtschaft nicht verschieden. Was sie auszeichnet und ihre besondere Eigenart ausmacht, ist der Umstand, dass die das Handeln vorbereitenden und begleitenden Erwägungen der Handelnden durch Rechnen und Berechnen unterstützt werden können. Das charakteristische Merkmal des Kapitalismus ist die Wirtschaftsrechnung.

IV. Unternehmer und Verbraucher

Die unternehmendsten Wirte, die Unternehmer, stehen auf dem Markte an der sichtbarsten Stelle. Sie sind die Leiter der Produktion, sie treiben an, ordnen an, lenken, befehlen. Der Markt scheint unter ihrer Führung zu stehen, denn nur das geschieht, was die Unternehmer planen und ausführen.

Doch die letzten Entscheidungen werden nicht von den Unternehmern getroffen, sondern von der Nachfrage der Verbraucher. Die Unternehmer Erzeuger und Händler — sind darauf bedacht, nur das auf den Markt zu bringen, wofür die Verbraucher die günstigsten Preise zu bewilligen geneigt sind. Sie arbeiten für den Verbraucher, sie trachten das zu bereiten, wofür ihrer Meinung nach der Verbraucher Begehr haben wird.

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Die Verbraucher kaufen dort ein, wo ihnen das, was Sie begehren, am billigsten angeboten wird. Ihr Kaufen oder ihre Enthaltung vom Kaufen entscheidet über das Schicksal der Unternehmer. Sie machen den Unternehmer reich oder arm, sie machen kleine Unternehmer groß und drängen andere Unternehmer aus der Unternehmerstellung hinaus. Sie zwingen die Unternehmer zur Befolgung ihrer Befehle. Der Unternehmer, der nicht gewillt oder nicht fähig ist, das, was die Verbraucher begehren, zum billigsten Preise zu liefern, erleidet Vermögenseinbussen, die ihn nötigen, entweder rechtzeitig sein Vorgehen zu ändern oder aber schließlich die Unternehmertätigkeit aufzugeben. Der Verbraucher — der Käufer — entscheidet; er mag noch so verkehrte Wünsche äußern, er mag noch so launisch und unbeständig in seinem Begehren sein, soweit er bereit ist, für die Befriedigung seines Begehrs zu zahlen, muss der Unternehmer sich ihm fügen.

In unmittelbare Berührung mit dem Verbraucher treten nur die Unternehmer, die gebrauchs- und verbrauchsreife Genussgüter auf den Markt bringen. Nur sie sind von den Verbrauchern unmittelbar abhängig, nur sie empfangen unmittelbar seine Befehle. Doch sie geben diese Befehle und diese Abhängigkeit an die Unternehmer, die Güter höherer Ordnung auf den Markt bringen, weiter. Denn sie selbst müssen dort einkaufen, wo sie die für die Befriedigung der Wünsche der Verbraucher benötigten Güter höherer Ordnung am billigsten erstehen können. Würden sie nicht die billigsten Einkaufsquellen ausnützen, würden sie nicht so verfahren, dass sie die Güter höherer Ordnung so zweckmäßig als möglich zur Herstellung der Güter erster Ordnung verwenden, dann wären sie nicht fähig, die Wünsche der Verbraucher zu den niedrigsten Preisen zu befriedigen; tüchtigere Unternehmer, die besser einzukaufen und besser zu verarbeiten verstehen, würden sie aus dem Markte drängen. Der Verbraucher mag als Käufer seinen Launen und Liebhabereien folgen; der Unternehmer darf für seine Unternehmung nur so einkaufen, wie es die zweckmäßigste Befriedigung der Wünsche der Verbraucher verlangt. Jede Abweichung von dieser ihm durch die Verbraucher vorgeschriebenen Linie geht zu seinen Lasten, mindert seinen Gewinn oder zehrt ihn ganz auf, schwächt damit seinen Vermögensstand, bringt ihm Verlust und gefährdet seine Unternehmerstellung. Das ist die vielberufene Härte des alles in Heller und Pfennig berechnenden Unternehmers. Er übt sie im Auftrage des Verbrauchers, der nicht bereit ist, den ihm dienenden Unternehmern mehr zu vergüten, wenn sie überflüssige Ausgaben gemacht haben. Das, was man im Sprachgebrauch des Alltags [260] Wirtschaftlichkeit nennt, wird von den Verbrauchern durch ihr Verhalten auf dem Markte dem Handeln der Unternehmer und ihrer Gehilfen als Gesetz vorgeschrieben.

Die Verbraucher sind es mithin, die mittelbar alle Preise und Löhne und damit die Reichtumsgestaltung aller Glieder der Gesellschaft bestimmen. Ihre Wahlakte bestimmen, wer Unternehmer und Besitzer von Produktionsmitteln sein soll. Mit jedem Groschen, den sie ausgeben, beeinflussen sie Richtung, Umfang und Art der Produktion und der Absatzorganisation. Man hat diese Gestaltung der Dinge mit der politischen Demokratie verglichen und davon gesprochen, dass der Markt eine Demokratie bilde, bei der jeder Pfennig einen Stimmzettel darstelle [136] . Die demokratische Wahlordnung mag eher als ein unzulänglicher Versuch angesehen werden, im politischen Leben die Marktverfassung nachzubilden. Auf dem Markt geht keine Stimme verloren. Jeder verausgabte Betrag, er mag noch so klein sein, übt seine Wirkung auf dieProduktion. Die Entscheidung des Verbrauchers setzt sich mit dem ganzen Gewicht, das er ihr durch die Aufwendung des Geldbetrages gibt, bis in die entferntesten Bezirke des gesellschaftlichen Produktionsapparates durch.

Niemand vermag sich diesem Einfluss zu entziehen. Die Arbeitsteilung sondert Verbrauch und Erzeugung. Im Grenzfall, der auf der gegenwärtigen Stufe der Ausgestaltung der Arbeitsteilung nicht selten gegeben ist, verbraucht der Erzeuger selbst nichts von dem, was er erzeugt; die gesamte Erzeugung dient unmittelbar anderen und nur mittelbar — durch den Ertrag, den ihre Veräußerung gegen Geld abwirft, ihm selbst. Das, was diesem scheinbar so schwerfälligen und unübersehbarem Getriebe allein Sinn und Zweck gibt, ist die durch die Geldrechnung geregelte Anpassung an die Wünsche der Verbraucher.

Es gibt im Getriebe der Marktwirtschaft nur einen Fall, in dem die Verbraucher sich die Eigentümer der Produktionsmittel nicht ganz gefügig machen können; durch die Bildung von Monopolpreisen wird der Demokratie der Verbraucher eine Schranke gezogen.

Die Ausgabenwirtschaft des Unternehmers.

Der Unternehmer ist nicht nur Unternehmer, er ist immer auch Verbraucher. Es ist mitunter nicht ganz einfach, zu erkennen, wie Unternehmerfunktion und Verbraucherfunktion zu unterscheiden sind.

[261]

Ein Unternehmer möge die Absicht haben, einen notleidenden Freund zu unterstützen. Aus Zartgefühl kann er hierfür einen Vorgang wählen, der den Tatbestand der Unterstützung verschleiert und dem Unterstützten die Beschämung des Almosenempfangs erspart — er stellt den Freund im Unternehmen als entlohnten Mitarbeiter an, obzwar er seine Arbeit nicht benötigt oder gleichwertige Arbeitsleistung billiger kaufen könnte. Der an den Unterstützten gezahlte Lohn erscheint formell als Produktionsaufwand. In Wahrheit handelt es sich um die Verwendung eines Teils des Unternehmereinkommens, um eine Haushaltausgabe des Unternehmers. Der Unternehmer ist hier Verbraucher und nicht Unternehmer.

Diese Verwischung der Funktionsgrenzen wird mitunter durch institutionelle Umstände besonders begünstigt. Die zu Lasten der Betriebsrechnung des Unternehmens verrechnete Ausgabe schmälert den Reingewinn und daher auch die Besteuerungsgrundlage der Gewinn- und Ertragsbesteuerung. Wenn die Steuer etwa 25 % des Ertrages ausmacht, dann hat der Unternehmer nur 75 % der Unterstützung zu tragen; den Rest hat er zu Lasten des die Steuer einhebenden Staates gewährt.

V. Der Wettbewerb

Wenn wir von Wettbewerb sprechen, müssen wir uns von aller Metaphysik fernhalten, die man den Begriffen Konkurrenz und freie Konkurrenz angeheftet hat. Wettbewerb äußert sich auf dem Markte in der Weise, dass die Käufer den übrigen Kauflustigen durch das Angebot höherer Preise, und dass die Verkäufer den übrigen Verkauflustigen durch das Fordern niedrigerer Preise bei gleicher Leistung oder durch Erhöhung der Leistung bei gleicher Preisforderung zuvorzukommen haben.

Frei ist der Wettbewerb niemals in dem Sinne, dass jeder an ihm überhaupt oder gar mit gleichen Aussichten auf Erfolg teilzunehmen vermag. Der Wettbewerb der Verkäufer ist immer beschränkt durch die Beschränktheit der zur Verfügung stehenden Mittel. Wären sie in Überfluss vorhanden, dann würde in Bezug auf sie nicht gehandelt werden und sie würden für Wettbewerb nicht in Betracht kommen. Wenn die ältere Nationalökonomie von Freiheit des Wettbewerbs sprach, so hatte sie die Beurteilung der Wirkungen einer Politik im Auge, die durch Beschränkung des Wettbewerbs den Markt zu beeinflussen suchte. Solche Politik, meinten die Nationalökonomen, könne nur dazu führen, dass die Produktionsmittel nicht in die Hände des besten Wirts gelangen und dass nicht alle Möglichkeiten der Produktion, die durch die Begabung und durch die Kenntnisse der Menschen und durch den vorhandenen Vorrat an Gütern höherer Ordnung gegeben sind, ausgenützt werden. Institutionelle Erschwerungen des Wettbewerbs hätten daher nur den Erfolg, die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit [262] herabzusetzen. Wenn man die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit steigern wolle, seien sie daher zweckwidrig.

Von Freiheit des Wettbewerbs pflegt man besonders zu sprechen, um Wettbewerb dem Monopol gegenüberzustellen. Man hat dabei drei Monopolbegriffe zu unterscheiden, die man streng auseinanderhalten muss.

Zunächst denkt man — insbesondere im volkstümlichen Schrifttum — an eine Lage, in der der Monopolist, sei er nun ein Einzelner oder eine Gruppe, über eine Bedingung menschlichen Daseins in der Weise ausschließlich verfügt, dass er den übrigen Menschen das Dasein unmöglich machen kann, wenn sie sich nicht den von ihm gestellten Bedingungen unterwerfen. Der Monopolist «diktiert», und die anderen haben zu gehorchen oder aus dem irdischen Dasein zu verschwinden. Einem derartigen Monopol gegenüber gibt es keinen Markt und keinen Wettbewerb auf dem Markte. Der Monopolist ist der Herr, und die anderen sind Knechte, die um seine Gnade zu betteln haben. Es ist nicht notwendig, sich mit diesem Fall weiter zu befassen und etwa die Frage aufzuwerfen, unter welchen Voraussetzungen er gegeben sein mag. Es genügt, ein Beispiel zu nennen: der sozialistische Staat, der totale Staat, der die ganze bewohnbare Erdoberfläche beherrscht, hätte diese Monopolstellung, diese absolute Herrschaft, gegenüber den Einzelnen.

Der zweite Begriff des Monopols ist zum Unterschied vom ersten, der mit dem Markt unverträglich ist, ein Begriff des Marktverkehres. Monopolist in diesem zweiten Sinne ist, wer als Verkäufer über eine Ware oder Leistung verfügt, die keinem andern Verkäufer zur Verfügung steht, oder wer als Käufer sein Begehren auf eine Ware oder Leistung richtet, die von keinem andern Käufer begehrt wird. Grosse Gruppen von Gütern und Leistungen bestehen aus einzigartigen Stücken, so dass sie unter diesen Begriff des Monopols fallen. Jede künstlerische Darbietung und jedes Kunstwerk sind von anderen Darbietungen und Kunstwerken verschieden. Jede Fabrik erzeugt andere Typen von Fabrikaten. Gleichartigkeit der Erzeugnisse verschiedener Erzeuger findet man im Allgemeinen nur auf dem Gebiete der Erzeugung von Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Stapelartikeln. Es ist allgemein üblich, den Begriff des Monopols so zu fassen, dass jeder, der Waren anzubieten hat, die kein zweiter Verkäufer anbietet, als Monopolist bezeichnet wird. Für die Erklärung der Preisbildung des Marktes leistet dieser Begriff keinen Dienst.

Der dritte Begriff des Monopols geht von dem eben erwähnten zweiten Begriff aus, den er jedoch wesentlich einschränkt. Monopol liegt nicht schon dann vor, wenn der Verkäufer oder [263] die einheitlich vorgehende Gruppe von Verkäufern über eine Ware oder Leistung verfügen, die anderen nicht zur Verfügung steht. Es muss noch eine bestimmte Gestaltung der Nachfrage nach dieser Ware oder Leistung gegeben sein, die es dem Verkäufer ermöglicht, durch Einschränkung der auf den Markt gebrachten Menge einen höheren Gewinn zu erzielen als durch den Verkauf jener größeren Menge, die bei Wettbewerb der Verkäufer auf den Markt gelangen würde. Wir gehen bei dieser Begriffsbestimmung nicht von einer Verdeutschung des Wortes Monopols aus, sondern vom Monopolpreis als einem vom Wettbewerbspreis verschiedenen Preis oder richtiger gesagt, von der Marktlage, die zu einem Preis führt, der von dem, der sich bei Wettbewerb der Verkäufer herausbilden würde, verschieden ist.

Wenn man von Monopolpreis in diesem Sinne spricht, hat man eine Erscheinung, die in der Preislehre von großer Bedeutung ist, gekennzeichnet. Ob es gerade zweckmäßig war, die beiden Klassen von Preisen Wettbewerbspreis und Monopolpreis zu benennen, mag zweifelhaft sein. Diese Ausdrucksweise hat sich aber eingebürgert, und es wäre schwer, sie durch eine andere zu verdrängen. Man muss sie wohl schon beibehalten. Doch man darf aus dem Umstand, dass man Monopolpreis und Wettbewerbspreis unterscheidet, nicht etwa auf den Gedanken verfallen, dass der Monopolpreis ein Preis wäre, der unter Bedingungen gebildet werde, die den Wettbewerb ganz ausschließen. Auch die Monopolpreise gehen aus dem Marktverkehr hervor und aus dem Wettbewerb, der auf dem Markte überall und immer herrscht. Das Besondere an der Marktlage, die zu Monopolpreisen führen kann, ist allein das, dass der Wettbewerb durch Anbieten des Monopolgutes unterbunden ist. In jeder anderen Beziehung herrscht Wettbewerb. Die Regierung, die ein Tabakmonopol ausbeutet, ist wohl nicht genötigt, auf Konkurrenten, die Tabak anbieten, Rücksicht zu nehmen, doch sie muss mit dem Ausweichen der Nachfrage und damit mit Wettbewerb aller jener rechnen, deren Erzeugnisse stärker begehrt werden, wenn der Tabakpreis steigt. Jeder Verkäufer steht im Wettbewerb nicht nur mit jenen, die gleichartige Ware anbieten, sondern auch mit allen jenen, die andere Waren anbieten. Die gefährlichste Konkurrenz ist nicht immer die, die gleichartige Ware anbietet. Den Theatern z. B. tun Rundfunk, Lichtspiele und Sprechmaschinen, aber auch Sport und Reisen, der Kraftwagen und die Vorliebe für Wochenendausflüge mehr Abbruch als die konkurrierenden Bühnen. Jeder neue Artikel schafft sich seinen Absatz ganz oder zum großen Teil zunächst durch das Abziehen des Publikums vom Verbrauch anderer Artikel.

[264]

Alle jene Lehren, die glauben, dass die nationalökonomische Theorie der Marktwirtschaft zur Erfassung der Wirklichkeit überhaupt nicht, nicht mehr oder nicht mehr ganz geeignet sei, weil es freie Konkurrenz nicht länger gebe oder überhaupt nie gegeben habe, haben den Begriff des Wettbewerbs und die Rolle, die der Wettbewerb im Rahmen der Marktwirtschaft spielt, missverstanden. Die Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrzehnte ist die Geschichte einer Kette von Versuchen, die Stellung einzelner Gruppen auf dem Markte dadurch zu stärken, dass es anderen schwerer gemacht wird, mit den Begünstigten in Wettbewerb zu treten [137] . In manchen Fällen war das Ergebnis das, dass es den Begünstigten möglich wurde, Monopolpreise zu erzielen. In anderen Fällen aber hat man es, ohne die Bedingungen der Monopolpreisbildung zu schaffen, vielen Unternehmern und Arbeitern unmöglich gemacht, sich jenen Produktionen zuzuwenden, die sie für ihre Zwecke am geeignetsten halten. Man hat den Wettbewerb in einzelnen Zweigen der Produktion erschwert, man hat aber das Wettbewerbsystem und damit die Marktwirtschaft nicht beseitigt oder in ihrem Wesen umgestaltet, wenn man auch die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit herabgesetzt hat.

Die Bestrebungen, die zur Einschränkung des Wettbewerbs in einzelnen Produktionszweigen führen, sind in letzter Linie darauf gerichtet, das kapitalistische System der Marktwirtschaft durch ein sozialistisches System der Gemeinwirtschaft zu ersetzen. Es ist dabei ohne Belang, ob dieses Ziel von denen, die es anstreben, als Sozialismus angesehen wird oder nicht. Auch vielen Vorkämpfern des Ständestaats und allen Vorkämpfern des Staatssozialismus, der Wirtschaft, in der Gemeinnutz vor Eigennutz gehen soll, der gebundenen Wirtschaft und aller verwandten Pläne schwebt als Ziel ein Zustand vor, in dem, nach einem Worte Spanns, es zwar «formell Privateigentum, der Sache nach aber nur Gemeineigentum» gibt. [138] Doch solange dieses Ziel nicht erreicht ist, besteht Marktwirtschaft und damit Wettbewerb. Wenn man durch staatliche Eingriffe den Wettbewerb in einem, in mehreren oder in vielen Produktionszweigen erschwert, dann drängt man Unternehmungsgeist, Kapital und Arbeit umso stärker in andere Bahnen. Wenn die Gewerkschaften es zu erreichen wissen, dass der Zuzug von Arbeitern in einem Betätigungsfeld unterbunden wird, dann wird der Wettbewerb in den übrigen Gebieten umso stärker werden.

[265]

Der Hinweis auf die Tendenzen und Bestrebungen, die den Wettbewerb unterbinden, ist überaus wichtig für Darstellungen der Wirtschaftsgeschichte unserer Zeit und für die Erklärung vieler Erscheinungen der Gegenwart. Er ist aber durchaus unangebracht in nationalökonomischen Erörterungen des Ablaufs des wirtschaftlichen Handelns und der Preisbildung in der Marktwirtschaft. Dass in einem Lande der Zugang zu vielen Berufen und Gewerben erschwert ist, dass es Schutzzölle und andere Privilegien, Kartelle und Konzerne gibt, ist ein wichtiges Datum für die Erkenntnis der herrschenden Zustände. Es fordert aber keine neue Theorie des Marktverkehrs und der Preisbildung.

VI. Gewinn und Verlust der Unternehmer

Die Unternehmer suchen die übrigen Unternehmer, mit denen sie im Wettbewerb stehen, als Käufer der Produktionsmittel durch Anbot höherer Preise und als Verkäufer der Erzeugnisse durch Fordern niedriger Preise auszuschalten. Wie hoch hinauf sie beim Ankauf der Produktionsmittel gehen wollen, hängt von ihrer Beurteilung der Preise ab, die sie für die fertigen Erzeugnisse zu erzielen hoffen. Wie tief sie beim Verkauf hinuntergehen müssen, wird durch die Lage des Marktes bestimmt.

Die Ungewissheit, die über die künftige Marktlage herrscht, gibt der Unternehmertätigkeit ihren Spekulationscharakter; aus ihr fließen Unternehmergewinn und Unternehmerverlust [139] . Die Berechnungen, auf denen das Handeln des Unternehmers beruht, gehen von dem augenblicklichen Preisstand der Produktionsmittel aus und berücksichtigen allenfalls noch die Veränderungen dieser Preise, die sich durch das Auftreten der eigenen Nachfrage und das mögliche Auftreten von neuer Nachfrage seitens anderer Unternehmer ergeben werden; sie rechnen weiter mit den Preisen, die für Produktionsmittel, die im Verlaufe des Produktionsverfahrens noch beschafft werden müssen, voraussichtlich zu zahlen sein werden; sie sind schließlich auf den Preisen aufgebaut, zu denen der Unternehmer dann die Erzeugnisse abzusetzen hofft. In allen diesen Annahmen können Fehler stecken, die das Ergebnis des Geschäfts ganz anders werden lassen, als es der Unternehmer gedacht hat. Er hat mit einem Überschuss des Ertrages über die Aufwendungen [266] gerechnet, sonst hätte er sich in das Geschäft nicht eingelassen. Es mag sein, dass seine Erwartungen noch übertroffen werden und dass sein Gewinn größer wird, als er gehofft hat. Es kann aber auch sein, dass er den erhofften Gewinn nicht erzielt, dass sein Gewinn kleiner ausfällt, dass überhaupt kein Gewinn erzielt wird oder dass er Verluste erleidet.

Um den besonderen Charakter des Unternehmerwagnisses zu erfassen, hat man zunächst darauf zu achten, was nicht Quelle des spezifischen Unternehmergewinns oder Unternehmerverlusts ist, mag es auch Einkommen und Vermögen des Unternehmers noch so stark verändern.

Die technische Leistungsfähigkeit des Unternehmens hat mit dem Unternehmergewinn und Unternehmerverlust nichts zu tun. Dass ein Unternehmer technisch besser beschlagen ist als seine Konkurrenten, dass er das Erzeugungsverfahren zweckmäßiger zu gestalten weiß, dass er günstigere Bedingungen für das technische Gelingen der Arbeit zu setzen versteht, gibt ihm wohl einen Vorsprung gegenüber den übrigen Unternehmern. Der Vorteil, der ihm auf diesem Wege zugute kommt, mehrt seinen Erfolg. Doch er ist nicht Unternehmergewinn. Er ist Differentialrente der höheren persönlichen Tüchtigkeit oder der Verfügung über günstigere Produktionsstätten und günstigere Produktionsverfahren. In jenem Falle ist es Arbeitsverdienst des Unternehmers, in diesem Falle ist es Erlös des Eigentums an Produktionsmitteln.

Dass nicht jeder Produktionsprozess technisch gelingt, berührt gleichfalls nicht den besonderen Ertrag der Unternehmertätigkeit. Das Misslingen mag für einen Teil der eingeleiteten Prozesse unvermeidlich sein, weil die menschliche Kenntnis der Bedingungen des Gelingens unzulänglich ist oder weil bekannte Bedingungen des Gelingens von den Menschen nicht beherrscht werden können. Die Preise sind durch diesen unbefriedigenden Stand des technologischen Wissens und Könnens mitbestimmt. Im Bodenpreis ist der Tatsache, dass es auch Misswachs und Missernte gibt, bereits Rechnung getragen, und der Unternehmer, der ein Gut kauft oder pachtet, vergütet dementsprechend einen niedrigeren Kaufpreis oder Pachtschilling. Gelingt es, durch Verbesserung der Technik eine Ursache der Missernten auszuschalten und dadurch den Durchschnittsertrag zu steigern, so würde das caeteris paribus die Produktionskosten des Getreides, den Getreidepreis und den Bodenpreis beeinflussen, doch nicht den Unternehmergewinn, mag auch der Unternehmer — als Bodeneigentümer oder als Pächter — davon berührt werden. Dass die Erzeugung des Schaumweines nur bei einem Teil der verwendeten Mengen stillen [267] Weines gelingt, berührt die Erzeugungskosten und den Preis des Schaumweines, doch nicht den Unternehmergewinn des Schaumweinerzeugers [140] .

Die Ausschaltung der Unternehmer, die ihrem Betriebe nicht das erreichbare Maß technischer Vollkommenheit zu geben vermögen, wird durch den Markt in derselben Weise bewirkt, in der er die in ihrer spezifischen Unternehmereigenschaft nicht erfolgreichen Unternehmer ausschaltet. Manche Unternehmer vermögen durch die Erfolge, die sie in ihrer spezifischen Unternehmertätigkeit erzielen, Verluste wettzumachen, die sie durch technische Unzulänglichkeit erleiden; andere Unternehmer wieder können Verluste aus verfehlter Unternehmerleistung durch Rentenertrag decken, der aus technischer Überlegenheit oder aus der Verfügung über günstigere natürliche Bedingungen der Produktion fließt. Die technischen und organisatorischen Aufgaben, die der Unternehmer neben seiner Unternehmertätigkeit besorgt, sind aber stets genau von den spezifischen Unternehmerleistungen zu unterscheiden.

Missgeschick, das den Produktionsprozess, die Produktionsmittel oder die noch in den Händen des Unternehmers befindlichen Produkte bedroht und durch Handeln überhaupt nicht oder nicht immer oder nicht ganz abgewehrt werden kann, ist in Art und Umfang voraussehbar. Die gleichen Erfahrungen, aus denen die Technologie ihre Kenntnisse schöpft, lehren auch, in welchem Ausmaße die überhaupt nicht oder nicht immer oder nicht ganz beherrschbaren Elementarkräfte störend und zerstörend auftreten. Der richtig rechnende Unternehmer muss sie in seine Rechnung einstellen; unterlässt er es, dann ist das so zu beurteilen wie jeder andere Irrtum in Bezug auf die technischen Bedingungen der Produktion. Gegenüber Schädigungen, die so selten auftreten, dass der einzelne Unternehmer oder zumindest der Unternehmer, dessen Geschäftsbetrieb nicht einen bestimmten Umfang erreicht, nicht imstande wäre, sie in seiner Rechnung zu berücksichtigen, kann die Berücksichtigung nur kollektiv durch Zusammenfassung einer großen Anzahl von Gefährdeten zu einer Risikengemeinschaft erfolgen. Das ist der Zweck, dem die Versicherung gegen Elementarschäden, Unfälle und Haftpflicht dient. Unternehmungen größeren Umfangs können gegenüber manchen oder auch gegenüber allen Gefahren auf die Inanspruchnahme der Dienste einer [268] Versicherungsanstalt verzichten: sie versichern sich selbst durch Bildung von Rücklagen, aus denen die eintretenden Schäden gedeckt werden sollen. Die kleineren Betriebe schließen sich durch die Versicherung zu einer Risikengemeinschaft zusammen, wobei es ohne Bedeutung ist, ob der Zusammenschluss durch eine wechselseitige genossenschaftliche Versicherung oder durch eine Versicherung als Geschäft betreibende Unternehmung erfolgt. Damit wird es jedem Betrieb ermöglicht, die Selbstkostenrechnung in Hinsicht auf die durch Elementarkatastrophen drohenden Gefahren richtig zu gestalten [141] .

Dem Unternehmer drohen auch politische Gefahren. Sein Unternehmen kann durch Eingriffe der politischen Gewalten oder durch Krieg und Aufruhr geschädigt oder ganz vernichtet werden. Auch das hat mit der Unternehmungstätigkeit und mit dem Erfolg dieser Tätigkeit nichts zu tun. Es trifft den Unternehmer nicht als Unternehmer, es trifft die Marktwirtschaft als solche und alle, die in ihr leben und wirken, wenn auch nicht alle in gleicher Weise. Der einzelne Unternehmer kann es weder vorausberechnen noch abwenden. Doch auch wenn er es voraussehen könnte, wäre es ihm nicht möglich, im Handeln darauf Rücksicht zu nehmen, es sei denn, dass die Gefahr nur einen Teil des Gebiets bedroht, das seinen Lebensraum und sein Wirkungsfeld darstellt. Er kann es vermeiden, in Gebieten zu arbeiten, in denen diese politischen Gefahren größer sind als anderswo. Doch wenn es ihm nicht freisteht, sich durch Abwanderung diesen Gefahren zu entziehen, dann muss er bleiben. Gesetzt den Fall, dass alle Unternehmer der Kulturwelt vom bevorstehenden allgemeinen Sieg des Bolschewismus überzeugt wären, so könnte sie das nicht bestimmen, ihre Unternehmerstellung aufzugeben. Die Kapitalisten mag die Erwartung der Enteignung zu Aufzehrung ihrer Kapitalien veranlassen. Die Unternehmer werden sich der durch die Kapitalsaufzehrung geschaffenen Marktlage anzupassen haben, doch sie werden darum nicht aufhören, als Unternehmer zu wirken. Wenn einzelne Unternehmer ausscheiden, werden andere an ihre Stelle treten: neue Unternehmer oder solche Unternehmer, die es schon bisher waren und nun ihre Unternehmungen erweitern. Aus der nicht völlig erstarrten Marktwirtschaft kann der Unternehmer nie verschwinden.

Die Quelle, aus der Gewinn und Verlust des Unternehmers stammen, ist die Ungewissheit über die künftige Gestaltung der Nachfrage und des Angebots. Jede Produktion erfordert Zeit, [269] und wenn die Verhältnisse auf dem Markte sich im Ablaufe dieser Zeit in einer Weise ändern, die nicht alle Unternehmer vorausgesehen haben, dann gibt es Gewinne und Verluste.

Wenn alle Unternehmer die künftige Gestaltung des Marktes richtig vorausgesehen und demgemäss ihre Produktion eingestellt haben, kann es weder Unternehmergewinn noch Unternehmerverlust geben. Dann haben sie im Augenblicke, in dem sie sich in das Unternehmen einließen, für die Produktionsmittel schon jene Preise bezahlen müssen, die den künftigen Preisen der Produkte entsprechen; die Preise, zu denen sie die Produkte verkaufen, decken gerade die Kosten. Der Unternehmer erzielt nur dann Unternehmergewinn, wenn er die künftige Marktgestaltung richtiger beurteilt hat als die übrigen Unternehmer; dann nämlich erlöst er einen Überschuss über die Produktionskosten, weil er die Produktionsmittel zu Preisen eingekauft hat, die hinter den Preisen zurückgeblieben sind, die der künftigen Marktlage entsprochen hätten. In der gleichmäßigen Wirtschaft, in der unserer Annahme gemäss keine Änderungen der wirtschaftlichen Daten eintreten, ist für Unternehmergewinne und Unternehmerverluste kein Raum. Das ist der Sinn der schon erwähnten, nicht gerade glücklich gewählten Ausdrucksweise: der Unternehmergewinn sei «kein statischer Einkommenszweig».

Anderseits kann aus der sich ändernden Wirtschaft der spezifische Unternehmergewinn nicht verschwinden. Um den Unternehmergewinn aus der sich ändernden Wirtschaft fortzudenken, müssten wir vollkommene Voraussicht aller Einzelnen vom Urbeginn menschlichen Handelns an annehmen. Nur wenn jene Urfischer und Urjäger, die man an den Anfang des Kapitalbildungsprozesses zu setzen pflegt, alles richtig und genau im Voraus gewusst hätten und wenn sie diesem Wissen gemäss alle Produktionsmittel bewertet hätten und wenn sie und ihre Nachkommen, ebenso gut über den weiteren Verlauf der Dinge unterrichtet, immer auch diesem Wissen gemäss alle Produktionsmittel verwendet hätten, wären Unternehmergewinne nicht in Erscheinung getreten. Die Unternehmergewinne und Unternehmerverluste entstehen aus der Verschiedenheit zwischen der erwarteten künftigen und der dann wirklich eintretenden Bewertung der Güter. Man kann sie konfiszieren; man kann sie denen, in deren Vermögen und Einkommen sie auftreten, fortnehmen und an andere übertragen; doch man kann sie aus der Welt, die nicht still steht und nicht mit lauter allwissenden Menschen bevölkert ist, nicht entfernen.

Im Gedankenbild der stationären Wirtschaft gibt es Veränderung der die Nachfrage nach und das Angebot von [270] einzelnen Gütern bestimmenden Faktoren. Wir wollen einmal annehmen, dass bei ungeändertem Stand der Technik, des Reichtums an Kapital und an originären Produktionsfaktoren, und der Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung nur durch Wandlungen der Nachfrage Veränderungen ausgelöst werden. Wir nehmen etwa an, dass die Anschauungen über Hygiene und der Geschmack sich geändert haben, dass aber sonst alles blieb, wie es gewesen ist.

Es erhellt ohneweiters, dass unter diesen Voraussetzungen der Unternehmergewinn eines Teiles der Unternehmer dem Unternehmerverlust der übrigen Unternehmer genau entspricht. Die Summe des Einkommens aller Verbraucher hat sich nicht geändert. Geändert hat sich nur die Schätzung eines Teiles der auf den Markt gebrachten Produkte. Einige werden stärker, andere dagegen werden weniger begehrt. Was alle Verbraucher zusammengenommen für die stärker begehrten Waren mehr ausgeben, bringen sie durch die niedrigeren Preise, die sie für die weniger begehrten Waren bieten, wieder herein. Was die eine Gruppe von Unternehmern gewinnt, verliert die andere. In einer stationären Wirtschaft ist, wie auch schon früher gezeigt wurde [142] , die Summe aller Unternehmergewinne gleich der Summe aller Unternehmerverluste.

Der Unternehmergewinn wird durch den Wettbewerb der Unternehmer zum Verschwinden gebracht. Wenn man nicht der Ansicht ist, dass die Marktlage, die den Unternehmergewinn entstehen ließ, einer ungünstigeren weichen werde, ehe die neu einzuleitenden Produktionsprozesse Frucht getragen haben, werden neue Unternehmer sich der Erzeugung der fraglichen Waren zuwenden, bis der Preis auf die Erzeugungskosten fällt. Die Aussicht auf Gewinn setzt den Unternehmer in Bewegung. Wo kein Gewinn zu erhoffen ist, sinkt die Erzeugung, wo Gewinn in Aussicht ist, steigt sie.

Wenn man — etwa durch Steuern — den Unternehmergewinn zu verringern oder ganz zu enteignen sucht, bleibt dem Unternehmer nur die Aussicht auf die Möglichkeit von Verlusten. Beschränkt sich die Maßnahme nur auf Gewinne, die durch die Erzeugung und den Verkauf einiger Kategorien von Waren erzielt werden, dann hat sie den Erfolg, dass die Unternehmer diese Waren vernachlässigen und sich anderen Zweigen der Erzeugung zuwenden. Volle Wegsteuerung aller Unternehmergewinne würde die Tätigkeit der Unternehmer lahmlegen und damit die Marktwirtschaft unterbinden.

[271]

VII. Die Auslese des Marktes

Die Entscheidungen der Verbraucher lassen den Markt die — vom Standpunkte der Ziele der Verbraucher gesehen — denkbar vollkommenste Auslese treffen.

Nur der kann Unternehmer werden und Unternehmer bleiben, der sieh täglich von Neuem als vollkommenster Vollstrecker der Befehle der Verbraucher bewährt. Wer diese Prüfung nicht besteht, erleidet Verluste und wird, wenn er nicht, dadurch belehrt, sein Verhalten ändert, in seiner Unternehmerstellung beschränkt und schließlich ganz aus der Unternehmerstellung gedrängt. Die Notwendigkeit, Gewinne zu erzielen, zwingt den Unternehmer, sich den Wünschen der Verbraucher, die auf dem Markte geäußert werden, so schnell und so vollkommen als möglich anzupassen. Wenn er das nicht vermag, oder wenn er sich dagegen auflehnt, wird er über kurz oder lang aufhören, Unternehmer zu sein.

Kapitalisten und Grundbesitzer müssen in ihrer Unternehmerfunktion ihre gesellschaftliche Stellung dadurch bewähren, dass sie die in ihrer Verfügung befindlichen Produktionsmittel jener Verwendung zuführen, in der sie den nach der Lage des Marktes höchstmöglichen Gewinn abwerfen. Der Kapitalist, der sich durch Beteiligung am Kapitalsstock von Unternehmungen oder durch Darlehen an Unternehmungen in einer Richtung betätigt hat, die nicht die Billigung der Verbraucher findet, gefährdet Ertrag und Stamm seines Vermögens. Keine Anlage ist in dem Sinne sicher, dass sie nicht durch Missbilligung der Verbraucher Schaden erleiden müsste. Wer sein Vermögen nicht richtig, d.i. nicht den Wünschen der Verbraucher gemäss, angelegt hat und immer wieder anlegt, wird es schließlich verlieren. Wer in der Marktwirtschaft «liegen und besitzen» wollte, würde einmal entdecken, dass das, was er besitzt, wertlos geworden ist, weil die Marktlage sich geändert hat. Der Eigentümer muss stets darauf bedacht sein, sein Vermögen so anzulegen, dass Stamm und Ertragsfähigkeit zumindest nicht geschmälert werden.

In der Privilegienwirtschaft des vorliberalen Zeitalters gab es Einkommen, die vom Markte unabhängig waren und durch Vorgänge auf dem Markte nicht berührt werden konnten. Die Fürsten und Herren, denen die Untertanen zu zinsen und zu fronen hatten, lebten auf Kosten der Arbeit der Tributpflichtigen; die Leistungen, die sie zu empfangen hatten, hatten mit dem Marktverkehr nichts zu tun. Die Grundbesitzer waren durch besondere Privilegien in ihrem Eigentum geschützt. Sie waren durch Eroberung oder durch Schenkung von Seiten des [272] Eroberers in den Besitz gelangt und konnten wieder nur durch Eroberung oder durch Zurücknahme der Schenkung aus ihm vertrieben werden. Auch dann, wenn sie für den Absatz auf dem Markte produzierten, konnten sie nicht durch den Wettbewerb tüchtigerer Wirte gefährdet werden, weil der Wettbewerb auf einen engen Kreis von Personen beschränkt war. Nur der Adelige durfte Güter, die dem Adel vorbehalten waren, erwerben, nur dem Bürger war der Erwerb städtischer Grundstücke und Gebäude, nur dem Bauer der Erwerb von Bauerngütern gestattet. Der gewerbliche Wettbewerb war durch Zunft- und Zwangsordnungen beschränkt. Der Verbraucher hatte nicht die Freiheit, sich auf die billigste Art zu versorgen; er war an den privilegierten und geschützten Erzeuger gebunden. Wenn die Zunftmeister die Verwendung brauchbarerer Rohstoffe und Halbfabrikate und zweckmäßigerer Verarbeitungsmethoden ablehnten, musste der Verbraucher die Nachteile ihres Starrsinns in Kauf nehmen.

Der Grundbesitzer, der auf seinem Gute vom Ertrag seines Grundstückes autark leben will und kann, der weder auf dem Markte kauft, noch auf ihm verkauft, ist vom Markte unabhängig. Wenn er jedoch als Käufer von Gerät, Dungstoffen, Saatgut und anderen Dingen und als Verkäufer von landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit dem Markte in Berührung kommt, wird er dem Gesetz des Marktes untertan. Dann ist sein Einkommen von der Gestaltung der Marktlage abhängig, und er hat sich ihr anzupassen, wenn er nicht aus seinem Besitze verdrängt werden will.

Die Auslesefunktion des Marktes wirkt sich auch in Bezug auf die Arbeit aus. Der Arbeiter wird von der Arbeit angezogen, die ihm den höchsten Lohn in Aussicht stellt. Die Arbeit wird, wie alle anderen Produktionsmittel, in der Gesamtwirtschaft auf die einzelnen Produktionszweige in der Weise verteilt, dass kein Arbeiter, der zur Leistung einer dringender benötigten Arbeit geeignet wäre, sich einer weniger dringend benötigten Arbeit zuwendet. Wie der Unternehmer und der Kapitalist muss auch der Arbeiter dem Gebot der Verbraucher folgen; wenn er das nicht will, dann muss er durch niedrigeren Lohn büßen.

Die Auslese des Marktes bildet keine Stände, Kasten oder Klassen im marxistischen Sinne. Auch die Unternehmer — unternehmungslustigsten Wirte — bilden keine besondere geschlossene Gruppe. Jeder Einzelne kann Unternehmer werden, wenn er sich die Gabe zutraut, die künftige Gestaltung der Marktlage besser vorauszusehen als seine Mitbürger, und wenn [273] seine Versuche, sich auf eigene Gefahr und Verantwortung zu betätigen, Erfolg haben. Man wird Unternehmer, indem man sich — im vollen Sinne des Wortes — vordrängt und damit der Prüfung stellt, der der Markt ohne Ansehung der Person jeden unterwirft, der Unternehmer werden oder bleiben will. Jedermann hat die Wahl, ob er sich diesem strengen Prüfungsverfahren aussetzen will oder nicht. Er hat nicht darauf zu warten, dass man ihn dazu auffordert; er muss selbst aus eigenem Antrieb vortreten und muss sich selbst darum kümmern, wie und wo er die Mittel für die Betätigung als Unternehmer finden kann.

Man hat seit Jahrzehnten immer wieder die Behauptung vertreten, dass das Aufsteigen von mittellosen Leuten in Unternehmerstellungen im «Spätkapitalismus» nicht mehr möglich wäre. Eine Begründung für diese These ist nie gegeben worden. Seit sie aufgestellt wurde, hat sich die Zusammensetzung der Unternehmerschaft gründlich verändert; ein beträchtlicher Teil der früheren Unternehmer und ihrer Nachkommen sind ausgeschieden, und die hervorragendsten Unternehmer der Gegenwart sind wieder Emporkömmlinge, wie es in der kapitalistischen Wirtschaft immer gewesen ist.

VIII. Erzeuger und Verbraucher

Klagen über die Härte und Unbilligkeit des auf dem Markte herrschenden Ausleseverfahrens gehören zu dem volkstümlichsten Bestandteil der landläufigen Anklagen gegen den Kapitalismus. Um die Erzeuger — vor allem die Arbeiter, oft auch die Unternehmer und die Grundbesitzer, mitunter selbst die Kapitalisten — gegen die Tyrannei der Verbraucher zu schützen, sucht die Wirtschaftspolitik das Getriebe des Marktes zu hemmen, indem sie den minderwertigen Erzeuger in die Lage versetzt, sich dem tüchtigeren Erzeuger gegenüber im Wettbewerb zu behaupten. Was man Sozialpolitik nennt, ist oft nichts anderes als Schutz des Erzeugers gegen den Verbraucher. Es will «Produzentenpolitik» sein im Gegensatz zu der «Konsumentenpolitik» des unbehinderten Marktes.

Doch Erzeuger und Verbraucher sind identisch. Sie spielen im Marktgetriebe verschiedene Rollen, sie sind für die Theorie gesonderte Funktionen, doch sie sind im Leben dieselben Menschen. Wenn man einen Erzeuger oder einige Erzeuger durch Privilegien schützt und ihnen damit die Möglichkeit bietet, auch bei weniger vollkommener Bedienung der Verbraucher jener Vorteile teilhaft zu werden, die auf dem durch [274] Eingriffe der schirmenden Obrigkeit nicht behinderten Markte nur den die Wünsche der Verbraucher am zweckmäßigsten befriedigenden Erzeugern zukommen, so geht dieser Schutz zu Lasten der Verbraucher, die nun schlechter versorgt werden. Wenn man die Mehrheit der Erzeuger oder alle Erzeuger auf diese Weise begünstigen will, so schädigt man die Mehrheit der Verbraucher oder alle Verbraucher.

Wenn der Verbraucher der Meinung ist, es wäre richtig, für inländisches Getreide einen höheren Preis zu bezahlen als für solches, das aus dem Ausland eingeführt wird, oder für Waren, die aus Fabriken stammen, in denen bestimmte Einrichtungen sozialpolitischen Charakters bestehen, mehr zu zahlen als für solche, die aus anderen Fabriken stammen, hindert ihn nichts an der Durchführung dieser Absicht. Er hätte sich nur zu überzeugen, ob die angebotenen Waren jenen Bedingungen entsprechen, die er an die Gewährung eines höheren Preises knüpft. Schutz der Herkunftsbezeichnung der Waren und Schutz der Fabriksmarken würden vollkommen den Zweck erreichen, den man durch Schutzzoll und durch sozialpolitische Zwangsmassnahmen zu erzielen sucht. Die Tatsache steht aber fest, dass die Verbraucher nicht dieser Meinung sind. Dass eine Ware als solche ausländischer Herkunft gekennzeichnet wird, hindert ihren Absatz nicht, wenn sie billiger oder besser ist. Die Käufer auf dem Markte wollen in der Regel so billig als möglich kaufen, ohne dabei zwischen den Erzeugern Unterschiede zu machen.

Die psychologische Grundlage der Produzentenpolitik, wie sie in den letzten Jahrzehnten in allen Staaten der Welt betrieben wurde, war die Anerkennung von Theorien, die die Belastung der Verbraucher durch die Maßnahmen zum Schutze der minderleistungsfähigen Erzeuger bestritten haben. Man hat es verstanden, den Verbrauchern die Meinung beizubringen, dass Zölle und sozialpolitische Maßnahmen, die die Erzeugungskosten erhöhen, nicht von ihnen bezahlt werden, sondern von anderen Personen oder Personengruppen, oder dass zumindest der zusätzliche Geldaufwand, der ihnen durch solche Verfügungen erwächst, durch andere Vorteile, die sich in ihrem Geldeinkommen oder in ihren Geldausgaben ausdrücken, aufgewogen wird. Wenn die Verbraucher den Maßnahmen dieser Art, die ihre Lebenskosten erhöhen oder, richtiger gesagt, ihre Lebenshaltung herabdrücken, nicht erfolgreich Widerstand entgegengesetzt haben, so geschah das nicht in der Erwägung, dass ihre in der Geldgebahrung der Verbraucher zum Ausdruck gelangenden Nachteile durch Vorteile anderer Art, die sich, für den [275] einzelnen Verbraucher zumindest, nicht in Erhöhung der Geldeinnahmen oder Verringerung der Geldausgaben auswirken, aufgewogen werden. Die Verbraucher haben den Zöllen nicht zugestimmt, weil sie der Ansicht waren, dass die Mehrbelastung ihres Verbrauchs durch den Zollschutz durch nationalpolitische Vorteile ausgeglichen werde, sondern teils, weil sie der Meinung waren, dass der Zollschutz überhaupt keine Verteuerung bringe, teils, weil sie dachten, dass der Zollschutz auf der anderen Seite ihr Geldeinkommen erhöhe oder sonst ihre Lebenshaltung verbessere. Jene Ideologen und Politiker denken folgerichtig, die die Verschlechterung der Lebenshaltung durch die von ihnen empfohlenen staatliche Eingriffe in Kauf nehmen wollen, weil andere — sogenannte nicht reinwirtschaftliche — Vorteile, die sie — ob mit Recht oder mit Unrecht, ist zunächst gleichgültig — vom Zollschutz erwarten, in ihren Augen die Nachteile reinwirtschaftlicher Natur aufwiegen. Doch die Massen, die diese Auffassung nicht teilen, die in den Eingriffen überhaupt keine Schmälerung ihres Wohllebens erblicken, haben die Produzentenpolitik aus Unverstand mitgemacht und nicht in klarer Erkenntnis ihrer Folgen.

Hat aber den Verbrauchern das Bewusstsein nicht gefehlt, dass die Eingriffe zu Gunsten der minderleistungsfähigen Erzeuger sie selbst belasten und haben sie nichtsdestoweniger die Maßnahme gefordert und durchgesetzt, so war ihr Bestreben darauf gerichtet, eine Minderheit, die anders denkt und daher anders handeln würde als sie, zu zwingen, sich dem Willen der Mehrheit zu unterwerfen. Denn um sich selbst dazu zu bringen, die Ware ausländischer Herkunft und die inländischer Herkunft verschieden zu behandeln, bedarf es unter dieser Voraussetzung keines gesetzlichen Zwanges. Sie selbst wären ja bereit, für die Ware inländischer Herkunft mehr zu bezahlen, auch wenn kein Gesetz und kein Zwangsapparat sie dazu nötigen würde.

Das weist uns auf den grundlegenden Unterschied hin, der zwischen dem, was man die Demokratie des Marktes genannt hat, und der Nachbildung der Marktverfassung in der politischen Demokratie besteht. Auf dem unbehinderten Markt gibt es keine Minderheit, der die Mehrheit ihren Willen aufzudrängen vermag. Jeder Verbraucher hat die Möglichkeit, seine eigene Wahl zu treffen und die Erzeugung auf den Weg zu lenken, der zur Erreichung seiner Ziele führt. Wenn viele dieselben Wünsche erfüllt sehen wollen, wenn viele das gleiche Erzeugnis begehren, dann wird Erzeugung im Grossen lohnend und der Wettbewerb der Verbraucher führt nicht zur Verteuerung, [276] sondern zur Verbilligung des begehrten Erzeugnisses. Wer sich dem Geschmack der Übrigen nicht anpasst, wer begehrt, dass für ihn etwas erzeugt werde, was kein anderer begehrt, der muss freilich viel mehr für die Befriedigung seines Sonderwunsches aufwenden als die Befriedigung seines Begehrs durch ein Erzeugnis, das auch von vielen anderen begehrt wird, kostet; der Preisunterschied mag so hoch sein, dass die Befriedigung des Sonderwunsches ihm unmöglich erscheint.

Doch es ist ein Ausnahmefall, dass jemand etwas begehrt. was keiner sonst verlangt. Praktisch von ungleich größerer Bedeutung ist der Fall, dass Minderheiten anderes begehren als die Mehrheit. Hier bewährt sich die Demokratie des Marktgetriebes. Jeder Minderheit ist es möglich, sich das zu beschaffen, was sie begehrt, wenn sie bereit ist, die Opfer zu bringen, die die Erfüllung ihrer Wünsche erfordert. Die Erzeuger arbeiten für die Bedürfnisse der Minderheit nicht anders als für die Bedürfnisse der Mehrheit.

Wie jedermann als Verbraucher Käufer ist, so ist jedermann auch Verkäufer von Produktionsmitteln — Arbeit oder sachlichen Produktionsmitteln — oder von gebrauchsfertigen Gütern. Die Trennung der Funktionen in der Marktwirtschaft führt zu einer Spaltung des Bewusstseins. Der Einzelne ist sich dessen nicht bewusst, dass er sowohl Käufer als auch Verkäufer, sowohl Verbraucher als auch Erzeuger ist. Er fühlt sich nicht zugleich als Erzeuger und als Verbraucher, als Beauftragter und als Auftraggeber, sondern je nach der Handlung, die er setzt, bald in der einen, bald in der anderen Rolle. Wenn er das gebrauchsfertige Gut erstehen will, ist er nur Käufer, Verbraucher und gestrenger Richter der Leistung der Erzeuger; wenn er als Unternehmer, Kapitalist, Bodenbesitzer, Arbeiter verkaufen, verleihen oder vermieten soll, dann ist er nur Verkäufer, der nicht merkt, dass er in letzter Linie auch an sich selbst verkauft, verleiht oder vermietet. Aus dieser Spaltung ergeben sich wichtige Folgen für die Bildung der Ideologien und der politischen Parteiungen. Die politischen Kämpfe des neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts wurden im Zeichen von Lehren ausgefochten, die nur die Spaltung der Funktionen gesehen haben und die Einheit der Gesellschaft hinter ihrer Gliederung nicht zu entdecken vermochten.

Es gibt keinen Gegensatz der Interessen zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Der Einzelne hat im Einzelakt, den er setzt, Interessen, die denen der anderen Geschäftspartei entgegenstehen. Doch die Gesamtheit der Verkäufer und die Gesamtheit der Käufer haben die gleichen Interessen, weil sie eben identisch sind.

[277]

IX. Die Werbung

Der Unternehmer kann seinen Konkurrenten im Wettbewerb nur dadurch zuvorkommen, dass er darauf bedacht ist, billiger und besser den Markt zu versorgen. Billiger, das bedeutet reichlichere Versorgung; besser, das bedeutet Versorgung mit bisher nicht auf den Markt gebrachten Waren.

Der Verbraucher ist nicht allwissend. Er weiß nicht nur nicht, wo er das, was er sucht am billigsten finden kann. Er weiß oft auch nicht, was er suchen will. Im besten Falle kennt er die Marktlage von gestern und denkt daran, sich nach einem Plan zu versorgen, den er auf Grund dieser Kenntnis entwirft. Über die neue Marktlage sucht ihn der Unternehmer, der die Neuerung gebracht hat, durch Werbung zu unterrichten.

Die Werbung des Unternehmers um die Gunst des Verbrauchers muss, wenn sie ihren Zweck erreichen soll, aufdringlich sein. Sie hat einen Unaufmerksamen aufmerksam zu machen, einen verborgenen Wunsch in ihm zu erwecken, ihn vom Gewohnten zum Ungewohnten zu locken. Um zu wirken, muss die Werbung so beschaffen sein, wie die Geistigkeit des Umworbenen sie verlangt. Sie muss seinem Geschmack entsprechen. Sie muss seine Sprache reden. Sie ist grell, laut, grob, mit einem Worte marktschreierisch, weil das allein Erfolg verspricht. Die moderne Unternehmungstechnik hat die Kunst der Werbung sorgfältig ausgebildet und sie zu einer Art angewandter Psychologie gemacht, die man recht wohl im Gefüge der angewandten Wissenschaften der Pädagogik an die Seite stellen darf.

Die auf die Massen berechnete Reklame stößt feiner empfindende Menschen ebenso ab wie alle Erzeugnisse, die dem Geschmack des Pöbels dienen wollen. Die Beurteilung, die dem Werbewesen zuteil wird, ist durch diese Empfindungen stark beeinflusst. Man hält die Werbung durch den Unternehmer für einen «Auswuchs» des «schrankenlosen» Wettbewerbs im kapitalistischen System und möchte sie wohl am liebsten ganz beseitigen. An ihre Stelle könnte, meint man, Unterweisung in der Warenkunde treten, sei es im Rahmen des allgemeinen Schulunterrichts, sei es durch unparteiische Belehrung in der unabhängigen Presse, sei es durch genossenschaftliche Einrichtungen der Verbraucher.

Jede Beschränkung der Werbefreiheit der Unternehmer würde zugleich auch die Freiheit der Verbraucher einengen. Sie könnten sich über die Marktlage und über alle übrigen Voraussetzungen, die für ihre Entscheidung von Bedeutung sein können, nicht mehr so unterrichten, wie sie es wollen und wie [278] es ihnen ihre Einsicht gestattet. Sie würden ihre Wahl nicht mehr unmittelbar auf Grund der Eindrücke zu fällen haben, die die Bewerbung der Unternehmer bei ihnen hinterlässt, sondern auf Grund von Empfehlungen, die aus Urteilen hervorgegangen sind, die dritte Personen gefällt haben. Sie könnten manche Irrtümer vermeiden, die sich mitunter in die ihrer Entscheidung zugrundeliegenden Gedankengänge einschleichen. Doch sie würden nicht mehr selbst entscheiden; für sie würden andere zumindest mitentscheiden. Wo Werbefreiheit besteht, sind die Verbraucher gleichsam in der Lage eines Gerichtshofes, der sich durch Erhebung des Tatbestandes über den Sachverhalt selbst unterrichtet. Wo die Werbefreiheit beschränkt ist, lernen die Verbraucher den Tatbestand nur so kennen, wie ein Gerichtshof, dem ein Berichterstatter über das Ergebnis von Erhebungen berichtet.

Die weitverbreitete Meinung, die Werbung könne, wenn sie nur zweckmäßig angelegt wird, den Verbraucher so beeinflussen, wie sie wolle, ist durchaus falsch. Wäre sie richtig, dann wären Erfolg und Misserfolg des Unternehmers allein von der Wirkung seiner Werbung abhängig. Doch das wird wohl niemand bestreiten wollen, dass keine noch so fein ausgesonnene Werbung es vermocht hätte, die Postkutsche gegen die Eisenbahnen, die Eisenbahnen gegen den Kraftwagen, die Kohle gegen Elektrizität und Öl, die Gasbeleuchtung gegen die elektrische Glühlampe zum Siege zu führen. Sobald man aber das zugegeben hat, hat man bereits zugestanden, dass es Grenzen für den Erfolg der Werbung in der objektiven Brauchbarkeit und Verwendbarkeit der empfohlenen Waren und Dienste gibt, dass somit der Erfolg der Werbung von der Qualität des Empfohlenen abhängt. Dann aber ist nicht abzusehen, warum es dem besser Geeigneten nicht mit Hilfe der Werbung gelingen sollte, das weniger Geeignete endlich und schließlich aus der Gunst des Publikums zu verdrängen.

Es ist gewiss möglich, durch geschickte Werbung den Verbraueber zum Versuch mit einem Artikel zu bewegen, den er nicht gewählt hätte, wenn er seine Eigenschaften schon vor dem Versuch gekannt hätte. Es ist der Werbung unter Umständen auch möglich, die Urteilsbildung des Verbrauchers so stark zu beeinflussen, dass er Urteile fällt, deren Bildung man nur durch Zuhilfenahme der psychologischen Begriffe Suggestion und Hypnose zu erklären vermag. Doch solange Freiheit der Werbung besteht, solange es auch dem den besseren Artikel erzeugenden Unternehmer freisteht, sieh der Werbung zu bedienen, ist nicht abzusehen, warum gerade der vom Standpunkt des Verbrauchers schlechtere Artikel den besseren aus dem Felde [279] schlagen müsste oder könnte. Die Möglichkeit, sich der den Verbraucher irreführenden Kunstgriffe zu bedienen, steht den Erzeugern der guten und der schlechten Ware in gleicher Weise zur Verfügung. Dem Erzeuger der guten Ware allein kommt jedoch im Wettbewerb der Vorteil zustatten, der in der besseren Brauchbarkeit seines Artikels gelegen ist.

Die Wirkung der Werbung im Rahmen der Marktwirtschaft und des marktwirtschaftlichen Handelns wird durch den Umstand bestimmt, dass der Verbraucher sich durch die Erfahrung, die er mit dem angepriesenen Artikel oder der angepriesenen Leistung macht, selbst ein Urteil über deren Brauchbarkeit zu bilden vermag. Wenn die Hausfrau ein Backpulver oder ein Waschmittel versucht hat, weiß sie wohl in der Regel selbst, ob es für sie zweckmäßig ist, auch in Hinkunft diese Artikel zu kaufen und zu verwenden. Die Werbungskosten machen sich daher für den Erzeuger nur dann bezahlt, wenn der Versuch nicht zur Ablehnung seiner Ware durch den Verbraucher führt. In den Kreisen der Erzeuger und Händler waltet allgemein die Überzeugung, dass nur die gute, ja nur die vorzügliche Ware oder Leistung die Kosten der Werbung hereinzubringen vermag.

Wesentlich anders liegen die Dinge dort, wo die von der Werbung behaupteten Tatsachen durch die Erfahrung nicht überprüft werden können. Der Käufer eines Waschmittels kann sich durch eigene Erfahrung davon überzeugen, ob der Gebrauch dieses Mittels vorteilhafter ist als der anderer Waschmittel. Doch die Behauptungen, die von der Werbung für religiöse, metaphysische und politische Parteien vorgebracht werden, lassen sich durch die Erfahrung nicht überprüfen. Über das Jenseitige und über das Absolute ist dem im Diesseits lebenden und wirkenden Menschen Erfahrungswissen versagt. Im politischen Leben kann Erfahrung nichts entscheiden, weil sie stets nur Erfahrung eines komplexen Tatbestandes ist; so steht denn über der Werbung hier keine andere Instanz als Vernunft und apriorische Überlegungen. Darum sind politische Propaganda und kaufmännische Werbung durchaus verschiedene Dinge, mögen sie sich auch oft gleicher Mittel bedienen.

Die Vorstellung, dass die Werbung den Verbraucher dem Willen der Erzeuger untertan mache, entspringt einer Auffassung, die das Getriebe der Marktwirtschaft verkennt. Wenn bessere oder billigere Erzeugnisse als die von einem Erzeuger marktschreierisch angebotenen erzeugt und angeboten werden können, dann wird der Umstand, dass für das schlechtere oder teurere Produkt wirksamste Reklame gemacht wurde, sie nicht auf die Dauer vom Markte fernhalten können und wird nicht [280] verhindern, dass sie schließlich das minderwertige Produkt vom Markte verdrängen.

Die Kosten der Werbung spielen dabei keine andere Rolle als die übrigen Erzeugungskosten. Auch sie sind vom Standpunkte dessen, der sie aufwendet, Erzeugungskosten und müssen sich durch den Erlös der Produkte bezahlt machen. Der Unternehmer wendet Werbekosten auf, wenn er erwartet, dass die durch sie bewirkte Absatzsteigerung den Reingewinn erhöhen wird. Doch auch die Aufwendung aller übrigen Produktionskosten erfolgt unter den gleichen Voraussetzungen. Es ist unberechtigt, vom nationalökonomischen Gesichtspunkt aus zwischen Erzeugungskosten und Verkaufskosten zu unterscheiden, indem man etwa behauptet, das Steigen der Erzeugungskosten erhöhe das Angebot, das Steigen der Verkaufskosten, zu denen alle Werbekosten zu rechnen sind, erhöhe dagegen die Nachfrage [143] . Alle Aufwendungen, die für die Erzeugung gemacht werden, beabsichtigen, die Nachfrage zu erhöhen. Wenn der Erzeuger von Bonbons besseres Material zur Erzeugung verwendet, dann will er dadurch geradeso den Absatz steigern wie durch saubere Verpackung der Ware, durch geschmackvolle Ausstattung der Verkaufsstätten, durch Anzeigen in den Zeitungen und durch Plakatierung. Wenn der Unternehmer die Erzeugungskosten der Gütereinheit erhöht, will er immer die Nachfrage steigern und nicht das Angebot mehren. Will er dagegen das Angebot vermehren, dann muss er die Gesamtproduktionskosten steigern, wobei mitunter die Produktionskosten der Gütereinheit sinken können.

X. Die Wirte und die Volkswirtschaft

Die Marktwirtschaft kennt keine politischen Grenzen. Ihr Feld ist die Welt.

Der Begriff Volkswirtschaft ist kein Begriff, der sinnvoll auf Probleme der Marktwirtschaft angewendet werden kann. Er ist, wenn man ihn im Hinblick auf marktwirtschaftliche Erscheinungen gebraucht, ein politisches Schlagwort, das zur Bezeichnung eines wirtschaftspolitischen Programms dient.

Als Käufer und als Verkäufer, als Erzeuger und als Verbraucher machen die Wirte keinen Unterschied zwischen Inland und Ausland. Die Regierungen sehen das ungern und bauen [281] daher institutionelle Hindernisse im zwischenstaatlichen Verkehr auf. Sie suchen die Einheit des Weltmarktes, auf die die Entwicklung der Arbeitsteilung hinarbeitet, zu sprengen und an ihre Stelle autarke Wirtschaftsgebiete zu setzen. Autarke Wirtschaftsgebiete solcher Art hat es bisher nie gegeben. Es hat Zeiten gegeben, in denen die Arbeitsteilung auf den engsten Kreis und die Familie oder das Haus beschränkt war. Es hat autarke Wirtschaft geschlossener Hauswirtschaften größeren und kleineren Umfangs gegeben, denen der gesellschaftliche Tausch fremd geblieben ist. Sobald jedoch gesellschaftlicher Tausch aufgenommen wurde, griff er über die Grenzen der politischen Verbände hinaus. Älter als der Tausch zwischen Nachbarn und Mitgliedern desselben politischen Körpers ist der Tausch zwischen entfernten Gegenden, ohne Rücksicht auf die politische und staatliche Gliederung. Das, was man zunächst durch Tausch und Handel zu erlangen suchte, waren die Produkte, die man auf eigenem Boden nicht gewinnen konnte. Gegenstand des Handelsverkehrs wurden zuerst die Mineralien und Metalle, deren Fundstätten ungleichmäßig über die Erde verteilt sind, dann Bodenfrüchte, die nicht überall reifen können, und schließlich Produkte, die man nur in manchen Gegenden zu erzeugen verstand. Der Handel war in seinen Anfängen gleich Außenhandel. Erst später trat der Binnenhandel hinzu. Die erste Bresche, die die geschlossene Hauswirtschaft dem Verkehr eröffnete, wurde durch Erzeugnisse ferner Gebiete geschlagen. Nie hat ein Wirt sich darum gekümmert, ob das Salz und die Metalle, die er erstand, aus dem Ausland oder aus dem Inland kommen.

Der alte wie der neue Merkantilismus wollen die Staatgebiete zu autarken Wirtschaftsgebieten machen. Die Regierungen wollen den Wirt, der als Käufer und Verbraucher zwischen «fremder» und «heimischer» Ware keinen Unterschied macht, dazu bringen, der «heimischen» Ware den Vorzug zu geben.

Doch die einzelnen Maßnahmen, die eine Regierung trifft, um die Wirte ihres Staatsgebietes vom Weltmarkt zu trennen oder zu entfernen, schaffen weder Autarkie noch Volkswirtschaft. Sie sind institutionelle Hindernisse des Verkehrs, deren Wirkung nicht verschieden ist von der Wirkung natürlicher Hindernisse. Ein Zoll, der die Einfuhr kanadischen Weizens nach Deutschland verteuert, hat nur dem Ausmaß, nicht auch der Art nach andere Wirkung als die Frachtspesen. Ein Verbot, das die Einfuhr von Kaviar nach Deutschland unmöglich macht, wirkt nicht anders, als ob Kaviar die Versendung auf weite Strecken nicht vertragen könnte.

[282]

Auch ein im strengen Sinn des Wortes autarkes Marktwirtschaftsgebiet wäre noch keine Volkswirtschaft. Eine Marktwirtschaft, die durch unübersteigbare Hindernisse natürlicher oder institutioneller Art vom Verkehr mit der übrigen bewohnten Welt abgeschnitten ist, ist ein isoliertes Wirtschaftsgefüge, doch sie bleibt in jeder Hinsicht Marktwirtschaft. Dass die Wirte dieses Gefüges die Vorteile entbehren, die ihnen durch Einbeziehung der übrigen Menschheit und der übrigen Teile der Erde in ihr arbeitsteiliges System erwachsen würden, ist ein Datum ihres Wirtschaftens.

Volkswirtschaft ist die Gemeinwirtschaft eines Volkes. Sie ist ein auf ein Volk beschränkter Sozialismus. Sie kennt kein Sondereigentum an den Produktionsmitteln und keine einzelnen Wirte. Die Produktionsmittel sind Eigentum des Volkes. Es gibt nur einen Wirt: das im Namen des Volkes wirtschaftende Organ.

Unter dem Einfluss der für die merkantilistischen Ideen gemachten Propaganda bedienen sich die Wirte in der Marktwirtschaft oft einer Ausdrucksweise, die mit den Grundsätzen, die sie im Handeln befolgen, ebenso im Widerspruch steht wie mit dem Ganzen der Gesellschaftsordnung, in der sie zu handeln haben. Der Engländer spricht von den in England gelegenen Produktionsstätten und mitunter auch von denen, die in den britischen Dominions, in Indien und in den Kronkolonien liegen, als von «unseren». Doch wenn er nicht gerade eine politische Demonstration beabsichtigt, ist er nicht geneigt, freiwillig für das Erzeugnis, «seiner» Werke mehr zu zahlen als für das der «fremden» Werke. Aber auch dann, wenn er so vorgeht, wird diese Ausdrucksweise noch nicht sinnvoll. In welchem Sinne kann ein Londoner, der nicht Bergwerksbesitzer ist, in England gelegene Kohlengruben als «unsere» bezeichnen? In welchem Sinne kann er die Kohlengruben des Ruhrgebiets als «fremde» bezeichnen? Ob er Kohle englischer oder deutscher Herkunft kauft, er muss doch in jedem Fall den Marktpreis bezahlen.

Im 18. Jahrhundert hat kein Wiener davon gesprochen, dass Brüssel «uns» gehört. Er wird den Tatbestand, dass Brüssel damals «österreichisch» war, richtig ausgedrückt haben durch den Satz: Unser Landesherr ist auch der Beherrscher der (vormals spanischen) Niederlande. Doch hundert und mehr Jahre später sagte der Wiener oder Prager harmlos: «Galizien gehört uns» oder «wir haben Bosnien okkupiert». Nach dem Friedensschluss von St. Germain sagte der Wiener: «Man hat uns unsere Kohlengruben genommen» und nicht nur die Wiener und die anderen Österreicher, sondern die ganze Welt [283] bezweifelte, ob ein «Land» ohne Kohlengruben «lebensfähig» sei [144] . Man mag es als ein Zeichen glücklicher Übereinstimmung von Staats- und Volkswillen ansehen, dass die Staatsbürger sich in dieser Weise mit dem Staate identifizieren. Man wird aber die Zweideutigkeit dieser Ausdrucksweise nicht bestreiten können.

Hinter dieser Zweideutigkeit birgt sich ein Widerspruch der Ideologien, den kein Kompromiss zu versöhnen vermag. Es kann nicht gelingen, den Gegensatz zwischen der marktlosen Gemeinwirtschaft eines Volkes und der Marktwirtschaft, die Wirte, doch nicht Völker als handelnde Einheiten kennt, zu überbrücken. In der Marktwirtschaft ist die Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Waren ein politisches Postulat. Sie wird nur dort sinnvoll, wo eine Volkswirtschaft als handelnde Einheit allen ihr nicht angehörigen Wirten gegenübersteht.

Soweit es außer dem Staat noch andere Wirte gibt, soweit Einzelne noch über Produktionsmittel verfügen, soweit es Sondereigentum an den Produktionsmitteln und daher Tausch gibt, besteht keine Volkswirtschaft. Die staatlichen und kommunalen Unternehmungen stellen noch kein Stück Volkswirtschaft dar. Nicht durch fortschreitende Verstaatlichung und Verstadtlichung wurde die Marktwirtschaft in Russland und im Deutschen Reich zur Volkswirtschaft, sondern durch die Verfügung, dass fortan alle Unternehmungen und alle Eigentümer von Produktionsmitteln den Befehlen der Regierung gemäss zu wirtschaften haben. Diese Verfügung war zunächst nur ein Grundsatz für die künftige Politik der Regierung. Sie wurde in dem Maße wirksam, als schrittweise durch Spezialgesetze die einzelnen Zweige der Produktion und die einzelnen Arten von Geschäften dem Befehl der Regierungsorgane unterstellt wurden.

 


 

3. KAPITEL: DIE PREISE

I. Die Preisbildung auf dem Markte

Wenn Wirte, die sonst nicht mit anderen Wirten zu tauschen pflegen, gelegentlich einmal Güter austauschen, die sonst nicht umgesetzt zu werden pflegen, ist das Austauschverhältnis durch die Wertungen der Parteien oft nur innerhalb weiter Grenzen [284] bestimmt. In welcher Höhe es sich innerhalb dieses Spielraums bildet, hängt von besonderen Umständen ab, über die die Katallaktik, die Lehre von den Austauschverhältnissen und Preisen, nichts Näheres zu sagen hat. Alles, was wir von diesen Fällen wissen können, ist, dass der Tausch nur dann zustande kommen kann, wenn jeder der beiden Partner das, was er hingibt, weniger hoch schätzt als das, was er empfängt.

Die einzelnen Tauschakte werden in dem Maße zum Marktverkehr, in dem in der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung die Arbeitsteilung an Boden gewinnt. Da man regelmäßig für fremden Bedarf produziert, muss man auf den Markt, um zu verkaufen und um zu kaufen. Die Häufung der Tauschakte und das Wachsen der Zahl derer, die gleichartige Waren anbieten oder begehren, verengen den Spielraum, den die Wertungen beim gelegentlichen Tausch nur ausnahmsweise tauschender Wirte lassen. Der indirekte Tausch und seine Vervollkommnung durch den Gebrauch des Geldes zerlegt die Umsätze in Kauf und Verkauf; das Geld ermöglicht einen genauen Ausdruck der Austauschverhältnisse, die nun als Geldpreise erscheinen. Die Wertschätzungen des letzten noch zum Tausch kommenden Käufers und des tauschfähigsten ausgeschlossenen Verkaufsbewerbers auf der einen Seite und die des mindest tauschfähigen noch zum Tausche gelangenden Verkäufers und des tauschfähigsten vom Tausch ausgeschlossenen Kaufbewerbers rücken so nahe aneinander heran, dass der Preis innerhalb enger Grenzen bestimmt wird. Nun erst gibt es einen Markt und Marktpreise.

Die Einheit des Marktes wird durch das Wirken der Unternehmer hergestellt. Man pflegt davon zu sprechen, dass die Lehre von den Marktpreisen auf der — der Wirklichkeit nicht entsprechenden — Annahme aufgebaut sei, dass alle Marktparteien den Markt vollkommen überblicken, so dass sie die günstigste Gelegenheit für Kauf und Verkauf ausfindig machen und benützen können. In der Tat haben manche Nationalökonomen eine derartige Annahme für unentbehrlich erklärt. Sie haben nicht bemerkt, wodurch sich die Wirtschaft, in der diese Bedingung erfüllt wäre, von der Wirtschaft, der wir unser besonderes Interesse zuwenden, weil sie die wirkliche Wirtschaft ist, unterscheiden würde. Sie haben ebenso wenig bemerkt, dass sie zwar die Notwendigkeit dieser Annahme behauptet haben, dass sie selbst jedoch die Probleme ohne diese Annahme bearbeitet haben.

In einem Wirtschaftsgefüge, in dem alle Wirte die Marktlage mit dem gleichen Ausmaß von Einsicht überblicken [285] würden, würde die Anpassung der Preise an jede auftretende Datenänderung mit einem Schlage vor sich gehen. Es ist nicht möglich, sich die Entstehung dieser Gleichförmigkeit in der Erkenntnis und Beurteilung der auftretenden Datenänderungen anders als durch das Eingreifen übernatürlicher Mächte zu denken; wir müssen schon annehmen, dass zu jedem Wirt ein Engel tritt, der ihn über das unterrichtet, was vorgefallen ist, und ihn belehrt, wie er unter den gegebenen Verhältnissen am zweckmäßigsten handeln könnte. Der Markt, mit dem wir uns beschäftigen, ist jedenfalls von Menschen erfüllt, die verschieden über die Daten unterrichtet sind und die auch, wenn sie über die gleiche Kenntnis der Daten verfügen, verschieden urteilen. Es ist für das Getriebe dieses Marktes wesentlich, dass die Veränderung der Daten zunächst nur von einem Teil der Wirte erkannt wird und dass die einzelnen Wirte dieselben Tatbestände verschieden beurteilen. Die unternehmenden Wirte gehen voran, die anderen werden von ihnen nachgezogen; die klügeren Wirte beurteilen die Wirkungen einer Datenänderung zutreffender als die übrigen und sind daher im Handeln erfolgreicher. Eine der Voraussetzungen und Bedingungen, von der die Nationalökonomen in der Befassung mit den Marktproblemen immer ausgehen müssen, ist die, dass die natürliche und die erworbene Ungleichheit der Menschen auch die Anpassung der einzelnen Wirte an die Verhältnisse der Umwelt ungleich gestaltet.

Das Getriebe des Marktes wird nicht durch die Verbraucher und nicht durch die, die über die Produktionsmittel verfügen, in Gang gesetzt und gehalten, sondern durch eine Anzahl von Wirten, die durch die Ausnützung der Preisunterschiede gewinnen wollen, die Unternehmer. Das sind Wirte, die mit mehr Eifer und Geschick als die übrigen Wirte nach Verdienstmöglichkeiten Ausschau halten; sie kaufen, wo und wann sie die Preise für zu niedrig halten, und verkaufen, wo und wann sie die Preise für hoch ansehen. Die Spekulation der Unternehmer ist die Triebkraft der Marktbewegungen, wie sie die Triebkraft der Produktion ist. Die Unternehmer suchen die Eigentümer der Produktionsmittel auf, und ihr Wettbewerb treibt die Preise der Produktionsmittel so hoch hinauf, als es ihre Erwartungen über die spätere Höhe der Preise der Endprodukte zulässig erscheinen lassen; die Unternehmer suchen die Verbraucher auf und drücken im Wettbewerb die Preise der Produkte so tief herab, dass der ganze Vorrat abgesetzt werden kann.

Das geht auf dem Markte ohne Unterlass weiter, es sei denn, dass durch das Wirken der Unternehmer einmal ein Zustand [286] erreicht werden sollte, in dem den unternehmungslustigen Wirten keine Aussicht auf Gewinn mehr winkt, weil alle Preise der komplementären Produktionsmittel genau den Preisen der Genussgüter entsprechen und weitere Veränderungen nicht mehr zu erwarten sind [145] . Wir wissen, dass dieser Zustand des Gleichgewichts nie erreicht werden kann und dass die gleichmäßige Wirtschaft ein Gedankenbild ist, dem die sich immerfort verändernde Wirklichkeit nie entsprechen kann. Wir bedienen uns dieses Gedankenbildes nur zu dem Zwecke, um den Antrieb und den Sinn der Unternehmertätigkeit zu begreifen. Das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ist nicht etwa ein geistiges Werkzeug zur Erklärung der Preisbildung; die Gleichgewichtspreise, die ihm zugeordnet sind, sind von den Marktpreisen, deren Werden wir zu begreifen haben, verschieden. Das Gedankenbild lässt uns den Sinn des Eingreifens der Unternehmer begreifen, indem es die Bedingungen, die es auslösen, negativ umschreibt.

Weder das Handeln der Unternehmer noch das anderer Wirte richtet sich nach Erwägungen, in denen das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft und die Vorstellung von Gleichgewichtspreisen eine Rolle spielen. Das Gedankenbild gehört ganz der Theorie an und hat mit dem Handeln selbst nichts zu tun. Die Unternehmer rechnen immer mit künftigen Preisen, doch nicht mit Gleichgewichtspreisen. Sie sehen Unstimmigkeit im Verhältnis der Preise der komplementären Produktionsmittel und der von ihnen erwarteten künftigen Preise der Produkte und wollen aus dieser Unstimmigkeit Vorteil ziehen. Durch diese Handlungen der Unternehmer werden im Wirtschaftsgefüge jene Bewegungen ausgelöst, die, wenn keine weiteren Datenänderungen auftreten würden, zur gleichmäßigen Wirtschaft hinführen müssten.

Der Wettbewerb der Unternehmer gibt der Preisgestaltung Einheitlichkeit. Preisunterschiede, die nicht bloß vorübergehend auftreten und wieder verschwinden, sind stets die Folge eines besonderen, die Ausgleichungstendenz behindernden Umstandes; dem Eingreifen der auf Gewinn spekulierenden Unternehmer steht ein Hindernis im Wege. Soweit Preisunterschiede zwischen zwei Orten nicht durch die Transportspesen (im weitesten Sinne des Wortes) verursacht sind, sind sie die Folge institutioneller Hemmungen der Unternehmertätigkeit. Der dem Geschäftsleben fernstehende Beobachter wird es oft nicht [287] vermögen, diese Hemmnisse des Preisausgleichs zu erkennen. Der Geschäftsmann weiß aber stets genau anzugeben, warum es der Arbitrage nicht gelingen kann, den Ausgleich herbeizuführen.

Die Bearbeiter der Preisstatistik pflegen da ihre Aufgabe viel zu leicht zu nehmen. Haben sie eine Verschiedenheit der Großhandelspreise zwischen zwei Orten oder Ländern festgestellt, dann beruhigen sie sich mit der Erklärung, die Kaufkraft des Geldes und das Preisniveau wären eben verschieden. Auf solchen Aussagen bauen sie dann Programme auf, die währungspolitische Maßnahmen zur Behebung der Preisdifferenzen fordern. Die Ursache der Preisunterschiede kann aber nicht auf der Geldseite liegen. Sind die Preise an beiden Orten in derselben Geldeinheit ausgedrückt, dann ist, wenn wir von den mit der Versendung von Geld verbundenen Spesen absehen, die Frage zu beantworten, warum die Unternehmer die Warenarbitragegeschäfte nicht ausführen, die die Preisunterschiede beseitigen müssten. Aber auch wenn die Preise in verschiedenen Geldarten ausgedrückt sind, steht die Sache nicht anders. Denn auch dann muss das wechselseitige Austauschverhältnis der beiden Geldarten sich endlich in solcher Höhe bilden, dass für rentable Warenarbitragegeschäfte kein Raum mehr bleibt. Wenn Preisunterschiede dennoch bestehen bleiben, dann ist es Sache der Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftbeschreibung festzustellen, was den Abschluss solcher Arbitragegeschäfte und damit den Preisausgleich verhindert hat.

Alle Preise, die wir kennen, gehören der Vergangenheit an; sie sind wirtschaftsgeschichtliche Tatsachen. Vom gegenwärtigen Preisstand können wir nur insofern sprechen, als wir uns für berechtigt halten, anzunehmen, dass der Preis der jüngsten Vergangenheit sich zunächst nicht ändern werde, weil die Daten, aus denen er hervorgegangen ist, sich voraussichtlich nicht ändern werden. Was wir von den Preisen der Zukunft zu wissen glauben, kann aber nie etwas anderes sein als Vermutung, die sich als richtig oder unrichtig zu erweisen haben wird.

Das Interesse, das die Wirte den Marktpreisen der jüngsten Vergangenheit entgegenbringen, ist durch die Erwartung gegeben, dass sie sich voraussichtlich nur wenig und langsam ändern werden, weil die Bedingungen, die sie geschaffen haben, sich nur wenig und langsam ändern werden. Die gesetzlichen Bestimmungen, die für die Bewertung von Waren und Diensten und für die Ermittlung von Schadensgutmachung an die Marktpreise anknüpfen, sind derselben Auffassung entsprungen. Preise, die unter außerordentlichen Umständen, deren Andauer oder Wiederkehr nicht wahrscheinlich ist, zustandegekommen [288] sind, begegnen bei den Wirten nur geringem Interesse; man verzeichnet sie höchstens als Merkwürdigkeit.

Die wirtschaftsgeschichtliche Erfahrung gibt uns nie mehr als die Feststellung, dass damals und dort zwischen zwei Parteien A und B eine bestimmte Menge m eines bestimmten Gutes a gegen eine bestimmte Menge p eines bestimmten Geldes umgesetzt wurde. Wenn wir auf Grund solcher Feststellungen einfach vom Marktpreise von a sprechen, so glauben wir die Berechtigung dazu in der theoretischen — von einem apriorischen Ausgangspunkt deduktiv ermittelten — Einsicht zu finden, dass bei Abwesenheit von besonderen Ursachen, die einen Preisunterschied bewirken, die zu gleicher Zeit an gleichem Orte für gleichgroße Mengen gleicher Waren gezahlten Preise im endlichen Stand gleich hoch werden müssen. Doch der endliche Preisstand wird in der sich verändernden Wirtschaft nie erreicht. Die Marktpreise, die wir aus der Beobachtung des Marktes kennen lernen, sind unter verschiedenen Bedingungen entstanden, und es ist nicht zulässig, Mittelwerte, die wir aus ihnen errechnen, als endliche Preise anzusehen.

Nur für die an Börsen börsenmäßig umgesetzten Waren kann man beim Vergleich von Preisangaben voraussetzen, dass der Gegenstand des Umsatzes gleichartig war. Außerhalb des Börsenverkehrs und des Handels mit einigen wenigen Rohstoffen (z. B. Metallen) und Halbfabrikaten (z. B. Chemikalien), bei denen die Gleichartigkeit naturwissenschaftlich mit ausreichender Genauigkeit ermittelt werden kann, darf man die Qualitätsverschiedenheit nicht außer acht lassen. Schon im Großhandel mit Textilrohstoffen spielen die Qualitätsunterschiede eine große Rolle. Preise von Genussgütern können nur in seltenen Ausnahmefällen verglichen werden, weil sie sich in der Regel nicht auf dieselben Qualitäten beziehen. Auch die Größe der umgesetzten Menge ist für die Preisgestaltung wichtig. Grosse Aktienpakete werden zu anderen Preisen umgesetzt als kleine Posten, und ähnliches gilt von allen Umsätzen. Die Vergleichbarkeit von Preisen, die an verschiedenen Orten gezahlt wurden, ist auch dadurch beeinträchtigt, dass die Börsenusancen und Handelsbräuche die aus dem Geschäftsabschluss erwachsenden Verpflichtungen der Parteien verschieden bestimmen.

Man muss das nochmals besonders hervorheben, weil es heute üblich ist, die Ergebnisse statistischer Bearbeitung von Preisangaben gegen die Preislehre auszuspielen. An der Preisstatistik ist jedoch alles problematisch. Ihre Grundlage ist nicht tragfähig, weil die Bedingungen, die es gestatten würden, die einzelnen Preisangaben zu vergleichen und zusammenzufassen, [289] meist nicht gegeben sind. Es ist unzulässig, sich über Qualitätsunterschiede, Usancenunterschiede und institutionelle Verschiedenheiten hinwegzusetzen, um Reihen zu bilden und Mittelwerte zu errechnen. Es ist ebenso unzulässig, die Zeitverschiedenheit, die zwischen den einzelnen uns bekannt gewordenen Preisangaben besteht, zu vernachlässigen.

Die theoretische Überlegung zeigt uns, dass auf dem unbehinderten Markte durch das Wirken der spekulierenden, auf Gewinn bedachten Unternehmer Preisunterschiede verschwinden müssen, soweit sie nicht durch die Kosten des Transports und ähnliche Spesen bedingt sind. Keine Erfahrung, die wir bei der Untersuchung von festgestellten Preisverschiedenheiten machen konnten, hat dem je widersprochen. Den Ergebnissen von Berechnungen, deren Grundlage die willkürliche Gleichsetzung von Ungleichem ist, dürfen wir die Beachtung versagen, auch wenn sie noch so kunstvoll durchgeführt werden.

II. Wertung und Preisbildung

Die Preise gehen aus den Wertungen hervor. Wir vermögen die Bildung der Preise aus den Wertungen zu begreifen und können mit Hilfe dieser Einsicht die Preisbildung im konkreten Einzelfall erfassen.

Die Preise entstehen als das Ergebnis der Wertung aller am Marktverkehr teilnehmenden Wirte. Jeder Einzelne wirkt an der Bildung aller Preise mit, doch sein Einfluss auf die Gestaltung jedes einzelnen Preises ist in der Regel außerordentlich gering. So erscheinen die Marktpreise dem Einzelnen als eine Tatsache der Außenwelt, die er als gegeben hinzunehmen und der er sein eigenes Handeln anzupassen hat.

Die Wertungen, aus denen die Preise hervorgehen, sind verschieden. Jeder der beiden Partner wertet das, was er im Tausche hingibt, niedriger als das, was er empfängt. Das Austauschverhältnis, der Preis, der auf dem Markte als Ausdruck von Gleichsetzung erscheint, ist das Ergebnis von Wertungsverschiedenheiten.

Von der Wertung ist die Bewertung zu unterscheiden. Das Bewerten hat mit den subjektiven Wertschätzungen dessen, der sie vornimmt, nichts zu tun. Er sucht nicht zu werten, sondern die Preise zu ermitteln, die voraussichtlich gezahlt werden dürften, die wirklichen Preise, nicht etwa die Preise, die nur geboten oder gefordert werden dürften, ohne dass es zu einem Umsatz kommt. Bewertungen sind Vermutungen über den zu erwartenden Marktpreis einer näheren oder ferneren Zukunft. Die Wertung ist ein Werturteil, das Verschiedenheit [290] ausdrückt; die Bewertung ist ein Urteil über ein Sein, über den Tatbestand, dass auf dem Markte für eine Ware ein bestimmter Geldpreis erzielt werden kann, oder über den Tatbestand, dass ein bestimmter Geldbetrag aufgewendet werden muss, um diese Ware zu erstehen.

Werten und Bewerten gehen in der Marktwirtschaft Hand in Hand. Die Werturteile eines isolierten Wirts vergleichen unmittelbar die Wichtigkeit, die er verschiedenen Mitteln zur Behebung von Unbefriedigtsein beilegt. Die Werturteile eines auf dem Markte kaufenden und verkaufenden Wirts müssen die Marktpreise berücksichtigen und daher Bewertungen — Schätzungen der zu erwartenden Preise — vornehmen. Die Bedeutung eines Preises kann man nur beurteilen, wenn man eine Vorstellung davon hat, was man für den Geldbetrag, der den Preis darstellt, sonst zu erwerben in der Lage wäre. Man muss eine Vorstellung von der Kaufkraft des Geldes haben, man muss die Marktpreise der Güter, für die man Interesse hat, ungefähr kennen und sich auf Grund dieser Kenntnis ein Urteil über ihre künftigen Preise bilden. Wenn der Einzelne im Hinblick auf die Genussgüter, deren Erwerbung er in Betracht zieht oder die er schon erworben hat, von Kosten spricht, so drückt er diese Kosten in dem Geldbetrag aus, den er für die Beschaffung aufwenden müsste oder aufgewendet hat. Doch mit der Vorstellung dieses Geldbetrages ist für ihn die Vorstellung der Gütermenge verknüpft, die er durch seine Hingabe erwerben konnte, wenn er ihn anders verwendet. Die Wertung macht den Umweg über die Bewertung, sie führt über Geldpreise, doch sie sucht in letzter Linie die Wichtigkeit zweier verschiedener Arten der Abstellung von Unbefriedigtsein zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen.

Die Wertung lasst uns die Bildung der Preise begreifen. Es ist die Bildung der Preise, die auf dem Markte wirklich empfangen und gegeben werden, die wir dabei im Auge haben, und nicht etwa der Preise, die sich bilden würden, wenn irgendwelche nicht gegebene Voraussetzungen eintreten würden. Wir sprechen von den Marktpreisen, nicht von Gleichgewichtspreisen, natürlichen Preisen, statischen Preisen oder dgl. Wir sprechen nicht von den Preisen, die dem Gedankenbild der gleichmassigen Wirtschaft oder irgend einem andern unserer praxeologischen Gedankenbilder entsprechen, sondern von den auf den Markten gezahlten Preisen. Wir sprechen nicht etwa von Preisen, die gebildet werden würden, wenn die Wirte nicht sterbliche Menschen und nicht mit menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten behaftet waren. Wir konstruieren keinen homo oeconomicus und keine Idealmenschen, [291] sondern wir nehmen den Menschen so, wie er ist. Dieser Mensch verfügt nur über unzureichende Einsicht und nur über beschränktes Wissen, er irrt, er kann leicht getäuscht werden, er weiß nicht immer, was ihm frommen würde, er ist ungeduldig, nervös, eitel, launenhaft, wetterwendisch. Doch dieser Mensch wertet, seine Wertungen entscheiden auf dem Markte, und aus seinen Handlungen gehen die Marktpreise hervor.

Wenn wir sagen, die Marktpreise bilden sich in der Höhe, in der Angebot und Nachfrage sich decken, haben wir nur einen andern Ausdruck für den Tatbestand gewählt, dass die Wertungen der Wirte die Preise gestalten. Denn Angebot und Nachfrage sind das Ergebnis der Wertungen der Verkäufer und der Käufer. Wenn caeteris paribus das Angebot steigt, muss der Preis sinken, weil das größere Angebot nur zu niedrigerem Preise ganz abgesetzt werden kann. Zum alten Preise konnten alle, die die Ware begehren, soviel davon kaufen, als sie um diesen Preis zu erwerben wünschen. Wenn nun mehr Ware angeboten wird, müssen sie mehr kaufen können und es müssen auch Wirte zum Kaufe herangezogen werden, die nur einen geringeren Preis zu bieten bereit sind.

Man kann diesen Gedankengang durch die Zeichnung zweier Kurven, einer Angebotskurve und einer Nachfragekurve, deren Schnittpunkt den Preis zeigt, veranschaulichen. Man kann ihn auch in mathematischer Sprache ausdrücken. Doch man muss sich dessen bewusst bleiben, dass man damit an der logischen Struktur unserer Erkenntnis nichts ändert und dass man unserem Wissen nicht ein Tüpfelchen hinzufügt. Und man muss ganz besonders darauf achten, dass die Erfahrung uns nichts über den Verlauf der Kurven zu sagen weiß. Wir kennen immer nur Preise, die auf dem Markte gebildet wurden, mithin nicht die Kurven, sondern die Punkte, die wir als die Schnittpunkte zweier gedachter Kurven ansehen wollen.

III. Die Preise der Güter höherer Ordnung.

Der Markt ist einheitlich und unzerlegbar. Er ist ein Zusammenhang von Handlungen. Wenn wir einem Teil der auf dem Markte sich abspielenden Vorgänge unsere Aufmerksamkeit zuwenden und diesen Teil damit aus dem Gesamtgetriebe, in das er eingebettet ist, herausheben, weil die Beschaffenheit unserer Denkwerkzeuge uns nicht gestattet, gleichzeitig das ganze Getriebe in allen seinen Bewegungen zu erfassen, bedienen wir uns eines Kunstgriffs, in dessen Gebrauch höchste Behutsamkeit walten muss.

[292]

Wenn wir die Bildung der Preise der Produktionsmittel gesondert in Betracht ziehen, haben wir uns gegen Fehlschlüsse noch nicht genügend gesichert, wenn wir am Eingang unserer Überlegungen feststellen, dass die Preise der Güter höherer Ordnung durch die Preise, die für die Güter erster Ordnung erzielt werden, bestimmt sind und dass sie durch diese Abhängigkeit von den Preisen der Genussgüter mit den Wertungen der Verbraucher verknüpft sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass es ein Zusammenhang der Preise ist, der hier vorliegt, und nicht ein Zusammenhang von Wertungen. Die Preise der Produktionsmittel werden durch die Preise der Genussgüter bestimmt; die Produktionsmittel werden im Hinblick auf diese Preise bewertet und im Hinblick auf diese Preise werden ihre Preise gebildet. Nicht die Wertungen werden von den Gütern erster Ordnung auf die Güter höherer Güterordnungen übertragen, sondern die Bewertungen; von den Preisen der Güter erster Ordnung werden die Bewertungen und Handlungen bestimmt, die zur Bildung der Preise der Güter höherer Ordnung führen. Die Schätzung der Produktionsmittel ist unmittelbar nur mit den Preisen der Produkte verknüpft; mit den subjektiven Wertschätzungen der Verbraucher ist sie nur mittelbar — über die Preise der Produkte als Zwischenglied — verknüpft.

Die Aufgabe, die der Lehre von der Gestaltung der Preise der Produktionsmittel gesetzt ist, ist mit demselben Verfahren zu lösen, das zur Lösung der Aufgabe führt, die der Lehre von den Preisen der Genussgüter gestellt ist. Um die Bildung der Preise der Genussgüter zu begreifen, gehen wir von einer Lage aus, in der das Unbefriedigtsein der Wirte durch Tauschakte herabgemindert werden kann, weil die Wirte die Güter verschieden werten. Wir erfassen das Marktgetriebe, indem wir einerseits auf die Lage hinweisen, die zu Tauschakten führt, und anderseits eine Lage beschreiben, in der weitere Tauschakte nicht mehr möglich sind, weil kein Wirt durch Tausch sein Unbefriedigtsein herabmindern könnte. In der gleichen Weise begreifen wir den Prozess der Bildung der Preise für Produktionsmittel. Das Getriebe dieses Teilmarktes wird in Gang gesetzt und in Gang erhalten durch das Bestreben unternehmender Wirte, aus Unstimmigkeiten zwischen den heute auf dem Markte gezahlten Preisen der Produktionsmittel und den von ihnen erwarteten künftigen Preisen der Produkte Gewinn zu ziehen. Das Getriebe müsste zum Stillstand kommen, wenn einmal eine Lage eintritt, in der die Summe der Preise der komplementären Güter — abgesehen vom Zins — den Preisen der Produkte entspricht und kein Wirt der Meinung ist, dass [293] Veränderungen der Produktpreise zu erwarten sind. Wir haben den Prozess somit doppelt erfasst, indem wir positiv feststellen, was ihn auslöst, und negativ, unter welchen Bedingungen er nicht vor sich gehen kann. Das Gewicht liegt dabei auf der Erfassung des Getriebes, aus dem die Preise der Produktionsmittel hervorgehen, und die Beschreibung des endlichen Preisstandes dient nur der Erläuterung dieses Getriebes. Denn die Aufgabe ist nicht etwa, die Gestaltung der endlichen Preise und der Gleichgewichtspreise, die den Gedankenbildern des endlichen Ruhezustandes und der gleichmäßigen Wirtschaft entsprechen, zu erklären, sondern die Marktpreise, zu denen die Produktionsmittel wirklich umgesetzt werden.

Die Bedeutung der von Gossen, von Carl Menger und von BöhmBawerk angegebenen Methode zur Erfassung der Preisbildung der Produktivgüter liegt gerade darin, dass sie die Erkenntnis einschließt, dass wir es mit einem Vorgang der Preisbildung zu tun haben, den wir ohne das Wirken des Marktgetriebes nicht zu denken vermögen. Sie unterscheidet zwischen der Höhe der den Produktivgütern unmittelbar zugewendeten Wertschätzungen, die der Gesamtheit der komplementären Produktionsmittel den Wert des Genussgutes zurechnen, und den Preisen, die auf dem Markte für die konkreten Mengen der einzelnen Produktivgüter als Resultante der hier zusammentreffenden Preishöchstgebote gebildet werden. Die Wertung, wie sie etwa auch ein isolierter Wirt vornehmen könnte, kann nie zu etwas führen, was als Ermittlung von Quoten des Wertes des Produktes bezeichnet werden könnte. Wertung kann immer nur reihen und ordnen, nie «Wertgrößen» zuordnen oder bestimmen. Der Zurechnungsprozess führt nicht zu Aufteilung der Werte der Genussgüter auf die einzelnen Komplementärgüter; er führt nicht zu Ergebnissen, die zur Grundlage der Wirtschaftsrechnung gemacht werden könnten. Was die Zurechnung als Wertungsprozess nicht zu leisten vermag, wird durch den Preisbildungsprozess des Marktgetriebes bewirkt. Wo die bloße Zurechnung des Wertes versagt, gelangt die Preisbildung zu einer Ausmittlung der jedem einzelnen Faktor zuzurechnenden Ertragsquote [146] .

[294]

Diese «Zweistufigkeit» ist der Menger – Böhm’schen Lehre zum Vorwurf gemacht worden. Man ist nicht imstande gewesen, ihr einen logischen Fehler nachzuweisen; man konnte ebenso wenig bestreiten, dass sie die einzige Lehre ist, die der logischen Kritik standzuhalten vermag. Was man ihr zum Vorwurf gemacht hat, war, dass sie nicht «tiefer» gehe, um eine «für alle Organisationsformen der Wirtschaft geltende Lösung zu bieten», eine Lösung, «aus der sich dann die Preise der Produktionsmittel in der Tauschwirtschaft von selbst ergeben». Böhm sei, da sich ihm aus seiner Zurechnungslehre eine eindeutige Determinierung der Werte der Produktionsmittel nicht ergibt, genötigt «den Sprung auf den Markt zu machen, dessen Mechanismus er dann die eindeutige Fixierung der Preise überlässt». [147]

Der Vorwurf, der damit gegen Böhm-Bawerk's Lösungsversuch erhob^-en wird, ist durchaus ungerechtfertigt. Dass Böhm-Bawerk zwischen Wert und Preis unterscheidet und die Preise der Produktivgüter nicht «von selbst» aus den Preisen oder gar unmittelbar aus dem Wert der Genussgüter hervorgehen lässt, entspricht einem der Grundgedanken der subjektivistischen modernen Nationalökonomie. Dieser Grundgedanke kommt nicht nur in der Lehre von der Preisbildung der Produktivgüter zum Ausdruck. Auch die Preise der Güter erster Ordnung sind nicht einfach durch die Wertschätzungen gegeben; sie werden erst im Getriebe des Marktes durch diese Wertschätzungen gebildet. «Von selbst» ergibt sich aus den Wertschätzungen der Güter erster Ordnung nur ihre Reihung in eine Skala der Vorzugshandlungen. Um Preise zu erklären, muss man immer «den Sprung auf den Markt» machen. Preise gibt es nur auf dem Markte. Wo kein interpersoneller Tausch ist, gibt es nur Wertskalen.

Wieser, und ihm nachfolgend viele andere, setzen an der MengerBöhm’schen Lösung aus, dass sie die Preisbildung der Güter höherer Ordnung nur für die Marktwirtschaft, nicht aber für alle denkbaren Organisationsformen erklärt. Sie gehen stillschweigend von der Annahme aus, dass auch eine tausch- [295] und verkehrslose Wirtschaft [148] , also etwa eine sozialistische Planwirtschaft, in der Lage wäre, von jedem einzelnen Gut höherer Ordnung genau die Bedeutung für die Bedürfnisbefriedigung zu bestimmen. Sie glauben, dass eine sozialistische Wirtschaft die Bedeutung des Endproduktes auf die einzelnen Produktionsmittel der komplementären Gruppe aufteilen könnte. Doch das müsste erst besonders bewiesen werden; man darf es keineswegs als selbstverständlich voraussetzen. Es ist aber nicht nur nie bewiesen worden; es ist der Beweis der Unmöglichkeit solcher Zurechnung erbracht worden.

Die Bildung der Preise der Güter höherer Ordnung vollzieht sich in der Marktwirtschaft geradeso und in der gleichen Weise auf dem Markte wie die Bildung der Preise der Genussgüter. Man kann aus dem Spiel des Marktes, aus dem diese Preise hervorgehen, weder den Gebrauch des Geldes noch das Wirken der Unternehmer fortdenken oder ausschalten, geradeso wie man aus dem Marktgetriebe, aus dem die Preise der Güter niederster Güterordnung hervorgehen, die Verbraucher nicht fortdenken oder ausschalten kann. Die Unternehmer treten als Käufer der Produktionsmittel auf. Sie bieten für die komplementären Produktionsmittel zusammengenommen die Preise, die ihnen im Hinblick auf die Meinung, die sie sich von der künftigen Gestaltung des Preises der Produkte gebildet haben, noch als zulässig erscheinen. Kein Unternehmer kann mehr bieten, weil er dann, seiner Meinung nach, sich in ein verlustbringendes Geschäft einlassen würde; er kann aber nur dann zum Zuge kommen, wenn die übrigen Unternehmer nicht höhere Anbote machen.

Wir können zur Veranschaulichung dieses Ablaufes von dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ausgehen und annehmen, dass die Gleichmäßigkeit dieser Wirtschaft durch das Auftreten eines neuen Datums gestört wurde. Es ist dabei ohne Belang, welcher Art diese Datenänderung ist. Sie mag in einer Änderung der Bevölkerungsgröße, in einem Wachsen oder Abnehmen des Kapitalbestandes, in einer Änderung des Geschmacks, die die Richtung der Nachfrage verschiebt, in der Entdeckung bisher unbekannter Vorkommen ursprünglicher Produktionsfaktoren, in der Erfindung neuer Produktionsverfahren oder in anderen Neuerungen bestehen; der Ablauf, den sie auslöst, ist immer von gleicher Art. Der Anstoß geht von unternehmenden Wirten aus, die unter den neuen Verhältnissen Möglichkeiten gewinnverheißender Unternehmertätigkeit [296] erblicken. Auf dem Markte werden die Produktionsmittel noch zu den Preisen gekauft und verkauft, die dem früheren, nun durch das Auftreten der Datenänderung gestörten Stande der Dinge entsprochen haben. Da bieten sich Gewinnchancen, denn die Preise der Genussgüter werden sich ändern müssen. Die Unternehmer, die den Umschwung am schnellsten erfasst haben, wenden sich der Erzeugung der Artikel zu, die ihrer Meinung nach im Preise steigen werden. Ihre Nachfrage nach den erforderlichen Produktionsmitteln treibt deren Preise in die Höhe. Das hindert die Aufnahme der neuen Produktion solange nicht, als die Unternehmer der Meinung sind, dass sie auch noch bei höheren Produktionskosten Gewinn erwarten dürfen. Die Verschiebung der Preise der Produktionsmittel kommt erst zum Stillstand, bis die durch die Preiserwartungen der Unternehmer gegebenen Grenzen erreicht sind.

Das Auftreten neuer Unternehmerpläne ist es, was die Preise der Produktionsmittel verändert. Die Unternehmer haben die Aussichten, die ihnen die Durchführung der neuen Pläne eröffnet, auf Grund der auf dem Markte geltenden Preise, also der Preise der jüngsten Vergangenheit berechnet. Sie haben diese Preise nicht kritiklos verwendet, sie haben an ihnen Korrekturen vorgenommen, die die von ihnen erwarteten Preisänderungen der nächsten Zukunft berücksichtigen. Doch das ändert nichts daran, dass die Bildung der Preise der Zukunft aus Handlungen hervorgeht, denen Berechnungen zugrunde liegen, die von den Preisen der jüngsten Vergangenheit ausgehen. Der Preis der Vergangenheit kann den künftigen Preis nicht beeinflussen, und es sind umgekehrt gerade die Erwartungen, die man in Bezug auf die Preise der Zukunft hegt, die die Produktionsmittelpreise von heute bestimmen. Die Preisbildung hat, soweit das Verhältnis, das zwischen den Preisen der verschiedenen Güter besteht, in Frage kommt, mit der Vergangenheit und mit den Preisen der Vergangenheit nichts zu tun. Der Umfang und die Richtung der Produktion, die Verteilung der Kapitalgüter auf die einzelnen Produktionszweige und die Größe des verfügbaren Kapitalbestandes sind durch Faktoren, die der Vergangenheit angehören, bestimmt und auf diesem Wege nimmt die Vergangenheit mittelbar an der Gestaltung der künftigen Preise teil. Unmittelbar werden jedoch die Preise der Produktivgüter durch die Erwartungen über die Preise, die die Zukunft für die Konsumgüter bilden wird, bestimmt. Dass in der Vergangenheit, mag es auch die allerjüngste Vergangenheit sein, anders gewertet und geschätzt worden war und dass im Hinblick auf diese Wertungen und Schätzungen Aufwendungen gemacht wurden, die die Änderung der [297] Marktlage nun zu einem verlorenen Aufwand macht, und dass die Interessen von Unternehmern, Kapitalisten, Grundbesitzer und Arbeitern unter der Umgestaltung der Preise leiden, berücksichtigt der Verbraucher nicht, und die Marktpreise können davon nicht berührt werden [149] . Doch die Berechnungen der Unternehmer knüpfen überall an die Marktpreise der jüngsten Vergangenheit an. So wie die Unternehmungstätigkeit mit dem Stande des Kapitalreichtums und mit der Beschaffenheit der Kapitalgüter, die sie auf dem Markte vorfindet, an die Produktion für den künftigen Bedarf schreiten muss, so bereitet sie auch das geistige Rüstzeug für die Produktion, die für die Kalkulation erforderlichen Preisdaten, aus der Bearbeitung der Preise, die sie auf dem Markte vorgefunden hat. Die Unternehmer bauen nicht jeden Tag von Neuem ein System der Preise und die diesem System entsprechende Aufteilung der Produktionsmittel auf die einzelnen Produktionszweige auf; sie gestalten nur das, was sie vorgefunden haben, um und passen es den neuen Bedingungen an. Wieviel sie von dem Überkommenen stehen lassen dürfen und wieviel sie ändern müssen, um der neuen Lage zu entsprechen, hängt von dem Ausmaß ab, in dem sich die Daten ändern.

Das Wirtschaften ist eben ein beständiger Fortgang von Erzeugung und Verbrauch. Die Wirtschaft von Heute ist mit der Vergangenheit durch die technologischen Erfahrungen, durch die vorhandenen Kapitalgüter und durch die Verteilung des Eigentums unter die Einzelnen verbunden. Mit der Zukunft verbindet sie das Handeln selbst; alles Handeln ist auf die Zukunft, d.i. auf Behebung künftigen Unbefriedigtseins, gerichtet. Um sich in dieser unbekannten und unsicheren Zukunft zurechtzufinden, steht dem Menschen nichts zur Verfügung als Erfahrung, die sich immer nur auf die Vergangenheit und auf Vergangenes bezieht, und sein Denkvermögen, mit dessen Hilfe er aus dem, was ihn die Erfahrung gelehrt hat, die Zukunft zu erkennen sucht, um sein Handeln erfolgreich zu gestalten. Die Kenntnis der Preise der jüngsten Vergangenheit ist ein Stück dieser Erfahrung, und wenn der Unternehmer sich ihrer bedient, um an der Bildung der Preise der Zukunft mitzuwirken, nützt er wie in jeder andern Hinsicht so auch hier die Erfahrung, um sich in der Zukunft zurechtzufinden.

Wenn die Erinnerung an alle Preise der Vergangenheit auf einmal ausgelöscht werden würde, würde wohl die Anpassung [298] der Produktion an die gegebene Lage der Dinge und die Bildung der Preise, soweit das Verhältnis der einzelnen Warenpreise und Lohnsätze untereinander in Betracht kommt, nicht unmöglich werden. Nur freilich müssten die Erfahrungen neu gewonnen werden, die die Grundlage des Vorgehens der Unternehmer zu bilden haben. Man würde Missgriffe und Irrtümer nicht vermeiden können, die man heute leichter vermeidet, weil man über ein Wissen verfügt, das der Niederschlag alter Erfahrung ist. Die Preisschwankungen würden im Anfange wohl viel heftiger sein, Produktionsmittel werden vergeudet werden, die Versorgung wird leiden, doch endlich wird man genug Lehrgeld gezahlt haben und wieder über jene Erfahrungen verfügen, die das Handhaben der Wirtschaftsrechnung erfordert.

Um die Darstellung zu vereinfachen, haben wir, der in der modernen Katallaktik herrschenden Übung gemäss, angenommen, dass die Gleichmäßigkeit des Ablaufes der gleichmäßigen Wirtschaft durch das Auftreten eines neuen Datums gestört wird, und haben zu zeigen gesucht, wie durch das Wirken der Unternehmer die Anpassung der Wirtschaft an die geänderten Bedingungen erfolgt. Doch alles, was für diesen Fall gilt, gilt ganz in derselben Weise für jeden Zustand, in dem auf dem Markte «falsche» Preise der Produktionsmittel bestehen, d.h. Preise, die nicht den erwarteten künftigen Preisen der Produkte entsprechen, und Produktionsprozesse im Gange sind, die Produktionsmittel für Zwecke verwenden, die die Verbraucher für weniger dringend halten als die Erreichung der Zwecke, für die sie fehlen. Ein derartiger Zustand kann nicht dauern. Denn die Unternehmer werden sich aus den unrentablen Produktionsprozessen zurückziehen und sich den rentablen Produktionsmöglichkeiten zuzuwenden trachten. Sie werden manche Produktion erweitern, andere einschränken. Sie werden die Nachfrage nach Produktionsmitteln, deren Preise ihnen zu hoch erscheinen, vermindern; sie werden die Produktionsmittel, deren Preise ihnen zu niedrig erscheinen, stärker nachfragen. Die Unternehmer werden in ihrem Bestreben, Gewinne zu erzielen und Verluste zu meiden, die Schritte ergreifen, die den unbefriedigenden, d.h. den Stand der Produktionsmittelpreise und der Produktion, der nicht den in der erwarteten Preisgestaltung der Produkte zum Ausdruck gelangenden Wertungen der Verbraucher entspricht, in den Zustand überführen, der unter den gegebenen Verhältnissen als der befriedigendste erscheint. Sie werden das unternehmen, was unter den gegebenen Verhältnissen die dringendsten unter den unbefriedigten Bedürfnissen der Verbraucher zu [299] befriedigen vermag. Wenn mittlerweile nicht neue Veränderungen auftreten, wird das solange fortgehen, bis endlich die «richtigen» oder «natürlichen» oder «statischen» Preise, oder, anders ausgedrückt, die Gleichgewichtspreise erreicht werden, d.h. die Preise, bei denen — vom Zins sehen wir noch ab — die Summe der Preise der Produktionsmittel gleich ist dem Preis des Produkts; Preis und Kosten fallen dann zusammen, für Unternehmergewinn oder Unternehmerverlust ist kein Platz mehr; der neue Gleichgewichtszustand ist erreicht.

Der Wettbewerb zwischen den unternehmenden Wirten bewegt das Marktgetriebe. Der Markt ist gewissermaßen eine Versteigerungshalle, in der die Güter und Dienste öffentlich versteigert werden. Bei dem Ausbot der Produktionsmittel bieten nur die Unternehmer mit [150] , die dabei gewissermaßen als die Machthaber der einzelnen Zweige der Bedarfsdeckung der Verbraucher auftreten. Indem die Unternehmer einander die Produktionsmittel streitig machen, übertragen sie den Widerstreit, den die Wahl zwischen den verschiedenen Genussgütern in der Seele des Verbrauchers auslöst, auf die Produktionsmittel. Die Entscheidung, die der Verbraucher im Ankauf der Genussgüter trifft, wird in der Sphäre der Produktionsmittel wirksam, wenn der Kraftwagenerzeuger Stahl kauft und der Kutschenerzeuger auf den Ankauf verzichtet, weil er bei den Preisen, die für Stahl gefordert werden, und bei den Preisen, zu denen er Kutschen abzusetzen erwartet, nicht auf Rentabilität hoffen darf. Jede Veränderung, die in der Nachfrage nach Genussgütern eintritt, wird durch Unternehmerspekulation sogleich auf den Markt der Produktionsmittel hinausgetragen und in der Ordnung der Erzeugung berücksichtigt.

Die Preisbildung ist ein sozialer Prozess. Sie vollzieht sich durch das Zusammenwirken der Unternehmer, der Eigentümer der Produktionsmittel (zu denen auch die Arbeiter als Verkäufer der Arbeitsleistung zählen) und der Verbraucher. Alle Marktparteien wirken mit, wenn auch nicht alle in gleichen Rollen. Das Wechselspiel der verschiedenen Gruppen und der Wettbewerb innerhalb der Gruppen führen das Ergebnis herbei.

Der Prozess der Preisbildung ist aber auch zugleich der Prozess der Ordnung der Produktion und der Zuweisung der Produkte an die Verbraucher. Das wird gründlich missverstanden, wenn man Produktion und Verteilung unterscheiden will. [300] In einem sozialistischen Gemeinwesen sind Erzeugung und Verteilung getrennte Vorgänge. In der Marktwirtschaft sind Preisgestaltung, Aufteilung der Produktionsmittel auf die verschiedenen Produktionszweige und Bildung der Anteile der einzelnen Wirte ein einheitlicher Prozess, der nur gedanklich zergliedert werden kann. Unser Denken vermag das Walten dieses Getriebes nur zu begreifen, wenn es die verschiedenen Funktionen, die in ihm uno actu verrichtet werden, sondert, nebeneinander reiht und so betrachtet. Doch wir würden falsch denken, wenn wir nicht beachten wollten, dass Preisbildung, Produktionslenkung und Besitzstandgestaltung in der Marktwirtschaft ein unzerlegbares Ganzes sind.

Eine Grenze des Preisbildungsprozesses der Produktionsmittel

Damit der Prozess, der die Preise der Güter höherer Ordnung aus den Preisen der Güter erster Ordnung hervorgehen lässt, zum Ziele gelange, darf für die Erzeugung eines jeden einzelnen Gutes niederer Ordnung höchstens eines von den nicht durch andere Produktionsmittel ersetzbaren komplementären Produktionsmitteln absolut spezifischen Charakter tragen, d.h. keine andere Verwendung zulassen als die zur Erzeugung dieses einen Gutes. Werden für die Produktion eines Gutes zwei oder mehrere Produktionsmittel absolut spezifischen Charakters benötigt, so vermag man ihnen nur zusammengenommen einen Preis zuzuordnen. Wären alle Produktionsmittel absolut spezifisch, dann könnte der Preisbildungsprozess über die Bildung solcher Kumulativpreissätze nicht hinausgelangen. Er würde nicht mehr ergeben können als das: da aus 3 a und 5 b eine Einheit von p wird, werden 3 a und 5 b zusammengenommen einem p gleichgehalten und der endliche Preis von p ist — wenn wir von der Produktionszeit absehen — zugleich auch der endliche Preis von 3 a + 5 b zusammen. Da weder für a noch für b Unternehmer, die diese Produktionsmittel anderweitig verwenden wollen, mitbieten, kann eine nähere Bestimmung nicht erfolgen. Nur wenn für a (oder für b) eine Nachfrage für andere Verwendung auftritt, mit der die, die p erzeugen wollen, in Wettbewerb treten müssen, wird für a (oder für b) ein Preis gebildet, dessen Höhe dann die Bildung des Preises für b (oder für a ) bestimmt.

Eine Welt, in der alle Produktionsmittel absolut spezifisch sind, würde mit der Bildung von Kumulativsätzen das Auslangen finden. Denn in einer solchen Welt besteht kein Problem der Aufteilung der Produktionsmittel auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten. In der Welt, in der wir leben und zu handeln haben, ist es anders. Da gibt es zahlreiche Produktionsmittel, die verschieden verwendet werden können. Die Aufteilung dieser Produktionsmittel auf die verschiedenen Verwendungen in einer solchen Weise, dass keines von ihnen für einen als minderwichtig erachteten Zweck gebraucht werde, wenn ein als wichtiger erachteter Bedarf nicht gedeckt wird, ist die Aufgabe, die die Produktion hier zu lösen hat; sie löst sie durch die Preisbildung der Güter höherer Ordnung. Das ist die gesellschaftliche Aufgabe dieses Preisbildungsprozesses. Sie kann in keiner Weise dadurch behindert werden, dass für [301] absolut spezifische Produktionsmittel, die nur zusammen in einem einzigen Produktionsverfahren auftreten können, oder, wenn sie in mehreren Produktionsverfahren auftreten können, stets nur in demselben Mischungsverhältnis verwendbar sind [151] , nur Kumulativpreise gebildet werden können.

IV. Die Kostenrechnung

Die Kosten erscheinen in der Geldrechnung des Unternehmers als der Geldaufwand, den die Beschaffung der erforderlichen Produktionsmittel verlangt. Indem der Unternehmer die Geschäfte sucht, bei denen er den höchsten Überschuss des Verkaufserlöses über die Kosten erwartet, und die Geschäfte meidet, bei denen geringere Aussicht besteht, einen Überschuss des Ertrages über die Kosten zu erzielen, wird er gezwungen, sein Handeln den Wertschätzungen der Verbraucher anzupassen. Dass ein Geschäft nicht rentiert, weil die Kosten der Produktion den erzielbaren Preis des Produktes übersteigen, ist die Folge des Umstandes, dass für die erforderlichen Produktionsmittel dringlichere Verwendung gegeben ist; es gibt andere Produkte, in deren Preis die Verbraucher bereit sind, den Preis der Produktionsmittel zu bezahlen, wogegen sie für das Produkt, dessen Erzeugung nicht lohnt, entsprechend hohe Preise nicht zu bewilligen geneigt sind.

Für die Gestaltung der Kostenrechnung ist wichtig, dass die beiden nachfolgenden Bedingungen nicht durchaus erfüllt werden:

Erstens: jeder Zuwachs der Menge eines Genussgutes erhöht den Nutzen;

Zweitens: jeder Zuwachs der Menge eines Genussgutes erfordert zumindest eine proportionale, wenn nicht gar eine überproportionale Steigerung des Mengenaufwands an Produktionsmitteln.

Wären diese beiden Bedingungen allgemein und ausnahmelos gegeben, dann würde jeder Zuwachs z zur verfügbaren Menge m eines Genussgutes g zur Deckung eines Bedürfnisses verwendet werden, das als weniger wichtig angesehen wird als das mindestwichtige Bedürfnis, das durch die schon früher [302] verfügbare Menge m gedeckt worden war. Auf der andern Seite würde der Zuwachs z einen Mehraufwand an Produktionsmitteln erfordern, der die Befriedigung eines anderweitigen Bedürfnisses verhindert, das als wichtiger angesehen wird als jenes, auf dessen Befriedigung verzichtet werden musste, um die letzte Mengeneinheit des schon früher verfügbaren Vorrats m zu erzeugen. Auf der einen Seite würde der Grenznutzen der Befriedigung sinken, auf der andern Seite würde der negative Grenznutzen des Aufwandes, der Grenzkostenaufwand, steigen. Die Produktion muss an jenem Punkte abgebrochen werden, an dem der Nutzen der Produktionssteigerung anfängt hinter dem Nutzen, den die anderweitige Verwendung des zusätzlichen Produktionsaufwands verschaffen könnte, zurückzubleiben.

Die beiden Bedingungen sind wohl im Grossen und Ganzen, doch nicht allgemein und ausnahmelos gegeben. Es gibt nämlich zahlreiche wirtschaftliche Güter aller Güterordnungen, die nicht von homogener Struktur und daher nur beschränkt teilbar sind.

Die Abweichungen von der ersten Bedingung könnte man freilich durch spitzfindige Auslegung der Worte scheinbar zum Verschwinden bringen. Man könnte sagen: ein halber Kraftwagen ist überhaupt kein Kraftwagen und mithin auch kein Genussgut. Fügt man ihm ein weiteres Viertel hinzu, dann habe man die «Menge» nicht vergrößert; erst die Vollendung des Wagens, die ihn verwendungsfähig macht, ergibt eine Mengeneinheit und eine Vermehrung der «Menge». Mit solcher Argumentation würde man jedoch am Kerne des Problems vorbeigehen. Denn es handelt sich hier doch darum, dass erhöhter Aufwand die Nutzwirkung - den objektiven Gebrauchswert der Ausdrucksweise der älteren Österreicher — nicht gleichmäßig steigert. Die einzelnen Dosen haben verschiedene Bedeutung für die Befriedigung; es gibt Dosen, deren Aufwendung überhaupt nutzlos ist, wenn nicht weitere Dosen in bestimmter Mindestzahl aufgewendet werden.

Auf der andern Seite — und darin liegt die Abweichung von der zweiten Bedingung — muss die Steigerung der Produktmenge nicht notwendig immer steigenden Aufwand bedeuten; es kann vorkommen, dass die Kosten überhaupt nicht steigen oder dass ihr Steigen hinter dem Ausmaß der Vermehrung der erzeugten Menge zurückbleibt. Denn auch viele Produktionsmittel sind nicht homogener Struktur und nicht unbeschränkt teilbar. Das ist die Erscheinung, die der Geschäftsmann als die wirtschaftliche Überlegenheit der Massen- und Serienerzeugung kennt, und die die Nationalökonomen als das Gesetz des steigenden Ertrags oder der sinkenden Kosten bezeichnen.

[303]

Nehmen wir zunächst der Einfachheit halber (als Fall a ) an, dass alle Produktionsmittel nur unvollkommen teilbar sind und dass sie in der Weise geteilt werden können, dass volle Ausnützung jedes einzelnen nicht mehr weiter zerlegbaren Teiles eines der komplementären Produktionsmittel auch zugleich volle Ausnützung eines jeden nicht mehr weiter zerlegbaren Teils der übrigen komplementären Produktionsmittel erfordert. Unter diesen Voraussetzungen würden in jedem Produktionsaggregat alle mitwirkenden Faktoren — jede Maschine, jeder Arbeiter, jedes Stück Rohstoff — nur dann voll ausgenützt werden können, wenn auch die übrigen Teile vollausgenützt werden. Die Erzeugung eines Teiles der möglichen Höchsterzeugung verlangt keinen größeren Aufwand als die Höchsterzeugung. Anders ausgedrückt: man kann vermittels des Produktionsaggregats immer nur dieselbe Menge von Produkten erzeugen, und man kann auch dann nicht weniger als diese Menge erzeugen, wenn man für einen Teil dieser Produktmenge überhaupt keine Verwendung hat.

Nun wollen wir (als Fall b ) annehmen, dass ein Teil der Produktionsmittel praktisch vollkommen teilbar ist; für die nicht vollkommen teilbaren Produktionsmittel halten wir wieder an der Annahme fest, dass sie in der Weise geteilt werden können, dass volle Ausnützung eines jedes einzelnen nicht mehr weiter teilbaren Teiles zugleich volle Ausnützung eines nicht mehr weiter teilbaren Teiles der übrigen nicht vollkommen teilbaren komplementären Produktionsmittel erfordert. Wird unter diesen Bedingungen in einem Produktionsaggregat die Ausnützung der Erzeugungsfähigkeit von nicht vollständiger Ausnützung zu vollständigerer Ausnützung gesteigert, so erfordert das nur Mehraufwendung der vollkommen teilbaren unter den komplementären Produktionsmitteln.

Man darf aber nicht ohne weiteres annehmen, dass nun auch die Durchschnittskosten unter allen Umständen sinken müssen. Man könnte diesem Irrtum verfallen, wenn man die Aufmerksamkeit nur auf den Umstand richtet, dass im Aggregat die nicht teilbaren Produktionsfaktoren jetzt besser ausgenützt werden und dass somit die Produktionskosten, soweit sie durch die Mitwirkung der nicht unbegrenzt teilbaren Produktionsmittel entstehen, im Ganzen unverändert bleiben und in ihrem auf die Produkteinheit entfallenden Anteil kleiner werden. Man hat jedoch zu beachten, dass auf der andern Seite die Mehraufwendung der praktisch unbegrenzt teilbaren Produktionsmittel Herausziehen dieser aus anderen Verwendungen erfordert und dass caeteris paribus die Bedeutung dieser anderen Verwendungen steigt, wenn man ihren Umfang [304] einschränkt. Man darf nicht nur den Fall ins Auge fassen, in dem die für die Mehraufwendung in dem betrachteten Betrieb erforderlichen Mengen der teilbaren Produktionsmittel Betrieben entzogen werden, die den gleichen Artikel erzeugen und ihren Produktionsumfang einschränken, weil der leistungsfähigere Betrieb seinen Produktionsumfang ausdehnt. Man hat, mit anderen Worten, in unserem Problem nicht nur Wettbewerb von besser und weniger gut eingerichteten Betrieben zur Erzeugung der gleichen Artikel und Ausdehnung der Erzeugung des leistungsfähigeren Betriebes auf Kosten des weniger leistungsfähigen zu sehen. In diesem Falle freilich sinken in dem Betriebe, der seine Kapazität besser ausnützt, die Durchschnittskosten. Wenn wir aber den allgemeineren Fall ins Auge fassen, in dem die Produktionssteigerung in dem seine Kapazität fortschreitend besser ausnützenden Betriebe nicht durch Einschränkung der Produktion des gleichen Artikels in anderen Betrieben kompensiert wird, so dass eine absolute Steigerung der Produktion dieses Artikels eintritt, die nur durch Heranziehung von Produktionsmitteln möglich wird, die sonst in anderen Produktionszweigen verwendet worden wären, so erkennen wir, dass die für die Beschaffung der Mengeneinheit der unbegrenzt teilbaren Produktionsfaktoren aufzuwendenden Kosten steigen können. Die Aufwärtsbewegung des Preises dieser Produktionsmittel mag so klein sein, dass man sie im beständigen Oszillieren der Preise gar nicht bemerken kann, oder sie mag durch in entgegengesetzter Richtung wirkende Kräfte, die zufällig zur gleichen Zeit aus anderen Ursachen wirksam wurden, kompensiert werden; sie ist jedoch potentiell immer gegeben, wenn die Bedingungen, von denen die Rede war, gegeben sind.

Endlich nehmen wir (als Fall c ) an, dass die nicht praktisch unbeschränkt teilbaren Produktionsfaktoren nur derart geteilt werden können, dass es bei den Größenverhältnissen, die einem Produktionsaggregat im Hinblick auf jede praktisch in Betracht zu ziehende Lage des Marktes gegeben werden können, nicht möglich ist, eine Kombination zu wählen, bei der die Vollausnützung eines nicht vollkommen teilbaren Faktors zugleich die Vollausnützung aller übrigen nicht mehr weiter teilbaren komplementären Produktionsfaktoren erfordert. Unter diesen Bedingungen — sie sind am häufigsten gegeben, die Fälle a und b sind praktisch kaum von Bedeutung, — ist die Kostengestaltung ungleichmäßig. Sind alle nicht unbeschränkt teilbaren Produktionsfaktoren nicht voll ausgenützt, dann sinken, soweit nicht etwa das Steigen der Preise für die unbeschränkt teilbaren Produktionsfaktoren entgegen wirkt, mit dem Steigen [305] der Produktion die Durchschnittskosten bis zur Erreichung der Vollausnützung eines dieser Faktoren. Fortsetzung der Produktion über diesen Punkt hinaus bringt zunächst sprunghafte Erhöhung der Durchschnittskosten, der dann wieder Sinken der Durchschnittskosten bis zu dem Punkt folgt, an dem neuerlich die Vollausnützung eines nicht unbeschränkt teilbaren Produktionsmittels erreicht ist.

Fasst man das Ergebnis dieser Betrachtungen zusammen, so ergibt sich, dass das allgemeine Gesetz, wonach die Verbesserung der Versorgung durch Ausdehnung der Produktion eines Artikels nur unter steigenden Durchschnittskosten vor sich gehen kann, streckenweise ausgeschaltet wird durch die Folgen desUmstandes, dass nicht alle Produktionsmittel unbeschränkt teilbar sind und dass die nicht unbeschränkt teilbaren Produktionsmittel nicht in der Weise teilbar sind, dass Vollausnützung des einen von ihnen der Vollausnützung der übrigen komplementären Produktionsmittel entspricht.

Die Frage, die der kalkulierende Unternehmer, d.i. der Wirt, der berechnen will, ob ein geplantes Geschäft Rentabilität verspricht, sich vorlegt, ist immer die: um welchen Betrag wird mein Gesamtaufwand hinter dem erzielbaren Preis des Gesamtprodukts voraussichtlich zurückbleiben? Ist der Unternehmer in Bezug auf das geplante Geschäft frei, weil er noch keine Mittel zu seiner Durchführung angelegt hat, dann bedeutet das, dass er mit den Durchschnittskosten rechnet. Ist er schon dadurch gebunden, dass er Mittel zu seiner Durchführung investiert hat, dann hat er nur den noch erforderlichen zusätzlichen Aufwand dem durch ihn erzielbaren Mehrertrag gegenüberzustellen. Wer eine nicht ganz ausgenützte Anlage schon zur Verfügung hat, rechnet nicht mit den Durchschnittskosten, sondern mit den Grenzkosten. Werden, fragt er, die für die Erzeugung einer weiteren Einheit aufzuwendenden zusätzlichen Kosten hinter dem beim Verkauf dieser Einheit erzielbaren Preis zurückbleiben?

Erwägungen betreffend den Umfang des Angebots können in der Kalkulation des Unternehmers, der nicht als Eigentümer eines für die Produktion unentbehrlichen Produktionsmittels Monopolstellung hat, keine Rolle spielen. Wollte er die Produktion beschränken, um den Preis hinaufgehen zu lassen und durch den Verkauf einer kleineren Menge zu höherem Preis der Mengeneinheit einen höheren Reinertrag zu erzielen, so würde das Vorgehen anderer Unternehmer, die ihre Produktion erweitern, seinen Plan vereiteln.

Beschränkte Teilbarkeit eines Produktionsfaktors bedeutet nicht immer, dass man diesen Produktionsfaktor nur in einer [306] Größe zu gestalten und in die Erzeugungsverfahren einzustellen vermag. Auch das mag in einzelnen Fällen vorkommen. In der Regel ist es jedoch möglich, auch diese Produktionsfaktoren verschieden zu dimensionieren. Ist von den verschiedenen Größen, die man einem solchen Produktionsfaktor — etwa einer Maschine — zu geben versteht, eine dadurch ausgezeichnet, dass der Aufwand, den ihre Herstellung und ihr Betrieb erfordert, im Verhältnis zu den Leistungseinheiten, die sie abzugeben vermag, geringer ist als bei den anderen, dann liegen die Dinge für unsere Betrachtung nicht anders. Die Überlegenheit des größeren Betriebs gegenüber dem kleineren Betrieb tritt dann nicht darin zutage, dass der größere Betrieb die Maschine ganz ausnützt, die der kleinere nur zum Teil ausnützt, sondern darin, dass der größere Betrieb eine Maschine verwendet, die eine bessere Ausnützung der zu ihrer Beschaffung und zu ihrem Betrieb erforderlichen Produktionsmittel ermöglicht als die von dem kleineren Betrieb verwendete.

Der Tatbestand der beschränkten Teilbarkeit von Produktionsfaktoren hat der Gestaltung der Produktion das Gepräge aufgedrückt. Man kann die Rolle, die ihm in der Geschichte zukommt, nicht hoch genug veranschlagen. Man muss aber sorgfältig die Irrtümer vermeiden, die in seiner Beurteilung gemacht wurden.

Einer dieser Irrtümer war die Annahme, dass in der gewerblichen Verarbeitung der Rohstoffe — im Gegensatz zur Urproduktion, insbesondere zur Landwirtschaft — ein Gesetz des steigenden Ertrags wirksam sei. Über diese Irrtümer wurde schon an früherer Stelle alles Erforderliche gesagt. Der Unterschied, der in der Ertragsgestaltung zwischen land- und forstwirtschaftlicher Urproduktion und gewerblicher Verarbeitung besteht, entspringt nicht einer Verschiedenheit der für beide geltenden Ertragsgesetze, sondern der Verschiedenheit der Daten. Die Unbeweglichkeit des Produktionsfaktors Boden und die Abhängigkeit der einzelnen Arbeiten von der Jahreszeit machen es dem Landwirt unmöglich, durch Konzentration der Betriebe eine Verbesserung in der Ausnützung der komplementären beweglichen Produktionsfaktoren in dem Masse zu erzielen, in dem dies der verarbeitenden Industrie in der Regel möglich ist. Dass das Optimum des Betriebsumfanges hier verhältnismäßig klein ist, zeigt die bekannte Tatsache, dass größere Güter in mehrere Betriebe zerlegt werden.

Die Marxisten haben nicht nur darin geirrt, dass sie angenommen haben, dass der größere Betrieb dem kleineren auch in der Landwirtschaft überlegen sei; sie haben auch die [307] Umstände außerachtgelassen, die der Überlegenheit des größeren Betriebs in der Industrie Schranken setzen.

Die Konzentration der Betriebe wird durch die Arbeitsteilung ermöglicht, und die Kostenminderung, die sie zur vornehmsten Quelle der Wohlfahrtserhöhung macht, ist sohin Wirkung der Arbeitsteilung. Von den beiden natürlichen Bedingungen der Herausbildung der Arbeitsteilung zieht die eine — ungleiche geographische Verteilung der ursprünglichen außermenschlichen Produktionsfaktoren — dem Fortschreiten der Arbeitsteilung und der Integration der Betriebe auch Grenzen. Die Verteilung der Betriebe über die Erdoberfläche muss der Verschiedenheit der natürlichen Produktionsbedingungen entsprechen. Der Tendenz zur Konzentration der Betriebe, die aus der Möglichkeit besserer Ausnützung mancher produzierter Produktionsfaktoren entspringt, wirkt auch in der Industrie die örtliche Gebundenheit der ursprünglichen außermenschlichen Produktionsfaktoren entgegen. Weil die Urproduktion, weil Land- und Forstwirtschaft und Bergbau standortsmäßig gebunden sind, und weil damit auch die in diesen Erzeugungen tätigen Menschen sich über große Teile der Erdoberfläche verteilen müssen, wird auch die Verarbeitung der Rohstoffe dezentralisiert; Urproduktion und Verarbeitung müssen durch Anstalten zur Ortsveränderung von Gütern und Menschen ergänzt werden. Doch die standortsmäßige Gebundenheit der Betriebsstätten ist nicht nur Ausfluss der natürlichen Verschiedenheit der Produktionsbedingungen; sie wurzelt auch in zwei menschlichen Faktoren. Die Verschiedenheit der klimatischen Verhältnisse differenziert die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit geographisch, und der Umstand, dass ein Teil der Kapitalgüter in der Vergangenheit, deren Bedürfnisse, deren Technik und Stand der Arbeitsteilung und deren Kenntnis der Beschaffenheit der naturgegebenen Produktionsbedingungen von denen der Gegenwart verschieden waren, an den Boden gebunden wurde, lässt einen geschichtlichen Standortsfaktor wirksam werden. Schließlich gibt es auch noch institutionelle Verschiedenheit der Produktionsbedingungen.

Die Kostenrechnung der Unternehmer hat daher nicht nur mit der besseren Ausnützung mancher Produktionsfaktoren im Grossbetrieb zu rechnen; sie muss, abgesehen von institutionellen Faktoren, auch die natürliche und die geschichtlich gewordene Bindung der Erzeugung an den Boden und die ihr entsprechende Bindung der menschlichen Wohnstätten berücksichtigen. Der Tendenz zur Konzentration der Betriebe wirkt — nicht nur in der Urproduktion, sondern, wenn auch in [308] schwächerem Masse, auch in der Verarbeitung — eine Tendenz zur Dezentralisation entgegen.

Überdies kann der größere Betrieb mitunter Aufwendungen erfordern, die der kleinere Betrieb ganz vermeiden kann oder die im kleineren Betrieb in ihrem auf die Produkteinheit entfallenden Ausmaß geringer sind als im größeren Betrieb. In vielen Fällen wird der größere Betrieb diese Kostenerhöhung durch die bessere Ausnützung eines Teils der verwendeten Produktionsfaktoren wettmachen können; in anderen Fällen ist das nicht möglich. Bei der Überlegenheit, die dem Grossbetrieb der Baumwollspinnerei gegenüber dem Kleinbetrieb zustatten kommt, spielt es keine Rolle, dass der Kleinbetrieb keine besonderen Anstalten zur Buchführung treffen muss. In den Bedienungsgewerben, etwa im Friseurgewerbe, liegen da die Größenverhältnisse ganz anders.

Die Kostenrechnung der Unternehmer erhält durch alle diese Tatbestände ihr Gepräge; sie hat sie als Unterscheidung der fixen von den variablen Kosten und als Standortsfragen zu berücksichtigen. Alle diese Rechnungen lassen sich als Geldrechnung leicht durchführen, wenn man nur über die erforderlichen Daten verfügt.

Der Unternehmer hat nicht nur einfach den voraussichtlichen Preisen der Produkte die Preise der Produktionsmittel gegenüberzuhalten; er hat die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Produktion durch verschiedene Kombination der komplementären Produktionsmittel, die die Leistungsfähigkeit eines Teiles dieser Produktionsmittel in verschiedenem Masse ausnützen. Zu den Problemen, vor die ihn diese Alternativen stellen, ist, wie wir gesehen haben, seine Stellung verschieden, je nachdem, ob er bereits durch frühere Investition Mittel gebunden hat, oder ob er frei über die Art der besten Verwendung der Mittel zu entscheiden hat. Der Unternehmer, der bereits über Betriebsanlagen, die bei einem bestimmten Produktionsumfang das Optimum an Leistung geben, verfügt, wird oft bei einem anderen Produktionsumfang den höchsten Reinertrag erzielen können als der, der noch durch keine vorher getroffene Investition in seinem Vorgehen präjudiziert ist.

Betrachtet man den einzelnen Betrieb, so wie er steht, als gegebene Größe, dann kann man von einem optimalen Ausnützungsgrad sprechen. Ist Ausnützung der Anlagen über das physische Optimum hinaus überhaupt möglich, dann verursacht sie steigende Grenzkosten und erhöht daher die Durchschnittskosten. Man irrt aber, wenn man glaubt, dass der Unternehmer, der seine Kalkulation anstellt, mit den Betriebsdaten als festen Größen rechnen darf und rechnet. Alle Preissätze, die der [309] Berechnung der Ausnützung der Betriebsanlagen zugrundegelegt werden können, sind spekulative Vorwegnahme künftiger Preisgestaltung. Sie enthalten verschiedene Unsicherheitsmomente. Ungewissen Preiserwartungen einer ferneren Zukunft stehen als sicherer angesehene Preiserwartungen einer näheren Zukunft gegenüber. Das beeinflusst die Entscheidung wesentlich.

Ein Betrieb sei mit Maschinen ausgerüstet, für die 10jährige Benützungsdauer angenommen wird; jährlich werden 10 % der Anschaffungskosten abgeschrieben [152] . Im dritten Betriebsjahr ergibt sich die Möglichkeit durch Verdoppelung der (optimalen) Produktion, die die Maschinen jedoch nicht zweimal, sondern dreimal so stark abnutzt als die optimale Ausnützung, einen Ertrag zu erzielen, der zwar den Ertrag, der bei optimaler Produktion erzielt wird, und den Gegenwartswert der letzten Abschreibungsquote übersteigt, doch nur in einem Ausmaße, das hinter dem Gegenwartswert der vorletzten Abschreibungsquote zurückbleibt. Nimmt man die Abnützungsquoten als gegebenen Bestandteil der Kosten, dann müsste man sagen: die Kosten, die die zusätzliche Produktion erfordert, finden im Preise keine Deckung; die Ausdehnung der Produktionsmenge über das Optimum hinaus ist verlustbringend. Doch der Unternehmer rechnet anders, auch wenn er das Ausmaß der Abschreibung, dem von der öffentlichen Meinung und vom Handelsrechte gebilligten Brauche der Buchhaltung entsprechend, jahraus jahrein gleich bemisst. Er kann heute nicht wissen, ob er in den späteren Jahren überhaupt noch in der Lage sein wird, aus den im Betrieb investierten Mitteln Ertrag zu erzielen. Es hängt von seiner Beurteilung der weiteren Entwicklung der industriellen Verhältnisse ab, ob er der Nutzleistung, die die Maschinen bei optimaler Ausnützung im 9. Benützungsjahr abgeben könnten, nicht den schon in den nächsten Wochen verfügbaren halben Gegenwartswert der neunten Abnützungsquote vorzieht.

Die scharfsinnige Kasuistik, die die Nationalökonomen den Problemen der Kosten- und Preiskalkulation der Unternehmer gewidmet haben, betrachtet alle Kostenansätze als gegebene Größen. Die Berechnung der fixen Kosten ist jedoch durchaus von der Beurteilung der ungewissen künftigen Marktgestaltung abhängig. Der Unternehmer kann die Kosten, soweit sie [310] nicht in Ausgaben bestehen, deren Gegenwert in the short run aufgebraucht wird, nur spekulativ bewerten.

Die öffentliche Meinung und mit ihr die Steuergesetze sehen in den Betriebsanlagen eine Quelle ständiger Erträgnisse und glauben, dass der richtig rechnende Unternehmer sie auch so ansehen und behandeln müsste. Doch die Wirklichkeit ist ganz anders. Eine Betriebsanlage ist in der Hand des Unternehmers ein Produktionsmittel, dessen Verwendbarkeit zur Erzielung von Unternehmergewinn von den Umständen, unter denen sie ausgenützt wird, abhängt. Wer eine neue Anlage errichtet, erwartet, dass die Investition sich nicht als verfehlt erweisen werde. Doch er baut diese Erwartung nur selten auf der Annahme auf, dass die Anlage eine gleichmäßige Ausnützung während langer Jahre ermöglichen wird. In der Regel erwartet er für die ersten Jahre beträchtliche Gewinne, die die Amortisation eines großen Teils, wenn nicht schon des Ganzen der Investitionskosten ermöglichen können und die Mittel liefern, aus denen die Zusatzinvestitionen, die die gewinnbringende Verwendung der Anlage in späteren Jahren erfordert, bestritten werden können. Es kann mitunter ganz anders kommen. Es kann auch mitunter geschehen, dass eine alte Anlage, die jahrelang als Fehlinvestition betrachtet werden musste, durch den Wandel der Marktlage oder durch den Übergang in die Hand eines geschickteren Unternehmers zum Mittel der Erzielung großer Erträge wird. Fest steht nur, dass Unternehmergewinne in der Industrie, auch ganz abgesehen von den Schwankungen der allgemeinen Konjunktur, nichts an sich haben, was man als Stetigkeit einer Einkommensquelle bezeichnen darf. Jedes einzelne Geschäft ist ein neues Wagnis, und jeden Tag muss ein industrielles Unternehmen seine Rentabilität durch neue Anpassung an geänderte Verhältnisse von Neuem zu erringen suchen.

Die Entwicklung der modernen Industrie hat das Verhältnis des festangelegten Kapitals zum umlaufenden Kapital in vielen Industriezweigen nach der Seite des festangelegten Kapitals verschoben. Die verhältnismäßige Zunahme des für längere Zeit gebundenen Kapitals hat das spekulative Risiko industrieller Unternehmungstätigkeit beträchtlich gesteigert. Je größer die auf längere Zeit gebundenen Kapitalteile sind, desto stärker muss der Unternehmer darauf bedacht sein, jede sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, um die Risiken zu vermindern.

Die Kalkulation der Unternehmer rechnet nicht mit den üblichen Abschreibungssätzen. Ob die Abschreibungen jährlich in gleichem Ausmaß vorgenommen werden oder nicht und ob [311] sie von den ursprünglichen Anschaffungswerten berechnet werden oder von den durch die Abschreibungen der früheren Jahre verminderten Buchwerten, ist für die Kalkulation des richtig rechnenden Unternehmers belanglos. Entscheidend kann allein die Beurteilung der Erträgnisse sein, die man mit Hilfe der verfügbaren Anlagen zu erzielen hofft. Das, was man die fixen Kosten nennt, sind keine fix gegebenen Größen; sie sind das Ergebnis spekulativer Unternehmerüberlegung.

Für diese Unternehmerüberlegungen ist es ohne Belang, ob der Unternehmer selbst Eigentümer des ganzen in der Unternehmung arbeitenden Kapitals ist oder ob er einen Teil des Kapitals schuldet und die Schuld zu einem fest vereinbarten Satz verzinsen und tilgen muss. Die Produktionskosten des Unternehmers bestehen in der Beanspruchung und Abnützung seines Produktionsmittelbestandes. Verzinsung und Tilgung von Schulden sind nicht Bestandteil der Produktionskosten; sie sind Lasten, die der Unternehmer auf sich genommen hat, weil er erwartet hat, dass es ihm gelingen werde, von dem Schuldkapital einen Gebrauch zu machen, der ihm über diese Lasten hinaus Reingewinn bringen wird. Ohne Rücksicht darauf, ob er mit eigenem oder fremden Kapital arbeitet, muss der Unternehmer immer darauf bedacht sein, den ihm zur Verfügung stehenden Bestand an Produktionsmitteln so zu verwenden, dass er ihm den höchsten erzielbaren Ertrag abwerfe. Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht hat, dürfen ihn dabei nicht beeinflussen. Dass er Fehlanlagen gemacht hat oder dass er für die Produktionsmittel Gebäude, Anlagen, Rohstoffe — zu hohe Preise bezahlt hat, ist von seinem Standpunkte bedauerlich. Doch die Verluste, die er dadurch erlitten hat, gehören der Vergangenheit an. Jetzt hat er die Aufgabe vor sich, aus dem verfügbaren Bestand alles herauszuholen, was sich unter den gegebenen Verhältnissen herausholen lässt.

Es kann vorkommen, dass ein verschuldeter Unternehmer sich genötigt sieht, im Hinblick auf die Verpflichtung, Schulden zu verzinsen und zu tilgen, anders vorzugehen als er vorgehen würde, wenn er nicht durch solche Verbindlichkeiten in seiner Freiheit gehemmt wäre. Er mag sich genötigt sehen, Warenvorräte zum Tagespreis zu veräußern, obwohl er damit rechnet, dass er durch Hinausschieben der Veräußerung besser fahren würde. Er mag sich genötigt sehen, die Maschinen in einer Weise auszunützen, die er als Raubbau verurteilen würde, wenn er eben nicht von würgenden Geldsorgen bedrückt wäre. Doch dann hat er, unter dem Druck der Schuldverpflichtungen, bewusst ein Verfahren einschlagen müssen, das künftige Gewinne opfert und sein eigenes Kapital schmälert.

[312]

V. Der Menger-Böhm'sche Weg zur Lösung des Zurechnungsproblems und die mathematische Katallaktik

Die Probleme der Preisgestaltung und Kostenrechnung sind auch in graphischer und mathematischer Weise behandelt und dargestellt worden. Manche haben dieses Verfahren als das allein wissenschaftliche und richtige bezeichnet und leidenschaftliche Angriffe gegen die Nationalökonomen gerichtet, die auf den Gebrauch der mathematischen Methoden verzichtet haben.

Es wäre unangebracht, diesen Gegensatz der Auffassungen als Methodenstreit und Parteienkampf aufzufassen, zu ihm selbst Stellung zu beziehen und von jedem zu fordern, dass er Farbe bekenne. Würde es um nichts anderes als um einen Unterschied in der Wahl des Verfahrens gehen, das man zur Erreichung von brauchbaren und wertvollen Ergebnissen einschlagen will, dann wäre es wohl überflüssig, auch nur ein Wort über die Sache zu verlieren. Das bessere Verfahren wird man schon rechtzeitig an seiner größeren Fruchtbarkeit erkennen. Es wäre übrigens auch denkbar, dass mehrere Verfahren gleich notwendig sind, weil jedes von ihnen zu brauchbaren Ergebnissen führt, zu denen das andere oder die anderen nicht zu gelangen vermögen.

Doch es handelt sich hier keineswegs um einen Gegensatz der Auffassungen über die Zweckmäßigkeit eines Verfahrens zur Findung von Wahrheit, sondern um einen Gegensatz in der Auffassung der wesentlichen Probleme der Katallaktik. Und darum darf die Preislehre an dem Problem der mathematischen Behandlung nationalökonomischer Fragen nicht achtlos vorbeigehen. Sie muss sich mit ihm auseinandersetzen, weil sie die Irrtümer zerstören muss, die den Kern der mathematischen Nationalökonomie bilden, und weil sie ihre eigenen Grundgedanken am klarsten vorträgt, wenn sie zeigt, wo und warum die mathematische Nationalökonomie irrt.

Die Methoden und Gedankengänge der mathematischen Nationalökonomie sind nicht einheitlich. Wir haben drei Gruppen zu unterscheiden, die verschieden arbeiten, verschiedenen Zielen zustreben und daher auch verschieden zu beurteilen sind.

Da ist zunächst die Gruppe der Statistiker, die aus den Ergebnissen der Wirtschaftsstatistik zu nationalökonomischer Erkenntnis gelangen wollen. Von dem Irrtum, der dieser Auffassung zugrunde liegt, war schon die Rede. Die wirtschaftsgeschichtliche Erfahrung ist Erfahrung eines komplexen Tatbestandes, aus dem man nie zu Erkenntnissen von der Art zu gelangen vermag, die die Naturwissenschaften aus den von [313] ihnen angestellten Versuchen gewinnen. Die Statistik ist eine Methode zur Darstellung preisgeschichtlicher Daten, die mit Nationalökonomie nichts zu tun hat und nie zum Ausgangspunkt nationalökonomischer Erkenntnis werden kann. Preisstatistik ist Wirtschaftsgeschichte und nicht Wirtschaftstheorie. Unser Wissen, dass caeteris paribus Steigen des Angebots Preissenkungen auslöst, haben wir nicht aus Erfahrung gewonnen, denn niemals hat und niemals wird jemand Markterscheinungen caeteris paribus beobachten können. Quantitatives Wissen kann es auf diesem Gebiete nicht geben; niemand wird wohl im Ernst behaupten wollen, dass die Beziehungen zwischen Nachfrage und Angebot allgemein oder für die einzelnen Waren konstant sind. Wir wissen dagegen, dass äußere Tatbestände auf die einzelnen Menschen verschieden wirken, dass auch dieselben Menschen zu verschiedener Zeit verschieden reagieren, und dass es auch nicht gelingen kann, die Menschen in Klassen einzureihen, die gleichartig reagieren. Das sagt uns unsere apriorische Theorie. Die Empiriker lehnen diese apriorische Methode allerdings grundsätzlich ab; sie wollen nur aus der Erfahrung lernen. Doch sie müssen mit ihren eigenen Grundsätzen in Widerspruch geraten, sobald sie über die bloße Verzeichnung der auf den Märkten gezahlten Preise hinausgehen, um aus den einzelnen Preisen Reihen zu bilden und Mittelwerte zu errechnen. Erfahrung und statistische Tatsache ist nur der einzelne Preis. Die Zusammenfassung der Preise zu Gruppen und die Errechnung von Mittelwerten ist die Anwendung theoretischer Einsicht, die logisch und zeitlich vor der Erfahrung steht. Das Maß der Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von Begleitumständen der beobachteten Preisdaten ist von theoretischen Überlegungen derselben Art abhängig. Kein Preisstatistiker wird bestreiten können, dass eine a %ige Erhöhung des Kartoffelangebots nicht unter allen Umständen eine b %ige Preissenkung nach sich ziehen müsse. Da er aber nicht imstande ist, diese besonderen Umstände, die seine Schlussfolgerung voraussetzt, nach Art und Maß genau auf Grund der statistischen Erfahrung zu bestimmen, hat er die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen zugegeben.

Man kann die weitere Erörterung dieser Spielart der mathematischen Nationalökonomie als überflüssig ansehen. Ungeachtet aller hochtrabenden Ankündigungen ist kein einziger erfolgreicher Schritt auf dem Weg zur Ausbildung einer quantitativen Nationalökonomie unternommen worden. Und es sei gleich festgestellt, dass die beiden anderen Richtungen der mathematischen Nationalökonomie dies rückhaltlos anerkennen. Denn sie haben nie versucht, in ihre Gleichungen empirischstatistisch [314] gefundene Werte einzusetzen, um künftiges Geschehen vorauszusagen.

Ein zweites Arbeitsgebiet, auf dem von der mathematischen Methode Gebrauch gemacht wird, ist die Untersuchung des Verhältnisses von Preis und Kosten. In den Untersuchungen dieser Art wird der Gebrauch der Geldrechnung und damit das Walten des Marktgetriebes stillschweigend vorausgesetzt. Wenn man allgemein von Preisen und von Kosten spricht, muss man immer Geldpreise und Geldaufwand meinen. Wenn man vom Gelde und von den Geldpreisen absieht, wäre es sinnlos, die Kosten den Preisen schlechthin gegenüberzustellen und Kosten und Preise zu vergleichen. Die Kosten erscheinen, wenn man von der Geldrechnung absieht, als ein Komplex von Mengen verschiedenartiger Produktivgüter, die aufgewendet werden, um ein Gut zu erzeugen, und der Preis dieses Gutes erscheint als die Angabe eines oder mehrerer Austauschverhältnisse, zu dem dieses Gut auf dem Markte gegen ein oder gegen mehrere Güter ausgetauscht werden kann. Die Gütermengen, die diese alternativen Preisausdrücke darstellen, beziehen sich auf andere Güter als die, die in dem Kostenausdruck zusammengefasst werden; ein Vergleich zwischen den beiden Ausdrücken, der zu einem Urteil über ihre Größe führen könnte, ist nicht möglich. Dass die Preisgüter dem Käufer weniger wertvoll erscheinen als dem Verkäufer, dass der Unternehmer nur dann erzeugt, wenn er erwartet, für das Produkt ein Gut erwerben zu können, das er höher schätzt als den Komplex der in der Produktion aufgewendeten Güter, wissen wir aus unserer praxeologischen Einsicht, bevor wir uns kasuistischer Erörterung der Gestaltung des Verhältnisses von Preis und Kosten in einzelnen, durch die nicht vollkommene Teilbarkeit von Produktionsmitteln ausgezeichneten Fällen zuwenden. Aus dieser Einsicht heraus wissen wir, wie sich die Unternehmer verhalten werden, wenn sie Aufwand und Erfolg rechnend gegenüberzustellen in der Lage sind. Wenn wir aber von der Geldrechnung absehen wollen, dann ist alles, was wir aussagen können, das: Jeder Unternehmer wird das Bestreben haben, nur das zu erzeugen, was ihm auf dem Markte schließlich die Erwerbung eines Gutes ermöglicht, das er höher schätzt als die Gesamtheit des Produktionsaufwandes. Ob ihm das gelingen kann, hängt, wenn es nicht indirekten, durch Vermittlung eines allgemein gebräuchlichen Tauschmittels vermittelten Tausch gibt, der die Geldrechnung ermöglicht, nicht nur davon ab, ob er die künftige Marktlage richtig eingeschätzt hat, sondern auch davon, ob er imstande ist, die auf dem Markte bestehenden Austauschverhältnisse so zu überblicken, dass er jedem einzelnen Gute in [315] seinen Überlegungen die Stelle zuweist, die ihm nach den bestehenden Austauschverhältnissen zugewiesen werden müsste.

Man wird daher nicht bestreiten können, dass alle Aufstellungen, die Preise und Kosten gegenüberstellen, den Gebrauch der Geldrechnung implizit voraussetzen. Alle Ausführungen der mathematischen Nationalökonomie, die sich mit diesem Ausschnitt aus dem Gesamtumfang der nationalökonomischen Probleme befassen, versuchen es, die Erwägungen der Unternehmerkalkulation kasuistisch zu formulieren und die Formulierung durch das Ziehen von Kurven zu veranschaulichen. Es fehlt aber dabei an der Einsicht, dass diese Unternehmerrechnung Geldrechnung ist. Man glaubt, sich in einer Sphäre höherer Allgemeinheit zu bewegen, weil man den Hinweis auf den Umstand, dass die Rechnungsoperationen in Geldeinheiten durchgeführt werden, unterlässt. Mitunter glaubt man sogar, dass die Rechnung in irgendwelchen imaginären Nutzeneinheiten vor sich gehen könne. Man spricht dann von utility analysis. Nüchterne Betrachtung kann aber hier nichts anderes sehen als Algebraisierung der Kostenkalkulation, wie sie die Unternehmer täglich anstellen und wie sie auch in Handelsschulen, wenn auch mit bescheideneren Ansprüchen, gelehrt wird.

Das Kennzeichen der Arbeiten der dritten Gruppe der mathematischen Nationalökonomie liegt gerade darin, dass sie die Probleme der Katallaktik ohne Rückgriff auf die Geldrechnung behandeln wollen. Ihr Grundirrtum ist, dass sie eine Rechnungsmethode sucht, die vom Markt, von seiner Geldrechnung und von seiner Beseelung durch das Handeln der Unternehmer unabhängig ist. Dieser Irrtum liegt geradeso Wieser's Lehre von der einfachen Wirtschaft zugrunde und durchzieht alle Arbeiten der Wieserschule. Dass Wieser die Gleichungen, die seiner Meinung nach zu einer — von Markt, Geldrechnung und Unternehmerwirken unabhängigen Ermittlung der den einzelnen Gütern höherer Ordnung zuzurechnenden Werte führen sollen, nicht aufstellt und daher auch nicht weiter diskutiert, wogegen die mathematische Richtung gerade in der Aufstellung und Diskussion der Gleichungen das eigentliche Feld nationalökonomischer Arbeit erblickt, ist unwesentlich. Denn auch die mathematische Schule weiß mit den Gleichungen, die sie bildet, nichts anzufangen. Wenn man auch immer wieder die Analogie mit den Gleichungen der Mechanik hervorkehrt, so muss man doch zugeben, dass in dem einen zumindest ein fundamentaler Unterschied gelegen ist: in die Gleichungen der Mechanik lassen sich Konstante, die mit einiger Genauigkeit empirisch gefunden wurden, einsetzen, und mit Hilfe dieser Konstanten vermag man aus gegebenen Daten unbekannte Grüssen [316] ungefähr zu ermitteln. Die Gleichungen der mathematischen Nationalökonomie können nicht in ähnlicher Weise der Praxis dienstbar gemacht werden; sie bleiben immer Theorie und lassen nie Anwendung zu. Dass Wieser, weil er die Gleichungen nicht in mathematischen Symbolen formuliert, zu den nichtmathematischen Nationalökonomen gerechnet wird, betrifft nur das Gewand, in dem er seine Lehre vorträgt; in der Sache besteht zwischen ihm und seiner Schule einerseits und den mathematischen Nationalökonomen anderseits kein Unterschied.

Jede nationalökonomische Überlegung, die ernst genommen werden will, muss zwei Hauptsätze der modernen Theorie als unverrückbare Grundlage festhalten. Diese beiden Sätze lauten: a ) Das Werten ist ein Vorziehen und nicht ein Fürgleichhalten oder Alsgleichbehandeln; b ) Es besteht keine Möglichkeit, Wertungen verschiedener Personen oder derselben Person zu verschiedener Zeit anders zu vergleichen als durch die Beantwortung der Frage, ob die beiden Wertungen die in Betracht kommenden Alternativen in gleicher Ordnung reihen oder nicht.

Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft sind alle Güter höherer Ordnung in die Verwendung gebracht worden, in der sie den höchsten Nutzen leisten können. Man kann von diesem Zustand aussagen: jedes Produktionsmittel wird so verwendet, dass durch keine denkbare und mögliche Verschiebung eine bessere Befriedigung erzielt werden könnte; kein Bestand an Produktionsmitteln wird so verwendet, dass die Erreichung des Zweckes a , dem er dient, als minderwichtig angesehen wird als die Erreichung eines nicht erreichten Zwecks b, der durch Verzicht auf a erlangbar wäre. Man kann diese Verhältnisse durch Indifferenzkurven veranschaulichen. Doch wir haben keine Möglichkeit, diese Indifferenzkurven auch wirklich zu ziehen. Man pflegt davon zu sprechen, dass man die Einzelnen nach ihren Wertungen befragt, und dass man das Ergebnis zur Darstellung der Kurve verwendet. Doch die Antwort der Wirte kann nur ihre Wertung der Güter erster Ordnung betreffen; die den Gütern höherer Ordnung zukommende Bedeutung, die von der Wertung der Güter erster Ordnung abhängt, müsste aus der Wertung der Güter erster Ordnung erst errechnet werden.

Die erklärende Nationalökonomie ist der Auffassung, dass die Lösung der Aufgabe nur in der Marktwirtschaft gelingen kann. Das Spiel des Marktes allein vermag durch die Bildung von Geldpreisen für alle Güter höherer Ordnung jedes einzelne Produktionsmittel der Verwendung zuzuführen, in der es den höchsten Nutzen zu leisten vermag.

[317]

Die mathematische Nationalökonomie beschreibt die dem Zustand gleichmäßiger Wirtschaft entsprechende Verteilung der Produktionsmittel auf die verschiedenen Produktionszweige durch ein System von simultanen Gleichungen. Da sie glaubt, dass die Zahl der Unbekannten die Zahl der Gleichungen nicht übersteigt, hält sie die Aufgabe grundsätzlich für lösbar, wenn auch aus praktischen Gründen nicht daran gedacht werden dürfe, das Problem der Verwendung der Güter höherer Ordnung durch die Lösung von Millionen Gleichungen zu meistern.

Vergleichen wir die beiden Lösungen, die der erklärenden Nationalökonomie und die der Mathematiker, dann erhellt ohne weiteres die Überlegenheit der erklärenden Lösung. Die mathematische Lösung bringt nichts anderes als einen mathematischen Ausdruck für die Begriffsbestimmung der gleichmäßigen Wirtschaft. Was die erklärende Nationalökonomie über die Gedankengebilde des einfachen und des endlichen Ruhezustandes und der gleichmäßigen Wirtschaft in Worten sagt, was die mathematischen Nationalökonomen selbst in Worten sagen und in Worten sagen müssen, bevor sie an die mathematische Ausarbeitung ihrer Gedanken schreiten, wird von den Mathematikern dann noch einmal durch eine Analogie mit der Mechanik und durch mathematische Deduktionen verdeutlicht und veranschaulicht. Beide Richtungen sagen: das menschliche Handeln muss einer derartigen Gleichgewichtslage zustreben und könnte und müsste sie, wenn nicht vorher Datenänderungen als Störungen auftreten würden, auch wirklich erreichen.

Doch die erklärende Lösung sagt noch mehr: sie zeigt, welche Triebkräfte in der Marktwirtschaft diesen Gleichgewichtszustand herbeiführen. Sie zeigt, wie das Wirken von Wirten, die aus Preisdifferenzen gewinnen wollen und die wir Unternehmer nennen, die Tendenz hat, die Preisdifferenzen und damit die Quelle des Spekulationsgewinns der Unternehmer, des spezifischen Unternehmergewinns, zum Verschwinden zu bringen und so den Gleichgewichtszustand der gleichmäßigen Wirtschaft herbeizuführen. Darin liegt der Fortschritt, den die Katallaktik der BöhmBawerk'schen Methode zur Lösung des Zurechnungsproblems verdankt. Wo die mathematische Theorie stehen bleibt, wo sie nichts weiter mehr tut, als durch eine mathematisch-mechanische Metapher den Begriff der gleichmäßigen Wirtschaft und des Gleichgewichtszustandes zu verdeutlichen, wo sie mit ihrer Arbeit aufhört und kein offenes Problem zu erblicken vermag, da eben setzt Böhm-Bawerk an, da zeigt er das Problem auf und führt es zugleich befriedigender Lösung zu. Denn die Aufgabe, die die Katallaktik hier stellt, ist keineswegs mit der Umschreibung des [318] Zieles, dem menschliches Handeln in letzter Linie zustrebt, gelöst; es gilt zu zeigen, wie das Handeln sich diesem Ziele, Schritt für Schritt vorgehend, nähert, wenn es auch nie wirklich zum Ziele gelangt.

Wenn man die beiden Verfahren, das erklärende und das mathematische, vergleicht, dann versteht man besser, was die Forderung nach Ergänzung und Ausgestaltung der statischen Nationalökonomie durch den Ausbau einer Dynamik bedeuten soll. Im Hinblick auf das erklärende Verfahren ist diese Forderung einfach sinnlos. Die erklärende National´ökonomie ist doch gerade auf die Erkenntnis der Bewegungen gerichtet, und sie bedient sich der Gedankenbilder des Ruhezustandes und der gleichmäßigen Wirtschaft nur zu dem Zwecke der Erfassung der Veränderungen. Anders ist es allerdings mit der mathematischen Methode. Diese beschreibt in ihren Gleichungen den Gleichgewichtsstand eines ruhenden Systems und vermag über die Entstehung dieses Zustandes und über seine Überführung in einen andern Zustand nichts auszusagen, solange sie den Boden der Mathematik nicht verlässt. Dieser Unzulänglichkeit des mathematischen Verfahrens gegenüber enthält die Forderung nach Ausbildung einer Dynamik einen guten Kern. Doch es ist nicht abzusehen, wie man bei Beibehaltung der mathematischen Ausdrucksweise zur Erfassung der Veränderungen gelangen könnte; die mathematische Methode kann das Problem nicht lösen. Die Einführung der Zeitfunktion in die Gleichungen wäre keine befriedigende Lösung; sie würde nur auf einen Mangel hinweisen, dem nicht abgeholfen werden kann. Dass jede Veränderung Zeit beansprucht und dass jede Veränderung in der Zeit ist, ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass wo Starrheit und Unveränderlichkeit besteht, Zeitlosigkeit herrscht. Nicht das allein fehlt den Gleichungen der mathematischen Nationalökonomie, dass sie nichts über die Zeit auszusagen wissen, sondern das, dass sie nichts darüber sagen, wie das Getriebe des Marktes arbeitet.

Diese Aufgabe kann man mathematisch nicht lösen. Man kann mit mathematischen Mitteln zeigen, wie ein Zustand, der vom Gleichgewichtszustand verschieden ist, sich wandeln müsste, um dem Gleichgewichtszustand gleich zu werden. Doch dieser mathematische Prozess ist keine begriffliche Abbildung oder Entsprechung des Prozesses, durch den die nicht im Gleichgewicht befindliche Wirtschaft sich auf den Gleichgewichtszustand hin bewegt. Er sagt nichts über das Handeln aus, das die Anpassung auslöst, durch das sie abrollt und in dem sie wirklich ist. Nur wer durch das Vorurteil, die Nationalökonomie müsste als eine Mechanik des Marktes aufgebaut werden, ganz [319] verblendet ist, wird die Bedeutung dieses Einwandes unterschätzen und bereit sein, eine hinkende Metapher als Ersatz für das zu nehmen, was die Katallaktik in der Preistheorie zu leisten hat und leistet. Die Katallaktik hat zu zeigen, wie aus dem Handeln der Menschen die Preise hervorgehen. Sie darf vom Handeln nicht absehen und darf sich nicht damit begnügen, darzustellen, wie aus einem mathematisch bestimmten Zustand ein anderer mathematisch bestimmter Zustand durch mathematisch erfassbare Veränderungen wird.

Darüber, dass es die Aufgabe der Katallaktik als einer praxeologischen Disziplin ist, das Handeln zu erklären, stimmen alle überein. Doch die mathematische Nationalökonomie kann nichts anderes leisten, als den Zustand mathematisch zu umschreiben, in dem nicht mehr gehandelt werden würde, und allenfalls noch zu zeigen, wie sich ein Zustand, der vom Gleichgewichtszustand verschieden ist, mathematisch wandeln müsste, um den Gleichgewichtszustand zu erreichen. Die erklärende Nationalökonomie geht darüber weit hinaus, indem sie zeigt, wie aus dem Unbefriedigtsein Handeln entspringt, das jenem gedachten Zustand des Gleichgewichts zustrebt [153] .

Wären die Arbeiten der mathematischen Nationalökonomie vor dem Hervortreten der erklärenden Nationalökonomie erschienen, dann hätte man von ihnen sagen können, dass sie zwar nicht mehr bringen als mathematische Paraphrase der Beschreibung der gleichmäßigen Wirtschaft, dass sie aber damit manchen Köpfen, die für die mathematischen Symbole empfänglicher sind als für die Darstellung in Worten, einen Dienst erwiesen haben. Heute muss man es der Katallaktik der mathematischen Schule zum Vorwurf machen, dass sie sich durch die Verwendung der mathematischen Verfahren den Zugang zum Kerne des Problems der Preisbildung der Produktionsmittel und damit zu allen anderen nationalökonomischen Problemen versperrt.

VI. Die Monopolpreise.

In der Erklärung der Preisbildung und der Aufteilung der verfügbaren Produktionsmittel auf die verschiedenen Verwendungen, die sie zulassen, haben wir bisher einen Markt betrachtet, der durch die Begehrungen der Verbraucher allein gesteuert wird. Auf diesem Markte befolgen die Unternehmer und die [320] Eigentümer der Produktionsmittel durchaus nur die Weisungen, die die Käufer der Genussgüter erteilen; sie müssen, wenn sie nicht sich selbst schädigen und in weiterer Folge Unternehmerstellung und Eigentum verlieren wollen, die Aufträge der Verbraucher so gut ausführen, als es die verfügbaren Produktionsmittel und der Stand des technischen Könnens zulassen. Die Wirtschaft steht ganz unter der Herrschaft der Verbraucher; sie ist Bedarfsdeckungswirtschaft der Verbraucher. Man pflegt die Preise, die auf einem Markte dieser Art gebildet werden, als Konkurrenzpreise oder Wettbewerbspreise zu bezeichnen. Man kann diese Ausdrücke ohne Bedenken verwenden, wenn man die Irrtümer zu meiden weiß, die aus metaphysischer Deutung der Begriffe «Freiheit» und «Vollkommenheit» des Wettbewerbs entspringen können [154] .

Der Wettbewerbspreis ist dadurch besonders gekennzeichnet, dass er das Ergebnis und nichts als das Ergebnis der Wertungen der Verbraucher ist. Weder die Eigentümer der wirtschaftlichen Güter noch die Unternehmer können Preisgestaltung und Ordnung der Produktion von den Wegen ablenken, die ihnen die Wertungen der Verbraucher weisen. (Es sei denn, man wollte es als eine Einflussnahme der Unternehmer auf Preise und Produktion betrachten, dass die Irrtümer, die Unternehmer zu ihrem eigenen Schaden in der Beurteilung der künftigen Wünsche der Verbraucher und mithin auch der künftigen Marktlage begangen haben, zwischen Kosten und Preis jene Spannung entstehen lassen, die die Quelle der spezifischen Gewinne und Verluste der Unternehmer bildet.)

Höhere Preise der Produktionsmittel und der Produkte wären den Verkäufern jederzeit willkommen. Doch sie können nichts tun, um sie zu erzielen. Die Eigentümer müssen die Preise hinnehmen, wie sie der Markt gebildet hat.

Der Unternehmer als Unternehmer ist immer in dieser Abhängigkeit von den Daten des Marktes. Er, das aktivste Element des Marktes, die Triebkraft aller Umstellungen der Produktion, ist nie mehr als der Vollstrecker der Wünsche der Verbraucher, und sein Erfolg hängt allein davon ab, ob er sich dieser Aufgabe auch am besten zu entledigen wusste.

Dagegen kann, bei Zutreffen besonderer Bedingungen, für den Eigentümer von wirtschaftlichen Gütern oder für den Verkäufer von Dienstleistungen die Abhängigkeit von den Verbrauchern lockerer werden. Es gibt Bedingungen, die es dem Verkäufer ermöglichen, die Menge der Dienste, die von den in [321] seiner Verfügung befindlichen Gütern ausgehen, zu vermindern und dabei besser zu fahren, als wenn er die Einschränkung unterlassen hätte. Er hat dann die Möglichkeit zwischen mehreren erzielbaren Preisen zu wählen. Entscheidet er sich nicht für den niedrigsten unter diesen Alternativpreisen — für den, der mit dem Konkurrenzpreis zusammenfällt — dann hat seine Entscheidung auch eine Verminderung der dem Verbrauch zugeführten Menge des in Frage stehenden Gutes zur Folge. Es gibt mithin eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, dass die Wertungen der Verbraucher allein dem Markte das Gesetz vorschreiben und Richtung und Umfang der Produktion in letzter Linie bestimmen. Diese Ausnahme ist die Marktlage, die Monopolpreise möglich macht.

Wir haben nun die Bedingungen zu umschreiben, unter denen die Bildung der Monopolpreise steht und die Monopolpreise von den Konkurrenzpreisen scharf abzugrenzen:

a ) Es muss Monopol des Angebots vorliegen, d.h. über den gesamten Vorrat des in Betracht kommenden Gutes — des Monopolgutes — verfügt nur ein Wirt oder eine Anzahl von Wirten, die sich für das Handeln auf dem Markte zum Verkauf dieses Gutes zu einer Einheit zusammengeschlossen haben oder auch ohne ausdrückliche Vereinbarung einheitlich vorgehen. Der Monopolist — d.i. der alleinige Verkäufer oder die Organisation der einheitlich vorgehenden Verkäufer — hat es in der Hand, zur Erhöhung des Preises das Angebot einzuschränken, ohne befürchten zu müssen, dass die Verminderung des Angebots, die er anstrebt, durch eine von anderen ausgehende Steigerung des Angebots wettgemacht werde.

b ) Der Monopolist ist nicht in der Lage, die Kauflustigen unterschiedlich zu behandeln, oder er hat freiwillig darauf verzichtet sie unterschiedlich — durch die Forderung von Diskriminationspreisen — zu behandeln. Als unterschiedliche Behandlung der Kauflustigen wird dabei ein Vorgang verstanden, bei dem von jedem Kauflustigen ein Preis verlangt wird, der bis an die Grenze seiner Kaufbereitschaft gehen kann.

c ) Die Antwort der Kauflustigen auf die Erhöhung der Preisforderung über den Wettbewerbspreis hinaus, ihre Einschränkung des Einkaufs, darf den Absatz nicht so stark einschränken, dass der Gesamterlös zu jedem den Wettbewerbspreis übersteigenden Preis kleiner wird als der Gesamterlös zum Wettbewerbspreis. Es ist daher überflüssig sich in der Monopolpreislehre in spitzfindigen Erörterungen über die Abgrenzung der Güter- und Warenklassen zu ergehen. Es ist überflüssig, die Frage aufzuwerfen, ob wir alle Krawattenstoffe als Stücke einer Warenart zu betrachten haben, oder ob wir da [322] nach Faser, Gewebeart, Muster und Farbe verschiedene Güter anzunehmen haben. Es kommt gar nicht auf die Abgrenzung des Gutsbegriffes an, sondern darauf, in welcher Weise die Verbraucher auf die Erhöhung des Preises antworten. Es ist daher für die Monopolpreislehre ohne Bedeutung, wenn man darauf hinweist, dass jeder Krawattenstofffabrikant andere Artikel erzeugt als die übrigen, und ihm daher die Monopolistenqualität zuerkennt. Monopolpreise könnte er nur dann erzielen, wenn die Verbraucher seine Stoffe so hoch über die Erzeugnisse anderer Fabriken stellen, dass sie auf die Erhöhung des Preises hin den Ankauf seiner Stoffe nicht in solchem Umfange einschränken, dass er schlechter fährt als beim Verkauf zum Konkurrenzpreis.

Diese Bedingung kann nicht erfüllt werden, wenn die Kauflustigen imstande sind, den Einkauf zu niedrigeren Preisen — nämlich zum Wettbewerbspreis — bei anderen Verkäufern zu besorgen, die dasselbe Gut anzubieten in der Lage sind. Doch der Umstand, dass jemand Monopolist ist, d.h. über den gesamten Vorrat des in Betracht kommenden Guts allein verfügt, genügt an sich noch nicht, um ihm die Möglichkeit zu bieten, Monopolpreise zu erzielen. Der Hersteller eines Buches, das unter Urheberrechtsschutz steht, ist immer Monopolist. Doch darum muss er noch keineswegs Monopolpreise im Verkauf erzielen können. Es kann sein, dass das Buch überhaupt keine Käufer findet, auch wenn es um einen Pappenstiel angeboten wird. Es kann sein, dass es zu einem Preis, der gerade den Durchschnittskosten des für die Herstellung erforderlichen Papiers und Druckes gleichkommt, nur so wenige Käufer findet, dass es dem Verleger nicht gelingen kann, die Druck- und Papierauslagen hereinzubringen. Monopolpreise können eben nur dann auftreten, wenn die Nachfrage nicht durch die Erhöhung des geforderten Preises so stark eingeschränkt wird, dass dem Verkäufer der Verkauf zum höheren Preis weniger vorteilhaft ist als der zum niedrigeren Wettbewerbspreis [155] .

d ) Es ist falsch in der Preistheorie zwischen die Monopolpreise und den Wettbewerbspreis eine weitere Kategorie als den Preis des unvollständigen oder unvollkommenen Wettbewerbs einschieben zu wollen. Der Preis kann — vom Fall der unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Käuferschichten, [323] von den Diskriminationspreisen, abgesehen — nur entweder Monopolpreis sein oder Wettbewerbspreis.

e ) Der Wettbewerbspreis ist durch die Größe des den Verkäufern zur Verfügung stehenden Vorrats und durch die Wertungen der Kauflustigen eindeutig bestimmt. Dem Monopolpreis ist diese eindeutige Bestimmtheit in der Regel nicht eigen. Wenn es dem Monopolisten überhaupt möglich ist, durch Verkauf zu einem den Wettbewerbspreis übersteigenden Preis einen höheren Gesamterlös zu erzielen als durch den Verkauf zum Wettbewerbspreis, dann sind es in der Regel mehrere Preissätze, die dieser Bedingung entsprechen. Unter diesen Monopolpreisen kann mitunter einer sein, der dem Monopolisten höchsten Gesamterlös verspricht; es kann aber auch sein, dass mehrere Preise den höchsten erzielbaren Gesamterlös gehen. Wir wollen den Monopolpreis oder die Monopolpreise, die den höchsten Gesamterlös bringen, optimalen Monopolpreis oder optimale Monopolpreise nennen.

f ) Es ist wichtig festzustellen, dass der Monopolist über das Verhalten der Nachfrage im Voraus nur Vermutungen haben kann. Er muss durch Tasten versuchen, den einzigen optimalen Monopolpreis, einen der optimalen Monopolpreise oder überhaupt einen Monopolpreis herauszufinden. Das mag mitunter viel schwerer fallen, als die Theoretiker, die beim Ziehen ihrer Kurven allwissend sind, glauben wollen. Man muss daher als besondere Bedingung für das Auftreten von Monopolpreisen die Fähigkeit der Monopolisten nennen, einen Monopolpreis oder Monopolpreise zu finden.

g ) Einen besonderen Fall der Monopolpreise stellt das unvollständige Monopol dar [156] . Von einem unvollständigen Monopol sprechen wir, wenn neben dem Monopolisten auch noch andere Verkäufer über einen Vorrat des Monopolgutes verfügen, und wenn diese Verkäufer, die Außenseiter, nicht geneigt sind, sich ausdrücklich oder stillschweigend mit dem Monopolisten zu gemeinsamem Vorgehen zu vereinigen, und den ganzen Vorrat, über den sie verfügen, absetzen wollen. Voraussetzung ist dabei, dass der in den Händen der Außenseiter befindliche Vorrat so gering ist, dass der Monopolist. durch Verkauf eines Teiles des ihm zur Verfügung stehenden Vorrats zu einem Monopolpreis noch immer einen größeren Gesamterlös erzielt als durch den Verkauf seines ganzen Vorrats zum Wettbewerbspreis. Ist diese Vorraussetzung gegeben, dann kann er die [324] Preisforderung erhöhen und den Absatz einschränken und fährt dabei besser als beim Wettbewerbspreis. Ob die Außenseiter ihre Preisforderung bis dicht an den von ihm geforderten Monopolpreis erhöhen oder hinter ihm stärker zurückbleiben, ist für ihn ohne Bedeutung. Für ihn kommt allein in Betracht, dass mit dem Sinken des Gesamtabsatzes (seines eigenen und desjenigen der Außenseiter zusammengenommen) der Absatz der Außenseiter, die unserer Annahme gemäss billiger verkaufen als er, unverändert bleibt und dass daher sein eigener Absatz nicht nur absolut sondern auch im Verhältnis zu dem der Außenseiter sinkt. Das beeinflusst seinen Kalkül in entscheidender Weise. Die im Falle des unvollständigen Monopols gebildeten Monopolpreise werden daher von denen, die unter sonst gleichen Bedingungen beim vollständigen Monopol gebildet worden wären, abweichen.

h ) Dagegen sind Duopol und Oligopol nicht besondere Fälle oder Abarten des Monopolpreises, sondern besondere Fälle der Ausfindigmachung der möglichen Monopolpreise. Duopol (oder Oligopol) liegt vor, wenn zwei (oder mehrere) Eigentümer, die in der Lage wären, durch Zusammenschluss Monopolpreise zu erzielen, aus irgendwelchen Gründen es ablehnen, sich über ihr Vorgehen zu verständigen, und dennoch Monopolpreise erzielen wollen. Beim unvollständigen Monopol ist nur ein Verkäufer bereit, das Korrelat der Preissteigerung, den Rückgang des Absatzes, zu seinen Lasten wirken zu lassen, wogegen die übrigen Verkäufer es ablehnen, weniger Ware auf den Markt zu bringen, als sie beim Wettbewerbspreis verkaufen können. Im Falle des Duopols (oder des Oligopols) sind aber alle Verkäufer zur Einschränkung des Absatzes bereit, und diese Bereitschaft ist Bedingung der Monopolpreisbildung, wenn die Voraussetzungen für das unvollständige Monopol fehlen. Da sie aber nicht einheitlich vorgehen, kann es zu Monopolpreisen nur nach einem wechselvollen Hin und Her kommen, nach einem Spiel, das jeden nötigt, zu erraten, was der oder die anderen tun werden, wenn er seinen Zug gemacht haben wird. Voraussetzung ist, dass jeder weiß, dass der andere oder die anderen auch zu Absatzeinschränkung bereit sind, dass er aber nicht weiß, wieweit dieser andere oder diese anderen gehen wollen.

Ob Duopol und Oligopol auch praktische Bedeutung haben, sei dahingestellt. In der Regel werden die Eigentümer, wenn die Bedingungen für Monopolpreisbildung gegeben sind, zumindest stillschweigend eine Verständigung suchen.

i ) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Begrenztheit des Angebots nur unter besonderen Bedingungen zur Bildung von [325] Monopolpreisen führen kann. Knappheit des Angebots im Hinblick auf den Umfang der Nachfrage ist Voraussetzung dafür, dass ein Gut überhaupt als wirtschaftliches Gut behandelt wird. Güter, die so reichlich zur Verfügung stehen, dass jede beabsichtigte Verwendung voll befriedigt werden kann, werden überhaupt nicht bewirtschaftet; für solche Güter werden keine Preise bezahlt. Das haben alle jene Lehren verkannt, die den Begriff des Monopolpreises so ausgedehnt haben, dass alle Preise darunter fallen, die z. B. Grundrente oder Unternehmergewinn als Ausfluss von Monopolpreisen auffassen wollen.

k ) Aus den Preisen, die der Verkäufer auf dem Markte erlöst, werden durch Rechnung die Anteile gefunden, die den verschiedenen katallaktischen Kategorien entsprechen. Man stellt dem Preise zunächst den Aufwand [157] gegenüber, den der Verkäufer gemacht hat, um die Verfügung über das Verkaufsobjekt zu erlangen; ergibt sich ein Überschuss des Erlöses über die Kosten, dann ist Bruttogewinn erzielt worden. Aus diesem Bruttogewinn wird dann der Bruttozins ausgeschieden. Bleibt noch immer ein Überschuss übrig, dann ist Bruttounternehmergewinn erzielt worden. In diesem Bruttounternehmergewinn unterscheiden wir wieder den spezifischen Unternehmergewinn und gegebenenfalls den Monopolgewinn. Der spezifische Unternehmergewinn ist der Teil des Bruttogewinns, den der Unternehmer beim Verkauf zum Wettbewerbspreis erzielt hätte. Erfolgt der Verkauf zu einem Monopolpreis, so ist auch noch darüber hinaus Monopolgewinn erzielt worden.

Man muss den spezifischen Unternehmergewinn vom Monopolgewinn streng unterscheiden. Monopolgewinn kann der Unternehmer nur als Eigentümer eines Gutes (erster oder höherer Güterordnung) erzielen, in Bezug auf das er Monopolistenstellung hat. Der Unternehmer erzielt den Monopolgewinn als Eigentümer eines Monopolgutes, nicht als Unternehmer.

Monopolpreise können nur erzielt werden, wenn die Absatzmenge (gegenüber der Menge, die zum Wettbewerbspreis abgesetzt werden könnte) eingeschränkt wird. Wie der Monopolist vorgeht, um einen Teil des verfügbaren Vorrats dem Markte zu entziehen, ob er diesen Teil einfach zurückhält und in Vorratskammern anhäuft oder ob er ihn vernichtet, ist für die Preisgestaltung belanglos. Die Vernichtung von Gütern, die mancher Leute Unbefriedigtsein hätten mindern können, gilt als der klassische Fall einer Monopolistenaktion. Für die [326] Preisbildung macht es aber keinen Unterschied aus, ob die Güter vernichtet oder nur unbenützt liegen gelassen werden.

Das Monopolgut kann ein Gut erster Ordnung oder ein Produktionsmittel sein. Es kann in dem technologischen Wissen, das zur Durchführung eines Produktionsverfahrens notwendig ist, in dem «Rezept» bestehen. Rezepte sind in der Regel freie Güter, da das Wirkungsquantum, das von ihnen ausgeht, unbegrenzt ist. Zu einem wirtschaftlichen Gut kann ein Rezept nur dann werden, wenn sein Wirkungsquantum durch Zurückhaltung in der Verwendung nicht voll ausgenützt wird. Wer über ein Rezept verfügt, das die anderen nicht kennen, oder wer im Hinblick auf institutionelle Einrichtungen — z. B. Patentrecht, Urheberrecht, Musterschutz, u. dgl. — allein von dem Rezept Gebrauch machen darf, kann die Ausnützung des Rezepts einschränken. Dann wird bei Zutreffen der übrigen Monopolpreisbedingungen das Rezept zu einem Monopolgut höherer Ordnung; der Monopolgewinn, der durch seine Verwertung erzielt werden kann, wird ihm zugerechnet.

Das komplementäre Produktionsmittel, das durch nicht vollständige Ausnützung seiner Wirkungsmenge zu einem Monopolgut wird und Monopolpreise erzielt, kann auch in der dem Monopolisten durch die Natur der von ihm geleisteten Dienste oder verkauften Waren oder durch institutionelle Einrichtungen (z. B. Markenrechte) gebotenen Möglichkeit bestehen, seine Mitwirkung am Produkt, der von den Käufern (aus besonderem, auf Erfahrung beruhendem Vertrauen zum Monopolisten; aus Vorurteil oder Snobismus; aus magischen oder metaphysischen Vorstellungen, über deren Unsinnigkeit andere lächeln mögen) Wert beigelegt wird, auf dem Markte erkennbar zu machen. Ein Heilmittel, das mit einer gesetzlich geschützten Wortmarke versehen auf den Markt kommt, mag in seiner chemischen Zusammensetzung und in seiner objektiv erkennbaren physiologischen Wirkung anderen Präparaten, die nicht denselben Namen tragen dürfen, vollkommen gleichen; wenn die Käufer diesem Namen eine Bedeutung beilegen und daher bereit sind, die mit ihm versehenen Präparate teurer zu bezahlen als die, die diesen Namen nicht tragen dürfen, dann kann der Eigentümer der Marke bei entsprechender Gestaltung der Nachfrage Monopolpreise erzielen.

Einem Rezept, das jeder kennt und anwenden darf, und einem Wort, mit dem jeder seine Produkte bezeichnen darf, wird kein Anteil am Ertrag zugerechnet. Erst die durch besondere Verhältnisse geschaffene Beschränkung der Verwendungsmöglichkeit lässt die Voraussetzungen dafür entstehen.

Bei jedem Monopolpreis hat man die Frage zu beantworten, wodurch dem Monopolisten die Einschränkung des Absatzes [327] oder der Ausnützung des Monopolgutes möglich wurde, ohne dass er befürchten muss, dass die Absichten, die er damit verfolgt, durch die Absatzsteigerung oder Ausnützungsvermehrung anderer Wirte vereitelt werden. In vielen Fällen wird das Auftreten von Konkurrenten, die die Pläne der Monopolisten durchkreuzen und die Bildung von Monopolpreisen verhindern könnten, dadurch vereitelt, dass die Aufnahme der Produktion durch neue Betriebe nur unter steigenden Kosten erfolgen kann und dass die Kostendifferenz groß genug ist, um den schon bestehenden, mit niedrigeren Kosten arbeitenden Betrieben einen Spielraum zu geben, innerhalb dessen sie einen oder mehrere Monopolpreise finden können [158] . Wenn man die Gedankengänge, die die Preise der Bodenfrüchte als Monopolpreise auffassen, als unrichtig verwirft, so bestreitet man nicht, dass die Verschiedenheit der Fruchtbarkeit der Grundstücke bei einer bestimmten Lage der Daten, die freilich nicht gegeben ist, tatsächlich Monopolpreise entstehen lassen könnte. So wie die Dinge liegen, wäre es für die Mehrzahl der Grundbesitzer aussichtslos, durch Einschränkung der Produktion Monopolpreise und Monopolgewinne anzustreben. Andere Grundbesitzer werden, auf schlechterem Boden, d.i. mit steigenden Kosten, den Anbau erweitern; die Preise der Bodenfrüchte werden steigen, und auch die Erzeuger, die die Produktion auf dem besseren Boden eingeschränkt haben, werden höhere Preise für die verkaufte Mengeneinheit erzielen. Doch nur wenn sie dabei höhere Reinerlöse erzielen könnten, wäre die Produktionseinschränkung für sie vorteilhaft; das ist aber unter den gegebenen Verhältnissen nicht der Fall. Bodenmonopol und Monopolpreise für Bodenprodukte können nur dann entstehen, wenn die Verfügung über einen so großen Teil des für eine bestimmte Produktion geeigneten Bodens einheitlich erfolgt, dass zumindest die Voraussetzungen für ein unvollständiges Monopol gegeben sind. Diese Bedingungen treffen heute wohl im Bergbau für einige Metalle zu; in der Landwirtschaft haben die Bestrebungen verschiedener Regierungen, auf dem Weltmarkt Monopolpreise für Kaffee, Baumwolle, Gummi, Weizen, Zucker und andere Artikel zu schaffen, bisher meist Schiffbruch gelitten.

[328]

Man hat eben zu beachten, dass die Besitzer des besseren Bodens nur darum beim Verkauf der Bodenfrüchte keine Monopolpreise erzielen können, weil der Unterschied zwischen den Produktionskosten, die ihr besserer Boden verlangt, und denen, die der schlechtere Boden ihrer potentiellen Konkurrenten verlangt, so klein ist, dass kein Raum für die Entfaltung erfolgreicher Monopolistenaktion bleibt.

In anderen Fällen genügt eine Kostendifferenz, um denen, die über den mit niedrigeren Produktionskosten arbeitenden Betrieb verfügen, die Erzielung von Monopolgewinnen zu ermöglichen. Diese Kostendifferenzen können entweder in der Natur der Dinge begründet sein, sie können aber auch institutionellen Ursprungs sein. Die Bedeutung, die den Monopolpreisen in unserer Zeit der Zollschranken zukommt, ist vor allem durch Monopolpreisbildungen bestimmt, die ihre Entstehung solchen Kostendifferenzen institutionellen Charakters verdanken. Wenn die inländischen Betriebe bei voller Ausnützung eine Menge m der Ware w erzeugen und der inländische Absatz zum Weltmarktpreis von p die Menge n erreicht, wobei n kleiner ist als m , dann kann ein Einfuhrzoll von z den inländischen Erzeugern nicht die Möglichkeit bieten, ohne weitere Maßnahmen aus dem Zollschutz Vorteil zu ziehen. Ist es aber möglich, in der Spanne zwischen p + z und p einen Monopolpreis zu finden, dann können die Besitzer der inländischen Betriebe sich zu einem Kartell zusammenschließen und durch Absatzeinschränkung im Inlande Monopolpreise und Monopolgewinne erzielen. Ob das Kartell und seine Monopolpreise auf die Dauer aufrecht bleiben können, hängt dann auch davon ab, ob es gelingt, Störung durch das Auftreten von neuen inländischen Konkurrenten hintanzuhalten. Besteht diese Gefahr, dann werden die Nutznießer des durch den Zollschutz ermöglichten Monopols meist die Forderung erheben, dass die Errichtung neuer Betriebe untersagt werde.

Besonders lehrreich ist es, einen Fall zu betrachten, dessen missverständliche Deutung zur Entwicklung von Lehren beigetragen hat, die zwischen Monopolpreis und Wettbewerbpreis als dritte Gruppe die Preise bei «unvollständigem Wettbewerb» und bei «monopolistischem Wettbewerb» stellen wollten. Es gibt immer Produktionszweige, deren Ausstattung mit Erzeugungsanlagen zu groß ist, sei es, weil die Unternehmer von Anfang an falsch spekuliert haben, oder sei es, weil seit der Errichtung der Anlagen die Marktlage sich in einer Weise geändert hat, die sie nicht vorausgesehen haben. Wenn die einzelnen Betriebe eines derartig überreichlich ausgestatteten Produktionszweiges verschiedene Produktionskosten haben, dann [329] werden die teurer arbeitenden die Erzeugung aufgeben und nur diejenigen werden weiter arbeiten können, deren Produktionskosten zumindest nicht höher sind als der erzielbare Marktpreis. Die übrigen Betriebe, die ihr Produkt nur zu Verlustpreisen absetzen können, werden stillgelegt werden. Es kann sein, dass die Eigentümer dieser schlechteren Betriebe die Erzeugung nicht sogleich aufgeben wollen, weil sie glauben, dass die Verluste, die der Fortbetrieb mit sich bringt, durch andere Vorteile wettgemacht werden. Sie rechnen etwa damit, dass die künftige Marktlage die Rentabilität ihrer Betriebsführung wiederherstellen werde, und wollen die Kosten sparen, die ihnen, falls sie jetzt den Betrieb ganz stilllegen, später durch die Wiederankurbelung des Apparates, durch die Einschulung von neuem Personal, durch den Wiederaufbau des Verkaufsdienstes u. dgl. mehr erwachsen müssen. Doch schließlich werden sie, wenn die Hoffnung auf Umschwung der Marktlage sich nicht bald erfüllt, durch die Verluste doch zur Einstellung der Arbeit gezwungen werden. In vielen Fällen greifen aber die Regierungen aus politischen Gründen ein; sie suchen zu verhindern, dass die Betriebe, die die ungünstigsten Produktionsbedingungen haben, stillgelegt werden; eine Betriebseinschränkung aller Betriebe scheint ihnen das kleinere Übel darzustellen [159] . Doch ob nun das Nichtausscheiden der unter den ungünstigsten Verhältnissen arbeitenden Betriebe diesen oder jenen Ursachen zuzuschreiben ist, sein Ergebnis ist immer das, das die Verkäufer als ungesunde Überproduktion bezeichnen und das sie durch Regelung derProduktion vermittels Eindämmung der übermäßigen Konkurrenz und Erzielung von Preisen, die sie als «vernünftige» und «angemessene» ansehen, zu beseitigen wünschen. Die Eigentümer der Betriebe schließen sich, sei es durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung, sei es unter dem Zwange eines von der Regierung ausgehenden Befehls, zu einem Kartell zusammen und suchen die Preisbildung durch Verminderung der auf den Markt gelangenden Produktmenge zu beeinflussen.

Die Besonderheit des Falles, der hier Ausgangspunkt der Kartellbildung ist, liegt darin, dass auf dem Markte Preise verlangt und bezahlt werden, auf deren längeren Bestand nicht zu rechnen ist. Denn nahezu alle Betriebe arbeiten mit [330] Verlust. Auch Betriebe, die im Einblick auf ihre günstigeren Produktionsbedingungen befriedigend arbeiten könnten, wenn die schlechtesten Betriebe ihre Produktion eingestellt hätten, erzielen nur Verluste. Auf die Dauer können aber Betriebe nicht mit Verlust arbeiten. Nach einer längeren oder kürzeren Übergangszeit werden die unter den ungünstigeren Bedingungen arbeitenden Betriebe doch stillgelegt werden müssen, und der Wettbewerbspreis wird durch die Kosten des Grenzbetriebs bestimmt werden. Doch das ist es gerade, was die Regierung verhindern wollte. Sie will die Verhältnisse in diesem Industriezweig durch ein Kartell sanieren, das den Preis auf «vernünftige» Höhe bringen soll. Als «vernünftig» oder «angemessen» kann aber nur ein Preis erscheinen, der über dem Preis liegt, der sich als Wettbewerbspreis ohne Eingriff des Staates zu Gunsten der schwächeren Betriebe herausgebildet hätte. Denn nur ein solcher Preis kann diesen teurer arbeitenden Betrieben die Fortführung ermöglichen.

Diese Kartellbildung und die Aufrechthaltung von Monopolpreisen, werden dadurch möglich, dass eine neue Konkurrenz nicht auftreten kann. Solange die Marktlage sich nicht derart verändert hat, dass ein neuerrichteter Betrieb rentabel arbeiten könnte, wäre es von vornherein aussichtslos, an die Gründung neuer Betriebsanlagen zu schreiten. Auch wenn der Kartellpreis eine Höhe erreicht oder überschritten hat, die einem neuen Betrieb Rentabilität gehen könnte, wenn er Wettbewerbspreis wäre, hätte ein neuer Betrieb nur dann Aussicht auf Rentabilität, wenn ihm von den schon bestehenden Betrieben eine Kartellquote eingeräumt wird. Wollen die alten Betriebe die Produktionseinschränkung und Gewinnschmälerung, die damit verbunden wären, nicht auf sich nehmen, dann bleibt dem neuen Betrieb nur die Aussieht auf eine Marktlage, die ihm Verluste bringen wird.

Wir können das Wesen unseres Falls noch klarer erkennen, wenn wir annehmen, dass der fragliche Produktionszweig nur durch einen einzigen Betrieb vertreten wird, der — im Hinblick auf die gegenwärtige Gestaltung der Marktlage — zu groß dimensioniert ist und daher seine volle Produktionskapazität nicht auszunützen vermag. Dieser Betrieb könnte seine Erzeugung bis zu dem Punkte ausdehnen, an dem die variablen Kosten (ohne Verzinsung und Amortisation des in den Anlagen steckenden Kapitals) vom Preis gerade gedeckt werden; der Anlage wird dann kein Teil des Produktpreises zugerechnet, sie ist wertlos. Wenn aber mit der Einschränkung der Produktion der Preis stärker steigt als die Durchschnittskosten, kann der Betrieb durch Produktionsbeschränkung Monopolpreise erzielen, [331] da das Auftreten neuer Konkurrenz nicht zu befürchten ist. Der Monopolgewinn wird dann den Anlagen zugerechnet; die früher wertlose Anlage bekommt jetzt Wert.

Der Monopolpreis wird auch in diesem Fall wie in jedem anderen dem Markte vom Eigentümer der Anlagen, nicht von den Verbrauchern vorgeschrieben. Die Verbraucher würden, da die Anlagen nun einmal in dem größeren, für die gegenwärtige Marktlage unwirtschaftlich großen Umfange dastehen und die Mittel, die in ihnen festgelegt wurden, der Befriedigung anderen Bedarfes, den die Verbraucher heute als wichtiger erachten, entzogen wurden, es vorziehen, wenn die Anlagen bis an die Grenze ihrer wirtschaftlichen Ausnützungsmöglichkeit in Anspruch genommen werden. Dass das nicht geschieht, schmälert den Verbrauchern die Befriedigung, die sie unter den gegebenen Verhältnissen erlangen könnten. Sie hätten es noch lieber gesehen, wenn die Fehlleitung des Kapitals unterblieben wäre und wenn sie sich andere Güter hätten beschaffen können, die sie heute nicht bekommen, da die erforderlichen Mittel in — wie sich heute zeigt — unzweckmäßiger Weise gebunden wurden. Da es nun aber schon einmal so weit gekommen ist, wollen sie mehr von dem fraglichen Produkt haben, als sie um den Monopolpreis erwerben können.

l ) Der Wettbewerbspreis ist durch die Grenzkosten bestimmt. Der Wettbewerb der Unternehmer hat die Tendenz, die Produktion bis zu jenem Punkte auszudehnen, an dem Kosten und Preis sich decken. Der einzelne Unternehmer kommt gar nicht dazu, die Frage zu prüfen, ob eine Einschränkung der Produktion für ihn nicht vorteilhafter wäre; denn er muss damit rechnen, dass die Einschränkung seiner Erzeugung durch die Erweiterung der Produktion seitens anderer Erzeuger wettgemacht werden wird.

In den Erwägungen, die ein monopolistischer Eigentümer darüber anstellt, ob er durch Einschränkung der Absatzmenge besser fährt als durch Verkauf der ganzen Menge, die er zum Konkurrenzpreis abzusetzen vermag, spielen Produktionskosten keine Rolle. Der verfügbare Vorrat ist ihm als feste Größe gegeben; es handelt sich allein um seine günstigste Verwertung. Das einzige, was der Monopolist für seine Berechnung benötigt, ist Kenntnis der Gestaltung der Nachfrage bei Preisen, die den Wettbewerbspreis übersteigen. Diese Nachfrage geht, falls das Monopolgut ein Gut höherer Ordnung ist, nicht von den Verbrauchern, sondern von Unternehmern aus, die mit Hilfe des Monopolguts Produkte für den Weiterverkauf herstellen wollen. Wenn diese Unternehmer damit zu rechnen haben, dass sie bei Einschränkung der Erzeugung höhere oder [332] niedrigere Produktionskosten (auf die Mengeneinheit des von ihnen zu erzeugenden Produkts bezogen) haben werden, dann wird das ihre Nachfrage nach dem Monopolgut beeinflussen. Der Monopolist hat, wenn er die Nachfragegestaltung richtig beurteilt, auch schon diesem Umstand voll Rechnung getragen.

Wenn man davon spricht, dass der Monopolist die Kostengestaltung zu berücksichtigen habe, denkt man an den — freilich häufigst gegebenen Fall, dass zwischen dem Eigentum am Monopolgut und der Unternehmung, die die erste Verarbeitung besorgt, Personalunion besteht. Doch man muss auch hier genau beachten, dass Monopolpreise nur der Eigentümer verfügbarer Vorräte, nicht der Unternehmer erzielt, und dass die Rücksicht auf die Produktionskostengestaltung wieder nur dem Unternehmer als Verarbeiter obliegt.

Die auf die Mengeneinheit des Produkts bezogenen Produktionskosten können mit der Einschränkung der Erzeugung entweder unverändert bleiben oder steigen oder sinken. Wenn sie sinken, dann wird der Verkäufer, der Eigentümer des Monopolguts und sein Verarbeiter zugleich ist, durch Einschränkung der Produktion eher Monopolgewinn erzielen können als bei unveränderten Kosten. Wenn sie steigen, dann hat er nicht nur auf die Reaktion der Käufer auf die Preiserhöhung zu achten, sondern auch auf den Umstand, dass seine Gestehungskosten steigen.

Die Personalunion zwischen dem Eigentum am Monopolgut und seiner Verarbeitung kann in die Erwägungen des Verkäufers noch einen weiteren Gesichtspunkt hineintragen. Hat er, etwa zu einer Zeit, da er noch nicht Monopolstellung hatte, Anlagen errichtet, die auf die Erzeugung der zum Konkurrenzpreis absetzbaren Menge eingerichtet sind, so muss er, wenn er die Erzeugung einschränkt, einen Teil dieser Anlagen außer Betrieb stellen; Verzinsung und Amortisation des in diesen Anlagen gebundenen Kapitals belasten ihn jedoch weiter. Es hängt von der Kalkulationsmethode ab, ob man diesen Umstand besonders in Rechnung stellt oder ihn in die Berechnung der Produktionskosten einbezieht.

Es ist, wie schön gezeigt wurde, wichtig, Unternehmergewinn und Monopolgewinn auseinander zu halten. Der Unternehmergewinn entsteht daraus, dass der Unternehmer die Gestaltung der Marktlage von heute in dem Zeitpunkt, als die Produktion einzuleiten war, deren Erzeugnisse heute auf den Markt gelangen, richtiger eingeschätzt hatte als die übrigen Wirte; er hat daher die Produktionsmittel zu Preisen erwerben können, die - wie jetzt allgemein begriffen wird — niedriger waren, als sie — bei richtiger Einschätzung der heutigen [333] Marktlage — hätten sein müssen, und so ergibt sich ein Überschuss der Verkaufspreise über die Kosten, eben der Unternehmergewinn. Es kann sich unter Umständen fügen, dass der Unternehmer, der jetzt als Eigentümer und Verkäufer der Produkte auftritt, durch die Gestaltung der Verhältnisse in der Lage ist, Monopolgewinne zu seinem Unternehmergewinn hinzuzufügen. Wenn der Bedarf den Verbrauchern so dringlich erscheint, dass sie bereit sind, für sofort greifbare Ware Preise zu bewilligen, die dem Unternehmer als vorteilhafte Monopolpreise erscheinen, dann wird er durch Zurückhaltung (oder Vernichtung) eines Teiles seines Vorrats Monopolpreise erzielen können. Die Konkurrenz wird hier durch den Umstand ferngehalten, dass wer erst heute zu produzieren beginnt, für die Versorgung der Nachfrage von heute noch nicht in Betracht kommt.

Jedem Umfang des Angebots ist bei gegebenem Stande der Nachfragegestaltung ein bestimmter Preis zugeordnet. Auch die Monopolpreise sind Preise; auch die Monopolpreise bringen Nachfrage und Angebot zur Deckung. Von dem Fall abgesehen, dass jede Vermehrung der auf dem Markte verfügbaren Menge des in Betracht kommenden Guts ausgeschlossen ist, ist auch jeder Wettbewerbspreis von Produkten durch den Umstand bestimmt, dass die verfügbaren Produktionsmittel nicht stärker für die Erzeugung des fraglichen Gutes ausgenützt wurden. Hätte man mehr erzeugt, hätte man nicht auf einen Teil der gegebenen Produktionsmöglichkeiten verzichtet, wäre der Preis tiefer. Was Wettbewerbspreis und Monopolpreise scheidet, ist der Weg, auf dem es zu der Marktlage gekommen ist, aus der der Preis hervorgeht. Die Monopolpreise sind dadurch gekennzeichnet, dass das Angebot durch eine gegen die Wünsche der Verbraucher gerichtete Handlung eingeschränkt wurde, um den Preis zu beeinflussen. Damit ein Eigentümer von Produktionsmitteln so vorgehen kann, muss er zumindest über einen so großen Teil des gesamten Bestandes verfügen, dass er nicht befürchten muss, um den Erfolg der Preissteigerung durch das Vorgehen von Konkurrenten gebracht zu werden. Wer nicht in dieser Stellung ist, hat nie die Wahl zwischen Monopolpreisen und dem Wettbewerbspreis, der muss den Wettbewerbspreis hinnehmen, wie ihn der Markt bildet. Der Unternehmer sucht als Unternehmer den Wettbewerbpreis so gut zu ermitteln, als er es vermag, und sucht dann seine Erzeugung so weit auszudehnen, als er im Hinblick auf diese Preisschätzung und den Stand der Produktionsmittelpreise noch rentabel erzeugen zu kennen glaubt. Wenn der Unternehmer nicht mehr von der fraglichen Ware erzeugt, ist das nicht etwa gleichzustellen dem Vorgehen des Eigentümers, der einen Teil der verfügbaren Produktionsmittel nicht ausnützt, um für sie höhere Preise zu erzielen. Er hat nicht mehr erzeugt, weil er nicht mehr riskieren wollte, oder weil ihm nicht größere Mittel zur Verfügung standen. Um die Erzeugung zum Zwecke der Preiserhöhung zu beschränken, hätte er die Möglichkeit haben müssen, andere Unternehmer von der Erzeugung fernzuhalten.

m ) Schließlich müssen noch einige Worte dem Angebotsmonopol der Arbeit gewidmet werden. Der Monopolist hat, um einen Monopolpreis auf dem Markte durchzusetzen, das Angebot einzuschränken; ein Teil des gegebenen Vorrats muss vom Markte ferngehalten werden. Um den Arbeitslohn zu einem Monopolpreis zu machen, müssen Arbeiter, die bereit wären zu arbeiten, vom Arbeitsmarkte ferngehalten werden.

Es gibt unter den institutionellen Bedingungen der Gegenwart Mittel zur Einschränkung des Angebots an Arbeitern, die den Arbeitern, denen die Einschränkung Vorteil in der Lohngestaltung bringt, keine Kosten auferlegen oder nur solche Kosten, die sie nicht in Rechnung stellen. Die Sperre der Zuwanderung von ausländischen Arbeitern oder die Nichtgewährung von Arbeitserlaubnis an Personen, die irgendwelchen Bedingungen nicht entsprechen, (die z. B. Ausländer, Angehörige einer bestimmten Rasse oder eines bestimmten Volkes, Bekenner eines bestimmten Glaubens oder einer bestimmten Gesinnung sind, die irgendwelche Prüfungen nicht abgelegt haben oder die irgend einem Vereine irgendeiner Gewerkschaft — nicht angehören,) verknappt den Arbeitsmarkt und treibt die Löhne in die Höhe. Es ist dabei ohne Belang, ob diese Einschränkung der zum Arbeitsmarkte zugelassenen Arbeiter durch die Obrigkeit erfolgt oder durch Maßnahmen anderer gesellschaftlicher Gebilde, etwa der Gewerkschaften, deren Vorgehen von der Obrigkeit geduldet und durch Nichthindern der von ihnen zur Durchsetzung der Sperre ergriffenen Gewaltandrohung und Gewaltanwendung gefördert wird. Für die Preistheorie ist hier allein das wichtig, dass solche Verknappung des Marktes und die durch sie bewirkte Lohnsteigerung nicht immer zu Monopolpreisen führen muss. Wir haben den Ausdruck Monopolpreis zur Bezeichnung jener Fälle verwendet, in denen der Absatz einer kleineren Menge zu höherem Preis einen größeren Gesamterlös bringt als der Absatz des ganzen Vorrats zum Wettbewerbpreis. Ob das der Fall ist oder nicht, kümmert die Arbeiter, die durch Verknappung des Arbeitsangebots zu höheren Löhnen gelangen, nur dann, wenn sie an den Löhnen der durch ihre Politik vom Zutritt zum Arbeitsmarkte ausgeschlossenen Arbeiter interessiert sind. Ein Gewerkverein, der alle Arbeiter, die für die Leistung einer bestimmten Art [335] von Arbeit in Frage kommen, umfasst, für alle seine Mitglieder in gleicher Weise sorgen muss und nicht in der Lage ist, einen Teil der Mitglieder an einen andern Teilarbeitsmarkt abzustoßen, wird Monopolpreispolitik, treiben müssen. Er wird zu prüfen haben, ob er bei dem höheren Lohnsatz, den er durch Freisetzung einer Anzahl von Arbeitern den Unternehmern gegenüber durchzusetzen vermag, soviel mehr an Gesamtlohn für die beschäftigten Arbeiter erzielen kann, dass die Summe des Lohnbezugs aller Arbeiter — der arbeitenden sowohl als auch der feiernden — gegenüber dem Wettbewerbslohn erhöht wird. Nur dann wird die Lohnsteigerung der ganzen Arbeitergruppe, die der Gewerkverein vertritt, Gewinn bringen. In dieser Lage befindet sich ein Gewerkverein wenn es ihm obliegt, die, die durch seine Politik arbeitslos werden, zu entschädigen. Die Gewerkschaftspolitik ist jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen Monopolpreispolitik. Die Bedingungen, unter denen sie zu arbeiten hat, sind in der Regel so beschaffen, dass die Sorge um das Schicksal der freigesetzten Arbeiter der öffentlichen Hand oder der privaten Wohltätigkeit zugeschoben wird, wenn die Opfer nicht überhaupt ohne alle Berücksichtigung bleiben.

Die mathematische Behandlung der Monopolpreislehre

Die Lehre von den Monopolpreisen ist von der mathematischen Nationalökonomie mit besonderem Eifer behandelt worden. Der Anwendung mathematischer Methoden schienen sich auf diesem Gebiete günstigere Bedingungen zu bieten als auf dem Gebiete der Lehre von den Wettbewerbspreisen. Eine nähere Prüfung wird freilich zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Mathematik auch hier nur gering ist.

In der Behandlung des Wettbewerbspreises vermag die mathematische Denkform nichts anderes zu geben als einen mathematischen Ausdruck für die Darstellung der Gleichgewichtslage in der gleichmäßigen Wirtschaft. Die mathematische Behandlung vermag nichts darüber zu sagen, wie es zur Gleichgewichtslage kommt und wie Handeln der Marktparteien die Tendenz zur Erreichung der Gleichgewichtslage schafft. Alles, was sie uns gibt, ist eine Beschreibung der Gleichgewichtslage, wie sie sich dem nichtmathematischen Denken darstellt, in mathematischen Ausdrucksformen.

In der Lehre von den Monopolpreisen kommt die Mathematik an das Handeln näher heran. Sie zeigt uns, wie der Monopolist den optimalen Monopolpreis errechnen könnte, wenn er über alle in Betracht kommenden Daten verfügen würde. Der Monopolist kennt aber den Verlauf der Angebot- und der Nachfragekurve nicht.Er kennt nur Punkte, in denen sich die beiden Kurven einmal geschnitten haben. Er kann sich daher der Formeln, die ihm die mathematische Katallaktik beistellt, nicht dazu bedienen, um herauszufinden, ob es für ihn überhaupt einen Monopolpreis gibt und, wenn es mehrere sein sollten, welcher für ihn der vorteilhafteste wäre. Für das Handeln selbst sind mithin die Ergebnisse der mathematischen Überlegung auf diesem Gebiet [336] ebensowenig verwendbar wie auf dem der Wettbewerbspreise. Doch sie haben hier doch das für sich, dass sie das Denken des Handelnden darstellen, und nicht, wie in der Behandlung der Wettbewerbspreise, lediglich eine Hilfskonstruktion, mit der ein den Markt von außen her betrachtender Beobachter das Getriebe zu erfassen sucht.

Die mathematische Behandlung des Monopolpreises hat die Problemstellung verwirrt, indem sie den Monopolisten als Unternehmer und Produzenten, nicht als Eigentümer des Monopolgutes betrachtet hat. Man muss den spezifischen Unternehmergewinn vom spezifischen Gewinn des zu Monopolpreisen verkaufenden Wirts unterscheiden. Monopolpreise kann immer nur der Eigentümer erzielen; der Unternehmer erzielt sie stets nur als Eigentümer eines Monopolgutes, nicht als Produzent. Die Vorteile oder Nachteile, die sich durch das Sinken oder Steigen der Stückkosten bei Vergrößerung der Produktionsmenge ergeben, erhöhen oder senken den Gewinn des Monopolisten und beeinflussen dadurch sein Verhalten. Doch die katallaktische Betrachtung der Monopolpreisgestaltung hat darauf zu achten, dass der spezifische Monopolgewinn allein aus der Verfügung über das Monopolgut stammt, die es dem Monopolisten gestattet, die Absatzmenge zu verkleinern, ohne befürchten zu müssen, dass andere Verkäufer die Verkaufsmenge ausdehnen und damit seine Absicht, höhere Preise und höhere Gewinne zu erzielen, vereiteln. Alle Versuche, die Voraussetzungen des Auftretens von Monopolpreisen von Seite der Produktionskostengestaltung her zu umschreiben, sind daher verfehlt.

Es ist auch unzulässig, die Marklage, aus der der Wettbewerbpreis hervorgeht, in der Weise zu umschreiben, dass man erklärt, der einzelne Produzent könnte auch eine größere Menge als die, die er tatsächlich verkauft, zum Marktpreise absetzen. Das trifft nur unter zwei Bedingungen zu: dass der Produzent, von dem die Rede ist, nicht der Grenzproduzent ist, und dass die zusätzliche Produktionsmenge ihm nicht Kosten bereitet, die im Marktpreis keine Deckung finden. Die Marktlage, die den Wettbewerbspreis entstehen lässt, ist auch nicht dadurch gekennzeichnet, dass kein einzelner Verkäufer einen Einfluss auf den Umfang des Angebotes und dadurch auf die Preisbildung zu nehmen vermag. Ihr Kennzeichen liegt vielmehr darin, dass kein Verkäufer, der entgegen den Wünschen der Käufer handelt, besser fährt, als er durch Befolgung der Weisungen der Verkäufer fahren würde. Wenn sonst auf dem Markte die Verbraucher entscheiden, erlangen im Monopolpreis die Wünsche der Eigentümer den Vorrang. Die Monopolpreise durchbrechen die Demokratie des Marktes. Wettbewerbspreis für Kupfer bedeutet (im endlichen Ruhezustand): die Kupferbergwerke werden soweit ausgenützt, als es die Nachfrage der Verbraucher gestattet; mehr Kupfer kann nicht auf den Markt kommen, weil Ausdehnung der Kupferproduktion Kapital und Arbeit Verwendungen entziehen würde, in denen sie Bedarf, den die Käufer als dringender ansehen, befriedigen. Monopolpreis für Kupfer bedeutet: die Kupferproduktion wird gegenüber dem Umfang, den sie beim Wettbewerbspreis hätte, eingeschränkt, weil das für den Monopolisten vorteilhafter ist; Kapital und Arbeit, die, wenn es nach den Wünschen der Verbraucher ginge, der Kupferproduktion zugeführt worden wären, werden in Produktionen verwendet, die die Verbraucher als minderdringend ansehen. Der den Wünschen der Verbraucher entgegenstehende Sonderinteressenstandpunkt der Eigentümer der Kupfervorkommen hat die Oberhand. Die Verwendung von wirtschaftlichen Gütern folgt, soweit der Monopolpreis wirkt, nicht den Weisungen der Verbraucher.

[337]

VII. Die Kundschaft

Man kann es nicht oft genug wiederholen, dass die Meinung grundfalsch ist, die Nationalökonomie setze in ihren Überlegungen Wirte voraus, die allwissend sind und die Marktlage vollkommen überblicken.

Damit eine Ware Käufer finde, muss das Angebot des Verkäufers dem Kauflustigen bekannt werden, und er muss sich über die Eigenschaften der angebotenen Ware unterrichten können. Auf dem Markte der Produktionsmittel treten als Käufer Unternehmer auf, die es sich zur besonderen Aufgabe gesetzt haben, die Marktlage und die Eigenschaften der angebotenen Waren genau zu studieren; der Wettbewerb des Marktes vollzieht täglich die Auslese der Unternehmer, die diese Aufgabe am vollkommensten lösen. Im Einkauf der Genussgüter durch die Verbraucher ist es anders. Kein Wirt verfügt über die Kenntnisse und Erfahrungen, die es ihm ermöglichen würden, die Beschaffenheit aller Genussgüter so zu beurteilen, dass er in jedem Falle das für seine Zwecke geeignetste Gut von weniger geeigneten Gütern unterscheiden könnte, und kein Wirt kann den Markt so gut überblicken, dass er stets die billigste Einkaufsquelle ausfindig machen könnte. Im Verkehr zwischen dem Einzelhändler und dem Verbraucher ist jener in der Regel diesem an Waren- und Marktkenntnis überlegen. Der Käufer muss in vieler Hinsicht den Worten des Verkäufers, der seine Ware anpreist, vertrauen, weil er sich nicht selten vor dem Einkaufe kein selbständiges Urteil zu bilden vermag. Der Einzelhändler ist nicht nur Verkäufer, er muss auch Berater des Käufers sein. Man kauft dort, wo man selbst oder wo Freunde, denen man vertraut, bisher gut bedient wurden. Man entschließt sich nicht leicht zum Wechsel einer Bezugsquelle, selbst wenn man nicht immer ganz zufrieden gestellt wurde.

Für den Verkäufer wird es daher zu einem besonderen Problem, das Vertrauen des Publikums zu erwerben und zu erhalten. Für die Gewinnung der Kundschaft müssen besondere Aufwendungen gemacht werden. Die Werbung ist mit beträchtlichen Kosten und mit persönlicher Mühe des Verkäufers und seiner Gehilfen verbunden. Es braucht Zeit, bis der Verkäufer über eine Kundschaft verfügt, d.i. über einen Kreis von Verbrauchern, die regelmäßig ihren Bedarf bei ihm zu decken pflegen. In der Zwischenzeit mag er genötigt sein, mit Verlusten zu arbeiten, denen nur die Erwartung späterer Gewinne gegenübersteht.

[338]

Kundschaft — goodwill — ist mithin, vom Standpunkte des Verkäufers aus gesehen, gewissermaßen ein unentbehrliches Produktionsmittel. Sie wird als solches bewertet, und der Preis, der für sie bei Übertragung an einen Geschäftsnachfolger gezahlt wird, entspricht dieser Bewertung [160] . Ob der goodwill in der Buchführung und Bilanz des Unternehmens offen aufscheint oder nicht, ist unwesentlich. Für die Katallaktik ist allein die Frage nach der Natur dieses eigenartigen Produktionsmittels und der dafür gezahlten Preise von Bedeutung.

Wir haben da drei Fälle zu unterscheiden.

Zunächst den Fall, in dem die Kundschaft dem Verkäufer die Möglichkeit gibt, Monopolpreise zu erzielen. Über diesen Fall ist nichts zu bemerken, was über das in der Behandlung der Monopolpreise Gesagte hinausgehen würde.

Dann den Fall, in dem die Kundschaft dem Verkäufer gerade die Möglichkeit gibt, eine begrenzte Warenmenge zu den Bedingungen zu verkaufen, zu denen auch die Konkurrenten verkaufen. Er vermag nur die Konkurrenzpreise zu erzielen und muss sehen, wie er die Kosten, die mit der Erwerbung der Kundschaft verbunden waren, aus dem Ertrage seiner Geschäfte hereinbringt. Die Kundschaft ist ein Produktionsmittel wie die übrigen Produktionsmittel, hat wie diese eine begrenzte Produktionsfähigkeit und wird demgemäss bewertet. Man kann sie entweder kaufen, (indem man ein schon bestehendes Unternehmen mit dem Teil seiner Kundschaft, die auf den Geschäftsnachfolger übertragbar ist, erwirbt,) oder man muss sie selbst aufbauen (indem man als Anfänger durch Werbung und durch Abwarten der kundschaftschaffenden Wirkung guter Bedienung der Käufer Kundschaft originär erwirbt.)

Und nun der dritte Fall: Der Verkäufer kann, weil er über eine besonders gute Kundschaft — über Stammkunden oder «treue» Kunden verfügt, für gleiche Leistung höhere Preise erzielen als Konkurrenten, die nicht über solche gute Kundschaft verfügen. Was diesen Fall vom ersten Fall unterscheidet, ist das, dass dieser Aufschlag auf die Preise, die die Konkurrenten erzielen, nicht aus einer vom Verkäufer zum Zwecke der Erhöhung seines Reinerlöses herbeigeführten Beschränkung der Verkaufsmenge hervorgeht. Der Verkäufer könnte durch Herabsetzung seiner Preisforderung den Umfang des Absatzes überhaupt nicht erhöhen. Oder aber die Vergrößerung des Absatzes erfordert eine Erweiterung und Umgestaltung seines Unternehmens, für die ihm entweder die Mittel fehlen oder die, [339] nach seiner Beurteilung der Marktlage, ihm nicht Gewinne, sondern Verluste bringen würde. Die Beschränkung des Absatzes ist somit nicht vom Verkäufer durch Nichtverwendung eines Teiles der ihm zur Verfügung stehenden Produktionsmittel (eben der Kundschaft, des goodwill) herbeigeführt worden, sondern durch die Marktlage. Die Preise, die er erzielt, sind daher Konkurrenzpreise und nicht Monopolpreise.

Um die Irrtümer zu meiden, die der heute beliebten Verwischung des Gegensatzes zwischen Wettbewerbspreis und Monopolpreisen zugrunde liegen, empfiehlt es sich, auf die Erwägungen einzugehen, die ein Unternehmer anstellt, wenn die Frage der Erweiterung seines Produktions- und Geschäftsumfanges an ihn herantritt.

Die Erweiterung der Produktion erfordert die Investition zusätzlichen Kapitals, [161] das nur verfügbar ist, wenn dafür im Wirtschaftsgefüge keine dringendere Verwendung gefunden werden kann. Es macht dabei keinen Unterschied aus, ob der Unternehmer persönlich reich genug ist, um eigenes Kapital aufzuwenden, oder ob er Kredit in Anspruch nehmen müsste. Auch das eigene, außerhalb des Unternehmens angelegte Kapital des Unternehmers ist nicht freies Kapital, es ist in irgendwelchen Anlagen gebunden und müsste aus diesen herausgezogen werden, um die Erweiterung des fraglichen Geschäftsbetriebs zu ermöglichen. [162] Erscheint diese alte Anlage dem Unternehmer besser, dann wird er sie nicht gegen die schlechtere Aussichten bietende Anlage im eigenen, im bisherigen Umfang blühenden Unternehmen vertauschen wollen. Dazu treten dann noch persönliche Gesichtspunkte. Der Unternehmer mag sich dieFähigkeit zur Führung eines größeren Betriebs nicht zutrauen oder es mag für ihn physisch unmöglich sein, die größere Arbeitsleistung auf sich zu nehmen. Er mag glauben, dass die Erweiterung des Absatzes das Aufsuchen neuer «Märkte» erfordert, deren Verhältnisse ihm fremd sind. Wenn wir sehen, dass viele Inhaber gutgehender Unternehmungen nicht an die Erweiterung des Unternehmungsumfanges schreiten, dürfen wir nicht annehmen, dass sie so aus Erwägungen heraus handeln, die denen eines Monopolisten, der Monopolpreise erzielen will, gleichartig oder verwandt sind. Diese Unternehmer halten die Aussichten, die ihnen die Erweiterung des Unternehmens [340] zu bieten scheint, nicht für verlockend genug, um das Wagnis auf sich zu nehmen. Dass ihre Bedenken nicht grundlos sind, zeigen die zahlreichen Beispiele von einstmals blühenden Unternehmungen, die durch Ausdehnung ihres Betriebsumfanges ruiniert wurden.

Wenn die Kundschaft es dem Unternehmer ermöglicht, höhere Preise zu erzielen als die Konkurrenten oder bei gleichen Preisen größeren Umsatz zu machen, so dass er Erträge erzielt, die der Kundschaft zugerechnet werden, könnte er freilich durch Preisnachlass auf diese Gewinne verzichten, geradeso wie jeder Unternehmer auf den Unternehmergewinn verzichten könnte, und wie auch jeder andere Wirt — Arbeiter oder Eigentümer von sachlichen Produktionsmitteln — auf die Ausnützung der Marktlage verzichten und seine Leistungen billiger abgeben könnte. Doch das wäre nichts als ein Geschenk. Die Beschenkten wären die Käufer, die zum Zuge kommen; sie wären begünstigt gegenüber den anderen Kauflustigen, die gleichfalls bereit sind, diesen — durch die Liberalität des Verkäufers — ermäßigten Preis zu zahlen, aber nicht zum Zuge kommen können, weil der Vorrat bereits erschöpft ist. Dass ein solches Verhalten der Verkäufer nicht «sozial» wäre, wie ein dem Ressentiment entstammendes weitverbreitetes Vorurteil meint, liegt auf der Hand; es würde vielmehr, wenn es allgemein würde, der Marktwirtschaft die Wirkungsmöglichkeit nehmen. Die Aussicht, Gewinn zu erzielen, setzt das Getriebe in Bewegung. Ohne Unternehmergewinn kann die Marktwirtschaft nicht arbeiten.

Die Begrenzung des Produktionsumfanges ist immer das Ergebnis von Erwägungen des Unternehmers, der möglichst viel gewinnen und nicht verlieren will. Nicht in dem Umstand, dass der Unternehmer die Produktion nicht erweitert, obwohl er doch annehmen darf, dass er durch niedrigere Verkaufspreise den Absatz vergrößern könnte, liegt das Kriterium der Monopolistenaktion. Um Monopolpreise von Konkurrenzpreisen zu unterscheiden, hat man zu prüfen, ob diese Beschränkung dem Unternehmer durch die Lage des Marktes vorgeschrieben wurde, oder ob er sie freiwillig vorgenommen hat, weil er - als alleiniger Besitzer eines für die Erzeugung unentbehrlichen Produktionsmittels — nicht befürchten muss, dass andere ihre Produktion entsprechend ausdehnen werden, und weil er beim Verkauf einer kleineren Menge zu höherem Preis besser fährt als beim Verkauf einer größeren Menge zu niedrigerem Preis.

Man hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten überall eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die es sich zum Ziele setzte, die Stellung einzelner Produzenten und Händler und einzelner [341] Gruppen von Produzenten und Händlern derart zu privilegieren, dass ihnen die Erzielung von Monopolpreisen ermöglicht werde. Diese Bestrebungen waren besonders stark im Einzelhandel. Wenn nun ein Einzelhändler unter dem Schutze der obrigkeitlichen Konkurrenzbeschränkungen, die sein Unternehmen privilegieren, in die Lage kommt, Monopolpreise zu erzielen, so hat das nichts mit der Kundschaft zu tun. Das Produktionsmittel, dessen Ausnützung beschränkt wurde, um die Monopolpreisbildung zu ermöglichen, ist nicht die Kundschaft, sondern das Privileg.

Auch ein Gemüsehändler, der «gut eingeführt» ist, also eine Kundschaft besitzt, kann, wenn seine Stellung nicht durch die Obrigkeit privilegiert ist, nicht daran denken, durch Unterlassung einer Preisermäßigung seine Gewinne zu steigern. Wenn andere billiger verkaufen können, dann wird sein Kundenkreisund der Umfang seines Absatzes sinken. Doch wenn die Obrigkeit eingreift, wird es anders. Wenn die Obrigkeit den Warenhäusern, Filialgeschäften und Wanderhändlern verbietet, Gemüse zu verkaufen oder sie durch Sondersteuern belastet, oder wenn sie Maßnahmen ergreift, um den Käufern den Bezug aus entfernteren Verkaufsstätten zu erschweren oder unmöglich zu machen, dann ist durch ihr Einschreiten der Weg freigelegt, der bei entsprechender Gestaltung der Nachfrage zu Monopolpreisen führen kann.

Monopolpreise setzen eben immer auch Monopolstellungen voraus; nur dort, wo das Auftreten von Konkurrenten, die die Restriktion des Eigentümers eines Gütervorrates zu durchkreuzen fähig wären, ausgeschlossen ist, können Monopolpreise zur Geltung kommen.

Den Ausgangspunkt der Erwägungen, die einen Verkäufer veranlassen können, durch Einschränkung des Absatzes Monopolpreise und Monopolgewinne anzustreben, muss immer der Tatbestand bilden, dass seine Einschränkung nicht durch Ausdehnung des Absatzes seitens anderer Verkäufer aufgewogen werden kann. Denn wenn das eintritt, könnten die Preise gar nicht steigen; der Verkäufer könnte sich gar nicht die Frage vorlegen, ob er mit der Einschränkung des Absatzes besser fahren wird.

VIII. Die Preisgestaltung beim Nachfrage-Monopol

Monopolpreise entstehen nur beim Monopol des Angebots. Das Monopol der Nachfrage wirkt auf dem Markte nicht anders als nichtmonopolisierte Nachfrage. Auch der Wirt, der sich allein für den Ankauf eines Gutes interessiert, nach dem kein [342] anderer fragt, kann auf dem Markte nicht anders vorgehen als konkurrierende Käufer. Wenn er die Nachfrage einschränkt, wird er wohl den Preis verbilligen; doch er wird sich dafür auch mit dem Ankauf einer geringeren Menge begnügen müssen.

Das, was man als Monopol der Nachfrage zu bezeichnen pflegt, sind Erscheinungen der Preisgestaltung von komplementären Produktionsmitteln absolut spezifischen Charakters.

Zur Erzeugung des wirtschaftlichen Gutes m bedarf man außer Produktionsmitteln nicht spezifischen Charakters auch noch die beiden Güter a und b , von denen jedes absolut spezifischen Charakter trägt und durch kein anderes Gut ersetzt werden kann; um eine Einheit von m zu erzeugen, muss je eine Einheit von a und b aufgewendet werden; der verfügbare Vorrat von a sei beträchtlich größer als der Vorrat von b. Unter diesen Voraussetzungen wird es den Eigentümern von Stücken des Gutes a nicht möglich sein, einen Preis für a zu erzielen, der die Null merklich übersteigt. Die Nachfrage nach a wird immer hinter dem Angebot weit zurückbleiben; a wird freies Gut.

Wenn nun aber die Eigentümer von a sich zu einem Kartell zusammenschließen, dann können sie den Spieß umkehren. Wenn sie die Menge von a , die sie auf dem Markte ausbieten, so stark vermindern, dass die für die Produktion verfügbare Menge von a nun hinter der Menge von b zurückbleibt, dann werden sie für die verkauften Mengen von a beträchtliche Preise erzielen, b aber wird bis auf Null fallen. Wenn daraufhin auch die Eigentümer von b sich zu einem Kartell zusammenschließen, wird es zu einem Preiskampf besonderer Art zwischen den beiden Gruppen kommen, über dessen Ausgang die Katallaktik nichts sagen kann. Der Preisbildungsprozess kann, wie schon gezeigt. wurde, für den Fall, dass zur Produktion eines Gutes niederer Ordnung mehr als ein komplementäres Produktionsmittel absolut spezifischen Charakters benötigt wird, nicht zu einem praxeologisch bestimmbaren eindeutigen Ergebnis führen.

Es macht dabei keinen Unterschied aus, ob die beiden Kartelle der Eigentümer von a und von b zusammengenommen auf dem Markte eine solche Stellung einnehmen, dass sie für a und b zusammengenommen Monopolpreise erzielen können. Ob der Preis, den die Käufer für a und b [163] zusammengenommen bezahlen, Wettbewerbspreis oder Monopolpreis ist, ist belanglos.

[343]

Das, was man in der Sprache des Wirtschaftlebens als Monopol der Nachfrage zu bezeichnen pflegt, erweist sich mithin bei näherer Betrachtung als ein Angebotsmonopol, dessen Bildung unter besonderen Umständen erfolgt. Die Eigentümer von a und von b suchen für a und für b Monopolpreise zu erzielen, indem sie das Angebot von a (oder von b ) vermindern, wobei es ohne Belang für sie sein kann, ob damit auch eine Monopolpreisbildung für m erzielt wird. Das, auf was es ihnen zunächst ankommt, ist, aus dem Betrag, der für a und b zusammen bewilligt wird, einen Anteil, und zwar einen möglichst großen Anteil, zu erlangen. So wie wir den Fall schematisch vor uns sehen, enthält er nichts, was den Ausdruck «Monopol der Nachfrage» rechtfertigen würde.

Diese Ausdrucksweise lässt sich jedoch aus der Gestaltung erklären, die die Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen der Eigner von a und von b in der Regel annimmt. Wenn die Eigentümer von a zugleich die Unternehmer sind, die den ganzen Produktionsprozess führen, dann erscheint ihr Zusammenschluss zu einem Kartell als Bildung eines Monopols der Nachfrage nach b. Die Personalunion zwischen den Unternehmern und den Eigentümern von a ist aber keine notwendige Bedingung für das Auftreten der Preisgestaltung der besprochenen Art.

Unser Beispiel wird nur in unwesentlichen Punkten verändert, wenn wir annehmen wollen, dass die beiden Produktionsmittel a und b auch noch eine andere Verwendung als die zur Erzeugung von m zulassen, dass sie mithin nicht absolut spezifischen Charakter tragen, wofern nur ihr Wert in dieser anderen Verwendung entsprechend niedriger ist.

IX. Der Verbrauch unter dem Einfluss der Monopolpreise

Wo Monopolpreise gebildet werden, wird die Einflussnahme der Verbraucher auf die Versorgung beschränkt. Die Demokratie des Marktes findet in den Monopolpreisen eine Grenze.

Die Wirkung der Monopolpreise auf die einzelnen Verbraucher ist verschieden je nach ihrem Verhalten:

a ) Ungeachtet der Verteuerung schränkt der Verbraucher seinen Verbrauch des Monopolgutes nicht ein und muss daher auf die Befriedigung anderen, weniger wichtigen Bedarfs verzichten. [164]

b ) Der Verbraucher schränkt den Verbrauch des Monopolgutes [344] soweit ein, dass er für seine Beschaffung nicht mehr auslegt, als er bei Bestehen des Wettbewerbspreises für die Erwerbung einer größeren Menge auslegen würde. [165]

c ) Der Verbraucher schränkt den Verbrauch des Monopolgutes soweit ein, dass er einen Teil des Betrages, den er bei Bestehen des Wettbewerbspreises dafür ausgeben würde, für die Befriedigung von Bedürfnissen verwendet, die er sonst nicht befriedigt hätte. [166]

d ) Der Verbraucher legt für die Erwerbung des Monopolgutes mehr aus, als er bei Bestehen des Wettbewerbspreises ausgelegt hätte, und erwirbt dennoch nur eine geringere Menge davon.

In jedem Falle wird die Versorgung des Verbrauchers verschlechtert.Sie wäre bei Bestehen des Wettbewerbspreises besser als unter der Geltung des Monopolpreises. Die Unternehmer leiten die Produktion nicht in die Richtung, die den Wünschen der Verbraucher, soweit die vorhandenen Mittel reichen, am besten dient. Erzeugt wird nicht das, was die Wünsche der Verbraucher unter Geltung des Wettbewerbspreises befriedigt hätte. Die Monopolisten erhalten, wenn sich nicht alle Verbraucher nach Punkt c benehmen, höhere Erlöse, und die Wünsche der Verbraucher werden weniger vollkommen befriedigt. Auch im Falle c , in dem die Verbraucher Bedürfnisse befriedigen, die sie bei Geltung des Wettbewerbspreises nicht befriedigt hätten, sind sie schlechter daran; denn diese Bedürfnisse erscheinen ihnen doch weniger dringend als die, auf deren Befriedigung sie verzichten mussten.

Beim Wettbewerbspreis ist der Eigentümer der Produktionsmittel der fügsame Diener des Verbrauchers; bei Monopolpreisen ist es dem Monopolisten möglich, die Bedarfsdeckung des Verbrauchers von den Wegen abzulenken, die der Verbraucher ihr gewiesen hätte, wenn ihm die Wahl gegeben wäre. Der Monopolist mag ein Wohltäter der Menschheit sein, der den spezifischen Monopolgewinn nicht für sich, sondern für die edelsten Zwecke ausgibt; er ist auf keinen Fall ein so vollkommener Diener der Verbraucher wie der Eigentümer, der sich mit Wettbewerbspreisen begnügt.

[345]

Die Bedingungen für die Bildung von Monopolpreisen sind in der unbehinderten Marktwirtschaft nur für wenige Güter gegeben. Nahezu alle Monopole verdanken ihre Entstehung obrigkeitlichen Beschränkungen des Wettbewerbs. Auch die Monopol- und Kartellvereinbarungen, die über das Gebiet einzelner Staaten hinausgreifen, sind meist nur durch die handelspolitische Absperrungspolitik ermöglicht worden. Die Zahl der «natürlichen» Monopole war und ist auch gegenwärtig nur gering. Sie betrifft in der Regel Rohstoffe, die nur durch die Ausbeute von einigen wenigen Fundstätten gewonnen werden können. Wer das Sondereigentum an den Fundstätten der mineralischen Rohstoffe für schädlich ansieht, weil es zu Vergeudung unersetzbarer Materialien führt, wird es zwar nicht tadeln dürfen, dass die monopolistische Bewirtschaftung der Fundstätten mancher dieser Stoffe den Verbrauch in der Gegenwart einschränkt und damit für die kommenden Zeiten mehr übrig lässt, als es bei Wettbewerb geschehen würde. Er wird, wenn er folgerichtig denkt, nicht fordern, dass die Obrigkeit eingreife, um die Bildung von Monopolpreisen zu verhindern; denn das würde wohl die Versorgung der gegenwärtig lebenden Verbraucher verbessern, müsste aber die der späteren Geschlechter schmälern.

Der Hinweis auf diesen Tatbestand dient nicht etwa der Verteidigung oder Rechtfertigung der Monopolpreise. Die Nationalökonomie hat in Bezug auf die gesellschaftliche Wirkung der Monopolpreise nur das festzustellen, dass die Bildung von Monopolpreisen der Demokratie des Marktes Grenzen setzt; unter dem Einfluss der Monopolpreise werden die Produktionsmittel anders verwendet, als die Verbrancher es wünschen.

Man hat in dem mit großer Heftigkeit geführten Streit um die Kartelle und Trusts von beiden Seiten Argumente ins Treffen geführt, die der Kritik nicht standhalten können. So hat man z. B. einen Vorzug der Monopole in Kostenersparnissen sehen wollen. Die Vereinigung der Produktion eines Artikels in einer Hand könne zu Kostenersparnissen verschiedenster Art führen. Dadurch werden Kapital und Arbeit freigesetzt, die nun für die Deckung anderer, bisher weniger gut befriedigter Bedürfnisse der Verbraucher verwendet werden können. Diese Argumentation vermengt jedoch Dinge, die sorgfältig auseinandergehalten werden müssen. Die Verdrängung der kleineren und wegen ihrer Kleinheit teurer arbeitenden Betriebe durch den rationelleren kostensparenden Grossbetrieb hat mit der Bildung von Monopolpreisen nichts zu tun. Dieser Prozess vollzieht sich im Wettbewerb des Marktes. Es bedarf nicht der Monopolbildung, damit der mit höheren Kosten arbeitende [346] Erzeuger von dem mit geringeren Kosten arbeitenden ausgeschaltet werde.

Vermengung verschiedener Probleme ist auch im Spiele, wenn man die Vereinheitlichung der auf den Markt gebrachten Warentypen und die dadurch bewirkte Kostenherabsetzung als Vorzug der Monopolbildung preist. Wenn alle Menschen gleich gekleidet wären, dann würde die Herstellung der Kleider weniger Kosten verursachen und die Ersparnis könnte zur Versorgung von Bedarf, der sonst unbefriedigt bleibt, verwendet werden. Doch wenn die Verbraucher so werten würden wie diese Kritiker, dann würden sie auch ohne Monopol und ohne Zwang die billigeren Uniformen den teureren, individuell verschiedenen Kleidern vorziehen und die Ersparnisse für den Ankauf von Gütern verwenden, auf die sie heute verzichten. Wenn man sie aber gegen ihren Willen uniformiert, macht man sie nicht glücklicher, auch wenn ihnen dadurch Mittel für die Deckung anderen Aufwands frei werden. Man mag das Verhalten der Verbraucher als töricht ansehen. Doch Bedürfnisbefriedigung ist subjektiv.

X. Die Diskriminationspreise

Der Wettbewerbspreis und die Monopolpreise sind für gleiche Leistung für alle Verbraucher gleich. Die Wertungen der Verbraucher und der Nachdruck, mit dem sie auf dem Markte ihre Begehrungen geltend zu machen wissen, sind verschieden. Dennoch haben alle den gleichen Preis zu zahlen. Der Reiche zahlt für ein Stück Brot nicht mehr als der Arme, obwohl er auch mehr zu zahlen bereit wäre, wenn der Marktpreis höher und Brot billiger nicht zu erhalten wäre. Der Musikenthusiast, der lieber seinen Aufwand für Nahrung, Bekleidung und Wohnung stark einschränken wollte, als auf gute Aufführungen Beethoven'scher Symphonien zu verzichten, zahlt für die Eintrittskarte denselben Preis, den der bezahlt, dem Musik nicht mehr bedeutet als Zerstreuung für einige müßige Stunden und der auf den Konzertbesuch verzichten würde, wenn er ihm das Opfer der Nichtbefriedigung irgend eines Begehrs nach nichtigen Dingen auferlegen würde. Diese Differenz zwischen dem Betrag, den der Verbraucher für den Ankauf im Hinblick auf die Marktlage aufwenden muss, und dem Betrag, den er äußerstenfalls aufzuwenden bereit wäre, hat man mitunter als Konsumentengewinn oder als Konsumentenrente [167] bezeichnet.

[347]

Unter bestimmten Voraussetzungen ist es dem Verkäufer möglich, die einzelnen Käufer oder Käuferschichten in der Weise verschieden zu behandeln, dass er von jedem einen Preis fordert, der unter Umständen selbst bis zum Betrag gehen kann, den dieser Käufer äusserstenfalls aufzuwenden bereit wäre, und meist für keinen Käufer, der auch beim Wettbewerbspreis gekauft hätte, für die Menge, die er zum Wettbewerbspreis gekauft hätte, niedriger ist als der Wettbewerbspreis.

Die eine Voraussetzung des Auftretens von Diskriminationspreisen ist die, dass die Leistung so unmittelbar vom Verkäufer an den Käufer gerichtet wird, dass ihre Ablenkung auf andere Verbraucher nicht möglich ist. Denn wäre solche Ablenkung möglich, dann könnte der durch die Diskrimination benachteiligte Käufer den direkten Ankauf beim diskriminierenden Verkäufer unterlassen und bei einem der Wirte, die zu billigeren Preisen kaufen können, seinen Bedarf decken. Die zweite Voraussetzung ist die, dass die Einschränkung der Nachfrage, mit der die durch die Diskrimination betroffenen Konsumenten reagieren, keinen Ausfall an Verkaufserlös hervorbringt. Diese zweite Voraussetzung ist immer gegeben, wenn die Nachfragegestaltung so beschaffen ist, dass sie Monopolpreise ermöglicht. Sie kann aber auch gegeben sein in Fällen, in denen die Nachfragegestaltung Monopolpreise, die dem Verkäufer vorteilhaft wären, nicht auftreten lässt. Denn die Diskriminationspreise zwingen den Verkäufer nicht dazu, auf Käufer, die zum Wettbewerbspreis gekauft hätten, zu verzichten. Er verliert keinen Käufer ganz; er hat nur damit zu rechnen, dass manche Käufer — nämlich die, von denen er höhere Preise als den Wettbewerbspreis fordert, — die Ankaufsmenge verringern. In der Regel wird es aber möglich sein, diesen Ausfall an Absatzmenge wettzumachen durch Verkauf zu Preisen, die unter dem Wettbewerbspreis liegen, an Schichten, denen der Wettbewerbspreis zu hoch war, und so den ganzen Vorrat abzusetzen.

Daher hat der Verkäufer in der Regel auch dann, wenn Personalunion zwischen dem Eigentum am fraglichen Gut und seiner Weiterverarbeitung besteht, auf die Kostengestaltung keine Rücksicht zu nehmen. Denn wenn er durch die Forderung von Diskriminationspreisen die Absatzmenge nicht beschränkt, kann in der Gestaltung der Verarbeitungskosten keine Änderung eintreten.

Ein Arzt, der in der Woche 200 Krankenbehandlungen durchführen kann, kann volle Beschäftigung in der Behandlung von 50 Kranken finden, wenn er für jede Behandlung 3 Schilling verlangt. Wenn er die 10 Wohlhabenderen, die 60 von den 200 Behandlungen konsumieren, nur für ein höheres Entgelt, etwa [348] für 4 Schilling zu behandeln bereit ist, dann wird er die Zahl der von ihnen beanspruchten Behandlungen auf 40 herabsetzen; dagegen wird er 20 Behandlungen für ein Entgelt von 2 Schilling Kranken zukommen lassen können, die nicht imstande waren, das Entgelt von 3 Schilling zu leisten. Ohne Diskrimination beträgt das Wocheneinkommen dieses Arztes 600 Schilling; bei Diskrimination 620 Schilling.

Da Diskrimination von den Verkäufern nur dann geübt wird, wenn sie ihnen Vorteil bringt, erhellt, dass Diskriminationspreise zur Umgestaltung des Konsums und mithin auch zu einer anderen Aufteilung der Produktionsmittel auf die verschiedenen Produktionszweige führen. Denn das Ergebnis der Diskrimination ist immer das, dass auf dem Markte für die Beschaffung der von ihr betroffenen Waren und Dienste mehr aufgewendet wird als beim Konkurrenzpreis und bei Monopolpreisen; die Käufer müssen die Mehrauslagen durch Einsparungen bei der Befriedigung anderer Bedürfnisse wettmachen. Da nicht anzunehmen ist, dass die Verkäufer den Mehrerlös gerade zum Ankauf der Güter und Dienstleistungen verwenden werden, auf die die Käufer der von der Diskrimination betroffenen Artikel verzichten mussten, werden sich daraus Verschiebungen im Konsum und mithin auch in der Produktion ergeben müssen.

Nicht für alle betroffenen Verbraucher bedeuten Diskriminationspreise eine Verschlechterung der Bedürfnisbefriedigung. In dem früher gebrauchten Beispiele wird durch die Diskrimination Kranken, die nicht mehr als 2 Schilling für eine Behandlung aufzuwenden bereit sind, die Inanspruchnahme von 20 Behandlungen ermöglicht. Den dadurch erforderten Aufwand müssen sie durch Verzicht auf andere Aufwendungen einbringen. Doch sie schätzen die Genüsse, die sie durch diese anderen Aufwendungen erlangen können, niedriger ein als die Vorteile, die ihnen aus der ärztlichen Behandlung erwachsen. Ihre Bedürfnisbefriedigung ist besser unter dem Diskriminationspreis als unter dem Konkurrenzpreis.

Um die Bedeutung, die den Diskriminationspreisen zukommt, ins rechte Licht zu rücken, und um ihre Überschätzung, die mitunter begegnet, auf das richtige Maß zurückzuführen, muss man daran erinnern, dass die Konkurrenz der Käufer innerhalb der Grenzen, in denen Produktionssteigerung Senkung der Durchschnittskosten ergibt, jedem einzelnen unter ihnen Vorteil bringt. Dass 1000 Leute, und nicht nur 10 oder 20, sich für ein Buch interessieren, ermöglicht die Drucklegung und den Verkauf des einzelnen Exemplars zu einem Preise, der für 1000 Leute erschwinglich ist. So mag es denn mitunter [349] vorkommen, dass nur der Umstand, dass Diskrimination der Käufer statthaben kann, eine Bedarfsdeckung möglich macht, die bei Unmöglichkeit der Diskrimination nicht erfolgen könnte.

In einem Orte leben p Kunstfreunde, die bereit wären, für den Genuss der Darbietung eines Meisters je 10 Schilling zu bezahlen. Die Veranstaltung des Konzertes erfordert jedoch einen Aufwand von mehr als 10 p Schilling und muss daher unterbleiben. Wenn aber Diskriminierung der Preise möglich ist und sich unter den p Kunstfreunden n finden, die bereit sind, 20 Schilling zu leisten, kann das Konzert veranstaltet werden, da der Aufwand von 10( n + p ) Schilling dafür ausreicht. Diesen Betrag werden die Kunstfreunde dadurch aufbringen, dass jeder Einzelne der Gruppe n 20 Schilling und jeder Einzelne der Gruppe ( p - n ) den Betrag von 10 Schilling dadurch einspart, dass er die mindestwichtige Ausgabe, für die er sonst diesen Betrag aufgewendet hätte, unterlässt. Jeder Einzelne wird mithin besser fahren, als er gefahren wäre, wenn die Abhaltung der Veranstaltung wegen der Unmöglichkeit, die Besucher verschieden zu behandeln, unterblieben wäre. Es liegt im Interesse der Veranstalter, den Kreis derer, die zugezogen werden, soweit auszudehnen, bis die Grenze erreicht wird, wo die Zuziehung weiterer Personen höhere Kosten bereitet als der Preis, den diese bereit sind, für die Zulassung zu entrichten.

Alle, die das Konzert besuchen, haben auf Genüsse anderer Art verzichten müssen, um ihre Eintrittskarten zu erwerben. Doch sie schätzen eben diese anderen Genüsse niedriger ein als den Konzertgenuss.

Anders liegen die Dinge, wenn das Konzert auch dann hätte veranstaltet werden können, wenn alle Besucher nur 10 Schilling für ihre Karte bezahlt hätten. Dann bedeutet die Diskriminierung, dass ein Teil der Besucher — n Besucher — mehr aufwenden müssen, als sie unter dem Wettbewerbspreis aufgewendet hätten. Sie fahren schlechter, als sie sonst gefahren wären.

Der praktisch häufigste Fall der Abstufung der Konzert- und Theatereintrittspreise und der Eisenbahnpersonentarife bedeutet nicht Diskriminierung der Konsumenten im Sinne der Preistheorie. Wer mehr zahlt, bekommt nicht dasselbe, das der, der weniger zahlt, erhält. Die höheren Preise geben bessere Plätze, bequemere Reisemöglichkeit u. dgl.; sie geben Gelegenheit, Snobismus aller Art zu befriedigen und der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man imstande sei, Geld leichter auszugeben, als andere es können. Diskriminierung liegt dagegen vor, wenn der gewissenhafte Arzt, der jeden Kranken so gut behandelt, als er nur kann, von einem wohlhabenderen Kranken mehr fordert als [350] von einem weniger wohlhabenden. Diskriminierung üben die Eisenbahnen, wenn sie für den Transport von Gütern, deren Versendung bei gleichen Kosten für die Bahn dem Verfrächter einen höheren absoluten Ertrag bringt, mehr verlangen als für den Transport von Gütern, bei denen dieser Ertrag kleiner ist. Dass der Arzt und die Eisenbahn dabei durch die Rücksichtnahme darauf beschränkt sind, dass der Kranke und der Verfrächter sich anders helfen könnten, ist selbstverständlich. Diskriminierung kann eben nur geübt werden, wenn die Voraussetzungen, von denen wir oben gesprochen haben, gegeben sind.

Diese Voraussetzungen werden in vielen Fällen nur durch das Eingreifen der Obrigkeit und ihres Zwangsapparats geschaffen. Wo die Obrigkeit sich selbst oder einem Privilegierten die Stellung eines Monopolisten verschafft hat, könnte sie, wenn sie wollte, oft auch diskriminieren. Die Erzeugnisse der Tabakmonopole werden zu Monopolpreisen abgesetzt. Das Schulgeld der öffentlichen Lehranstalten, die ein Prüfungs- und Berechtigungsmonopol haben, ist dagegen mitunter nach dem Einkommen der Eltern abgestuft.

Es hätte keinen Sinn, sich eine Welt auszumalen, in der alle Verkäufer - sowohl die von Produktionsmitteln (also auch die Verkäufer von Arbeitsleistungen jeder Art) als auch die von Konsumgütern — in der Lage wären, die Käufer unterschiedlich zu behandeln. Viel wichtiger ist die Feststellung, dass der Diskriminierung in der Marktwirtschaft, die nicht durch obrigkeitliche Eingriffe gehemmt wird, so enge Grenzen gesteckt sind, dass man berechtigt ist, sie als Ausnahmeerscheinung zu bezeichnen.

XI. Der Zusammenhang der Preise

Gehen aus der Kombination der Produktionsmittel a , b und c die Produkte p und q hervor, dann ist für das Handeln der Unternehmer die Summe der für p und q zu erzielenden Preise entscheidend. Die Preise, die für p und für q auf dem Markte gebildet werden, sind in der Weise besonders verbunden, als Veränderungen in der Nachfrage nach p (oder nach q) Veränderungen im Angebot von q (oder von p ) hervorrufen. Wir sprechen von Produktionsverbundenheit der Preise von p und q. Der Kaufmann pflegt p (oder q) als Nebenprodukt der Erzeugung von q (oder p ) zu bezeichnen.

Werden zur Herstellung des Genussgutes z die Zwischenprodukte p und q benötigt, zur Herstellung von p die [351] Produktionsmittel a und b und zur Herstellung von q die Produktionsmittel c und d, dann bewirken Veränderungen im Angebot von p (oder von q ) Veränderungen in der Nachfrage nach q (oder nach p ). Es ist dabei ohne Belang, ob die Verbindung von p und q , aus der z hervorgeht, durch dieselben Unternehmungen erfolgt, die a und b und c und d kombinieren, oder durch unabhängige Unternehmertätigkeit oder durch die Verbraucher selbst. Die Preise von p und q sind besonders verbunden, weil p ohne q oder q ohne p immer (oder in der Regel) nicht gebraucht oder verbraucht werden können. Wir sprechen von Verbrauchsverbundenheit der Preise von p und von q.

Können die Dienste, die ein Genussgut oder ein Produktionsmittel a leistet, durch die Dienste eines anderen Gutes b, wenn auch weniger wirksam, ersetzt werden, dann besteht zwischen den Preisen von a und b Substitutionsverbundenheit. Ein Steigen des Preises von a kann auch den Preis von b hinauf treiben, eine Verbilligung von a kann auch zur Verbilligung von b führen.

Produktionsverbundenheit, Verbrauchsverbundenheit und Substitutionsverbundenheit sind besondere Verbundenheit der Preise einer beschränkten Anzahl von Gütern. Von diesen besonderen Verbundenheiten muss man die allgemeine Verbundenheit der Preise aller Güter und Dienste unterscheiden. Sie ist Folge des allem menschlichen Wirtschaften gegebenen Tatbestandes, dass für jede Art von Produktion neben mehr oder weniger spezifischen Produktionsmitteln auch ein knappes Produktionsmittel nicht spezifischen Charakters, nämlich Arbeit, verwendet werden muss [168] .

Die Verbundenheit des Wirtschaftens wird durch den Tatbestand geschaffen, dass es Produktionsmittel nicht absolut spezifischen Charakters gibt, d.h. Produktionsmittel, die verschiedene Verwendung zulassen. Da es ein Produktionsmittel gibt, von dem man — in dem oben genau bezeichneten Sinne — sagen darf, dass es überhaupt nicht spezifischen Charakter hat, und da dieses Produktionsmittel anderseits für jede Art von Produktion unentbehrlich ist, besteht — neben der besonderen — eine allgemeine Verbundenheit aller Produktpreise und die Wirtschaft ist ein Zusammenhang aller Handlungen, der Markt ein Zusammenhang aller Preise.

[352]

XII. Die Preise und die Einkommensbildung

Die Sprache, deren sich die Nationalökonomie bedient, wurde von der klassischen Nationalökonomie geformt. Irrtümer und Vorurteile der ersten Nationalökonomen leben in den Sprachbegriffen der modernen Wissenschaft fort und stören den Fortgang ihrer Untersuchungen.

Um die Gedankengänge der klassischen Nationalökonomie zu verstehen, muss man sich immer wieder darauf besinnen, dass ihr, wenn auch nur unausgesprochen, die sozialistische Wirtschaftsordnung als das logisch einfachere Gebilde gesellschaftlicher Beziehungen erschien, und dass sie zur Erkenntnis der Marktwirtschaft dadurch zu gelangen suchte, dass sie das marktwirtschaftliche Getriebe mit dem der «einfachen Wirtschaft» verglich. So nur lässt es sich verstehen, dass sie den Begriff der Verteilung auf die Marktwirtschaft anwendete. Sie sieht die ganze Gesellschaft in eine Anzahl von Klassen — Grundbesitzer, Kapitalisten, Unternehmer und Arbeiter — zerfallen. Die Bildung der Löhne, Gewinne und Renten wird als Verteilungsprozess behandelt, der jeder einzelnen Klasse und dann innerhalb jeder Klasse jedem einzelnen Klassenangehörigen einen Anteil am Sozialprodukt zuweist.

Doch in der Marktwirtschaft wird kein Sozialprodukt erzeugt und verteilt. Kein marktwirtschaftlicher Vorgang kann aufgezeigt werden, den man als Verteilung ansehen könnte. Gerade das, dass nicht gesellschaftlich produziert und nachher verteilt wird, kennzeichnet die Marktwirtschaft und unterscheidet sie von der «einfachen» Wirtschaft des Sozialismus. Die einzelnen Wirte erzeugen. Der Vorgang, der zur Bildung der Preise, Löhne, Zinssätze und Unternehmergewinne führt, ist kein Verteilungsprozess und ist auch nicht Einkommensbildung.

Der Markt gestaltet die Preise der Genussgüter und die der komplementären Produktionsmittel. Es macht dabei keinen Unterschied aus, ob diese Produktionsmittel ursprüngliche oder erzeugte Produktionsmittel sind und ob die ursprünglichen Produktionsmittel menschliche Arbeit oder außermenschliche naturgegebene Produktionsmittel sind. Die Preisbildung folgt immer den gleichen Gesetzen; sie ist für alle Klassen von Produktionsmitteln gleichartig. Für die Erfassung der Preisbildung ist jede Unterscheidung der Produktionsmittel nach Klassen ohne Erkenntniswert. Denn nicht Löhne im allgemeinen bildet der Markt, sondern Löhne, die für eine bestimmte Art und Menge von Arbeit gezahlt werden. Er bildet nicht Bodenpreise [353] im allgemeinen, sondern Preise, die für ein bestimmtes Stück Boden gezahlt werden.

Der Preisbildungsprozess ist kein Prozess der Bildung von Einkommen. Wenn die Arbeiter ihre Arbeitskraft und die Bodeneigentümer die Grundstücke pfleglich behandeln, dann wird die Fähigkeit von Mensch und Boden, als Produktionsmittel zu dienen, erneuert: beim Menschen eine gewisse Zeit hindurch, bei dem land- und forstwirtschaftlich oder als Standort genutzten Boden sozusagen ewig. Wenn die Marktlage für Produktionsmittel dieser Art sich nicht verschlechtert, wird man immer wieder ihren Einsatz zur Produktion verkaufen können. Boden und Arbeitskraft können dann als Einkommensquellen betrachtet werden, wenn sie als Einkommensquellen behandelt wurden, d.h. wenn mit ihnen, wie man zu sagen pflegt, kein Raubbau getrieben wurde. Der Einkommensbezug wird durch die Beschränkung des Verbrauches, nicht durch die Natur der Einkommensquellen stetig. Noch deutlicher liegen die Dinge beim Einkommen aus Kapitalbesitz. Die Kapitalgüter können als produzierte Produktionsmittel, deren Produktionskraft nach kürzerer oder längerer Zeit, je nach der Stärke der Inanspruchnahme oder durch jede Inanspruchnahme oder auch ohne Inanspruchnahme untergeht, nur dadurch Einkommensquellen werden, dass ihr Eigentümer sie als Kapital behandelt, d.h. wenn die Marktlage unverändert bleibt, den Verbrauch zumindest auf die Höhe des Urzinses beschränkt.

Es gibt im natürlichen Ablauf der Produktion kein Einkommen und keinen Einkommensstrom. Das Handeln, das die Verausgabung der Arbeit und der Bodenkräfte in der Produktion und den Verbrauch der aus der Verwendung von Kapitalgütern erzielten Produkte beschränkt, sondert Stamm und Früchte und schafft damit die praxeologischen Kategorien des Vermögens und des Einkommens. Einkommen ist dann jene Genussgütermenge, die man verzehren kann, ohne den Wert des Vermögens zu schmälern. Vermögensstamm und Einkommen sind Begriffe, die nur in der kapitalistischen Geldrechnung Sinn haben. Sie sind marktwirtschaftliche Kategorien, und wenn man sie auf die Verhältnisse einer geldlosen Wirtschaft anwenden will, kann es nur unter Zuhilfenahme der Fiktion geschehen, die allem Operieren mit dem Gedankengebilde der einfachen Wirtschaft zugrunde liegt, dass nämlich in der einfachen Wirtschaft so gerechnet werden könnte wie in der kapitalistischen.

Wenn der Arbeiter seine Arbeitsfähigkeit als Einkommensquelle behandeln will, muss er sie so behandeln, wie der Kapitalist sein Kapital. Erkann sich nicht darauf beschränken, [354] so zu arbeiten, dass er die Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit nach Ablauf der Erholungszeit nicht gefährdet. Er muss auch damit rechnen, dass Krankheit oder Unfall ihn zeitweilig oder dauernd am Arbeiten hindern können und dass jedenfalls mit dem Fortschreiten des Lebensalters die Arbeitsfähigkeit allmählich schwindet. Er muss daher aus dem Erlös der Arbeit Rücklagen machen, um sich gegen die Folgen von Krankheit und Invalidität zu sichern.

Wenn der einzelne Wirt in der Marktwirtschaft aus der Gesamtsumme der vereinnahmten Geldbeträge und des Geldwerts der empfangenen Gütermengen und Dienstleistungen das Einkommen aussondert, vollzieht er eine Rechnungsoperation, an der er sein Handeln orientieren will. Er will feststellen, wie viel er verbrauchen darf, ohne den künftigen Verbrauch zu gefährden. Wir dürfen annehmen, dass die Gemeinwirtschaft ebenso vorgehen würde, wenn sie imstande wäre zu rechnen. Doch es ist, wie bereits gezeigt wurde, [169] sinnlos, für ein marktwirtschaftliches Gefüge das Sozialprodukt in einer Geldsumme ausdrücken zu wollen. Versuche, zahlenmäßigen Ausdruck für Volksvermögen und Volkseinkommen zu finden, sind Unfug. Man vermag etwa die Schweiz und Bulgarien zu vergleichen und zu sagen: die Summe des Einkommens der Schweizer und das Durchschnittseinkommen eines Schweizers und die Summe der Vermögen der Schweizer und das durchschnittliche Vermögen eines Schweizers sind höher als die entsprechenden Werte für Bulgarien. Mehr zu behaupten, ist nicht zulässig.

XIII. Die Preise und die Ordnung der Produktion

Die Preisgestaltung lenkt, vom Fall der Monopolpreise abgesehen, die Produktion in die Bahnen, in denen sie den Wünschen der Verbraucher so gut entspricht, als es die Verhältnisse zulassen. Sie entscheidet immer darüber, welche Produktionsmöglichkeiten ausgenützt und welche brach liegen gelassen werden.

Dass nicht alle bekannten Möglichkeiten zum Produzieren ausgenützt werden, ist nicht weiter bemerkenswert; es wäre kaum erforderlich, sich damit eingehender zu befassen, wenn nicht volkstümliche Irrtümer den Sachverhalt trüben würden.

Dass nicht alle Rezepte, die wir kennen, genützt werden, dass nur die rentablen Verfahren eingeschlagen werden unddass auf die unrentablen verzichtet wird, bedeutet, dass man die Produktion nach den Wünschen der Verbraucher ausrichtet. Man versteht es auch heute, Ritterrüstungen und Krinolinen zu erzeugen. Man unterlässt es, weil die Nachfrage der Verbraucher nach anderen Waren dringlicher ist und weil man für die erforderlichen Produktionsmittel eine - im Sinne der Verbraucher — dringendere Verwendung kennt. Es gibt Erzvorkommen, deren Abbau nicht lohnt, und anbaufähiges Land, dessen Bestellung nicht lohnt; der Umfang des Abbaus und des Anbaus wird durch das Ausmaß der komplementären Produktionsmittel, die nicht durch dringendere Verwendung beansprucht werden, bestimmt. Es gibt Fabrikanlagen und Fabrikeinrichtungen, deren Erzeugungsfähigkeit gar nicht oder nur unvollständig ausgenützt wird, weil Ausnützung oder Mehrausnützung nicht rentabel wären.

Für die moderne Technik wäre es keine unlösbare Aufgabe, in den Polargegenden in Gewächshäusern Trauben und Orangen zu ziehen. Jedermann würde solches Beginnen für Wahnsinn ansehen. Doch es ist im Wesen dasselbe, wenn man durch Schutzzölle und andere Maßnahmen der Schutz- und Autarkiepolitik den Ackerbau in Gebirgsgegenden festzuhalten sucht, während anderwärts fruchtbareres Land brach liegt. Geradeso wie man durch diese Maßnahmen den Ackerbau im Gebirge rentabel gestaltet, könnte man auch die Erzeugung von Südfrüchten in den Polargegenden rentabel machen. Der Unterschied ist bloß quantitativ.

Die Preise des Marktes entscheiden darüber, ob und in welchem Umfange die gegebenen Produktionsmöglichkeiten ausgenützt werden sollen. Dass es Produktionsmöglichkeiten gibt, die nicht ausgenützt werden, ist die Folge des Umstandes, dass die Verbraucher durch ihr Verhalten auf dem Markte bewirkt haben, dass die komplementären Produktionsmittel anderweitige Verwendung finden.

Dass die Bewohner des Jura es vorziehen, sich der Uhrenerzeugung zu widmen, statt auf den Hängen des Gebirgsstocks Getreide zu bauen, bedeutet, dass die Erzeugung von Uhren für sie ein billigeres Verfahren zur Erlangung von Brot darstellt als der Getreidebau. Auf der anderen Seite ist für den kanadischen Farmer der Anbau von Weizen das billigste Verfahren zur Erlangung von Uhren. Dass im Jura kein Weizen und in Kanada keine Uhren erzeugt werden, ist nicht bemerkenswerter, als dass Bäcker ihre Kleider nicht selbst nähen und Schneider ihr Brot nicht selbst backen.

 


 

[356]

4. KAPITEL: DER INDIREKTE TAUSCH

I. Tauschmittel und Geld

Im indirekten gesellschaftlichen Tausch steht zwischen den Gütern und Diensten, deren Austausch letzter Zweck der Austauschakte ist, ein Tauschmittel oder auch mehrere Tauschmittel. [170] Mit den Tauschmitteln und mit der Bildung der Austauschverhältnisse zwischen ihnen auf der einen Seite und den für den Gebrauch oder Verbrauch bestimmten Gütern und den für deren Erzeugung benötigten Produktionsmitteln auf der andern Seite befasst sich die Lehre vom indirekten Tausch, und nicht etwa nur mit dem Gelde und mit den Geldpreisen. Die Sätze, die sie entwickelt, gelten für jeden indirekten gesellschaftlichen Tausch und für jedes Gut, das in indirektem Tausch als Tauschmittel verwendet wird.

Allgemein gebräuchliche Tauschmittel nennt man Geld. Der Begriff Tauschmittel ist praxeologisch streng zu fassen; dem Geldbegriff geht diese Schärfe ab. Die Qualifikation «allgemein gebräuchlich» macht den Geldbegriff dehnbar, weil sie ihn von subjektiver Beurteilung der «Allgemeinheit» abhängen lässt. Doch dies berührt die Strenge, die dem praxeologischen Gedankengang notwendig ist, in keiner Weise. Denn alles, was wir vom Gelde auszusagen haben, gilt von jedem Tauschmittel. Es ist daher bedeutungslos, ob man den altüberlieferten Ausdruck Geldtheorie beibehält oder ob man ihn durch einen andern Ausdruck ersetzt. Die Theorie des Geldes war und ist in der Nationalökonomie stets Theorie des indirekten Tausches und der Tauschmittel. [171]

II. Bemerkungen über einige Irrwege der Geldtheorie

Die Irrtümer, die den volkstümlichen Auffassungen der Geldprobleme und der Geldpolitik vieler Staaten zugrundeliegen, wären wohl nie aufgekommen, wenn nicht manche Nationalökonomen in der Behandlung der Geldlehre Fehler gemacht hätten und auch noch heute an ihnen festhalten würden.

[357]

Da ist vor allem die Vorstellung von der Neutralität des Geldes. [172] Die Theorie der Katallaktik muss damit beginnen, die Vorgänge des Marktes unter der Annahme zu studieren, dass nur direkt getauscht wird, weil direkter Tausch der allgemeinere Fall, indirekter Tausch ein besonderer Fall ist. Man ist nun, wie schon dargelegt wurde, dem Irrtum verfallen, zu glauben, dass man an dem Gedankenbild des unvermittelten Tausches alle Probleme der Katallaktik untersuchen könnte. Ist einmal die Theorie des direkten Tausches zu Ende gedacht worden, so bleibe keine eigentlich nationalökonomische Aufgabe mehr zu lösen übrig; die Arbeit sei abgeschlossen. Was dann noch folge, sei eine Annäherung der Ergebnisse an die Wirklichkeit durch Einfügung des Geldausdrucks der Umsätze. An dem, was die Lehre vom direkten Tausch dargelegt hat, werde dadurch nichts Wesentliches geändert, und es werde ihm auch nichts hinzugefügt, was von Bedeutung wäre. Denn, wenn auch unter dem Schleier des Geldes dem profanen Auge nicht leicht erkennbar, wickle sich in der in Geld umsetzenden Wirtschaft alles so ab, wie es die Theorie für die direkt tauschende Wirtschaft gezeigt habe.

In diesem Irrtum befangen, hat man nicht gesehen, dass der Geldgebrauch die Vorgänge auf dem Markte materiell beeinflusst. Man erkannte nicht, dass auch das gute, dass auch das beste Geld die Marktlage verschiebt und dass es mithin Markterscheinungen gibt, über die die Theorie des direkten Tausches nichts zu sagen weiß. Man bemühte sich daher, Erscheinungen, die nur die Lehre vom indirekten Tausch zu erklären vermag, auf dem Boden der Theorie des direkten Tausches zu behandeln; hierher gehören alle verunglückten Lehren über den Konjunkturwechsel und die Wirtschaftskrisen. Wenn eine Konjunktur- und Krisenlehre ernst genommen werden wollte, hatte sie sich zu bemühen, zu beweisen, dass die Schwankungen der Konjunktur aus Vorgängen herstammen, die schon im Gedankenbild einer ohne Geldgebrauch tauschenden Wirtschaft aufgezeigt werden können, und durfte sich nicht etwa damit begnügen, sie «bloß» aus der Geld- und Kreditsphäre zu erklären.

Dieser Auffassung entsprach dann die Vorstellung eines Preisniveaus, das mit der Vermehrung oder Verminderung der Geldmenge gleichmäßig steigt oder fällt. Man beachtete nicht, dass die Änderungen der Geldmenge unter keinen Umständen die Preise gleichzeitig und gleichmäßig verändern können, und konnte daher auch nicht sehen, dass die Veränderungen der [358] Kaufkraft des Geldes auch Verschiebungen der wechselseitigen Stellung der Marktparteien bedeuten. Man konstruierte eine Lehre, derzufolge die Preise und die Geldmenge proportional steigen und fallen. Um all das zu beweisen, legte man sich für die Geldlehre ein Verfahren zurecht, das von dem von der modernen Wert- und Preislehre sonst grundsätzlich befolgten durchaus verschieden war. Um das Verhältnis von Geldmenge und Geldpreisen zu finden, nahm man den Ausgangspunkt nicht, wie sonst immer in der modernen Katallaktik, vom Handeln der Einzelnen. Man bildete Formeln, die das Ganze der Volkswirtschaft erfassen sollten; Elemente dieser Formeln waren die ganze in der Volkswirtschaft vorhandene Geldmenge, die Gesamtheit der Umsätze und die «Umlaufsgeschwindigkeit» des Geldes. Aus diesen Formeln schien sich dann freilich die Richtigkeit der Lehre von der gleichmäßigen Veränderung aller Preise, vom Steigen und Fallen des Preisniveaus zu ergeben. Man beachtete nicht, dass diese Lehre nicht etwa aus der Formel abzuleiten war, sondern dass sie die Grundlage bildete, auf der die Formel aufgebaut war. Die Verkehrsgleichungen sind eben nichts anderes als der mathematische Ausdruck für die — unhaltbare — Auffassung von der Proportionalität in den Bewegungen der Geldmenge und der Geldpreise.

In der Diskussion der Verkehrsgleichung nimmt man an, dass eines ihrer Elemente — Geldmenge, Umsatzvolumen., Umlaufsgeschwindigkeit «sich ändert», ohne zu fragen, wie es zu solchen Änderungen kommen kann. Man sieht nicht, dass die Änderungen nicht in der «Volkswirtschaft» auftreten, sondern in den verschiedenen Einzelwirtschaften, deren Zusammenspiel auf dem Markte erst das marktwirtschaftliche Gefüge bildet. Man lehnt es hartnäckig ab, von Geldbedarf und Geldvorrat der Einzelnen auszugehen, und zieht es vor, zu dem metaphorisch der Mechanik nachgebildeten Begriff der Umlaufsgeschwindigkeit Zuflucht zu nehmen. Man sieht die Funktion des Geldes im Umlauf und nicht in der Kassenhaltung der Einzelnen. [173]

Der mathematisch-mechanistischen Geldtheorie dieses ganzheitlichen Charakters kann es daher nicht gelingen, zwischen der Theorie des direkten Tausches und der des indirekten Tausches eine Verbindung herzustellen. Diese Geldlehre will immer vom Gesamtkomplex der «volkswirtschaftlichen» Erscheinungen ausgehen. Sie spricht von Veränderungen der Geldmenge, d.i. der gesamten im Marktgefüge vorhandenen [359] Geldmenge, und nicht von den Veränderungen, die sich im Stande der Kassenhaltung der Einzelnen ergeben. Sie spricht von «den Preisen» im allgemeinen, d.i. gleich von allen Preisen, und nicht von den einzelnen Preisen, die in bestimmten Tauschakten gegeben und genommen wurden. Sie ist in den Auffassungen der Zeit stecken geblieben, in der es noch keine Nationalökonomie gegeben hat, weil man bei allen Versuchen, die Markterscheinungen zu erklären, statt vom Einzelnen und von seinem Verhalten in konkreten Einzelfällen gegenüber einer bestimmten Lage seiner Versorgung und seines Begehrens auszugehen, stets von Gesamtheiten und Allgemeinheiten ausging. Damals fragte man: was ist Eisen oder Gold wert? Nämlich Eisen im allgemeinen und Gold im allgemeinen, das Eisen und das Gold, alles Eisen und alles Gold. Und weiter: wert im allgemeinen, d.h. für die ganze Menschheit oder für ganze Gruppen und Klassen von Menschen, für alle Zeiten und alle Verhältnisse. Dem entsprach dann die Frage nach der Bedeutung der «Geldmenge» für «die» Preise, nämlich der gesamten Geldmenge für die Gestaltung aller Preise. Das war ein Verfahren, das nicht fähig war, die Erscheinungen des Marktes zu begreifen und ratlos vor der scheinbaren Antinomie des Wertes stand. Dass wir weiter gekommen sind im Begreifen der Markterscheinungen, verdanken wir nur dem Umstande, dass wir gelernt haben, anders zu fragen. Wir gehen nicht von Kollektivgebilden aus, die auf dem Markte nicht handeln und für die Marktlehre nur Fabelwesen sind, sondern von dem auf dem Markte wirkenden Handeln des Einzelnen in einzelnen Fällen. Wir fragen nicht, was ist Eisen oder Gold wert, sondern wir fragen: wie verhält sich ein Einzelner, wenn er zwischen der Verfügung über eine bestimmte Menge Eisen und der Verfügung über eine bestimmte Menge Gold zu wählen hat? Von der Beantwortung dieser Fragen gelangen wir dann, Schritt für Schritt vorgehend, zum Begreifen der Preisbildung auf dem Markte. Das allein ist Wissenschaft und Nationalökonomie. Alles andere ist nutzloses Spiel der Phantasie, mag man es auch mit den Ausdrucksmitteln höherer Mathematik darstellen und durch Zeichnen von Kurven illustrieren.

In nationalökonomischen Überlegungen ist für einen Begriff wie den des Preisniveaus kein Raum. Es ist petitio principii anzunehmen, dass «die» Preise durch Veränderungen der Geldmenge gleichmäßig gehoben oder gesenkt werden, und zu glauben, dass das Ausmaß dieser Hebung oder Senkung dem Ausmaß der Geldmengenveränderung entsprechen müsse. Diese Auffassung ist der Grundfehler der Lehre von der Messbarkeit der Veränderungen der Kaufkraft des Geldes und der [360] Ausgangspunkt aller Irrtümer der Verfahren, die durch Indexzahlen die Kaufkraft des Geldes messen wollen.

Darf man sich angesichts der Hartnäckigkeit, mit der an solchen offenkundigen und längst widerlegten Irrtümern festgehalten wird, wundern, dass die Geldlehre noch immer ein Tummelplatz für jede Art von Dilettantismus ist und dass die unsinnigsten Vorschläge auftauchen, die Menschheit durch eine Reform des Geldwesens aus allen Nöten zu befreien?

III. Geldvorrat und Geldbedarf; Nachfrage nach Geld und Angebot an Geld

In der Marktgängigkeit und Absatzfähigkeit der einzelnen Güter und Dienstleistungen bestehen beträchtliche Unterschiede. Es gibt Güter, für die es nicht allzuschwer fällt, Abnehmer zu finden, die bereit sind, den höchsten Preis, der auf dem Markte unter den gegebenen Umständen überhaupt erzielt werden kann, oder einen hinter diesem Preis nur um ein Geringes zurückbleibenden Preis zu bezahlen. Bei anderen Gütern wieder mag es schwerer fallen, sogleich einen Abnehmer zu finden, selbst wenn der Verkäufer bereit ist, sich mit beträchtlich weniger zu begnügen als mit dem, was er erzielen könnte, wenn es ihm gelingen würde, andere Nachfrage ausfindig zu machen. Diese Verschiedenheit in der Marktgängigkeit oder Absatzfähigkeit der Güter lässt aus dem direkten Tausch den indirekten Tausch hervorgehen. Ein Wirt, der im Augenblick auf dem Markte nicht das eintauschen kann, was er für seinen Bedarf zu erwerben wünscht, oder der, weil ihm doch die Zukunft und die Lage, in die sie ihn bringen wird, nicht bekannt sind, im Augenblick noch nicht weiß, was er in späterer Zeit begehren wird, kommt seinem Ziel näher, wenn er das weniger marktgängige Gut, das er im Tausche fortzugeben hat, gegen ein marktgängigeres eingetauscht hat. Die Natur des Gutes, das er fortzugeben wünscht, (z. B. seine Verderblichkeit oder die Kosten, die mit seiner Aufbewahrung verbunden sind, oder anderes dieser Art) oder Befürchtungen über die Verschlechterung der Marktlage für dieses Gut lassen es ihm unter Umständen als besonders unzweckmäßig erscheinen, mit dem Tausch zuzuwarten und das Gut selbst länger aufzubewahren. In jedem Fall hat er durch den Erwerb des absatzfähigeren Gutes seine Lage verbessert, auch dann, wenn das absatzfähigere Gut keines seiner eigenen Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen vermag.

Ein Tauschmittel oder ein Tauschvermittler ist ein Gut, das die Wirte nicht für den eigenen Gebrauch oder Verbrauch oder für die Verwendung als Produktionsmittel erwerben, [361] sondern mit der Absicht, es später einmal gegen Güter einzutauschen, die sie gebrauchen, verbrauchen oder als Produktionsmittel verwenden wollen.

Geld ist ein Tauschmittel. Es ist das absatzfähigste Gut, das die Marktparteien zu erwerben trachten, um es dann im weiteren Verlaufe ihres Handelns gegen jene Waren einzutauschen, die sie zu erwerben wünschen. Das ist die einzige Funktion des Geldes; es ist Tauschvermittler, allgemein gebräuchliches Tauschmittel, sonst nichts. Alle anderen vermeintlichen Funktionen des Geldes sind nichts als Sonderfälle der Tauschvermittlung. [174]

Auch Tauschmittel sind wirtschaftliche Güter. Sie sind knapp, sie werden begehrt; es gibt auf den Märkten Tauschlustige, die sie zu erwerben wünschen und daher bereit sind, für sie andere Güter hinzugeben. Sie haben daher Tauschwert, es werden für sie Preise gezahlt, deren Besonderheit allein darin liegt, dass man sie nicht in Geld auszudrücken vermag, sondern lediglich in Waren. Wo man bei den Waren vom Preis (Geldpreis) spricht, hat man beim Gelde von der — in Waren auszudrückenden — Kaufkraft zu sprechen.

Tauschmittel werden begehrt, weil jeder am Verkehr eines Marktes, auf dem durch Vermittlung von Tauschmitteln getauscht wird, teilnehmende Einzelne einen Vorrat davon zur Verfügung haben will. Jeder Einzelne will einen bestimmten Geldbetrag in seiner Tasche oder Kasse haben; einmal mehr, einmal weniger, vielleicht mitunter auch nichts. Das heißt: In der durch Vermittlung des Geldes tauschenden Marktwirtschaft wollen die Einzelnen einen Teil ihres Eigentums in Geld vorrätig halten. Sie wollen nicht nur Waren, sie wollen auch Geld besitzen. Nur weil dieser Begehr nach Kassenhaltung besteht, gibt es eine Nachfrage nach Geld, d.h. wird für Geld Ware hergegeben. Die Veränderungen des Verhältnisses dieser Nachfrage nach Geld und des Angebots an Geld, die wir Veränderungen des Geldstandes nennen wollen, verändern das Austauschverhältnis, das zwischen dem Gelde und den einzelnen Waren und Dienstleistungen besteht.

Alles Geld befindet sich stets im Eigentum der am Tauschverkehr des Marktes teilnehmenden Wirte. Der Übergang aus der Verfügung eines Wirts in die Verfügung eines anderen Wirts erfolgt unmittelbar. Es liegt keine Zeit dazwischen, in der das Geld sich nicht in einer Hand, Tasche, Kasse oder in anderer Weise in der Verfügungsgewalt eines Wirts befindet, [362] sondern gerade «umläuft». [175] Es ist daher verfehlt, eine Unterscheidung zwischen umlaufendem und ruhendem Geld zu machen. Es ist ebenso verfehlt, eine Unterscheidung zwischen umlaufendem und gehortetem Geld zu machen. Was man als Hortung bezeichnet, ist eine Höhe der Kassenhaltung, die nach der subjektiven Ansicht des Beurteilers den «normalen» Stand der Kassenhaltung übersteigt. Doch auch die Hortung von Geld ist Kassenhaltung. Das gehortete Geld hört nicht auf, Geld zu sein, und es dient in den Horten keinem andern Zweck als in den Kassenbeständen, die man als normale ansieht. Erwägungen irgendwelcher Art lassen es dem Eigentümer der Horte zweckmäßig erscheinen, mehr Geld anzuhäufen, als er sonst zu tun pflegt oder als andere Menschen zu tun pflegen oder als der sein Tun betrachtende Nationalökonom für angemessen hält. Dass er so verfährt und nicht anders, beeinflusst die Gestaltung der Nachfrage und des Angebots von Geld und damit die Höhe der Geldpreise in der gleichen Weise wie jedes andere Begehren nach Geld.

Man hat sich gescheut, von Nachfrage und Angebot in diesem Sinne als Nachfrage und Angebot von Geld für Kassenhaltung zu sprechen, weil man die Ausdrücke Geldangebot (Geldversorgung, Geldvorrat) und Geldnachfrage (Geldbedarf) im täglichen Sprachgebrauch der Bankiers und Geschäftsleute zur Bezeichnung von Nachfrage und Angebot von Kapital in Geldform verwendet. Im Sinne dieses Sprachgebrauchs nennt man den Markt für kurzfristiges Leihkapital Geldmarkt; Geldknappheit ist eine Gestaltung des Marktes, bei der der Zinssatz für kurzfristige Darlehen steigt, Geldfülle eine Gestaltung des Marktes, bei der dieser Zinssatz fällt. Diese Art, die Vorgänge auf dem Markte für kurzfristige Darlehen zu bezeichnen, hat sich so eingebürgert, dass kaum daran zu denken ist, sie durch eine andere zu verdrängen. Sie hat leider die Entstehung verderblicher Irrtümer begünstigt. Sie hat dazu geführt, dass man Geld und Kapital verwechselt hat und dass man von einer Vermehrung des Geldes eine — nicht nur vorübergehende — Senkung des Zinsfusses für kurzfristige Anlagen erwartet hat. Doch gerade wegen der Grobheit dieser Irrtümer ist nicht zu befürchten, dass unser Sprachgebrauch irgendwelche Missverständnisse und Verwechslungen hervorrufen könnte. Man kann doch wohl kaum annehmen, dass ein Nationalökonom in solchen Fragen irregehen könnte.

[363]

Andere wieder haben geglaubt, man dürfe nicht von Nachfrage und noch weniger von Bedarf nach Geld sprechen, weil die Absicht, die der Nachfragende und Begehrende mit dem gesuchten Gelde verfolgt, von den Absichten, die die verfolgen, die Waren begehren, verschieden sei. Waren begehre man, um sie zu gebrauchen oder zu verbrauchen, Geld begehre man, um es dann gegen Waren einzutauschen. Auch dieses Bedenken ist grundlos. Der Gebrauch, den man von einem Tauschmittel macht, besteht in seiner schließlichen Hingabe im Tausche; doch er besteht zunächst in der Anhäufung einer gewissen Menge von Tauschmitteln, die das Warten auf den Augenblick, in dem dann gekauft werden soll, ermöglichen. Gerade weil man nicht gleich bei der Hingabe der Waren und Dienstleistungen, die man auf den Markt bringt, den eigenen Bedarf decken will, gerade weil man damit warten will oder warten muss, tauscht man nicht direkt sondern indirekt durch Vermittlung eines Tauschmittels. Dass das Geld durch den Gebrauch, den man von ihm macht, nicht vernichtet wird, dass es seinen Gelddienst weiter versehen kann, ist wichtig in Bezug auf den Umfang der Deckung des Geldbedarfs durch das Geldangebot, doch es ändert nichts an dem Umstande, dass auch die Bewertung des Geldes sich in derselben Weise erklären lässt wie die aller übrigen wirtschaftlichen Güter: durch die Nachfrage, die nach ihm entfaltet wird von denen, die es zu erwerben wünschen.

Man hat versucht, die Momente zu bestimmen, die in einem Wirtschaftsgefüge zu einer Erhöhung oder Verminderung des Geldbedarfes führen mögen. Man hat in diesem Zusammenhange gesprochen: von der Größe der Bevölkerung, von dem Umfang der Versorgung durch Eigenproduktion und der durch Kauf auf dem Markte, also vom Umfange des Marktverkehrs; von der Verteilung der Zahlungen über alle Teile des Jahres, der Monate oder der Wochen und von ihrer Zusammendrängung auf wenige bestimmte Tage; von den Einrichtungen zur Abwicklung von Forderungen und Schulden durch wechselseitige Abrechnung ohne Geldumsatz. Alle diese Umstände beeinflussen wohl die Höhe der Kassenhaltung. Doch sie beeinflussen sie nur mittelbar dadurch, dass sie in den Erwägungen der Wirte, die über die Größe ihrer Kassenhaltung entscheiden, eine Rolle spielen. Den Ausschlag gibt immer das subjektive Urteil der Einzelnen; die einzelnen Wirte entscheiden darüber, wie groß ihr Kassenbestand sein soll, und sie bringen — durch Verzicht auf den Ankauf von anderen Gütern oder auf den Erwerb von zinstragenden Forderungen — Opfer, um den Kassenbestand in der gewünschten Höhe zu erhalten. Es ist beim Gelde wie bei den übrigen wirtschaftlichen Gütern: das [364] Verhältnis von Nachfrage und Angebot entscheidet auf dem Markte über die Gestaltung der Austauschverhältnisse.

Schließlich hat man geglaubt, den Begriff Nachfrage nach Geld aus folgenden Erwägungen als unbrauchbar ablehnen zu müssen: Der Grenznutzen des Geldes sinke beträchtlich langsamer als der aller übrigen wirtschaftlichen Güter, ja, er sinke so langsam, dass man sein Sinken praktisch unberücksichtigt lassen dürfe. Vom Geld sage niemand, dass er davon genug habe, und niemand verzichte praktisch darauf, mehr Geld zu erwerben, wenn die Gelegenheit sich bietet. Die Nachfrage nach Geld könne daher nicht als eine begrenzte Nachfrage angesehen werden; die Vorstellung einer unbegrenzten Nachfrage sei aber sinnlos. In diesem Gedankengang steckt jedoch ein krasser Denkfehler; er verwechselt die Nachfrage nach Geld für die Kassenhaltung mit dem — in Geld ausgedrückten — Begehren nach reichlicherer Ausstattung mit wirtschaftlichen Gütern aller Art. Auch wer mit Kartoffeln so reichlich versorgt ist, dass er, selbst wenn sie noch so billig auf dem Markte zu erstehen wären, keine weiteren Käufe mehr für seinen Bedarf durchführen würde, wird ein Geschenk von Kartoffeln nicht zurückweisen. Er wird die geschenkten Kartoffeln zu Geld machen und dafür das erstehen, was er gerade begehrt. Geldgeschenke werden gewöhnlich vorgezogen, weil man mit Geld schneller, ohne den Umweg über einen Verkaufsakt, zu der Befriedigung gelangt, die man als die dringendste ansieht. Wer sagt, dass er nie genug Geld haben könnte, meint nicht, dass seine Kassenhaltung nie groß genug sein könnte. Er will einfach sagen, dass er nie reich genug sein könnte. Wenn ihm ein Mehr an Geld zufließt, wird er es nicht oder doch nur zum kleinsten Teil zur Stärkung seiner Kassenhaltung verwenden ; er wird es ausgeben, wird kaufen, sei es für sofortigen Bedarf, sei es für späteren Bedarf durch fruchtbringende Anlage, oder er wird es denen leihen, die konsumieren, produzieren oder anlegen wollen.

Die Erkenntnis, dass, wie bei allen anderen wirtschaftlichen Gütern, so auch beim Gelde Nachfrage und Angebot den Preis gestalten, lag schon der alten Quantitätstheorie zugrunde. Diese ist nichts anderes als der älteste Versuch einer Anwendung der Lehre von Angebot und Nachfrage auf die Probleme des Geldwertes und der Kaufkraft des Geldes. Das Verdienst der Quantitätstheorie lag darin, dass sie es unternommen hat, auch die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes in derselben Weise zu erklären, in der die Bildung des Tauschwertes aller übrigen wirtschaftlichen Güter erklärt wurde. Ihr Irrtum bestand darin, dass sie von der ganzen in der Volkswirtschaft [365] vorhandenen Geldmenge ausgehen wollte, und dass sie die Vorgänge mechanistisch, d.h. nicht von den Handlungen der einzelnen Wirte aus zu erklären versuchte; eine logische Folge dieser Irrtümer war dann die Annahme einer Proportionalität zwischen den Veränderungen der Geldmenge und denen der Warenpreise. Doch die älteren Bekämpfer der Quantitätstheorie haben es nicht verstanden, die Quelle der Fehlschlüsse der Quantitätstheorie aufzudecken und an die Stelle einer mangelhaften Lehre eine befriedigendere zu setzen. Sie haben nicht das an der Quantitätstheorie bekämpft, was an ihr irrig war. Es kam ihnen nur darauf an, den Zusammenhang zwischen Preisbewegung und Änderungen der Geldmenge zu bestreiten, ein Versuch, der sie in ein Gestrüpp von Irrtümern, Widersprüchen und Missverständnissen führen musste. Die moderne Theorie knüpft insofern an die alte Quantitätstheorie an, als sie wie diese davon ausgeht, dass man die Veränderungen der Kaufkraft des Geldes aus denselben Grundsätzen heraus zu erklären habe wie alle übrigen Preisveränderungen, und dass mithin zwischen den Veränderungen des Verhältnisses von Geldbedarf und Geldnachfrage einerseits und den Veränderungen der Kaufkraft des Geldes anderseits eine Beziehung bestehe. In diesem Sinne ist auch die moderne Geldtheorie eine Quantitätstheorie.

Die methodologische Bedeutung der Menger’schen Lehre vom Ursprung des Geldes

Carl Menger hat nicht nur in vorbildlicher Weise die praxeologische Theorie von der Entstehung des indirekten Tausches und des Geldgebrauches entwickelt; er hat auch die methodische Bedeutung seiner Lehre erkannt und aufgezeigt. [176] Und dieser Nachweis gewinnt, was auch schon von Menger erkannt wurde, über den Bereich des besonderen Problems hinaus grundsätzliche Wichtigkeit für das Verständnis der praxeologischen Methode.

Man hat versucht, die Einführung des Geldgebrauches auf Satzung zurückzuführen. Die Obrigkeit, der Staat oder die Übereinkunft der Menschen habe den indirekten Tausch und den Geldgebrauch bewusst geschaffen. Nicht das etwa sind die schwersten Mängel dieser Lehre, dass sie annimmt, dass einzelne oder alle Menschen in einem Zeitalter, das indirekten Tausch und Geldgebrauch nicht gekannt hat, im Geiste den Plan einer neuen, in der Wirklichkeit ihres Lebens und Handelns nicht gegebenen Ordnung entworfen und seine Tragweite begriffen hätten, und dass sich in der Geschichte kein Anhaltspunkt finden lässt, der diese Auffassung zu stützen vermöchte. Es sind andere, [366] gewichtigere Überlegungen, die zu ihrer Ablehnung führen müssen. Nimmt man nämlich an, dass der Schritt, der vom direkten Tausch zum indirekten Tausch und im weiteren Verlaufe zur Bevorzugung bestimmter, besonders absatzfähiger Objekte für den Tauschmitteldienst führt, schon unmittelbar jedem, der sein Handeln in dieser Weise einrichtet, Vorteil bringt, dann ist nicht abzusehen, warum wir zur Erklärung auch noch überdies obrigkeitliche Satzung oder Übereinkunft der Mitglieder der Gesellschaft heranzuziehen hätten. Wenn wir annehmen, dass Wirte, die auf dem Markte für die Leistung, die sie hinzugeben bereit waren, nicht unmittelbar die Leistung zu empfangen vermochten, die sie suchten, erkannt haben, dass sie ihre Aussichten, sich später diese oder eine andere gesuchte Befriedigung zu verschaffen, durch die Erwerbung eines absatzfähigeren Gutes verbessern können, benötigen wir für die Entstehung des indirekten Tausches und des Geldes aus dem indirekten Tausch heraus keiner weiteren Erklärung mehr. Denn wenn dem so war, so bedurfte es weder der obrigkeitlichen Satzung noch der Übereinkunft, um indirekten Tausch und Geld in den gesellschaftlichen Tausch einzuführen. Dann konnten die einen von selbst auf die Idee verfallen, so vorzugehen, und die anderen konnten das Vorgehen jener nachahmen. Dass die unmittelbaren Vorteile, die der indirekte Tausch dem Handelnden bringt, von diesem erkannt wurden, ist jedenfalls einleuchtender, als dass das ganze System eines durch Vermittlung des Geldes tauschenden Gemeinwesens von einem großen Geist auf einmal ersonnen und — wenn wir die Übereinkunft-Theorie annehmen — den übrigen begreiflich gemacht wurde.

Wollten wir aber die Annahme fallen lassen, dass jeder Einzelne in seinem Handeln durch indirektes Tauschen besser fährt als durch das Abwarten einer Gelegenheit für direkten Tausch, dann bleibt, auch wenn wir obrigkeitliche Verfügung oder gesellschaftliche Übereinkunft zur «Einführung» des Geldgebrauches zugeben wollten, noch immer die Frage offen, durch welche Maßnahmen man den Einzelnen zu einem Verfahren im Handeln veranlassen konnte, das ihm nicht vorteilhaft erschien und dabei weniger einfach war als das des direkten Tauschens. Wir müssten annehmen, dass Anstalten getroffen wurden, um den Einzelnen zum indirekten Tausch und zum Geldgebrauch zu zwingen, und wir hätten die Frage aufzuwerfen, wann und wodurch dann später einmal vermittelter Tausch und Geldgebrauch aus einer dem Einzelnen lästigen oder ihm zumindest gleichgültigen Einrichtung in eine auch dem Einzelnen nützliche Verbesserung des Tauschverfahrens umgeschlagen habe.

Die praxeologische Methode leitet alle Erscheinungen des menschlichen Handelns aus dem Handeln des Einzelnen selbst ab. Wenn die Bedingungen des gesellschaftlichen Austausches von Leistungen so beschaffen sind, dass indirekter Tausch und Geldgebrauch jedem Einzelnen die Durchführung der gesellschaftlichen Tauschakte erleichtern, und wenn und soweit dies von ihm erkannt wird, kommt es zu indirektem Tausch und zu Geldgebrauch. Die geschichtliche Erfahrung lehrt nun, dass diese Bedingungen gegeben waren und gegeben sind. Wie ohne Zutreffen dieser Bedingungen, — selbst unter Annahme obrigkeitlichen Eingreifens oder gesellschaftlicher Übereinkunft, obschon jedes von beiden bei Fehlen dieser Bedingungen höchst unwahrscheinlich ist — die Einzelnen zum Verfahren des indirekten Tausches und zum Geldgebrauch hätten gelangen und an ihnen hätten festhalten können, ist nicht abzusehen.

Die geschichtliche Frage nach dem Ursprung der Gepflogenheit, den Tausch durch Vermittlung des Geldes durchzuführen, ist übrigens in letzter Linie für [367] die praxeologische Betrachtungsweise unwichtig. Entscheidend ist allein das: Wir können entweder annehmen, dass indirekter Tausch und Geldgebrauch bestehen, weil die Bedingungen dafür gegeben waren und gegeben sind; dann brauchen wir, um das Vorgehen der Handelnden zu erfassen, keine Berufung auf Satzung oder Übereinunft. Wir mögen dabei ruhig den Vertretern der etatistischen Lehre zugeben, dass die Erkenntnis der Vorteile des Geldgebrauches zuerst ihrem Götzen, dem «Staat», aufgedämmert sei, so wenig wahrscheinlich dies auch sein mag. Das, worauf es ankommt, ist aber, dass jemand im Tausche eine Ware erwirbt, nicht weil er sie für seinen Haushalt oder für seine Produktion unmittelbar benötigt, sondern weil er durch ihre Hingabe in einem weiteren Tauschakt zur Verfügung über die gesuchten Güter gelangen will. Durch solches Handeln wird ein Gut zum Tauschmittel und, wenn solches Handeln in Bezug auf dasselbe Gut allgemeiner wird, zum Geld. An die Verwendung eines Gutes als Tauschmittel und als Geld knüpfen sich alle die Lehrsätze, die die Theorie der Tauschmittel und die des Geldes ausmachen. Wenn man selbst berechtigt wäre, zu sagen, die Anregung zur Einführung des Geldes sei durch einen Befehl der Obrigkeit oder durch Übereinkunft der Mitglieder der Gesellschaft gegeben worden, so bleibt doch der Satz unerschüttert, dass nur das Handeln der am Tauschverkehr teilnehmenden Wirte indirekten Tausch und Geldgebrauch schaffen kann.

Die geschichtliche Erfahrung mag sagen, wann und wo und von wem zuerst indirekt getauscht wurde und wie im weiteren Verlaufe der Umkreis der als Tauschittel verwendeten Güter sich verengte. Da die Unterscheidung zwischen dem weiteren Begriff Tauschmittel und dem engeren Begriff Geld nicht streng ist, sondern nur einen Gradunterschied bezeichnet, kann man verschiedene Auffassungen vertreten über den Anfang des Geldgebrauches. Doch, wie schon gesagt wurde: die Grenze zwischen direktem und indirektem Tausch ist scharf, und alles, was die Nationalökooie vom Tauschmittel auszusagen hat, gilt ausnahmelos und voll von jedem Gut, das als Tauschmittel begehrt und erworben wird.

Soweit die Behauptung, dass indirekter Tausch und Geldgebrauch durch obrigkeitliche Satzung oder durch Übereinkunft der Wirte geschaffen wurden, als Aussage über einen geschichtlichen Vorgang aufgefasst werden will, ist es Aufgabe der Geschichtsforschung, sie zu widerlegen. Soweit sie nur das sein will, vermag sie aber die nationalökonomische Lehre vom indirekten Tausch und vom Geld (einschließich der Ableitung der Entstehung dieser Verfahren des Handelns) nicht zu erschüttern. Soweit jedoch diese Lehre eine Erklärung menschlichen Handelns und gesellschaftlicher Vorgänge sein will, ist sie unbrauchbar, weil sie über das Handeln nichts auszusagen weiß. Denn es ist keine Aussage über menschliches Handeln, wenn einfach angenommen wird, dass einmal den Regierenden oder allen zur Beratung versammelten Genossen die Erleuchtung gekommen sei, dass man indirekt und durch Vermittlung eines allgemein gebräuchlichen Tauschmittels zu tauschen habe. Es ist nichts weiter als ein Zurückschieben des Problems.

Man muss sich darüber klar werden, dass man nichts zur wissenschaftlichen Erfassung einer gesellschaftlichen Einrichtung beigetragen hat, wenn man behauptet, der «Staat» oder ein erleuchteter Führer oder eine mit einem Male über alle gekommene Erleuchtung habe sie geschaffen. Und man widerlegt durch solche Behauptungen in keiner Weise die Lehren einer Theorie, die zeigt, wie [368] solche Einrichtungen «als das unreflektierte Ergebnis, als die unbeabsichtigte Resultante spezifisch individueller Bestrebungen der Mitglieder einer Gesellschaft» [177] erkannt werden können.

IV. Die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes

Sobald ein wirtschaftliches Gut nicht nur von solchen begehrt wird, die es gebrauchen oder verbrauchen wollen, sondern auch von solchen, die es als Tauschmittel erwerben wollen, um es gelegentlich im Tausche weiterzugeben, tritt zu der Nachfrage die sonst nach ihm entfaltet wurde, eine neue Nachfrage hinzu. Dass ein Gut als Tauschmittel begehrt wird, lässt seinen Tauschwert steigen; der Umstand, dass die Nachfrage gestiegen ist, weil eine neue Verwendung für das Gut gefunden wurde, bewirkt bei jedem wirtschaftlichen Gut ein Steigen der Preise. Der — in Waren ausgedrückte — Preis, der für ein Tauschmittel erzielt wird, ist zu einem Teil durch eine Nachfrage bestimmt, die im Hinblick auf den Tauschmitteldienst auftritt. Wenn die Marktparteien aufhören, dieses Gut als Tauschmittel zu verwenden, verschwindet diese Nachfrage und der Preis des Gutes, das nun nicht mehr als Tauschmittel dient, fällt.

Die Nachfrage nach einem Tauschmittel setzt sich mithin aus zwei Teilnachfragen zusammen: aus der Nachfrage derer, die das Tauschmittel als Tauschmittel begehren, und aus der Nachfrage jener, die es wegen seiner sonstigen Dienste begehren. [178] (Beim modernen Edelmetallgeld spricht man da von der monetären und von der industriellen Nachfrage.) Der Tauschwert des Tauschmittels beruht auf beiden Nachfragen.

Der Umfang jenes Teils der Nachfrage der auf dem Tauschmitteldenste beruht, ist nun von der Höhe des Tauschwerts selbst abhängig. Das ergibt eine Schwierigkeit, die es vielen Nationalökonomen unmöglich erscheinen lässt, diesen Gedankengang weiter zu verfolgen. Man könne doch, meinen sie, die Kaufkraft des Geldes nicht aus dem Umfang der Nachfrage und den Umfang der Nachfrage aus der Höhe der Kaufkraft erklären.

Die Schwierigkeit ist aber nur scheinbar. Denn die Kaufkraft, die wir aus dem Umfange der Nachfrage erklären wollen, ist nicht die Kaufkraft, deren Höhe den Umfang der Nachfrage bestimmt. Wir haben die Bildung der Kaufkraft der allernächsten Zukunft, des nächsten Augenblicks zubegreifen, und [369] wir ziehen zur Erklärung die Nachfrage heran, deren Bildung durch die Kaufkraft der jüngstverflossenen Vergangenheit, des eben verstrichenen Augenblicks, bestimmt wurde. Das sind zwei verschiedene Größen, und man kann der Erklärung, die auf diesem Wege vorgeht, nicht vorwerfen, dass sie sich im Zirkel bewege. [179]

Das bedeute doch, meinen die Kritiker weiter, nicht anderes als Zurückschiebung des Problems. Denn nun bleibe noch die Kaufkraft von gestern zu erklären; wolle man diese in der gleichen Weise durch die von vorgestern erklären und so fort, so sei das ein regressus in infinitum, der von einer vollkommenen und logisch befriedigenden Erklärung weit entfernt wäre. Die Kritiker sehen nicht, dass der Regress nicht unendlich weiter geht. Er stößt nämlich an einen Punkt, wo die Erklärung abschließt und keine Frage ungelöst lässt. Verfolgen wir die Kaufkraft des Geldes Schritt für Schritt zurück, so gelangen wir schließlich an den Punkt, an dem der Tauschmitteldienst beginnt. An diesem Punkt ist der Tauschwert von gestern ausschließlich durch eine Nachfrage bestimmt, die allein im Hinblick auf die anderweitigen — die industriellen — Verwendungsmöglichkeiten des den Tauschmitteldienst versehenden Gutes entfaltet wird.

Aber das hieße doch, sagen die Kritiker, den auf dem Tauschmitteldienst beruhenden Teil der Kaufkraft des Geldes durch den industriellen Wert des als Tauschmittel dienenden Guts erklären; die Aufgabe aber wäre, die Erklärung aus der Tauschmittelfunktion zu finden. Auch hier irren die Kritiker. Die auf dem Tauschmitteldienst beruhende spezifische Komponente des Tauschwerts der Geldeinheit wird in unserer Erklärung allein durch die Nachfrage erklärt, die im Hinblick auf die Tauschmittelfunktion entfaltet wird. Dass der Umfang dieser Nachfrage von der Höhe des Tauschwerts abhängt, den das Geldgut sowohl aus seiner industriellen als auch aus seiner monetären Verwendung empfangen hat, und dass am historischen Ausgangspunkt der Tauschmittelfunktion die Kaufkraft [370] eines Gutes, das bisher noch nicht als Tauschmittel nachgefragt worden war, allein durch die auf seiner anderweitigen Verwendung beruhenden Nachfrage bestimmt wurde, ist nicht zu bestreiten und wird auch nicht bestritten. Wir erklären den Unmfang der ersten Nachfrage, die ein Gut als Tauschmittel und nicht nur für anderweitige Verwendung nachfragt, unter Zuhilfenahme des Tauschwertes dieses Gutes unmittelbar vor dem Auftreten dieser zusätzlichen Nachfrage. Das heißt keineswegs den spezifischen Geldwert auf den industriellen Gebrauch des Geldstoffes zurückführen.

Schließlich wird unserer Erklärung noch vorgeworfen, sie sei historisch und nicht theoretisch. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Einen Vorgang historisch erklären, heißt darlegen, wie er sich aus den damals und dort wirkenden Kräften ergeben hat. Diese Kräfte, Elemente oder Individualitäten sind die letzten Faktoren, auf die wir dabei zurückzugehen vermögen; sie sind Daten und als solche nicht weiter zurückführbar oder analysierbar. Einen Vorgang oder eine Erscheinung theoretisch erklären, heißt, sie aus allgemeinen Regeln ableiten, die bereits zum Bestand des theoretischen Systems gehören. Wenn unsere Ableitung die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes von heute aus einer Nachfrage erklärt, für deren Umfang die Gestaltung der Kaufkraft von gestern mitbestimmend war, wenn sie innerhalb der Gesamtnachfrage nach einem Tauschmittel zwei Komponenten unterscheidet, die aus dem Begehr für den Tauschmitteldienst und die aus dem Begehr für sonstige Verwendung, wenn sie feststellt, dass ohne Tauschmittelfunktion auch die spezifische Nachfrage nach Tauschmitteln nicht denkbar ist, verwendet sie lauter Begriffe und Denkoperationen, die ihr das System der Katallaktik zur Verfügung stellt. Sie leitet den spezifischen — den auf ihrem Dienst als Tauschmittel beruhenden — Wert der Tauschmittel aus der Tauschmittelfunktion und aus den Wert- und Preisgesetzen ab, die die nationalökonomische Theorie in ihrer — unter Annahme direkten Tausches ausgebauten Wert- und Preislehre ausgearbeitet hat. Sie erfüllt damit alle Anforderungen, denen eine theoretische Ableitung zu genügen hat. Sie führt den spezielleren, unter besonderen Bedingungen stehenden Fall auf die allgemeineren Gesetze zurück. Sie zeigt, wie das Speziellere mit Notwendigkeit aus dem Allgemeineren folgt. Sie sagt nicht etwa: dies geschah damals und dort. Sie sagt: dies geschieht immer wieder, wenn die Bedingungen gegeben sind; jedesmal, wenn ein Gut, das bisher nicht als Tauschmittel verwendet wurde, nun auch oder nur noch für Tauschmitteldienst begehrt wird, wird wieder dasselbe eintreten. Und sie sagt zugleich — [371] was bei der apriorischen Theorie der Praxeologie nur selbstverständlich ist — es muss so sein; es kann gar nicht anders sein. Es kann nicht gelingen einen Fall zu konstruieren, in dem die Dinge anders ablaufen könnten.

Die Kaufkraft entsteht somit aus dem Verhältnis von Nachfrage und Angebot auf dem Markte. Beide, Nachfrage und Angebot von Geld, werden unter Zugrundelegung der Preise von gestern gestaltet. Der Verkäufer von Waren bildet, soweit die Schätzung der Bedeutung des Geldes in Betracht kommt, das Urteil darüber, ob er sich mit einem ihm gebotenen Preis begnügen soll, auf Grund seiner Kenntnis der Kaufkraft von gestern, und der Käufer von Waren bildet in der gleichen Weise sein Urteil über die Bedeutung des Geldes, das er ausgeben soll. Das Verhältnis von Nachfrage nach Geld und von Angebot an Geld, das heute auf dem Markte herrscht, gestaltet die Kaufkraft neu, bildet — in der beschriebenen Weise von der Kaufkraft von gestern ausgehend — die Kaufkraft von heute. Wer seine Kassenhaltung vergrößern will, wird im Geldausgeben zurückhalten und sich leichter zu Verkäufen entschließen, er wird somit eine Tendenz zur Preissenkung hervorrufen; wer seinen Kassenbestand verkleinern will, wird leichter den Entschluss zum Ausgeben von Geld (für den Erwerb von Genussgütern, von Produktivgütern oder von Geldforderungen) fassen und sich nicht so leicht bewegen lassen, zu verkaufen, er wird somit eine Tendenz zur Preissteigerung hervorrufen.

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit den Veränderungen der Geldmenge zu, also den Veränderungen des Angebots an Geld, so haben wir zunächst festzustellen, dass die Veränderungen der Geldmenge stets auch Veränderungen des Reichtums einzelner Personen oder Personengruppen bedeuten. Die Geldmenge kann nicht anders wachsen, als indem einige dieses Mehr an Geld zuerst empfangen. Wir können, wenn wir wollen, auch annehmen, dass alle Wirte an dem zusätzlichen Geld dergestalt teilhaben, dass jeder einzelne einen Teil von dem neuen Gelde sofort bei dessen Einfließen in das Marktgetriebe empfängt. Es hätte keinen Sinn diese Annahme zu machen, nicht nur weil ihr keine praktische Bedeutung zukommt, sondern weil auch dann, wenn sie zutrifft, das Ergebnis, zu dem unsere Darlegungen gelangen werden, dass nämlich die Preise der verschiedenen Waren und Dienste durch die Preissteigerung nicht gleichzeitig und nicht gleichmäßig betroffen werden - unter keinen Umständen gleichzeitig und gleichmäßig betroffen werden können — nicht berührt wird.

Nehmen wir an, die Regierung erzeuge zusätzliches Papiergeld und setze es in Verkehr. Die Regierung will Waren und [372] Arbeitskräfte kaufen oder Schulden bezahlen oder verzinsen. Wie dem auch immer sei, sie erscheint mit einem zusätzlichen Angebot von Geld auf dem Markte, sie ist reicher geworden und kann nun mehr kaufen, als sie ohne die Papiergeldvermehrung hätte kaufen können. Dieses neue Angebot von Geld muss die Preise der Güter, die die Regierung kaufen will, erhöhen. Wenn die Regierung ihre Einkäufe aus Mitteln bestreiten würde, die sie durch Besteuerung gewonnen hat, müsste der Preissteigerung der von der Regierung begehrten Waren eine Preissenkung der Waren gegenüberstehen, auf die die Steuerzahler nun verzichten müssen. Wenn aber die Regierung an Geld reicher wurde, ohne dass andere an Geld ärmer wurden, so bleibt dieser Preisfall aus. Einige (nämlich die von der Regierung zusätzlich gekauften) Waren steigen sogleich im Preise, die übrigen Waren behalten zunächst den alten Preisstand bei. Doch nun geht es weiter. Die, welche die von der Regierung begehrten Waren zu Markte bringen, sind nun selbst reicher geworden, sie können nun ihrerseits mehr kaufen, und so steigen auch die Preise der Waren, die sie zu kaufen begehren. So schreitet die Preissteigerung im ganzen Marktgefüge von Ware zu Ware weiter, bis schließlich alle Preise und Löhne von ihr ergriffen worden sind. Die Preissteigerung tritt mithin nicht zur gleichen Zeit bei allen Preisen und Löhnen ein.

Doch auch dann, wenn schon alle Preise und Löhne gestiegen sind, ist die Preissteigerung nicht in dem gleichen Ausmaß bei den einzelnen Waren und Dienstleistungen erfolgt. Der Umstand, dass in der Zeit, in der die preissteigernde Wirkung der zusätzlichen Geldmenge von Ware zu Ware weiterschreitet, die einen sich des Vorzugs erfreuen, die Waren, die sie zu Markte bringen, zu den neuen höheren Preisen absetzen zu können, dagegen aber für die Waren, die sie kaufen, noch die älteren niedrigeren Preise zu bezahlen, und dass die anderen in der umgekehrten Lage sind, höhere Preise im Einkauf bezahlen müssen, während sie als Verkäufer nur die alten niedrigeren Preise erzielen, lässt Gewinne und Verluste entstehen. Durch diese Gewinne und Verluste und durch die Gewinne der Schuldner und durch die Einbussen der Gläubiger werden die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Gesellschaft verschoben; es bildet sich eine neue Vermögens- und Einkommensschichtung, die das Verhältnis der Geldpreise der verschiedenen Waren untereinander verschiebt. Wenn die preissteigernde Wirkung der Geldvermehrung sich schon allen Waren gegenüber durchgesetzt hat und wenn der neue endliche Ruhezustand oder Gleichgewichtszustand erreicht ist, haben sich die Verhältnisse geändert. Die Vertreter der älteren Quantitätstheorie [373] haben geirrt, wenn sie angenommen haben, dass dann — wenn nicht etwa noch andere Veränderungen in den Daten vorgegangen sind — die Kassenhaltung jedes Wirts und die Preise aller Güter und Dienste in dem Verhältnis der Geldmengenvergrößerung gestiegen sein werden. Jene Datenänderungen, die zu Veränderungen der Kaufkraft des Geldes führen, müssen notwendigerweise zugleich auch noch andere Veränderungen im Gefüge der Marktwirtschaft hervorrufen. Das Gefüge vor dem Eintreten der zusätzlichen Geldmenge und das Gefüge, das nach dem Ablauf aller durch den Zuwachs an Geldmenge ausgelösten Veränderungen wieder dem Gleichgewicht zustrebt, unterscheiden sich nicht bloß dadurch, dass die Kassenhaltung der Einzelnen nun größer ist und dass die Preise gestiegen sind. Es sind Veränderungen in dem Verhältnis der Preise der einzelnen Waren untereinander vorgegangen, die durch den Ausdruck Umwälzung der Preise oder Preisrevolution besser gekennzeichnet werden als durch den Ausdruck Veränderung des Preisniveaus.

Von den Veränderungen, die sich durch die Rückwirkung auf alle Schulden und Forderungen ergeben, können wir dabei zunächst absehen. Über die Wirkungen auf die Produktion und auf die Anlage von Kapital wird später zu handeln sein. Auf eines aber muss jetzt schon hingewiesen werden. Die Preisveränderungen sind im Verlaufe des ganzen Prozesses nicht nur Preissteigerungen, sondern mitunter auch Preissenkungen, wenn auch in der Regel am Ende alle Preise gestiegen sein werden. Die Waren, die zuerst von der Aufwärtsbewegung der Preise ergriffen wurden, weil die zusätzliche Nachfrage sich zuerst auf sie gerichtet hat, werden die volle Höhe der am Anfang erzielten Preissteigerung nicht behaupten können; bei ihnen werden, wenn die Bewegung weiter schreitet, Preissenkungen eintreten, wenn auch anzunehmen ist, dass sie nicht so groß sein werden, um den ursprünglichen Preisstand wiederherzustellen.

Es ist für den Gang und für die Ungleichmäßigkeit und Ungleichzeitigkeit der Preisänderungen ohne Belang, ob die Vermehrung der Geldmenge durch Papiergeldausgabe eingetreten ist oder durch Goldproduktion. Die Preise steigen auch in derselben Weise, wenn bei ungeändertem Stande der Geldmenge die Nachfrage nach Geld zurückgeht, weil die Kassenhaltung verringert wird. [180] Das Geld, das von denen, die ihren Kassenbestand verringern, auf den Markt gebracht wird, löst den Lauf [374] der Geldentwertung genau so aus, wie die aus den Notendruckereien oder aus den Goldbergwerken auf den Markt strömenden Beträge. Umgekehrt ist die Wirkung einer Verminderung der Geldmenge (etwa durch Einziehung von Papiergeld) und die der Erhöhung der Nachfrage nach Geld (etwa durch Erhöhung der Kassenhaltung, durch «Hortung», wie man zu sagen pflegt). Und auch hier wieder haben wir dieselbe schrittweise, zeitlich abgestufte, ungleichmäßige Veränderung der Preise.

Man könnte nun folgenden Einwand erheben: Wenn die Goldbergwerke ihre normale Produktion auf den Markt bringen, bedeutet das wohl zusätzliches Angebot von Geld, doch nicht zugleich auch Steigerung des Einkommens oder gar des Vermögens der Besitzer der Goldbergwerke. Diese beziehen nur ihr normales Einkommen, das das Gleichgewicht der Marktwirtschaft nicht stören kann. Sie sind nicht reicher geworden, sie werden daher auch nicht bereit sein, höhere Preise zu bieten. Sie werden weiter so leben, wie sie gestern gelebt haben, und werden daher die Gleichgewichtslage des Marktes in keiner Weise stören. Die normale Goldproduktion könne daher, obwohl sie eine Vermehrung der Geldmenge darstellt, den Lauf des Entwertungsmechanismus nicht auslösen, sie sei der Preisgestaltung gegenüber neutral.

Da ist zunächst zu bemerken, dass in einem Marktgefüge mit Bevölkerungsvermehrung und Reichtumszunahme den preissteigernden Wirkungen, die von der normalen Goldmengenvergrößerung ausgehen, die preissenkenden Wirkungen gegenüberstehen, die von der — wir wollen den Ausdruck der Kritiker gebrauchen und sagen: normalen — Steigerung der Geldnachfrage zur Füllung der Kassen der durch Bevölkerungsvermehrung oder durch Ausbreitung der Geldwirtschaft neu in die Marktgesellschaft eintretenden Einzelwirtschaften ausgehen. Die beiden Tendenzen heben sich nicht etwa gegenseitig auf. Beide Prozesse nehmen ihren Lauf, beide führen zu Verschiebungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Freilich, die Preissteigerungen, zu denen der eine Prozess führt, werden durch die Preissenkungen, zu denen der andere führt, bei vielen Waren herabgemindert und bei vielen in Preissenkungen verwandelt; bei manchen wird schließlich — allerdings nach Schwankungen hinauf und hinab — der alte Preisstand wieder erreicht werden. Wenn wie es nun seit Jahrhunderten wohl ohne Unterbrechung der Fall war — der Geldbedarf beständig ansteigt, begegnen die Preissteigerungen, die das aus den Produktionsstätten neu in den Verkehr strömende Edelmetall auslöst, einer Gegenwirkung. Durch diese Gegenwirkung [375] kann die Preiserhöhung gemindert, aufgehoben oder selbst in eine Preissenkung verwandelt werden. [181] Doch dieses Ergebnis wird nicht etwa dadurch erzielt, dass der eine Prozess den andern aufhebt. Beide Prozesse laufen mit allen ihren Begleiterscheinungen ab, und lediglich die Endauswirkung auf die Preise wird durch die Tatsache der Gegenwirkung bestimmt.

Dass die Besitzer der Goldbergwerke mit dem Bezuge eines regelmäßigen Einkommens aus dem Ertrage der Goldproduktion rechnen, beeinflusst nicht die Wirkung, die das neue Gold auf die Preise ausübt. Der Minenbesitzer nimmt aus dem Markte die Güter und Dienstleistungen, die die Kosten seiner Goldgewinnung darstellen, die Genussgüter seines Verbrauches und die Produktivgüter für die Anlage seiner Ersparnisse und gibt ihm dafür neugewonnenes Gold. Hätte er kein Gold erzeugen können, dann wären die Preise nicht durch dieses zusätzliche Gold berührt worden. Dass er für seine Person die Erwartung kommender Goldausbeute eskomptiert und kapitalisiert hat, ist dabei ebenso bedeutungslos, wie dass er seine Lebenshaltung auf die Beständigkeit des Bergwerksertrages eingerichtet hat. Die Wirkung, die die Goldproduktion auf sein Verhalten auf dem Markt und weiter auf das Verhalten jener, denen das Gold im weiteren Verlaufe zufließt, ausübt, beginnt erst mit ihrem Eintreten in seine Verfügungsgewalt. Hat er schon früher, in Erwartung künftiger Eingänge, Geldausgaben gemacht, und bleibt nachher der erwartete Ertrag aus, dann liegt die Sache so wie in allen anderen Fällen einer Kreditanspruchnahme, die auf Erwartungen begründet war, die sich dann als trügerisch erwiesen haben.

V. Das Hume-Mill'sche Problem und die Triebkraft des Geldes

Können Bedingungen gedacht werden, bei deren Zutreffen die Veränderungen der Kaufkraft des Geldes gleichzeitig, gleichmäßig und entsprechend dem Verhältnis der Veränderungen, die in der Geldnachfrage oder im Geldangebot eingetreten sind, erfolgen? Mit anderen Worten: Kann man den Begriff des neutralen Geldes auch in das Bild einer Wirtschaft hineindenken, die nicht dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft entspricht? Man kann diese durchaus berechtigte Frage als das Hume-Mill'sche Problem bezeichnen.

[376]

Dass weder Hume noch Mill die Frage befriedigend zu bejahen wussten, ist unbestritten. [182] Kann man sie verneinen?

Man kann das Problem auch in folgender Weise formulieren: Wir denken zwei unabhängige, in keiner Weise in Verbindung stehende Systeme gleichmäßiger Wirtschaft A und B . Die beiden Systeme sind nur darin verschieden, dass jedem Geldbetrag g im System A ein Geldbetrag ng im System B entspricht, wobei n größer oder kleiner sein kann als 1 ; wir nehmen dabei an, dass es keine Geldschulden gibt und dass das Geld dieser beiden Systeme nur den Gelddienst versieht und anderweitige Verwendung nicht zulässt. Dann werden sich die Geldpreise in den beiden Systemen wie 1:n verhalten. Ist es denkbar, dass das System A mit einem Schlage so verändert wird, dass es dem System B gleich wird?

Die Frage so stellen, heißt bereits, sie verneinen. Wer sie nicht verneinen wollte, müsste annehmen, dass ein deus ex machina zur gleichen Zeit zu jedem einzelnen Wirt tritt, seine Kassenhaltung um das n fache vermehrt oder vermindert und ihn darüber belehrt, dass er alle Preisdaten, die er in seinen Bewertungen und Berechnungen verwendet, mit n zu multiplizieren habe. Ohne Wunder könnte es da nicht abgehen.

Wir haben schon gesehen, wie im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft der Begriff des Geldes in ein substanzloses Rechenverfahren, das in sich selbst widerspruchsvoll ist, entschwindet. [183] Man kann indirekten Tausch, Tauschmittel und Geld in ein Gedankenbild, zu dessen Voraussetzungen Starrheit gehört, nicht einfügen. Die Kassenhaltung und damit der Geldgebrauch setzen eine sich verändernde Wirtschaft voraus; das Geld ist bereits ein Element der Veränderung, das sich mit dem Gleichmass jenes Gedankenbildes nicht verträgt.

Jede Veränderung des Geldangebots und jede Veränderung der Geldnachfrage beeinflusst den Besitzstand der einzelnen Wirte; manche Wirte werden reicher, manche ärmer. Auch wenn die Wirkungen einer Veränderung von Geldnachfrage oder Geldangebot durch ungefähr gleichzeitig auftretende entgegengesetzte Veränderungen von Geldangebot oder Geldnachfrage derart kompensiert werden, dass im endlichen Preisstand sich keine auffälligen Veränderungen der Preise ergeben, bleiben diese Wirkungen nicht aus. Jede Veränderung des Geldstandes nimmt ihren Weg für sich und übt ihren Einfluss [377] auf den Besitzstand. Wenn man auf eine Inflation eine Deflation folgen lässt, die die Preise ungefähr wieder in die Nähe der Preise bringt, die vor Auftreten der Inflation auf dem Markte gebildet worden waren, hat man die sozialen Wirkungen der Inflation nicht behoben oder rückgängig gemacht; man hat nur die sozialen Wirkungen der Deflation hinzugefügt.

Geld kann kein abstraktes Rechnungsmittel und kein Wert- oder Preismesser sein. Geld ist immer ein wirtschaftliches Gut und wird als solches von subjektiven Werturteilen erfasst. Auf dem Markte gibt es immer nur Veränderung und Bewegung, und nur weil es Veränderung und Bewegung gibt, gibt es auch Geld.

Das Geld ist ein Element der Veränderung nicht deshalb, weil es «umläuft», sondern weil es in den Kassen ruht. Denn nur weil es Veränderung gibt und über Art und Ausmaß der Veränderung Ungewissheit besteht, muss der Einzelne Kasse halten.

Wie das Geld nur in einer sich verändernden Wirtschaft Platz hat, so wird es durch die Veränderung eines jeden Datums in Schwung gesetzt und damit zur Triebkraft weiterer Veränderungen. Jede Verschiebung der Verhältnisse, die zwischen den Preisen der einzelnen Waren und Dienstleistungen untereinander bestehen, beeinflusst nicht nur die Produktion und das, was man als Verteilung bezeichnet; sie wird zugleich auch zu einer Quelle von Verschiebungen im Verhältnis von Geldnachfrage und Geldangebot und löst damit weitere Bewegungen aus. Nichts kann in der Sphäre der Waren und Dienste vorgehen, ohne auch die Geldsphäre zu affizieren, und alles, was die Geldsphäre berührt, muss auf die Warensphäre wirken.

Der Gedanke eines neutralen Geldes kann ebensowenig bis zu Ende gedacht werden wie der des Geldes von unveränderlichem Werte oder unveränderlicher Kaufkraft. Geld ohne Triebkraft wäre nicht etwa vollkommenes Geld, es wäre überhaupt nicht Geld.

Die Ausführungen vieler oder der meisten Geldtheoretiker durchzieht die Vorstellung, dass das vollkommene Geld neutral sein sollte, dass ein Geld umso besser sei, je weniger Triebkraft es entwickle und dass es ein Ziel der Geldpolitik sein müsste, ein Geld zu schaffen, dass sich möglichst dem Ideal des neutralen Geldes annähere. Diese unklare Vorstellung fließt dabei mit der ebenso unklaren Vorstellung eines Geldes von unveränderlicher Kaufkraft zusammen.

Der Ausgangspunkt aller dieser Ideen ist der Gedanke, dass Ruhe vollkommener sei als Bewegung, weil Ruhe durch die [378] Erreichung des Zieles, dem die Bewegung zustrebt, bedingt ist. Die Bewegung ist das unvollkommene und unvollendete, sie ist Unrast und Unausgeglichenheit, und das Beste, das man von ihr sagen kann, ist, dass sie auf Überwindung der ihr anhaftenden Unzulänglichkeit durch Erreichung der Ruhe und des Gleichgewichts gerichtet ist. Wenn solche Gedanken nichts anderes ausdrücken sollen als das, dass alles Handeln auf die Abstellung von Unbefriedigtsein gerichtet ist, und dass mit Erreichung des Zieles das Handeln aufhört, sind sie unanfechtbar. Doch man darf nicht vergessen, dass Ruhe und Gleichgewicht nicht nur dann herrschen, wenn vollkommenes Glück den Menschen wunschlos gemacht hat, sondern auch dann, wenn er keinen Weg offen sieht, um empfundenes Unbefriedigtsein zu beheben. Die Abwesenheit von Handeln ist nicht nur ein Korrelat erreichter Vollbefriedigung, sie ist ebenso ein Korrelat vollkommenen Unvermögens, die Lage irgendwie zu verbessern; sie kann ebenso Wunschlosigkeit als auch Hoffnungslosigkeit bedeuten.

In der gegebenen Welt des Handelns und der unaufhörlichen Veränderung, in der Welt die nicht starr sein kann, weil sie lebt, kann es Neutralität, wie man sie vom Gelde verlangt, ebensowenig geben wie Stabilität der Austauschverhältnisse. Eine Welt, in der die Bedingungen, die neutrales Geld und starre Austauschverhältnisse voraussetzen, gegeben wären, wäre eine Welt, in der nicht gehandelt wird.

Man kann mithin nichts Absonderliches in dem Tatbestand erblicken, dass das Geld weder neutral noch stabil ist, und man muss alle Bestrebungen, die darauf abzielen, das Geld neutral und wertstabil zu machen, als widerspruchsvoll ablehnen. Wir haben einfach festzustellen: Veränderungen im Verhältnis von Geldnachfrage und Geldangebot führen zu Veränderungen in den zwischen dem Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern und Diensten bestehenden Austauschverhältnissen. Diese Veränderungen vollziehen sich nicht gleichzeitig und nicht gleichmäßig gegenüber den einzelnen Waren und Diensten. Sie verschieben den Besitzstand der einzelnen Wirte. Der neue endliche Ruhezustand, der sich nach Ablauf aller durch eine solche Veränderung ausgelösten Bewegungen einstellen würde, ist von dem vorher bestandenen nicht bloß dadurch verschieden, dass die Kassenhaltung und die absolute Höhe der Geldpreise anders sind; die Geldpreise der einzelnen Güter und Dienstleistungen stehen untereinander nicht mehr in dem gleichen Verhältnisse, in dem sie früher gestanden sind.

[379]

VI. Veränderungen der Kaufkraft von der Geldseite her und von der Warenseite her

Änderungen in den zwischen dem Gelde und den Waren bestehenden Austauschverhältnissen können sowohl von der Geldseite als auch von der Warenseite her erfolgen. Die Datenänderung, die sie auslöst, kann entweder in der Nachfrage oder im Angebot von Geld oder in der Nachfrage oder im Angebot von Waren aufgetreten sein.

Jede Veränderung in der Kassenhaltung eines der am Marktverkehr teilnehmenden Wirte wirkt auf dem Markte als Erhöhung oder Minderung der Nachfrage oder als Minderung oder Erhöhung des Angebots und löst den Ablauf des Kaufkraftänderungsprozesses aus. Die einzelne Veränderung mag unter Umständen so klein sein, dass ihre Auswirkung auf dem Markte von einem nicht allwissenden Beobachter ebensowenig wahrgenommen werden kann wie die Gewichtszunahme, die ein beladener Eisenbahnwagen dadurch erfährt, dass ein Staubkörnchen auf ihn niederfällt. Es mag unter Umständen sein, dass die Wirkungen, die von den einzelnen Veränderungen ausgehen, ungefähr im gleichen Masse nach den entgegengesetzten Richtungen streben, so dass im Endergebnis, wenn alle Bewegungen aufhören und die Preise einen neuen endlichen Ruhezustand erreichen würden, diese nicht beträchtlich geändert erscheinen würden. Vollkommene Wiederherstellung der früher bestandenen Preisverhältnisse darf man auch in diesem Falle nicht annehmen. Das Wirtschaftsgefüge nach Ablauf der Bewegungen und Veränderungen gleicht nicht mehr dem Gefüge, wie es vorher war. Diesem neuen Zustand müssen auch andere Preise entsprechen.

Die Veränderungen der Kaufkraft des Geldes, die von der Warenseite den Ausgang nehmen, können immer nur das Angebot der Waren und Dienste betreffen oder die Nachfrage nach einzelnen Waren und Diensten. Eine allgemeine Steigerung oder Senkung der Nachfrage nach allen Waren und Diensten oder nach der überwiegenden Menge von Waren und Diensten kann nur von der Geldseite ausgehen.

Wir wollen die Wirkung der Kaufkraftveränderungen nun unter folgenden drei Annahmen betrachten: a ) dass das Geld nur Gelddienst verrichtet und keiner anderweitigen Verwendung zugeführt werden kann; b ) dass es nur Tausch zwischen Gegenwartsgütern gibt und keinen zwischen gegenwärtigen und künftigen Gütern; c ) dass wir von den Wirkungen der Veränderungen der Kaufkraft auf die Geldrechnung absehen dürfen.

[380]

Unter diesen Voraussetzungen bringen Veränderungen der Kaufkraft, die von der Geldseite her wirken, zunächst nur Verschiebungen in den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der einzelnen Wirte hervor. Einzelne werden reicher, andere werden ärmer; einzelne werden besser versorgt sein, andere schlechter; was die einen gewinnen, haben die anderen verloren. Es wäre unzulässig, diesen Tatbestand in der Weise auszudrücken, dass man erklärt, die Gesamtversorgung und die Gesamtbefriedigung sind unverändert geblieben, oder: bei ungeänderter Gesamtversorgung ist — durch Änderung der Verteilung der Güter — die Gesamtbefriedigung und die Summe von Glück erhöht oder vermindert worden. Gesamtversorgung und Gesamtbefriedigung sind Begriffe, deren Anwendung auf die Probleme der Marktwirtschaft nicht zulässig ist; man kann die Versorgung der einzelnen Wirte nicht addieren, man kann Befriedigung und Glück verschiedener Menschen nicht mit objektiven Mitteln messen und vergleichen.

Mittelbar kann die Veränderung der Kaufkraft von der Geldseite her noch weitere Wirkungen auslösen. Die Verschiebung der Einkommen und Vermögen kann zur Neubildung oder zur Aufzehrung von Kapital führen; ob und in welchem Sinne diese sekundären Folgen eintreten, hängt von den Daten des einzelnen Falles ab.

Veränderungen der Kaufkraft von der Warenseite sind unter Umständen nichts weiter als die Folge von Verschiebungen der Nachfrage von einem oder einigen Gütern zu einem oder zu mehreren anderen Gütern. Treten sie von der Seite des Angebots auf, dann bedeuten sie nicht nur eine Verschiebung von Vermögen und Einkommen von einen oder von mehreren Wirten zu anderen Wirten. Da gilt nicht, dass der eine nur gewinnen kann, was andere verloren haben. Wenn Vermehrung oder Verminderung der Summe der allen Marktgenossen zur Verfügung stehenden Menge eines oder mehrerer Güter im Spiel ist, dann können manche oder alle gewonnen haben, wo niemand verloren hat, oder umgekehrt manche oder alle verloren haben, wo niemand gewonnen hat. Veränderungen der Kaufkraft, die von der Seite des Warenangebots ausgehen, bedeuten nicht nur eine Verschiebung zwischen den einzelnen Wirten; sie bedeuten immer zugleich auch für einige oder für alle Wirte Zuwachs oder Einbusse an Befriedigung, die nicht zu Lasten oder zu Gunsten anderer Wirte geht.

Man kann diese Einsicht auch folgendermaßen ausdrücken: Wir denken uns als A und B zwei unabhängige, in keiner Weise in Verbindung stehende Systeme, die ein Geld verwenden, das nur den Gelddienst versieht und keine andere Verwendung [381] zulässt. Wir nehmen nun einmal (Fall 1) an, dass die beiden Systeme sich vollkommen bis auf den einen Punkt gleichen, dass in B der Geldvorrat das n fache des Geldvorrats in A in der Weise ausmacht, dass jedem Geldbetrag g und jeder Geldforderung f in A ein Geldbetrag von ng und eine Geldforderung nf in B entspricht. Wir nehmen dann wieder (Fall 2) an, dass die beiden Systeme sich vollkommen bis auf den einen Punkt gleichen, dass in B der Gesamtvorrat einer Ware p das n fache des Gesamtvorrats dieser Ware in A in der Weise ausmacht, dass jedem Vorrat v von p in A ein Vorrat von nv ,in B entspricht. In beiden Fällen sei n größer als 1. Stellen wir dann an jeden einzelnen Wirt des Systems A die Frage, ob er bereit wäre, auch nur das kleinste Opfer zu bringen, um seine Stelle gegen die entsprechende Stelle im System B einzutauschen, so wird im Fall 1 die Antwort einhellig nein lauten, wogegen im Fall 2 alle Eigentümer der Vorräte von p und alle Wirte, die keine Vorräte von p besitzen, jedoch solche zu erwerben wünschen, mindestens also ein Wirt bejahend antworten werden.

Da der Dienst des Geldes durch seinen Tauschwert gegeben ist, da niemand eine bestimmte Anzahl von Geldstücken oder eine bestimmte Gewichtsmenge von Geld in seiner Kasse haben will, sondern eine Geldsumme eines bestimmten Tauschwertes, ist der Dienst, den das Geld dem Einzelnen wie dem gesamten Marktgefüge leistet, stets vollkommen und kann weder durch Vermehrung der Geldmenge verbessert, noch durch ihre Verringerung verschlechtert werden. Die Veränderungen der Kaufkraft der Geldeinheit bringen Verschiebungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen hervor, um derentwillen manche eine Politik treiben wollen, die solche Veränderungen hervorruft; vom Standpunkte dieser Wünsche kann man die Geldmenge als unzureichend oder als übermäßig groß bezeichnen. Doch, davon abgesehen, ist die vollkommene Erfüllung des Tauschmitteldienstes von der Größe der Geldmenge unabhängig. Es gibt wohl in der Kasse der Einzelnen mitunter zu viel oder zu wenig Geld, doch das Gesamtgefüge der Marktwirtschaft leidet nie darunter, dass unzureichende Versorgung mit Geld ihm etwas von den Vorteilen nehmen würde, die der Geldgebrauch gewährt; Vermehrung der Geldmenge kann nie die Dienste, die das Geld leistet, erhöhen. Die Nutzwirkung, die vom Gelde ausgeht, ist von der Geldmenge unabhängig. Veränderungen in der Geldmenge können die Vorteile, die der indirekte Tausch und der Geldgebrauch bringen, weder für den Einzelnen noch für die Gesamtheit verändern.

Von diesem Standpunkt betrachtet, ist der Aufwand, der für die Vermehrung der Geldmenge gemacht wird, verlorener [382] Aufwand. Dass Dinge, die auch anderweitig Nutzen stiften könnten, als Geld verwendet und damit anderen Diensten entzogen werden, erscheint als unnütze Minderung begrenzter Befriedigungsmöglichkeiten. Doch Betrachtungen dieser Art können dem Handeln nicht die Wege weisen. Dem Einzelnen ist es gleich, ob durch Handeln, das ihm nützt, auch anderen genützt wird, oder ob sein Vorteil durch den Verlust anderer bedingt ist. Für die Regierung aber könnte, da es nun einmal weder neutrales noch wertstabiles Geld geben kann, die Frage nur so gestellt werden, ob sie diese oder jene Gruppe von Wirten begünstigen oder benachteiligen will.

Man kann, wie Adam Smith und Ricardo und nach ihnen viele Mindergrosse, der Meinung sein, dass es — vom Standpunkt der Allgemeinheit gesehen — sehr zweckmäßig war und ist, die Kosten der Geldherstellung dadurch beträchtlich herabzusetzen, dass man das aus Edelmetall bestehende Sachgeld durch papierenes Kreditgeld und Zeichengeld ersetzt. Doch wenn man die Währungsgeschichte der Zeit, die verstrichen ist, seit diese beiden Meister ihre Schriften veröffentlicht haben betrachtet, wenn man an die mittelbaren und unmittelbaren Folgen der großen Inflationen denkt, dann mag man in dem Aufwand, den die Goldproduktion erfordert, das kleinere Übel erblicken. Man darf sich nicht etwa darauf berufen, es hätte nur der Missbrauch der Geldschöpfungsmöglichkeiten, die Kreditgeld und Zeichengeld in die Hand der Regierungen legen zu den Ergebnissen geführt, die man allgemein als ungünstig ansieht. Da die Geldtheorie nicht imstande ist, eine bestimmte Währungspolitik als richtig und jede andere als verfehlt zu bezeichnen, da die Wahl zwischen den verschiedenen Alternativen, die der Geldschöpfungspolitik offen stehen, von politischen Werturteilen abhängt, kann es nie etwas geben, was man ohne Bezug auf subjektive Werturteile gute, ideale oder richtige Geldpolitik nennen könnte.

Die Wahl des als Tauschmittel zu verwendenden Gutes ist nie gleichgültig; sie entscheidet über die von der Geldseite ausgehenden Veränderungen der Kaufkraft. Da das Geld weder neutral noch wertstabil sein kann, gibt es da nur zwei Möglichkeiten: entweder man lässt den Markt — die auf dem Markte tauschenden Wirte — die Entscheidung treffen; auf diese Weise sind nach langem Ausleseverfahren schließlich die beiden Edelmetalle Gold und Silber in die Geldstellung eingerückt. Oder aber man sucht durch staatliche Maßnahmen die Entscheidung der Marktparteien zu einer bestimmten Wahl zu lenken, wie es seit zweihundert Jahren alle Staaten versucht [383] haben. Das aber bedeutet staatliche Währungspolitik, die immer nur hier begünstigen, dort benachteiligen, nie aber alle oder das allgemeine Beste fördern kann.

VII. Kaufkraftänderungen und Geldrechnung

Die Geldrechnung arbeitet mit Warenpreisen, die auf dem Markte erzielt wurden, hätten erzielt werden können oder voraussichtlich einmal zu erzielen sein werden. Sie sucht die Unterschiede dieser Preise zu ermitteln und daraus ihre Schlüsse zu ziehen.

Veränderungen der Kaufkraft des Geldes kann die Geldrechnung nicht beachten. Es ist möglich, eine Geldrechnung, die in einer Geldart ( a ) geführt wird, durch die Rechnung in einer anderen Geldart ( b ) zu ersetzen, und so die Ergebnisse der Rechnung gegen die Einflüsse zu feien, die von den Bewegungen der Kaufkraft von a ausgehen. Damit wird das Ergebnis den Einflüssen, die von den Bewegungen der Kaufkraft von b ausgehen, unterworfen. Geldrechnung, die durch derartige Einflüsse nicht berührt wird, kann es nicht geben.

Alle Ergebnisse der Rechnung und alle Schlüsse, die auf ihnen aufgebaut werden, sind durch die Gestaltung der von der Geldseite her wirkenden Veränderungen der Kaufkraft des Geldes bedingt. Je nachdem, ob die Kaufkraft des Geldes sinkt oder steigt, entstehen zwischen den Ansätzen, die auf früheren Preisen aufgebaut sind, und den Ansätzen, die auf späteren Preisen aufgebaut sind, besondere Unterschiede; die Rechnung zeigt Gewinne oder Verluste, die nur die Folge der Veränderung der Kaufkraft sind. Wenn man diese Gewinne und Verluste mit den Ergebnissen einer in einer andern Geldart, deren Kaufkraft sieh weniger heftig verändert hat, geführten Rechnung vergleicht, dann kann man sie als Scheingewinne oder Scheinverluste bezeichnen. Man hat aber darauf zu achten, dass diese Ausdrucksweise immer nur das Ergebnis des Vergleichs von zwei in verschiedenen Geldarten geführten Rechnungen ist. Da es kein «wertstabiles» Geld gibt, da jedes denkbare Geld Veränderungen der Kaufkraft erleidet, da mithin bei jedem Geld derartige nur durch die Bewegungen seiner Kaufkraft ausgelösten Gewinne oder Verluste auftreten, vermag man Gewinne oder Verluste nie absolut in echte und scheinbare zu unterscheiden.

Man kann daher sagen, die Geldrechnung sei unvollkommen. Doch niemand ist imstande, anzugeben, wie man diese [384] Unvollkommenheit beheben könnte, oder wie ein Geld beschaffen sein müsste, das die Geldrechnung von diesen Mängeln befreien könnte.

Es ist den Menschen gelungen, ein Geldwesen zu schaffen, das für alle Aufgaben des indirekten Tausches brauchbar ist und die Grundlage einer Wirtschaftsrechnung zu bieten vermag, die den Aufgaben, die sie im Leben zu erfüllen hat, gerecht wird. Diese Aufgaben sind derartig, dass ihre Lösung durch die Ungenauigkeiten, die aus langsam vorsichgehenden Veränderungen der Kaufkraft der Geldeinheit entspringen, nicht gestört wird. Wenn der Unternehmer errechnen will, ob die Preise, die für die komplementären Produktionsmittel heute auf dem Markte verlangt werden, im Hinblick auf die von ihm erwarteten künftigen Preise der Produkte so niedrig sind, dass die Produktion Rentabilität verspricht, können Kaufkraftänderungen, wie sie beim metallischen Sachgeld und insbesondere beim Goldgeld in den letzten Jahrhunderten vor sich gegangen sind, die Ergebnisse der Rechnung nicht so beeinflussen, dass sie für das Handeln unbrauchbar werden.

Die geschichtliche Erfahrung hat gezeigt, dass man mit diesem Verfahren für alle praktischen Zwecke das Auslangen finden kann. Und die Theorie zeigt, dass man kein besseres Verfahren ersinnen, geschweige denn verwirklichen könnte. Gegenüber diesen Tatsachen hat es keinen Sinn, von Unvollkommenheit zu sprechen. Die Welt ist, wie sie ist. Der handelnde Mensch hat sich ihr anzupassen.

Die Wirte haben nie das Bedürfnis empfunden, die Geldrechnung in Gold von ihrer Abhängigkeit von den Schwankungen der Kaufkraft zu befreien. Die Vorschläge, die Geldverfassung durch eine Indexwährung zu verbessern, sind nicht im Hinblick auf Unzulänglichkeiten der Geldrechnung gemacht worden, sondern im Hinblick auf den Gebrauch des Geldes in Schuldverträgen, vor allem in langfristigen Schuldverträgen. Die Praxis des rechnenden Unternehmers hat es nicht einmal für zweckmäßig erachtet, an der Goldrechnung die Modifikationen vorzunehmen, die man ohne jede Schwierigkeit an ihr vornehmen könnte, um die Gefahr der Verfälschung ihrer Ergebnisse durch die Veränderungen der Kaufkraft herabzumindern. Man hätte z. B. dazu übergehen können, die Abschreibungen von den seinerzeitigen Anschaffungswerten durch die Auffüllung von Erneuerungskonten zu ersetzen, die den voraussichtlichen Wiederanschaffungskosten entsprechen und die man mit der Veränderung dieser Kosten verändern kann. Dass man es unterlässt, zeigt, dass die Praxis mit der Leistungsfähigkeit der Goldrechnung nicht unzufrieden ist.

[385]

Ein heftigen, in einer Richtung vorsichgehenden Veränderungen der Kaufkraft unterliegendes Geld wird nicht nur für die Geldrechnung unbrauchbar, sondern für den Gelddienst überhaupt. [184]

VIII. Das Geld im Kreditverkehr

Jeder Akt gesellschaftlichen Tausches, in dem zwischen dem Abschluss und der Leistung beider oder mindestens des einen Teils ein größerer oder kleinerer Zeitraum liegt, wird durch Veränderungen der Preisgestaltung betroffen, die sich in der Zwischenzeit vollziehen können. Jeder derartige Tausch trägt mithin auch schon im Hinblick auf diesen Umstand Spekulationscharakter. Es kann geschehen, dass die Preisgestaltung anders abläuft, als die Parteien es erwartet haben; die Spekulation kann gelingen oder fehlschlagen.

Lieferungs- und Termingeschäfte über Waren und Wertpapiere werden daher allgemein als Unternehmen betrachtet, deren Ausgang und Erfolg im Ungewissen liegt. Wer Waren oder Wertpapiere gegen künftige Lieferung kauft oder verkauft, weiß, dass er eine Spekulation eingeht. Nur wer Geldforderungen, die erst nach längerer Zeit fällig werden, erwirbt oder Geldschulden macht, die erst nach längerer Zeit fällig werden, ist sich des Spekulationscharakters seines Handelns nicht immer bewusst. Im kurzfristigen Kreditverkehr werden die erwarteten Veränderungen vorweggenommen, indem sie im Bruttozins berücksichtigt werden. Für den langfristigen Kreditverkehr, für die Anleihen, die auf dem Kapitalmarkt (im Unterschied vom Geldmarkt) gegeben und genommen werden, hat die Vorstellung einer vermeintlichen Wertstabilität des Geldes lange über den wahren Charakter des Geschäfts Unklarheit walten lassen.

IX. Der Einfluss erwarteter Kaufkraftänderungen auf die Gestaltung der Kaufkraft

Geldnachfrage und Geldangebot werden unter Zugrundelegung der Preise von gestern gebildet. Die Kaufkraft des jüngstverflossenen Augenblicks ist der Ausgangspunkt für die Urteile, die die Marktparteien sich über die angemessene Größe ihrer Kassenhaltung und über die Preise, die sie bewilligen und die sie fordern wollen, bilden. Hätten sie nicht die Möglichkeit, in dieser Weise an Preise der Vergangenheit anzuknüpfen, so [386] wüssten sie nicht, wie sie sich dem Gelde gegenüber zu verhalten haben. Ein Tauschmittel oder ein Geld ohne Vergangenheit kann es nicht geben. Die Einführung eines Gutes in den Tauschmittel- und Gelddienst setzt voraus, dass es schon vorher wirtschaftliches Gut war und Tauschwert hatte.

Doch die überkommene Kaufkraft des Geldes wird durch Geldnachfrage und Geldangebot von heute umgestaltet. Wie alles menschliche Handeln immer auf die Zukunft gerichtet ist, mag es auch meist oder oft auch nur die Zukunft des nächsten Augenblicks sein, so ist auch das Handeln in Bezug auf das Geld auf die Zukunft gerichtet. In diesem Sinne kann man sagen, dass der Tauschwert des Geldes die Vorwegnahme seiner künftigen Kaufkraft ist. [185]

Wer kauft, kauft für künftigen Gebrauch oder Verbrauch, mag er auch dabei in der Regel von der Annahme ausgehen, dass die Zukunft sich von der Vergangenheit überhaupt nicht oder nur wenig unterscheiden werde. Doch wenn und soweit er zu wissen meint, dass die Zukunft sich von der Vergangenheit unterscheiden wird, wird er sich auf sie einstellen und sich durch die Erinnerung an eine anders geartete Vergangenheit nicht beirren lassen. Das gilt wie vom Handeln in Bezug auf die übrigen wirtschaftlichen Güter so auch vom Handeln in Bezug auf das Geld.

Das Urteil über die Größe der angemessen erscheinenden Kassenhaltung kann der Einzelne nur auf Grund der Kaufkraft der Vergangenheit bilden. Es gibt keinen anderen Ausgangspunkt für sein Denken über die Bedeutung eines Geldbetrages, [387] und es kann keinen anderen geben. Doch für die Entscheidung über die Höhe der Kassenhaltung wird immer auch noch ein zweiter Gesichtspunkt in Betracht gezogen: die Meinung über die voraussichtliche Gestaltung der Preise in der Zukunft. Das schwächt die Bedeutung der überkommenen Kaufkraft für die Bildung der Kaufkraft der allernächsten Zukunft und für den Umfang der Kassenhaltung nicht ab. Denn auch alle Urteile über die voraussichtliche Kaufkraft der Zukunft müssen auf dem Wissen über die Kaufkraft der jüngstverflossenen Vergangenheit aufgebaut werden.

Wer meint, dass die Preise steigen werden, wird mehr kaufen, als er sonst getan hätte, und daher bereit sein, die Kassenhaltung zu verringern. Wer meint, dass die Preise fallen werden, wird im Einkauf zurückhalten und daher bereit sein, die Kassenhaltung zu vergrößern. Solange die Meinung über voraussichtliche Preisveränderungen nur einzelne Waren betrifft, wird durch die Veränderungen der Kassenhaltung, die aus ihrer Berücksichtigung erfolgt, sich nichts anderes ergeben als Vorwegnahme der erwarteten Preisveränderungen. Anders liegen die Dinge, wenn die Meinung eine allgemeine Verschiebung der Preise aller Kaufgüter gegenüber dem Gelde betrifft.

Wird allgemein Preisfall aller Güter gegenüber dem Gelde erwartet, dann wird die Zurückhaltung der Wirte die Abwärtsbewegung der Preise beschleunigen; wird umgekehrt allgemein Preissteigerung aller Güter gegenüber dem Geld erwartet, dann wird die gesteigerte Kauflust der Wirte die Aufwärtsbewegung der Preise beschleunigen. Das wird so lange fortgehen, bis der Punkt erreicht ist, über den hinaus weitere allgemeine Preisveränderung nach unten oder nach oben hin nicht mehr vermutet wird; die Kauflust wird dann wieder angeregt oder herabgemindert.

Wenn sich aber einmal die Auffassung gebildet hat, dass die Vermehrung der Geldmenge ohne absehbares Ende in großem Umfange weiterschreiten wird und dass demgemäss auch die Geldpreise aller Waren und Dienstleistungen unaufhaltsam steigen werden, dann wird es das Bestreben der Wirte sein, so viel als möglich zu kaufen und die Kassenhaltung auf ein sehr geringes Maß herabzusetzen. Denn mit dem Halten von Kasse sind unter solchen Umständen nicht nur die Kosten verbunden, die man als Zins bezeichnet, sondern darüber hinaus sehr beträchtliche Verluste durch den Rückgang der Kaufkraft. Die Vorteile der Haltung eines Kassenstandes müssen durch Opfer erkauft werden, die so hoch erscheinen, dass man seinen Umfang mehr und mehr einschränkt. Das ist die Erscheinung, die man in den großen Inflationen der Nachkriegszeit als [388] «Flucht in die Sachwerte» und als «Katastrophenhausse» bezeichnet hat. Die mathematisch-mechanistische Lehre ist nicht imstande, den Kausalzusammenhang zu erfassen, der hier zwischen der Vermehrung der Geldmenge und der «Beschleunigung der Umlaufsgeschwindigkeit» besteht.

Nun ergibt sich folgendes: das allgemeine Verlangen nach Waren und nach Herabminderung der Kassenbestände treibt die Preise in die Höhe; die Wirkung der Geldmengenerhöhung auf die Preise wird durch die Herabsetzung des Geldbedarfs noch verstärkt. Betrachten wir an Hand von Umrechnungen des Binnengeldes in ein nicht unter dem Druck einer schnell fortschreitenden Inflation stehendes Geld des Auslandes Preise, Kassenhaltung und Gesamtgeldmenge im Wirtschaftsgefüge, in dem die Meinung besteht, dass die Inflation unaufhaltsam fortschreiten werde, dann kann man feststellen, dass die Kassenhaltung der Einzelnen und der Wert der Gesamtgeldmenge (in Auslandsgeld ausgedrückt) beständig fallen, je mehr die Gesamtgeldmenge (in Binnengeld ausgedrückt) zunimmt. Es kommt schließlich dazu, dass alle Umsätze in Binnengeld aufhören, da die Preise, zu denen sich die Besitzer von ihren Waren zu trennen bereit wären, so stark die erwartete weitere Geldentwertung vorwegnehmen, dass niemand sie zu bezahlen vermag, weil niemandem so große Beträge zur Verfügung stehen. Es ergibt sich dann, dass das Geld technisch nicht mehr dem Tauschmitteldienst gewachsen ist; das Geldwesen muss versagen. Das Ende der Währungspanik ist die vollkommene Entwertung des Geldes. Man geht zum Tauschhandel über oder zum Gebrauch eines neuen Geldes.

Der Gang einer fortschreitenden Senkung der Kaufkraft des Geldes stellt sich demnach folgendermaßen dar: Die zusätzliche Geldmenge, die als neues Angebot auf den Markt tritt, treibt Preise und Löhne in die Höhe. Doch diese Preisbewegung ist, wie schon ausgeführt wurde, nicht gleichmäßig und gleichzeitig. Es steigen zunächst nur die Preise einiger Waren und nur nach und nach auch die der übrigen Waren. Es gibt eine Zeitspanne (time lag) zwischen dem Auftreten der Preissteigerung bei den einzelnen Waren. (Da von der Preissteigerung in Ländern, die ein vom Auslandsgeld verschiedenes Binnengeld gebrauchen, zuerst die Preise des Auslandsgelds und die Preise der aus dem Ausland eingeführten Waren steigen, ergibt sich die Spannung zwischen den inländischen und den ausländischen Preisen, die die vielberufene einfuhrhemmende und ausfuhrfördernde Wirkung der Geldentwertung erklärt.) Solange dieser Prozess noch im Gange ist, kann man davon sprechen, dass es Preise gibt, die sich den durch die neue Lage des [389] Angebots an Geld geschaffenen Verhältnissen noch nicht angepasst haben; es gibt Preise, die noch nicht gestiegen sind, aber später werden steigen müssen. Doch dann kommt es zum Umschlag. Die Katastrophenhausse lässt alle Preise über alles Maß steigen, weil man die künftigen Preissteigerungen vorwegnehmen will, weil man in jeder Kassenhaltung eine Verlustgefahr sieht und jede andere Ware — auch als Tauschmittel dem alten Gelde vorzieht. Es ist nicht etwa ein Prozess, der zur Entwährung des Geldes führt; es ist schon selbst die Abziehung der Tauschmitteleigenschaft von einem Ding und ihre Übertragung auf andere.

Wenn ein Gut Geld bleiben soll, darf die öffentliche Meinung nicht glauben, dass mit einer schnellen und unaufhaltsamen Vermehrung seiner Menge zu rechnen ist. [186]

X. Der spezifische Geldwert und der Gelddienst

Soweit das als Tauschmittel verwendete wirtschaftliche Gut nicht wegen des Tauschmitteldienstes, sondern wegen seiner anderweitigen Gebrauchsmöglichkeiten geschätzt und begehrt wird, liegt keine Erscheinung vor, die nach einer besonderen Erklärung verlangen würde. Die Lehre vom Gelde und vom Geldwert hat hier nichts zu bemerken. Ihre Aufgabe ist allein die Beschäftigung mit jenem Teil der Schätzung des Geldes und der Nachfrage nach Geld, der auf dem Tauschmitteldienst beruht.

Als Tauschmittel wurden einst wirtschaftliche Güter verschiedener Art (Sachgeld) verwendet. Eine lange Entwicklung hat schließlich dazu geführt, dass nur noch die Edelmetalle Gold und Silber im Tauschmitteldienst verblieben; in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts begann man auch das Silber Schritt für Schritt aus dem Gelddienst zu drängen.

Jünger als Sachgeld ist notwendigerweise das Kreditgeld. Auf Geld lautende Forderungen, die jederzeit fällig waren und gegen deren Sicherheit kein Bedenken bestand, waren im Verkehr als Geldsurrogate wie Geld verwendet worden. (Von [390] diesen Geldsurrogaten wird noch eingehend zu sprechen sein.) Sie blieben im Verkehr und wurden als Tauschmittel weiter verwendet, auch nachdem ihre Einlösbarkeit hinausgeschoben worden war und damit vielleicht auch Zweifel über die Güte des Schuldners und der Forderung entstanden waren. Als jederzeit fällige und ohne Kosten einziehbare Forderungen gegen einen Schuldner, über dessen Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit keine Bedenken gehegt wurden, waren sie dem Geldbetrage, auf den sie lauteten, gleich geschätzt worden und konnten so als Surrogat für diesen Betrag verwendet werden. Durch die Aufhebung ihrer sofortigen Einlösbarkeit, durch die Hinausschiebung der Fälligkeit auf unbestimmte Zeit und durch die dadurch hervorgerufene Unsicherheit über die Kreditwürdigkeit des Schuldners verloren diese Forderungen einen Teil des Wertes, den man ihnen früher als Forderungen beigelegt hatte. Weil sie aber als Tauschmittel verwendet und begehrt wurden, sank ihr Wert nicht so tief, wie es ihrer bloßen Eigenschaft als unverzinsliche Forderungen, deren Fälligkeitstag unbekannt war, gegen einen nicht als durchaus zahlungsfähig und zahlungswillig angesehenen Schuldner entsprochen hätte. Wie das Gold als Metall mit mannigfacher industrieller Verwendbarkeit und als Tauschmittel gewertet wurde, so wurden sie als Forderungen und als Tauschmittel gewertet. Und so wie das Gold wohl auch dann den Tauschmitteldienst weiter versehen könnte, wenn man ganz aufhören würde, es für andere Zwecke zu begehren, so könnten auch diese Forderungen im Tauschmitteldienst verbleiben, wenn sie durch Fortfallen der Hoffnung, dass der Schuldner sie einmal einlösen würde, aufgehört hätten, Forderungen zu sein. Sie wären dann nichts mehr als Zeichen; sie wären nicht mehr Kreditgeld, sondern Zeichengeld. Ob es solches Zeichengeld je gegeben hat oder gegenwärtig gibt, ist eine Frage, die nicht die Theorie, sondern die Geschichte zu beantworten hat. Die grundsätzliche Möglichkeit von Zeichengeld kann nicht bestritten werden. Dass Kreditgeld und Zeichengeld die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes in die Hand der Regierung legen und damit zu einem Spielball der Politik machen, hat das Sachgeld — d.h. heute das Gold — im geschichtlichen Ablauf überlegen erscheinen lassen. Doch auch das gehört durchaus in das Gebiet der Geldgeschichte und Geldpolitik.

Die Theorie hat sich allein mit dem spezifischen Geldwert zu befassen, d.h. mit jener Komponente der Kaufkraft der Geldeinheit, die auf dem Tauschmitteldienst beruht.

Das Halten eines Kassenbestandes legt dem Wirt Opfer auf. Um den Betrag der Kassenhaltung vermindert sich die [391] Menge von Genussgütern, die er für den sofortigen Gebrauch oder Verbrauch erwerben könnte, oder die Menge der Produktivgüter, die er sofort in den Dienst der Versorgung mit künftigen Gütern einstellen könnte. In der entwickelten Marktwirtschaft finden diese Kosten ihren Ausdruck in Zinsentgang; der Einzelne könnte, wenn er auf Kassenhaltung ganz verzichten wollte, den Betrag fruchtbringend anlegen. Dass er sich dazu entschließt, auf diesen Ertrag zu verzichten, zeigt, dass er die Vorteile der Kassenhaltung höher schätzt als den Zinsentgang.

Man kann die Vorteile, die der Einzelne aus der Haltung eines Vorrates von Tauschmitteln zu ziehen vermeint, einer eingehenden Prüfung unterziehen. Man kann zeigen, wie der indirekte Tausch dem direkten Tausch überlegen ist. Man kann ferner zeigen, wie in der auf Geldgebrauch aufgebauten Marktwirtschaft die Verfügung über das marktgängigste Gut, das allgemein gebräuchliche Tauschmittel, das Geld, die Möglichkeit bietet, die Bedürfnisse schneller und billiger zu decken als es ohne Verfügung über einen entsprechenden Kassenbestand möglich wäre. Man kann, mit einem Worte, die Beweggründe darlegen, die für den Entschluss, einen Kassenvorrat bestimmter Höhe zu halten, maßgebend sind.

Man geht aber fehl, wenn man glaubt, es könnte gelingen, auf der Erkenntnis aller Beweggründe, die den Einzelnen zur Haltung eines Kassenbestandes bewegen können, unmittelbar eine Theorie der Kaufkraft des Geldes aufzubauen, die ohne die Begriffe Kassenhaltung, Geldbedarf und Geldnachfrage das Auslangen finden könnte. [187] Die Vorteile, die das Halten von Kasse bietet, werden vom Einzelnen mit den Kosten, die daraus erwachsen, verglichen, und das Ergebnis dieser Abschätzung von Vorteil und Nachteil ist das Handeln, das einen bestimmten Kassenstand bildet. Diese Abschätzung ist geradeso subjektiv wie alle Schätzungen, die die Einzelnen zum Handeln führen. Unter denselben objektiven Voraussetzungen gelangen verschiedene Menschen oder dieselben Menschen zu verschiedenen Zeiten zu verschiedenem Handeln. Sowenig man aus der Kenntnis der Vermögenslage eines Einzelnen und seines physiologischen Bedarfes an Kalorien dazu gelangen kann, im Voraus zu wissen, wie viel er bereit sein wird, für Nahrungsmittel einer bestimmten Qualität aufzuwenden, sowenig kann man aus der Kenntnis irgendwelcher, die wirtschaftliche Lage eines Einzelnen umschreibenden Daten die Höhe der Kassenhaltung, die er für angemessen hält, errechnen.

[392]

XI. Die Geldsurrogate: Geldzertifikate und Umlaufsmittel

Geldforderungen, die sofort fällig sind und über deren Sicherheit kein Zweifel obwaltet, versehen im Kassenbestande des Einzelnen den gleichen Dienst, den Geld leistet, wenn ihre entscheidenden Eigenschaften - sofortige Fälligkeit der Forderung und Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Schuldners — auch allen Marktparteien, mit denen er Tauschakte vorzunehmen in die Lage kommen könnte, bekannt sind. Man kann diese Forderungen daher als Geldsurrogate ansehen, da sie den Geldbedarf des Einzelnen wie Geld befriedigen. Es ist dabei unwesentlich, ob das Geldsurrogat verkörpert erscheint in einer Banknote, in einem Kassenführungsguthaben bei einer Bank, über das mit Scheck oder sonstwie jederzeit verfügt werden kann, oder in einer Scheidemünze, für deren Einlösung in Geld der Staat durch wirksame Vorkehrungen sorgt, mag er auch formalrechtlich die Einlösungsverpflichtung nicht ausdrücklich anerkannt haben. [188] Die juristischen, banktechnischen und technologischen Dinge sind hier ohne Bedeutung. Wichtig ist allein, dass für den jederzeitigen Umtausch des Geldsurrogats gegen Geld in der Weise gesorgt ist, dass jeder Inhaber einer als Geldsurrogat dienenden Forderung darüber beruhigt sein kann, dass es ihm möglich sein werde, diesen Umtausch jederzeit ohne Verzug und ohne Kosten zu bewerkstelligen.

Wenn der Schuldner den vollen Betrag, den er in Gestalt von Forderungen schuldet, die als Geldsurrogate verwendet werden, in Geld bereit hält, wollen wir die Geldsurrogate als Geldzertifikate bezeichnen. Das einzelne Geldsurrogat ist dann — nicht im juristischen Sinne, doch im wirtschaftlichen — nur der Stellvertreter eines Geldbetrages, der an anderer Stelle aufbewahrt wird. Durch die Ausgabe der Geldzertifikate tritt daher keine Vermehrung der für den Gelddienst tauglichen Objekte ein; ein dem Gesamtbetrag der Geldzertifikate entsprechender Geldbetrag ist aus der Gesamtmenge des für die Kassenhaltung der Einzelnen zur Verfügung stehenden Betrages ausgeschieden worden und bildet nun die volle Deckung der Geldzertifikate. Veränderungen in der Menge der Geldzertifikate sind daher für das Angebot an Geld und mithin für die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes ohne Bedeutung.

[393]

Bleibt die Deckung der Geldsurrogate in Geld hinter dem Betrag der ausgegebenen Geldsurrogate zurück, so nennen wir den Betrag der Geldsurrogate, der den Deckungsfonds übersteigt, Umlaufsmittel. Es wird in der Regel nicht möglich sein, für ein konkretes Geldsurrogat festzustellen, ob es Geldzertifikat oder Umlaufsmittel ist, da die Schuldner - die Umlaufsmittelbanken — den Gegenwert eines Teiles der ausgegebenen Geldsurrogate in Gestalt eines aus Geld bestehenden Deckungsfonds bereitzuhalten pflegen und dem einzelnen Stück nicht anzusehen ist, wie es ausgegeben wurde. Ein Teil der Geldsurrogate ist daher den Geldzertifikaten, der Rest den Umlaufsmitteln zuzuzählen, doch diese Unterscheidung kann nur der die Lage auf Grund der Bankausweise Betrachtende vornehmen, nicht auch der Inhaber eines Geldsurrogats; man könnte höchstens von einem konkreten Geldsurrogat sagen, dass es, der Größe der Geld- oder Bardeckung zum Gesamtbetrag der Geldsurrogate dieser Klasse entsprechend, zu einem bestimmten Teil Geldzertifikat, zum übrigen Teil Umlaufsmittel sei.

Durch die Ausgabe von Geldzertifikaten können die Banken die Menge der ihnen zur Verfügung stehenden Geldmittel nicht erweitern. Solange sie sich auf die Ausgabe von Geldzertifikaten beschränken, können sie nur Sachkredit gewähren, d.h. sie können nur ihre eigenen Mittel und die Mittel, die sie sich durch die Aufnahme von Kredit (Entgegennahme von Einlagen) bei den Kunden ihres Passivgeschäfts verschafft haben, ausleihen. Durch die Ausgabe von Umlaufsmitteln erweitern die Banken den Betrag der ihnen für die Kreditgewährung zur Verfügung stehenden Mittel. Sie können durch die Ausgabe von Umlaufsmitteln Zirkulationskredit gewähren, d.h. sie können den Kredit über den Betrag ihrer eigenen und der ihnen zur Verwaltung anvertrauten fremden Mittel hinaus ausweiten.

Die Menge der Geldzertifikate ist für den Markt und die Preisbildung bedeutungslos. Die Umlaufsmittel wirken auf dem Markte wie Geld; die Veränderung ihrer Menge beeinflusst daher die Preisgestaltung in derselben Weise wie die Veränderung der Geldmenge.

Man hat mitunter einer anderen Terminologie den Vorzug gegeben. Man hat die Geldsurrogate einfach als Geld bezeichnet, da sie doch den Dienst des Geldes zu versehen vermögen. Diese Ausdrucksweise erscheint nicht zweckmäßig. Die Sprache der Katallaktik hat die Lösung der Probleme, die der Preistheorie gestellt sind, zu erleichtern, nicht zu erschweren. Die Einwirkung der Geldsurrogate auf die Preisgestaltung kann aber nur untersucht werden, wenn man zwischen Geldzertifikaten und Umlaufsmitteln streng unterscheidet.

[394]

Der Ausdruck Kreditausweitung hat oft Irrtümer verursacht. Man muss sich stets vor Augen halten, dass Ausweitung des Kredits nur durch die Ausgabe von Umlaufsmitteln möglich ist. Sachkredit kann nicht ausgeweitet werden; die Kreditausweitung ist immer Gewährung von Zirkulationskredit. Doch nicht jede Gewährung von Zirkulationskredit ist Kreditausweitung. Wenn die Ausgabe zusätzlicher Umlaufsmittel auf dem Markte alle Wirkungen vollbracht hat, wenn die Gestaltung der Preise, Löhne und Zinssätze sich dem durch sie gegebenen Stand des gesamten Angebots an Geld und Umlaufsmitteln (Geldangebot in weiterem Sinn) angepasst hat, dann bedeutet die weitere Gewährung von Zirkulationskredit, die ohne Vermehrung der Umlaufsmittelausgabe erfolgt, keine Kreditausweitung. Kreditausweitung liegt nur dann vor, wenn Zirkulationskredit aus neugeschaffenen Umlaufsmitteln gewährt wird, nicht schon dann, wenn die Banken zurückgezahlte Zirkulationskredite zu neuer Kreditgewährung benützen.

XII. Die Grenzen der Umlaufsmittelausgabe

Die Geldsurrogate werden im Verkehr wie Geld behandelt, werden an Stelle des Geldes genommen und hingegeben, werden daher auch wie Geld zur Bildung von Kassenbeständen verwendet, weil man volles Vertrauen in den Umstand setzt, dass sie im Bedarfsfall jederzeit in Geld umgetauscht werden können. Wir wollen alle jene Wirte, die dieses Vertrauen hegen und demgemäss die Geldsurrogate als solche behandeln, die Kunden der die Geldsurrogate ausgebenden Stelle nennen. Es ist dabei ohne Belang, ob diese Stelle als Bank eingerichtet ist oder nicht und ob dem Inhaber des Geldsurrogats durch die Rechtsordnung ein Anspruch auf die jederzeitige Einlösung des Geldsurrogats zugesichert ist oder nicht. [189] Entscheidend ist allein, ob der Inhaber des Geldsurrogats tatsächlich imstande ist, für das Geldsurrogat jederzeit Geld im Umtausch zu erhalten.

Die Ausgabe von Geldzertifikaten ist für die ausgebende Stelle mit nicht unbeträchtlichen Kosten verbunden. Man muss [395] die Geldzertifikate herstellen, man muss die Geldbeträge, die den Gegenwert der in Umlauf gesetzten Geldzertifikate darstellen, sicher aufbewahren, man muss für die Einlösung Sorge tragen, man läuft Gefahr, durch die Einlösung gefälschter Stücke Verluste zu erleiden; allen diesen Spesen und Verlustmöglichkeiten steht nur die geringe Aussicht auf Gewinne gegenüber, die sich daraus ergeben, dass manche Stücke vernichtet werden können und dass auf diese Weise die Ansprüche des Inhabers erlöschen. Die Ausgabe von Geldzertifikaten, die nicht mit der Ausgabe von Umlaufsmitteln verbunden ist, ist ein schlechtes Geschäft. Geldzertifikate werden daher ohne Verbindung mit Umlaufsmittelausgabe nur ausgegeben, wenn die Kunden bereit sind, für die Kosten aufzukommen, oder wenn die Regierung aus irgendwelchen Gründen die Kosten zu tragen gewillt ist. Die Probleme der Ausgabe von Geldzertifikaten sind Probleme der Technik des Geldverkehrs, die für die Katallaktik bedeutungslos sind. Katallaktisch ist die Ausgabe von Geldzertifikaten überhaupt nur dadurch interessant, dass sie mit der Ausgabe von Umlaufsmitteln verbunden wird.

Ob mehr oder weniger Geldzertifikate ausgegeben werden, ist für die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes irrelevant. Dagegen wirkt die Vermehrung oder Verringerung des Betrages der Umlaufsmittel wie Vergrößerung oder Verkleinerung der Geldmenge. Daraus folgt die Wichtigkeit der Frage nach dem Umfang möglicher Umlaufsmittelausgabe. Können Umlaufsmittel unbeschränkt vermehrt werden oder sind ihrer Vermehrung Grenzen gesetzt?

Fällt der Kundenkreis der Bank mit dem Kreis der am Marktverkehr teilnehmenden Wirte zusammen, dann sind der Vermehrung der Umlaufsmittel keine anderen Schranken gesetzt als der Vermehrung der Geldmenge. Eine einzige Umlaufsmittelbank, die in einem isolierten Lande oder in der Ökumene allein steht und alle Wirte zu Kunden hat, muss in ihrer Umlaufsmittelausgabe auf zwei Dinge achten:

Erstens: Sie darf das Vertrauen der Kunden in die Einlösung der Umlaufsmittel nicht erschüttern. Nur solange die Kunden dieses Vertrauen hegen, verzichten sie darauf, die Umlaufsmittel zur Einlösung zu bringen, d.h. die Noten zum Umtausch in Geld zu präsentieren oder die Kassenführungsguthaben aus der Bank zurückzuziehen. Wieweit die Bank in der Vermehrung der Umlaufsmittel gehen darf, ohne Misstrauen zu erwecken, ist von wirtschaftspsychologischen Daten abhängig.

Zweitens: Sie darf die Umlaufsmittelausgabe nicht so schnell steigern, dass die Kunden zur Einsicht gelangen, die Vermehrung der Umlaufsmittel und demzufolge auch die [396] Preissteigerung werde sich unaufhaltsam fortsetzen. Denn dann muss jene Panik ausbrechen, die die Wirte zur «Flucht in die Sachwerte» treibt und die Preissteigerung auf der einen Seite und ihre Entsprechung, die Senkung der Kaufkraft, auf der anderen Seite in schnellem Fortschritt ins Endlose, zur Katastrophenhausse wachsen lässt. Es ist nicht möglich, sich den Gang dieses Prozesses ohne Erschütterung des Vertrauens der Kunden vorzustellen. Der Flucht in die Sachwerte werden die Kunden wohl die Rückkehr zum Geld vorziehen und daher zunächst die Umlaufsmittel der Bank zur Einlösung vorlegen. Die Bank müsste entweder zusammenbrechen oder durch einen Eingriff der Regierung von der Pflicht zur Einlösung der Umlaufsmittel befreit werden. Dann hören aber die Umlaufsmittel auf, Umlaufsmittel und Geldsurrogate zu sein und werden, je nach den Umständen Kreditgeld oder Zeichengeld.

Die katallaktisch wichtigen Probleme, die die Umlaufsmittelausgabe einer einzigen, alle Wirte zu ihren Kunden zählenden Bank oder Vereinigung von Banken stellt, sind anderer Art als die Frage nach den Grenzen der Ausgabe. Sie werden uns im Problemkreis Geld und Zins eingehend zu beschäftigen haben.

Wir haben es hier mit einem anderen Problem zu tun. Wir betrachten das Nebeneinanderbestehen von unabhängigen Umlaufsmittelbanken. Unabhängigkeit bedeutet dabei, dass jede Bank in ihrer Umlaufsmittelausgabe selbständig vorgeht und keine Verabredung oder Vereinbarung über ihr Vorgehen mit anderen Banken getroffen hat. Nebeneinanderbestehen bedeutet, dass jede Bank einen Kundenkreis hat, der nicht alle in das marktwirtschaftliche Gefüge einbezogenen Wirte umfasst. Der Einfachheit halber wollen wir dabei annehmen, dass kein Wirt zum Kundenkreis von zwei oder mehreren Banken gehört. Es bedarf nur geringfügiger Änderungen in den folgenden Gedankengängen und kann an ihrem Ergebnis nichts ändern, wenn man annehmen wollte, dass es auch Wirte gibt, die zum Kundenkreis mehrerer Banken gehören.

Die Frage lautet nun: Sind der Umlaufsmittelausgabe der einzelnen Banken Grenzen gezogen, und wenn ja, wodurch sind diese Grenzen bestimmt? Nach dem, was über die Umlaufsmittelausgabe einer einzigen, alle Wirte zu ihrem Kundenkreis zählenden Bank oben ausgeführt wurde, schiene es eigentlich überflüssig, die Frage nach dem Bestehen von Grenzen noch einmal aufzuwerfen. Wenn schon eine einzige, alle Wirte in ihrem Kundenkreis umfassende Bank in der Umlaufsmittelausgabe nicht frei ist, sind es Banken mit beschränkterem Kundenkreis wohl auch nicht. Doch es ist zu zeigen, dass die Grenzen, die der Umlaufsmittelausgabe im Falle des Nebeneinanderbestehens mehrerer [397] selbständig vorgehender Umlaufsmittelbanken gezogen sind, noch enger gesteckt sind.

Wir nehmen an, dass in einem Wirtschaftgefüge, in dem früher nur Geld verwendet wurde und Umlaufsmittel unbekannt waren, nach und nach eine Anzahl von Umlaufsmittelbanken entstanden sind. Jede hat sich einen Kundenkreis geschaffen, jede hat eine bestimmte Menge von Umlaufsmitteln ausgegeben, die als Geldsurrogate in den Kassen ihrer Kunden liegen und von den Kunden zu Zahlungen an andere Kunden verwendet werden. (Denn nur Kunden nehmen, unserer Terminologie gemäss, die Umlaufsmittel als Geldsurrogate an; wer ein Umlaufsmittel nimmt und es in seinen Kassenstand einfügt, wird damit zum Kunden der Umlaufsmittelbank; wer es zurückweist oder, wenn er es empfangen hat, so schnell als möglich zur Einlösung bringt, ist eben nicht Kunde.) Durch die Gesamtmenge der ausgegebenen und von den Kunden ihren Kassenhaltungen einverleibten Umlaufsmittel ist die Gestaltung der Preise und der Kaufkraft der Geldeinheit beeinflusst worden; wir nehmen an, dass auf dem Markte nun, durch Abschluss aller dadurch hervorgerufenen Bewegungen, endlicher Ruhezustand erreicht wurde.

Nun setze eine Bank mit zusätzlicher Ausgabe von Umlaufsmitteln ein, während die übrigen Banken nicht mitgehen. Die Kunden der expandierenden Bank — es mögen die alten Kunden sein oder neue, die durch die Kreditausweitung erst gewonnen werden, — erhalten zusätzliche Kredite, sie können nun ihre Geschäfte erweitern, sie treten auf dem Markte mit zusätzlicher Nachfrage als Käufer auf, sie treiben die Preise hinauf. Die Wirte, die nicht zu den Kunden der Expansionsbank gehören, die entweder überhaupt nicht Bankkunden sind oder dem Kundenkreis einer konservativen Bank angehören, können die höheren Preise nicht erschwingen; sie müssen ihre Käufe einschränken. Es gibt nun auf dem Markte eine Bewegung der Kaufgüter von den übrigen Wirten zu den Kunden der expandierenden Bank. Die Kunden der Expansionsbank kaufen von Nichtkunden mehr, als sie an sie verkaufen; sie haben daher an die Nichtkunden mehr zu zahlen, als sie von ihnen an Zahlung erhalten; dafür aber sind die Umlaufsmittel der Expansionsbank nicht geeignet. Um die Zahlungen an die Nichtkunden zu leisten, müssen die Kunden die Umlaufsmittel der Bank zur Einlösung präsentieren. Die Expansionsbank muss sie einlösen, ihre Geldreserve — wir nehmen an, dass nur ein Teil der von ihr ausgegebenen Geldsurrogate Umlaufsmittel sind, — sinkt, und sie sieht den Augenblick näher kommen, in dem sie wegen Erschöpfung der Geldreserve außerstande sein wird, die [398] ausgegebenen Geldsurrogate auf Verlangen der Inhaber sogleich einzulösen. Um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, muss sie die Ausgabe der Umlaufsmittel wieder einschränken.

Die Reaktion des Marktes auf die von einer Bank mit beschränkten Kundenkreis ausgehende Vermehrung der Umlaufsmittel ist von der Currency-School klar dargestellt worden. Man hat dabei stets den Fall behandelt, in dem die ausschließlich privilegierte Notenbank eines Landes oder die vereint operierenden Banken eines Landes den Kredit ausweiten, während die übrigen Länder die Expansion nicht mitmachen. Die Darstellung, die wir gegeben haben, ist auf den allgemeineren Fall des Nebeneinanderbestehens mehrerer unabhängiger Banken in demselben Gebiet abgestellt. Ob die Kunden der Bank in demselben Gebiet geschlossen wohnen oder zerstreut zwischen den Kunden anderer Banken und Wirten, die überhaupt nicht zur Kundschaft einer Bank gehören, ist für die grundsätzliche katallaktische Behandlung unseres Problems ohne Bedeutung. Das ist eine Frage der Daten und nicht mehr eine Frage der Prinzipien.

Eine Bank kann nie mehr Geldsurrogate auf dem Markte unterbringen, als dem Bedarf ihrer Kunden für Zahlungen innerhalb des Kundenkreises entspricht. Jeder einzelne Kunde der Bank kann in seiner Kassenhaltung den von seiner Bank ausgegebenen Geldsurrogaten höchstens den Raum geben, der dem Anteil des Verkehrs mit anderen Kunden seiner Bank in seinem Gesamtumsatz entspricht. Damit ist auch eine Obergrenze für die Umlaufsmittelausgabe gezogen. Wir können das besser veranschaulichen, wenn wir annehmen, dass jeder Wirt im Geschäftsverkehr unterschiedslos Noten, die von irgendeiner Bank ausgegeben wurden, und Schecks, die auf irgendeine Bank lauten, annimmt; hat er jedoch Noten oder Schecks fremder Banken empfangen, dann gibt er sie sofort an seine eigene Bank zur Gutschrift auf seinem Konto weiter, und diese selbst präsentiert diese Noten und Schecks der verpflichteten Bank zur Einlösung in Geld. Schon aus banktechnischen und juristischen Gründen kann man mit Schecks, die man empfangen hat, nicht anders verfahren, es sei denn, man präsentiere sie selbst zur Einlösung. Dass man auch mit Noten, die von Banken stammen, die man nicht kennt oder deren Fähigkeit und Willigkeit, die Noten jederzeit einzulösen, nicht über allen Zweifel erhaben ist, nicht anders verfahren kann, wenn man nicht überhaupt schon ihre Annahme zurückgewiesen hat, ist wohl klar. Wenn die Notwendigkeit, so vorzugehen, einmal in Vergessenheit geraten sollte, wird sie durch üble Erfahrungen mit Falsifikaten von Noten guter Banken oder mit Noten fauler Banken wieder aufs neue [399] dem Bewusstsein eingehämmert werden. Alles, was man vorgebracht hat, um den Bestand einer perversen Vorliebe des Publikums für die Noten zweifelhafter Banken zu beweisen, erweist sich bei näherer Betrachtung als unhaltbar. Den Banknoten ist außerhalb des engen Kreises von Geschäftsleuten, die sich ein Urteil über die Kreditwürdigkeit der Emissionsbank zu bilden vermögen, stets mit größtem Misstrauen begegnet worden, und dieses Misstrauen konnte nur durch das Prestige überwunden werden, das den Banken durch besondere Staatsprivilegien verliehen wurde. Die Beseitigung der den Banken in dieser Hinsicht eingeräumten Vorzugsstellung würde es sofort wieder entstehen lassen. Die oft vorgebrachte Behauptung, die Banknoten, insbesondere die kleineren Abschnitte, gelangten in die Hände von Schichten, die zwischen Noten guter und solchen schlechter Herkunft nicht zu unterscheiden wüssten, ist belanglos. Je ärmer der Empfänger einer Banknote ist, je weniger er mit dem Gang der Bankgeschäfte vertraut ist, desto schneller wird die Note über Einzelhandel und Großhandel wieder zu Banken und mit dem Bankwesen vertrauten Schichten zurückkehren.

Der grundlegende Tatbestand ist doch der, dass eine Bank zwar den Kreis der Wirte, die Darlehen nehmen, die ihnen durch die Ausgabe von Umlaufsmitteln gewährt und in Geldsurrogaten zugezählt werden, nach Belieben erweitern kann, doch nicht den Kreis der Kunden, die gewillt sind, diese Noten und Kassenführungsguthaben auch wirklich als Geldsurrogate zu behandeln und in ihrem Kassenstande zu behalten. Dieser Kundenkreis kann einerseits nur sehr schwer und langsam erweitert werden und kann anderseits sehr schnell verloren gehen. Um ihn zu erhalten, darf man über die prompte Einlösung der Noten und über die prompte Honorierung der Schecks keinen Zweifel aufkommen lassen. Ein Einlösungsfonds muss stets bereit stehen, und dieser Einlösungsfonds muss so groß sein, dass er allen Ansprüchen der Inhaber der Geldsurrogate, die an Nichtkunden zahlen sollen, Genüge leisten kann. Darum kann keine Bank sich darauf beschränken, nur Umlaufsmittel auszugeben; sie muss immer einen Einlösungsfonds bereithalten, weil es unmöglich ist, den Umfang des Kundenkreises und den Umfang der Geschäfte zwischen Kunden und Nichtkunden zu überblicken, und weil in diesen Größen auch täglich unvorhersehbare Änderungen eintreten können. Ohne einen Einlösungsfonds kann eine Umlaufsmittelbank nicht arbeiten.

Es war ein arger Irrtum, zu glauben, der Einlösungsfonds, die Barreserve, könnte die Einlösung der Umlaufsmittel sicherstellen, wenn einmal die Kunden das Vertrauen verlieren sollten. [400] Das Vertrauen, das der Bank und den von ihr ausgegebenen Umlaufsmitteln entgegengebracht wird, ist keine individuelle Erscheinung. Wenn ein Teil der Kunden das Vertrauen verliert, verlieren es alle übrigen auch. Keine Umlaufsmittelbank kann die Verpflichtung, die ihr aus der Ausgabe von Umlaufsmitteln erwächst, erfüllen, wenn die Inhaber der Umlaufsmittel gleichzeitig auf ihrer Einhaltung bestehen. Das liegt im Wesen des Umlaufsmittels, und keine Reservepolitik oder Deckungsvorschrift kann da Abhilfe schaffen. Die Barreserven der Umlaufsmittelbanken dienen der Einlösung der Geldsurrogate, die der Inhaber einlösen will, weil er Zahlungen an Nichtkunden zu leisten hat, oder weil er, ohne Kunde der Bank zu sein oder werden zu wollen, in den Besitz der Geldsurrogate gelangt ist. Die durch die Gesetze vorgeschriebenen Deckungsbestimmungen konnten die Ausgabe von Umlaufsmitteln begrenzen; sie konnten aber keineswegs ihre Einlösung für den Fall eines allgemeinen Rückströmens zur Bank sichern.

Die Banking-Theorie hat in der Behandlung dieses Problems in mehrfacher Hinsicht geirrt. Der Mechanismus, der die Begrenzung der Ausgabe von Geldsurrogaten herbeiführt, ist nicht der, den das Fullarton’sche Prinzip der vermeintlichen automatischen Notenrückströmung beschreibt. [190] Es ist nicht richtig, dass die Summe der Darlehen, die eine Bank überhaupt oder bei Beschränkung auf die Belebung bestimmter kurzfristiger aus Warengeschäften entspringender Forderungen oder bei Beschränkung auf die Eskomptierung kurzfristiger Warenwechsel gewähren kann, eindeutig durch die Lage des Marktes bestimmt ist. Die Ausgabe von zusätzlichen Umlaufsmitteln senkt zunächst den Marktsatz des Zinses, sie vergrößert daher den Umsatz der Geschäfte, aus denen die Forderungen entstehen, deren Belehnung oder Eskomptierung von der Bank begehrt wird. Der Umfang der an die Bank gestellten Kreditansuchen ist von dem Vorgehen der Bank abhängig; er wächst mit dem Bestreben der Bank, mehr Umlaufsmittel in den Verkehr zu setzen. Wenn die Umlaufsmittelbank durch institutionelle Verhältnisse in einer Stellung ist, in der sie nicht genötigt ist, auf ihre eigene Zahlungsfähigkeit und auf die konservative Haltung anderer Banken Rücksicht zu nehmen, sind ihr in der Kreditausweitung keine anderen Schranken gezogen als die, die im schließlichen Zusammenbruch jeder endlos fortschreitenden Inflation liegen. Wenn die Currency-Schule für das England von 1840 behauptete, dass Kreditausweitung nur am external [401] drain ihre Grenze finde und wenn sie daher, weil sie den external drain ausschalten wollte, gesetzliche Beschränkung der Umlaufsmittelausgabe in Banknotengestalt forderte, kann man ihr vorwerfen, dass sie die andere Alternative, nämlich Herstellung der Bankfreiheit, gar nicht in Erwägung zog, und dass sie nicht erkannt hat, dass auch Kassenführungsguthaben Geldsurrogate sind, die den Charakter von Umlaufsmitteln tragen und daher zum Werkzeug von Kreditausweitung werden können. Doch diese Fehler wiegen leicht im Vergleich mit den Irrtümern der Banking-Schule, die von einer unklaren Vorstellung über die Neutralität der Umlaufsmittelausgabe erfüllt war und die Quantitätstheorie durch die Berufung auf einen deus ex machina, die Horte, bekämpfen wollte.

Man kann es nicht scharf genug hervorheben, dass das politische Problem der Begrenzung der Umlaufsmittelausgabe durch Eingriffe der Regierung nur in einer Welt entstehen konnte, in der die Bankfreiheit durch das Privileg einer oder mehrerer Banken unterbunden war. Hätte man der Entwicklung der Umlaufsmittelbanken freie Hand gelassen, hätte man die Umlaufsmittelbanken nie von der — jedermann in der Marktwirtschaft obliegenden — Verpflichtung befreit, die freiwillig übernommenen Zahlungsverbindlichkeiten genau so zu erfüllen, wie es die Vertragsbedingungen verlangen, dann hätten die in der unbehinderten Marktwirtschaft der Umlaufsmittelausgabe gezogenen Schranken ihre Wirkung getan. Dann hätte die Rücksicht auf ihre eigene Liquidität und Solvenz jede Bank in der Umlaufsmittelausgabe zum Maßhalten gezwungen. Die Banken, die nicht genug zurückhaltend sein wollten, wären früh zugrunde gegangen, und das Publikum, durch Verluste gewarnt, wäre den übrigen Banken gegenüber doppelt misstrauisch geworden.

Man verkennt den Gang der Bankpolitik, wenn man in den Eingriffen der Regierungen das Bestreben sehen will, die Umlaufsmittelausgabe zu beschränken. Der Grundzug der Bankpolitik war nicht Beschränkung, sondern Förderung der Umlaufsmittelausgabe. Man hat Banken privilegiert, weil man zur Verbilligung des Kredits die Grenzen, die die Bankfreiheit der Kreditausweitung setzt, hinausverlegen wollte, oder weil man für die Staatskassen unmittelbare Vorteile erlangen wollte; meist wurden beide Ziele, das kreditpolitische und das fiskalische, zugleich angestrebt. Man hat im Umlaufsmittel ein taugliches Werkzeug zur Herabsetzung des Zinsfusses gesehen und forderte von der Bank, dass sie durch Ausweitung der Umlaufsmittelausgabe den Staatskassen oder der «Wirtschaft» billige Kredite zur Verfügung stelle. Erst als man die währungspolitischen [402] Folgen der Kreditausweitung zu erkennen begann, kam es zu Gesetzen, die die Ausgabe metallisch nicht bedeckter Banknoten und mitunter auch die Eröffnung metallisch nicht gedeckter Kassenführungsguthaben zu beschränken suchten. Zur Bankfreiheit, die dem, was man als Missbrauch oder Gefahr schrankenloser Kreditausweitung ansah, am wirksamsten abgeholfen hätte, wollte man gerade wegen ihrer Wirksamkeit nicht zurückkehren. Denn man glaubte, dass die Wirtschaft auf ein «normales», auf ein «berechtigtes» Ausmaß von Kreditausweitung nicht verzichten könne, und man hielt das Maß an Kreditausweitung, das im Systeme der Bankfreiheit möglich wäre, für unzulänglich. [191]

Viele Regierungen haben in der Ausgabe von Umlaufsmitteln durch privilegierte Banken nichts anderes gesehen als die Möglichkeiten, die sie der Beschaffung von Geldmitteln für die Staatskassen eröffnete. Die Bank sollte durch die Ausgabe von Umlaufsmitteln dem Staate Kredit gewähren. Das Geldsurrogat, die auf Verlangen des Inhabers jederzeit einlösbare Banknote, sollte beim Publikum den Weg bahnen für die nichteinlösbare Note, für das Kreditgeld. Mit dem Erstarken der interventionistischen und etatistischen Bewegung ist diese Auffassung allgemein geworden. Keine Regierung wäre heute bereit, das Problem der Bankfreiheit ernstlich zu erwägen, weil keine auf eine Einrichtung verzichten will, die als die letzte, aber auch als die ergiebigste Geldquelle für die Zeit der Not angesehen wird. Unter finanzieller Kriegsbereitschaft versteht man vor allem die Fähigkeit, durch Inanspruchnahme der privilegierten Bank die Mittel zur Kriegführung zu beschaffen.

Doch auch zur Zeit, da der Liberalismus auf dem Höhepunkte seines Einflusses stand und Regierungen und Parlamente weniger an Krieg, Mord und Zerstörung dachten als an Frieden und Mehrung von Glück und Wohlfahrt durch nützliche Arbeit, konnte man dem Problem der Bankfreiheit nicht unbefangen gegenübertreten. Die öffentliche Meinung hat — außerhalb der angelsächsischen Länder — auch damals an der Auffassung festgehalten, dass es eine der vornehmsten Aufgaben der Wirtschaftspolitik sei, den Zinsfuss so stark als möglich herabzudrücken, und sie glaubte, dass der beste Weg zu diesem Ziel die Ausweitung der Umlaufsmittelausgabe sei.

In England hat man diesen Irrtum nicht geteilt. Es ist das [403] Verdienst der Currency-Schule, dieser Nachfahren der klassischen Nationalökonomie, dass sie zuerst gezeigt hat, wie die Ausweitung des Zirkulationskredits zur Wirtschaftskrise führt. Es war dabei verhängnisvoll, dass die Currency-Schule den Geldsurrogatcharakter der Kassenführungsguthaben verkannte und nicht gesehen hat, dass auch Kassenführungsguthaben zu Umlaufsmitteln werden können. Weil die englische Bankakte von 1844 und die ihr nachgebildeten Gesetze anderer Staaten die Umlaufsmittelausgabe in Gestalt von Kassenführungsguthaben frei ließen, konnten sie den Erfolg, den sie anstrebten, nicht erreichen. Das Umlaufsmittel, das als Banknote unterdrückt worden war, entfaltete sich in der Gestalt des Kassenführungsguthabens.

Wenn heute, dem Grundgedanken der Currency-Lehre entsprechend, auch für das Kassenführungsguthaben volle — hundertprozentige – Deckung verlangt wird, damit. die Erweiterung der Umlaufsmittelausgabe auch in dieser Gestalt unterbunden werde, dann ist das folgerichtiger Ausbau der Ideen, die jenem alten englischen Gesetz zugrundelagen. Wer freilich die Kreditausweitung nur soweit beschränkt sehen will, als sie nicht dem Staate, dem staatlichen Finanzbedarf und den Zwecken, die der Staat fördern will, dient, dem Staate selbst aber volle Freiheit zur Inanspruchnahme der Umlaufsmittelausgabe belassen will, empfiehlt in Wahrheit nicht Einengung, sondern bedenkenlose Erweiterung der Umlaufsmittelausgabe.

Jedenfalls aber bedeutet eine Regelung der Umlaufsmittelausgabe, die die privilegierten Banken bestehen lässt, nie mehr als Beschränkung der Umlaufsmittelausgabe für «normale» Zeiten und Verhältnisse. Selbst wenn man radikal und ausnahmelos alle Erweiterung der Umlaufsmittelausgabe untersagt, bleibt doch, wenn man die privilegierte Zentralbank aufrecht erhält, die Einrichtung, die es jederzeit ermöglicht, die Umlaufsmittel zu vermehren. Dann wird sich immer die Regierung finden, die von der ihr zugebote stehenden Möglichkeit der Kreditausweitung auch Gebrauch machen wird. Jede Regierung ist stets geneigt, finanzielle Verlegenheiten, denen sie begegnet, als einen Fall von Notstand anzusehen, der die Anwendung von außerordentlichen Mitteln, die in «normalen» Zeiten verpönt erscheinen, rechtfertigen kann. Auch das schärfste Verbot der Erweiterung der Umlaufsmittelausgabe versagt gegenüber einer Notstandsgesetzgebung.

Bankfreiheit ist scheinbar ein weniger radikales Mittel zur Bekämpfung der Missstände der Kreditausweitung. Sie könnte eine langsame und in sehr engen Grenzen gehaltene Vermehrung der Umlaufsmittelausgabe durch angesehene vorsichtige [404] Banken nicht hindern. Doch nie hätte unter der Herrschaft der Bankfreiheit die Kreditausweitung mit allen ihren Folgen zu einem ständigen Stück der Wirtschaftsentwicklung werden können. Die Bankfreiheit allein hätte die Wirtschaft «krisenfest» machen können.

Ein Rückblick auf die Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts kann heute feststellen, dass das Versagen des Liberalismus in der Bankfrage dem kapitalistischen System zum Verhängnis geworden ist. Dass die liberalen Politiker in diesem Punkte vor den volkstümlichen Irrtümern zurückgewichen sind, dass sie die doppelte Irrlehre, dass der Staat auf «billiges» Geld und hohe Preise hinarbeiten müsse und dass man beides durch Kreditausweitung dauernd und ohne sonstige Nachteile erzielen könne, nicht auszurotten vermochten, dass sie den von der CurrencySchule begonnenen Kampf gegen die Politik der Kreditausweitung nicht mit aller Kraft fortgesetzt haben, hat die schwerwiegendsten Folgen gehabt. Nichts hat die liberalen Wirtschaftsideen und das kapitalistische Wirtschaftssystem ärger kompromittiert als der wiederkehrende Wechsel von fieberhafter Haussespekulation, dramatischem Zusammenbruch der Konjunktur und langanhaltender Depression. Die öffentliche Meinung gewöhnte sich daran, in den «Auswüchsen der Haussespekulation» und in den Widrigkeiten des Niederganges Übelstände zu erblicken, die dem kapitalistischen System notwendigerweise anhaften. Sozialistische und interventionistische Ideen konnten allgemeinen Anklang finden, weil man in den Krisen eine unabwendbare Begleiterscheinung «freier» Wirtschaft zu sehen glaubte. Man begriff nicht, dass die Übelstände, die man beklagte, die Folge von Bemühungen waren, den Zinsfuss künstlich durch Kreditausweitung zu drücken, und suchte daher die Wirkungen der Intervention auf dem Darlehensmarkte nicht durch die Beseitigung der Einrichtungen, die Kreditausweitung möglich machten, zu erreichen, sondern durch weitere Interventionen zu Gunsten der geschädigten Interessen einzelner Gruppen und Schichten. So verstrickte man sich immer stärker in das Gestrüpp der Interventionen, aus dem sich kein Ausweg mehr finden ließ.

Bemerkungen zur Diskussion über Bankfreiheit

Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass in einem System der Bankfreiheit die Vermehrung der Umlaufsmittel durch den Umstand gehemmt wird, dass die Darlehen nur für eine begrenzte Zeit erteilt werden und dass daher nach Ablauf der Darlehensfrist die ausgegebenen Geldsurrogate oder entsprechenden Geldbeträge an die Bank zurückgelangen müssen. Wenn die Bank die Mittel, die ihr durch Rückzahlung von Darlehen zufließen, nicht zur Gewährung neuer [405] Darlehen verwendet, dann hat sie die Menge der von ihr ausgegebenen Umlaufsmittel wieder herabgesetzt und damit freiwillig die Kreditausweitung rückgängig gemacht. Wir haben aber den Fall zu betrachten, in dem die Bank nicht geneigt ist, die Menge der von ihr ausgegebenen Umlaufsmittel freiwillig zu verringern, und haben daher anzunehmen, dass die Summe der von ihr durch Schaffung von Umlaufsmitteln ausgegebenen Darlehen, d.i. die Gesamtmenge des von ihr gewährten Zirkulationskredits, zumindest nicht verringert wird. Nicht die Rückzahlung der Darlehen, sondern der Umstand, dass die Empfänger der durch Kreditausweitung gewährten Darlehen von den übrigen Wirten mehr kaufen, als sie an sie verkaufen, löst den Mechanismus der selbsttätigen Begrenzung der Umlaufsmittelzirkulation aus. [192]

Für Umlaufsmittel, die die Gestalt von Kassenführungsguthaben tragen, ist das nie bestritten worden. Wer es für die Umlaufsmittel, die die Gestalt von Banknoten tragen, bestreiten will, ist in irrigen Vorstellungen über die Umlaufsfähigkeit der Geldsurrogate befangen.

Wenn die Katallaktik von Geldsurrogaten spricht, dann muss sie vom Geldsurrogat aussagen, dass es von einer Anzahl von Wirten wie Geld behandelt wird, d.h. wie Geld im Tauschverkehr genommen und fortgegeben und wie Geld in die Kassenbestände eingereiht wird. Alles, was über das Geldsurrogat weiter auszusagen ist, knüpft an diesen Tatbestand an. Doch nichts berechtigt zu der Annahme, dass darum auch jede unverzüglich fällige, auf Geld lautende Forderung Geldsurrogat werden kann oder muss. Man darf nicht außerachtlassen, dass zu den Bedingungen, die eine jederzeit fällige Geldforderung erfüllen muss, um Geldsurrogat zu werden, auch die zählt, dass die Inhaber nicht den geringsten Zweifel darüber hegen, dass die Forderung vom Verpflichteten such wirklich jederzeit eingelöst werden wird. Man darf daher nicht ohneweiters davon ausgehen, dass jede von einer Bank ausgegebene Banknote von den Wirten auch tatsächlich als Geldsurrogat behandelt wird. Wir dürfen vielleicht nicht nur annehmen, dass jedermann bereit sein wird, Darlehen in solchen Noten zu empfangen, sondern auch das noch, dass jedermann es vorziehen wird, Rückzahlung aushaftender Forderungen in solchen Banknoten zu empfangen, als noch länger auf Zahlung warten zu müssen. Doch wenn die Inhaber der Noten auch nur den geringsten Zweifel darüber hegen, ob die Note auch jederzeit einlösbar ist, werden sie sich beeilen, sie wieder auszugeben. Sie werden Geld und solche Geldsurrogate, zu denen sie volles Vertrauen haben, in ihrer Kasse behalten und die zweifelhaften Noten fortgeben. Diese Noten werden im Verkehr mit einem, wenn auch nur geringfügigem Disagio bewertet werden. Dieses Disagio muss sie zur ausgebenden Bank zurückführen. Denn nur diese allein bleibt rechtlich verbunden, sie zum vollen Nennwert in Geld einzulösen.

Mit dem Begriff «Bankfreiheit» verbindet man zu Unrecht die Vorstellung eines Zustandes, in dem jedermann nach Belieben zum eigenen Vorteil und zum Nachteil des Publikums Noten in Umlauf setzen kann. Man hat da immer wieder einen von Tooke zitierten Ausspruch eines Amerikaners angeführt: Free trade in banking is synonymous with free trade in swindling. Doch die Bankfreiheit hätte im Gegenteil den Spielraum der Banknote sehr eingeengt, [406] wenn sie ihr nicht überhaupt den Boden entzogen hätte. Das hat Cernuschi am 24. Oktober 1865 vor der französischen Bankenquete so formuliert: «A mon avis, ce qu'on appelle la liberté des banques en France emmènerait la suppression du billet de banque. Quant à moi, je désire que tout le monde en puisse émettre, afin que personne n'en prenne.» [193]

XIII. Die Grösse der Kassenbestände der einzelnen Wirte

Die gesamte Menge an Geld und Geldsurrogaten liegt in den Kassen und Taschen der am Marktverkehr teilnehmenden Wirte. Die Grösse des Anteils, der den Einzelnen zur Verfügung steht, bestimmt der Grenznutzen. Im endlichen Ruhezustand hat jeder soviel von seiner Gesamthabe als Geld in der Kasse, als er haben will. Überschüsse hat er durch Käufe abgestossen, Fehlbeträge durch Verkäufe beseitigt. Die landläufige Ausdrucksweise, die unbefriedigten Bedarf an Kapital und an Genussgütern als Geldmangel bezeichnet, darf da nicht irre.führen. Auch im endlichen Ruhezustand des Marktes ist niemand vollbefriedigt; jeder hat Wünsche, deren Erfüllung er sich versagen musste. Doch diese Begehrungen sind auf die übrigen wirtschaftlichen Güter gerichtet, nicht auf grössere Kassenhaltung. Der Einzelne würde wohl, wenn er seinen Wünschen gemäss besser versorgt, d.h. reicher wäre, wahrscheinlich auch die Kassenhaltung vergrössern. Beim gegebenen Stande der Versorgung ist er jedoch mit der Höhe seiner Kassenhaltung zufrieden.

Was von den Einzelnen und ihrer Kassenhaltung gilt, gilt geradeso auch von jeder Summe von Einzelnen und von der Summe ihrer Kassenhaltung. Der Gesichtspunkt, nach dem wir eine Anzahl von Wirten zusammenfassen und dann als Einheit betrachten wollen, ist dabei ohne Belang. Auch wenn wir alle Wirte, die innerhalb derselben politischen Grenzen leben, zusammenfassen und die Frage nach dem Umfang des Gesamtgeldbeständes in diesem Gebiete stellen, bleibt die Antwort dieselbe.

Wir wollen zunächst annehmen, dass die Tauschgesellschaft nur ein einziges Geld verwendet, und dass Geldsurrogate entweder ganz unbekannt sind oder dass die Geldsurrogate im ganzen Marktgebiete in der gleichen Weise gebraucht werden. Es sei etwa überall nur Goldgeld bekannt und daneben noch Bankroten, die von einer Weltbank ausgegeben und überall verwendet werden. Unter diesen Voraussetzungen würden Massnahmen zur Unterbindung des zwischenstaatlichen Austausches von Waren und Diensten auf das Geld und auf die Verteilung des Geldes auf die einzelnen Wirte keinen Einfluss [407] haben. Zolle, Einfuhr- und Ausfuhrverbote, Wänderungsbeschränkungen können die Tendenz zur Ausgleichung der Preisunterschiede ganz oder zum Teil beseitigen ; sie können bewirken, dass in den verschiedenen Staaten die Preise sehr verschieden sind von dem Stande, den sie bei Freiheit des Verkehrs hatten, sie können aber nichts daran andern, dass das Geld auf die einzelnen Wirte und damit auch auf die einzelnen Staatsgebiete nach dem Grenznutzen aufgeteilt wird.

Wenn eine Regierung Massnahmen ergreifen will, urn die Gesamtgeldmenge im Besitze ihrer Untertanen zu vergrössern, müsste sie den Einzelnen auftragen, einen bestimmten Geldbetrag bei einem Amte zu hinterlegen und unversehrt liegen zu lassen. Die Notwendigkeit, sich diesen Betrag über seine Kassenhaltung hinaus zu beschaffen, würde jeden zwingen, Verkäufe vorzunehmen oder Einkäufe zu unterlassen ; damit würden die Preise im Inland gedrückt werden, die Ausfuhr von Waren würde steigen, die Einfuhr sinken und der Ausgleich würde durch erhöhte Geldeinfuhr erfolgen. Dagegen konnte die Regierung ihre Absicht nicht erreichen, wenn sie die Einfuhr von Waren und die Ausfuhr von Geld erschwert. Wenn weniger Waren eingeführt werden, dann wird caeteris paribus auch weniger ausgeführt werden ; wenn weniger Geld ausgeführt wird, wird auch weniger eingeführt werden.

Dem Gelde kommt im interpersonellen Tausch im allgemeinen und im Handel zwischen Personen, die verschiedenen Staaten angehören, im besonderen keine andere Stellung zu als die eines Tauschmittels. Zwischen Binnenhandel und Aussenhandel ist da kein Unterschied. Wie im Binnenhandel die Käufe und Verkäufe nur dann zu einer dauernden Veränderung in der Grösse der Kassenhaltung des Einzelnen führen, wenn der Einzelne seine Kassenhaltung vergrössern oder verkleinern will und demgemäss handelt, so auch im Aussenhandel. Wer nicht die Absicht hat, seine Kassenhaltung zu erweitern, wird, wenn ihm ein Mehr an Geld zufliesst, die Käufe solange fortsetzen, bis der Kassenstand auf das gewünschte Mass gesunken ist. Wer nicht die Absicht hat, seine Kassenhaltung zu verkleinern, wird, wenn ein Teil seines Geldbeständes geschwunden ist, seine Käufe einschränken, bis der Kassenstand auf das ihm angemessen erscheinende Mass gestiegen ist. Einfuhr- und Ausfuhrverbote können die Versorgung mit Waren von den Wegen, die sie sonst eingeschlagen hätte, ablenken ; sie beeinflussen aber nicht die Höhe der Kassenhaltung. Geldüberschüsse kommen nur dann ins Land herein, wenn die inländischen Wirte ihre Kassenhaltung stärker vergrössern wollen als die Ausländer ; Geldüberschüsse fliessen nur dann ab, wenn die Inländer ihre  [408] Kassenhaltung mehr einschränken wollen als die Ausländer. Die Vorstellung, als ob die Einzelnen im Käufen und Verkäufen keine Rücksicht auf den Stand ihrer Kassen nehmen würden und die Kassenhaltung einfach der Rest nichtverausgabten Geldes wäre, der ihnen nach Durchführung aller ihrer Käufe übrig bleibt, ist falsch. Die Kassenhaltung ist geradeso das Ergebnis des Abwägens verschiedener Alternativen durch den Wirt wie die Versorgung mit alien übrigen Gütern. Eine Kasse oder Tasche wird nicht leer, wenn ihr Eigentümer es nicht für wichtiger gehalten hat, alles Geld für den Erwerb von War en auszugeben, als Geld zurückzubehalten. Der Umfang der Kassenhaltung und ihr Verhältnis zum Vermögen und Einkommen wird von jedem Einzelnen so festgesetzt, wie es seiner Abwägung der Vorteile der Kassenhaltung und ihrer Kosten entspricht. Der Gesamtgeldvorrat eines Landes ist die Summe der Kassenhaltung seiner Burger. Indem jeder Einzelne dafür sorgt, dass seine Kasse nicht durch ein Übermass von Käufen wider seine Absicht leer werde, tragt er sein Teil dazu bei, dass das Land seinen Geldbestand nicht verliere.

Geldversendung von Land zu Land, die nicht durch Geldversendung in der entgegengesetzten Richtung aufgehoben wird, ist nicht das unbeabsichtigte Ergebnis der Lage des interregionalen Handels und der übrigen interregionalen Geschäfte, die durch Geld abgewickelt werden, sondern die Folge eines auf Veränderung der Kassenhaltung gerichteten Handelns. Geradeso wie Weizen aus einem Lande nur dann ausgeführt wird, wenn seine Bewohner einen Überschuss an Weizen gegen andere Güter tauschen wollen, wird auch Geld nur dann ausgeführt, wenn die Bewohner einen Überschuss an Geld gegen andere Güter tauschen wollen.

Werden in einem Lande Umlaufsmittel in Gebrauch genommen, die das Ausland nicht verwendet, dann können diese als Geldsurrogate im Kassenstand der Einzelnen die Stelle von Geld einnehmen. Es gibt nun im Lande einen Überschuss an Geld im weiteren Sinne (Geld und Umlaufsmittel zusammengenommen). Dieser Überschuss wird, etwa durch Bezug von Waren aus dem Ausland, abgestossen. Da die Geldsurrogate im Ausland, unserer Annahme gemäss, nicht verwendet werden, kann nur Geld abströmen. Das Ergebnis ist mithin, dass innerhalb des Geldvorrats im weiteren Sinn (Geld + Umlaufsmittel) der Anteil des Geldes vermindert, der der Umlaufsmittel erweitert wurde ; der Geldvorrat im engeren Sinn ist im Lande verkleinert worden.

Nehmen wir nun an, dass die Geldsurrogate, die im Lande verwendet werden, aufhören Geldsurrogate zu sein. Die Bank,  [409] die sie ausgegeben hat, stellt ihre jederzeitige Einlösung gegen Geld ein ; sie sind jetzt Forderungen mit hinausgeschobener Fälligkeit gegen einen Schuldner, der seine Verpflichtung nicht pünklich erfüllt und dessen Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit daher bezweifelt werden muss. Geldsurrogate können sie darum nicht langer sein. Doch es kann recht gut geschehen, dass sie als Kreditgeld weiter Tauschmitteldienst versehen. Sie werden nicht mehr dem Gelde gleichgewertet, sie erhalten Disagio gegenüber dem Sachgeld, mit dem sie früher gleichgewertet wurden.

Bei dieser Lage der Dinge pflegt nun in der Regel die Regierung einzugreifen. Sie erlasst eine Verfügung, die jeden Gläubiger verpflichtet, das vom Verkehr als minderwertig erachtete Kreditgeld zu seinem vollen Nennwerte vom Schuldner entgegenzunehmen, [194] und sie verbietet, das Sachgeld dem Kreditgeld gegenüber als höherwertig zu behandeln. Sie greift damit in die Preisbildung des Marktes durch eine Preistaxe ein ; sie befiehlt, dass Sachgeld und Kreditgeld, die die Marktparteien verschieden bewerten und behandeln, gleichbewertet und gleichbehandelt werden. Das Ergebnis entspricht nicht der Absicht, die die Regierung erreichen wollte. Es gelingt ihr nicht, den Markt dazu zu bringen, die beiden Geldsorten gleichzubewerten. Da man das Sachgeld in den Austauschoperationen nicht höher veranschlagen darf als das Kreditgeld, trachtet man darnach, sich bei den Umsätzen nur des Kreditgelds zu bedienen. Das Sachgeld wird zurückgehalten oder ins Ausland verkauft. Es verschwindet aus dem Verkehr. Das Gresham'sche Gesetz sagt: Schlechtes Geld verdrängt das gute.

Das Abströmen des Sachgeldes ins Ausland ist mithin nicht die Folge einer ungünstigen Gestaltung der Zahlungsbilanz, sondern das — von der Regierung nicht beabsichtigte — Ergebnis eines Regierungseingriffs in die Preisbildung des Marktes.

XIV. Die Zahlungsbilanzen

Die Gegenüberstellung des Geldanschlags der Eingange und Ausgänge eines Haushalts in einem begrenzten Zeitabschnitt nennen wir die Zahlungsbilanz. Die beiden Seiten der Zahlungsbilanz [410] sind immer gleich gross. Die Zahlungsbilanz ist immer ausgeglichen.

Wollen wir die Stellung eines Einzelnen im gesellschaftlichen Zusammenwirken der arbeitsteiligen, auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebauten Marktwirtschaft, in der alle Umsätze durch Geld vermittelt werden, kennen lernen, dann müssen wir nur seine persönliche Zahlungsbilanz betrachten. Sie belehrt darüber, wie er in die gesellschaftliche Arbeitsteilung eingegliedert ist; sie zeigt, was er leistet und was er empfangt, und ob er alles, was er empfangt, wieder verausgabt oder ob er Rücklagen macht. Die kaufmännische Buchführung hat die Methoden zur Aufstellung solcher Bilanzen verfeinert und vermag damit ein genaues Bild der Haushaltsgebarung zu entwerfen. Will man erfahren, welche Stellung ein Einzelner in der Gesellschaft einnimmt, dann fragt man, wovon lebt er ? woher stammen seine Einnahmen ? und wie lebt er ? wie verwendet er seine Einnahmen ? Will man erfahren, wie ein Unternehmer oder ein Kapitalist wirtschaftet, dann hat man nur seine Buchabschlüsse, seine Bilanz und seine Gewinn- und Verlustrechnung einzusehen.

Will man erfahren, welche Stellung einer Gruppe von Einzelnen im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern der Marktgesellschaft zukommt, dann wird man eine Zahlungsbilanz aufstellen, in der man die Eingange und Ausgänge der Einzelnen nur soweit aufscheinen lässt, als sie aus dem Umsatz mit den nicht zur Gruppe gehörigen Einzelnen stammen. Man erhalt dann die Zahlungsbilanz der Londoner Anwälte, der belgischen Landwirtschaft, der Stadt Paris oder des Kantons Bern. Die Statistik versucht in der Regel die Aufstellung der Zahlungsbilanz der Bewohner eines Staatsgebiets gegenüber dem gesamten Auslande und gegenüber einzelnen fremden Staatsgebieten.

Die persönliche Zahlungsbilanz eines Einzelnen oder eines Unternehmens gibt über seine Wirtschaftstätigkeit und Wirtschaftslage in dem betrachteten Zeitraume erschöpfende Auskunft. Die Zahlungsbilanz einer Gruppe sagt viel weniger. Über den Verkehr der Gruppenmitglieder untereinander ist aus ihr nichts zu entnehmen. Je grösser und je weniger homogen die Gruppe, desto geringer ist der Erkenntniswert der Zahlungsbilanz. Die Zahlungsbilanz Luxemburgs gibt ein genaueres Bild von der Wirtschaft der Luxemburger als die Zahlungsbilanz der Vereinigten Staaten von der Wirtschaft der Burger dieser grossen Republik. Wenn man die Wirtschaft eines Landes beschreiben will, wird man zwar nicht soweit gehen müssen, die Zahlungsbilanz jedes Einzelnen aufzustellen, doch man wird bei gruppenweiser Darstellung der Zahlungsbilanz nur Gruppen [411] bilden dürfen, deren Mitglieder ziemlich gleichartig sind. Man wird etwa von den Eingängen und Ausgängen der Unternehmer und der Arbeiter bestimmter Kategorien, der Grossgrundbesitzer, der Bauern und dgl. zu sprechen haben.

Zahlungsbilanzstudien sind somit ausserordentlich auf.schlussreich. Doch man muss sie richtig zu deuten wissen.

Man pflegt die nichtmonetären Posten der Zahlungsbilanz eines Landes den monetären gegenüberzustellen und spricht dann von aktiver (günstiger) oder passiver (ungünstiger) Zahlungsbilanz, je nachdem, ob Geld ein- oder ausgeführt wird. Die Geldbewegung wird dabei als das von den Wirten nicht beabsichtigte Ergebnis der Gestaltung der nichtmonetären Posten der Zahlungsbilanz betrachtet. Diese Auffassung ist durchaus verkehrt. Man darf die Gestaltung der Zahlungsbilanz einer Mehrheit von Wirten nicht als etwas anderes ansehen denn als das Ergebnis einer Berechnung, die aus den Zahlungsbilanzen der Einzelnen die Posten, die sich aus dem Verkehr mit anderen Wirten derselben Gruppe ergeben, streicht und den verbleibenden Rest auf beiden Seiten addiert. Durch die Berechnung der Zahlungsbilanz gelangt man zur Ermittlung der Summe der Geldbeträge, die in einem bestimmten Zeitraum, den wir als möglichst klein annehmen, von alien Wirten, die wir zur Gruppe A zahlen, an alle Wirte, die wir nicht zur Gruppe A gezahlt haben und die wir als zur Gruppe B gehörig bezeichnen wollen, zu zahlen sind. Ergibt die Berechnung einen Überschuss der von den Wirten der Gruppe A an die Wirte der Gruppe B zu leistenden Zahlungen, so ist das nicht etwa ein Ereignis, das über die Wirte von A als Folge einer unglücklichen Verkettung von Umstanden wie eine Elementarkatastrophe hereinbricht ; es ist die Folge des Handelns der Wirte von A, die den Erwerb von Kaufgütern der Erhaltung des Kassenstandes in einem grösseren Umfange vorgezogen haben. In diesem Sinne ist die Zahlungsbilanz der Goldproduktionsländer dauernd passiv ; in diesem Sinne ist die Zahlungsbilanz eines Landes passiv, das einen Teil der Kassenstande seiner Burger durch neugeschaffene Umlaufsmittel besetzt und damit Gold freimacht.

Um ein Land davor zu schützen, dass es nicht seinen Geld.bestand an das Ausland verliere und dann plötzlich ohne Geld dastehe, bedarf es keines fürsorglichen Eingreifens der Obrigkeit. Sowenig Eingreifen der Obrigkeit notwendig ist, um zu verhindern, dass Herr A oder Herr B durch ungünstige Gestaltung seiner persönlichen Zahlungsbilanz seinen Kassenstand verliere, oder dass die Londoner ihr Geld an Manchester oder Birmingham bis auf den letzten Penny verausgaben, sowenig ist ihr Einschreiten vonnöten, um England vor der Verausgabung  [412] seines Geldes an das Ausland zu schützen. Solange ein Englander darauf Gewicht legt, einen Kassenstand zu halten, wird er durch entsprechendes Verhalten schon selbst dafür Sorge tragen, dass seine Kasse nicht leer werde, und damit sein Teil dazu beitragen, dass England nicht durch die vollständige Verausgabung seines Geldbeständes leide. Wenn aber kein Engländer einen Kassenbestand halten wollte, dann konnte keine den Aussenhandel und die Abwicklung der Geldzahlungen mit dem Ausland betreffende Massnahme der Regierung verhindern, dass alles Geld von England abströmt, es wäre denn ein scharf durchgeführtes Ausfuhrverbot für Geld und Gold.

XV. Die Paritäten

Wir nehmen zunächst an, dass nur eine Geldart verwendet wird. Dann gilt von der Kaufkraft des Geldes an verschiedenen Orten dasselbe, was von den Warenpreisen gilt. Der Preis der Baumwolle in New York kann im endlichen Ruhezustand von dem Preise der Baumwolle in Bremen nur urn die Kosten der Versendung und aller mit der Versendung in Verbindung stehenden Spesen verschieden sein ; sobald der Unterschied grösser wird, werden Unternehmer Baumwollversendungen vornehmen, die den endlichen Preis wieder herstellen. Der Preis für Auszahlung New York kann in Bremen, und der Preis für Auszahlung Bremen kann in New York nicht über den Be.trag steigen, der die Kosten der Versendung, der Umprägung der Stücke, der Versicherung der Geldversendung und der Zinsen für die zur Durchführung aller dieser Handlungen benötigten Zeit deckt ; sobald der Unterschied grösser wird, werden Arbitragegeschäfte einsetzen, die den Preis wieder in die Spanne zwischen den beiden Goldpunkten zurückbringen. Der Unterschied zwischen der Gestaltung der zwischenörtlichen Warenpreise und der zwischenörtlichen Valutenpreise liegt nur darin, dass die Warenbewegung zu jeder Zeit immer nur in einer Richtung geht. Baumwolle wird in der Regel nur von den Vereinigten Staaten nach Bremen versendet und nicht umgekehrt; der Baumwollpreis in New York ist daher regelmüssig urn die Versendungskosten niedriger als der Baumwollpreis in Bremen. Geld wird jedoch hin und hergeschoben.

Der Irrtum derer, die die Gestaltung der Valutenkurse und der Geldversendungen von Land zu Land durch die Gestaltung der nichtmonetären Posten der Zahlungsbilanz zu erklären suchen, liegt zunächst darin, dass sie dem Gelde eine Sonderstellung zuweisen wollen. Sie sehen nicht, dass zwischen Geld und Waren in Hinsicht auf die interregionale Preisgestaltung  [413] kein Unterschied besteht. Wenn Baumwollhandel zwischen New York und Bremen überhaupt möglich ist, kann der Baumwollpreis in New York vom Baumwollpreis in Bremen höchstens um den Betrag der vollen Versendungskosten verschieden sein. Ist der Baumwollpreis im Bremen um den Betrag der Versendungskosten höher als der in New York, dann wird Baumwolle von New York nach Bremen versendet. Genau so liegen die Dinge für das Gold im Verkehr zwischen den Goldproduktionsländern und den Ländern, die kein Gold erzeugen, jedoch Gold als Geld und für industrielle Zwecke verwenden, und im Verkehr zwischen Ländern, die ihren Bestand an Gold in stärkerem Masse verändern wollen als die übrigen Lander, und diesen übrigen Ländern.

Sehen wir von der besonderen Lage der Goldproduktionsländer ab und nehmen wir an, dass die Wirte nicht die Absicht haben, die Höhe ihrer Kassenhaltung zu verändern, dann ergibt sich ein anderes Bild. Aus der Gestaltung des zwischenörtlichen Handels und der übrigen zwischenörtlichen Geschäfte sind Zahlungen von Ort zu Ort zu leisten. Diese Zahlungen verlangen Geldversendungen, die sich jedoch, unserer Annahme gemäss, im Umfange decken. Wenn der Baumwollimporteur von Bremen nach New York und der Importeur von deutschen Industrieartikeln von New York nach Bremen zu zahlen hat, können beide die mit der Geldversendung verbundenen Kosten sparen, indem der Bremer Importeur die Forderung des Bremer Exporteurs erwirbt und seinem New Yorker Gläubiger abtritt, der sie beim New Yorker Importeur einzieht. Ob diese Glattstellung der Forderungen und Schulden zur Vermeidung der Geldversendungskosten durch die Umsätze auf ein em besonderen Markte der fremden Valuten und Devisen, auf dein Wechsel auf fremde Platze und Auszahlung gekauft und verkauft werden, erfolgt oder durch Verrechnung in einem zwischenörtlichen oder inter.regionalen Clearinghouse, ist unwesentlich.

Es kann nun, bei Zutreffen der übrigen unserem Gedankengange zugrundeliegenden Annahmen, geschehen, dass die Zahlungen zwischen den beiden Orten A und B sich zeitlich nicht genau decken. Dann kann die Geldversendung nur durch die Aufnahme von zwischenörtlichen Krediten vermieden werden. Wenn der Importeur, der von A nach B heute zu zahlen hat, auf dem Devisenmarkte nur Forderungen gegen Schuldner in B erwerben kann, die erst in drei Monaten fällig sind, kann er um die Kosten der Geldversendung herumkommen, wenn er in B einen Dreimonatskredit aufnimmt. Voraussetzung dafür ist, dass die Kosten der Kreditaufnahme in B die Kosten der Kreditaufnahme in A nicht um einen Betrag übersteigen, der höher  [414] ist als die Kosten der zweimaligen Geldversendung. Wenn die Kosten der Geldversendung 1/8 % betragen, werden die Banken des Ortes A, die den Zahlungsverkehr zwischen A und B abwickeln, bereit sein, für einen Dreimonatskredit in B im äussersten Fall nahezu urn 1 % (pro anno) mehr an Zins zu vergüten, als dem Stande des Zinses entspricht, bei dem sonst keine Kreditgeschäfte zwischen den beiden Orten möglich sind.

Man kann diesen Tatbestand auch in der Weise darstellen, dass man sagt : die tägliche Gestaltung der Zahlungsbilanz zwischen A und B bestimmt die Höhe, in der sich innerhalb der durch die Kosten der Geldversendung gezogenen Grenzen die Devisenkurse zwischen A und B bilden ; die Devisenkurse schwanken innerhalb der durch die Goldpunkte gezogenen Grenzen. Doch man darf dabei nicht vergessen hinzuzufügen, dass dies nur dann gilt, wenn die Wirte von A und von B keine Veränderung in der Höhe ihrer Kassenhaltung vorzunehmen wünschen, so dass Geldversendung ganz vermieden werden kann. Wenn die Wirte von A ihre Kassenhaltung verringern, die von B ihre Kassenhaltung erhöhen wollen, wird der Kurs der Auszahlung B in A den oberen Goldpunkt erreichen. Dann wird Gold von A nach B gesendet, geradeso wie im gleichen Falle Baumwolle von New York nach Bremen verschifft wird. Nicht weil die Zahlungsbilanz von A gegenüber B « ungünstig » oder « passiv » wurde, erreicht der Preis der Auszahlung B in A den oberen Goldpunkt ; weil die Wirte von A Gold an B verkaufen, weil daher Gold von A nach B verschifft wird, wird dieser Preisstand erreicht.

Alles das gilt vom Verkehr zwischen verschiedenen Platzen ohne Rücksicht darauf, ob sie demselben politischen Verband angehören oder nicht. Hier greift nun der moderne Staat in einer sehr wichtigen, doch in der Kegel von der nationalökonomischen Betrachtung der Gestaltung der Valuten- und Devisenkurse nicht genügend beachteten Weise ein. Die Zentralnotenbank und andere öffentliche Bankanstalten — z. B. der Geldscheckdienst der Postverwaltung — übernehmen die Tragung der Kosten, die durch die Geldversendung innerhalb des Staatsgebietes entstehen. Einst gab es auch zwischen inländischen Plätzen Bildung von Wechselkursen. Heute bereitet eine Zahlung von New York nach San Francisco dem Einzelnen keine höheren Kosten mehr als eine solche in New York selbst; es kann aber auch nicht mehr vorkommen, dass die Zahlung nach San Francisco billiger ist als die Zahlung in New York selbst, weil der Wechselkurs für San Francisco gerade ungünstig, d.h. unter Pari liegt. Durch diese Massnahme erst wird im Geldwesen ein scharfer Unterschied zwischen Inland und Ausland  [415] gezogen. Zahlungen im Inland werden al pari abgewickelt; bei Zahlungen ins Ausland sind — innerhalb der Goldpunkte — Schwankungen um die Parität herum möglich.

Sind mehrere Geldarten in Gebrauch, so wird das wechselseitige Austauschverhältnis unter ihnen durch die Kaufkraft bestimmt. Die endlichen Preise der einzelnen Waxen gegenüber jeder Geldart stehen in dem gleichen Verhältnis, und das endliche Austauschverhältnis der Geldarten untereinander entspricht dem Preisverhältnis gegenüber den Waren. Die Kauf.kraft jeder einzelnen Geldart gegenüber den Waren, auf der ihr Tauschwert gegenüber den übrigen Geldarten beruht, wird durch die Nachfrage, die nach ihr für Kassenhaltung entfaltet wird, und durch das Angebot bestimmt, wobei etwaige industrielle Nachfrage geradeso mitspielt wie sonst in der Bildung der Kaufkraft. Die Kaufkraftparitätentheorie ist mithin nichts weiter als die Anwendung der allgemeineren Sätze über die Bildung der Kaufkraft auf den besonderen Fall der Koexistenz mehrerer Geldarten.

Es macht dabei keinen Unterschied aus, ob die verschiedenen Geldarten nebeneinander in demselben Gebiet verwendet wer.den oder ob ihre Verwendung je auf ein Gebiet oder Staats.gebiet beschrankt ist. In jedem Fall muss sich das endliche Austauschverhältnis in der Höhe bilden, dass es keinen Unter.schied ausmacht, ob mit dem einen Gelde direkt eingekauft wird oder ob man es zuvor noch in eine andere Geldart umwandelt. Wo Versendungsspesen in Betracht zu ziehen sind, erfahren diese Austauschverhältnisse die entsprechenden Aufschlage oder Abschlage.

Die Veränderungen der Kaufkraft vollziehen sich nicht gleichzeitig alien Waren gegenüber. Nehmen wir wieder einmal den praktisch ausserordentlich wichtigen Fall einer Inflation eines auf ein Land beschrankten Kreditgeldes vor. Die Vermehrung der Geldmenge äussert sich zunächst nur im Steigen einer beschrankten Zahl von Warenpreisen. Die Preise der anderen Güter gehen erst nach und nach hinauf. Das Austauschverhältnis zwischen Binnengeld und dem ausländischen Weltgeld wird auf der Valutenbörse gebildet, wo die Mitwirkung von spekulativen, d.h. die künftige Entwicklung vorwegnehmenden Käufen und Verkäufen eine grössere Rolle spielt als bei den nicht börsenmassig gehandelten Waren und Diensten. Es erreicht daher viel schneller die dem neuen Stande der Menge des Binnengeldes entsprechende Höhe als die Preise der Mehr.zahl der Waren und Dienstleistungen. Kaum dass die Inflation ihre Wirkung auf die Preise zu äussern begonnen hat, jedenfalls lange bevor sie ihre Wirkung alien Preisen gegenüber ausgeübt  [416] hat, steigt der Kurs des Auslandsgeldes auf die Höhe, die dem neuen, später einmal zu erreichenden endlichen Preisstand der Waren entspricht.

Dieser Tatbestand ist gründlich missverstanden worden. Man hat die Erklärung der beiden Erscheinungen getrennt. Die Bewegung der Valutenkurse erklärte man durch Veränderung der Zahlungsbilanz. Die Nachfrage nach fremder Valuta sei durch die Spekulation oder durch Verschlechterung der Handelsbilanz oder anderer Einzelposten der Zahlungsbilanz erhöht worden. Da man wegen der höheren Valutenkurse fur die eingeführten Waren in Inlandsgeld mehr zu bezahlen habe, müssten dann im späteren Verlauf auch die Inlandspreise der eingeführten Waren steigen ; wenn man nicht durch Ausfuhrverbote oder durch Preistaxen eingreift, müssten schliesslich auch die Preise der im Inland fur den Inlandsmarkt hergestellten Erzeugnisse die Preissteigerung mitmachen.

Der Fehler dieser Erklärung ist leicht aufzuweisen. Wie können die ausländischen Waren im Inlande zu höheren Preisen Käufer finden, die imstande sind, die Geldmittel für die Bezahlung aufzubringen 1 Wenn das nominelle Geldeinkommen der Inlander nicht durch Inflation gestiegen ist, dann müssen sie entweder ihren Verbrauch an Auslandswaren oder aber den Verbrauch von Inlandswaren einschränken. In jenem Falle wird die Handelsbilanz durch den Rückgang der Einfuhr, in diesem Fall durch Steigen der Ausfuhr wieder auf den früheren Stand zurückgeführt.

Die Spekulation nimmt nur die voraussichtliche Veränderung vorweg. Wenn die Spekulanten geirrt haben, wenn ihre Meinung, dass Inflation am Werke sei, auf falschen Annahmen beruht hat, wird die Gestaltung der inländischen Warenpreise und der Devisenkurse anders verlaufen, als sie geglaubt haben, und sie werden ihren Irrtum durch Verluste zu bezahlen haben.

Dass die Gestaltung der Zahlungsbilanz innerhalb des durch die Goldpunkte begrenzten Spielraums die Bildung der Valutenkurse bestimmt, ist gerade dadurch bedingt, dass die Höhe der Kassenhaltung der einzelnen Wirte und Gruppen von Wirten das Ergebnis ihres Begehrens nach Kassenhaltung ist, und dass kein einzelner Wirt und keine Gruppe von Wirten durch Steigerung der Geldausgaben, die ohne Rücksicht auf den Bedarf an Kassenhaltung erfolgte, den Kassenbestand wider Absicht schwinden lassen. Die Kaufgüter bewegen sich gewissermassen auf einer Einbahnstrasse von den Überschussländern nach den Einfuhrländern. Bei ihnen ist der Preis in den Ausfuhrländern ständig um den Betrag der Versendungskosten niedriger als in den Einfuhrländern. Beim Gelde, das, wenn wir [417] von den besonderen Bedingungen der Goldproduktionsländer and den von den Wirten gewollten Verschiebungen im Umfang der Kassenhaltung absehen, nur dem Umsätze dient, ist bald dieses, bald jenes Land Ausfuhrland, und jedes Land wird, weil es Ausfuhrland war, bald wieder Einfuhrland. Daher können beim Gelde die Versendungen und die durch sie verursachten Spesen durch das Spiel des Valuten- und Devisenmarktes vermieden werden.

XVI. Die Zinsfussarbitrage und die Diskontpolitik der Notenbanken

Das Geld wird in Kreditgeschäften geradeso verwendet wie bei alien anderen Umsätzen. Darlehen werden in der Regel in Geld gewahrt und in Geld verzinst und zurückgezahlt. Doch die Höhe der Kassenhaltung wird dadurch nur vorübergehend beeinflusst. Die Empfänger der Darlehen, der Zinsen und der Darlehensrückzahlung geben das so empfangene Geld wieder aus, es wäre denn, sie hatten aus besonderen, von dem Eingang dieser Geldbeträge unabhängigen Gründen die Absicht, die Kassenhaltung zu verstärken.

Der endliche Stand des Nettozinses fur Gelddarlehen glei.cher Art ist im gesamten Wirtschaftsgefüge gleich hoch. Die Verschiedenheit des Zinssatzes ist entweder in Unterschieden der mit der Darlehensgewährung verbundenen Eisken oder in Unterschieden in den Darlehensbedingungen begründet. Treten Zinsfussunterschiede auf, die durch solche Verschiedenheit nicht gerechtfertigt erscheinen, dann werden Bewegungen aus.gelost, die den Ausgleich herbeiführen. Die Kreditbedürftigen wenden sich dorthin, wo sie den Kredit billiger erhalten können, die Darlehensgeber suchen die Kreditbedürftigen zu befriedigen, bei denen sie bessere Verzinsung erlangen können. Die Zinsfussarbitrage arbeitet nicht anders als die Effekten- und Warenarbitrage.

Im Falle der Währungsverschiedenheit spielen fur die Zinsfussarbitrage auch die Erwartungen in Bezug auf etwaige Veränderung des Austauschverhältnisses der in Betracht kommen.den Geldarten eine Kolle. Wenn in A Goldwährung besteht, in B Silberwährung, muss der Zinsfussarbitrageur, der von A nach B Kredit gewahren will, Gold gegen Silber verkaufen. Steigt dann Gold (gegen Silber), so wird der Betrag Silber, den er als Kreditrückzahlung in B empfangen wird, nicht mehr hin.reichen, urn den Goldbetrag zurückzukaufen, den er zur Gewährung des Silberdarlehens verkaufen musste. Er wird daher Silberkredite nur dann zu gewahren bereit sein, wenn ihm die  [418] Zinsspanne zwischen A und B gross genug erscheint, um ihn auch das Währungsrisiko tragen zu lassen.

Nehmen wir Währungsgleichheit zwischen A und B an, dann müssen wir noch eine weitere Voraussetzung machen, nämlich, dass in beiden Orten entweder nur Geld verwendet wird und keine Umlaufsmittel, oder dass zwar Umlaufsmittel verwendet werden, dass aber kein Versuch unternommen wird, durch Kreditausweitung den Zinsfuss unter den Stand herabzudrücken, bei dem Kreditgeschäfte zwischen den beiden Orten nicht rentieren. Wenn die Notenbank in A Kreditausweitung vornimmt, wenn sie ihren Kunden, den Bürgern von A, zusätzliche Kredite gewahrt, werden die Bürger von A kaufkräftiger, wahrend die Burger von B nicht mehr Geldmittel zur Verfügung haben, als sie früher hatten. Die Burger von A werden ihre Käufe aus.dehnen, sie werden daher an die Burger von B mehr zu zahlen haben, als sie von ihnen zu empfangen haben. Nicht nur die Gestaltung des Aussenhandels wirkt dahin, sondern auch die Richtung, die die Zinsfussarbitrage nun einschlagt. Es ist vor.teilhaft, Geld aus A herauszuziehen und in B, wo der Zinsfuss nicht durch Kreditausweitung gesenkt wurde, zu verleihen. Da die Banknoten nicht ausgeführt werden können, wird nur Geld versendet. Die Ansprüche, die an die A Bank auf Einlösung der Noten gestellt werden, wachsen. Ihre Barreserve sinkt. Es tritt das ein, was die Currency-Schule als external drain bezeichnet hat. Wenn die Notenbank A nicht zahlungsunfähig werden will, muss sie diesem Geldabfluss Einhalt tun. Dafür gibt es nur einen Weg : sie muss die Kreditausweitung wieder rückgängig machen, sie muss die Kredite kürzen, den Satz, zu dem sie aus.leiht, hinaufsetzen. Sie muss, pflegt man zu sagen, die Diskontschraube anziehen.

Man verkennt das Wesen dieses Vorgangs vollkommen, wenn man in ihm eine Massnahme der Bank zur Sicherung « volkswirtschaftlicher » Belange erblicken will oder einen Dienst, den die Bank der «'Volkswirtschaft» durch Erhaltung der Barre-serve leistet. Was die Bank unternimmt, tut sie zum Schutze ihrer eigenen Zahlungsfähigkeit. Wenn sie den external drain nicht zum Stillstand zu bringen weiss, muss sie zahlungsunfähig werden. Die schwierige Lage, in die sie geraten ist, ist die unabwendbare Folge ihrer Kreditausweitungspolitik. Sie hat versucht, in der Kreditausweitung weiter zu gehen als die anderen — die ausländischen — Notenbanken und stosst damit an die schränken, die der Umlaufsmittelausgabe gezogen sind. Sie hat den Kredit durch Kreditausweitung verbilligt, sie muss ihn nun, um den Bankrott zu vermeiden, durch Krediteinschränkung wieder verteuern.

[419]

Mitunter mag es die Bank aus politischen Gründen vorziehen, die Kreditverteuerung anders durchzuführen als durch Diskonthinaufsetzung oder allein durch Diskonthinaufsetzung. Sie lasst den Diskont unverändert oder setzt ihn nicht so hoch hinauf, als es nötig ware, um weiteren Geldabzug zu hindern. Doch sie selbst tritt auf dem Geldmarkte, dem Markte für kurzfristigen Kredit, als Darlehensnehmerin auf, indem sie Wertschriften aus ihrem Besitzstand, meist Staatspapiere, verkauft, um sie dann später, wenn die Klemme verstrichen ist, wieder zurückzukaufen. Auch dieser Vorgang bedeutet Krediteinschränkung und treibt den Zinssatz auf dem Markte hinauf. Das ist die open market policy, ein Verfahren, das man heute erstaunlicherweise als neu zu bezeichnen pflegt, obwohl es manche der grossen Notenbanken schon seit vielen Jahrzehnten geübt haben.

XVII. Sekundäre Tauschmittel

Die Ausbildung des Geldgebrauchs beseitigt nicht die Verschiedenheit, die in der Marktgängigkeit und Absatzfähigkeit der übrigen Güter — der Kaufgüter — besteht. Wohl bringt es die Entwicklung des Geldes mit sich, dass der Unterschied, der zwischen der Absatzfähigkeit des Geldes auf der einen Seite und der der Kaufgüter auf der anderen Seite besteht, ausserordentlich gross wird. Doch zwischen den einzelnen Kaufgütern bleiben Unterschiede in der Absatzfähigkeit bestehen. Da die Umstande, die einigen Kaufgütern höhere, anderen nur geringere Absatzfähigkeit verschaffen, sich andern, ändert sich auch die Absatzfähigkeit; es kann geschehen, dass Güter, die einst als besonders absatzfähig erschienen, schwer absetzbar werden, und dass anderseits Güter, die einmal als schwer absatzfähig angesehen werden mussten, nun leicht absetzbar sind ; es kann auch geschehen, dass neue Güter auftauchen, die in hohem Grade absatzfähig sind.

Wenn Absatzfähigkeit im Allgemeinen den Grad der Wahrscheinlichkeit bedeutet, der dafür besteht, dass man auf dem Markte ohne Verzug einen Käufer finden werde, der bereit ist, den höchsten Preis zu zahlen, der bei der gegebenen Gesamtmarktlage überhaupt zu erzielen ist, so bedeutet Absatzfähigkeit in der besonderen Anwendung auf die Kaufgüter auf einem Markte, in dem durch Vermittlung des Geldes umgesetzt wird, den Grad der Wahrscheinlichkeit, der dafür besteht, dass man auf dem Markte ohne Verzug einen Käufer finden werde, der bereit ist, den höchsten erzielbaren Geldpreis zu bieten. Ein Kaufgut erscheint umso absatzfähiger, je leichter und rascher  [420] es zu dem höchsten erzielbaren Preis zu Geld gemacht werden kann. Man vergleicht die Absatzfähigkeit der Kaufgüter nicht mehr mit der des Geldes ; man vergleicht nur noch die Absatzfähigkeit der Kaufgüter untereinander in Bezug auf das Geld. Man kann in diesem Sinne von Unterschieden in der sekundären Absatzfähigkeit der Kaufgüter sprechen.

Wer über Kaufgüter grösserer sekundärer Absatzfähigkeit verfügt, kann seine Kassenhaltung in engeren Grenzen halten. Er kann darauf rechnen, dass er diese Kaufgüter höherer sekundärer Absatzfähigkeit ohne Zeit- und Wertverlust veräussern kann, wenn er seinen Kassenstand einmal erhöhen will. Ohne Zeitverlust, d.h. ohne dass er auf einen Käufer warten muss und in der Wartezeit Zinsverluste erleidet; ohne Wertverlust, d.h. ohne dass er sich mit einem niedrigeren Preis begnügen muss, weil die Marktlage im Augenblick gerade fur dieses Gut ungünstig ist, oder weil er keinen Käufer findet, der den höchsten erzielbaren Preis zu zahlen bereit ist. Die Höhe der von den einzelnen Wirten gehaltenen Kassenbestände wird somit von der grösseren oder geringeren sekundären Absatzfähigkeit der in ihrer Habe befindlichen Kaufgüter beeinflusst. Der Um-fang der Kassenhaltung und damit auch die Kosten, die die Kassenhaltung auferlegt, können vermindert werden, wenn Güter höherer sekundärer Absatzfähigkeit zur Verfügung stehen.

Daraus folgt, dass nach solchen Kaufgütern höherer sekundärer Absatzfähigkeit eine besondere Nachfrage entsteht, die ihren Preis über die Höhe hinauftreibt, die sie ohne diese besondere Nachfrage erreichen würden. Diese Güter haben einen Preisstand, der zu einem Teil auf ihrer besonderen Funktion als Gut von höherer sekundärer Absatzfähigkeit beruht. Sie fungieren gewissermassen als sekundäre Tauschmittel und demgemäss ist in ihrer Schatzung eine Komponente enthalten, die auf dem von ihnen versehenen Dienst als sekundäres Tausch.mittel beruht.

Die Kosten der Kassenhaltung können durch die Haltung eines Bestandes von sekundären Tauschmitteln in dem Ausmasse vermindert werden, in dem die Kosten der Haltung eines Bestandes von sekundären Tauschmitteln hinter den Kosten der Kassenhaltung zurückbleiben. Die Kosten der Kassenhaltung sind in der Kegel durch den Zinsentgang an den in den Kassen liegenden Betragen gegeben, die Kosten der Haltung eines Bestandes sekundärer Tauschmittel durch die Differenz, die zwischen dem Ertrag dieser Werte und dem im übrigen ihnen gleichzuhaltender Werte, die nicht als sekundäre Tauschmittel verwendet werden können, besteht. 

[421]

Als sekundäre Tauschmittel dienten und dienen seit alters-her vor allem Edelsteine und Schmuckstücke. Man schätzt sie nicht nur, weil man sich ihres Glanzes erfreut und sich mit ihnen schmückt, sondern auch weil man damit rechnet, sie leicht und schnell zu Geld machen zu können, wenn die Verhältnisse es erfordern sollten. Mit der Ausbildung des modernen Kreditwesens wurden neue Wege für die Anlage von Mitteln, die man leicht flüssig machen will, eröffnet. Als sekundäre Tauschmittel dienen heute besonders :

a ) Einlagen bei Banken und Sparkassen die, ohne den Charakter von Geldsurrogaten zu haben, jederzeit fällig sind [195] oder nach Ablauf einer kurzen Kündigungsfrist fällig werden.

b ) Schuldverschreibungen, die an den Börsen einen so grossen Markt haben, dass sie in Zeiten ruhiger Börsenlage schnell ohne Kurseinbusse veräussert werden können.

c ) Schliesslich auch Aktien und mitunter selbst Waren, für die die gleichen Voraussetzungen gegeben sind.

Den Vorteilen, die der Einzelne aus der Verminderung der Kassenhaltung zu Gunsten solcher Anlagen zieht, stehen allerdings auch gewisse Eisken gegenüber. Die Veräusserung der Wertschriften (und noch leichter kann dies bei Waren eintreten) mag unter Umstanden nur zu einem Kurse möglich sein, der hinter dem seinerseitigen Anschaffungskurse zurückbleibt. Diese Gefahr besteht bei der Zurückziehung von Bank- und Sparkassenguthaben nicht, und das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wird im Allgemeinen als unbedeutend angesehen. Verzinsliche kurzfristige Guthaben bei Bankiers und Kreditinstituten sind daher die beliebtesten sekundären Tausch.mittel.

Man darf die sekundären Tauschmittel nicht mit Umlaufsmitteln verwechseln. Die Umlaufsmittel werden als Geldsurrogate in der Abwicklung von Geschäften wie Geld genommen und gegeben. Die sekundären Tauschmittel sind aber keine Geld-surrogate. Sie müssen erst zu Geld (oder Geldsurrogaten) gemacht werden, wenn man sich ihrer — auf Umwegen — zur Abwicklung von Geschäften bedienen will.

Dass die sekundären Tauschmittel wegen der spezifischen, auf ihrem sekundären Tauschmitteldienste beruhenden Nachfrage höher geschätzt werden als im übrigen gleichartige Ob.jekte, die diesen Dienst nicht leisten, äussert sich bei Geldforderungen in niedrigerer Verzinsung. Schuldverschreibungen [422] des Staates und Schatzwechsel, die auch als sekundäre Tausch.mittel gesucht werden, können unter günstigeren Bedingungen vom Schuldner begeben werden als Schulddokumente anderer Art. Das Bestreben der Schuldtitel ausgebenden Stellen ist daher darauf gerichtet, den Markt so zu gestalten, dass ihre Schuldtitel den sekundären Tauschmitteldienst erfüllen können. Dem Inhaber der Schuldtitel — dem Gläubiger — soil ermöglicht werden, seine Wertschriften jederzeit ohne Kursverlust zu verkaufen oder zu günstigen Bedingungen belehnen zu können. In den Prospekten, die bei der Aufnahme der Anleihen ausgegeben werden, wird auf diese Vorteile stets mit besonderem Nachdruck hingewiesen.

Dass auch die Banken und Bankiers bemüht sind, die Nach.f rage nach sekundären Tauschmitteln an sich zu ziehen, ist wohl zu verstehen. In diesem Bestreben suchen sie dem Publikum « kulante » Bedingungen zu gewahren ; sie wetteifern darin, die Kündigungsfristen kürzer zu bemessen und kleinere Be.trage verzinslich auch gegen die Zusage jederzeitiger Fälligkeit entgegenzunehmen. Durch übermassiges Entgegenkommen in der Behandlung solcher Einlagen sind schon manche Banken illiquid und selbst insolvent geworden.

In den letzten Jahren haben die politischen Verhältnisse die Bankguthaben, die als sekundäre Tauschmittel verwendet wer.den können, eine besonders grosse Bedeutung erlangen lassen. Die Regierungen der meisten Staaten führen einen scharfen Kampf gegen das «mobile Kapital». Sie enteignen grosse Teile des Vermögens durch Steuern und durch währungspolitische Massnahmen. Die bedrohten Kapitalisten suchen sich diesen Gefahren dadurch zu entziehen, dass sie die Vermögen so anlegen, dass sie rechtzeitig dem Schlage ausweichen können. Sie halten grosse Bankguthaben in den Ländern, in denen fur die nächste Zukunft die Wahrscheinlichkeit einer Geldentwertung verhältnismassig gering ist. Ändert sich die Lage, so dass sie fur diese Anlage fürchten müssen, dann übertragen sie die Guthaben in andere, für den Augenblick grössere Sicherheit bietende Lander. Diese jederzeit fluchtbereiten Gelder — hot money — haben die Gestaltung der Daten des internationalen Geldmarktes durchgreifend verändert.

Im Lauf der letzten hundert Jahre sind nämlich alle Staaten zum Einreserve-System übergegangen. Urn die privilegierte Zentralnotenbank besser in die Lage zu versetzen, nationale Kreditausweitungspolitik zu treiben, wurde darauf hingearbeitet, die Privatbanken zu veranlassen, den grössten Teil der Kassenbestände bei der Zentralnotenbank zu deponieren. Die Privatbanken beschrankten ihre Kassenhaltung auf den [423] Umfang, den die Abwicklung des täglichen normalen Geschäfts erfordert. Sie hielten es nicht mehr fur notwendig, ihre Passivgeschäfte mit ihren Aktivgeschäften derart in Einklang zu bringen, dass sie ihren Verpflichtungen jederzeit voll mid pünktlich nachkommen konnten. Um täglich fällige Ansprüche ihrer Kunden befriedigen zu können, schien es ihnen ausreichend, über Aktiven zu verfügen, die die Zentralnotenbank als Unterlage für die Gewährung von Krediten ansieht.

Als der Zustrom des « heissen Geldes » einsetzte, sahen die Privatbanken in der Vermehrung der täglich oder mit kurzer Kündigungsfrist rückziehbaren Einlagen nichts Bedenkliches. Sie nahmen diese Einlagen entgegen und verwendeten sie in ihrem Kreditgeschäfte. Sie dachten nicht an die Gefahr, die ihr Verhalten heraufbeschworen musste. Sie machten sich kerne Sorgen, wie sie diese Gelder, deren stete Abwanderungsbereitschaft sie doch erkennen mussten, eines Tages zurückzahlen sollten.

Heute beginnt man, diese Probleme besser zu begreifen. Man ist zur Erkenntnis gelangt, dass man diese Gelder nicht im Kreditgesehafte binden darf und dass man für solche Einlagen nicht nur keine Zinsen vergüten darf, sondern eine Verwahrungsgebühr berechnen muss. Es wird noch geraume Zeit verstreichen, bis man dieser Einsicht gemäss vorgehen und damit die Gefahren für die Aufrechthaltung des Banksystems in der überlieferten Gestalt beseitigt haben wird.

XVIII. Die inflationistische Geschichtsauffassung

Eine weitverbreitete Auffassung meint, dass fortschreitende Senkung der Kaufkraft des Geldes sich in der geschichtlichen Entwicklung als ausschlaggebender Faktor erwiesen habe und erweise. Die Menschheit hatte, pflegt man zu sagen, den Weg von den einfacheren Wirtschaftsverhältnissen alterer Zeiten zum hochentwickelten Kapitalismus unserer Epoche nicht zurücklegen können, wenn die Geldmenge nicht schneller gewachsen wäre als der Geldbedarf und wenn demgemäss nicht die Kaufkraft des Geldes von der Geldseite her so stark gesenkt worden ware, dass ungeachtet starken, ja geradezu gewaltigen Anwachsens der Kaufgüterversorgung fortschreitende Steigerung aller Preise und Lohne resultiert hatte. Die Ausgestaltung der Arbeitsteilung, die Neubildung von Kapital und die Steigerung der Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit waxen nur durch die fortschreitende Geldentwertung ermöglicht worden. Nur sie schaffe Wirtschaftsblüte und Reichtum ; Deflation und Preisfall [424] führten dagegen stets zu Wirtschaftsschrumpfung und Wirtschaftsverfall. [196]

Man kann, wenn man auf das Schrifttum blickt und die Ideen beachtet, die die Währungspolitik seit Jahrhunderten beherrschen, ruhig sagen, dass diese Meinung ziemlich allgemein geteilt wird. Man pflegt die Epochen stärker Vermehrung der Geldmenge und stärker Kreditausweitung als die grossen Fortschrittsepochen der Menschheitsgeschichte zu betrachten, wenn man auch, einigermassen belehrt und zur Vorsicht gemahnt durch die Erfahrungen der grossen Inflationen, praktisch nicht Inflation und Kreditausweitung schlechthin, sondern massige, gewisse schränken nicht überschreitende Politik zur Senkung der Kaufkraft des Geldes empfiehlt.

Die Vorliebe fur inflationistische Politik beruht zum Teil auf dem tiefeingewurzelten Hass gegen die Gläubiger. Inflationspolitik wird als Waffe im Kampfe der Schuldner um Befreiung von den übernommenen Verpflichtungen betrachtet, Weil sie die Schuldner auf Kosten der Gläubiger begünstigt, wird sie als gerecht und als wohltätig f ür die Massen angesehen. Doch dieser Gedankengang ist von dem, mit dem wir es hier zu tun haben, zu unterscheiden. Die Auffassung, von der wir sprechen, betrachtet Inflation nicht wegen ihrer Rückwirkung auf die Schuldverhältnisse, sondern wegen ihrer sonstigen Wirkungen und Begleiterscheinungen als den treibenden Faktor oder als notwendige Bedingung wirtschaftlicher Entwicklung.

Man kann das Problem, das die inflationistische Geschichtstheorie aufwirft, nicht an Hand der geschichtlichen Erfahrung prüfen. Es wird nicht bestritten, dass die Geschichte seit vielen Jahrhunderten eine im Grössen und Ganzen fortschreitende, wenn auch ab und zu durch kurze Rückschlage unterbrochene Aufwärtsbewegung der Preise aufweist. Von irgendwelcher Genauigkeit, wissenschaftlicher Strenge oder gar zahlenmässig bestimmter Feststellung kann bei der Ermittlung eines derartigen Tatbestandes nicht die Rede sein. Es wäre vergebens, den Versuch zu unternehmen, die Kaufkraft des Silbers und des Goldes in Europa Jahrhunderte zurückzuverfolgen und ihre Veränderungen zu messen. Dass alle Methoden, die man zur Messung der Kaufkraftveränderungen angegeben hat, auf Verkennung des Wesens der Austauschverhältnisse und des Wirtschaftens überhaupt beruhen, und dass sie daher sinnlos sind, wurde schon gezeigt. Was die Geschichte mit ihren Methoden [425] auf diesem Gebiete zu ermitteln vermag, genügt aber, um die Behauptung zu rechtfertigen, die Kaufkraft des Geldes habe im Zuge der Jahrhunderte abgenommen. In diesem Punkte herrscht ziemlich weitgehende Übereinstimmung. Doch nicht diese Frage hat uns zu beschäftigen, sondern das ganz andere Problem, ob die Geldwertsenkung in der geschichtlichen Entwicklung Europas und des modernen Weltkapitalismus, in der Ausgestaltung der Arbeitsteilung und in der fortschreitenden Verbesserung der Versorgung durch erhöhte Kapitalbildung und Anwendung ergiebigerer Produktionsverfahren eine notwendige Bedingung war. Wir haben unabhängig von aller geschichtlichen Erfahrung, die man immer verschieden interpretieren kann und verschieden interpretiert, und auf die Gegner und Anhänger jeder Geschichtskonstruktion und jeder Entwicklungstheorie sich mit gleichem Recht oder Unrecht zu berufen pflegen, zu untersuchen, wie die Wirkungen der Kaufkraftänderungen den Ablauf eines wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses zu beeinflussen Vermögen.

Man kann bei einer solchen Untersuchung kaum oder überhaupt nicht von den Argumenten und Gedankengängen ausgehen, die die Vertreter der inflationistischen Geschichtsauffassung zur Stützung ihres Standpunktes vorgebracht haben. Deren Argumente sind meist so offenkundig falsch, dass ihre Zurückweisung und restlose Ablehnung mit den einfachsten Mitteln gelingt. Seit es Nationalökonomie als Wissenschaft gibt, hat man immer wieder mit Erfolg gezeigt, dass alle Behauptungen über die vermeintlichen Nachteile des Geldmangels und die vermeintlichen Vorteile der Geldfülle auf groben Denkfehlern beruhen. Man hat es jedoch, vielleicht gerade wegen der Überzeugungskraft und der Scharfe, die die sen Widerlegungen innewohnt, und wegen der krassen Unzulänglichkeit der Ausführungen der Anhänger der inflationistischen Lehre unter.lassen. sich die Frage vorzulegen, ob nicht andere Gedankengange als die, die man zu Gunsten der Inflationstheorie vorgebracht hat, etwa doch eine besondere Prüfung des Problems notwendig machen. Man muss sich fragen, ob die inflationistische Geschichtsauffassung nicht mit Argumenten vertreten werden konnte, die besser sind als die ihrer Anhänger, und man muss versuchen, den Gehalt solcher Argumente zu prüfen. Man muss die Behandlung des Problems von der Bindung an die Unzulänglichkeit aller inflationistischen Lehren befreien, um keinen Gedanken unberücksichtigt zu lassen, der für das Ergebnis der Untersuchung von Bedeutung sein konnte.

Die Erörterung der für die Beurteilung der inflationistischen Geschichtsauffassung entscheidenden Gesichtspunkte  [426] muss den später folgenden Untersuchungen liber die Beziehungen von Geldstand und Zinsfussgestaltung und über den Konjunkturwechsel überlassen bleiben. Dort wird zu zeigen sein, wie Inflation und Kreditausweitung den Gang der Wirtschaft beeinflussen und was es fur eine Bewandtnis mit dem durch die Geldfülle ausgelosten Aufschwung hat. [197]

An dieser Stelle müssen wir uns darauf beschränken,. das Problem von einer besonderen Seite zu betrachten. Wir wollen eine Welt denken, in der die Geldmenge starr ist. Wir nehmen an, dass die Menschen von dem als Geld verwendeten Stoff schon in einem frühen Stadium der geschichtlichen Entwicklung, jedenfalls schon vor Jahrhunderten alle die Mengen dem Gelddienst zugeführt haben, die ihnen jemals erreichbar sein können ; seither ist keine weitere Vermehrung mehr möglich. Umlaufsmittel werden nicht verwendet. Der Gelddienst werde ausschliesslich durch Geldstücke und durch Geldzertifikate versehen ; auch die Teilmünzen, die den Umsatz kleiner und kleinster Betrage ermöglichen sollen, sind durch Geldbeträge, die bei den Ausgabestellen erliegen, voll gedeckt und sind dem.nach Geldzertifikate.

Unter diesen Voraussetzungen hatten der Ausbau der Arbeitsteilung und der Geldwirtschaft des Marktes auf der einen Seite, die Steigerung der Ergiebigkeit der Arbeit und die Meh.rung der Gütermengen auf der anderen Seite fortdauernd Preissenkungen hervorrufen müssen. Hatte das den Fortschritt hemmen können, hatte es nicht die Wirtschaft in Verhältnissen festgehalten, die mehr Ähnlichkeit mit denen des zehnten Jahrhunderts als mit denen des zwanzigsten haben ?

Der Kaufmann wird diese Frage bejahen. Das ist leicht zu verstehen. Das Denken des Geschäftsmanns steht eben ganz im Banne von Anschauungen, die sich unter anderen Voraussetzungen herausgebildet haben. Für ihn ist Preisniedergang gleichbedeutend mit Verlust, Preishausse mit Gewinn. Selbst der Umstand, dass es auch Baissespekulation gibt, und dass grosse Vermögen durch Spekulation auf den Preisniedergang entstanden sind, wird ihn in seiner Auffassung nicht beirren. Das waren eben nur Spekulationen, die aus dem Preisfall schon vorhandener Güter Gewinn zu erzielen suchen. Schöpferisches Neue. neue Anlagen, neue Verfahren würden nur durch die Aussicht auf steigende Preise verlockend. Der Fortschritt wäre ohne Preissteigerung nicht denkbar.

Diese Auffassung ist jedoch unhaltbar. In einer Welt sinkender Preise hatte sich das Denken aller Wirte den Verhältnissen [427] ebenso anpassen müssen wie es sich den steigenden Preisen angepasst hat. Heute ist jedermann geneigt, in steigendem Geldeinkommen den Ausdruck einer Verbesserung seiner Lage zu erblicken ; die Aufmerksamkeit ist vor allem auf das Steigen des Geldausdrucks der Lohne und der Vermögen gerichtet und weniger auf das Verhältnis, in dem sich die Versorgung mit Sachgütern verbessert hat. In einer Welt sinkender Kaufkraft würde man sich wohl mehr mit dem Sinken der Lebenshaltungskosten befassen. Das Ergebnis des wirtschaftlichen Fortschritts, der die Versorgung erleichtert und verbessert, würde dabei klarer hervortreten.

Die säkulare Entwicklung der Preise spielt in den Erwägungen, die Unternehmer und Kapitalisten in ihrer Geschäftsführung bestimmen, keine Rolle. Kein Wirt kümmert sich darum, wie sich die Kaufkraft des Geldes säkular gestaltet; für die Wirte entscheidet allein die Auf fas sung, die sie über die Preisentwicklung in den kommenden Wochen und Monaten hegen. Nicht die Richtung, die die Preisbewegung im Allgemeinen nehmen wird, interessiert den Unternehmer, sondern die Gestaltung des Verhältnisses, das zwischen den Preisen der komplementären Produktionsmittel und denen der Produkte besteht. Er kauft nicht etwa, weil er erwartet, dass « die Preise », d.h. alle Preise steigen werden, sondern weil er glaubt, dass die Spannung, die zwischen den Preisen bestimmter komplementärer Produktionsmittel und den erwarteten Preisen der Produkte besteht, so gross ist, dass sich dem Produzenten Gewinnaussichten bieten. In einer Welt, in der der säkulare Zug der Preisgestaltung die Kaufkraft der Geldeinheit steigen lasst, werden den unternehmenden Wirten solche Gewinnaussichten nicht weniger oft und in nicht geringerem Umfang winken als in einer Welt sinkender Kaufkraft. Die Erwartung allgemeiner progressiver Preissteigerung lost nicht etwa erhöhte Produktionstätigkeit aus, sondern « Flucht in die Sachwerte » und « Katastrophenhausse ».

Wenn die Auffassung, dass die Preise aller Güter fallen werden, allgemein wird, wird der Bruttodarlehenszins für kurzfristige Anlage durch das Auftreten einer negativen Preisprämie gesenkt. [198] Damit wird der Unternehmer gegen etwaige nachteilige Folgen des Preisfalls gesichert.

Doch auch soweit diese Sicherung in kurzfristigen Geschäften und Spekulationen nicht hinreicht und in den langfristigen Anlagen, für die sie in der Regel überhaupt nicht erzielt werden [428] kann, konnte allgemeine Preissenkung das Spar en und die Kapitalbildung nicht hemmen. Wenn der Aktionär in the long run auch mit fallenden Dividenden zu rechnen haben wird, wird er anderseits auch mit fallenden Preisen und mit sinkenden Lebenshaltungskosten zu rechnen haben. Das Sinken der Preise kann ihn nicht um die Früchte des Sparens bringen.

Man kann daher die Meinung, dass psychische Momente das wirtschaftliche Handeln unter Verhältnissen fortschreitenden säkularen Sinkens der Warenpreise hemmen müssten und die Unternehmungslust schwachen würden, nicht als begründet ansehen. Andere als solche psychologische Hemmungen kamen überhaupt nicht in Betracht. Denn dass die wesentliche Voraussetzung allen Handelns, das Unbefriedigtsein und die Erwartung, es durch Aktivität zu mindern oder ganz zu beseitigen, und die wesentliche Voraussetzung der Entstehung von Unternehmergewinn, die Ungewissheit der Zukunft, mit der Gestaltung der Kaufkraft nichts zu tun haben, wird nicht bestritten werden können.

XIX. Die Goldwährung

Die geologischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften der beiden Edelmetalle Gold und Silber haben dazu geführt, dass ihnen von den Menschen in der Wahl des Geldstoffs der Vorzug gegeben wurde. Dass es in der Marktwirtschaft Geld geben muss, ist praxeologische Notwendigkeit. Dass gerade das Gold Geld ist, ist eine historische Tatsache, die sich als solche rational nicht ganz begreifen lasst ; auch in der Währungsgeschichte muss man zu verstehen suchen, wo man nicht begreifen kann.

In den Gang der Währungsgeschichte hat bewusste Wirtschaftspolitik der Regierungen einzugreifen gesucht. Die Verdrängung des Silbers aus der Geldstellung, die erst vor Kurzem ihren Abschluss durch Massnahmen der chinesischen Regierung gefunden hat, ist wohl als Ergebnis solcher Regierungsintervention anzusehen. Es ist müssig, sich die Frage vorzulegen, wie sich das Nebeneinanderbestehen von zwei Geldarten ohne diese Eingriffe gestaltet hatte und ob es auch dann zur Verdrängung des einen der beiden Metalle gekommen ware. Wichtig aber ist festzustellen, der Goldmonometallismus nicht das Ziel war, dem die Regierungen von Anfang an zustrebten. Die Währungspolitik wollte aus dem Nebeneinanderbestehen zweier Geldarten, aus der Parallelwährung, die sich im Marktverkehr herausgebildet hatte, ein einheitliches Währungssystem schaffen, indem sie ein festes Austauschverhältnis zwischen Gold  [429] und Silber dekretierte. Diese ungeachtet aller Fehlschläge immer wieder erneuten Bestrebungen, die das Wesen des Marktverkehrs so vollkommen verkannten, wie es nur Regierungen verkennen können, mussten Schiffbruch leiden. Aus diesem Versagen der Regierungen, nicht aus Erfolgen ihrer Politik ist die moderne Goldwährung entstanden.

Schon im 17. Jahrhundert hatte die Tarifierung der Gold.und der Silbermünzen durch die englische Regierung, die die Goldmünze, die Guinea, den Silbermünzen gegenüber höher bewertete als den damals herrschenden Marktverhältnissen entsprochen hatte, zum Verschwinden der Silbermünzen aus dem englischen Geldumlauf geführt. Nur die stark abgenützen Silberstücke, deren Silbergehalt so herabgemindert war, dass ihre Verwertung auf dem Edelmetallmarkte nicht rentierte, erhielten sich im Verkehr. So kam England wider die Absichten der staatlichen Währungspolitik zur Goldwährung. Erst als die Goldwährung schon lange de facto beständen hatte, wurde sie vom Staate auch rechtlich anerkannt. Man verzichtete auf weitere Versuche, Silberkurantgeld in ein festes Austauschverhältnis zum Goldgeld zu setzen, und begann damit, für den Kleinverkehr Silberscheidemunzen auszuprägen. Diese Scheidemünzen waren nicht mehr Geld, sondern Geldsurrogate, deren Wert nicht durch ihren Silbergehalt bestimmt wurde, sondern durch den Umstand, dass sie gegen Gold eingelöst werden konnten, mithin de facto eine jederzeit fällige, als durchaus sicher angesehene Forderung auf einen aliquoten Teil der Goldkurantmünze darstellten. Sie waren silver printed notes, Noten, auf Silber gedruckt.

Später, im 19. Jahrhundert führte die Doppelwährung in Frankreich und in den übrigen Ländern der lateinischen Münzunion zur de facto Goldwährung ; als dann der Niedergang des Silberpreises in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bei Aufrechthaltung der Doppelwährungsgesetzgebung automatisch den Übergang zur de facto Silberwährung hatte bewirken müssen, beseitigte man die freie Silberprägung, urn am Golde festzuhalten. Den Vereinigten Staaten hatte die Doppelwährung schon vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges faktisch die Goldwährung gebracht. Nach der Greenback-Zeit wurde die Goldwährung wiederhergestellt, gegen die Angriffe der Silberpartei verteidigt und schliesslich auch gesetzlich verankert. Nachdem so die reichsten, im Weltverkehr führenden Volker die Goldwährung angenommen hatten, folgten die anderen Lander nach. Nach den Inflationen des Weltkriegs und der auf ihn folgenden Revolutionszeit kehrte man entweder zum Golde zurück oder traf wenigstens die Vorbereitungen zur Rückkehr zur Goldwährung. 

[430]

Die Goldwährung war zur Weltwährung der liberalen Epoche und des kapitalistischen Zeitalters geworden. Ihr wesentlicher Vorzug war in den Augen der Freihändler gerade der Umstand, dass sie eine internationale Währung war, wie sie der internationale Handel und der internationale Geld- und Kapitalmarkt benötigen. [199] Sie war das Tauschmittel, mit dessen Hilfe die westeuropäischen Wirtschaftsmethoden und das westeuropäische Kapital die europäische Zivilisation über die ganze Ökumene trugen, überall die Schranken uralter Vorurteile niederreissend, neues Leben und Streben befruchtend, die Geister befreiend und ungeahnten Reichtum spendend. Sie begleitete den unvergleichlichen Siegeszug der Kultur, die sich anschickte, die Welt zu einer Einheit einträchtiger Zusammenarbeit und friedlichen Wettbewerbs aller Volker zu verbinden. Es war nicht merkwürdig, dass man im Gold ein Symbol dieser gewaltigen Umwälzung erblickte und dass die reaktionären Bestrebungen in der Goldwährung nicht nur das vorzüglichste Werkzeug zur Ausbreitung weltwirtschaftlicher Gemeinschaft, sondern auch das Wahrzeichen des ihnen verhassten Systems der Freiheit und des Friedens bekämpften. Beim Streit um die Goldwährung ging es um weit mehr als um Währung und Wechselkurse.

In der Goldwährung sah man das Hindernis, das einer Politik schrankenloser Kreditausweitung im Wege steht. Durch die Loslösung vom Golde wollte man den nationalen Kapital.markt aus der Verflechtung mit dem Weltkapitalmarkt losen, um unbehindert von den Rücksichten, die die Einlösungspflicht den Umlaufsmittelbanken auferlegte, den Zinsfuss möglichst tief herabzudrücken. (Es ist charakteristisch, dass diese Bestrebungen in den Ländern, deren Wirtschaft durch den Zustrom auswärtigen Kapitals befruchtet worden war, früher und stärker auftraten als in den Gläubigerländern.) Man wollte die Goldwährung beseitigen und Inflationspolitik betreiben, um die Schuldner auf Kosten der Gläubiger zu begünstigen und um die Ausfuhr zu fordern und die Einfuhr zu hemmen. Man wollte durch vermehrte Notenausgabe den Staat von der Notwendigkeit befreien, die Ausgaben den Einnahmen anzupassen.

Man hat an der Goldwährung manches auszusetzen gewusst; man hat ihr den Vorwurf gemacht, dass sie nicht vollkommen sei. Doch niemand weiss anzugeben, wie man an Stelle der Goldwährung Vollkommeneres und Besseres setzen konnte. Gewiss, die Goldwährung ist nicht wertstabil. Doch Wertstabilität und [431] Kaufkraftfestigkeit sind Unbegriffe. In einer sich verändern.den Welt, das heisst in einer lebenden Welt, kann es keine Festigkeit der Kaufkraft und keine Wertstabilität geben. Dass die Kaufkraft des Geldes schwankt, ist für ein Geld eines nicht starren Systems der Marktbeziehungen notwendig ; in einem erstarrten System, das dem Gedankenbild der gleichmassigen Wirtschaft entspräche, wäre aber für Geld überhaupt kein Raum. Die Goldwährung macht die Gestaltung der Kaufkraft von dem Einfluss der Politik und der schwankenden wirtschaftspolitischen Anschauungen wechselnder Majoritäten unabhängig. Das ist ihr Vorzug. Jede Währungsmanipulation muss willkürlich sein ; alle Verfahren, die durch Messung der Kaufkraftveränderungen einen objektiven Masstab gewinnen wollen, der der Kaufkraftgestaltung als Richtschnur dienen konnte, verkennen die Unmessbarkeit der Kaufkraftbewegungen. Sowohl in der Auswahl der der Berechnung zugrundezulegenden Preisdaten als auch in der Wahl der für ihre mathematische Verarbeitung zu Mittelwerten zu verwendenden Methode liegen Probleme, für die keine eindeutige, dem Widerstreit von Sonderinteressen und Parteien entrückte Losung gefunden werden kann.

Man weist darauf hin, dass auch die Goldwährung als manipulierte Währung anzusehen sei, weil die Regierungen durch Umlaufsmittelausgabe, selbst wenn sie sich innerhalb der durch die Rucksichtnahme auf die Aufrechthaltung der Goldparität des Währungsgeldes gebotenen Grenzen halt, und durch Mass.nahmen, die mittelbar zur Herabsetzung der Kassenhaltungen führen, die Gestaltung der Kaufkraft des Goldes zu beeinflussen Vermögen. Das ist nicht zu bestreiten, und sicher ist, dass das Steigen der Preise zwischen 1896 und 1914 zu nicht unbeträchtlichem Teil durch derartige Regierungsmanipulationen zu erklären ist. Doch das Wesentliche ist doch das, dass die Goldwährung alien derartigen Massnahmen enge Grenzen steckt. Gerade weil diese Beschränkung den Bestrebungen der Inflationisten im Wege steht, wollen sie die Goldwährung beseitigen.

Man hat schliesslich behaupten wollen, dass die Goldwährung unter den Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr so funktionieren könne, wie sie im Zeitalter des Liberalismus und Kapitalismus funktioniert habe. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Zinsfusserhöhung nicht mehr imstande sei, den Abfluss von Gold aufzuhalten oder Gold aus dem Auslande heranzuziehen. Die Diskontpolitik der Notenbanken und der Währungsausgleichsfonds sei damit sinnlos geworden ; sie verteuere zwar der inländischen Produktion den Kredit, könne aber die gefährdete [432] Währung nicht retten. Diese Auffassung mancher Erscheinungen der jüngsten Vergangenheit ist jedoch durchaus verkehrt. Die Zinsfussgestaltung hat ihre Bedeutung für die Bewegung der anlagesuchenden flüssigen Mittel von Land zu Land und für die Auswahl der Anlagemöglichkeiten auf den nationalen Geld- und Kapitalmärkten keineswegs verloren. Doch es können Umstände eintreten, die es den Kapitalisten angezeigt erscheinen lassen, die Vorteile, die höhere Verzinsung bietet, gegenüber besonderen Nachteilen, die ihnen aus dem Handel erwachsen konnten, abzuwiegen. Der Aussicht, eine gewisse Zeit hindurch höheren Zinsbezug zu geniessen, steht heute oft das Risiko gegenüber, durch Währungsverschlechterung oder durch Massnahmen der Devisenbewirtschaftung einen grossen Teil des Kapitals einzubüssen. Selbst eine urn 10 % höhere Verzinsung in Paris kann einem Ausländer nicht verlockend erscheinen, wenn er befürchtet, 30 oder 50 % des Kapitals durch Entwertung des französischen Francs zu verlieren. Kein Ausländer wird es rätlich finden, flüssige Mittel in jenen Ländern anzulegen, deren Devisengesetzgebung Zinszahlung und Kapitalrückzahlung an Ausländer nicht zulasst. Grosse Geldbeträge sucht man heute so anzulegen, dass man sie einer drohenden Geldabwertung durch schnelle Übertragung in eine im Augenblick weniger gefährdete Währung entziehen kann ; der Zinsentgang, der mit solcher Anlage verbunden ist, spielt keine Rolle im Hinblick auf die Verlustmöglichkeiten, die mit besser verzinslichen Anlagemöglichkeiten verbunden sind.

Der Mechanismus des internationalen Geldmarktes versagt heute, weil die Regierungen durch ihre Politik sein Funktionieren verhindern. Die Goldwährung hat nicht versagt, doch die Regierungen versuchen es, sie zu beseitigen, weil sie sich dem Wahn hingeben, sie konnten damit den Zinsfuss im Lande so niedrig halten, als sie es wünschen, und die Handelsbilanz « verbessern ».

Keine Regierung vermag die Goldwährung abzuschaffen. Die Goldwährung ist die Währung des internationalen Verkehrs und des Weltmarktes und kann als solche durch Mass.nahmen einzelner Regierungen nicht berührt werden. Solange ein Land nicht im strengen Sinn des Wortes selbstgenügsam geworden ist, solange es noch irgendein Loch in den Mauern gibt, durch die die Regierung ihr Staatsgebiet von der übrigen Welt abzuschliessen sucht, hat das Gold seine Geldstellung für die Wirtschaft der Bewohner dieses Landes selbst dann nicht eingebüsst, wenn der Besitz von Gold als todeswürdiges Verbrechen angesehen wird. Die Clearingvertrage, die den Austausch zwischen den Angehörigen zweier Staaten vom Golde  [433] unabhängig machen sollen, suchen zwar ängstlich jeden Hinweis auf das Gold zu vermeiden ; doch die Umsätze, die auf Grand dieser Vertrage durchgeführt und abgerechnet werden, sind an den Goldpreisen orientiert. Wer im Auslande kauft oder verkauft, berechnet die Vorteile und Nachteile dieser Geschäfte in Gold. Aber auch die inländischen, in einem auf das Staatsgebiet beschränkten Kredit- oder Zeichengeld ausgedrückten Preise sind mit den Goldpreisen des Auslandes fest verbunden, und wenn die Regierung die Käufe und Verkäufe, die sich aus dieser Verbindung ergeben konnten, verhindern will, muss sie besondere Massnahmen ergreifen.

Nahezu alle Regierungen sehen es heute als eine ihrer vornehmsten Aufgaben an, gegen den Gebrauch des Goldes als Geld anzukämpfen. Bisher haben sie damit Schiffbruch gelitten. In einer Welt von im strengen Sinn des Wortes selbstgenügsamen Staatsgebieten wird fur ein internationales Geld kein Raum sein. Von diesem Ideal der Nationalisten ist aber die Wirklichkeit heute noch immerhin ziemlich weit entfernt.

Die Regierung eines die ganze Welt umfassenden Staates konnte den Versuch unternehmen, das Goldgeld durch ein Weltkreditgeld oder durch ein Weltzeichengeld zu ersetzen. In der Weltanarchie der Gegen wart sind solche Versuche von vorneherein aussichtslos.

Man darf den Kampf gegen die Goldwährung nicht losgelöst von der politischen Haltung betrachten, die in ihm eine ihrer Erscheinungsformen findet. Die Goldwährung wird bekämpft als ein Stein in dem grössten Werk, das Menschen je aufzurichten versucht haben, dem Werk der friedlichen Vereinigung aller Menschen zu einer einzigen grossen Gesellschaft der Arbeitsteilung und der einträchtigen Zusammenarbeit durch Austausch von Gütern und Diensten. Was an der Goldwährung ausgesetzt wird, ist, dass sie diesem System des ökumenischen Friedens und der Kooperation aller Menschen zugeordnet ist. Das, was man ihr als Unvollkommenheit ankreidet, ist gerade das, dass sie der Absperrungspolitik des einzelstaatlichen Separatismus im Wege steht. Vom Standpunkte der auf die Zerstörung der weltwirtschaftlichen Verbundenheit der Volker gerichteten Politik ist die Goldwährung zweifellos als ein Werk des Teufels zu betrachten. Betrachtet man sie aber im Rahmen der Weltwirtschaft, dann kann man nur zu dem Urteil gelangen, dass sie eine immerhin brauchbare Lösung des Währungsproblems darstellt. Sie ist das Ergebnis desselben geschicht.lichen Prozesses, der von dem Kampfe aller Horden gegen alle Horden zur politischen und ökonomischen Verfassung des 19. Jahrhunderts geführt hat. Kein Kritiker oder Gegner der  [434] Goldwährung wüsste ein Geldsystem vorzuschlagen, das besser als die Goldwährung funktionieren könnte.

Es kann wohl sein, dass eines Tages die Technologie einen Weg findet, die Goldmenge so billig zu vermehren, dass das Gold nicht langer mehr für den Gelddienst geeignet sein wird. Dann wird man das Gold durch ein anderes Geld ersetzen. Es wäre zwecklos, über die Lösung, die dieses Problem dann finden könnte, schon heute Betrachtungen anzustellen. Alle Bedingungen, unter denen diese Entscheidung zu treffen sein wird, sind uns heute unbekannt.

 


 

5. KAPITEL: DAS HANDELN IM ABLAUF DER ZEIT

I. Die verschiedene Schätzung gleichlanger Zeitabschnitte.

Für das Handeln ist die Unterscheidung der Zeit vor der Befriedigung und der Zeitdauer der Befriedigung wesentlich.

Handeln ist immer auf die Zukunft gerichtet, mag es auch nur die Zukunft des nächsten Augenblicks sein. Zwischen dem Einsatz des Handelns und dem Erreichen des angestrebten Ziels liegt immer eine, wenn auch mitunter kurze Spanne Zeit: die Ausreifungszeit, in der aus dem Handeln der Erfolg reift. Am sinnfälligsten tritt uns die Erscheinung der Ausreifungszeit in der Bodenbebauung entgegen. Zwischen der Bestellung der Ackers und dem Heranreifen der Frucht verstreicht geraume Zeit. Ein anderes Beispiel bietet die Verbesserung der Beschaffenheit des Weins durch das Abliegen. In manchen Fällen mag die Ausreifungszeit von so kurzer Dauer sein, dass man im Sprachgebrauch des Alltags sagen mag, der Erfolg trete sogleich ein.

Wenn das Handeln Arbeit aufwendet, hat es mit der Werkzeit zu rechnen. Jede Arbeit nimmt Zeit in Anspruch. Auch die Werkzeit mag in manchen Fällen so kurz sein, dass man im Alltag sagt, die Arbeit beanspruche überhaupt keine Zeit.

Nur selten führt schon ein einfacher und einmaliger Einsatz von Handeln zum Ziel. In der Regel trennt den Wanderer mehr als ein Schritt vom Ziel. Er muss viele Schritte machen, und vor jedem Schritt steht er von -Neuem vor der Wahl, ob er weitergehen soll oder nicht. Die meisten Ziele sind so weitgesteckt, dass nur Beharrlichkeit zu ihnen führt; fortgesetztes Handeln, wiederholtes und immer wieder auf dasselbe Ziel gerichtetes Handeln tut not, wenn man zum Ziele kommen will. Der gesamte Zeitaufwand, Ausreifungszeit und Werkzeit zusammengenommen,   [435] den man als Produktionszeit bezeichnen kann, mag beim einzelnen Schritt wieder so gering sein, dass man im Alltag sagt, der Schritt erfordere überhaupt keinen Zeitaufwand. Wenn der Weg sich hinzieht, dann summieren sich aber auch kleine Zeitabschnitte zu einer beträchtlichen Zeitdauer.

Auch die Nutzwirkung, die vom Erfolg ausgeht, hat Dauer in der Zeit. Die Nutzdauer mag kürzer oder länger sein. In manchen Fällen ist sie so lang, dass man sie im täglichen Sprachgebrauch ewig nennt. Im Allgemeinen ist sie zeitlich begrenzt. Es gibt auch Güter, deren Fähigkeit, Nutzen zu stiften, durch den bloßen Zeitablauf schwindet, auch wenn die Nutzwirkung nicht in Anspruch genommen wurde; tritt dies schon nach kurzer Zeit ein, dann spricht man von verderblichen Gütern.

Das Handeln hat mithin stets mit Produktionszeit und mit Nutzdauer zu rechnen. Es hat nicht nur mit dem Aufwand von naturgegebenen (und in der Regel auch von produzierten) sachlichen Produktionsmitteln und von Arbeit. zu rechnen, sondern auch mit der Produktionszeit, und es hat in der Beurteilung des Erfolges auch die Nutzdauer zu berücksichtigen.

Das Handeln ist nicht auf unbestimmte Zukunft gerichtet, sondern stets auf einen begrenzten Abschnitt der Zukunft. Dieser Zeitabschnitt ist nach der einen Seite immer durch den Augenblick des Handelns begrenzt. Wo sein anderes Ende liegt, hängt von der Voraussicht und der Vorsorge des Handelnden ab. Es gibt Menschen, die nur dem nächsten Augenblicke leben, und es gibt Menschen, deren Vorsorge über das voraussichtliche Ende des eigenen Lebens weit hinausreicht. Wir wollen den Zeitabschnitt, für den Handeln in irgend einer Weise und in irgend welchem Ausmaß vorsorgen will, die Vorsorgezeit nennen. Ob die Vorsorgezeit länger oder kürzer ist, hängt vom Handeln ab. Wie das Handeln zwischen verschiedener Art von Befriedigung in demselben Zeitabschnitt wählt, so wählt es auch zwischen Befriedigung in näherer und der in weiterer Zukunft. In jedem Handeln wird auch über die Länge der Vorsorgezeit mitentschieden; es gibt keine gesonderte Entscheidung über die Länge der Vorsorgezeit. In den Entscheidungen der Einzelnen über die Verwendung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel wird auch die Entscheidung über Verlängerung oder Verkürzung der Vorsorgezeit gefällt. In der Marktwirtschaft entscheidet die Nachfrage auf dem Markte auch über die Länge der Vorsorgezeit.

Die Verlängerung der Vorsorgezeit kann auf verschiedene Weise erfolgen:

1. Durch Anhäufung von gebrauchsfertigen Gütern, die für den Verbrauch in der Zukunft aufbewahrt werden.

[436]

2. Durch die Herstellung von Gütern mit längerer Nutzdauer.

3. Durch das Hinarbeiten auf weitergesteckte Ziele. Es werden Güter erzeugt, die eine längere Produktionszeit erfordern.

4. Durch das Einschlagen von Produktionsverfahren, die zwar zeitraubender sind (erst nach längerer Zeit zum Erfolg führen), die aber bei gleichem Aufwand ergiebiger sind (eine größere Menge von Produkt ergeben) als Verfahren, die schon nach kürzerer Zeit zum Erfolg führen. Es werden mithin Güter, die auch in kürzerer Produktionszeit erzeugt werden könnten, in einem Verfahren erzeugt, das eine längere Produktionszeit erfordert, wenn und weil dieses Verfahren ergiebiger ist.

Die beiden ersten Wege zur Verlängerung der Vorsorgezeit bedürfen keiner weiteren Erörterung. Zu den beiden anderen ist manches zu sagen.

Es ist eine der natürlichen Bedingungen, unter denen das Handeln steht, dass die kürzesten — am wenigsten Produktionszeit erfordernden Verfahren nicht zu voller Befriedigung führen. Auch nach Erschöpfung aller dieser kürzeren Verfahren bleibt Unbefriedigtsein zurück und damit Antrieb zu weiterem Handeln. Da man stets darauf bedacht ist, unter den zur Auswahl stehenden Verfahren die zu bevorzugen, die caeteris paribus am schnellsten zum Ziele führen, [200] bleiben für weiteres Handeln nur Verfahren übrig, die mehr Zeit beanspruchen. Sie werden eingeschlagen, wenn der Handelnde den Erfolg des Handelns so hoch einschätzt, dass er die mit ihm verbundenen Nachteile (die längere Wartezeit) in Kauf zu nehmen bereit ist. Böhm-Bawerk spricht von der Mehrergiebigkeit zeitraubender Produktionsumwege. Es wäre zweckmäßiger, von der Mehrergiebigkeit zeitraubender Verfahren zu sprechen. Die Mehrergiebigkeit dieser Verfahren liegt nicht immer darin, dass sie bei gleichem Aufwand eine größere Menge der Güter bringen, die man auch in kürzerer Produktionszeit herstellen könnte. Häufiger noch besteht sie darin, dass sie Güter zu bringen vermag, die in keiner Weise in kürzerer Produktionszeit hergestellt werden könnten. Die Verfahren, um die es sich hier handelt, sind keine Umwege; sie sind der kürzeste und direkteste Weg zu dem ins Auge gefassten Ziel. Nur weil sie das sind, werden sie gewählt. und eingeschlagen. Wenn mehr Fische gefangen werden sollen, dann gibt es kein anderes Verfahren als das, das Fischen ohne Werkzeug durch das Fischen mit Booten und Netzen zu ersetzen, und wenn Pyramidon erzeugt werden soll, dann gibt es kein besseres, kürzeres oder  [437] billigeres Verfahren als das, das die chemische Industrie gewählt hat. Wenn wir von Irrtum und Unkenntnis absehen, steht die Mehrergiebigkeit eines Verfahrens, das gewählt wurde, ebensowenig in Frage wie seine höchste Zweckmäßigkeit. Würde man es nicht für das direkteste Verfahren, d.h. für das, das auf dem kürzesten Wege zum Ziel führt, halten, so wäre es nicht eingeschlagen worden.

Die Erstreckung der Vorsorgezeit durch bloßes Anhäufen von Vorräten gebrauchsreifer Güter und durch Herstellung von Gütern, deren Nutzdauer entsprechend dem größeren für ihre Herstellung erforderten Aufwand länger ist, [201] entspringt allein dem Bestreben, für eine größere Spanne der kommenden Zeit vorzusorgen. Werden jedoch dem Handeln weiterliegende Ziele gesetzt, dann ist die Erstreckung der Vorsorgezeit die notwendige Begleiterscheinung der Einstellung auf das weitere Ziel. Die Verbesserung des Versorgungsstandes muss mit der Verlängerung der Vorsorgezeit Hand in Hand gehen. Die Ergiebigkeit des Handelns ist an die Verlängerung der Produktionszeit gebunden. Wer reichlicher oder besser versorgt sein will, muss auf den Genuss länger warten und muss dabei sein Handeln auf längere Vorsorgezeit abstellen.

Die Hinausschiebung eines Genusses bedeutet, dass man unter den gegebenen Verhältnissen die Befriedigung, die man durch ihn heute erreichen könnte, weniger hoch wertet als die Befriedigung, die er später bringen kann. Das Einschlagen eines Verfahrens, das erst nach längerer Zeit zum Erfolg führt, bedeutet, dass man diesen Erfolg höher wertet als den Erfolg, den ein kürzeres, in weniger Zeit zum Genuss führendes Verfahren bei gleichem Aufwand bringen kann.

In den Erwägungen, die solches Handeln leiten, erscheint die Produktionszeit als Wartezeit. Es war eine der unvergänglichen Leistungen Böhm-Bawerks, erkannt zu haben, wie sich diese Berücksichtigung der Wartezeit äußert.

Würden die handelnden Menschen die Wartezeit nicht berücksichtigen, dann würden sie von keinem Ziele sagen, es liege zu weit, als dass man darauf hinarbeiten könnte, es zu erreichen. Sie würden, wenn sie zwischen zwei Verfahren zu wählen hätten, die bei gleichem Aufwand verschiedene Erträgnisse bringen, das, das eine größere Menge zu beschaffen vermag, immer vorziehen, auch wenn dieses Ergebnis erst in einem späteren  [438] Zeitpunkt zu erwarten ist als das mengenmäßig geringere Mehraufwendungen, die zu einer überverhältnismäßigen Verlängerung der Nutzdauer des Produkts führen, würden immer als vorteilhaft angesehen werden. Aus dem Umstande, dass dem nicht so ist, vermögen wir zu erkennen, dass die handelnden Menschen gleichlange Zeitabschnitte verschieden beurteilen, je nachdem sie näher oder weiter von ihnen entfernt sind. Befriedigung in einem näher gelegenen Zeitabschnitt wird der Befriedigung sonst gleicher Art und sonst gleichen Umfangs in einem später liegenden Zeitabschnitt gleicher Länge vorgezogen.

Dass caeteris paribus Befriedigung in einem näher gelegenen Zeitabschnitt der Zukunft der Befriedigung gleicher Art und Stärke in einem gleichlangen ferner gelegenen Zeitabschnitt der Zukunft vorgezogenen wird, dass mithin im Warten auf eine Befriedigung Unlust liegt, ist gegenüber der Feststellung, dass das Handeln zwischen der Zeit vor der Befriedigung und der Zeitdauer der Befriedigung unterscheidet, kein neuer Tatbestand. Wenn überhaupt zwischen Befriedigtsein und Nichtbefriedigtsein und somit zwischen der Zeit vor der Befriedigung und der Zeitdauer der Befriedigung unterschieden wird, wenn im Handeln dem Zeitmoment überhaupt eine Rolle zufällt, dann kann von gleicher Wertung der Befriedigung in verschiedenen Zeitabschnitten, ohne Bedachtnahme darauf, ob sie in näherer oder fernerer Zukunft liegen, nicht die Rede sein. Die Gleichhaltung der Zeitabschnitte gleicher Länge würde bedeuten, dass es dem Handelnden gleichgültig ist, ob ein Erfolg früher oder später eintritt; sie würde bedeuten, dass er das Zeitmoment aus den Erwägungen, die sein Handeln bestimmen, ausgeschaltet hat. Denn dann würde ein Mehr an Gütern, die erst nach Ablauf einer längeren Wartezeit verfügbar werden, immer höher geschätzt werden als ein schon früher verfügbares Weniger. Wertung der Zeit liegt nämlich nicht schon einfach darin, dass Befriedigung während zweier Monate höher gewertet wird als Befriedigung während eines Monats. Dass jede Nutzwirkung, zeitlich begrenzt ist und dass daher jede Befriedigung Dauer in der Zeit hat, ist schon in der Bewertung der Nutzwirkung berücksichtigt. Das Zeitmoment ist in diesem Sinne ein unentbehrliches Element in der Bestimmung der Größe der Nutzwirkung — des objektiven Gebrauchswertes — eines jeden Gutes. Die Berücksichtigung der Zeit, die in der Unterscheidung des Zustandes vor der Befriedigung und des Zustandes der Befriedigung liegt, ist von anderer Art. Sie unterscheidet nicht einfach Zeitabschnitte nach ihrer Länge. Sie unterscheidet früher und später; für sie ist die Zeit nicht eine homogene Menge, von der es ein Mehr und ein Weniger gibt,   [439] sondern ein nicht umkehrbarer Ablauf, dessen Abschnitte dem Werten und Handeln in verschiedener Beleuchtung erscheinen, je nachdem sie näher oder weiter vom Heute entfernt sind.

Bemerkungen zu Böhm-Bawerks Lehre von der Höherwertung gegenwärtiger Güter

Böhm-Bawerk geht in seinen bahnbrechenden Untersuchungen über das Zinsproblem von dem Satze aus, dass gegenwärtige Güter in aller Regel mehr wert sind als künftige Güter gleicher Art und Zahl. [202] Auf zwei Wegen sucht er dann diesen Satz psychologisch zu begründen.

Als zweiten Grund für die Höherwertung der Gegenwartsgüter hat Böhm-Bawerk die fehlerhafte systematische Unterschätzung (zu niedrige Wertung) der künftigen Bedürfnisse und der Mittel, die zu ihrer Befriedigung dienen, angeführt. Böhm glaubt, dass über das Bestehen dieser Unterschätzung kein Zweifel möglich sei. Die Lückenhaftigkeit der Vorstellungen, die wir uns von unserem künftigen Bedürfnisstande bilden, die Willensschwäche, die uns mitunter veranlasst, gegenwärtige Befriedigung der künftigen vorzuziehen, auch wenn wir wissen, dass diese Wahl für unsere Wohlfahrt im Ganzen unvorteilhaft ist, und schließlich die Rücksicht auf die Kürze und Unsicherheit unseres Lebens wirken, seiner Meinung nach, alle in dieser Richtung. Dass die psychologischen Tatsachen, auf die BöhmBawerk sich hier zur Erklärung der Unterschätzung künftiger Bedürfnisse beruft, wirklich gegeben sind und dass sie das Handeln der Menschen bestimmen können, ist nicht zu bezweifeln. Es gibt sicherlich viele Menschen, in deren Entschließungen sie eine große Rolle spielen. Doch sie wirken, wie auch Böhm-Bawerk nicht entgangen ist, bei den verschiedenen Individuen, und auch bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Geistes- und Gemütsstimmungen, in äußerst verschiedenen Graden. Und auch Böhm-Bawerk stellt fest, dass bei «Fanatikern der Vorsicht» sich sogar «eine parteiische Überschätzung künftigen Nutzens» einstellen könne.

Wie bei allen psychologischen Tatbeständen dieser Art haben wir es hier nämlich keineswegs mit Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit zu tun. Wenn wir annehmen wollen, dass viele Menschen durch die von Böhm-Bawerk angeführten Beweggründe zu einer systematischen Unterschätzung künftiger Bedürfnisse getrieben werden, dann müssen wir auch die Wirkung von Beweggründen in Betracht ziehen, die in der entgegengesetzten Richtung wirksam sind. Auch wenn wir von den vielleicht als pathologisch zu klassifizierenden Typen des «Fanatikers der Vorsicht» und des Geizhalses absehen wollen, — in welchem Falle man wohl auch von den pathologischen Typen der entgegengesetzten Art, vom tollen Verschwender, von dem Einfältigen, der zu beschränkt ist, um sich von künftigen Sorgen überhaupt eine annähernde Vorstellung zu machen, und von dem Menschen, der unter der niederdrückenden Einwirkung einer nahen großen Gefahr steht, abzusehen hätte, — darf man doch wohl die große Rolle, die Höherschätzung der Zukunft im Handeln spielt, nicht übersehen. Man halte sich doch etwa folgende typische Fälle vor Augen: den jungen  [440] Mann, der es vorzieht, statt eine Arbeit zu übernehmen, die ihm sogleich ein bescheideneres Einkommen bringen würde, sich unter Entbehrungen für eine Arbeit auszubilden, die wohl ein höheres Einkommen, doch erst in späterer Zeit verspricht; den Sparer und den Versicherungsnehmer, die sich manches versagen, um für die eigene Zukunft und für die ihrer Angehörigen vorzusorgen; den Mann, der eine schlechter besoldete Stelle, die mit Pensionsberechtigung verbunden ist, einer besser besoldeten vorzieht, die nicht in derselben Weise für die Zukunft sichert; den Unternehmer, der seine Lebenshaltung bescheiden hält, um alle Überschüsse im Unternehmen weiterarbeiten zu lassen. Dass Sparen und durch Versicherung für die Zukunft Sorgen nicht überall und nicht unter allen Umständen möglich sind, dass es Einrichtungen besonderer Art — wie geordnetes Bank-, Sparkassen-, Kredit-, und Versicherungswesen und vor allem von inflationistischen Eingriffen verschontes Geldwesen — geben muss, um den Massen das Sparen überhaupt zu ermöglichen, und dass dort, wo diese Voraussetzungen fehlen, nicht gespart werden kann, schwächt die Bedeutung dieser Argumente ebensowenig ab wie der Umstand, dass Unternehmer und Kapitalisten, die von Enteignungen bedroht sind, es vorziehen, ihr Kapital lieber selbst aufzuzehren, als es dem Enteigner zu überantworten. Denn wo immer die institutionellen Bedingungen des Vorsorgens gegeben waren, wurde von ihnen ausgiebig Gebrauch gemacht.

Man darf nicht etwa einwenden, dass in den angeführten Beispielen keine (fehlerhafte) Unterschätzung (zu niedrige Schätzung) der Gegenwart gegenüber der Zukunft zu erblicken sei, die man der von Böhm-Bawerk im zweiten Grunde angeführten (fehlerhaften) Unterschätzung (zu niedrigen Schätzung) der künftigen Güter entgegen zu halten berechtigt wäre; es werde einfach, nachdem für die Gegenwart ausreichend vorgesorgt wurde, auch für die Zukunft, jedoch in weniger ausgiebiger Weise etwas zurückgelegt. Dieser Einwand würde den Fall des unter Entbehrungen sich für einen künftigen einträglicheren Beruf vorbereitenden Studenten und des jungen pensionsberechtigten Angestellten gewiss nicht treffen: er berührt aber auch ebensowenig die übrigen Beispiele. Denn in allen diesen typischen Beispielen handelt es sich nicht um Personen, die «überversorgt sind oder es doch wären, falls sie ihre sämtlichen in der Gegenwart verfügbaren Deckungsmittel auch in der Gegenwart aufzehren wollten», [203] sondern um Personen, die eine Einschränkung der gegenwärtigen Lebenshaltung, die sie subjektiv als Entbehrung und Entsagung empfinden, in Kauf nehmen, um für die Zukunft besser vorzusorgen. Man darf, wie schon erwähnt wurde, zur Beurteilung dieser Dinge nur Beobachtungen heranziehen, die unter den Verhältnissen einer Gesellschaftsordnung gemacht wurden, in der Sparen für künftige Versorgung möglich ist. Die von liberalem Geist erfüllte kapitalistische Wirtschaftsordnung hat die Voraussetzungen für die Entfaltung des Sparsinns geschaffen und damit überhaupt erst den Massen die Wahl geboten, zwischen Befriedigung zeitlich näher liegenden und Befriedigung zeitlich ferner liegenden Bedarfs zu wählen. Vorher war das Sparen auf die engen Schichten der Unternehmer und der Besitzenden beschränkt gewesen. Die rasche Zunahme der Kapitalbildung im Zeitalter des Kapitalismus war jedoch zu einem guten Teil auf das Sparen der Massen zurückzuführen, bei denen man wohl, ungeachtet der gewaltigen Wohlstandssteigerung, die ihnen der  [441] Kapitalismus gebracht hatte, doch nicht von Überversorgung sprechen könnte. Das Sparen als Massengewohnheit, ja selbst als Massenfanatismus hätte sich wohl noch viel stärker eingebürgert, wenn ihm nicht zwei Strömungen entgegengearbeitet hätten: die wachsende Gefährdung der Sparkapitalien durch die antikapitalistischen Tendenzen und die durch das Umsichgreifen der antikapitalistischen Ideologie betriebene systematische Verächtlichmachung des Sparens und Bestreitung seines Wertes. Der Liberalismus hatte dem Minderbemittelten als einzigen Weg zum Aufstieg das Sparen empfohlen. Die sozialistische Propaganda bemühte sich dagegen zu erweisen, dass das Sparen den Einzelnen niemals zu Wohlstand bringen könne; Kapital, lehrte sie, entstehe nicht durch Sparen, sondern durch Akkumulation des durch Ausbeutung fremder Arbeit und durch Aneignung von Mehrwert erzielten Profits.

Man kann wohl die Behauptung vertreten, dass für die kapitalistische Gesellschaft eher eine Überschätzung der künftigen Bedürfnisse charakteristisch sei als eine Unterschätzung. Aber wie dem auch immer sein mag, wir haben es hier mit einem psychologischen Tatbestand zu tun, dem die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit fehlt. Es gibt Menschen, bei denen Beweggründe für die Unterschätzung künftiger Bedürfnisse und der Mittel zu ihrer Befriedigung — in verschiedenem Ausmaße wirksam sind; aber es gibt auch Menschen, die die künftigen Bedürfnisse und die Mittel zu ihrer Befriedigung eher überschätzen als unterschätzen. Niemals könnte man eine Erscheinung von der Allgemeinheit, die der Höherwertung der gegenwärtigen Güter und der Niedrigerwertung künftiger Güter zukommt, auf das Vorwalten psychologischer Beweggründe, die nur bei einem Teile der Menschen in verschiedener Stärke wirksam sind, befriedigend erklären.

Nicht besser steht es mit dem ersten Grund, den Böhm-Bawerk für die Höherwertung der gegenwärtigen Güter anzuführen weiß: der Verschiedenheit des Verhältnisses von Bedarf und Deckung in den verschiedenen Zeiträumen. Auch hier handelt es sich um einen Tatbestand, dem die Allgemeingültigkeit mangelt. Es gibt wohl Personen, die in der Gegenwart Mangel leiden, aber hoffen dürfen, in späterer Zeit besser versorgt zu sein. Es gibt aber auch Personen, bei denen das Gegenteil zutrifft. Das räumt auch Böhm ein, und er selbst rechnet «in diese Kategorie die sehr stattliche Zahl von Leuten, deren Einkommen ganz oder überwiegend aus der persönlichen Tätigkeit fließt und voraussichtlich in einem späteren Lebensalter bei eintretender Arbeitsunfähigkeit versiegen wird». [204] Freilich meint Böhm die Bedeutung dieser Tatsache durch die Behauptung verkleinern zu können, dass diese Personen die Möglichkeit besitzen, gegenwärtige Güter dem Dienste der Zukunft aufzubehalten und für die Zwischenzeit als Reservefonds zu benützen; sie werden die gegenwärtigen Güter den künftigen eben gleich oder gleichfalls noch etwas höher schätzen. Nur in einer verschwindenden Minorität von Fällen, in denen die Kommunikation von Gegenwart und Zukunft durch besondere Umstände gehindert oder bedroht ist, hätten gegenwärtige Güter für ihre Besitzer einen geringeren subjektiven Gebrauchswert als künftige. Bei diesem Stand der Dinge müsste offenbar, auch wenn gar kein anderer Umstand mitwirken würde als die Verschiedenheit von Bedarf und Deckung in Gegenwart, und Zukunft, die Resultante der subjektiven Wertschätzungen, die den objektiven Tauschwert  [442] bestimmt, so ausfallen, dass die gegenwärtigen Güter einen mächtigen Vorsprung, ein mächtiges Agio gegenüber den künftigen behaupten. [205]

Böhm-Bawerk hat nicht erkannt, dass der Umstand, dass die Menschen in sehr großem Masse für die Zukunft - und nicht nur für die nächste Zukunft — sorgen, ganz allgemein gegen die Beweiskraft seines ersten Grundes spricht. Dass überhaupt für die Zukunft gesorgt wird, dass man überhaupt gegenwärtigen Genuss dem künftigen gegenüber zurückstellt, ist doch ein Beweis dafür, dass man der Meinung ist, dass die Versorgung in der Zukunft ohne solche Vorkehrungen im Vergleich mit der Versorgung in der Gegenwart unzulänglich sein werde. Es ist dabei ohne Belang, ob die Zahl der Personen, bei denen die Dinge anders liegen, so dass sie in der Gegenwart Mangel leiden, anderseits aber hoffen dürfen, in einer künftigen Periode reichlicher versorgt zu sein, größer oder kleiner ist. Denn die Gruppe dieser Personen zerfällt, wie auch Böhm nicht entgangen ist, in zwei scharf zu trennende Untergruppen. Die eine Untergruppe bilden die — mittellosen — Kinder und Kranken, bei denen der Zeitablauf allein zur Verbesserung des Versorgungsstandes führt; herangewachsen oder genesen, werden sie arbeiten können. In einer Gesellschaft, die von der Hand in den Mund lebt und daher auch Kreditgeschäfte — den Tausch von gegenwärtigen gegen künftige Güter — nicht kennt, wären sie dem Verhungern preisgegeben, wenn nicht Familiensinn oder Nächstenliebe sie davor bewahrt. In einer Gesellschaft, in der auch für die Zukunft gesorgt wird, können sie — oder ihre Sachwalter und Vormünder für sie — ihre künftige Arbeitskraft und ihren künftigen Wohlstand eskomptieren und damit das Heute durch das Morgen und zugleich das Erleben des Morgen sichern. Doch das können sie nur darum, weil es andere Leute gibt, die in der Gegenwart so weit versorgt sind, dass sie für die Zukunft, die ihrer Meinung nach sonst Unterversorgung bringen müsste, schon jetzt Sorge tragen.

Noch deutlicher wird dies bei der andern Untergruppe, die, nach Böhm-Bawerks Worten, jene umfasst, die, «mit Zuversicht einem wirtschaftlich aufsteigenden Lebenslauf entgegensehen». Das sind Personen, die sich für einen Beruf ausbilden oder die die ersten Schritte in einem Beruf tun, der erst nach Ablauf einer gewissen Zeit einträglich zu werden verspricht. Dass solches Abstellen des Handelns auf eine entferntere Zukunft auch solchen Personen möglich ist, die nicht über die zum Durchhalten in der Ausbildungs- oder Wartezeit erforderlichen Mittel selbst verfügen, ist nur möglich, weil andere Personen über diese Mittel verfügen und sie ihnen gerade deshalb leihen, weil sie — in der Gegenwart. verhältnismäßig überversorgt — auf diesem Wege ihre — der Verleiher — eigene künftige Versorgung sichern.

Die Verschiedenheit des Verhältnisses von Bedarf und Deckung in verschiedenen Zeiträumen kann erklären, warum für die Zukunft und nicht nur für die Gegenwart schon im gegenwärtigen Handeln Sorge getragen wird. Sie kann aber nicht erklären, warum künftige Güter niedriger geschätzt werden als gegenwärtige. Denn auch dann, wenn künftige Güter gerade so hoch oder noch höher geschätzt werden würden als gegenwärtige, ja dann noch eher würden diejenigen, die in der Gegenwart reichlich versorgt sind und fürchten, dass sie in der Zukunft, wenn sie nicht einen Teil des gegenwärtigen Wohlstands ihr aufopfern, schlechter versorgt sein werden, für die künftige   [443] Bedürfnisdeckung sorgen. Personen, die in der Gegenwart Mangel leiden, aber hoffen dürfen, künftig reichlicher versorgt zu sein, sind begreiflicherweise bereit, Gegenwartsgüter höher zu schätzen als künftige Güter. Doch nicht sie sind es, die auf dem Markt, auf dem gegenwärtige gegen künftige Güter ausgetauscht werden, die entscheidende Rolle spielen; die Hauptrolle fällt jenen zu, die über gegenwärtige Güter verfügen und zu entscheiden haben, ob diese zur Befriedigung von Bedarf der näheren oder der ferneren Zukunft herangezogen werden sollen. Sie sind es, die zwischen gegenwärtigen und künftigen Gütern wählen. In ihren Wahlhandlungen tritt jene Wertungsverschiedenheit hervor, die unser Problem bildet.

Böhm-Bawerk's Irrtum lag zunächst darin, dass er den Satz von der Höherwertung der gegenwärtigen Güter psychologisch zu begründen suchte. Auf psychologischem Wege vermag man jedoch niemals zu einem allgemeingültigen Satz zu gelangen. Die Psychologie kann uns zeigen, dass manche Menschen oder viele Menschen von bestimmten Beweggründen geleitet werden, sie kann aber nie zeigen, dass ein bestimmtes Verhalten notwendig immer in gleicher Weise allen Menschen gemein ist. In der Tat gelingt es Böhm-Bawerk nur zu zeigen, dass manche Umstände, unter denen Menschen mitunter zu handeln haben, eine Höherwertung der gegenwärtigen Güter plausibel erscheinen lassen. Diesem Tatbestand steht aber der nicht minder klare Tatbestand gegenüber, dass Menschen mitunter auch unter Umständen zu handeln haben, die eine Höherwertung künftiger Güter plausibel erscheinen lassen. Es gibt Typen, die zu einer fehlerhaften Unterschätzung künftiger Güter, es gibt aber auch Typen, die zu einer fehlerhaften Überschätzung künftiger Güter neigen.

II. Der praxeologische Beweis für die Höherwertung zeitlich näherer Befriedigung

Böhm-Bawerk gelangt denn auch nur zu dem Ergebnis, dass künftige Güter «in aller Regel» niedriger geschätzt werden als gegenwärtige Güter gleicher Art und Zahl. Das kann uns nicht befriedigen. Gibt es Ausnahmen von dieser Regel? Wenn es Ausnahmen gibt, welche Bedeutung kommt ihnen dann für den Zins zu? Wäre es vielleicht denkbar, dass die Ausnahmen unter bestimmten Voraussetzungen zur Regel werden und dass dann der Zins verschwindet?

Nein, solche Ausnahmen gibt es nicht. Handeln muss immer und ausnahmelos Befriedigung in einem näher gelegenen Zeitabschnitt höher schätzen als Befriedigung gleicher Art und Stärke in einem ferner gelegenen gleichlangen Zeitabschnitt. [206] Täte es das nicht, dann könnte es nie dazu gelangen, sich für eine Befriedigung zu entscheiden. Wer verbraucht oder gebraucht, wer Unbefriedigtsein durch sein Handeln in größerem oder geringerem Umfange zu beheben sucht, muss darin immer Befriedigung in einem näher gelegenen Zeitabschnitt der  [444] in einem ferner gelegenen Zeitabschnitt vorziehen. Wer verzehrt und genießt, hat damit eine Wahl zwischen Befriedigung im nächsten Zeitabschnitt und Befriedigung in einem ferneren Zeitabschnitt getroffen und die frühere Befriedigung vorgezogen. Würde er anders entscheiden, würde er nicht die frühere Befriedigung der späteren vorziehen, könnte er nie zum Genuss kommen. Er könnte auch morgen nicht verzehren und genießen, weil auch die Entscheidung zwischen dem nun zum Heute gewordenen Morgen und dem zum Morgen gewordenen Übermorgen die Höherwertung der früheren Befriedigung gegenüber der späteren Befriedigung verlangt, wenn nicht ein neuer Aufschub des Genusses eintreten soll. [207]

Doch nicht nur der erste Schritt zur Befriedigung, auch jeder weitere Schritt setzt die Höherwertung der Befriedigung im näheren Zeitabschnitt voraus. Wenn nach Befriedigung des dringendsten Bedarfs, der die Rangordnung 1 trägt, das nächstdringende Bedürfnis, das die Rangordnung 2 trägt, vor dem noch nicht befriedigten Bedürfnis von morgen, das bei gleicher Wertung die Rangordnung 1 tragen würde, befriedigt werden soll, dann ist damit dem weniger dringenden Bedarf von heute der Vorrang vor einem Bedarf von morgen eingeräumt worden, der — wenn man vom Zeitmoment absieht — als der dringendere erscheinen würde. Wer nicht die Befriedigung in einem näheren Zeitabschnitt der in einen späteren Zeitabschnitt vorzieht, würde nur immerfort anhäufen und für die Zukunft vorsorgen, ohne je zu genießen und zu verzehren. Handeln, das heißt: bewusstes, auf die Behebung von Unbefriedigtsein gerichtetes menschliches Verhalten, schließt die Höherwertung der Befriedigung in einem näher gelegenen Zeitabschnitt gegenüber der in einem später gelegenen Zeitabschnitt ein.

Die Lage, in der der moderne Mensch zu handeln hat, ist freilich nicht mehr die des Urmenschen, der über die Verwendung einiger Fische oder Kokosnüsse zu verfügen hat. Als das Ergebnis der Vorsorge unserer Vorfahren steht uns ein Vorrat von fertigen Gütern und von Zwischenprodukten zur Verfügung. Unser Werten ist auf eine längere Vorsorgezeit abgestellt, weil wir Erben einer Vergangenheit sind, die die Vorsorgezeit Schritt für Schritt verlängert hat und uns die Mittel hinterlassen hat, mit längerer Wartezeit zu wirtschaften. Wir fassen einen längeren Zeitabschnitt ins Auge und richten unser Handeln auf die Versorgung während dieses ganzen Zeitabschnitts in der Weise ein, dass wir auf gleichmäßige   [445] Befriedigung in allen Teilen dieses Abschnitts hinarbeiten. Wir können caeteris paribus — mit einem ständigen Zustrom von gebrauchsfertigen — gegenwärtigen — Gütern rechnen und verfügen nicht bloß über einen Vorrat von genussreifen Gütern, sondern über einen Vorrat von Produktionsmitteln, aus dem durch unser weiteres Handeln fort und fort Genussgüter abreifen. In der Verfügung über die Verwendung dieses regelmäßigen Zuwachses verschwindet scheinbar die verschiedene Wertung der Befriedigung in näheren und der in ferneren Zeitabschnitten. Wir synchronisieren, pflegt man zu sagen, und damit, meint man, verliere das Zeitmoment seine Bedeutung. Es sei daher nicht zulässig, zur Erklärung von Vorgängen, die sich im Rahmen der modernen Wirtschaft abspielen, die verschiedene Schätzung gegenwärtiger und künftiger Befriedigung heranzuziehen.

Der Irrtum, der in diesem Einwand steckt, beruht wie manche andere Irrtümer auf einem Missverstehen der Bedeutung des Gedankenbildes der gleichmäßigen Wirtschaft. In der gleichmäßigen Wirtschaft geschieht nichts Neues; alles läuft immer in den alten Bahnen. In der gleichmäßigen Wirtschaft werden daher auch keine Handlungen gesetzt, die in der Verwendung der Güter für näherliegenden oder fernerliegenden Genuss Änderungen vornehmen. Niemand will daran etwas ändern, weil — eben unserer Annahme gemäss — der bestehende Zustand seinen Wertungen entspricht und unter den gegebenen Verhältnissen keine Änderung eine Verbesserung bringen könnte. Niemand will den Verbrauch im nächstgelegenen Zeitabschnitt auf Kosten des Verbrauchs in fernerliegenden Zeitabschnitten erhöhen, weil die bestehende Aufteilung besser befriedigt als jede andere, die im Bereich des Möglichen liegt.

Diese Lage bestimmt die praxeologische Unterscheidung von Stammvermögen (Kapital) und Einkommen. Sie ist der Ausdruck eines Handelns, das bereits auf der verschiedenen Wertung der Befriedigung in näher und in ferner gelegenen Zeitabschnitten der Zukunft aufgebaut ist. Indem wir das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft in der Weise bestimmt haben, dass das ganze Einkommen aufgebraucht wird, aber auch nicht mehr als das Einkommen, so dass das Kapital unverändert erhalten bleibt, haben wir implicite schon angenommen, dass zwischen der Aufteilung der verfügbaren Güter für Verwendung in näherer und in fernerer Zukunft Gleichgewicht hergestellt wurde. Von diesem Zustand mag man daher sagen: niemand begehrt sein Einkommen von morgen schon heute zu verbrauchen. Wir haben eben den Zustand so   [446] konstruiert, dass er dieser Bedingung entspricht. Doch wir hätten dann, wenn wir an dieser Ausdrucksweise festhalten, von der gleichmäßigen Wirtschaft auch zu sagen: niemand begehrt von einer Ware mehr, als ihm gerade zur Verfügung steht. Sowenig uns diese Ausdrucksweise berechtigen würde anzunehmen, dass kein Begehren nach besserer Versorgung an verschiedenen Genussgütern auftreten würde, wenn die Möglichkeit, es zu befriedigen, auftaucht und dem Wirt zur Wahl gestellt wird, sowenig sind wir berechtigt, aus den Bedingungen der gleichmäßigen Wirtschaft auf gleiche Wertung der Bedürfnisbefriedigung in verschiedenen Zeitabschnitten zu schließen. [208]

Sobald das Gleichgewicht der gleichmäßigen Wirtschaft durch eine neue Tatsache gestört wird, muss wieder zwischen Befriedigung in näherer und der in fernerer Zukunft gewählt werden. Wenn ein Zuwachs an Gütern für den Verbrauch in näherer Zukunft gewidmet wird und nicht — durch Investition — für die Verwendung in späterer Zukunft, so kann das nur den Grund haben, dass der Befriedigung in näherer Zukunft vor der in fernerer Zukunft der Vorzug gegeben wird.

Wer die Allgemeingültigkeit der Höherwertung zeitlich näherer Befriedigung bestreitet, hätte doch die Verpflichtung, zu erklären, wieso es kommt, dass ein Einzelner einen Betrag von 100 Dollar, die ihm heute zufallen, nicht immer investiert, sondern in vielen Fällen verbraucht, obwohl die hundert Dollar doch nach einem Jahr 105 Dollar geben. Offenbar schätzt unser Mann, wenn er die 100 Dollar nicht investiert, die Befriedigung, die er durch 100 Dollar heute erhalten kann, höher ein als die Befriedigung, die er durch die Verwendung von 105 Dollar nach einem Jahr erzielen kann. Doch auch wenn er Sparen dem Verbrauch vorzieht, bedeutet das keineswegs, dass er die spätere Befriedigung der früheren vorzieht. Es bedeutet nicht, dass er hundert Dollar von heute weniger hoch schätzt als hundert Dollar nach Ablauf eines Jahres, sondern dass er 100 Dollar von heute niedriger schätzt als 105 Dollar nach einem Jahre. Jeder Groschen, der heute ausgegeben wird und nicht für spätere Verwendung aufbewahrt wird, ist, gerade und ganz besonders auch unter den Verhältnissen moderner kapitalistischer Produktion, Beweis für die Tatsache, dass Befriedigung in einem näheren Zeitabschnitt der Zukunft der in einem ferneren Zeitabschnitt der Zukunft vorgezogen wird.

Der Beweis für die Höherschätzung der Befriedigung in  [447] näherer Zukunft ist in doppelter Hinsicht zu erbringen. Einmal für das Handeln, das nicht zwischen einem Weniger an Menge heute und einem Mehr an Menge in späterer Zeit zu wählen hat; das ist der Fall der Menschen in Verhältnissen, in denen sie zwischen gleichen Mengen heute und später zu wählen haben. Dann für das Handeln unter Verhältnissen, in denen dem Warten ein Mehr an Menge oder eine — von der Zeitdifferenz abgesehen — höher gewertete Befriedigung in späterer Zeit gegenübersteht. Für beide Fälle haben wir den Beweis erbracht. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Man kann den Tatbestand der Höherwertung der Befriedigung in näherer Zukunft auch psychologisch zu verstehen suchen. Das Problem der Ungeduld und der Unlust, die im Warten liegt, ist wohl psychologischer Natur. Man kann an seine Aufhellung herantreten, indem man von der Begrenztheit des menschlichen Lebens ausgeht, vom Werden und Vergehen des Einzelnen, der wächst und aufblüht, verblüht -und schließlich stirbt. Im Ablauf des Menschenlebens gibt es für alles einen richtigen Augenblick ebenso wie ein zu früh und ein zu spät . Vielleicht mag selbst die Experimentalpsychologie hier manche interessante Beiträge zu liefern imstande sein. Doch unser praxeologisches Problem hat mit dem psychologischen Problem nichts zu tun. Wir haben zu begreifen und nicht bloß zu verstehen. Wir haben zu begreifen, daß ein Mensch, dem Befriedigung in einem näheren Abschnitt der Zukunft nicht wichtiger erscheint als die in einem ferneren Abschnitt, nie zum Verbrauch und zum Genuss, mithin auch nie zu irgend einer Befriedigung gelangen könnte.

Unser Problem hat auch nichts mit dem physiologischen Problem zu tun. Wer den späteren Tag erleben will, muss zunächst für die Erhaltung des Lebens in der Zwischenzeit sorgen. Das Überleben und die Befriedigung der Existenzbedürfnisse in der näheren Zukunft erscheinen somit als Bedingung für die Befriedigung in späterer Zukunft. Das lässt uns verstehen, aus welchen Beweggründen in vielen Fällen — überall dort, wo die Existenz (das nackte Leben) im strengsten Sinne des Wortes in Frage steht — die Befriedigung in näherer Zukunft der in fernerer Zukunft vorgezogen werden muss. Doch wir befassen uns nicht mit den Beweggründen des Handelns, sondern mit dem Handeln. Sowenig wir darnach fragen, aus welchen Gründen Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett begehrt werden, sowenig fragen wir darnach, aus welchen Gründen unter Umständen die Befriedigung mancher Bedürfnisse im allernächsten Augenblick unabweislich erscheint. Wir haben zu begreifen, dass nur dann verzehrt, verbraucht und genossen werden kann, wenn die  [448] nähere Befriedigung der ferneren vorgezogen wird. Der Umfang dieser Einsicht reicht dabei weit über das hinaus, was uns durch den Hinweis auf jenen physiologischen Tatbestand erklärt wird. Denn wir haben nicht nur die Befriedigung der Bedürfnisse im Auge, die man im strengsten Sinne des Wortes als Existenzbedürfnisse bezeichnet, sondern die Behebung jeglichen Unbefriedigtsein.

Man muss das besonders hervorheben, weil der von Böhm-Bawerk eingeführte Ausdruck «Subsistenzmittelfonds» Mißverständnisse hervorrufen kann. Es ist freilich auch eine der Aufgaben dieses Fonds, den notdürftigsten Unterhalt in der Wartezeit zu sichern und dadurch die Verlängerung der Produktionszeit überhaupt erst zu ermöglichen. Doch darüber hinaus muss dieser Fonds so groß gehalten werden, dass er während der Wartezeit auch alle jene, über die Befriedigung des Bedürfnisses nach bloßer Fristung der Existenz hinausgehenden Befriedigungen ermöglicht, die als dringender angesehen werden als die reichlichere, aber auch spätere — Befriedigung nach Beendigung der im Gange befindlichen Produktion.

Böhm-Bawerk hat darauf hingewiesen, dass jede Verlängerung der Produktionsumwege an «die im Angelpunkte meiner Theorie stehende Bedingung» geknüpft sei, nämlich «an die Verfügung über eine ausreichende Menge gegenwärtiger Güter, die die verlängerte durchschnittliche Pause zwischen dem Einsatz der vorbereitenden Arbeit und dem Einheimsen ihrer Früchte zu überbrücken gestattet.» [209] Der Ausdruck «ausreichende Menge» bedarf einer Erläuterung. Er darf nicht etwa als «zur Fristung der Existenz ausreichende Menge» verstanden werden. Gewiss hat ihn auch Böhm-Bawerk nicht in diesem Sinne aufgefaßt; das würde im Widerspruch mit dem Grundgedanken seiner Lehre stehen. Die Menge der verfügbaren gegenwärtigen Güter muss so groß sein, dass sie Befriedigung in näherer Zukunft in solchem Umfang gestattet, dass der Verzicht auf weitere Befriedigung im näher liegenden Abschnitt der Zukunft durch die Aussicht auf eine reichlichere, wenn auch erst für einen ferner liegenden Abschnitt der Zukunft zu erwartende Befriedigung aufgewogen wird. Ob die Menge «ausreichend» ist oder nicht, hängt nicht von objektiven Tatsachen ab, mag auch den Ausdruck «überbrücken» die Vorstellung eines Wasserlaufs erwecken, dessen Breite der Überbrückung eine Aufgabe von objektiv bestimmbarer Größe stellt. Die Menge wird  [449] von Wirten geschätzt, und ihr subjektives Urteil entscheidet, ob sie ausreicht oder nicht.

Auch in einer Welt, in der für den im strengen Sinn des Wortes notwendigen Lebensunterhalt durch die Natur freigebig gesorgt wird, in der die wichtigsten Lebensmittel freie Güter sind und in der das Handeln sich nicht mit der Sorge um die nackte Existenz zu befassen hat, müsste es die Erscheinung der Höherwertung der Befriedigung in näherer Zukunft und mithin Zins so geben wie in unserer Welt.

III. Die Kapitalgüter

Sobald einmal für die Befriedigung des Heute gesorgt ist, die dringender erscheint als irgend eine Befriedigung des Morgen, beginnt man, einen Teil des Vorrats an Genussgütern für morgen aufzubewahren. Dieser Aufschub des Verzehrs macht es möglich, dem Handeln weitere Ziele zu setzen: man kann Ziele anstreben, die bisher wegen der Länge der erforderlichen Produktionszeit überhaupt nicht in Betracht kamen, und man kann Verfahren wählen, die zwar nicht zu neuen Zielen führen, die aber bei gleichem Aufwand höheren Ertrag, wenn auch erst nach längerer Produktionszeit, abwerfen. Am Anfang der Verlängerung der Produktionszeit steht das Sparen. Ein Genuss wird aufgeschoben, weil man den Bedarf von heute soweit befriedigt hat, dass die Deckung eines Teiles des späteren Bedarfs für dringender erachtet wird als das weitere Fortschreiten in der Befriedigung des heutigen Bedarfs. Der Aufschub des Genusses und das Bilden von Vorräten für spätere Befriedigung würde auch ohne den Anreiz erfolgen, den die höhere Ergiebigkeit der Verfahren mit längerer Produktionszeit bietet. Doch die Mehrergiebigkeit der Verfahren mit längerer Produktionszeit vervielfacht diesen Anreiz. Dem Verzicht auf die Befriedigung in näherer Zukunft, der im Sparen liegt, steht nun nicht nur die Aussicht gegenüber, dass man die dem Genuss entzogene Menge später werde genießen können, sondern die Aussicht, dass man dann eine größere Menge dieser Güter oder aber andere Güter, die man ohne das vorläufige Opfer, das im Sparen liegt, überhaupt nicht erlangen könnte, zur Verfügung haben werde. Würde das Handeln nicht ausnahmelos der Befriedigung in einem Zeitabschnitt näherer Zukunft den Vorzug geben vor Befriedigung gleicher Art und Stärke in einem gleichlangen Zeitabschnitt der ferneren Zukunft, dann würde überhaupt immer nur gespart werden, um das Einschlagen von immer zeitraubenderen, doch ergiebigeren Verfahren zu ermöglichen.   [450] Nur weil der Mehrergiebigkeit, die viele zeitraubendere Verfahren auszeichnet, die Höherwertung der Befriedigung in näherer Zukunft gegenübersteht, wird nicht nur gespart und investiert, sondern auch aufgebraucht.

Damit Verfahren mit längerer Produktionszeit eingeschlagen werden können, muss vorerst durch Sparen dafür gesorgt worden sein, dass in der verlängerten Wartezeit die Befriedigung erfolgt, die dringender erachtet wird als der durch die Mehrergiebigkeit des längeren Verfahrens erwartete Zuwachs an späterer Befriedigung. Alle Kapitalbildung beginnt mit der Ansammlung von Überschüssen an Genussgütern, die für späteren Verbrauch gespart und zurückgelegt werden. Werden diese ersparten Vorräte einfach aufgehoben, so sind sie nur Reichtum oder, richtiger gesagt, Reserve oder Notpfennig; sie bleiben außerhalb der Produktion. In den Produktionsprozess werden sie erst dadurch eingeschaltet, dass man sie verwendet, um zunächst ursprüngliche Produktionsmittel (und im weiteren Fortgang der Entwicklung auch produzierte Produktionsmittel) für das Einschlagen von Verfahren mit längerer Produktionszeit freizubekommen. Sie werden verausgabt, und an ihre Stelle treten zunächst die Zwischenprodukte eines zeitraubenderen Produktionsverfahrens und schließlich die in dem längeren Verfahren erzeugten Genussgüter.

Diesen ganzen Prozess verfolgt und begleitet der Geist des handelnden Menschen mit der Kapitalrechnung. [210] Sie geht von dem Marktpreis der für die weitere Produktion verfügbaren Kapitalgüter aus, der ihr als Geldsumme, als Kapital, erscheint. Sie verzeichnet jede Verausgabung aus diesem Fonds und den Geldwert jedes durch diese Verausgabung erzielten Eingangs, bis sie endlich das Schlussergebnis aller Veränderungen in der Zusammensetzung des Kapitals ermittelt und damit gestattet, an Hand der Geldrechnung Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens zu ermitteln. Doch sie zeigt nicht nur das Endergebnis an; sie spiegelt auch jedes Zwischenstadium des Ablaufs wieder. Sie vermag Zwischenbilanzen für jeden beliebigen Tag zu liefern und die Erfolgsrechnung für jeden Teilprozess aufzustellen. Nur weil sie das kann, ist sie befähigt, der arbeitsteilig produzierenden Marktwirtschaft als Kompass zu dienen. Denn in dieser ist die Produktion einerseits ein   [451] kontinuierlicher endloser Prozess, anderseits in eine sehr große Anzahl von Teilprozessen zerlegt. Es werden nicht ursprüngliche Produktionsmittel eingesetzt und bis zur Fertigstellung der gebrauchs- und verbrauchsreifen Güter verarbeitet, worauf dann mit neuer Produktion in einer neuen Produktionsperiode begonnen wird. Man erzeugt und verbraucht fortlaufend. Man bildet durch Sparen neues Kapital oder zehrt durch Überverbrauch Kapital auf. Die Produktion ist auf zahlreiche Einzelunternehmungen verteilt, von denen jedes nur begrenzten Produktionszwecken dient. Die Zwischenprodukte — die produzierten Produktionsmittel — wechseln im Laufe der Produktion den Eigentümer, sie wandern von Unternehmen zu Unternehmen, bis sie für Gebrauch und Verbrauch reif geworden sind. Der gesellschaftliche Produktionsprozess selbst kommt nie zu einem Ende. In jedem Augenblicke sind eine Unzahl von Produktionsverfahren im Gange, von denen die einen mehr, die anderen weniger von der Vollendung der ihnen gesetzten Teilaufgabe entfernt sind.

In diesem endlos ununterbrochen fortschreitenden gesellschaftlichen Produktionsprozess ist jeder Schritt auf dem Sparen und auf der Vorarbeit der Vergangenheit aufgebaut. Wir sind die Erben unserer Vorfahren, durch deren Sparen die Kapitalgüter gebildet wurden, mit denen wir arbeiten. Von dem Ursparen der Fischer, die einen Teil ihrer Arbeit nicht der Sorge für den nächsten Tag, sondern durch Herstellen von Netzen und Booten der Vorsorge für spätere Tage gewidmet haben, ziehen auch wir heute noch Nutzen. Hätten die Söhne dieser Fischer das so gebildete Kapital wieder aufgezehrt, indem sie die Zwischenprodukte — Netze und Boote — aufgebraucht hätten, ohne für Ersatz durch Widmung eines Teils ihrer Arbeit zu sorgen, dann hätte der Kapitalbildungsprozess von Neuem beginnen müssen. Das erste Kapital ist nur aus den ursprünglichen Produktionsfaktoren (Arbeit und naturgegebenen Produktionsmitteln) gebildet worden, und wenn wir Späteren weiteres Kapital durch Sparen von Gütern bilden, die durch Kombinieren von drei Gruppen von Produktionsfaktoren, nämlich Arbeit, naturgegebene sachliche Produktionsmittel und produzierte Produktionsmittel, erzeugt wurden, so ist das nur dem Umstande zuzuschreiben, dass wir dank dem von unseren Vorfahren ererbten Kapital in der Kapitalbildung nicht mehr von Frischem anfangen müssen. [211]

[452]

Will man das Kapital nicht aufzehren, dann müssen die Güter, in denen es verkörpert ist, immer wieder aus dem Ergebnis der Produktion ersetzt werden, wenn sie durch die Produktion aufgebraucht, durch Elementarereignisse zerstört oder durch Änderung der Bedarfsgestaltung oder der Produktionstechnik entwertet wurden. Gemehrt wird das Kapital durch neue Rücklagen, die über diese Erneuerung des alten Kapitals hinausgehen. Um zu sparen, muss man immer wieder mehr erzeugen als verbrauchen.

Die Kapitalrechnung ist Geldrechnung. Nur die Geldrechnung ermöglicht es, den Gedanken der Sonderung des Kapitalstammes vom Ertrage zu verwirklichen. In einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die den Geldgebrauch entweder überhaupt nicht kennt oder keine Geldpreise der Produktionsmittel bildet, kann man wohl die Gedankengänge erfassen, die zur Kapitalrechnung führen. Die Kapitalrechnung selbst könnte jedoch dort nicht durchgeführt werden. In sehr einfachen Verhältnissen, in denen nur wenig Zeit beanspruchende Produktionsverfahren eingeschlagen werden, könnte man allenfalls in vagen Schätzungen halbwegs einen Ersatz für die Geldrechnung erblicken. Jene Urfischer und Urjäger konnten sie entbehren; sie hatten nur darauf bedacht zu sein, ihren Besitz an Werkzeugen und an Reservevorräten ungeschmälert. zu erhalten. Darüber, dass die arbeitsteilig produzierende Wirtschaft sie nicht entbehren kann, braucht man nicht viel Worte zu machen.

IV. Produktionszeit, Wartezeit, Vorsorgezeit.

Wollte man die Produktionszeit, die die Herstellung der einzelnen Güter vom ersten Einsatz originärer Produktionsmittel an erfordert hat, messen, dann müsste man in der Lage sein, die Geschichte der Entstehung eines jeden genussreifen Gutes zurückzuverfolgen und festzustellen, in welchem Zeitpunkte der Vergangenheit Arbeit und naturgegebene Produktionsmittel zuerst in Handeln eingesetzt wurden, das schließlich zur Hervorbringung dieses Gutes geführt hat. Die Lösung dieser Aufgabe würde die Lösbarkeit des Problems der physischen Zurechnung voraussetzen. Man müsste feststellen können, in welchem Ausmasse die Werkzeuge und Rohstoffe, die mittelbar und unmittelbar dem Erzeugungsprozess gedient haben, zu dem Endergebnisse beigetragen haben, und man hätte diese Rechnung zurückzuverfolgen bis zur Urentstehung ersten Kapitals durch das Ursparen von Leuten, die von der Hand in den Mund gelebt haben. Nicht allein die praktische Schwierigkeit, die solcher Geschichtsforschung im Wege steht, macht die Lösung des  [453] Problems unmöglich, sondern die grundsätzliche Unlösbarkeit des Problems der physischen Zurechnung, die uns schon den ersten Schritt dieser Rückverfolgung des Entstehungsganges eines Gutes verbietet, nämlich die Ermittlung des physischen Anteils, der jedem einzelnen Komplementärgut an seiner Entstehung zuzuschreiben ist.

Weder das Handeln selbst noch die Wissenschaft vom Handeln bedürfen einer Messung der Länge der Produktionszeit, die in der Vergangenheit auf die Herstellung der verfügbaren Güter verwendet worden war; sie wüssten mit den Maßzahlen, wenn sie sie zur Verfügung hätten, nichts anzufangen. Der Wirt hat über die Verwendung von Gütern zu verfügen und trifft seine Entscheidung, indem er jeden Teil der verfügbaren Güter so verwendet, dass er den dringendsten Bedarf befriedige; dafür bedarf er in der Produktion der Kenntnis der voraussichtlichen Wartezeit, die ihn von der Erreichung der in Betracht kommenden Ziele trennt, doch nicht des Rückblicks auf die Geschichte der Entstehung der verfügbaren Kapitalgüter. Der Wirt rechnet die Produktionszeit immer vom Heute an. Denn so wie es ohne Einfluss auf die Wertung der produzierten Produktionsmittel ist, ob für ihre Erzeugung mehr oder weniger Arbeit und sachliche Produktionsmittel aufgewendet wurden, so ist es auch ohne Belang, ob die Erzeugung mehr oder weniger Zeit in Anspruch genommen hat. Für die Wertung ist allein der Nutzen maßgebend, den das Gut heute und künftig zu leisten verspricht, nicht die Herstellungskosten und die Produktionszeit, die aufgewendet wurden und der toten Vergangenheit angehören.

Die Vermehrung des Kapitalgüterbestandes ist unerlässliche Vorbedingung für das Einschlagen von Verfahren mit längerer Produktions- und demgemäss auch längerer Wartezeit. Wenn man Ziele anstrebt, die weiter liegen, muss man die Produktionszeit verlängern, weil diese Ziele eben erst nach längerer Zeit erreicht werden können. Wenn man Verfahren einschlagen will, die bei gleichem Aufwand höhere Mengenergiebigkeit versprechen, dann muss man die Produktionszeit verlängern, weil man die Verfahren, die geringere Mengenergiebigkeit bringen, nur darum gewählt hat, weil sie schneller zum Ziele führen. Doch anderseits muss nicht jede Anlage von aus neuem zusätzlichem Sparen gebildeten Kapital in Verfahren erfolgen, bei denen der Weg vom Heute bis zur Herstellung des genussreifen Produkts mehr Zeit beansprucht als die längsten der schon bisher verwendeten Produktionsverfahren. Es kann geschehen, dass die Wirte nun, da die dringenderen Bedürfnisse befriedigt sind, Güter anstreben, die in verhältnismäßig kurzer Zeit   [454] hergestellt werden können. Dass man diese Güter nicht schon früher begehrt und erzeugt hat, ist nicht darauf zurückzuführen, dass die Produktionszeit zu lang erschien, sondern darauf, dass man für die dabei benötigten Produktionsmittel eine dringendere Verwendung hatte. Man nehme etwa an, dass die reicher gewordenen Wirte nun bereit sind, mehr Mittel aufzuwenden, um Aufführungen von Kunstwerken und Sportfeste zu veranstalten. Die Produktionszeit im Vergnügungswesen ist im Allgemeinen wohl kürzer als die in der Erzeugung von Wasserleitungen, Beleuchtungsanlagen und Eisenbahnen.

Es wäre daher ein Irrtum, wollte man glauben, dass jeder Zuwachs von Kapital zur Aufnahme von Produktionsverfahren führt, bei denen die Produktionszeit länger ist als bei den schon früher aufgenommenen. Der Satz, dass langwierigere Produktionsverfahren die Verfügung über mehr Kapital voraussetzen als kürzere, lässt sich nicht in der Weise umkehren, dass man sagt: ein Zuwachs an Kapital kann nur zur Verlängerung der Produktionszeit verwendet werden.

Es kann auch vorkommen, dass technische Fortschritte oder die Entdeckung bisher nicht bekannter ursprünglicher Produktionsmittel dazu führen, dass Verfahren, die sowohl mehr Kapital als auch längere Produktionszeit erfordern, durch Verfahren mit geringerem Kapitalaufwand und kürzerer Produktionszeit ersetzt werden. Ob das häufiger oder seltener eintritt, ist für die grundsätzliche Frage ohne Bedeutung.

Wenn wir sagen, Vermehrung des Kapitalbestandes führe notwendigerweise immer zu einer Verlängerung der Produktionszeit und der Wartezeit, auch wenn die einzelnen mit der Kapitalvermehrung neu aufgenommenen Produktionsverfahren in kürzerer Produktionszeit zum Endergebnis führen als die schon früher aufgenommenen, dann stellen wir uns auf einen Standpunkt, dem folgende Betrachtung zugrundeliegt: Wenn a die schon früher hergestellten Konsumgüter bedeutet, b die im neu aufgenommenen Verfahren hergestellten Konsumgüter, dann muss man auf a + b länger warten als man auf a allein warten musste. Denn um a + b zu erhalten, musste man vorerst nicht nur die Kapitalgüter erzeugen, die für die Erzeugung von a benötigt werden, sondern auch darüber hinaus die, die für die Erzeugung von b benötigt werden. Wenn man die zusätzlichen Unterhaltsmittel, die man zur Freimachung von Arbeit für die Erzeugung von b verwendet hat, durch Verbrauchssteigerung aufgezehrt hätte, wäre man früher zu einem Genuss gekommen als durch ihre Verwendung für die Erzeugung von b .

Am deutlichsten tritt die Bedeutung der Wartezeit hervor, wenn man sich auf das Wesen der Erscheinung besinnt, die  [455] man als Kapitalmangel zu bezeichnen pflegt, und wenn man die Leistung des Kredits in der Produktion untersucht. Wenn wir z. B. sagen, dass Rumänien um 1860 herum nicht über das Kapital verfügte, um Eisenbahnen und Strassen zu bauen, seine Landwirtschaft nach mitteleuropäischem Vorbild umzugestalten und die handwerksmäßige Erzeugung im Gewerbe durch fabriksmäßige zu ersetzen, dann wollen wir sagen, dass die Rumänen, wenn es ihnen nicht möglich gewesen wäre, ausländischen Kredit zu erhalten und fremdes Unternehmungskapital heranzuziehen, die Mittel für diese Reformen nur durch Sparen hätten beschaffen können. Die Rumänen hätten dann die Wahl gehabt zwischen der Einschränkung des Verbrauchs bei ungeänderter Erzeugung und der Erhöhung- der Erzeugung bei unverändertem Verbrauch. Beide Wege hätten nur langsam zum Ziele führen können. Weit schneller konnte das Ziel durch die Einfuhr ausländischen Leih- und Unternehmungskapitals erreicht werden. Denn auf diese Weise konnte man die Produktion sehr bald beträchtlich steigern und aus dem Mehrertrag nicht nur das fremde Kapital verzinsen, sondern auch — selbst bei Steigerung des Verbrauchs — noch genug erübrigen, um daran zu denken, die Schulden zu tilgen und die Anteile der fremden Unternehmungen zu erwerben.

Wäre jedoch Rumänien außerhalb des Weltverkehrs geblieben, dann hätte man die Eisenbahnen, Maschinen und anderen Hilfsmittel moderner Erzeugung nicht anders zu beschaffen gewusst als durch Anlage aller jener Betriebe, die zu ihrer Erzeugung benötigt werden. Man hätte aus der Landwirtschaft und aus den Gewerben Arbeiter herausziehen müssen, um sie für diese Arbeiten zu verwenden, und man hätte den Verbrauch soweit einschränken müssen, dass man mit den dadurch verminderten Erträgnissen der landwirtschaftlichen und gewerblichen Erzeugung das Auslangen hätte finden können. Was den Rumänen fehlte, waren mithin die Unterhaltsmittel, deren Vorhandensein es ihnen ermöglicht hätte, ohne Einschränkung des Verbrauches die Erzeugung von Eisenbahnmaterial, Maschinen u. dgl. aufzunehmen. Doch selbst wenn sie sich diese Unterhaltsmittel durch ausländische Kredite hätten beschaffen können, hätten sie — auf die Herstellung der benötigten Mengen an Eisenbahnmaterial und Maschinen im Inland angewiesen — noch lange warten müssen, bis sie in die Lage gekommen wären, sich dieser Produktionsmittel bedienen zu können. Indem sie im Auslande so große Kredite aufgenommen haben, dass sie gleich diese Produktionsmittel einzuführen imstande waren, haben sie den gleichen Erfolg erzielt, als ob sie mit dem Sparen im Verbrauch und mit der Widmung eines Teiles ihres   [456] —bescheidenen — schon früher angesammelten heimischen Kapitals und ihrer Arbeit für die Erzeugung von Eisenbahnmaterial und Maschinen bereits vor Jahren begonnen hätten.

Kapitalmangel bedeutet, dass man von einem Ziele, das man erreichen will, noch weiter entfernt ist als man in dem Falle wäre, wenn man bereits zeitiger begonnen hätte, auf dieses Ziel durch Einschränkung des Verbrauches und durch Verwendung der durch diese Einschränkung freigesetzten Mengen von Kapital, Arbeit und naturgegebenen sachlichen Produktionsmitteln hinzuarbeiten. Weil man das versäumt hat, fehlen die Zwischenprodukte, die die Etappen auf dem Wege zu diesem Ziel bilden. Es fehlt die vorgetane Arbeit und daher liegt das Ziel noch in der Ferne. Das Vorhandensein von Kapital bedeutet, dass man Zielen näher gekommen ist, weil man schon früher begonnen hatte, auf sie hinzuarbeiten. Kapitalmangel bedeutet daher Zeitmangel. Man hat zu spät begonnen, und es ist daher noch zu früh, an die Erreichung weitgesteckter Ziele zu denken. Man kann noch immer anfangen, man wird das Ziel erreichen, doch erst später. Kapitalmangel ist Mangel an den für die frühere Erreichung eines Ziels benötigten Zwischenprodukten, ist Mangel an vorgetaner Arbeit und ungenügendes Sparen in der Vergangenheit. Wir können weder den Dienst, den Kapital leistet, noch die Nachteile, die die ungenügende Versorgung mit Kapital mit sich bringt, umschreiben, ohne dabei das Zeitelement des «Früher» und des «Später» zu beachten. [212]

Ein Zuwachs an Kapitalgütern bedeutet, dass man ohne Einschränkung des Verbrauches in die Lage versetzt wird, weiterliegende Ziele zu erreichen. Ein Verlust an Kapitalgütern bedeutet umgekehrt, dass man nur durch Einschränkung des Verbrauches manche Ziele erreichen kann, die man vor dem Verlust ohne Einschränkung des Verbrauches hätte erreichen können.

Die Verfügung über Kapitalgüter bedeutet mithin caeteris paribus Zeitgewinn oder, was dasselbe ist, Zeitersparnis. Ohne Einschränkung des Verbrauches, ohne Erwerbung besseren technologischen Könnens, ohne Aufwendung von mehr Arbeit oder von mehr naturgegebenen sachlichen Produktionsmitteln vermag man dank der Verfügung über Kapital Ziele früher zu erreichen, als es ohne diese Verfügung möglich wäre. Der Vorsprung, den die Verfügung über Kapital dem Kapitalisten gibt,  [457] besteht in Zeitersparnis. Man kann diesen Vorsprung mit der Zeit wettmachen, wenn man den Verbrauch entsprechend einzuschränken in der Lage ist, oder wenn man es versteht, die Ergiebigkeit der wirtschaftlichen Arbeit caeteris paribus zu steigern.

Der Vorsprung, den die Völker des abendländischen Kulturkreises gegenüber den übrigen Völkern gewonnen haben, beruht darauf, dass sie in jahrhundertelanger Arbeit die institutionellen Vorbedingungen für einigermaßen ungestörten Fortgang des Kapitalbildungsprozesses geschaffen haben. Sie haben damit schon bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Kapitalfülle angesammelt, die ihrem Wirtschaften einen gewaltigen Vorsprung gegenüber den Völkern gab, die in der Verdrängung der militaristischen Gesellschaftsform durch die industrielle Gesellschaftsform nicht so erfolgreich gewesen waren. Auf sich selbst gestellt und ohne die Hilfe des internationalen Kapitalmarktes hätten diese Völker wohl viele Jahrhunderte gebraucht, ehe es ihnen gelungen wäre, die Höhe kapitalistischen Reichtums zu erklimmen, die Europa durch eigene Arbeit schon im 19. Jahrhundert erklommen hatte.

Man kann den Gang der großen politischen Weltereignisse im kapitalistischen Zeitalter und die Beziehungen zwischen Westeuropa und den übrigen Völkern der drei alten Erdteile in den letzten hundert Jahren nicht verstehen, wenn man nicht begriffen hat, was dieser gewaltige «Transfer» zu bedeuten hatte. Der Westen hat dem Osten nicht nur die Rezepte der modernen Technologie geliefert, sondern auch das Kapital, um diese Rezepte schneller und ohne den Preis von Entbehrungen durchzuführen. Das war das Wesen der «Ausbeutung» der in der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung zurückgebliebenen Völker des Ostens durch den westlichen Kapitalismus, von der Marxismus und Nationalismus sprechen. Es war eine Befruchtung der rückständigen Länder durch die fortgeschritteneren; sie war auf der Voraussetzung aufgebaut gewesen, dass die Zinsen der Anleihen gezahlt werden, dass die Eigentümer der Unternehmungen die Erträgnisse beziehen können und dass den Eigentümern und Gläubigern die Verfügung über den Kapitalstamm gewahrt bleibt. Diese Erwartungen haben sich als unberechtigt erwiesen. Ein großer, ja der größte Teil des Kapitals, das der Westen dem Osten zur Verfügung gestellt hat, ist ebenso wie ein beträchtlicher Teil des Kapitals, das von Europa der neuen Welt zur Besiedlung und Urbarmachung der neuerschlossenen Gebiete anvertraut worden war, den Eigentümern entzogen worden oder dürfte ihnen in nicht ferner Zukunft entzogen werden. Überall ist das Kapital, ganz besonders aber  [458] das «fremde» Kapital heute von Enteignungsmaßnahmen verschiedener Art bedroht.

Es ist nicht Aufgabe der Katallaktik, sondern der Geschichte sich mit diesen Geschehnissen und ihren Folgen für die Zukunft des Menschengeschlechts zu befassen. Die Katallaktik hat nur die Wirkungen größeren und geringeren Kapitalbesitzes auf die industrielle Struktur zu prüfen.

Vergleichen wir zwei isolierte marktwirtschaftliche Systeme ( A und B ), die bei gleicher Bevölkerungs- und Arbeiterzahl, gleichem Stand der technologischen Kenntnisse und gleichem Umfang der naturgegebenen sachlichen Produktionsfaktoren sich nur durch die Ausstattung an Kapitalgütern unterscheiden, indem A an Kapital reicher ist als B , dann ergibt sich: In A sind Produktionsverfahren im Gange, die höhere Mengenergiebigkeit bringen als die in B eingeschlagenen. In B kann man zu der Einführung dieser Verfahren nicht schreiten, weil man nicht die erforderlichen Unterhaltsmittel hat, um die längere Wartezeit ohne Einschränkung des Verbrauchs durchzuhalten. In B werden Arbeiten durch Arbeiter verrichtet, die in A durch arbeitsparende Maschinen ausgeführt werden. In A werden Güter von längerer Nutzdauer erzeugt, die man in B nicht erzeugen kann, selbst wenn die Verlängerung der Nutzdauer dem erforderlichen Mehraufwand gegenüber überproportional ist. [213]

Erstreckung der Vorsorgezeit über die erwartete Lebensdauer hinaus

Die Werturteile und Wahlakte, die zwischen Befriedigung in näherer und der in fernerer Zukunft entscheiden, werten die gegenwärtige Bedeutung und nicht die künftige Bedeutung der Befriedigung. Es wird die Bedeutung, die der Befriedigung in näherer Zukunft heute beigemessen wird, gegen die Bedeutung abgewogen, die der Befriedigung in fernerer Zukunft heute beigemessen wird. Das Unbefriedigtsein einer näheren und das einer ferneren Zukunft wild heute verglichen und nach dem heutigen Stand gewertet.

Es wäre eigentlich richtiger, diesen Sachverhalt in der Weise auszudrücken, dass man nur von der gegenwärtigen — d.h. im Augenblick des Handelns, des Wahlaktes — empfundenen Befriedigung über künftige Befriedigung in näherer und in fernerer Zukunft spricht. Das Unbefriedigtsein, das der Handelnde soweit, als die verfügbaren Mittel es gestatten, abstellen will, ist gegenwürtiges Unbefriedigtsein, das durch die Aussicht auf künftiges Unbefriedigtsein erweckt wird. Beim Handeln, das auf die Behebung fremden Unbefriedigtsein gerichtet ist, liegt das Unbefriedigtsein, das der Handelnde abstellen will, in seinem Unbehagen, das er beim Gedanken an des andern Unbefriedigtsein empfindet. Indem er für den andern sorgt, sucht er sein eigenes Unbefriedigtsein zu beheben.

[459]

Es liegt daher nichts Aufflälliges in dem Umstande, dass Handelnde die Vorsorgezeit auch über die Dauer des eigenen Lebens hinaus zu erstreckcn bedacht sind. Zu den Triebfedern des Handelns gehört auch die Fürsorge für Nachkommen, Verwandte und andere Menschen. Vorsorge für die Zeit nach Beendigung des eigenen Lebens fallt nicht aus dem Rahmen, der alles Handeln umschliesst.

V. Die Lenkbarkeit der Kapitalgüter

Als Zwischenprodukte sind die Kapitalgüter Etappen auf dem Wege zu einem Ziel. Wird im Laufe der Produktionszeit der Entschluss gefasst, das Ziel zu wechseln, so kann man nicht ohneweiteres alle bereits erzeugten Zwischenprodukte für das neue Werk brauchen. Manche dieser Zwischenprodukte werden durch den Zielwechsel überhaupt unverwendbar, und alle Kosten, die auf ihre Herstellung aufgewendet wurden, erscheinen nun als verlorener Aufwand. Andere Zwischenprodukte können auch dem neuen Zwecke dienstbar gemacht werden, wenn man an ihnen Veränderungen vornimmt; diese Umstellung verursacht Kosten, die man hätte vermeiden können, wenn man von vornherein auf das neue Ziel hingearbeitet hätte. Manche Zwischenprodukte wieder sind zwar so, wie sie sind, auch unter den geänderten Verhältnissen zu brauchen; hätte man jedoch schon bei ihrer Herstellung gewusst, dass sie in der neuen Art verwendet werden sollen, dann hätte man den Nutzeffekt, den sie nun bringen, durch Herstellung anderer Güter, die ihn ebenso leisten, billiger zu erreichen gewusst. Schließlich gibt es aber auch Zwischenprodukte, bei denen es überhaupt keinen Unterschied ausmacht, ob man sie für den ursprünglich gewählten oder für den neuen Zweck verwenden will.

Die Gutsqualität aller Kapitalgüter hängt eben von der Gutsqualität der Genussgüter ab, deren Herstellung sie dienen. Ändert sich die Bedeutung der Endprodukte, dann wirkt das auf die Bewertung der komplementären Produktionsgüter zurück. Es wäre wohl kaum notwendig, diesen Tatbestand nochmals und besonders hervorzuheben, wenn man nicht die Verpflichtung hätte, gangbare Irrtümer über das Wesen des Kapitals zu berichtigen. Es gibt kein abstraktes oder ideelles Kapital, das abseits von den konkreten Kapitalgütern ein Sonderdasein führt. Wenn wir von dem Gelde als Bestandteil des Kapitals, von dem später noch zu sprechen sein wird, zunächst absehen, haben wir festzustellen, dass Kapital immer in konkreten Kapitalgütern verkörpert ist und dass es das Schicksal dieser Kapitalgüter teilt. Der Wert. eines Kapitalbestandes ergibt sich aus dem Werte der einzelnen Kapitalgüter, aus denen er zusammengesetzt ist. Es gibt nichts, was man als freies [460] Kapital zu bezeichnen berechtigt wäre. Jedes Kapital ist stets in dem Sinne gebunden, dass die einzelnen Kapitalgüter für manche Verwendungen besser, für andere weniger und für noch andere gar nicht geeignet sind. Jedes Kapital ist damit in höherem oder geringerem Grade für bestimmte Verwendungen festgelegt. Die Unterscheidung zwischen festangelegtem und beweglichen Kapital ist eine gradweise, keine grundsätzliche Unterscheidung. Alles, was von der Bindung des festangelegten Kapitals gilt, gilt grundsätzlich ebenso, wenn auch in der Regel in geringerem Ausmasse, von dem beweglichen Kapital. Alle Kapitalgüter haben spezifische Gestalt, mag auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch eine Änderung in den dem Wirtschaften gesetzten Zielen entwertet werden könnten, bei vielen von ihnen nur gering sein.

Mit dem Fortschreiten des Produktionsprozesses wird die Bindung der Kapitalgüter an das Ziel des Prozesses in der Regel immer enger. Roheisen hat weniger spezifischen Charakter als Eisenrohre oder gar als eiserne Maschinenbestandteile. Die Umstellung eines Produktionsprozesses wird daher im Allgemeinen umso schwieriger, je weiter er bereits getrieben wurde und je mehr er sich seinem Abschlusse, der Erzeugung von Genussgütern, genähert hat.

Verfolgt man den Prozess der Kapitalbildung von seinem Anfang an, dann erkennt man unschwer, dass es freies Kapital nicht geben kann und dass man nur zwischen Kapital, das in Produktionsmitteln von höherem, und solchem, das in Produktionsmitteln von geringerem spezifischen Charakter besteht, unterscheiden kann. Für naturalwirtschaftliche Verhältnisse bedarf es da keiner weiteren Beweisführung. Die zusätzlichen Ersparnisse eines nur für den eigenen Bedarf wirtschaftenden Landwirts oder eines Erzeugers, der die Erzeugnisse seiner Arbeit nur im unvermittelten Tausche umzusetzen vermag, können immer nur in Mengen von verschiedenen Gütern aller Güterordnungen bestehen und sind mithin an die Bedeutung, die diesen Gütern für die Bedürfnisbefriedigung zukommt, gebunden. Ändern sich die Bedürfnisse oder die Anschauungen über die Weise, in der die Bedürfnisse befriedigt werden können, dann ändert sich auch der Wert dieser Kapitalgüter. In der Geldwirtschaft liegt es nicht anders. Neues Kapital kann auch hier nur durch ein Zurückbleiben des Verbrauchs gegenüber der Erzeugung entstehen. Das Neukapital ist in konkreten Kapitalgütern bereits im Augenblick seines Entstehens verkörpert. Diese Güter mussten zuerst produziert werden, ehe sie — als Überschuss über den Verbrauch — zu Kapitalgütern werden [461] konnten. Wie dieser Vorgang durch das Dazwischentreten des Geldes beeinflusst wird und ob zwischen Sparen und Kapitalbildung unter bestimmten Voraussetzungen Unstimmigkeiten durch Verschiebungen im Verhältnis von Geldmenge und Geldbedarf entstehen können, wird später zu erörtern sein.

Kapital kann nicht frei sein, es ist immer gebunden und teilt immer die Schicksale der konkreten Kapitalgüter, an die es gebunden ist. Auch der Kapitalist, der seinen Kapitalbesitz in Geld und Geldforderungen angelegt hat, verfügt nicht über freies Kapital. Sein Besitz ist an das Geld und damit an die Gestaltung des Geldwerts gebunden und — wenn er Geldforderungen und nicht Bargeld besitzt — darüber hinaus auch noch an die Einbringlichkeit der Forderung.

An Stelle der irreführenden Unterscheidung zwischen freiem und gebundenem Kapital empfiehlt es sich, den Begriff der Lenkbarkeit der Kapitalanlage zu verwenden. Als Lenkbarkeit des Kapitals sei die Möglichkeit verstanden, die Verwendung der Kapitalgüter geänderten Verhältnissen anzupassen. Die Lenkbarkeit ist gradweise abgestuft, sie ist niemals vollkommen, d.h. für alle auf Erden überhaupt möglichen Veränderungen gegeben. Sie ist im Grenzfalle überhaupt nicht vorhanden. Da das Umlenken der Kapitalgüter auf eine andere als die ursprünglich geplante Verwendung im Hinblick auf nicht vorausgesehene Änderungen in den Daten der Wirtschaft erfolgt, kann man von der Lenkbarkeit nie im Allgemeinen und ohne Bezugnahme auf bereits eingetretene oder erwartete Datenänderungen sprechen. Radikale Änderung der Daten würde auch Anlagen, die sonst als hochgradig lenkbar angesehen werden, unlenkbar oder schwer umlenkbar erscheinen lassen.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass die geringe Lenkbarkeit bei Produktionsmitteln, deren Brauchbarkeit sich erst nach Abgabe zahlreicher einzelner Nutzwirkungen langsam erschöpft, auffälliger zutage tritt und größere Verluste nach sich zieht als bei den Produktionsmitteln, die in der Erzeugung durch die Abgabe einer einzigen Nutzwirkung aufgebraucht werden. Die unausgenützte Produktionsfähigkeit industrieller Anlagen und Verkehrsanstalten und die Verschrottung von Maschinen und Fahrzeugen, die im Sinne des ihrer Erzeugung seinerzeit zugrundegelegten Planes noch lange hätten gebrauchsfähig bleiben können, fällt mehr auf und bedeutet in der Regel stärkere Verluste als die Verramschung von Stoffen, die aus der Mode gekommen sind, oder von Lebensmitteln, deren längere Aufbewahrung zum Verderb führen würde. Das Problem der Lenkbarkeit wird überhaupt nur darum als ein Problem des Kapitals [462] und der Kapitalgüter behandelt, weil es durch die Kapitalsrechnung besonders sichtbar gemacht wird. In letzter Linie handelt es sich hier jedoch um eine Erscheinung, die auch bei den Genussgütern auftritt, die der Einzelne für seinen eigenen Verbrauch und Gebrauch beschafft hat. Ändern sich die Verhältnisse, die zu ihrer Anschaffung geführt haben, dann tritt auch bei ihnen das Problem der Lenkbarkeit der Verwendung auf.

Die Kapitalisten und die Unternehmer sind nie absolut frei und liquid; sie stehen nie vor der ersten Entscheidung, die sie erst binden soll; sie sind immer schon gebunden, ihre Mittel sind immer schon irgendwie angelegt. Wenn sie Kapital in Geldform besitzen, dann kann das, je nach der Marktlage, gute oder schlechte Anlage sein; es ist aber immer schon Anlage und Bindung. Sie haben entweder den richtigen Augenblick für den Ankauf der konkreten Produktionsmittel, die sie früher oder später, aber doch jedenfalls einmal erwerben müssen, verpasst oder aber der richtige Augenblick für den Ankauf ist noch nicht gekommen. In jenem Fall ist ihre Anlage in Geld unzweckmäßig; sie hätten schon früher kaufen sollen. In diesem Fall hat sich die Anlagewahl als richtig erwiesen.

Unternehmer und Kapitalisten, die durch Verausgabung von Geld zur Anlage in anderen Kapitalgütern schreiten, betrachten die gegebenen Produktionsmöglichkeiten nur im Hinblick auf die Zukunft. Wenn sie Produktionsmittel erwerben, dann bewilligen sie nur die Preise, die ihnen durch die erwarteten Ertragsmöglichkeiten der geplanten Erzeugung gerechtfertigt erscheinen. Sie zahlen für Produktionsmittel nur die Preise, die der gegenwärtigen Marktlage entsprechen. Die Irrtümer und Fehler vergangener Zeit belasten nicht den -Unternehmer, der erst zum Umsatz des Geldkapitals in konkrete Produktionsmittel schreitet; sie werden ganz von den Vorbesitzern getragen. In diesem Sinne setzt der Unternehmer, der mit Geld in der Hand an den Erwerb von Produktionsmitteln für künftige Produktion schreitet, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Nur in diesem Sinn, dass sein Vermögen nicht durch die vor seinen Produktionsmittelkäufen in der Bewertung dieser Produktionsmittel eingetretenen Änderungen berührt wird, ist er als Besitzer von Kapital in Geldform im Besitz liquider Mittel.

Der Unternehmer unterscheidet das festangelegte — fixe — Kapital vom umlaufenden Kapital. Die Unterscheidung ist relativ, und die Grenzen zwischen beiden Klassen sind flüssig. Die nationalökonomische Ausdrucksweise, die von der Lenkbarkeit der Kapitalgüter spricht, ist korrekter und zweckmäßiger.

 


 

[463]

VI. Das Kapital als Trager einer Einwirkung der Vergangenheit auf Produktion und Verbrauch

Je mehr die Kapitalbildung fortschreitet, je grosser unser Reichtum an Kapitalgütern wird, desto grössere Bedeutung gewinnt das Problem der Lenkbarkeit. Die primitivere, mit wenig Zwischenprodukten arbeitende Verfahrensweise «vorkapitalistischer» Landwirtschaft und handwerkmässiger Gewerbe konnte leichter und schneller neuen Aufgaben angepasst werden als die moderne Produktion «hochkapitalistischer» Wirtschaft. Gerade diese aber hat es mit schnell wechselnden Bedingungen zu tun. Änderungen in der Nachfrage der Verbraucher und Änderungen in der Produktionstechnik, wie sie unter modernen Verhältnissen alltäglich sind, lassen die Voraussetzungen, unter denen die Wirtschaftsplane der Vergangenheit gefasst wurden, als hinfällig erscheinen und werfen die Frage auf, ob und wieweit man die eingeschlagenen Wege weiter wandeln soil.

Der Geist rücksichtsloser grundstürzender Neuerung mag mitunter die Welt erfassen, die seelischen Hemmungen und die Widerstande stumpfer Trägheit stürmisch überwinden, den bequemen Gewohnheitsmenschen zu radikalem Wandel der überkommenen Anschauungen und Wertungen fortreissen und gebieterisch das Beschreiten neuer Bahnen, die zu neuen Zielen führen, heischen. Das Denken sucht zu vergessen, dass wir in unserem Sinnen und Trachten die Erben unserer Vorfahren sind und dass unsere Kultur, die uns vom Tier unterscheidet, ein in langer Entwicklung allmählich Gewordenes ist, das man nicht mit einem Schlage umzugestalten vermag. Doch wie wild sich die Wünsche auch gebärden mögen, ihrer kühnen Neuerungssucht stellt sich sogleich ein Element entgegen, das die Menschen zwingt, von der von den Ahnen eingeschlagenen Marschrichtung nicht allzu scharf abzuweichen. Alle Kultur beruht auf dem von der Vergangenheit übernommenen Kapitalsbestand, und die Bindung dieses Reichtums an die konkrete Gestalt der Kapitalgüter, in denen er verkörpert ist, bindet das Handeln der Nachfahren an die Zielsetzungen und an die Wegwahl der Erblasser. Unser Kapitalreichtum,, der aus dem Sparen unserer Vater entstanden ist und den Überschüssen ihrer Erzeugung über ihren Verbrauch seinen Ursprung verdankt, lenkt unser Handeln mitunter in Bahnen, die wir nicht wählen wurden, wenn wir unsere Entscheidung in voller Freiheit hätten treffen können. Zielwahl und Wegsuche werden durch die Vergangenheit beeinflusst. Das Kapital wirkt als konservatives [464] Element, das unser Handeln nötigt, sich Bedingungen anzupassen, die durch das Denken, Wahlen und Handeln der dahingegangenen Geschlechter und durch unser eigenes Handeln in der Vergangenheit gesetzt wurden.

Wir können uns ausmalen, wie wir die Wirtschaft eingerichtet hätten, wenn wir mit unseren Kenntnissen der Beschaffenheit der Erde, der Technologie und der Hygiene alle Kapitalbindungen verfügt hätten. Wir hätten die Produktionsstätten anders über die Erdoberfläche verteilt, wir hatten demgemäss die Menschen an anderen Orten angesiedelt. Manche Gegend, die heute mit Erzeugungsanlagen und mit Wohnstätten dicht besetzt ist, hatten wir weniger dicht besiedelt, an anderen Orten dagegen hätten wir mehr Menschen und mehr Anlagen versammelt. Alle Betriebe hätten wir mit den zweckmässigsten Maschinen und Werkzeugen ausgestattet und jedem Betriebe den Umfang gegeben, der die vollkommenste Ausnützung der Anlagen ermöglicht. In der nach unserem Idealplane eingerichteten Wirtschaft würde es keine technische Rückständigkeit geben, keine unausgenützte Produktionskapazität und keine vermeidbaren Transporte von Waren und Menschen ; sie würde daher weit ergiebiger arbeiten als die wirkliche Wirtschaft unseres Zeitalters.

Man begegnet solchen utopischen Phantasien in den Schriften und Reden der sozialistischen Planwirtschaftler. Mögen sie nun als Marxisten oder als antimarxistische Sozialisten, als Technokraten oder als Etatisten auftreten, immer wollen sie uns darüber belehren, wie unvernünftig die Welt eingerichtet ist, und wie schon wir es haben könnten, wollten wir ihnen die Wirtschaftsdiktatur übertragen. Nur der Sinnlosigkeit des auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden kapitalistischen Systems sei es zuzuschreiben, dass wir von ihrem Idealbild weit entfernt sind, und dass wir nicht alle Vorteile geniessen können, die der gegenwärtige Stand unseres technologischen Könnens zu verbürgen imstande sei.

Die Irrtümer dieser rationalistischen Romantik liegen in der Verkennung des Charakters des Kapitalbestandes. Die Zwischenprodukte, über die wir verfügen, sind von unseren Vorfahren und von uns selbst in der Vergangenheit erzeugt worden, und die Ideen, die ihre Herstellung leiteten, entsprachen den damals herrschenden Zielsetzungen und technologischen Auffassungen. Wenn wir nun anderen Zielen zustreben und andere Wege gehen wollen, haben wir die Wahl, entweder einen grossen Teil des verfügbaren Bestandes an Kapitalgütern aus der Reihe der uns zur Verfügung stehenden Hilfsmittel ganz auszuscheiden, oder aber unsere Zielsetzungen zu modifizieren [465] und unsere Verfahren den vorhandenen Mitteln anzupassen. Jeder am Marktverkehr teilnehmende Wirt hat da zu entscheiden. Wenn er zwischen dem Wohnen in einem alten Hause, das in Lage, Bauart und Einrichtung den vor Jahren herrschenden Auffassungen liber Wohnkultur entspricht, und dem Wohnen in einem modernen, mit allem Komfort von heute ausgestatteten Gebäude die Wahl trifft, entscheidet er über den Umfang der Kapitalmengen, die für den Wohnhausbau gewidmet werden. Wenn er zwischen Eisenbahn und Kraftwagen, zwischen elektrischer Beleuchtung und Gasbeleuchtung, zwischen Baumwollware und Kunstseide wählt, trifft er jedesmal Entscheidungen über die Verwendung der alten Kapitalbestände und über die Richtung, in der sich die Ersatzbildung und Neubildung von Kapitalgütern vollzieht. Wenn die alten Gebäude nicht vor.zeitig niedergerissen und nicht durch Neubauten ersetzt werden, weil die Verbraucher den Aufwand nicht zu vergüten bereit sind und es vorziehen, ihre Wohnkultur einzuschränken, um andere Bedürfnisse besser befriedigen zu können, ist unschwer zu erkennen, in welcher W^eise die Bedürfnisbefriedigung von heute durch die Wirtschaft der Vergangenheit bestimmt wird.

Dass nicht jeder technische Fortschritt sofort allgemein durchgeführt wird, so dass neben modernsten Anlagen auch noch solche alterer überholter Konstruktion weiter verwendet werden, ist nicht schwerer zu erklären als die Tatsache, dass neben Kraftwagen modernster Bauart auch noch solche alterer Typen unsere Strassen befahren und dass es Leute gibt, die sich nicht beeilen, ihre Kleidung den jüngsten Moden anzupassen. In alien diesen Fallen muss man eben mit der Beschränktheit der verfügbaren Mittel rechnen.

Ein neues, wirtschaftlicheres Maschinenmodell kommt auf den Markt. Ob die Fabriken, die mit einem älteren, weniger leistungsfähigen Model! ausgerüstet sind, die noch gebrauchsfähigen alten Maschinen vorzeitig ausser Dienst stellen und durch neue ersetzen werden, hängt davon ab, ob die Überlegenheit des neuen Modells so gross ist, dass sie den durch Ausmusterung der in Gebrauch stehenden Maschinen und ihren Ersatz durch neue entstehenden Aufwand wettmacht. Ist p der Preis der neuen Maschine, q der durch Veräusserung der alten (als Altmaterial) erzielbare Erlös, a die Kosten einer Einheit der mit der alten Maschine erzeugbaren Produktmenge, b der entsprechende Wert für die neue Maschine, jedoch ohne Einschluss der durch ihre Anschaffung entstehenden Kosten, und nehmen wir an, dass der Vorzug des neuen Modells lediglich in besserer Auswertung des umlaufenden Kapitals etwa durch Arbeitsersparnis, nicht auch in der Verarbeitung grösserer [466] Mengen liegt, so dass die Grosse der in einem Jahr erzeugten Menge z unverändert bleibt, dann wird die Maschine ausgewechselt werden, wenn der Ertrag z ( a-b ) gross genug ist, um die Aufwendung eines zusätzlichen Kapitals von p-q bezahlt zu machen. Von den Amortisationsquoten sehen wir dabei ab, indem wir annehmen wollen, dass die neue Maschine keine höheren Abschreibungen verlangt als die alte. Was von dem Ersatz einer technisch überholten Maschine durch ein leistungsfähigeres Modell gilt, gilt auch für die Übertragung eines Betriebes an einen Ort, der unter den gegebenen Verhältnissen günstigere natürliche oder institutionelle Bedingungen fur die Geschäftsführung bietet. Es kann sich mithin ergeben, dass die mit veralteter Ausrüstung versehene oder an einem ungünstigeren Orte gelegene Unternehmung mit Erfolg im Wettbewerb mit moderneren oder günstiger gelegenen Anlagen zu bestehen vermag. Die technische oder standortmässige Unterlegenheit führt nicht immer zu wirtschaftlicher Unzweckmässigkeit. Das Verhältnis des Ausmasses der Überlegenheit des neuen Verfahrens zu den mit seiner Einführung verknüpften Kosten, die wieder zum Teil von der Lenkbarkeit der im alten Verfahren bereits investierten Kapitalgüter abhangt, gibt da den Ausschlag.

Der Grad der Lenkbarkeit des verfügbaren Kapitalgüterbestandes spricht bei der Entscheidung über Wechsel der Produktionsziele und Produktionsverfahren mit. Je geringer die Lenkbarkeit der Kapitalgüter im Hinblick auf die erwünschten Neuerungen erscheint, desto starker wird die Verwendung der neuen Verfahren gehemmt. Es ware dennoch irreführend, dem Kapital im allgemeinen Neuerungs- und Fortschrittsfeindlichkeit zuzuschreiben. Was den Fortschritt (die Anpassung) hemmt, ist nicht die geringe Lenkbarkeit der Kapitalgüter, sondern die Knappheit an verfügbarem Kapital, die uns nicht gestattet, auf Dienste, die die nur wenig lenkbaren Anlagen noch leisten können, vorzeitig zu verzichten. Fortschrittshemmend wirkt nicht das Kapital, sondern die Knappheit an Kapital. Das Erbe der Vergangenheit, das im Kapitalbestand verkürpert ist, ist unser Reichtum und das vornehmste Mittel unserer Wohlfahrtsforderung. Dass wir noch besser daran waren, wenn die Vergangenheit in ihrem Handeln die Lage, in der wir zu handeln berufen sind, hatte vorausahnen können, ist eine Feststellung, die uns manche Erscheinung in unserem Handeln begreifen lasst, doch weder Kritik an der Vergangenheit noch ein Vorwurf gegen die institutionellen Grundlagen der Marktwirtschaft.

 


 

[467]

VII. Kapitalersatz, Kapitalneubildung, Kapitalaufzehrung

Alle Kapitalgüter sind, wenn man sie vom Standpunkte der Produktion, der sie dienen, betrachtet, Zwischenprodukte, die im weiteren Verlaufe der Erzeugungsverfahren in Endprodukte verwandelt werden und schliesslich als solche durch Verbrauch und Gebrauch untergehen, wenn sie nicht etwa durch Änderung der Verhältnisse ihre Gutseigenschaft schon vor ihrem physischen Aufbrauch verloren haben. Will der Wirt seinen Kapitalbestand unverändert in gleicher Hohe erhalten, dann muss er dafür sorgen, dass an die Stelle der in der Produktion aufgebrauchten und als Endprodukte dem Verbrauch und Gebrauch zugeführten Kapitalgüter neue Kapitalgüter in entsprechendem Ausmass treten.

Da die Gutseigenschaft nicht eine den Dingen anhaftende Eigenschaft oder Fähigkeit ist, sondern das Ergebnis der — sich verändernden — Beurteilung ihrer Brauchbarkeit zur Befriedigung der — sich gleichfalls verändernden — menschlichen Bedürfnisse durch die Menschen ist, und da sich auch die Verfahren, die die Menschen zur Herstellung dieser Güter einschlagen, andern, kann bei Erhaltung des Kapitalbestandes das Absehen nicht darauf gerichtet werden, die ausscheidenden Zwischenprodukte durch neue von gleicher Art in gleicher Menge zu ersetzen. Das kann mitunter der Lage der Verhältnisse entsprechen, muss aber nicht immer so sein und wird umso seltener vorkommen, je rascher die Bedürfnisse und die Verfahren zu ihrer Befriedigung sich andern. Die Absicht, das von früherer Produktion und von früherem Sparen überkommene Kapital in seinem Bestande zu erhalten, kann sich nur auf die Erhaltung eines Bestandes von Gütern richten, dem die gleiche Bedeutung fur die Bedürfnisbefriedigung beigemessen wird. Da die Menschen und die äusseren Bedingungen, unter denen sie zu leben und zu handeln haben, und auch die menschlichen Bedürfnisse und die Mittel, durch die man sie befriedigen will, sich immerfort andern, da nirgends ein fester Standpunkt gefunden werden kann, von dem aus man mit unveränderlichem Werturteil die Dinge betrachten kann, und da jeder Versuch, an Werte und Wertungen Masstabe anzulegen, hoffnungslos scheitern muss, kann man zur Richtschnur der Kapitalerhaltung nur die Preissumme des zu erhaltenden Kapitalbestandes nehmen. Die Kapitalrechnung, die der Gebahrung mit Kapital die Richtung weist, kann nur die Geldrechnung sein. Kapital erhalten heisst dann : den Geldwert des Kapitalbestandes ungeschmälert lassen, mögen auch die Kapitalgüter, die ihn gebildet haben, mittlerweile durch andere ersetzt worden sein.

[468]

Die Absicht, den Bestand an Kapitalgütern zumindest ungeschmälert zu erhalten, konnte auch Wirten vorschweben, denen das geistige Werkzeug der Geldrechnung nicht zu Gebote stand. Auch jene vielberufenen Urfischer und Urjäger werden wohl bestrebt gewesen sein, ihre Werkzeuge fortlaufend zu erneuern, urn nicht später einmal wieder von vorne anfangen zu müssen. Auch der Landwirt, der seinen Betrieb nach altüberkommener Vaterweise jeder Neuerung und jedem Rechnen abhold führt, ist nicht minder darauf bedacht, seine Wirtschaft nicht verfallen zu lassen und alles zumindest in dem Stande zu erhalten, in dem er es übernommen hat. In den einfachen Verhältnissen solcher Unternehmungen kann das auf den Ersatz des in der Produktion aufgebrauchten Kapitals gerichtete Bestreben durch fortlaufende Nacherzeugung von Stücken, die an Stelle der unbrauchbar gewordenen treten sollen, verwirklicht werden, oder durch Ansammlung von Unterhaltsmitteln, die es einmal ermöglichen sollen, ohne Einschränkung des täglichen Verbrauchs eine Zeitlang die ganze Kraft auf die Herstellung der Ersatzstücke zu richten. Wo die Kapitalrechnung die Grundlage für die Kapitalerhaltung schafft, geht man von der rechnerischen Gegenüberstellung von Kapitalstamm und Kapitalertrag aus. Vom Rohertrag der Produktion wird der gesamte Aufwand, den die Produktion erfordert hat, abgezogen, und nur der verbleibende Überschuss wird als Reinertrag angesehen, den der Wirt als Einkommen betrachten darf. Unter alien Umständen kann das Kapital nur erhalten bleiben, wenn die Produktion erfolgreich war. Kapital reproduziert sich nicht, Kapital heckt auch nicht Profit, wie marxistische Redewendungen glauben machen wollen. Wenn die Kapitalgüter in der Produktion vom Unternehmer so glücklich verwendet wurden, dass der Geldwert des Produkts den aufgewendeten Kosten zumindest gleichkommt, kann der Unternehmer aus dem Ertrag die aufgebrauchten Kapitalgüter ersetzen. Die Verwendung der Bruttoerträgnisse, ihre Aufteilung auf Kapitalersatz, Verbrauch und Kapitalneubildung ist immer das Ergebnis neuen Handelns der Unternehmer, deren Geschäftsführung erfolgreich war. Neues Kapital kann nur entstehen, wenn ein Teil des Reinertrages der Produktion nicht verbraucht wurde. Das Sparen, das Kapital neubildet, kann immer nur in Zurückbleiben des Verbrauchs hinter dem Reinertrag bestehen, sei es, dass der Verbrauch eingeschränkt wurde, sei es, dass bei unverändertem Umfang des Verbrauchs der Reinertrag gestiegen ist.

Ohne Einschränkung des Verbrauchs können Überschüsse, die neues Kapital darstellen, auf mannigfache Art entstehen :

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a ) Die Natur ist freigebiger geworden. Die Ernten sind reicher gewesen als früher ; man ist auf ergiebigere Vorkommen von Erzen und anderen Naturprodukten gestossen ; Elementarkatastrophen, die sonst in häufiger Wiederkehr menschliches Bemühen vereitelt haben, sind seltener eingetreten ; Seuchen und andere Leiden der Menschen und des Viehs, die Schaden angerichtet haben und deren Bekämpfung grossen Aufwand verschlungen hat, sind zurückgegangen.

b ) Die Menschen haben es verstanden, Produktionsverfahren ohne Aufwand an zusätzlichen Produktionsmitteln und ohne Verlangerung der Produktionszeit ergiebiger zu gestalten.

c ) Institutionelle Störungen des Produktionsprozesses, die bisher häufiger aufgetreten sind und Schaden verursachten, die den Reinertrag geschmälert haben, sind seltener geworden. Es habe z. B. Befriedung die Verluste und Zerstörungen, die durch Krieg, Aufruhr, Arbeitseinstellung und Sabotage hervorgerufen werden, verringert.

Die auf diese Weise verfügbar gewordenen Überschüsse an Unterhaltsmitteln steigern, einmal als zusätzliches Kapital zur Ausgestaltung des Produktionsprozesses verwendet, im weiteren Verlaufe die Reinerträge noch weiter. Dann kann auch der Verbrauch erhöht werden, ohne dass dem ferneren Sparen und dem Fortgang des Kapitalbildungsprozesses Abbruch geschieht.

Kapital wird immer von einzelnen Wirten, nicht etwa von der Volkswirtschaft oder von der Gesellschaft gebildet. [214] Es kann dabei geschehen, dass im Wirtschaftsgefüge die Kapitalbildung einer Anzahl von Wirten durch die gleichzeitige Kapitalverminderung anderer Wirte aufgehoben wird. Dann bleibt die Summe der in der Gesellschaft verfügbaren Kapitalien unverändert, und an das Einschlagen von langwierigeren Produktionsverfahren kann nicht geschritten werden. Die Kapitalbildung der einen Gruppe verhindert nur, dass durch die Kapitalminderung der anderen die Notwendigkeit entsteht, manche Produktionsverfahren als zu langwierig einzustellen. Betrachten wir den Vorgang vom Standpunkt dieser Folgen für das Wirtschaftsgefüge, dann können wir sagen : es hat eine Verschiebung des Eigentums an Kapital stattgefunden. Man darf sich darunter freilich nicht etwa die Übertragung des Eigentums an Kapitalgütern von einem Wirt an einen andern vorstellen.

[470]

Übertragung des Eigentums an Kapitalgütern und Übertragung von Kapital in Geldform im Darlehensverkehr sind Geschäfte, die mit solcher Kapitalverschiebung nichts zu tun haben. Sie sind Austauschakte, die die Kapitalgüter in die Verfügung der Unternehmer bringen, die sie für ihre besonderen Produktionspläne benötigen. Durch Käufe und Verkäufe, durch Darlehensgewährung und Darlehensempfang wird an sich Kapital weder gebildet noch verzehrt. Wenn der Baumwollpflanzer Baumwolle an den Händler, der Händler Baumwolle an den Spinner, der Spinner Garne an den Weber verkauft u.s.w. können alle dabei gewinnen oder verlieren. Ob sie gewinnen oder verlieren, hängt davon ab, ob sie es besser oder schlechter verstanden haben, ihr Handeln der künftigen Lage des Marktes anzupassen. Doch nicht die einzelnen Gewinne oder Verluste entscheiden über den Erfolg ihrer Geschäfte, sondern das Gesamtergebnis. Und ob das Gesamtergebnis der Geschäfte zu Kapitalbildung oder zu Kapitalaufzehrung führt, wird durch den Umfang der Erzeugung und des Verbrauches bestimmt.

Kapitalverschiebung kann sowohl mit als auch ohne Übertragung des Eigentums an Kapitalgütern von einem Wirt an einen andern vor sich gehen. Ohne Übertragung : ein Wirt zehrt sein Kapital auf, wahrend ein zweiter Wirt unabhängig davon Kapital neu bildet. Mit Übertragung : ein Wirt verkauft Kapitalgüter aus seinem Kapitalbestand an einen anderen Wirt; der Verkäufer zehrt den Kauferlös auf, der Käufer bestreitet den Kaufpreis aus Reinerträgen, die er nicht aufgezehrt hat.

Man muss sich vor Augen halten, dass Kapitalaufzehrung und der physische Untergang von Kapitalgütern zwei Vorgänge sind, die genau zu sondern sind. Alle Kapitalgüter werden früher oder später in Endprodukte umgesetzt und gehen durch Gebrauch oder Verbrauch unter. Was allein erhalten werden kann, ist ein Bestand an Kapitalgütern, der den gleichen Geldwert verkörpert ; nie können die konkreten Kapitalgüter selbst erhalten bleiben. Es kann vorkommen, dass durch Elementarkatastrophen oder durch Zerstörungen, die von Menschen ausgehen, Kapitalgüter in solchem Umfange vernichtet werden, dass keine noch so grosse Einschränkung des Verbrauchs in kurzer Zeit zur Wiederherstellung des früheren Bestandes führen könnte. Doch immer ist es der Umstand allein, dass aus den Erträgnissen der laufenden Produktion nicht vorerst das Kapital auf seinen alten Stand gebracht wurde, der zur Kapitalaufzehrung führt.

 


 

[471]

VIII. Geld und Kapital ; Sparen und Investieren

Das Kapital wird nicht nur in Geld gerechnet und in dieser Rechnung gedanklich als Geldsumme erfasst. Kapital kann auch in Geld bestehen. Da auch die Kapitalgüter im Tausche umgesetzt werden müssen und da auch der Austausch von Kapitalgütern unter den Bedingungen erfolgt, die jedem Tausch gesetzt sind, bestehen auch fur sie die Bedingungen, die indirekten Tausch und den Gebrauch von Tauschmitteln als zweckmässig erscheinen lassen. In der Marktwirtschaft kann kein Wirt auf die Vorteile verzichten, die die Kassenhaltung gewährt. Auch als Unternehmer und Kapitalisten, nicht nur als Verbraucher, müssen die Wirte über einen Kassenbestand verfügen.

Dass man in diesem Tatbestand einen Widerspruch zu finden glaubt, erklärt sich aus Erwägungen, die in der Kapitalrechnung etwas anderes erblicken wollen als das, was sie in Wahrheit ist, und ihr Aufgaben zuweisen wollen, die sie nicht erfüllen kann. Die Kapitalrechnung ist das Rechnungsverfahren der in der Marktwirtschaft handelnden Wirte, und der Kapitalbegriff kann nur in der Kapitalrechnung jene Gestalt annehmen, die ihn rechenbar macht. Die einzige Aufgabe, der die Kapitalrechnung dienen kann, ist die, dem einzelnen Wirt einer Marktwirtschaft zu zeigen, ob und wie sich der Geldwert seines Bestandes an Kapitalgütern verändert hat. Für alle anderen Berechnungen ist sie schlechterdings unbrauchbar.

Wenn man den Versuch macht, aus den Kapitalbestanden der einzelnen Wirte einen Kapitalbestand zu ermitteln, in dem man das « volkswirtschaftliche Kapital » oder « Sozialkapital » als eine von den einzelnen « Privatkapitalbeständen » oder der Summe dieser Bestände verschiedene Grösse erblicken will, empfindet man freilich das Geld, das in den Kapitalbeständen der einzelnen Wirte enthalten ist, als problematisch. Doch nicht das Geld als Bestandteil des Kapitals der einzelnen Wirte ist hier problematisch ; die Geldrechnung in ihrer Anwendung auf die Ermittlung einer Grösse, die nur im Denken, deren Objekt eine geldlose Gemeinwirtschaft ist, Sinn hat, ist schon an und für sich widerspruchsvoll. Sobald ein Gedankengang über den Rahmen der Marktwirtschaft hinausgehen will, muss er auf alle Erwägungen, die das Geld und die Geldpreise voraussetzen, verzichten. Man kann den Begriff « volkswirtschaftliches Kapital » oder « Sozialkapital » nur als einen Bestand von Zwischenprodukten und Unterhaltsmitteln denken. Jeder Versuch, zwei Bestände solcher Art anders zu vergleichen als dadurch, dass [472] man ihre Bedeutung für die Abstellung von Unbefriedigtsein in eine Rangordnung bringt, ist sinnlos. Auf den Beg riff « Sozialkapital » lasst sich kein Geldausdruck anwenden. Man kann mit ihm daher gedanklich nicht in der Weise verfahren, in der die Katallaktik ohne Bedenken mit dem Begriff des Kapitals verfährt, mit dem sie arbeitet, nämlich mit dem Begriff eines dem einzelnen, Wirte im Rahmen der Marktwirtschaft zur Verfügung stehenden Vorrats von Kapitalgütern. Man kann das Privatkapital der einzelnen Wirte als eine in Geldausdruck erfassbare und daher rechenbar gemachte Grösse ansehen, weil jeder seiner Teile auf dem Markte gegen Geld umgesetzt wird und daher einem Geldausdruck — dem Marktpreise — zugeordnet werden kann. Sobald man aber den Boden gemeinwirtschaftlicher Überlegungen betritt, darf man sich des Geldausdrucks nicht mehr bedienen, weil es für solche Überlegungen unzulässig ist, dem gesamten Kapitalbestand oder einzelnen seiner Teile Geldmengen zuzuordnen. Wenn man es für notwendig erachtet, dem Begriff des Kapitals, wie er von der marktwirtschaftlichen Kapitalrechnung ausgebildet wurde, den Kapitalbegriff eines gedachten sozialistischen Gemeinwesens unter der Bezeichnung Sozialkapital oder volkwirtschaftliches Kapital gegenüberzustellen, dann muss man alle Folgen der Eliminierung von Geld und Geldgebrauch auf sich nehmen und darf sich nicht darauf besehränken, auf halbem Wege stehen zu bleiben.

Man hat in den letzten Jahren der Bedeutung der Kassenhaltung für Sparen und Kapitalbildung besondere Aufmerksamkeit geschenkt und ist dabei mitunter zu falschen Schlüssen über das Verhältnis von Sparen und Kapitalbildung gelangt.

Wenn ein Wirt einen Geldbetrag, den er zur Ausdehnung seines Verbrauchs verwenden könnte, dem Ankauf von Produktionsmitteln widmet, gehen Sparen und Kapitalbildung Hand in Hand. Wenn der Sparer die zusätzlichen Ersparnisse zur Vergrösserung des Kassenbestandes verwendet, weil er der Auffassung ist, dass dies für ihn unter den gegebenen Verhältnissen der zweckmässigste Gebrauch ist, dem er den Zuwachs widmen kann, dann löst er eine Tendenz zur Preissenkung der Kaufgüter und zur Kaufkraftsteigerung des Geldes aus. Wenn wir die Geldmenge im Marktsystem als gegebene unveränderliche Grösse annehmen, dann wird dieses Verhalten der Sparer die Produktion und die Bildung von Kapital unmittelbar nicht beeinflussen. [215] Die Überschüsse an Sachgütern, die erzeugt und nicht aufgezehrt wurden, werden nicht verschwinden. Die [473] Kapitalgüter werden niedrigere Geldpreise erzielen, weil die Nachfrage nach ihnen geringer ist, als sie ohne dieses Horten wäre. An dem Tatbestand, dass nun mehr Kapitalgüter zur Verfügung stehen, wird durch das. Bestreben einer grösseren oder geringeren Anzahl von Wirten, ihre Kassenhaltung zu vergrössern, nichts geändert. Wenn niemand die Güter, deren Nichtaufzehren die zusätzlichen Ersparnisse entstehen liess, zur Erhöhung seiner Verbrauchs verwendet, bleiben sie als Vergrösserung des Gesamtbestandes an Kapitalgütern erhalten, wie immer sich auch der Geldausdruck dieses Kapitalbestandes gestalten mag. Die beiden Prozesse des Strebens nach höherer Kassenhaltung und der Vergrösserung des Bestandes an Kapitalgütern durch das Sparen gehen nebeneinander einher.

Der Niedergang der Preise bewirkt, dass der Geldausdruck des Kapitals der einzelnen Wirte caeteris paribus sinkt. Doch diese Erscheinung bedeutet nicht, dass nun weniger Kapitalgüter verfügbar sind und dass die Produktion solcher Verarmung angepasst werden muss ; sie verändert nur die Preisansätze, mit denen die Wirtschaftsführung zu rechnen hat.

Lassen wir die Annahme, dass die Geldmenge unverändert bleibt, fallen und nehmen wir an, dass durch die Ausgabe zusätzlichen Kreditgeldes oder durch Kreditausweitung, die neue Umlaufsmittel in den Verkehr setzt, der Betrag, der für die den Wünschen der Wirte entsprechende Auffüllung der Kassenhaltungen erfordert wird, neu in das Marktsystem einströmt. Dann gehen drei Prozesse der Preisänderung nebeneinander her : die von der Vergrösserung des Bestandes an Kapitalgütern ausgehende Tendenz zur Preissenkung, die von dem Bestreben der Wirte nach Vergrösserung der Kassenhaltung ausgehende Tendenz zur Preissenkung und schliesslich die durch die Vermehrung der Geldmenge im weiteren Sinn des Wortes (Menge an Geld und Umlaufsmitteln) ausgehende Tendenz zur Preissteigerung. Und wieder ist festzustellen : die einmal neugebildeten Ersparnisse, die neuen Kapitalgüter, werden durch die monetären Prozesse, die gleichzeitig mit der Kapitalbildung ablaufen, nicht zum Verschwinden gebracht. Jedesmal, wenn ein Wirt caeteris paribus ein Mehr an Gütern, das ihm zugeflossen ist, nicht aufbraucht, sondern spart, deckt sich der Prozess der Kapitalbildung durchaus mit dem des Geldsparens und bleibt unabhängig davon, ob der Sparer seinen Kassenbestand vergrössern will oder nicht.

Die Vorstellung, es waren die gehorteten Geldbeträge ein unfruchtbarer Teil der Gesamtkapitalmenge, dessen Vergrösserung den in der Produktion tätigen Teil der Gesamtkapitalmenge schmälert, ist nur insoweit zutreffend, als wegen des [474] Steigens der Kaufkraft der Geldeinheit mehr Kapital und Arbeit auf die Produktion des Sachgeldes verwendet wird und Geldmetall aus der industriellen Verwendung in die monetäre abströmt. Doch das ist dann Folge der verstärkten Kassenhaltung und hat mit dem Sparen an sich nichts zu tun. Sparen kann in der Marktwirtschaft ein Wirt nur dadurch, dass er von den bezogenen Reinertragen einen Teil nicht verbraucht. Ob er seine Ersparnisse zur Vergrösserung der Kassenhaltung verwendet oder in der Produktion mittelbar oder unmittelbar anlegt, beinflusst die Preisgestaltung, doch nicht den Umfang des Kapitalgüterbeständes. Die Veränderung der Kaufkraft mag den Geldwert der Kapitalbestände verringern, sie führt aber unmittelbar weder zur Aufzehrung von Kapitalgütern noch zu ihrer Ausschaltung aus dem Produktionsprozess.

 


 

6. KAPITEL: DER ZINS

I. Die Zinserscheinung.

Dass die Behebung von Unbefriedigtsein in näherer und in fernerer Zukunft verschieden beurteilt wird, dass caeteris paribus die Behebung eines Unbefriedigtsein für einen Abschnitt näherer Zukunft der Behebung eines Unbefriedigtsein für einen gleichlangen Abschnitt entfernterer Zukunft vorgezogen wird, ist, wie wir zeigen konnten, ein Ur- und Grundphänomen allen Wertens und Wirtschaftens. Diese Wertverschiedenheit tritt darin zutage, dass die menschlichen Werturteile eine geringere Menge von gegenwärtigen Gütern einer größeren Menge von künftigen Gütern gleicher Art vorziehen und dass daher eine kleinere Menge gegenwärtiger Güter gegen eine größere Menge künftiger Güter gleicher Art ausgetauscht werden kann. Auf ihr beruht der ursprüngliche Zins oder Urzins, das ist der Preisabschlag, den künftige Güter gegenüber gegenwärtigen Gütern erleiden.

Das Zinsproblem ist mithin nicht Kapitalzinsproblem. Zins ist nicht etwa der Ertrag oder das Einkommen aus der Verfügung über den Produktionsfaktor Kapital. Der der klassischen Theorie eigentümliche Parallelismus der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital und der Einkommensarten Lohn, Rente und Profit kann nicht aufrechterhalten werden. [475] Rente ist nicht das spezifische Einkommen des Grundbesitzers. Die Rentenerscheinung ist eine allgemeine Erscheinung, die mit dem Boden und den aus der Verfügung über den Boden fließenden Erträgnissen nicht mehr und nicht weniger verknüpft ist als etwa mit dem Arbeitslohn. Es gibt auch keine homogene Einkommensquelle, die man als Profit bezeichnen könnte. Unternehmergewinn und Zins sind mit dem Kapital oder mit den Kapitalgütern, den produzierten Produktionsmitteln, nicht enger verbunden als mit anderen Produktionsmitteln. Der Boden als Träger naturgegebener Produktionsmittel nimmt in der Preisbildung keine Sonderstellung ein, die ihn von der Stellung der produzierten Produktionsmittel unterscheiden würde.

Die Preise der Genussgüter werden in der Marktwirtschaft durch das Getriebe des Marktes auf die komplementären Produktionsmittel — Arbeit, Boden und Kapitalgüter (produzierte Produktionsmittel) — aufgeteilt. Da die Genussgüter gegenwärtige Güter sind, die Güter höherer Ordnung Mittel zur Erzeugung künftiger Güter, gegenwärtige Güter aber höher geschätzt werden als künftige Güter gleicher Art und Menge, bleibt die aufgeteilte Summe hinter dem gegenwärtigen Preis der entsprechenden Güter erster Ordnung zurück. Diese Differenz ist der Urzins, der somit mit keinem der drei Produktionsfaktoren besonders verknüpft ist. Unternehmergewinn und Unternehmerverlust entstehen aus Verschiebungen in der Preisgestaltung der Güter, die durch Veränderung der Marktlage im Ablaufe der Produktionszeit eintreten können.

Primitivem Denken erscheint das Einkommen aus Jagd und Fischerei, Viehzucht, Waldbesitz und Bodenbestellung als durchaus natürlich und keiner weiteren Erklärung bedürftig. Die Natur lässt Fische, Jagdtiere und Vieh werden und wachsen, lässt die Kühe Milch geben und die Hennen Eier legen, lässt die Bäume Holz ansetzen, die Bodenfrüchte sprießen und reifen. Wer das Recht hat, diesen sich immer wieder erneuernden Reichtum einzuheimsen, verfüge über ständiges Einkommen; wie ein Strom immerfort neues Wasser zuführt, so fließt auch der Einkommensstrom stetig und trägt immerfort neuen Reichtum herbei. Für den Nationalökonomen liegt das Problem im Bodenpreis und im Preis des Viehs. Würde man gegenwärtige und künftige Güter nicht verschieden werten, dann hätte der Käufer eines Grundstückes einen Kaufpreis zu entrichten, der der Summe aller künftigen Reinerträge gleichkommt und keinen Raum für ein fortlaufendes Einkommen aus der Verfügung über Boden übrig lassen würde.

Das jährliche Einkommen der Eigentümer von Boden und Vieh hat nichts an sich, was es von dem Einkommen aus der [476] Verfügung über produzierte Produktionsmittel, die im Verlaufe der Produktion früher oder später aufgebraucht werden, grundsätzlich unterscheiden würde. Die Verfügung über einen Acker ist die Verfügung über die Mitwirkung dieses Ackers an der Produktion aller Bodenfrüchte, die je auf ihm erzeugt werden können, und die Verfügung über ein Bergwerk ist die Verfügung über seinen Anteil an der Gewinnung aller Mineralien, die aus ihm jemals gewonnen werden können. Genau so ist die Verfügung über eine Maschine oder über einen Ballen Baumwolle Verfügung über ihren Beitrag zur Erzeugung aller Güter, zu deren Erzeugung sie verwendet werden können. Es war und ist der Grundfehler aller Produktivitäts- und Nutzungstheorien, dass sie den Zins aus der Brauchbarkeit der Kapitalgüter erklären wollten. Dass die Produktionsmittel zur Erzeugung von Genussgütern mitwirken, erklärt ihren Preis, doch nicht den Zins. Die Abhängigkeit des Ertrages von der Mitwirkung der Produktionsmittel bestimmt die Höhe der Preise, die für sie gezahlt werden. Dass die Summe der Preise der komplementären Güter hinter dem Produktpreis auch in der gleichmäßigen Wirtschaft zurückbleibt, beruht auf der Verschiedenheit in der Schätzung gegenwärtiger und zukünftiger Güter. Das Ausmaß dieser Preisdifferenz, des Zinses, entspricht dieser Verschiedenheit in der Wertung. Zu seiner Erklärung darf man keine Gedankengänge heranziehen, die mit der größeren oder geringeren Produktivität der Kapitalgüter operieren.

Der Zins ist eine einheitliche Erscheinung. Es gibt nicht verschiedene Quellen des Zinsbezuges. Dem Zins aus ausdauernden Gütern und dem Zins aus Konsumtivdarlehen kommt keine Sonderstellung zu; auch sie sind ganz aus der Verschiedenheit der Wertung von gegenwärtigen und künftigen Gütern und Dienstleistungen zu erklären.

II. Der Urzins

Man spart nicht, weil Zins besteht. Der Zins ist nicht die Ursache des Sparens, sondern das Wertverhältnis, das im Sparen hervortritt und den Umfang des Sparens bestimmt. Unter Verhältnissen, in denen die Vorsorge für die Zukunft in nichts anderem bestehen kann als im einfachen Nichtverzehren eines Teiles der genussreifen Güter und deren Aufbewahrung für späteren Verbrauch, ist der Zins in der verschiedenen Rangstellung gegeben, die man der Befriedigung gegenwärtiger und künftiger Bedürfnisse zuerkennt. Ehe man an das Sparen schreitet, durch das für künftige Bedürfnisse vorgesorgt wird, [477] werden heutige Bedürfnisse befriedigt, die man jenen künftigen Bedürfnissen nur darum vorzieht, weil sie heutige Bedürfnisse sind. [216]

Die Mehrergiebigkeit der kapitalistischen Produktionsumwege, die in Böhm-Bawerks Lehre und in den Lehren vieler seiner Nachfolger zur Erklärung der Zinserscheinung herangezogen wird, erklärt nicht den Zins. Dass die Wertdifferenz, die den Zins ergibt, besteht, erklärt, warum ungeachtet der Mehrergiebigkeit zeitraubenderer Produktionsverfahren oft kürzere Verfahren von geringerer Ergiebigkeit an Menge oder Art der Produkte eingeschlagen werden. Die Wertdifferenz zwischen Befriedigung in näherer und der in fernerer Zukunft erklärt, warum Grundstücke überhaupt einen begrenzten Preis haben; würde man die künftigen Dienste, die ein Grundstückabzugeben vermag, denen, die es schon heute zu leisten vermag, gleichhalten, dann würde kein Preis hoch genug sein, um den Eigentümer zur Abtretung eines Grundstückes zu veranlassen. Grundstücke könnten weder um Geld gekauft oder verkauft, noch gegen Güter, die nur eine endliche Zahl von Nutzungen abzugeben vermögen, vertauscht werden. Umsätze in Grundstücken könnten nur im Tausch gegen andere Grundstücke erfolgen. Ein Haus, das durch zehn Jahre einen jährlichen Mietertrag von 100 Einheiten zu bringen vermag, würde (ohne das Grundstück, auf dem es steht) am Beginn dieser zehn Jahre 1000 Einheiten gleichgehalten werden, im folgenden Jahre 900 Einheiten und so fort.

Der ursprüngliche Zins oder Urzins ist kein Preis und wird nicht auf dem Markte durch Zusammenwirken einer Nachfrage nach und eines Angebots von Kapital oder Kapitalgütern gebildet. Er tritt auf dem Markte in der Preisbildung aller Güter und Dienstleistungen in verschiedener Bewertung gegenwärtiger und künftiger Güter und Dienstleistungen zutage. Er ist im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft durch den Betrag gegeben, um den die Summe der Preise der komplementären Güter hinter dem Preise der entsprechenden Genussgüter zurückbleibt. Auf dem Darlehensmarkte (Kapitalmarkt und Geldmarkt) erfolgt nicht die Bildung des Urzinses, sondern die Anpassung des Zinses von in Geld gegebenen und empfangenen Darlehen an den durch die Preisbildung des Marktes, auf dem Güter und Dienstleistungen ausgetauscht werden, gebildeten Satz des Urzinses.

[478]

Der Urzins ist von der Menge des Angebots an Kapitalgütern unabhängig. Er ist es vielmehr, der Kapitalangebot und Kapitalnachfrage bildet. Durch den Urzins wird bestimmt, wie viel von dem verfügbaren Gütervorrat für den Verbrauch in der Gegenwart und wieviel für die Vorsorge für die Zukunft gewidmet wird.

Der Urzins kann aus dem menschlichen Werten und Handeln nicht verschwinden. Wenn eine Lage der Dinge wiederkehren würde, wie sie am Ende des ersten christlichen Jahrtausends bestand, als der Glaube an das unmittelbare Bevorstehen des Endes aller irdischen Belange allgemein war, dann würde, dem Gebote der Bergpredigt gemäss, alle Vorsorge für die irdische Zukunft aufhören. Die Produktionsmittel würden jede Bedeutung verlieren; sie würden als nutzlos und wertlos angesehen werden. Das Agio der gegenwärtigen Güter gegenüber den künftigen Gütern würde damit nicht verschwinden; es würde über alles Maß hinauswachsen. Würde dagegen der Urzins ganz verschwinden, dann würde das bedeuten, dass für die Deckung gegenwärtigen Bedarfs, des Bedarfs des nächsten Augenblicks und des Bedarfs in absehbarer Zukunft nicht gesorgt wird, dass man immerfort nur für die fernste Zukunft produzieren will und dass man einem Apfel, den man heute oder morgen, in einem Jahre oder in zehn Jahren verzehren kann, zwei Äpfel, die erst in tausend oder zehntausend Jahren genussreif sein werden, vorzieht. Der Urzins ist eine elementare Werterscheinung, die man aus dem menschlichen Wirtschaften nicht fortdenken kann. Er ist daher auch nicht an die Organisationsform der gesellschaftlichen Kooperation geknüpft. Er ist im Handeln eines isolierten Wirts oder eines sozialistischen Gemeinwesens ebenso wirksam wie in der Marktwirtschaft der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung.

Wenn man wie die modernen (d.h. die nach .Böhm-Bawerks Kritik der älteren Produktivitätstheorien gebildeten) Produktivitätstheorien den Urzins aus der höheren Ergiebigkeit der kapitalistischen Produktionsumwege herleitet, kann man zu dem Schlusse gelangen, dass der Urzins verschwinden würde, wenn einmal ein Zustand erreicht ist, in dem durch weitere Verlängerung der Produktionszeit keine Steigerung der Ergiebigkeit erzielt werden kann. [217] Doch man kann einen solchen Zustand nicht denken, wenn man an der Annahme der Knappheit der Güter festhalten will.

[479]

Solange die Welt nicht zum Schlaraffenland geworden ist und die Menschen daher handeln und wirtschaften, wird man immer zwischen Befriedigung in näherer und der in fernerer Zukunft zu wählen haben, weil weder für diese noch für jene volle Befriedigung erzielt werden kann. Wenn wir annehmen, dass durch Änderung in der Verwendung der Produktionsmittel, die Produktionsmittel aus einer Verwendung, in der sie der Versorgung näherer Zukunft dienen, in eine Verwendung leitet, in der sie der Versorgung fernerer Zukunft dienen, keine weitere Verbesserung der späteren Versorgung erzielt werden kann, verwickeln wir uns in unlösbare Widersprüche. Wir vermögen zwar immerhin einen Zustand zu denken, in dem das technologische Wissen und Können an einem Punkte angelangt ist, über den hinaus es nicht mehr weitergehen kann; die Technologie ist ans Ende ihrer Leistungsfähigkeit gelangt und wird keine Verfahren mehr entdecken, die die Ergiebigkeit der Produktion zu steigern vermögen. Wir dürfen aber, solange wir an der Annahme festhalten, dass die Güter knapp sind und daher bewirtschaftet werden müssen, nicht annehmen, dass alle Verfahren, die — vom Zeitmoment abgesehen ergiebiger sind, auch voll ausgenützt werden und dass kein Verfahren, das weniger ergiebig ist, nur darum beibehalten wird, weil es in kürzerer Zeit zur Befriedigung führt als das ergiebigere. Dass die Güter knapp sind, bedeutet doch nichts anderes als das, dass man noch immer Pläne zu fassen vermag, deren — im Hinblick auf den Stand der verfügbaren Mittel undurchführbare — Verwirklichung eine weitere Verbesserung des Standes der Bedürfnisbefriedigung bringen würde. Darin, dass solche wünschbare Verbesserung nicht ausführbar ist, besteht die Knappheit der Mittel. Der Gedankengang der modernen Anhänger der Produktivitätstheorie wird da durch den Böhm-Bawerk'schen Ausdruck «Produktionsumwege» und die durch diesen Ausdruck ausgelösten Vorstellungen von Vervollkommnung unseres technologischen Könnens irregeleitet. Solange wir an dem Gedanken der Knappheit der Mittel festhalten, vermögen wir nicht anzunehmen, dass die Möglichkeit, die Erzeugung der Genussgüter durch weitere Verlängerung der Produktionszeit zu erhöhen, nicht besteht. Denn das würde bedeuten, dass man nicht mehr imstande wäre, auch bei unverändertem Stande des technologischen Wissens und Könnens, Pläne zu fassen, die durch eine andere Verwendung der verfügbaren Güter uns zu Befriedigungen führen würden, auf die wir nur darum verzichtet haben, weil der Weg, der zu ihnen führt, zu weit ist und dringendere Ziele vorerst befriedigt werden sollen. Wenn die Mittel knapp sind, gibt es unbefriedigte Wünsche sowohl in [480] Bezug auf die gegenwärtige als auch in Bezug auf die spätere Versorgung. Dass für die Zukunft nicht reichlicher vorgesorgt wird, ist das Ergebnis des Vergleichs zwischen der Dringlichkeit der Befriedigung in Gegenwart und Zukunft, ist mithin Urzinsgestaltung.

Wir fassen etwa den Plan (Plan A ), Ferienhäuser in herrlicher Gebirgslage in schwer zugänglichen Gegenden und die Verkehrswege, die zu diesen Anlagen hinführen, zu errichten. Wenn wir diese Entwürfe auf ihre Ausführbarkeit untersuchen, gelangen wir zur Erkenntnis, dass die vorhandenen Mittel zu ihrer Ausführung nicht genügen; die Durchrechnung der Rentabilitätsaussichten zeigt, dass die voraussichtlich erzielbaren Erträgnisse nicht groß genug sein werden, um die Kosten zu decken, wobei in den Kosten auch die Verzinsung der erforderlichen Kapitalien enthalten ist. Man muss sich daher begnügen, einem zweiten Plan (Plan B ) gemäss, die Häuser in leichter zugänglichen Gegenden zu errichten, die zwar nicht alle Vorzüge der prachtvollen Gebirgslandschaft bieten, doch mit geringerem Aufwand oder mit gleichem Aufwand in kürzerer Zeit fertig gestellt werden können. Entfällt die Berechnung von Zins, dann entsteht der Schein, dass die Bauvorhaben des Planes A unter den gegebenen Verhältnissen durchführbar sind; verlockt durch diesen falschen Schein, kommt es zur Kapitalfehlleitung und zu allen Folgen einer solchen.

Der Urzins besteht nicht, weil die Verlängerung der Produktionszeit durch das Einschlagen von kapitalistischen Produktionsumwegen die Ergiebigkeit der Erzeugung von Genussgütern, die man auch in kürzerer Produktionszeit herzustellen vermag, mengenmäßig erhöht, und weil diese Mehrergiebigkeit den Kapitalgütern zugerechnet wird. Der Urzins besteht auch nicht, weil durch Verlängerung der Produktionszeit Genüsse zugänglich gemacht werden können, die kein kürzeres Produktionsverfahren vermitteln kann, und weil der Wert dieser Genüsse den Kapitalgütern zugerechnet wird. Wenn man das annehmen wollte, würde man in die von Böhm-Bawerk in unwiderlegbarer Weise aufgezeigten Irrtümer der Produktivitätstheorien verfallen. Dass die Kapitalgüter — und auch die originären sachlichen Produktionsmittel und die Arbeit — Mittel zur Erlangung von Genussgütern sind, erklärt den Wert, der ihnen beigemessen wird, und den Preis, der für sie bewilligt wird. Dass die Summe der Preise der komplementären Güter hinter dem Wert der entsprechenden Genussgüter zurückbleibt, das allein ist das Zinsproblem.

Man hat behauptet, dass es in der gleichmäßigen Wirtschaft keinen Zins geben könne. Im Bilde der statischen Wirtschaft, [481] wie es Schumpeter nach dem Vorgang mancher angelsächsischen Autoren entwirft, ist er nicht enthalten. Für den Zins, meint Schumpeter, fehle hier jede Grundlage; es gebe keine Funktion, als deren Bezahlung er erscheinen könnte. [218] Es kann jedoch gezeigt werden, dass diese Behauptung mit den Voraussetzungen, die dem Bilde der gleichmäßigen Wirtschaft zugrundeliegen, unvereinbar ist.

Wir gehen von der Unterscheidung zweier Arten der Vorsorge für die Zukunft aus: des einfachen und des kapitalistischen Sparens. Das einfache Sparen besteht in dem Anhäufen von Genussgütern für künftigen Bedarf. Das kapitalistische Sparen besteht in der Bildung von Kapital durch Produktion von Kapitalgütern, die reichere Versorgung in der Zukunft ermöglichen. Der Sinn des einfachen Sparens liegt in späterem Verbrauch; das einfache Sparen ist nichts als aufgeschobener Verbrauch. Früher oder später werden die gesparten Güter doch dem Verbrauch zugeführt. Der Sinn des kapitalistischen Sparens ist zunächst Erhöhung der Ergiebigkeit des Handelns; das Sparen bildet Kapitalgüter, die der Produktion dienen sollen, und nicht bloß Reservevorräte zur Verwendung in Zeiten der Not sind. Der Nutzen des einfachen Sparens liegt im Verbrauch der aufgesparten Vorräte, der Nutzen des kapitalistischen Sparens zunächst in der Erhöhung der Menge der künftig für den Verbrauch oder für weiteres Sparen verfügbaren Güter. Wenn die Nationalökonomen das Bild einer gleichmäßigen (statischen) Wirtschaft formen, dann sehen sie von dem Handeln, das zur Bildung von Kapital geführt hat, ab; die Kapitalgüter sind nun einmal da und sie bleiben auch, da sich doch, der Annahme gemäss, in den Daten nichts ändert. Es gibt weder Neubildung von zusätzlichem Kapital durch Sparen, noch Kapitalaufzehrung durch Zurückbleiben der Erzeugung hinter dem Verbrauch. Es ist nun unsere Aufgabe zu zeigen, dass sich diese Annahme mit der Annahme, dass kein Zins besteht, nicht vereinbaren lässt.

Mit dem einfachen Sparen brauchen wir uns dabei nicht lange zu beschäftigen. Das einfache Sparen ist Vorsorge für eine Zukunft, die schlechter versorgt sein könnte als die Gegenwart. Da zu den Voraussetzungen unseres Gedankenbildes die Abwesenheit von Veränderungen in den Daten gehört, müssen wir das einfache Sparen aus dem Bilde eines Systems, in dem unseren Annahmen gemäss die Zukunft sich von der Gegenwart nicht unterscheidet, von vornherein ausschließen. Wir [482] könnten solche ersparte Vorräte in dem Gedankenbild der gleichmäßigen oder — wie Schumpeter sie nennt — der statischen Wirtschaft nicht unterbringen.

Anders ist es mit dem Ergebnis des kapitalistischen Sparens, mit den Kapitalgütern. Wir dürfen zwar annehmen, dass in der gleichmäßigen Wirtschaft keine neuen Ersparnisse gemacht werden, doch wir dürfen nicht annehmen, dass in ihr Kapital aufgezehrt wird, weil das das Auftreten eines neuen Datums bedeuten und damit das Gleichmass der Wirtschaft stören würde. Nun ist aber der Umfang der Kapitalerhaltung in der Vergangenheit, d.h. in der Zeit, die der Erreichung des Gleichmasses der Wirtschaft vorausgegangen ist, durch die Höhe des Zinses bestimmt worden. Wenn jetzt der Zinsbezug des Eigentümers der Kapitalgüter, des Kapitalisten, wegfällt, dann werden die Voraussetzungen, die zur Aufteilung des verfügbaren Güterbestandes auf Deckung zeitlich näheren und zeitlich ferneren Bedarfs geführt haben, hinfällig. Unter neuen Verhältnissen muss ein neues Gleichgewicht gesucht werden. Die Verschiedenheit in der Wertung gegenwärtiger und künftiger Güter kann auch in der gleichmäßigen Wirtschaft nicht aufhören. Auch in der gleichmäßigen Wirtschaft wird man einen Apfel, der heute schon für den Genuss verfügbar ist, höher schätzen als einen Apfel, auf dessen Genussreife man noch zehn oder hundert Jahre warten muss. Wenn nun dem Kapitalisten kein Zins mehr zukommen kann, wird das Gleichgewicht zu Ungunsten der künftigen Verwendung verschoben. Dass ein Kapitalist seinen Kapitalbestand gerade mit 100.000 Dollar erhalten hat, war durch die Tatsache bedingt, dass 100.000 heutige Dollar gleich 105.000 Dollar nach Ablauf eines Jahres waren. Der Betrag von 5.000 Dollar schien ihm eine ausreichende Vergütung für den Entgang der Vorteile, die sofortige Aufzehrung eines Teiles des Kapitals gewähren konnte. Wenn diese Prämie für die Aufschiebung des Genusses fortan entfällt, dann wird das den Kapitalisten zur Verringerung der für die Zukunft aufgesparten Gütermenge, d.h. zur Aufzehrung eines Teils des Kapitals veranlassen.

Hier haben wir den Kardinalfehler des Gedankenbildes der Statik, wie Schumpeter es entwirft. Es genügt nicht anzunehmen, dass die Kapitalausstattung dieser statischen Gesellschaft in der Vergangenheit aufgehäuft worden ist und dass sie jetzt nun einmal da ist und auf unverändertem Stand erhalten wird. Sie ist im Hinblick auf den Zinsbezug der Kapitalisten geschaffen und erhalten worden, und wenn jetzt dieser Zinsbezug verschwindet, dann steht man vor einer vollkommen veränderten Lage. Wenn man den Kapitalisten als Bezieher des Zinses aus [483] dem Bilde entfernt, dann ersetzt man ihn durch den Kapitalisten als Verzehrer seines Kapitals. Was sollte den Kapitalisten dazu bestimmen, das Kapital nicht aufzuzehren? Der einzige Vorteil, den er aus der Verfügung über die Kapitalgüter zu ziehen vermag, ist, sie aufzuzehren und damit seine Wohlfahrt zu erhöhen. Sie als Reserve für spätere Zeiten der Not aufzusparen, wäre unter den Bedingungen der statischen Wirtschaft sinnlos. Doch selbst wenn wir — inkonsequenterweise — annehmen, dass ein Teil davon für diesen Zweck bestimmt wird und der Aufzehrung nicht unterliegt, so wird doch zumindest der Teil des Kapitals aufgezehrt werden, um den das Ergebnis des kapitalistischen Sparens das des einfachen Sparens übersteigt. [219]

Der Urzins ist nicht die Bezahlung einer Funktion oder eines Dienstes, er ist nicht die Belohnung, die für Enthaltung von der Kapitalaufzehrung gewährt wird, er ist auch kein Aufschlag, der zu einem niedrigeren Preis hinzutritt oder hinzugefügt wird. Er ist die Wertverschiedenheit in der Bewertung künftiger und gegenwärtiger Güter. Er ist kein Preisaufschlag, sondern der Preisabschlag, den künftige Güter gegenüber den Preisen gegenwärtiger Güter erleiden. Wenn es keinen Urzins gäbe, würden die Kapitalgüter nicht etwa aufgezehrt werden. Im Gegenteil: in einer Welt ohne Urzins würde stets nur gespart und für künftigem Verbrauch dienende Erzeugung investiert werden. Nicht das — unausdenkbare und mit dem menschlichen Handeln unvereinbare — Verschwinden des Urzinses könnte Kapitalaufzehrung bewirken, sondern die — bei Fortbestand der elementaren Werterscheinung des Urzinses — institutionell verfügte Enteignung der Zinsbezüge der Kapitalseigner. Wenn man den Zinsbezug des Kapitalisten abschafft, wird der Kapitalist gerade darum die Kapitalgüter aufbrauchen, weil Urzins besteht und gegenwärtiger Verbrauch dem künftigen Verbrauch vorgezogen wird.

Man kann daher den Zins nicht «abschaffen». Man kann den Zinsbezug der Eigentümer der Produktionsmittel beschränken oder beseitigen; doch dann hat man eine Lage herbeigeführt, in der die Kapitalien aufgezehrt werden. Wer den Urzins beseitigen wollte, müsste die Menschen dazu bringen, einen Apfel, der in hundert Jahren verfügbar sein wird, nicht niedriger zu schätzen als einen genussreifen Apfel.

[484]

III. Die Höhe des Zinses.

Im einfachen Sparen und im kapitalistischen Sparen isolierter Wirte tritt der Unterschied in der Wertung gegenwärtiger und künftiger Güter nur darin zutage, dass für die Deckung entfernteren Bedarfs in weniger reichlicher Weise gesorgt wird als für die des näheren Bedarfs. Im kapitalistischen Sparen der in die Marktwirtschaft einbezogenen Wirte ist, unter den Annahmen, die der gleichmäßigen Wirtschaft entsprechen, der Urzins gleich dem Unterschied zwischen einem gegenwärtigen Geldbetrag und dem später verfügbar werdenden Geldbetrag, der ihm gleichgeschätzt wird.

Der Urzins, die verschiedene Bewertung gegenwärtiger und künftiger Güter, schreibt den Unternehmern die Richtung vor, die sie ihrer Tätigkeit zu geben haben. Der Urzins entscheidet darüber, wie weit die Produktion für späteren Bedarf gehen und wie weit die Wartezeit in jeder Produktion ausgedehnt werden darf.

Man hat mitunter die Frage aufgeworfen, ob hoher oder niedriger Zins Sparen und Kapitalbildung stärker fördere. Die Frage ist sinnlos. Je geringer das Agio wird, das gegenwärtigen Gütern gegenüber künftigen beigemessen wird, desto niedriger ist der Urzins. Nicht weil der Urzins steigt, wird mehr gespart, und nicht weil mehr gespart wird, sinkt der Urzins. Sinken des Urzinses und Steigen des Sparens sind ein- und dieselbe Erscheinung. Das Verschwinden des Urzinses wäre gleichbedeutend mit dem Verschwinden des Verbrauchs; das grenzenlose Ansteigen des Urzinses wäre gleichbedeutend mit dem Verschwinden des Sparens.

Je reichlicher die Gegenwart versorgt ist, desto mehr wird caeteris paribus , pflegt man anzunehmen, der einzelne Wirt sparen. Spartätigkeit und Kapitalbildung sind daher im Gesamtfelde der Wirtschaft von der sozialen Schichtung abhängig. Je geringer die Zahl der Wirte ist, denen größere Einkommen zufließen, und je größer das Einkommen jedes einzelnen Angehörigen dieser Schichte ist, desto mehr wird gespart. In einem Marktsystem, in dem die einzelnen Wirte so ziemlich das gleiche Einkommen beziehen, wird weniger gespart als in einem sonst gleichen Marktsystem, in dem mehr Ungleichheit herrscht. Man kann diese Deduktion nicht anfechten, doch man darf ihrem Obersatz nicht praxeologische, sondern nur psychologische Bedeutung beilegen. Denn zu den Umständen, deren Gleichheit sie voraussetzt, gehört das durchaus in den Bereich der subjektiven Wertungen der Einzelnen fallende Moment der [485] Abwägung des Wertes gegenwärtiger und künftiger Güter. Es ist durchaus nicht notwendig, das jener vorletzte Expropriateur der marxistischen Fabel, der alles Kapital sein eigen nennt, ein großer Sparer ist; er könnte gerade so gut ein wahnwitziger Verschwender und Kapitalaufzehrer sein.

Man kann daher auch keinen nationalökonomischen Satz über die Beziehungen zwischen Veränderung der verfügbaren Kapitalmenge und Gestaltung der Höhe des Urzinses aufstellen. Wo die subjektiven Werturteile entscheiden, kann es keine allgemeingültige praxeologische Voraussage geben.

Wir haben die Gestaltung des Urzinses bisher unter zwei Voraussetzungen betrachtet; dass die Umsätze in neutralem Gelde vorsichgehen und dass die institutionellen Bedingungen dem Sparen, der Kapitalbildung und dem Zinsbezug kein Hindernis in den Weg legen. Vom Verhältnis von Zins und Geld und von institutioneller Behinderung des Sparens wird im nächsten Kapitel zu sprechen sein.

IV. Der Urzins in der ungleichmäßigen Wirtschaft

Wer für künftigen Bedarf vorsorgen will, muss trachten, die künftige Bedarfsgestaltung richtig zu erkennen. Hat er in der Beurteilung der Zukunft Fehler begangen, dann erweist sich seine Vorsorge als weniger zweckmäßig oder gar als ganz vergebens. Abstraktes Sparen, das für alle Arten künftigen Bedarfs in gleicher Weise vorsorgen könnte und vom Wechsel der Bedarfsgestaltung und der Wertschätzungen unabhängig wäre, kann es nicht geben. Der Zins kann daher in der ungleichmäßigen Wirtschaft nicht rein auftreten. Nur im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft bringt der Zeitablauf den Urzins zum Reifen; im Fortschreiten der Zeit und der Produktion wächst den komplementären Produktionsmitteln gewissermaßen Wert zu; mit der Vollendung der Produktion hat der Ablauf der Zeit den Zins im Werte des Produktes realisiert. In der ungleichmäßigen Wirtschaft sind in der gleichen Zeit noch andere Wertveränderungen vorsichgegangen. Manche Genussgüter werden nun höher geschätzt als früher, manche weniger hoch. Diese Wertveränderungen sind die Quelle der Unternehmergewinne und Unternehmerverluste. Nur der Unternehmer kann einen Überschuss des Verkaufserlöses über die Kosten erzielen, der die künftige Marktlage rechtzeitig richtig erkannt hat. Der Unternehmer, der falsch spekuliert hat, kann das Produkt entweder überhaupt nicht verkaufen oder nur zu einem Preise, der entweder seinen Produktionsaufwand nicht ganz deckt oder doch den Urzins nicht ganz enthält.

[486]

Der Urzins ist kein Preis. Er ist — wie Unternehmergewinn und Unternehmerverlust — in einer Preisdifferenz enthalten, aus der er erst durch ein besonderes Rechnungsverfahren ausgesondert werden muss. Diese Preisdifferenz zwischen dem Produktpreis und dem Produktionskostenaufwand ist, wenn sie positiv ist, das, was die ältere englische Nationalökonomie den Profit [220] genannt hat; der Bruttoprofit besteht aus Unternehmergewinn, Unternehmerlohn und Zins. Wenn überhaupt kein Bruttoprofit erzielt wurde, hat der Unternehmer nicht nur keinen Unternehmergewinn erzielt; er erhält auch keine Vergütung, die er als Lohn seiner persönlichen Arbeit und als Zins ansehen könnte.

Die Aufteilung des Bruttoprofits auf Unternehmergewinn, Unternehmerlohn und Zins für das in der Produktion verwendete Kapital ist nicht etwa erst durch die Nationalökonomie vorgenommen worden. Die Wirtschaftsrechnung der Unternehmer übte sie schon unabhängig von allen Erwägungen der Wissenschaft. Der Unternehmer rechnet zu den Selbstkosten auch die eigene im Unternehmen geleistete Arbeit, nach ihrem Marktwert, den Darlehenszins, den er für das verwendete fremde Kapital auslegen muss, und den Darlehenszins, den er nach der Marktlage für das verwendete eigene Kapital hätte erzielen können; der Überschuss des Produktpreises über die so aufgestellten Selbstkosten erscheint ihm als Unternehmergewinn.

Die Aussonderung des Unternehmerlohns bot der theoretischen Betrachtung kein besonderes Problem. Die Scheidung von Unternehmergewinn und von Zins ist schwieriger. In jedem der Zinssätze, die auf dem Darlehensmarkte auftreten, ist mehr enthalten als bloßer Urzins. In der ungleichmäßigen Wirtschaft ist der Darlehenszins stets ein Bruttozins, aus dem der Urzins erst durch ein Zurechnungs- und Aufteilungsverfahren errechnet werden muss. Wir wissen schon, dass mit jeder Darlehensgewährung, auch ganz abgesehen vom Risiko der Veränderungen der Kaufkraft des Geldes, ein Unternehmerrisiko verbunden ist. Jede Darlehensgewährung ist ein Unternehmen, das auch fehlschlagen kann. Jeder Darlehensgeber bezieht im Bruttozins auch Unternehmergewinn.

Diese Verbindung von Urzins und Unternehmergewinn hat die Zinstheorie lange irregeführt. Erst die Ausarbeitung des Gedankenbildes der gleichmäßigen Wirtschaft, das die strenge [487] Erfassung des Unternehmergewinns ermöglichte, hat hier Wandel geschaffen.

V. Die Zinsrechnung

Der Urzins ist der Unterschied in der Bewertung der Produkte und der Summe der komplementären Produktionsmittel, der Tag für Tag auf dem Markte aufscheint. Er ist das Ergebnis von Wertungen, die sich täglich ändern; er muss sich mit diesen Wertungen ändern. Die Gepflogenheit, den Zins auf das Jahr zu rechnen, ist nur kaufmännischer Brauch und Rechenregel. Sie hat mit der Gestaltung des Urzinses nichts zu tun.

Die Einheitlichkeit in der Gestaltung des Urzinses wird durch das Wirken der Unternehmer hergestellt. Wenn auf einem Teilmarkte die Spannung zwischen den Preisen der Produktionsmittel von der Spannung, die sich auf anderen Teilmärkten gebildet hat, abweicht, wird der Ausgleich durch die Unternehmer bewirkt, die sich dem Teilmarkte zuzuwenden suchen, der ihnen den höheren Urzinsbezug verspricht. Der endliche Urzins ist im ganzen Marktsystem gleich hoch.

In den Wertungen, die zur Bildung des Urzinses führen, wird Befriedigung in einem nähergelegenen Zeitabschnitt der Zukunft der Befriedigung gleicher Art und gleichen Umfangs in einem entfernteren Zeitabschnitt gleicher Länge vorgezogen. Doch nichts berechtigt uns zur Annahme, dass der Preisabschlag stetig oder gleichmäßig fortschreitet. Wollten wir das annehmen, dann müssten wir die Vorsorgezeit als endlos annehmen. Schon der Tatbestand, dass die Wirte in verschiedenem Umfang für die Zukunft vorsorgen wollen und dass selbst dem vorsorglichsten Wirt über eine bestimmte Länge der Vorsorgezeit hinaus weitere Vorsorge als überflüssig erscheint, verbietet es aber, die Vorsorgezeit als endlos zu denken.

Wir dürfen uns durch die Usancen des Darlehensgeschäftes nicht beirren lassen. Dass Darlehen mit längerer Laufzeit zu einem für die ganze Laufzeit einheitlichem Zinssatze vereinbart werden, und dass für den Fall, dass die Zinsvergütung nicht nach Ablauf der üblichen Fristen periodisch erfolgt, sondern erst nach Ablauf der ganzen Laufzeit, die Zinseszinsrechnung mit Zugrundlegung eines einheitlichen Zinssatzes Anwendung findet, gehört der Technik der Kreditgeschäfte an. Es ist Usance und bequemes Rechenverfahren, weiter nichts. Die Gestaltung der verschiedenen auf den Märkten gebildeten Zinssätze ist von der Technik des Marktverkehres unabhängig. Wo die Zinssätze starr genommen werden, wird die Abweichung vom Marktzinssatz durch Veränderung in den Preisen, die für [488] die Schuldsumme gezahlt werden, kompensiert. Ob man mit unveränderlichem Zinssatz und veränderlichem Preis des Schuldkapitals oder mit veränderlichem Zinssatz und unveränderlichem Preis des Schuldkapitals oder mit Veränderlichkeit beider Größen rechnet, lässt das Ergebnis unberührt.

Die Bedingungen, zu denen Darlehensverträge abgeschlossen werden, sind von der Laufzeit des Darlehens nicht unabhängig. Nicht nur weil für die im Bruttozins auftretenden Faktoren, die ihn vom Nettozins unterscheiden, die Verschiedenheit der Laufzeit von Bedeutung ist, sondern auch im Hinblick auf die den Urzins bestimmenden Momente werden Darlehensgeschäfte je nach der Länge der Laufzeit verschieden beurteilt, gewertet und bewertet.

 


 

7. KAPITEL: GELDZINS, KREDITAUSWEITUNG UND KONJUNKTURWECHSEL

I. Die Probleme der Geldzinslehre

In der Marktwirtschaft, in der alle Tauschakte durch Vermittlung des Geldes abgewickelt werden, erscheint der Urzins im Geldzins von Gelddarlehen aller Art.

In der gleichmäßigen Wirtschaft ist der Urzins die Differenz zwischen dem Preise jedes einzelnen Produkts und der Summe der Preise der komplementären Güter. Diese Differenz muss, den dem Gedankenbilde zugrundelegten Annahmen gemäss, bei allen Gütern im ganzen Wirtschaftsgefüge für gleichlange Zeitabschnitte und gleichgroße Geldaufwendungen gleich groß sein. Würde sie in verschiedenem Maße auftreten, für einzelne Güter höher, für andere niedriger sein, dann würde sich eine Quelle für erfolgreiche, d.h. gewinnbringende Unternehmerbetätigung erschließen. Die Gleichmäßigkeit des Wirtschaftsablaufs könnte erst erreicht werden, bis durch das Wirken der Unternehmer die Ausgleichung eingetreten ist. Wir wollen den diesem Stande des Urzinses in der gleichmäßigen Wirtschaft zugeordneten Geldzins den neutralen Geldzins oder Neutralzins nennen.

Wenn das Gleichmaß der Wirtschaft durch Veränderungen in der Nachfrage nach oder im Angebot von einzelnen Gütern und Dienstleistungen gestört wird, wird nach Ablauf aller dadurch bedingten Bewegungen und Veränderungen schließlich ein neues Gleichmaß erreicht werden. Dem neuen Zustand gleichmäßiger Wirtschaft entspricht dann ein neuer Stand des Neutralzinses.

[489]

Gleichmäßige Wirtschaft setzt neutrales Geld voraus. Da das Geld nie neutral sein kann, ergeben sich nun besondere Probleme.

Wenn der Geldstand, d.i. das Verhältnis von Geldbedarf und Geldangebot, sich ändert, ändern sich die Geldpreise der Kaufgüter; diese Preisverschiebung tritt bei den einzelnen Gütern und Dienstleistungen nicht gleichzeitig und nicht gleichmäßig auf. Die daraus fließenden Veränderungen im Reichtum der einzelnen Wirte können auch die Verhältnisse verändern, die den Urzins gestalten. Wenn sich auf dem Markte wieder der Gleichgewichtszustand der gleichmäßigen Wirtschaft einstellt, wird der neue Stand des Urzinses nicht mehr dem Stand des Urzinses vor dem Auftreten der Veränderung des Geldstandes entsprechen müssen. Es können mithin durch die Triebkraft des Geldes bleibende Veränderungen im Ausmaß des Urzinses hervorgerufen werden.

Von diesem ersten Problem muss ein zweites unterschieden werden, obwohl es sich nur um eine Seite oder, richtiger ausgedrückt, um eine andere Betrachtungsart derselben Erscheinung handelt. Die Veränderungen des Geldstandes können unter Umständen zunächst auf dem Darlehensmarkt, auf dem durch Angebot von und Nachfrage nach Darlehen der Geldzins des Marktes, der Marktzins, gebildet wird, wirksam werden. Können die dadurch bewirkten Veränderungen des Marktzinses den in ihm enthaltenen Nettozins dauernd von dem Stande entfernen, den die verschiedene Wertung gegenwärtiger und künftiger Güter, der Urzins, bedingt? Können etwa Vorgänge auf dem Darlehensmarkt den Urzins ganz beseitigen? Jeder Nationalökonom muss diese Frage verneinen. Doch dann tritt eine neue Frage auf: Wie wird durch das Getriebe des Marktes der dem Ausmaß des Urzinses entsprechende Stand des Marktzinses wieder hergestellt?

Das sind große Probleme, die die Nationalökonomie seit jeher in verschiedener Fragestellung zu lösen gesucht hat. Um diese Dinge ging es, wenn man Banken, Umlaufsmittel und Zirkulationskredit, Kreditausweitung, Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit des Kredits, Konjunkturwechsel und alle anderen Probleme des indirekten Tausches erörterte.

II. Die Risikokomponente im Bruttozins

Der Darlehenszins des Marktes ist nicht reiner Geldzins; die Marktzinssätze enthalten auch Komponenten, die nicht Zins sind. Der Kapitalist, der Geld verleiht, ist immer Unternehmer; jede Darlehensgewährung ist ein Unternehmen, dessen [490] Erfolg in höherem oder geringerem Masse ungewiss ist. Ob das Darlehensgeschäft dem Gläubiger Erfolg oder Misserfolg bringt, ist, wenn auch meist in geringerem Masse, doch stets in derselben Art ungewiss wie Erfolg oder Misserfolg jedes anderen Geschäftes.

Erfolg oder Misserfolg hängen beim Personalkredit vom Schicksal des Schuldners und beim Realkredit vom Schicksal der als Unterlage dienenden Pfänder ab. Auch der Gläubiger kann das ganze Kapital verlieren. Auch im Bruttozins, den der Gläubiger bezieht, ist Unternehmergewinn enthalten. Vollkommen sichere Kapitalanlage gibt es nicht. Auch Darlehen, die als erstklassig gelten, können durch Eintreten nicht vorhergesehener Umstände zum Verlust des ganzen Betrags führen; auch sie sind dem Wechsel der Marktlage unterworfen; auch in ihrem Ertrag ist mehr als bloß Zins enthalten. Kapital «trägt» in der sich verändernden Wirtschaft nicht Zins, sowenig es «sich» reproduziert; Kapital ist auch nicht die «Quelle» des Zinseinkommens. Der Satz: pecunia pecuniam parere non potest, stimmt in diesem Sinne, der von dem, den man ihm beizulegen pflegte, freilich sehr verschieden ist. Zins kann nur von Unternehmern und Kapitalisten bezogen werden, die ihr Kapital gut angelegt haben. Wenn Zins überhaupt erzielt wird, ist er stets in einem größeren Bruttoertrag enthalten, aus dem er erst durch das Denken herausgeschält werden muss.

Auch der Darlehenszins ist stets Bruttozins. Er enthält außer dem reinen Geldzins den Unternehmergewinn des Kapitalisten, den wir die Risikoprämie nennen wollen. Die Risikoprämie ist je nach der Bewertung der Gefahren, die dem Gläubiger drohen, höher oder niedriger. Sie hängt daher ab von der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Schuldners, der Art der Geschäfte, die er mit dem geliehenen Geld zu betreiben gedenkt und der Rechtsstellung — den «Sicherheiten» -, die der Darlehensvertrag dem Gläubiger einräumt. Die Risikoprämie des Gläubigers kann mitunter zum Teil — niemals ganz — aus dem Nominalzins ausgeschieden werden. Sie nimmt etwa die Gestalt eines Zuschlages an, auf den der Darlehensgeber nur dann Anspruch hat, wenn der Unternehmergewinn des Schuldners oder der Bruttoertrag seines Unternehmens eine bestimmte Höhe erreicht hat. In dieser Gestalt ist die Funktion der Risikoprämie, — Beteiligung des Gläubigers an den günstigen Chancen der Unternehmung des Schuldners, an deren ungünstigen Chancen er notwendigerweise beteiligt ist, — besonders sichtbar.

Auf dem Darlehensmarkte treten als Kreditwerber neben den Unternehmern auch noch Personen auf, die Konsumtivkredit [491] suchen, und Regierungen, die Mittel zur Bestreitung von Staatsausgaben beschaffen wollen. Der Darlehenszins, den diese beiden Kategorien von Schuldnern zu entrichten haben, enthält wie jeder Darlehenszins Nettozins und Risikoprämie. Die Risikoprämie des Konsumtivdarlehens bietet keinen Anlass zu besonderen Betrachtungen. Der Darlehensgeber schätzt die Aussichten ab, die für pünktliche Erstattung von Zinsen und Kapital der Schuldsumme bestehen. Anders steht es mit den öffentlichen Anleihen. Das spezifische Risiko des Staatsgläubigers ist politisch. Wenn der Gläubiger sonst auf Bezahlung rechnen darf, solange der Schuldner über die Mittel zur Verzinsung und Abtragung der Schuld verfügt, weil er in der Marktwirtschaft der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung seine Forderung auch vom zahlungsunwilligen Schuldner einzutreiben vermag, wofern der Schuldner nur zahlungsfähig ist, steht es mit der Geltendmachung von Forderungen gegen die öffentliche Hand anders. Die im Geschäftsverkehr üblichen Sicherungen des Gläubigers durch Pfandbestellung und ähnliche Mittel sind gegenüber Regierungen, gegen die Zwangsvollstreckung von Urteilen der Gerichte nicht durchführbar ist, unwirksam. Der Staat als Schuldner ist aber auch noch in der Hinsicht in besonderer Stellung, als er auch Gesetzgeber ist und sich durch Gesetze der Verpflichtung, Schulden zu verzinsen und zu tilgen, teilweise oder ganz zu entziehen vermag. Jeder Darlehensgläubiger läuft Gefahr, seine Forderung durch Maßnahmen der Gesetzgebung zu Gunsten der Schuldner zu verlieren. Diese Gefahr war stets bei den Staatsschulden am größten. [221]

Von dem besonderen Risiko der Staatsgläubiger und dem allgemeinen Risiko aller Gläubiger, ihrer Ansprüche durch Eingriffe des Gesetzgebers ganz oder zum Teil beraubt zu werden, ist das sozialpolitische Risiko, das mit jeder Vermögensanlage [492] verbunden ist, wohl zu unterscheiden. Wenn in der Marktwirtschaft zwischen Befriedigung in der näheren Zukunft und der in der ferneren Zukunft gewählt wird und die Entscheidung zugunsten des späteren Verbrauches fällt, erwartet der Handelnde, dass die gesellschaftliche Ordnung, die ihm die Verfügung über Güter und deren Verwendung ermöglicht, bestehen bleiben wird. Wenn diese Erwartung schwindet und soweit sie schwindet, wird die Freiheit, zwischen Befriedigung in näherer und der in fernerer Zukunft zu wählen, beseitigt; dann kann nur noch aufgezehrt werden, und Anlage für die Zukunft kommt für den Einzelnen nicht in Betracht. Das sozialpolitische Risiko lässt zwar die Höhe des Urzinses unberührt, doch es lässt die Risikoprämie wachsen, im Grenzfall, wenn nämlich die Enteignung alles Eigentums als unmittelbar bevorstehend und unausweichlich angesehen wird, über alles Maß hinauswachsen. [222]

III. Die Preisprämie im Bruttozins

Das Geld ist neutral, wenn die durch Veränderungen im Geldstande ausgelösten Veränderungen der Kaufkraft der Geldeinheit sich allen Waren und Dienstleistungen gegenüber gleichmäßig und im ganzen Wirtschaftsgefüge gleichzeitig vollziehen. Führen wir in dieses Bild auch Kreditverträge ein, die in Zukunft zu leistende Geldzahlungen festlegen, und sehen wir vom Risiko des Gläubigers und von der Risikoprämie ab, dann müssen wir es durch die Annahme ergänzen, dass die Bewegungen der Kaufkraft der Geldeinheit beim Abschluss der Kreditverträge berücksichtigt werden. Die Kreditsumme wird jeweils mit der lndexzahl der Kaufkraftveränderung multipliziert und damit den Veränderungen der Kaufkraft entsprechend erhöht oder vermindert, und mit der Kreditsumme verändert sich auch die Grundlage für die Berechnung des Zinses, der damit Neutralzins bleibt.

Derselbe Erfolg könnte aber auch auf anderem Wege erreicht werden, wenn die Parteien die Veränderungen der Kaufkraft vollkommen voraussehen. Man könnte beim Abschluss des Geschäftes einen Zinssatz vereinbaren, der außer [493] dem dem Urzins entsprechenden Geldzins noch einen Zuschlag oder Abschlag enthält, der dem Ausmaß der künftigen Preisveränderung entspricht. Diesen Zuschlag oder Abschlag, der den Geldzins erhöht oder vermindert und ihn unter Umständen, in dem freilich wenig wahrscheinlichen Fall rasch fortschreitender Deflation, auch in einem negativen (vom Gläubiger an den Schuldner zu leistenden) Bruttozins verwandeln könnte, wollen wir die — positive oder negative — Preisprämie nennen. Die vollkommene Preisprämie macht den Geldzins unter den umschriebenen übrigen Annahmen zum Neutralzins.

Verlassen wir das Feld dieser Annahmen, die man widerspruchsfrei nicht zu Ende denken kann, dann betreten wir eine Welt, in der der Geldzins nie Neutralzins sein kann. Die Veränderungen des Geldstandes lösen Preisverschiebungen aus, die nicht gleichzeitig und nicht im gleichen Ausmaße bei den verschiedenen Gütern und Dienstleistungen auftreten. Solange diese Preisverschiebungen noch im Gange sind, hat sich im Wirtschaftsgefüge noch kein einheitliches Verhältnis zwischen den Preisen der Genussgüter und der Summe der Preise der komplementären Güter herausgebildet. Es gibt noch keinen einheitlichen Satz des Urzinses; unter solchen Umständen kann von einem Neutralzins nicht gesprochen werden.

Das Handeln der Wirte in dieser lebenden Wirtschaft unterscheidet sich darin von dem Handeln, das wir dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft zugrundelegen, dass es mit Preisveränderungen rechnet. Nur weil sie Preisveränderungen erwarten, leiten die Unternehmer neue Geschäfte ein, um Unternehmergewinn zu erzielen; nur weil sie Preisveränderungen erwarten, verändern die Kapitalisten die Kapitalanlage, um Spekulationsgewinne zu erzielen und Verluste zu meiden. Wer glaubt, durch Käufe Gewinne erzielen zu können, tritt auf dem Darlehensmarkte als Darlehenswerber auf und ist bereit, mehr an Bruttozins zu vergüten, als er vergüten würde, wenn er geringere Preissteigerung oder Unveränderlichkeit der Preise erwarten würde. Wer glaubt, dass die Preise steigen werden und dass es daher angezeigt wäre zu kaufen, wird anderseits nur dann bereit sein, Darlehen zu gewähren, wenn er im Bruttozins auch die Entschädigung für den Entgang des Gewinns findet, den er durch Selbsteintritt in Kaufgeschäfte erzielen könnte. Wenn allgemein mit Preissteigerung gerechnet wird, dann muss auch der Bruttozins steigen, und wenn allgemein mit Preisfall gerechnet wird, muss der Bruttozins fallen. Die allgemeine Erwartung von Preisveränderungen nach oben oder nach unten lässt im Bruttozins einen Aufschlag oder Abschlag [494] auftrete: die positive oder negative Preisprämie. [223] Die Rolle, die die Preisprämie in der lebenden Wirtschaft spielt, ist von der, die ihr unter jenen oben gemachten Annahmen zukommen würde, genau zu unterscheiden.

Selbst wenn wir eine Wirtschaft denken, in der keine anderen Datenveränderungen auftreten als Veränderungen des Geldstandes, können wir nicht annehmen, dass durch die Preisprämie den Veränderungen des Geldstands die Triebkraft ganz genommen und damit das Geld neutralisiert wird. Selbst wenn der Umfang der Veränderung im Geldangebot und die Stelle, wo die zusätzliche Geldmenge in das Wirtschaftsgefüge eintritt oder die verschwindende Geldmenge es verlässt, allen Wirten genau bekannt sind, können sie im Voraus weder wissen, ob sich und wie sich die Geldnachfrage verändern wird, und in welchem Zeitpunkt und in welchem Ausmaße die Preise der verschiedenen Güter und Dienstleistungen von der Veränderung des Geldstandes betroffen werden. Um die Einwirkung der Veränderungen des Geldstands auf den Inhalt der Schuldverträge zu kompensieren, müsste die Preisprämie den Veränderungen der Geldpreise der Kaufgüter vorausgehen und daher das Ergebnis von Überlegungen sein, durch die die einzelnen Wirte aus den ihnen bekannten Daten den Zeitpunkt und das Ausmaß der Preisveränderungen für jede sie interessierende Ware zu errechnen suchen. Solche Berechnungen vermag man jedoch nicht anzustellen; es fehlt — auch wenn das Ausmaß der Veränderung der Geldmenge und ihr Ansatzpunkt bekannt sind — nicht nur an den erforderlichen Daten, sondern auch an der Kenntnis, in welchem Ausmaß und zu welchem Zeitpunkt die Veränderung der Daten die Wertschätzungen der einzelnen Wirte beeinflussen wird. Erst mit dem Fortschreiten der durch Veränderungen des Geldstandes ausgelösten Preisveränderungen erwacht, zuerst bei einigen, dann bei vielen, schließlich bei allen Wirten, die Auffassung, dass man vor einer bestimmt gerichteten Preisbewegung stehe, und damit das Bestreben, das Handeln auf dem Markte an dieser Erkenntnis zu orientieren. Erst wenn die Wirte zu kaufen oder zu verkaufen beginnen, um aus der erwarteten Preisumgestaltung Gewinne zu erzielen, kann die Preisprämie auftreten.

Die Wirte, die durch ihr Handeln die Preisprämie entstehen lassen, können auch irren. Ihre Vermutungen über die voraussichtliche künftige Gestaltung der Preise können sich nachträglich als unrichtig herausstellen. Die Preisgestaltung kann anders verlaufen; sie kann die entgegengesetzte Richtung [495] einschlagen, ihr Ausmaß oder ihr Tempo mögen, auch wenn sie in der vermuteten Richtung geht, nicht den Erwartungen entsprechen.

Die erhöhte Bereitschaft zum Kaufen oder Verkaufen, aus der die Preisprämie hervorgeht, bezieht sich in der Regel in stärkerem Masse auf kurzfristige als auf langfristige Geschäfte. Die Preisprämie wird daher in der-Regel zuerst auf dem Geldmarkte, dem Markt für kurzfristige Kreditgeschäfte, auftreten und den Markt für langfristige Kreditgeschäfte, den Kapitalmarkt, nur durch den Zusammenhang, der zwischen allen Teilen des Darlehensmarktes besteht, berühren.

Die Preisprämie kann in der lebenden Wirtschaft wohl die Einflüsse, die Veränderungen im Geldstand auf den Inhalt der Geldschulden haben, zum Teil abschwächen, doch sie kann sie nie ganz kompensieren oder gar überkompensieren. Zwischen dem Einsatz der Veränderungen des Geldstandes und dem Auftreten der Preisprämie muss zeitlich und im Ausmaße Unstimmigkeit sein, weil die Preisprämie nicht an den Einsatz der Veränderungen des Geldstandes, sondern an ihre — notwendigerweise spätere — Wirkung auf die Preise anknüpft. Nur wenn Inflation ohne Unterlass solange fortgesetzt wird, bis der Zusammenbruch der Währung erfolgt, steht es anders. Die Panik des Währungszusammenbruchs, die Katastrophenhausse, ist nicht nur durch Steigerung der Preise über alles Maß hinaus gekennzeichnet, sondern auch durch über alles Maß hinausgehendes Ansteigen der positiven Preisprämie. Die Preisprämie bekommt die Tendenz, unendlich groß zu werden, d.h.: kein Zinssatz scheint dem Kapitalisten schließlich hoch genug, um ihn für die Verluste zu entschädigen, die er von dem Fortschreiten der Preissteigerung befürchtet; statt Geld zu verleihen, zieht er es vor, selbst als Käufer von Waren aufzutreten. Der Darlehensverkehr hört vollkommen auf.

Die Preisprämie ist eine Reaktion des Marktes gegen die Beeinflussung des Inhalts von Geldschulden und Geldforderungen durch Veränderungen der Kaufkraft des Geldes. Sie kann diesen Dienst bei kurzfristigen Kreditgeschäften besser erfüllen als bei langfristigen; vollkommen ist sie auch bei kurzfristigen Geschäften nicht.

Den dauernden Wirkungen der Veränderungen des Geldstandes auf den Urzins und ihren vorübergehenden Wirkungen auf die Gestaltung des Marktzinses vermag die Preisprämie in keiner Weise entgegenzuarbeiten. Da sie in der Regel nicht einmal hinreicht, um den Stamm der Kreditsumme vor den Wirkungen der Kaufkraftänderung zu bewahren, bleibt ihr dafür keine Kraft.

[496]

IV. Der Darlehensmarkt

Der Darlehensmarkt bildet keinen Einheitszinssatz.

Der Marktzinssatz ist schon je nach der Höhe der in ihm enthaltenen Risikoprämie verschieden. Wenn man Veränderungen des Zinssatzes betrachten oder Zinssätze verschiedener Teilmärkte vergleichen will, muss man daher darauf achten, wieweit diese Veränderungen oder Verschiedenheiten auf Veränderungen oder Verschiedenheiten in der Risikoprämie und wieweit sie auf Veränderungen oder Verschiedenheiten des Nettozinses zurückzuführen sind.

Der Darlehensmarkt wird gewöhnlich unter dem Gesichtspunkt einer Scheidung von Kapitalmarkt (Markt für langfristige Darlehen) und Geldmarkt (Markt für kurzfristige Darlehen) betrachtet. Eine genauere Betrachtungsweise könnte in der Unterteilung noch weiter gehen. Weder der Geldmarkt noch der Kapitalmarkt sind homogen. Der Markt für tägliches Geld ist von dem Diskontomarkt, auf dem Wechsel mit kurzer Verfallzeit gehandelt werden, und von dem Markt der Vorschüsse, die die Banken ihren Kunden erteilen, und von anderen ähnlichen Sondermärkten ebenso verschieden wie der Markt für mittelfristige Anlagen von dem für langfristige.

Auf allen diesen Teilmärkten werden besondere Zinssätze gebildet. Doch alle diese Teilmärkte hängen eng zusammen. Ihre Bewegungen stehen in einem Verhältnis, das, wenn nicht außerordentliche Ereignisse auftreten, nur geringen Schwankungen unterliegt. Nur wenn man allen diesen Tatbeständen Rechnung trägt, ist man berechtigt, vom Marktzinsfuss als von einer einheitlichen Erscheinung zu sprechen.

Der Marktzinsfuss kann in der lebenden Wirtschaft schon darum nicht neutral sein, weil in ihr ein einheitlicher Satz des Urzinses im Verhältnis der Preise der Genussgüter und der komplementären Produktionsmittel nicht besteht; es gibt hier nur jeweils eine Tendenz zur Erreichung eines einheitlichen Urzinssatzes. Die Preise der Güter verschiedener Güterordnungen bewegen sich im Grossen und Ganzen in der Art, dass sie, wenn nicht neue Datenänderungen auftreten würden, schließlich überall denselben Stand des Urzinses erreichen würden. Der Marktzinsfuss bewegt sich dementsprechend jeweils in der Richtung nach einem endlichen Stand hin.

Soweit wir sie bisher betrachtet haben, bietet die Gestaltung des Marktzinsfusses in der lebenden Wirtschaft kein besonderes Problem. Die lebende Wirtschaft erscheint uns in jedem Augenblick in Bewegung zu einem endlichem Preisstand hin. Sie erreicht freilich niemals diesen Stand, weil immer wieder neue [497] Datenänderungen auftreten, die der Bewegung eine neue Richtung weisen, die zu einem neuen endlichen Preisstand führt. In dieses Getriebe ist auch das Verhältnis, das zwischen den Preisen der Genussgüter und denen der komplementären Produktionsmittel besteht, miteinbezogen. Auch der Marktzins würde, wenn das Getriebe sich selbst überlassen bliebe, den der gleichmäßigen Wirtschaft entsprechenden Gleichgewichtsstand erreichen.

Die Datenänderungen, die wir da im Auge haben, betreffen stets Nachfrage nach und Angebot von bestimmten Gütern oder Dienstleistungen. Diesen Datenänderungen passen die Unternehmer ihr Handeln an und führen so das Wirtschaftsgefüge dem neuen Gleichgewichtsstand entgegen. Ihrem Handeln weist dabei der Stand der Preise und der Marktzinssätze den Weg. Die Gestaltung des Zinssatzes zeigt den Unternehmern, wie weit sie in der Widmung von Produktionsmitteln für die Deckung des Bedarfes fernerer Zukunft gehen dürfen. In den Berechnungen, die die Unternehmer über die Aussichten ihrer Pläne anstellen, in ihrer Kalkulation, kommt dem Zinssatz dieselbe Bedeutung zu wie jedem andern Datum. Wenn der Unternehmer mit einem Zinssatz rechnen würde, der nicht dem des Marktes entspricht, würde er fehlgehen und sein Handeln wird voraussichtlich erfolglos werden.

Hier ist es nun, wo die Triebkraft des Geldes eine besondere Rolle zu spielen vermag. Da auf dem Darlehensmarkte Darlehen in Geld gegeben und genommen werden, muss jede Veränderung im Verhältnis von Geldvorrat und Geldbedarf das Angebot auf dem Darlehensmarkte unmittelbar beeinflussen. Strömt caeteris paribus Geld in das Wirtschaftsgefüge ein oder verschwindet caeteris paribus Geld aus dem Wirtschaftsgefüge, so kann das zuerst auf dem Darlehensmarkte wirksam werden. Während sich im Übrigen noch nicht viel verändert hat, wird das Angebot auf dem Darlehensmarkte reichlicher oder knapper und der Marktzinsfuss fällt oder steigt, ohne dass dies durch Veränderungen im Verhältnis der Preise der Produkte und der komplementären Produktionsmittel gerechtfertigt wäre. Die Funktion, die dem Geldzins im Getriebe des Marktes zukommt, dass er nämlich dem Unternehmer anzeigt, wie er die Produktionsmittel auf die Deckung zeitlich näheren und zeitlich ferneren Bedarfs aufzuteilen habe, ist an seine Übereinstimmung mit der jeweils der Marktlage entsprechenden Stand der Preisunterschiede zwischen gegenwärtigen und künftigen Gütern gebunden. Wenn der Geldzins unter dem Einfluss der Triebkraft des Geldes von diesem Stande abgelenkt wird, kann er diese Funktion nicht mehr erfüllen.

[498]

V. Die Veränderungen des Geldstandes und die Gestaltung des Urzinses

Jede Verschiebung der Eigentumsverhältnisse kann auch den Urzins beeinflussen. Wenn wir annehmen, dass Steigen des Wohlstandes, das es ermöglicht, die Bedürfnisse der nächsten Zukunft reichlicher zu befriedigen, dem Einzelnen den Antrieb zu stärkerer Bedachtnahme auf die Bedarfsdeckung in weiterer Zukunft gibt, so dass die Spanne zwischen der Schätzung der gegenwärtigen und der künftigen Güter, der Urzins, sinkt, dann werden wir annehmen dürfen, dass eine Verschiebung der Eigentumsverhältnisse zugunsten der wohlhabenderen Schichten und zuungunsten der ärmeren Schichten den Urzins drückt. Wenn die Verschiebungen im Geldstand die Unternehmer und Kapitalisten auf Kosten der Arbeiter begünstigen, weil etwa die Geldlöhne langsamer steigen als die Preise der Genussgüter und etwa noch weil die Kleinkapitalisten, vorwiegend Sparkasseneinleger und Besitzer von festverzinslichen Werten, geschädigt werden und die verschuldeten Unternehmer und Eigentümer von Produktionsmitteln gewinnen, dann wird daraus eine Tendenz zur Verbesserung der Fürsorge für die weitere Zukunft erwachsen. Man wird mehr sparen und anlegen, die Menge der Kapitalien wird wachsen; d.h. der Urzins wird fallen. Das ist das Wesen des Prozesses, den man das erzwungene Sparen genannt hat. [224] Man hat sich dabei stets vor Augen zu halten, dass es von den besonderen Umständen jedes einzelnen Falles von inflationistischer Preissteigerung abhängt, ob die durch die Inflation hervorgerufenen Verschiebungen in den Eigentumsverhältnissen den Urzins drücken und die Spar- und Anlagelust steigern. Es kann auch geschehen, dass die Inflation Kräfte auslöst, die die Fürsorge für die entferntere Zukunft eher schwächen als fördern, z. B. wenn sie die dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln feindlichen politischen Strömungen stärkt und die Besitzenden befürchten müssen, durch Enteignungen um die Frucht ihres Sparens gebracht zu werden. Es kann auch geschehen, dass der Erfolg des erzwungenen Sparens aufgewogen wird durch Kapitalaufzehrung, die aus der mit der Inflation einhergehenden Verfälschung der in Geld geführten Kapitalsrechnung entspringt. Wenn die Kapitalsrechnung die Veränderungen der Kaufkraft nicht oder nicht in [499] vollem Ausmaß berücksichtigt, wird sie Scheingewinne aufweisen. Denn wenn die Abschreibungen, wie es der nur geringe Geldwertschwankungen voraussetzende Geschäftsbrauch will, von den seinerzeitigen Anschaffungspreisen ausgehen, unter den neuen Kaufkraftverhältnissen hinter den Wiederanschaffungskosten zurückbleiben, und wenn die Mehrerträge, die durch die Veräußerung von Waren erzielt werden, ohne Berücksichtigung der allgemeinen Kaufkraftsenkung gebucht werden, werden Gewinne errechnet, die ganz oder zum Teil nur Scheingewinne sind. Die Buchführung müsste, um diesen Fehler zu vermeiden, den Buchwert des Kapitals im Zuge der fortschreitenden Kaufkraftsenkung immer wieder hinaufsetzen oder sich überhaupt auf die Grundlage eines «wertbeständigeren» Geldes stellen. Tut man das nicht, dann täuscht man sich über die Rentabilität der Unternehmungen und der einzelnen Geschäfte. Man sieht die Gewinne zu hoch und wird geneigt sein, mehr zu verzehren, als ohne Schmälerung des Kapitalbestandes verzehrt werden darf. Es ist dabei gleichgültig, wem der Mehrkonsum zukommt, ob es die Unternehmer und Kapitalisten selbst sind oder die Arbeiter, deren Lohnforderungen von den Unternehmern, die täglich reicher zu werden glauben, leicht bewilligt werden, oder ob es die Nutznießer der Staatskassen sind, die von den Scheingewinnen den Löwenanteil abschöpfen.

Es könnte mithin geschehen, dass die Wirkung des erzwungenen Sparens aufgehoben wird und dass das Ergebnis des Geldentwertungsprozesses nicht in vermehrter Kapitalbildung sondern in Kapitalaufzehrung besteht.

Man hat die Folgen der Geldentwertung für die Kapitalbildung vielfach außerordentlich günstig beurteilt. Für die inflationistische Geschichtsauffassung schien es festzustehen, dass die Geldwertsenkung die Geschäftsgewinne erhöhe, die Reicheren bereichere, und damit die Anlagetätigkeit stärke, dass sie im Zuge der geschichtlichen Entwicklung die Kapitalbildung begünstigt habe und dass ohne sie die Ansammlung gesellschaftlichen Reichtums viel langsamer vor sich gegangen wäre. Doch Kaufkraftsenkung muss nicht immer erzwungenes Sparen auslösen, und auch wenn es auf der einen Seite zu erzwungenem Sparen kommt, kann es geschehen, dass eine andere Folge der Kaufkraftsenkung, die durch die Verfälschung der Buchführung hervorgerufene Kapitalaufzehrung, die Wirkungen des erzwungenen Sparens herabsetzt, aufwiegt oder überwiegt.

Wenn man vom erzwungenen Sparen als Folge fortschreitender Kaufkraftsenkung spricht, liegt es nahe, von erzwungener Kapitalaufzehrung als Folge einer fortschreitenden [500] Kaufkraftsteigerung zu sprechen. Wenn das Verhältnis von Geldvorrat und Geldbedarf sich dergestalt verschiebt, dass die Preise sinken, werden unter Umständen die Unternehmer in Einkommen und Vermögen geschädigt; die Preise der Produkte fallen, die Schulden und die Schuldzinsen bleiben unverändert, und die Löhne und Steuern mögen unter Umständen langsamer zurückgehen als die Preise. Es mag sein, dass dadurch im ganzen Wirtschaftsgefüge die Schätzung der künftigen Güter im Verhältnis zu der der gegenwärtigen Güter fällt, dass mithin der Urzins steigt und die Vorsorge für die Zukunft vermindert wird. Es wird weniger gespart und angelegt, es wird mehr verzehrt. Doch das kann eintreten, muss aber nicht eintreten. Den Wirkungen der erzwungenen Kapitalaufzehrung stehen Kräfte gegenüber, die zu erhöhter Kapitalbildung führen können. Es mag sein, dass die Gewinne der Gläubiger produktiv verwendet werden. Dann darf man nicht vergessen, dass die Verluste der Unternehmer nur Scheinverluste sind, soweit sie darauf beruhen, dass die Abschreibungen zu hoch angesetzt werden. Wenn die ungünstigen Ergebnisse der Gewinn- und Verlustrechnung die Unternehmer zu Einschränkung des Verbrauchs veranlassen, entsteht eine Tendenz zur Neubildung von Kapital.

Man kann nicht voraussagen, welchen Einfluss Verschiebungen im Geldstand auf die Gestaltung des Urzinses unmittelbar nehmen werden. Alles hängt von den Daten des einzelnen Falles ab.

VI. Der Marktzins unter dem Einfluss der Veränderungen des Geldstands im Fall der Inflation und der Kreditausweitung

Von den Wirkungen, die die Veränderungen des Geldstandes durch Verschiebung der Eigentumsverhältnisse, die aus der Ungleichzeitigkeit und Ungleichmäßigkeit der Beeinflussung der einzelnen Warenpreise entsteht, auf die Höhe des Urzinses ausüben, muss man die Wirkungen unterscheiden, die von den Veränderungen des Geldstandes vorübergehend auf die Gestaltung des Marktzinses ausgeübt werden. Hier handelt es sich um Störungen in der Anpassung der auf dem Darlehensmarkte gebildeten Geldzinssätze an den Stand des Urzinses, die nach einer gewissen Zeit überwunden werden und zu neuer Anpassung des Marktzinses an den Stand des Urzinses führen müssen. Es mag sein, dass diese Störungen weitere Verschiebungen in den Eigentumsverhältnissen auslösen und damit auf die Gestaltung des Urzinses wirken, so dass der neue endliche Stand [501] des Marktzinses, wie er sich nach Ablauf des ganzen Prozesses auf dem Markte herausbildet, nun auf dem Grunde eines geänderten Urzinses selbst dann zu beruhen hätte, wenn der Urzins nicht schon durch die Verschiebungen der Eigentumsverhältnisse betroffen worden wäre, die aus der Ungleichzeitigkeit und Ungleichmäßigkeit der Veränderung der Preise der einzelnen Waren und Dienste entstehen. Doch das, um was es sich hier handelt, sind nicht die dauernden Veränderungen in der Höhe des Urzinses, sondern die vorübergehenden Veränderungen in der Höhe des Marktzinses.

Der Marktzins kann durch die Kaufkraftveränderungen zunächst in der Weise beeinflusst werden, dass er die Preisprämie nicht oder nicht entsprechend berücksichtigt. Dass das vorkommen kann, ja dass die Preisprämie sogar regelmäßig die Kaufkraftveränderungen nicht voll zu berücksichtigen vermag, ist nicht zu bestreiten. Dagegen wird man kaum annehmen dürfen, dass diesem Umstand praktisch eine große Bedeutung zukommt. Wenn die Preise steigen, steigen auch die Zinssätze für kurzfristige Darlehen, und wenn die Preise fallen, fallen auch die Zinssätze für kurzfristige Darlehen; in beiden Fällen natürlich nur, wenn nicht gerade eine entgegengesetzte Kraft wirksam ist. Verknappung oder Verflüssigung auf dem Markte der kurzfristigen Darlehen wirken auf den Markt für langfristige Darlehen zurück. Die Sätze für langfristige Anlagen werden in der Regel durch die Höhe der Sätze für kurzfristige Anlagen beeinflusst, es sei denn, man wäre der Meinung, dass die Lage des Marktes für kurzfristige Anlagen bald eine vollkommene Umstellung erfahren wird. Die Sätze für bereits laufende langfristige Schuldverträge werden freilich nicht mehr geändert. Doch die Gestaltung dieser Sätze beeinflusst die Anlagetätigkeit der Gegenwart nicht mehr und vermag daher keine Wirkungen auf die Verwendung der Produktionsmittel zu äußern. Dass die alten Schuldverträge die nun eintretende Kaufkraftänderung nicht berücksichtigt haben, verschiebt Vermögensverhältnisse und kann nur über dieses Zwischenglied auf den Urzins wirken.

Dass wir der Preisprämie und der Möglichkeit, dass sie im Marktzinssatz nicht oder nicht voll zum Ausdruck kommt, besondere Aufmerksamkeit schenken müssen, hat seinen Grund vor allem darin, dass wir der üblichen Methode entgegentreten müssen, die die Zinssätze entweder überhaupt nur arithmetisch oder nur im Hinblick auf die Richtung ihrer Bewegung betrachtet und darnach ein Urteil über die Höhe des Zinses fällt. Die öffentliche Meinung hat stets eine zahlenmäßige Vorstellung von einem «normalen» Zinssatz, der meist zwischen 3 und 5 [502] Prozent angenommen wird. Wenn die Zinssätze des Marktes darüber hinausgehen oder wenn die Sätze — ohne Rücksicht auf ihre zahlenmäßige Höhe — ansteigen, dann glaubt man ohneweiteres von hohem Zinsstand sprechen zu dürfen. Daher muss nachdrücklich festgestellt werden, dass steigende Preisbewegung (sinkende Kaufkraft der Geldeinheit) im Vergleich mit einer Zeit stabilerer Preise einen Marktzinssatz nur dann als unverändert erscheinen lässt, wenn eine entsprechende positive Preisprämie miteingeschlossen ist. In diesem Sinne war im Herbst 1923 ein Diskontsatz von 90 % ein «niedriger», ein zu niedriger Zinssatz der Deutschen Reichsbank, da er nicht einmal der Höhe der Preisprämie entsprach und für die anderen Elemente — Nettogeldzins und Risikoprämie - überhaupt nichts übrig ließ.

Wir haben jetzt die direkte Wirkung der Geldmengenveränderung auf den Marktzins zu untersuchen. Da wir den Zins nicht etwa als Vergütung für die zeitweilige Überlassung der Verfügung über Geld ansehen, müssen wir annehmen, dass die Höhe der Zinssätze von der Menge des verfügbaren Geldes unabhängig ist. Andererseits können Vergrößerung oder Verringerung der Geldmenge zunächst als Vergrößerung oder Verminderung des Angebots an Darlehen auftreten und damit den Marktzins beeinflussen. Wir werden mithin zu zeigen haben, wie durch die Veränderungen im Geldstande vorübergehend Abweichungen des Marktzinses von dem Stande, den er ohne diese Veränderungen im Geldstand eingenommen hätte, einzutreten vermögen und wie sich schließlich das gestörte Gleichgewicht wieder herstellt.

Wir betrachten Veränderungen im Geldstand, die zu Preissteigerungen führen, und wollen annehmen, dass die zusätzliche Geldmenge dem Darlehensmarkte zukommt, sei es, dass ihre ersten Empfänger sie selbst verleihen, sei es, dass sie sie bei Banken oder Bankiers hinterlegen. Die zusätzliche Geldmenge erhöht zunächst nur das Angebot auf dem Darlehensmarkte; alle weiteren Wirkungen der Geldmengenerhöhung treten über diese Steigerung des Angebots auf dem Darlehensmarkte ein.

Wir wollen annehmen, dass das Marktgefüge sich auf dem Wege zur Anpassung an die gegebenen Daten befindet; da tritt nun als neues Datum eine zusätzliche Menge an Geld oder Umlaufsmitteln in das Getriebe ein und wirkt als Störung des Anpassungsprozesses. Der Marktzins sinkt, und sein Sinken lässt manche Geschäfte, die bisher nicht unternommen werden konnten, weil die Vorkalkulation sie als unrentabel erscheinen ließ, als rentabel erscheinen. Die Grundlagen der Rentabilitätsrechnung sind durch das Auftreten der zusätzlichen Geldmenge [503] erschüttert worden. Wenn die Rentabilitätsrechnung früher angezeigt hat, wo die Grenze liegt, die die Anlagen, die bei dem gegebenen Stand der Dinge (Umfang der Versorgung mit Gütern aller Güterordnungen und Gestaltung des Urzinses), gemacht werden dürfen, von den Anlagemöglichkeiten trennt, die angesichts des bestehenden Ausmaßes der Minderbewertung der Befriedigung in fernerer Zukunft nicht mehr gemacht werden dürfen, so ist das jetzt anders. Der Marktzins ist nicht mehr der Ausdruck der Wertungen der Wirte; er zeigt ein von diesen Wertungen abweichendes Verhältnis in der Bewertung gegenwärtiger und künftiger Güter. Rechnungen, die auf ihm aufgebaut sind, müssen ergeben, dass mehr investiert werden könnte, als tatsächlich an Kapitalgütern für Investition zur Verfügung steht. Weil der Zinsfuss des Marktes gesunken ist, erscheinen eine Reihe von Geschäften, die bei dem höheren Zinssatze als unrentabel galten und daher unterblieben, als rentabel und werden daher unternommen. Die Unternehmungstätigkeit wird belebt, pflegt man zu sagen. Die Nachfrage, die von diesen zusätzlichen Geschäften ausgeht, treibt die Preise der Güter höherer Ordnung und mit ihnen auch die Löhne empor. Mit den Löhnen steigen auch die Preise der Genussgüter; die Preise der Genussgüter steigen aber auch, weil die Unternehmer und Kapitalisten realisierte und noch nicht realisierte Geldgewinne, die ihnen aus den Preissteigerungen fließen, zu einem Teil wenigstens verzehren. Die Unternehmer sehen somit zunächst ihre Erwartungen sich erfüllen. Die Güter, die sie für den Konsum erzeugt haben, können zu höheren Preisen abgesetzt werden, und so erweist sich die erweiterte Produktion auch noch bei den höheren Preisen der Produktionsmittel als gewinnbringend. Freilich, um die Produktion bei den höheren Preisen fortzuführen, bedarf man größerer Geldmittel, und diese kann man nur finden, wenn jene Umstände, die den Aufschwung ausgelöst haben, fortdauern. Wenn die Vergrößerung der Geldmenge nur ein einmaliges Ereignis war, wenn der Zustrom zusätzlichen Geldes abreißt, wenn dem Geldmarkte keine neuen Mittel zufließen, dann können die Unternehmer sich das Geld, dessen sie zur Fortführung der Geschäfte in dem erweiterten Umfange bedürfen, nicht verschaffen. Dann steigt der Zinsfuss auf dem Markte, weil der größeren Nachfrage der Unternehmer kein größeres Angebot an anlagesuchendem Geld gegenübersteht. Ein Teil der Geschäfte wird nun wieder unrentabel, es kommt zur Einschränkung der Geschäftstätigkeit; die Preise gehen zurück, weil manche Unternehmer Waren losschlagen müssen, um sich flüssige Geldmittel zu verschaffen, und andere Unternehmer vom Kaufen abstehen. Der Aufschwung kommt zum [504] Ende, weil die Bedingungen, die ihn ausgelöst haben, nicht mehr gegeben sind. Die zusätzliche Geldmenge hat ihre Wirkungen auf die Preise ausgeübt; bei dem höheren Preisstande, dem nun größere Kassenhaltung entspricht, hat sich die Wirkung der zusätzlichen Geldmenge auf den Zinsfuss erschöpft. Das Wiederansteigen der Zinssätze bringt das Ende des Aufschwungs. Nur wenn immer wieder neue Mengen zusätzlichen Geldes in das Wirtschaftsgefüge einströmen und zunächst auf dem Geldmarkte als zusätzliche Darlehen ausgeboten werden, kann der Aufschwung weitergehen.

Der wunde Punkt aller nichtmonetären Haussetheorien liegt darin, dass sie diesem Umstande nicht genug Beachtung schenken. Wenn die Preise steigen, weil die Unternehmungslust caeteris paribus angeregt wurde, und dem Wirtschaftsgefüge keine zusätzliche Geldmengen zur Verfügung gestellt werden, muss bald eine rückläufige Bewegung einsetzen. Die Nachfrage auf dem Geld- und Kapitalmarkt muss steigen, die Zinssätze gehen in die Höhe, und die Preise müssen wieder sinken. Das Steigen der Zinssätze und der Niedergang der Preise, das ist das Ende der guten Konjunktur und der Beginn des Abstiegs. Jede nichtmonetäre Konjunkturtheorie ist daher genötigt zuzugestehen, dass es auch monetäre Bedingungen des Aufstiegs gibt und dass es bei Fehlen dieser Bedingungen nicht zum Aufstieg kommen kann. Sie muss mithin die Richtigkeit der Gedankengänge der Zirkulationskredittheorie zugeben.

Anderseits leuchtet ohneweiteres ein, dass jede Vermehrung der auf dem Geldmarkte anlagesuchenden Mittel, die durch das Einströmen einer zusätzlichen Geldmenge in das Wirtschaftgefüge hervorgerufen wurde, die geschilderten Wirkungen auslösen muss. Diese Wirkungen können nur ausbleiben, wenn gleichzeitig ein anderer Faktor auftritt, der ihnen entgegenarbeitet. Wenn z. B. gelegentlich einer Verbilligung des Diskont durch die Notenbanken, die die Wirtschaft «ankurbeln» soll, von der Regierung verkündet wird, dass sie die Konjunkturgewinne der Unternehmer restlos wegsteuern werde oder dass man, sobald nur die «Ankurbelung» geschehen sei, sofort wieder zu Restriktionspolitik greifen werde, kann die Ermäßigung des Zinsfusses die Unternehmer nicht veranlassen, ihre Geschäftstätigkeit zu erweitern. Dann wird der niedrige Zinssatz wirkungslos bleiben, weil er dem Unternehmer keine Gewinnaussichten eröffnet. Damit werden manche Vorgänge der letzten Jahre verständlich.

Das Fortschreiten der guten Konjunktur setzt mithin voraus, dass die Vermehrung der Geldmenge fortschreitet und dass dem Geldmarkte dadurch ständig neue Mittel zuströmen. [505] Die Konjunktur bricht ab, wenn die Vermehrung der Geldmenge und der Zustrom zusätzlicher Mittel auf den Geldmarkt ihr Ende erreichen. Doch sie könnte auch dann nicht endlos weitergehen, wenn die Inflation und die Kreditexpansion endlos fortgesetzt werden würden.

Der Ausgangspunkt aller geldtheoretischen Überlegungen muss immer die Erkenntnis bleiben, dass die Veränderungen der Preise, Löhne und Zinssätze, die durch Verschiebungen des Geldstands ausgelöst werden, nicht gleichzeitig und nicht gleichmäßig erfolgen. Diese Einsicht ist das Um und Auf der Geldtheorie. Würden die Veränderungen im Geldstande sofort und mit einem Schlage alle Preise und Löhne im gleichen Ausmaße heben oder senken, dann wäre das Geld neutral und die Veränderungen des Geldstandes würden das Gefüge der Wirtschaft, würden Verbrauch und Produktion und die Eigentumsverhältnisse nicht berühren. Auch der Zinssatz würde dann vom Gelde nicht — auch nicht vorübergehend beeinflusst werden können. Dass die Veränderungen des Geldstands ihn dauernd verändern können, ist auf die Verschiebungen der Eigentumsverhältnisse, die sie hervorzurufen vermögen, zurückzuführen, und dass sie über diese dauernden Veränderungen des Urzinses hinaus vorübergehend den Zins auf dem Markte zu beeinflussen imstande sind, ist selbst schon eine Erscheinungsform der Ungleichzeitigkeit ihrer Wirkungen auf dein Markt. Wenn das zusätzliche Geld in einer solchen Weise in das Wirtschaftsgefüge einströmt, dass es auf den Darlehensmarkt als erhöhtes Angebot an Leihgeld erst dann gelangt, bis es die Preise der größeren Menge von Waren und Diensten bereits in die Höhe getrieben hat, dann werden diese unmittelbaren zeitweiligen Wirkungen auf die Gestaltung des Leihgeldsatzes ausbleiben oder nur sehr gering sein; sie werden umso stärker sein, je früher das zusätzliche Geld in seinem Einströmen in das Wirtschaftsgefüge auf den Darlehensmarkt als zusätzliches Angebot von Leihgeld gelangt.

Die unmittelbare Wirkung der Geldmengenvergrößerung ist eine doppelte. Sie führt auf der einen Seite zu einer Steigerung des Konsums, soweit die Nutznießer, d.h. die, denen die zusätzliche Geldmenge zuerst zufließt, ihren Verbrauch erhöhen. Sie führt auf der anderen Seite zu erhöhter Investitionstätigkeit, soweit die Nutznießer sparen und dadurch das Angebot von Geld auf dem Darlehensmarkte erhöhen. Das Charakteristische des Grenzfalles, den wir betrachten, ist das, dass der gesamte zusätzliche Geldbetrag zunächst für Erweiterung der Versorgung künftigen Bedarfs ausgegeben wird und dass er zur Steigerung des Konsums im Anfange nur auf dein Wege über die [506] Lohnsteigerung führt. [225] Die zusätzliche Geldmenge gelangt in solcher Weise in das Wirtschaftsgefüge, dass ihre erste Wirkung in der durch die Verfälschung der Rentabilitätsrechnung hervorgerufenen Erweiterung der Produktion besteht. Es werden durch die Unternehmer die Produktionsprozesse verlängert, es werden Produktionsmittel — sachliche und persönliche — in Verfahren gesteckt, in denen sie erst später ein konsumreifes Produkt zu liefern vermögen. Nun ist aber die Menge der zur Verfügung stehenden Produktionsmittel und der zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Güter überhaupt nicht vergrößert worden. Auch der Verbrauch ist nicht eingeschränkt worden; er wird wohl später im Laufe des weiteren Ganges der Wirkungen der zusätzlichen Geldmenge durch den erzwungenen Minderverbrauch eines Teiles der Bevölkerung eingeschränkt werden, doch ob dieser erzwungene Minderverbrauch eines Teiles den Mehrverbrauch des anderen Teiles der Bevölkerung überwiegt und so auch zu einem erhöhten Sparen im ganzen Wirtschaftsgefüge führt, ist je nach den Daten des einzelnen Falles verschieden. Jedenfalls setzt bald nach dem Beginn des Aufschwungs auch eine Steigerung des Verbrauches seitens jener Arbeitergruppen ein, deren Löhne durch die erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften zuerst hinaufgetrieben wurden. Wenn wir der Einfachheit halber zunächst annehmen wollen, dass der Mehrkonsum dieser Arbeiter und der erzwungene Minderkonsum anderer Bevölkerungsgruppen sich quantitativ und qualitativ entsprechen, so haben wir folgende Lage: die Produktion ist so umgestaltet worden, dass sie erst später zu einem konsumreifen Ergebnis führt, ohne dass die Nachfrage nach konsumreifen Gütern für die Zwischenzeit nachgelassen hätte. Wohl muss das die Preise der Konsumgüter in die Höhe treiben und damit den Konsum drosseln, also die Bedingungen, die zum erzwungenen Sparen führen können, in erhöhtem Masse setzen. Doch das Hinaufgehen der Genussgüterpreise verstärkt auch zugleich die Tendenzen, die die Unternehmer zu einer Erweiterung der Produktion (Verlängerung der Produktionsprozesse) treiben. Sie glauben nun den Beweis dafür zu besitzen, dass ihr Verhalten richtig ist, d.h. der Marktlage entspricht und rentabel ist. Sie suchen daher ihre Investitionstätigkeit zu erweitern, ihren Geschäften einen größeren Umfang zu geben und treiben die Preise der Produktionsmittel und damit auch die Löhne und die Preise der Genussgüter weiter hinauf; all das unter der Voraussetzung, dass der weitere Zufluss von zusätzlichem Geld zum Darlehensmarkt [507] anhält. In der sich dem Gleichgewichtsstande nähernden Wirtschaft waren alle jene Produktionsprozesse im Gange, die unter den gegebenen Verhältnissen rentabel erschienen. Es gab keine unbeschäftigten Arbeitskräfte und es gab keine Produktionsmittel, die man einem Produktionsverfahren hätte zuführen können, das rentabler war als das, in dem sie eben Verwendung fanden. Die Produkte, die erzeugt wurden, waren die, die unter den denkbaren Produktionsmöglichkeiten die höchste Rentabilität versprachen. Sollen nun jetzt noch andere Produkte oder noch mehr von denselben Produkten erzeugt werden, dann kann das nur in der Weise geschehen, dass Überschüsse erzielt wurden, die man nicht verbraucht hat, oder dass man die Möglichkeit gefunden hat, den Konsum mit einem geringeren Aufwand an Arbeit und sachlichen Produktionsmitteln zu befriedigen, sei es, weil weniger konsumiert wird, sei es, weil durch irgend ein Naturereignis, das in das Wirtschaftsgefüge hineinwirkt, die Ergiebigkeit der Arbeit gestiegen ist, so dass derselbe Aufwand höhere Erträge bringt. Wenn das eintritt, kann man Arbeit und Kapitalgüter für die Deckung des Bedarfs fernerer Zukunft frei bekommen, man kann die Wartezeit verlängern. Nun aber ist das Besondere unseres Falles eben das, dass diese Voraussetzung nicht gegeben ist, und dass man den Versuch unternimmt, die Produktionszeit zu verlängern, ohne dass die Mittel dafür vorhanden wären. Die Produktionsmittel, die den neuen Geschäften zugeführt werden, können nicht anders aufgebracht werden als dadurch, dass man sie anderen Verwendungen entzieht. Zwischen den Unternehmern entbrennt ein Preiskampf um die Produktionsmittel.

Wir wollen die Gesamtheit der produzierten Produktionsmittel vor Beginn der Kreditausweitung als p und die Gesamtheit der Genussgüter, die sie in einem Zeitabschnitt dem Verbrauch zur Verfügung stellen konnten, als g bezeichnen. Nun soll, unter der Einwirkung der Kreditausweitung, eine zusätzliche Menge von Produktionsmitteln p 3 eine zusätzliche Menge von Genussgütern g 3 derselben Art, die schon vor Beginn der Kreditausweitung erzeugt, gekauft und verbraucht wurde, und eine weitere zusätzliche Menge von Produktionsmitteln p 4 eine zusätzliche Menge von Genussgütern g 4 von einer Art, die bisher noch nicht erzeugt wurde, erzeugen. Da, unserer Annahme gemäss, sich an dem Güterbestande nichts geändert hat, fehlen die Mengen p 3 und p 4. Das gerade unterscheidet die durch Kreditausweitung ausgelöste Produktionsausdehnung von einer Produktionsausdehnung, die durch das — z. B. durch Nichtverbrauch eines Produktionsüberschusses entstandene — Hinzutreten von p 3 und p 4 zum Bestande p ausgelöst wird. Der Wettbewerb [508] der Unternehmer, sowohl derer, die ihre Produktion nur im alten Umfang fortsetzen wollen, als auch derer, die zusätzlich produzieren wollen, treibt die Preise aller Produktionsmittel in die Höhe. Auch die Preise aller Genussgüter, sowohl derer von der Art g und g 3 als auch derer von der Art g4, steigen, da die Lohnsteigerung auch den Verbrauch steigert; überdies wird auch von den Unternehmern und Kapitalisten, die durch den Verkauf zu höheren Preisen Gewinne erzielt haben, mehr verbraucht. Die Unternehmer sehen in dem Steigen des Absatzes, der Preise und des Verbrauchs den Beweis dafür, dass ihr Vorgehen richtig war, und wollen in der Produktionserweiterung fortfahren. Die Preise, die für die Produktionsmittel gezahlt werden, gehen immer weiter hinauf. Sie steigen schneller und stärker als die Preise der Genussgüter.

Doch bald muss die Aufwärtsbewegung der Genussgüterpreise die der Produktionsmittelpreise überflügeln. Die Erzeugung der zusätzlichen Mengen g 3 und g 4 bedarf einer gewissen Zeit. Die Lohnsteigerung wirkt auf dem Markte bereits als erhöhte Nachfrage nach Genussgütern, ehe die zusätzlichen Mengen dem Verbrauch zugeführt werden können. Die Bauarbeiter wollen z. B. ihren Wohnungsbedarf schon reichlicher befriedigen, ehe die Neubauten fertiggestellt sind, in denen sie besser wohnen können, und sie wollen mehr Textilware kaufen, ehe die neuerrichteten Fabriken ihre Produktion auf den Markt bringen können. Der Abstand, der zwischen den Preisen der Produktionsmittel und denen der Genussgüter klafft, hat sich am Beginn der Kreditausweitung verengert; nun erweitert er sich wieder. Am Beginn hat sich eine vorübergehende — Tendenz zur Senkung des Urzinses gezeigt; jetzt tritt wieder rückläufig eine Tendenz zur Erhöhung des Urzinses auf. Die Preissteigerung ist freilich nicht einheitlich. Sie ist stärker bei g und g 3 als bei g 4, da die Verbraucher jene Waren stärker begehren als diese.

Diese Tendenz zur Erhöhung des Urzinses und das Auftreten der positiven Preisprämie erklären die banktechnischen Vorgänge im Fortgang der Konjunkturentwicklung. Die Banken sehen die Nachfrage der Unternehmer nach Darlehen wachsen; die Unternehmer verlangen immer mehr Kredit zur Fortführung ihrer Geschäfte und sind, weil Urzins und Preisprämie steigen, bereit, höhere Bruttozinssätze zu vergüten. Die Banken erhöhen nun die Zinssätze. Arithmetisch betrachtet, erscheinen die Bruttozinssätze jetzt höher, als sie vor Beginn der Kreditausweitung waren; katallaktisch betrachtet, bleiben sie nichtsdestoweniger hinter dem Stande zurück, der Urzins + Risikoprämie + Preisprämie decken würde. Die Banken glauben, dass [509] sie mit der Verschärfung der Kreditbedingungen alles getan hätten, um «ungesunder» Spekulation vorzubeugen. Sie finden, dass die Kritiker im Unrecht sind, die sie für den Hausse-Taumel, der die Geschäftswelt ergriffen hat, verantwortlich machen. Sie sehen nicht, dass sie einfach die Kreditausweitung in verschärftem Masse fortsetzen.

Das Merkmal der Kreditausweitungshausse liegt darin, dass die für die Erweiterung der Produktion erforderten Mengen p 3 und p 4 nicht anders beschafft werden können, als indem man sie den Beständen r , p 1 und p 2 entzieht. Als r bezeichnen wir dabei jenen Güterbestand, der für die Reinvestition zum Ersatz der in der Produktion aufgebrauchten Teile von p fortlaufend aus den Bruttoerträgnissen der Produktion zur Verfügung gestellt wird. Wird r zum Ersatz der in der Produktion aufgebrauchten Teile von p verwendet, dann kann auch in Hinkunft der Bestand g erzeugt werden; wird r dieser Verwendung entzogen, dann wird der Bestand p um r verkleinert und man kann dann nicht mehr g erzeugen, sondern nur den kleineren Bestand ga . Wir nehmen ferner an, dass in der Wirtschaft vor dem Auftreten der Veränderung des Geldstandes Überschüsse erzielt wurden, die nicht verbraucht, sondern zur Erweiterung der Produktion investiert werden. Wir bezeichnen diese Bestände an Kapitalgütern als p 1 und p 2;sie würden in einer nicht unter der Einwirkung von Kreditausweitung stehenden Wirtschaft, sagen wir also «normalerweise», zur Erzeugung eines Bestandes g 1 von Genussgütern der Art, die schon vor ihrem Hinzutreten erzeugt, gekauft und verbraucht wurde, und eines Bestandes g 2 von Genussgütern von einer Art, die bisher noch nicht erzeugt wurde, verwendet werden. Unter dem Einfluss der Kreditausweitung gehen die Unternehmer nun so vor, als ob nicht r + p 1 + p 2 zu ihrer Verfügung stünden, sondern darüber hinaus auch noch p 3 + p 4 und als ob sie nicht nur an die Erzeugung von g + g 1 + g 2 sondern darüber hinaus auch noch an die von g 3 + g 4 schreiten könnten.

Es ist verfehlt, das Wesen dessen, das in der Hausse vorsichgeht, in einem Übermaß an Investition (Overinvestment) zu erblicken. Zusätzlich investieren kann man nur insoweit, als ein zusätzlicher Bestand an Kapitalgütern zur Verfügung steht. Da, vom erzwungenen Sparen abgesehen, der Verbrauch in der Hausse nicht sinkt, sondern eher steigt, stellt die Hausse selbst kein Mehr an Produktionsmitteln für die Investition zur Verfügung. Das Wesen der Hausse liegt nicht in einem Übermaß der Investition, sondern in Investition am unrechten Orte. Die Unternehmer verwenden den verfügbaren Bestand r + p 1 + p 2 so, als ob ihnen ein Bestand r + p 1 + p 2 + p 3 + p 4 zur Verfügung [510] stehen würde. Sie planen Produktionserweiterung von einem Umfang, für die der verfügbare Bestand an Kapitalgütern nicht hinreicht. Diese Pläne sind aus Mangel an Kapitalgütern nicht ausführbar. Früher oder später müssen sie an dem Fehlen der erforderlichen Kapitalgüter scheitern. Dann gibt es Anlagen, die nicht verwendbar sind, weil die komplementären Anlagen fehlen; Anlagen, die nicht vollendet werden können; Anlagen, deren Produkte keinen Absatz finden, weil die Verbraucher andere Produkte dringender begehren, die nicht erzeugt werden können, weil die erforderlichen Produktionsanlagen nicht bereit sind. Die Hausse ist nicht Überinvestition, sie ist Fehlleitung der Investitionstätigkeit.

Der Irrtum, der das Wesen der Hausse in Überinvestition zu finden glaubte, entstand aus einer Betrachtungsweise, die nur auf die sichtbaren Fehlanlagen das Augenmerk richtete und nicht beachtet hat, dass diese nur darum Fehlanlagen sind, weil die komplementären Anlagen und die Anlagen, die dringlicher begehrte Waren erzeugen könnten, nicht errichtet werden konnten. Aus natürlichen Gründen muss die Produktionserweiterung in der Weise durchgeführt werden, dass zuerst die Anlagen errichtet werden, die zur Erzeugung der vom genussreifen Produkt entferntesten Produktionsmittel dienen. Um mehr Genussgüter zu erzeugen, muss man damit beginnen, ein Mehr an komplementären Gütern der höchsten Güterordnungen zu erzeugen. Um mehr Schuhe, Kleider, Kraftwagen und Wohnhäuser herzustellen, muss man zunächst mehr Eisen, Stahl, Kupfer u. dgl. erzeugen. Indem man den Bestand r + p 1 + p 2, der für die Erzeugung von a + g1 + g2 hinreicht, so verwendet, als ob er r + p 1 + p 2 + p 3 + p 4 wäre und für die Erzeugung von a + g 1 + g 2 + g 3 + g 4 ausreichen würde, errichtet man zunächst die Anlagen, die unter den für die Erzeugung von a + g 1 + g 2 + g 3 + g 4 erforderlichen zuerst gebaut werden müssen. Man geht so vor, wie ein Baumeister, der mit einer begrenzten Menge von Baumaterial und Arbeit einen Bau aufführen will und sich dabei verrechnet hat. Man legt die Fundamente zu groß an, verbraucht schon für die Fundamente den ganzen verfügbaren Bestand an Produktionsmitteln und kann dann nicht weiterbauen. Das ist nicht Überinvestition; man hat dabei nicht mehr verbaut, als man verbauen konnte; man hat das verfügbare Material falsch verwendet. [226]

[511]

Ein augenfälliges Merkmal der Hausse ist daher die Steigerung der Produktion von Produktionsmitteln. Wenn die Wirtschaftsjournalistik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Kennzeichen des Konjunkturaufstiegs vor allem im Ansteigen der Produktionsmengen der Schwerindustrie und des Baugewerbes erblickt hat und im Rückgang des Auftragsbestandes und des Produktionsumfanges dieser Zweige die Vorboten des Konjunkturumschwunges erkennen wollte, war sie auf der richtigen Fährte. Sie irrte nur in der Erklärung der Hausse als Überinvestition.

Natürlich werden auch in der Hausse Werke errichtet, die Genussgüter herstellen. Doch die Genussgüter, die sie herzustellen vermögen, sind nicht immer die von den Verbrauchern am dringendsten begehrten. Sie hätten in den Rahmen des auf die Erzeugung von a + g 1 + g 2+ g 3 + g 4 gerichteten Produktionsplans hineingepasst; in der durch die Unausführbarkeit dieses Planes geschaffenen Lage erweisen auch sie sich als Fehlanlagen.

Der Aufschwung muss nicht immer Preishausse auslösen. Wenn die Produktionsverfahren durch Veränderungen der Technik, die von der Kreditausweitung unabhängig sind, so verbessert werden, dass bei ungeändertem Geldstand ein Rückgang aller Warenpreise eingetreten wäre, erschöpft sich die Wirkung der Kreditausweitung auf die Preise in Erhaltung des früheren Preisstandes. (Man hat das mitunter als «Mengenkonjunktur» bezeichnet; der Ausdruck ist nicht glücklich gewählt.) In jeder andern Hinsicht ist der Ablauf dem beschriebenen gleich.

Das eine steht fest: keine wie immer geartete Maßnahme der Kredittechnik kann der Wirtschaft das geben, was ihr fehlt. Um die Pläne der Unternehmer durchzuführen, bedarf man eines Bestandes an Produktionsmitteln, der den verfügbaren Bestand übersteigt. Es fehlt an Produktionsmitteln, nicht an Geld oder Kredit.

Dieser Sachverhalt tritt in dem Augenblick zutage, in dem die Banken, durch den immer rascheren Fortgang der Hausse ängstlich geworden, die weitere Kreditausweitung einstellen. [227] Solange die Banken immer weitere zusätzliche Kreditmittel in die Wirtschaft hineinpumpen, können die Unternehmer den Mangel an den zur Durchführung ihrer Pläne erforderlichen [512] Kapitalgütern nicht wahrnehmen. Sie sehen nur weiteres Anziehen der Preise der Produktionsmittel, das ihre Pläne nicht stören kann, solange ihnen die erforderlichen Geldmittel nicht fehlen. Sie sehen in dem Umstand, dass die Werke, die Produktionsmittel erzeugen, einen Auftragsbestand haben, der ihnen auf lange Zeit hinaus Beschäftigung sichert, ein günstiges Zeichen und erkennen nicht, dass die damit verbundene Hinausschiebung der Lieferungstermine den Mangel an den zur Durchführung ihrer Pläne erforderten Kapitalgütern anzeigt.

Wenn aber die Banken in der Kreditausweitung endlos fortschreiten wollten, dann würden sie das Ende des Aufschwungs durch Katastrophenhausse auslösen. Der Versuch, nicht vorhandene Kapitalgüter (die Bestände p 3 und p 4) durch banktechnische Maßnahmen zu ersetzen, müsste auch dann scheitern. In der Regel halten jedoch die Banken ein, ehe es zur Katastrophenhausse kommt.

Sobald der Zustrom zusätzlichen Geldes versiegt, muss das ganze Gebäude der Konjunktur einstürzen. Dann müssen die Unternehmer ihre Geschäfte einschränken, weil ihnen die erforderlichen Geldmittel fehlen. Sie müssen trachten, durch Verkäufe die Geldmittel zu beschaffen, die sie im Aufschwung durch Darlehensaufnahme beschafft haben. Die Warenpreise und die Löhne sinken.

Aus institutionellen und massenpsychologischen Gründen vollzieht sich der Umschlag vom aufsteigenden zum absteigenden Ast der Konjunktur panikartig. Der Beschreibung dieser Paniken ist im Schrifttum besondere Sorgfalt. zugewendet worden. Die nationalökonomische Theorie hat weniger darauf bedacht zu sein, die Schrecken der Krisenwochen breit auszumalen und bei ihren mitunter grotesken Erscheinungen zu verweilen, als darauf, in dem Ablauf der Ereignisse den notwendigen Ausgang der Geschäftsfehlleitungen des Aufschwunges zu erkennen. Es hat ihr nicht sosehr darauf anzukommen, die verschiedenen typischen Abläufe zu beschreiben, die den einzelnen institutionellen Voraussetzungen entsprechen, als darauf, das Notwendige und Unvermeidliche vom Zufälligen und historisch Bedingten zu sondern. Die Panik ist für sie uninteressant, und im absteigenden Ast der Konjunktur sieht sie nichts als den Prozess der Liquidation der Kapitalfehlleitungen des Aufschwungs und der Anpassung des Marktes und der Produktionsund Unternehmungstätigkeit an die gegebenen Verhältnisse: Urzinsgestaltung und Stand der Versorgung mit Kapitalgütern.

Diese Daten sind nicht mehr die der Zeit vor dem Aufschwung. Manches hat sich seither geändert. Das erzwungene [513] Sparen mag da und dort zu neuer Kapitalbildung geführt haben. Manche Verschiebungen der Eigentumsverhältnisse sind im Gefolge der Ungleichzeitigkeit und Ungleichmäßigkeit der Kaufkraftveränderungen eingetreten. Unabhängig von den monetären Vorgängen sind Änderungen in der Größe und in der Zusammensetzung der Bevölkerung, in der Technik, in der Richtung und im Umfang der Nachfrage und in mancher anderen Hinsicht erfolgt. Das Gleichgewicht, dem die Wirtschaft nun zustrebt, ist nicht mehr dasselbe, dem sie vor dem Auftreten der Störung zugestrebt hat. Manche Anlagen, die im Zuge des Aufschwungs errichtet wurden, werden als Fehlanlagen einfach stillgelegt werden müssen, weil die Mittel für ihren Fortbetrieb den Erlös, den die Erzeugnisse bringen, nicht decken; diese Mittel werden eben an anderen Stellen des Produktionsprozesses dringender benötigt und finden dort rentablere Verwendung. Andere Fehlinvestitionen können aber im Betrieb bleiben. Hätte man richtig gerechnet, hätte man sie nicht gebaut. Da sie nun einmal vorhanden sind, übersteigen die Erlöse, die man aus ihnen ziehen kann, die für den laufenden Betrieb benötigten Mittel. Die Verbraucher sind nicht geneigt, für ihre Produkte einen Preis zu zahlen, der auch die einmal aufgewendeten und verlorenen Anlagekosten zu verzinsen und zu amortisieren gestattet: doch sie sind bereit, die Produkte, wenn sie ihnen billig genug angeboten werden, zu kaufen; übersteigt dieser Preis die laufenden Betriebsspesen, dann ist es dem Unternehmer vorteilhafter, den Betrieb der Fehlanlage fortzuführen. Mit dem Verlust eines Teiles des in der Anlage gebundenen Kapitals muss er sich dabei abfinden. Die Verbraucher befriedigen nun Bedürfnisse, die sie sonst nicht befriedigt hätten; auf der andern Seite freilich verzichten sie auf die Befriedigung anderer Bedürfnisse, die sie — bei richtiger, d.h. ihren Wünschen besser entsprechender Verwendung des Kapitals — hätten befriedigen können. Man habe etwa in der Aufschwungszeit eine Straßenbahnlinie gebaut, die man bei richtiger, nicht durch die Geldflüssigkeit verfälschter Rentabilitätsrechnung nicht gebaut hätte. Nun stellt es sich heraus, dass die Strecke nicht rentabel ist, dass ihr Betrieb aber gerade noch etwas mehr als die laufenden Betriebsspesen deckt. Die Kapitalisten, die Aktien und Schuldverschreibungen dieser Bahn erworben haben, haben ihr Kapital verloren. Sie müssen jetzt ihre Ausgaben einschränken und auf manches verzichten, was sie früher kaufen und verzehren konnten. Anderseits haben sie die Möglichkeit, die Straßenbahn zu benützen. Sie würden es vorziehen, wenn sie ihren früheren Vermögens- und Einkommenstand und die ihm entsprechende höhere Lebenshaltung [514] hätten beibehalten können und würden dann auf die Annehmlichkeit der Straßenbahnfahrten gerne verzichten; doch an dem Geschehenen lässt sich nichts mehr ändern. In ähnlicher Lage sind aber auch alle anderen Bürger. Sie müssen manches entbehren, was sie hätten beschaffen können, wenn das Kapital in ihrem Sinne richtig verwendet worden wäre; dagegen können sie jetzt die Straßenbahn benützen.

Die Senkung des Marktsatzes für Darlehenszinsen, die als nächste Folge des Zuströmens zusätzlichen Geldes auf den Darlehensmarkt auftritt, führt mithin zu Kapitalfehlleitung und zu Überverbrauch. Das Ergebnis ist Verarmung: ein Teil der Zwischenprodukte, die vor dem Einströmen der zusätzlichen Geldmenge zur Verfügung stand, ist aufgezehrt worden, ein Teil ist in Verwendungen festgerannt worden, die sich als minderdringend erweisen, und fehlt nun an Stellen, wo er dringender benötigt wird.

Sobald der Zustrom neuen zusätzlichen Geldes stockt, muss die Tatsache dieser Kapitalfehlleitung auf dem Markte offenbar werden, und es beginnt der Prozess der Anpassung an die neue Lage, die gekennzeichnet ist durch Kapitalverarmung, durch Verschiebung der Eigentumsverhältnisse und durch Verfügung über Kapitalanlagen, die bei ungestörter Rentabilitätsrechnung nicht gemacht worden wären, von denen aber manche doch fortbetrieben werden können.

Wenn wir annehmen, dass die zusätzliche Geldmenge zunächst nur für Steigerung des Verbrauches verwendet wird, ist der Ablauf anders. Es steigen zunächst nur die Preise der Genussgüter und erst in zweiter Reihe die Preise der Produktivgüter. Die Preissteigerung mag die Unternehmer zur Ausweitung der Produktion anregen. Doch mit dem Steigen der Produktionsmittelpreise erscheinen diese Pläne als unrentabel. Zu Kapitalfehlleitung beträchtlicheren Umfanges kann es gar nicht kommen.

In der Regel freilich wird die zusätzliche Geldmenge mindestens zu einem beträchtlichen Teil sogleich dem Darlehensmarkte zuströmen. Bei der Ausweitung des Zirkulationskredits kommt immer die ganze zusätzliche Menge zuerst auf dem Darlehensmarkte zur Wirkung.

VII. Der Marktzins unter dem Einfluss von Veränderungen des Geldstands im Fall der Restriktion

Auch in der Untersuchung der vorübergehenden Wirkungen, die von der Verringerung der Geldmenge bei unverändertem Geldbedarf ausgehen, empfiehlt es sich, zuerst die Annahme [515] zugrundezulegen, dass der ganze aus dem Wirtschaftsgefüge verschwindende Geldbetrag dem Darlehensmarkte entnommen wird. Wir wollen mithin annehmen, dass etwa von der Regierung planmäßig in der Weise Deflationspolitik betrieben wird, dass Anleihen begeben werden und dass die so aufgebrachten Geldbeträge vernichtet werden. Dieses Verfahren ist in der Geschichte der letzten 150 Jahre wiederholt eingeschlagen worden. Die Regierungen wollten die internationale Bewertung des Kreditgeldes auf einen höheren Stand heben; sie wollten sein Disagio (gegenüber seinem einstigen gesetzlichen Edelmetallgehalt und gegenüber der einstigen Parität zum Auslandsgeld) beseitigen und seine Kaufkraft heben. Dass sie von ihrem Vorhaben mitunter später abkamen, sei es wegen der Kosten, die es dem Staatsschatze auferlegte, sei es, weil sie die Folgen der Kaufkraftsteigerung als schädlich erkannten, ist bekannt. Wir können aber auch annehmen, dass die Banken, durch die Erfahrungen einer Krise vorsichtig und selbst ängstlich geworden, ihre Reserven erhöhen wollen und daher den Umfang der Umlaufsmittel einschränken, oder dass die Wirte ihren Kassenstand erhöhen wollen und sich daher vom Geldmarkte zurückziehen. Wir können endlich auch annehmen, dass der Zusammenbruch von Umlaufsmittelbanken dem Markte die von diesen ausgegebenen Umlaufsmittelmengen entzogen hat.

In jedem dieser Fälle entsteht auf dem Darlehensmarkte eine Verknappung, die den Marktzinsfuss zunächst hinauftreibt. Geschäfte, die bisher rentabel waren, werden damit unrentabel. Die Nachfrage nach Produktionsmitteln geht zurück, die Preise der sachlichen Produktionsmittel und die Löhne sinken, in weiterer Folge auch die Preise der Genussgüter. Wenn die Eigentümer der von diesem Preisfall betroffenen Produktionsmittel und die Arbeiter mit ihren Preis- und Lohnansprüchen gleich so tief hinuntergehen wollten, dass sich die Rentabilität der Geschäfte, die durch die Darlehenszinserhöhung vernichtet wurde, wieder einstellt, dann könnte die Restriktion auch nicht vorübergehend zu Produktionseinschränkung führen. Nur der Zeitunterschied zwischen der Zinssteigerung und der Anpassung der Preise der Produktionsmittel und der Löhne an die Veränderung des Geldstandes löst die produktionshemmende Wirkung der Restriktion aus.

Wird jedoch nur ein Teil der aus dem Marktgefüge verschwindenden Geldmenge zunächst dem Darlehensmarkte entnommen oder wird der Darlehensmarkt von der Restriktion überhaupt nur mittelbar berührt, dann ist der Verlauf anders. Wenn die Regierung die für die Deflation benötigten Mittel nicht durch Anleihen beschafft, sondern durch Besteuerung der [516] Bürger, der Verbraucher, dann sinkt der Verbrauch und damit die Preise der Genussgüter. Wenn dementsprechend auch die Preise aller Produktionsmittel sinken würden, könnte eine Stockung in der Geschäftstätigkeit überhaupt nicht eintreten. Der unvermeidliche Zeitunterschied ruft sie zwar hervor. Doch da die Geschäftsstockung auch auf dem Darlehensmarkte zu einer Einschränkung der Nachfrage nach Darlehen und damit auch zu einem Sinken des Zinsfusses führt, wird sie bald überwunden werden, wenn nicht neue Restriktionsmassnahmen immer wieder störend auftreten.

Man hat die vermeintlich günstigen Folgen der Kreditausweitung immer überschwänglich gepriesen, und man hat anderseits die bösen Folgen der Restriktion in krassester Weise geschildert. Man hat darüber versäumt, den Unterschied, der zwischen den durch Expansion und den durch Restriktion bewirkten Störungen des Wirtschaftsablaufs besteht, richtig zu erfassen. Die Kreditausweitung führt zu Kapitalfehlleitung; wenn der Expansionsprozess zu Ende gekommen ist, muss ein Liquidierungsprozess folgen, der das Wirtschaftsgefüge den durch diese Fehlleitung geschaffenen Verhältnissen anpasst. Die Restriktion führt zu Stockungen; vorhandene Kapitalgüter werden nicht gleich eingesetzt, Arbeitskräfte liegen brach. Das bringt einen zeitweiligen Ausfall an Produktion, der aber durch die Einschränkung des Verbrauchs der feiernden Arbeiter und der keine Gewinne erzielenden Unternehmer zum Teil aufgewogen wird. Da die unverkäuflichen Produktionsmittel und die feiernden Arbeiter durch die Restriktion nicht vertilgt werden, da sie nach Absatz und Arbeit verlangen, werden Eigentümer und Arbeiter durch Herabsetzung der Ansprüche auch bald wieder das Gleichgewicht herzustellen suchen, und sind diese Faktoren wieder in den Produktionsprozess eingeschaltet, dann stellt sich der «normale» Ablauf sehr bald her, ohne dass erst ein langwieriger Liquidierungs- und Übergangsprozess erforderlich wäre. Die Restriktion ist ein Ereignis, dessen Spuren bald getilgt sind, wenn sie einmal zum Stillstand gekommen ist; sie wirkt nicht solange nach wie die Kreditausweitung. [228] Die Störungen, die die Restriktion auslöst, liegen in der Langsamkeit, mit der der Prozess der Anpassung aller Preise an die neue Lage des Geldstandes vorsichgeht. Die Störungen, die die Expansion auslöst, bestehen zunächst in der Kapitalfehlleitung [517] und in der durch sie bewirkten Verarmung; der Anpassungsprozess, der nach Beendigung des Aufschwungs einsetzt, muss dann die Produktion dem Stand der Versorgung mit Produktionsmitteln, der durch den Aufschwung bewirkten Verarmung, anpassen.

Man darf die Folgen der Deflation nicht mit den Folgen des auf die Beendigung des Aufschwungs folgenden Anpassungsprozesses zusammenwerfen. Dieser wird durch die Beendigung der Kreditausweitung ausgelöst, auch wenn die Geldmenge nicht verringert wurde. [229] Auf das Ende der Kreditausweitung muss die Anpassung der Produktion an den Stand der Versorgung der Wirtschaft mit Kapitalgütern und an den Satz des Urzinses folgen. Das Steigen der Preise hat den Bedarf der Unternehmer nach weiterem Geldkapital zur Fortführung ihrer Geschäfte ständig gesteigert; sie konnten nur fortfahren, weil sie von den Banken neue Kredite aus den Mitteln der fortschreitenden Kreditausweitung erhalten haben. Jetzt sind die Banken nicht mehr länger imstande, weitere Kreditansprüche zu befriedigen. Da müssen die Unternehmer ihre Geschäfte einschränken. Zunächst entsteht daraus ein Chaos. Die Krediteinschränkung trifft die Unternehmungen ohne Rücksicht darauf, ob sie unter den neuen Verhältnissen rentabel sind oder nicht. Die Banken wären, selbst wenn sie sich darüber einen Überblick verschaffen könnten, nicht in der Lage, genauere Unterschiede in der Behandlung der einzelnen Unternehmungen zu machen. Sie müssen die Kreditgewährungen einschränken, weil ihnen die Mittel für neue Kredite fehlen; sie müssen daher auch solche Kreditgesuche abweisen, die von Unternehmungen ausgehen, die ihrer Meinung nach die Krise gut überstehen könnten, wenn man ihnen im Augenblick einen weiteren Kredit gewähren würde. Die Betriebseinschränkungen, die durch den Abbruch der Kreditausweitung ausgelöst werden, betreffen daher nicht nur jene Unternehmungen, die aus der Produktion ganz ausscheiden müssen oder in Hinkunft nur mit Ausnützung eines Teiles ihrer Erzeugungskapazität zu arbeiten haben werden. Zunächst werden durch den Umschwung in der Kreditlage wahllos alle Unternehmungen und alle Produktionszweige gedrosselt. Erst allmählich stellt es sich dann heraus, für welche Unternehmungen und in welchem Umfange die rentable Fortführung der Produktion möglich ist.

Der Preissturz, den die Krise hervorruft, ist daher zunächst [518] viel stärker, als den Verhältnissen entspricht. Eine Erholung der Preise muss allmählich in dem Masse eintreten, in dem die Unternehmer wieder bessere Übersicht über die Lage des Marktes zu gewinnen vermögen. [230]

In der Regel wird aber auf die Beendigung der Kreditausweitung auch Deflation folgen. Die Banken halten größere Barreserven im Verhältnis zu ihren Verbindlichkeiten, d.h. sie verringern die Umlaufsmittelmenge, und die einzelnen Wirte erhöhen ihre Kassenhaltung. Zu den unmittelbaren Wirkungen des Konjunkturumschwungs treten noch Deflationsfolgen hinzu.

VIII. Die Zirkulationskredittheorie des Konjunkturwechsels

Der Weg, auf dem das nationalökonomische Denken zur Ausbildung einer Lehre vom Konjunkturwechsel gelangt ist, war lang.

Der Ausgangspunkt der Betrachtungen war zunächst empirisch. Die klassische Nationalökonomie und ihre Nachfahren standen vor der Erfahrungstatsache, dass der Fortgang des Wirtschaftens durch die periodische Wiederkehr von Krisen gestört wird, die man nicht durch unvorhergesehenes plötzliches Auftreten von Datenänderungen großen Umfangs zu erklären vermochte. Der Scharfsinn der Currency-Schule fand sehr bald eine Erklärung, die vollkommen zu befriedigen schien. Für die Currency-Schule ist nicht mehr die Krise das Problem, sondern der ihr vorausgehende Aufschwung; sie erweitert das Krisenproblem zum Problem des Konjunkturwechsels. Der Aufschwung ist die Folge der Kreditausweitung, sein Zusammenbruch die unvermeidbare Reaktion des Marktes, die schließlich zum normalen Wirtschaften zurückführt.

Die Gedankengänge der Currency-Theorie wiesen zwei Mängel auf. Sie sahen Kreditausweitung nur in der Ausgabe von metallisch nicht gedeckten Banknoten. Dass auch die Kassenführungsguthaben Umlaufsmittelcharakter annehmen können und dass Ausweitung des Zirkulationskredits auch durch die Ausgabe von zusätzlichen Kassenführungsguthaben erfolgen könne, haben sie verkannt. Der Fehler wiegt nicht allzuschwer, da man ihn leicht beheben kann; man hat einfach festzustellen, dass alles, was von der Kreditausweitung gesagt wird, unabhängig davon ist, ob die Kreditausweitung durch zusätzliche Noten oder durch zusätzliche Kassenführungsguthaben erfolgt. [518] Doch die Lehren der Currency-Schule wurden sehr bald durch die Gesetzgebung zur Grundlage krisenpolitischer Maßnahmen gemacht. Das Versagen der Peel'schen Bankgesetze erschütterte das Ansehen der Schule. Ihre Lehre, meinte man, sei durch die Erfahrung widerlegt worden. Die Banking-Schule triumphierte.

Schwerer wog der zweite Mangel der Currency-Lehre. Sie beschränkte ihre Untersuchungen auf das Problem des external drain. Sie betrachtete nur einen Fall: Kreditausweitung in einem Lande bei unveränderten Bedingungen in der übrigen Welt. Das reichte hin, um die englische Geschichte der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zu beleuchten, doch das nationalökonomische Grundproblem blieb unberührt. Die Frage, wie allgemeine, nicht auf den Kundenkreis einer Anzahl von Banken beschränkte Kreditausweitung wirken müsse, wurde nicht aufgeworfen; das Verhältnis von Geldmenge und Zinsgestaltung, zu dessen Behandlung schon die Vorschläge, durch Bankreform den Kredit zu verbilligen oder gar unentgeltlich zu machen, anregen mussten, wurde nicht geprüft. Kein Schritt wurde getan, um das Vorurteil der Neutralität des Geldes zu zerstören. So blieb das Feld für alle jene Lehren frei, die Krisen und Konjunkturwechsel mit den Mitteln der Theorie des direkten Tausches zu erklären strebten. Jahrzehnte mussten vergehen, ehe es der Nationalökonomie gelingen konnte, hier weiterzukommen.

Man darf freilich nicht unterlassen, daran zu erinnern, dass nicht nur wissenschaftlicher Irrtum im Spiele war, sondern auch politische Voreingenommenheit. Die Kraft der klassischen Nationalökonomie hatte gerade hingereicht, um die öffentliche Meinung daran zu gewöhnen, die Gestaltung der Preise und Löhne nicht mehr mit den Augen des Sittenrichters zu betrachten; sie war nicht stark genug, um dasselbe auch für den Darlehenszins zu leisten. Die alten Vorurteile blieben unangetastet. Auch heute weigern sich noch viele, die sich für Nationalökonomen halten, den Zinssatz einfach als Markterscheinung zu betrachten. Man hält den Zins für ein Hindernis menschlicher Wohlfahrt, man glaubt, dass es Pflicht der Obrigkeit sei, auf Senkung der Zinshöhe hinzuarbeiten, und meint, dass Kreditausweitung das Mittel sei, das diesen Erfolg erzielen kann. Mit dem Wiedererstarken der interventionistischen Wirtschaftspolitik und der Erneuerung der Lehren, die sie rechtfertigen wollen, wuchs auch die Volkstümlichkeit des Bankinterventionismus. Die Staaten wollen aktive Konjunkturpolitik treiben, sie wollen «ankurbeln» und den Aufschwung endlos fortgehen lassen, und sie brandmarken alle nationalökonomischen Lehren, [520] die die Aussichtslosigkeit solcher Politik erweisen, als dismal science.

Wenn man diesen Tatbestand ins Auge fasst, könnte man sich verleitet sehen, die Behandlung der Kreditausweitung aus der Lehre von der unbehinderten Marktwirtschaft in das Lehrstück von der durch Eingriffe behinderten Marktwirtschaft zu verweisen. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Kreditausweitung in den Umkreis der Probleme des Interventionismus fällt. Doch das Problem der Kreditausweitung ist von dem Problem der Beziehungen der Veränderungen im Verhältnis von Geldnachfrage und Geldangebot zur Zinsgestaltung nicht zu trennen; es ist nur in seiner Erscheinungsform und in seiner praktischen Bedeutung von ihm verschieden.

Denn alles, was von der Kreditausweitung zu sagen ist, gilt auch von den Wirkungen, die zusätzliche Geldmengen ausüben, wenn sie in einem verhältnismäßig frühen Stadium ihres Eintretens in das Wirtschaftsgefüge dem Darlehensmarkte zuströmen. Wenn die zusätzliche Geldmenge auf dem Darlehensmarkte in der Gestalt zusätzlichen Kreditangebots auftritt, ehe die Preise und Löhne sich bereits der neuen Gestaltung der Geldverhältnisse angepasst haben, ist der Ablauf im Wesen nicht verschieden von dem, der der Kreditausweitung eigentümlich ist. Unterschiede bestehen in der Regel beim Sachgelde im Ausmaß des zusätzlichen Kreditangebots. Sachgeld konnte im bisherigen Verlaufe der Wirtschaftsgeschichte nie in dem Umfang vermehrt werden, in dem die Kreditausweitung oder die Vermehrung von Kredit- und Zeichengeld vorsichgehen kann. Die Vermehrung des Sachgeldes ging in der Regel langsamer vonstatten, ihre Begleiterscheinungen vollzogen sich weniger heftig und fielen weniger auf. Die Konjunkturwellen, die sie brachten, waren länger, weil die Tendenzen, die die Sachgeldproduktion beherrschen, stetiger sind und Umschläge nicht mit jener Plötzlichkeit erfolgen, die ein Kennzeichen des Umschwungs in der Kreditpolitik ist. [231]

Aus der Betrachtung der langen Wellen der Konjunktur konnte die inflationistische Geschichtsauffassung Argumente zur Stützung ihres Standpunktes gewinnen, weil die längeren Wellen auch flacher sind und der Übergang vom Aufschwung zum Abschwung sich bei ihnen nicht so scharf und darum auch weniger auffällig zeigt als bei den kurzen Wellen der Kreditausweitung. Doch alle ihre Argumente sind unstichhaltig. Auch im Hinblick auf die Zinsgestaltung und die Anregung [521] von Aufschwung ist alles, was die inflationistische Geschichtsauffassung zu sagen weiß, durch die Zirkulationskredittheorie des Konjunkturwechsels widerlegt.

Für die grundsätzliche Betrachtung der nationalökonomischen Theorie sind Kreditausweitung und Beeinflussung des Darlehensmarktes durch Zuströmen zusätzlicher Geldmengen identische Erscheinungen, und ebenso Krediteinschränkung durch Verringerung der Umlaufsmittelmenge und Beeinflussung des Darlehensmarktes durch Abströmen von Geldbeträgen. Doch in der Wirtschaftsgeschichte der letzten 150 Jahre hat die Kreditausweitung eine Rolle gespielt, die sie aus dem Kreise der ihr nationalökonomisch gleichzuhaltenden Erscheinungen weit heraushebt.

IX. Die Marktwirtschaft im Wechsel der Konjunktur

Im Lichte der Zirkulationskredittheorie ist der Konjunkturwechsel das Ergebnis der immer wieder neu einsetzenden Bestrebungen, durch Kreditausweitung die Bedingungen, zu denen Gelddarlehen erhältlich sind, für die Kreditsuchenden günstiger zu gestalten. Der zusätzliche Zirkulationskredit bewirkt Kapitalfehlleitung. Will man die Kreditausweitung endlos fortsetzen, dann bricht das Umlaufsmittelsystem, das ihr dient, zusammen; das zwingt die Unternehmer und die Eigentümer der Produktionsmittel, ihr Handeln dem Stande der Versorgung mit Produktionsmitteln anzupassen; diese Anpassung muss schon früher einsetzen, sobald die weitere Vermehrung der Umlaufsmittel eingestellt wird. Einmal muss schließlich auf dem Markte der Prozess ausgelöst werden, durch den die Produktionsmittel wieder den Verwendungen zugeführt werden, in denen sie die dringlichsten Bedürfnisse der Verbraucher am zweckmäßigsten zu befriedigen vermögen.

Man verkennt das Wesen der Konjunkturveränderungen, wenn man, wie es nahezu allgemein üblich ist, im aufsteigenden Ast eine normale oder gar wohlfahrtsfördernde Erscheinung und im Abstieg die Störung befriedigender Entwicklung sehen will. Schon die gangbaren Ausdrücke, z. B. Aufschwung und Niedergang, gute und schlechte Konjunktur, sind irreführend. Das, was man als Anstieg der Konjunktur bezeichnet, ist ein Zustand, in dem Produktionsmittel Verwendungen, in denen sie dringlichere Bedürfnisse der Verbraucher befriedigen könnten, entzogen werden, um der Durchführung von Plänen, für die der verfügbare Produktionsmittelbestand nicht hinreicht, zugeführt zu werden. Wenn man den Ausdruck «Störung» gebrauchen will, dann hätte man im Aufschwung die Störung des [522] Marktgetriebes zu erblicken und im Niedergang den Prozess der Anpassung an die gegebenen Bedingungen und der Wiederherstellung des «normalen» Zustandes, in dem das Marktgetriebe die Produktion so lenkt, dass die Produktionsmittel der Befriedigung der dringlichsten Bedürfnisse der Verbraucher in der zweckmäßigsten Weise dienstbar gemacht werden.

Die Wirtschaftsgeschichte der Kulturvölker ist durch fortschreitende Kapitalbildung gekennzeichnet. Weil regelmäßig mehr erzeugt als verzehrt wird, wird es möglich, die Produktion ergiebiger zu gestalten, die Bedürfnisse immer reichlicher zu befriedigen und dabei doch auch durch weitere Bildung von Rücklagen für künftige Erhöhung des Wohlstands zu sorgen. So leben auf der Erdoberfläche heute weit mehr Menschen als früher, und jeder einzelne von ihnen lebt weit besser als die Menschen vergangener Zeiten. Wenn man diese Veränderungen als wirtschaftlichen Fortschritt oder Aufstieg bezeichnet, stellt man sich auf den Standpunkt der Verbraucher, die bessere Befriedigung weniger reichlicher Befriedigung vorziehen; man kann die Frage nach der Berechtigung der Ausdrucksweise ruhig unbeantwortet lassen. Doch der KonjunkturAnstieg ist von wirtschaftlichem Fortschritt wohl zu unterscheiden. Er ist, wenn man ihn vom Standpunkt der Verbraucher und ihrer Bedürfnisbefriedigung betrachtet, nicht Fortschreiten zu besserer Versorgung, sondern zu schlechterer.

Man hat verzweifelte Versuche unternommen, um am Konjunkturaufstieg doch eine gute Seite zu finden. Man hat auf das erzwungene Sparen hingewiesen. Das Argument hält der Kritik nicht stand. Es konnte schon gezeigt werden, dass die Kreditausweitung nie erzwungenes Sparen in einem Ausmaße herbeiführt, das die von ihr durch Kapitalfehlleitung und Überverbrauch bewirkte Kapitalaufzehrung aufwiegen oder gar überwiegen könnte. Wenn man schon in das Getriebe der Marktvorgänge eingreifen wollte, um durch Minderverbrauch der Wenigerreichen Einkommen und Vermögen der Reicheren zu mehren, weil man erwartet, dass dann im Gesamtfelde der Wirtschaft mehr Kapital gebildet wird, so würde man dieses Ziel besser erreichen, wenn man die Wenigerbemittelten stärker und die Reicheren weniger stark besteuert. Dem so erzwungenen Sparen würde keine Kapitalaufzehrung gegenüberstehen; seine «wohltätigen» Wirkungen könnten die Menge der Kapitalgüter mehren und nicht nur, wie im Fall der Kreditausweitung, das Ausmaß der Kapitalaufzehrung herabsetzen.

Man hat ferner darauf hingewiesen, dass manche der Anlagen, die ihre Entstehung der Kreditausweitung, verdanken, sich in späterer Zeit als rentabel erweisen. Man habe zwar diese [523] Anlagen, durch die von der Kreditausweitung bewirkte Verfälschung der Geld- und Rentabilitätsrechnung irregeführt, zu früh errichtet, d.h. in einem Zeitpunkt, da der Stand der Kapitalversorgung und die Richtung des Bedarfs ihre Errichtung noch nicht gerechtfertigt hätten. Der Schaden wäre aber nicht groß, da man sie doch später ohnehin gebaut hätte. Es ist zuzugeben, dass das unter besonderen Umständen mitunter eintreten kann. Dass es immer eintreten müsste, wird niemand behaupten wollen. Die Folgen der Kapitalfehlleitung werden aber jedenfalls ohne Rücksicht darauf fühlbar, ob manche der Fehlanlagen sich später als brauchbar erweisen werden oder nicht. Wenn eine Eisenbahnlinie um 1845 gebaut wurde, die man damals nicht gebaut hätte, wenn die Kreditausweitung nicht den Anstoß zum Bau gegeben hätte, war es für die Marktlage in den folgenden Jahren ohne Bedeutung, ob man etwa 1870 oder 1880 die Mittel für den Bahnbau verfügbar haben wird. Der Gewinn, den man dann später davon hatte, dass die Bahnstrecke nicht erst durch Aufwendung von Kapital neu zu bauen war, konnte um 1847 keine Entschädigung für die Nachteile bieten, die der vorzeitige Bau bewirkt hatte.

Als Abstieg der Konjunktur bezeichnet man die Wiederanpassung der Produktion an die durch den Stand der verfügbaren Produktionsmittel und die Wertungen der Verbraucher gegebene Marktlage. Diese Ausdrucksweise und die lauten Klagen, die diesen Prozess zu begleiten pflegen, geben ein falsches Bild. Der Abstieg der Konjunktur ist fortschreitende Annäherung der Produktion an einen Zustand, in dem sie den Bedürfnissen der Verbraucher so gut, als es die Verhältnisse gestatten, und jedenfalls besser entspricht als auf dem Scheitelpunkt der Konjunktur, an dem der Abstieg beginnt. Der Aufstieg war Kapitalfehlleitung und daher Kapitalverminderung und wirtschaftlicher Rückschritt, der Abstieg ist wirtschaftlicher Fortschritt in dem Sinne, dass er die vorhandenen Produktionsmittel den Verwendungen zuführt, in denen sie dem Verbrauch die besten Dienste zu leisten vermögen. Wer über die Vorgänge auf dem Markte und die Produktionsverschiebungen, die der Abstiegt bringt, klagt, klagt darüber, dass ihm Illusionen genommen werden und dass er nun die Dinge so sehen muss, wie sie sind. Der Abstieg vernichtet nicht Werte, er wertet nur illusionsfrei und nüchtern. Was man als die Übel des Konjunkturniedergangs ansieht, ist das Gewahrwerden der Folgen des durch die Kreditausweitung vorgetäuschten Aufstiegs.

Die Anpassung der Wirtschaft an die gegebenen Verhältnisse vollzieht sich nicht mit einem Schlage. Die Wirte gelangen nicht mit einem Male zur Erkenntnis der Sachlage, sie [524] halten noch durch einige Zeit an manchen der Irrtümer fest, die die Kreditausweitung hat entstehen lassen. Man trennt sich schwer von Illusionen. Je größer die psychischen Widerstände sind, die der zutreffenden Erfassung der Marktlage entgegenwirken, desto langsamer geht der Anpassungsprozess vonstatten. Über die Dauer, die er benötigt, lässt sich keine nationalökonomische Aussage machen.

Ein Stück des Anpassungsprozess ist auch die Stärkung der Kassenhaltung. Solange man der Meinung war, dass die Preise immer weiter steigen werden, schien es klug zu sein, die Kassenstände niedrig zu halten und sich so reichlich als möglich mit Ware zu versorgen. Dass diese Auffassung vorherrschte, hat die Aufwärtsbewegung der Preise beträchtlich beschleunigt und verstärkt. Nun beginnen die Preise zu fallen, und allgemein wird angenommen, dass sie noch weiter fallen werden. Da erscheint es nun vorteilhaft, vom Kaufen abzustehen und die Kassenreserven zu erhöhen.

Man hat daher immer im Verlaufe des Konjunkturabstiegs neue Kreditausweitung als Heilmittel empfohlen. Die Krise, meinte man, sei eine Deflationserscheinung; man müsse sie bekämpfen, indem man die Deflation durch entsprechend große Inflation kompensiert. Man mag die Folgen der Stärkung der Kassenhaltung als Deflation bezeichnen: doch man muss eben erkennen, das ein gewisses Ausmaß an Erweiterung der Kassenhaltung mit dem Anpassungsprozess notwendig verbunden ist. Es ist falsch, die Krise selbst als Deflationserscheinung anzusehen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Umschlag der Konjunktur durch Einstellung der weiteren Ausgaben zusätzlicher Umlaufsmittel bewirkt wurde. Wahrscheinlich hätte der Aufschwung noch für einige Zeit verlängert werden können, wenn die Banken ihre Kreditausweitungspolitik fortgesetzt hätten. Doch endlos hätte man den Aufschwung der Konjunktur durch Festhalten an der Kreditausweitung nicht verlängern können. Früher oder später muss es zum Zusammenbruch des durch die Kreditausweitung ausgelösten Aufschwungs kommen, und der Anpassungsprozess, den man Niedergang der Konjunktur nennt, wird umso schmerzlicher sein und umso mehr Zeit beanspruchen, je länger die Kreditausweitung fortgesetzt worden war und je größer der Umfang der durch sie bewirkten Kapitalfehlleitung gewesen ist.

Man pflegt bei der Befürwortung der Redeflationspolitik folgendermaßen zu argumentieren: Hier sind Werke und Anlagen, deren Erzeugungsfähigkeit nicht oder nur zum Teil ausgenützt wird, Warenvorräte, die keine Käufer, und Arbeiter, die keine Arbeit finden können; dort wieder sind Verbraucher, [525] die gewiss bereit wären, mehr zu verzehren. Das, woran es fehlt, sei allein der Kredit. Zusätzliche Kreditmittel würden den Unternehmern die Möglichkeit bieten, zu produzieren. Die Arbeitslosen würden Beschäftigung finden und könnten als Käufer der Produkte auftreten. Der Gedankengang ist außerordentlich bestechend, er ist aber dennoch falsch.

Wenn Waren keine Käufer und Arbeiter keine Arbeit finden, dann kann das nur einen Grund haben: die geforderten Preise und Löhne sind zu hoch. Wer seine Ware oder Arbeit verkaufen will, muss seine Ansprüche so lange ermäßigen, bis er einen Abnehmer gefunden hat. Das ist das Gesetz des Marktes; das ist das Mittel, durch das der Markt die Produktion in die Bahnen lenkt, auf denen sie den Bedürfnissen der Verbraucher am besten zu dienen vermag. Die Kapitalfehlleitung des Aufschwungs hat bewirkt, dass Anlagen errichtet wurden, deren Errichtung Vernachlässigung dringlicheren Bedarfs zur Folge hatte. Der Überinvestition in einer Anzahl von Produktionszweigen steht Unterinvestition in anderen Produktionszweigen und Betrieben gegenüber. Um diese Disproportionalität zu beheben, muss Kapital neu gebildet und den Verwendungen zugeführt werden, wo es die dringlichsten Bedürfnisse zu befriedigen vermag. Das braucht Zeit, und während dieser Zeit können die komplementären Produktionsanlagen nicht voll ausgenützt werden, auch wenn die Erwartung, dass sie später einmal wieder vollausgenützt werden, berechtigt sein mag. Man pflegt immer darauf hinzuweisen, dass es auch unausgenützte Anlagen zur Erzeugung von Produktionsmitteln geringen spezifischen Charakters gibt. Deren Nichtausnützung zeige, meint man, dass die Stagnation nicht auf Disproportionalität in der Besetzung der verschiedenen Produktionszweige zurückzuführen sei; ihre Produkte könnten doch für alle denkbaren Zwecke verwendet werden. Auch das ist falsch. Wenn die Eisenwerke, Kupferwerke, Forstbetriebe nicht voll ausgenützt werden, so heißt das: der Markt kann zu den Preisen, die zumindest noch die variablen Produktionskosten decken, nicht ihre ganze Erzeugung aufnehmen; da die variablen Produktionskosten immer nur Löhne und Produktpreise sein können, von den Preisen dieser Produkte aber wieder das gleiche gilt, bedeutet das in letzter Linie doch wieder nur, dass die Löhne zu hoch sind, um allen Arbeitern Beschäftigung zu geben und alle Werke so weit auszunützen, als es die Notwendigkeit, die Arbeiter nicht dringenderer Verwendung zu entziehen, zulässt.

Aus dem Zusammenbruch des Konjunkturaufstiegs führt nur ein Weg zurück in die Wirtschaft, die durch fortschreitende [526] Kapitalbildung steigende Wohlfahrt schafft: man muss durch Einsatz neu zu bildenden Kapitals das Verhältnis in der Kapitalausstattung der einzelnen Produktionszweige herstellen, das der auf dem Markte aufscheinenden Nachfrage der Verbraucher entspricht. Man muss durch Sparen die Mittel beschaffen, um die Lücken in der Kapitalausstattung der im Aufstieg vernachlässigten Produktionszweige auszufüllen. Die Löhne müssen sinken, die Massen müssen ihren Verbrauch einschränken, bis das durch Fehlleitung verschwendete Kapital wieder ersetzt wurde.

Wenn man in den Anpassungsprozess durch neue Kreditausweitung eingreift, verzögert man ihn, wenn man nicht gar einen neuen Aufschwung mit allen seinen unausbleiblichen Folgen auslöst.

Der Anpassungsprozess wird durch die seelischen Wirkungen der schweren Enttäuschung, die die Wirte erfahren haben, wesentlich verzögert. Auf der einen Seite will man die Illusionen, denen man sich im Aufstieg der Konjunktur hingegeben hat, nicht ganz aufgeben. Die Unternehmer versuchen Geschäfte fortzusetzen, die sich als unrentabel erweisen und daher fortlaufend Verluste bringen; sie verschließen sich einer Erkenntnis, die ihnen zu schmerzlich ist. Die Arbeiter wollen ihre Lohnforderungen nicht so weit herabsetzen, als es die Lage des Marktes verlangt; sie suchen der Notwendigkeit, ihre Lebenshaltung herabzusetzen und Berufs- und Ortswechsel vorzunehmen, so lange auszuweichen, als es nur irgendwie geht. Auch dort, wo die Obrigkeit nicht durch Eingriffe den Anpassungsprozess aufzuhalten trachtet, wird er durch institutionelle Faktoren vielfach gehemmt. Die Panik, die die Krise einzuleiten pflegt, bringt eine seelische Erschütterung, deren Folgen nur durch Zeitablauf überwunden werden können. Die Entmutigung ist umso allgemeiner und stärker, je größer die Zuversicht gewesen ist, die der Aufschwung ausgelöst hatte. Sie ist unter Umständen in der ersten auf den Umschwung folgenden Zeit so schwer, dass selbst eine neue Kreditausweitung sie nicht beheben könnte; die Unternehmer und Kapitalisten haben so sehr Vertrauen und Selbstvertrauen eingebüsst, dass sie nichts Neues zu unternehmen wagen, selbst wenn die Marktlage, dank neuer Bereitschaft der Banken, den Kredit auszuweiten, günstige Aussichten bietet. Doch wenn die Unternehmer von den angebotenen Krediterleichterungen Gebrauch machen, dann kann es wieder zu nichts anderem kommen als zu einem Konjunkturanstieg, der unabwendbar wieder in den Abstieg münden muss.

[527]

A. Die Rolle der unbeschäftigten Produktionsmittel im Anfangsstadium des Aufschwungs

Auch wenn wir von den Verhältnissen im Verlaufe des auf die Kreditausweitungshausse folgenden Anpassungsprozesses absehen, finden wir im Wirtschaftsablauf stets unverkaufte Warenvorräte, die über jenes Maß hinausgehen, das aus technischen Gründen auf Lager gehalten werden muss, unbeschäftigte Arbeiter und unausgenützte Produktionskapazität von Anlagen. Darin, dass sie nicht im Gleichgewichtsstand der gleichmäßigen Wirtschaft ist, unterscheidet sich die wirkliche, die lebendige, die sich verändernde Wirtschaft von dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft. In der lebendigen Wirtschaft besteht die Tendenz zur fortschreitenden Annäherung an den Gleichgewichtszustand; doch das Auftreten von neuen Datenänderungen verhindert die Erreichung dieses Zustandes, der erst erreicht wäre, wenn jedes Teilchen von Kapital und Arbeit so beschäftig wäre, dass keine denkbare und vollziehbare Änderung seiner Verwendung eine Verbesserung der Bedürfnisbefriedigung bringen könnte.

Die Nichtausnützung der vollen Produktionskapazität von Kapitalanlagen, die nicht umgelenkt werden können, erklärt sich aus Fehlern der Vergangenheit. Man hat Investitionen gemacht unter Annahmen, die sich als ungerechtfertigt erwiesen haben; der Markt verlangt anderes als das, was ihm von diesen Anlagen geliefert werden kann. [232] Die Anhäufung von Warenvorräten und die Arbeitslosigkeit von Arbeitskräften ist Spekulation. Der Eigentümer will die Waren nicht zu dem Preis verkaufen, den er heute erhalten könnte, weil er hofft, später einen höheren Preis zu erzielen. Der Arbeiter will weder Orts- oder Berufswechsel vornehmen, noch seine Lohnforderung ermäßigen, weil er hofft, die Arbeit, die er vorzieht, an dem Orte, den er vorzieht, mit höherem Lohn zu finden. Beide, Vorratsbesitzer und Arbeitslose, weigern sich, sich der Marktlage von heute anzupassen, weil sie auf das Auftreten neuer Daten hoffen, die die Marktlage zu ihren Gunsten verändern soll. Weil sie sich der Marktlage nicht anpassen, hat das Wirtschaftsgefüge noch nicht den Gleichgewichtsstand erreicht.

Das, was fehlt, um die unausgenützte Erzeugungsfähigkeit voll auszunützen, die Vorräte zu Preisen, die die Eigentümer als ausreichend ansehen, abzusetzen und die Arbeitslosen Arbeit um Lohn, mit dem sie sich zufrieden geben, finden zu lassen, ist, nach Meinung der Befürworter der Kreditausweitung, nur zusätzlicher Kredit, den die Kreditausweitung beschaffen könnte. Diese Auffassung, die allen Plänen zugrunde liegt, die, in dem Kraftfahrwesen entlehnter Ausdrucksweise, von «Ankurbelung» der Wirtschaft und von «Initialzündung» sprechen, wäre für die Warenvorräte und für die Arbeitslosen unter zwei Voraussetzungen richtig: wenn die durch die zusätzliche Umlaufsmittelmenge bewirkte Preissteigerung sich gleichmäßig und gleichzeitig allen übrigen Preisen und Löhnen gegenüber durchsetzen würde, und wenn die Besitzer der übernormalen Warenvorräte und die Arbeitslosen ihre Preis- und Lohnforderungen [528] nicht erhöhen würden, so dass das Austauschverhältnis zwischen diesen Waren und Diensten und den übrigen Waren und Diensten so verändert wird, wie es sich heute durch Herabsetzung der Ansprüche verändern müsste, damit Käufer für diese Waren und Dienste gefunden werden.

Am Ablauf der Hausse wird durch den Umstand, dass vor ihrem Beginn nichtausgenützte Produktionskapazität, unverkaufte Vorräte und Arbeitslose vorhanden sind, nichts Wesentliches geändert. Wir wollen etwa annehmen, dass es sich um Kupferbergwerke, Kupfervorräte und Arbeiter von Kupferbergwerken handelt. Der Kupferpreis hat einen Stand, bei dem eine Anzahl von Bergwerken ihre Produktion nicht mehr rentabel betreiben können; die Arbeiter, die sie beschäftigt haben, müssen, wenn sie nicht den Beruf wechseln wollen, feiern, und die Besitzer von Vorräten können nur einen Teil davon verkaufen, wenn sie nicht mit einem niedrigeren Preis vorliebnehmen wollen. Was fehlt, um den unbeschäftigten Bergwerken und den feiernden Arbeitern Vollbeschäftigung zu geben und die Abstoßung der Vorräte ohne Preissturz zu erlauben, ist ein Zuwachs p an Kapitalgütern, der eine solche Ausdehnung der Produktion erlauben würde, dass eine entsprechende Steigerung des Kupferpreises und Kupferabsatzes folgt. Wenn nun dieser Zuwachs p nicht erfolgt, durch Kreditausweitung jedoch die Unternehmer veranlasst werden, so vorzugehen, als ob er erfolgt wäre, dann werden zunächst die Wirkungen für den Kupfermarkt so eintreten, als ob p wirklich zugewachsen wäre. Doch alles, was von den Wirkungen der Kreditausweitung früher gesagt wurde, tritt auch in diesem Fall ein. Der einzige Unterschied ist der, dass die Kapitalfehlleitung, soweit Kupfer in Betracht kommt, nicht erst durch Herausziehen von Kapital und Arbeit aus anderer, bei dem gegebenen Stande der Versorgung von den Verbrauchern als dringender angesehenen Produktion vorsichgeht. Doch das hat seinen Grund allein darin, dass soweit Kupfer in Betracht kommt, die Kreditausweitungshausse auf ein Stück bereits früher geschehener Kapital- und Arbeitsfehlleitung stößt, das durch den im Zuge befindlichen Anpassungsprozess noch nicht getilgt war.

Man erkennt somit, was für eine Bewandtnis es mit der Berufung auf die unausgenützte Produktionskapazität, die unverkauften — oder, wie man ungenau sagt, unverkäuflichen — Vorräte und die unbeschäftigten Arbeiter hat. Der Beginn einer jeden Kreditausweitung stößt auf solche noch nicht angepasste Reste älterer Kapitalfehlleitung und «saniert» sie scheinbar. In der Tat aber handelt es sich dabei um nichts anderes als um die Störung von im Zuge befindlichen Anpassungsprozessen. [233] Das Vorhandensein unbeschäftigter Produktionsmittel erschüttert nicht die Schlüssigkeit der Gedankengänge der Zirkulationskredittheorie des Konjunkturwechsels. Wenn die Befürworter der Kreditausweitung im Hinblick auf diese unbeschäftigten Produktionsmittel meinen, dass die Unterdrückung aller Möglichkeiten der Kreditausweitung die Depression verewigen würde, sind sie in Irrtum befangen. Die von ihnen empfohlenen Maßnahmen würden nicht die gute Konjunktur verewigen, sondern den Anpassungsprozess und die Gesundung immer wieder stören.

[529]

B. Bemerkungen über Versuche, den Konjunkturwechsel nicht monetär zu erklären

Betrachtet man die Versuche, den Konjunkturwechsel anders zu erklären als durch die Gedankengänge der Zirkulationskredittheorie, dann muss man das Augenmerk vor allem auf einen Umstand richten, dem die dogmengeschichtliche und dogmenkritische Behandlung bisher kaum Beachtung- geschenkt hat.

Es hat Schriftsteller gegeben, die den Zins einfach als Vergütung für die Zurverfügungstellung von Geld ansehen wollten; sie kamen dann zu dem Schluss, dass eine Beseitigung der Knappheit an Geld und Kredit auch zur Beseitigung des Zinses, d.h. zur Unentgeltlichkeit des Kredits, führen müsste. Wenn man das Wesen des Urzinses erkannt hat und wenn man daher diese Auffassung verwirft, dann drängt sich ein Problem auf, dessen Lösung man nicht ausweichen darf: zusätzliches Angebot an Kredit, das durch Vermehrung der Geldmenge oder der Umlaufsmittelmenge ausgelöst wird, drückt den Marktzinsfuss zunächst herab. Wenn der Zins nicht bloß eine monetäre Erscheinung ist und daher durch keine noch so starke Vermehrung der Geldmenge dauernd gesenkt oder gar beseitigt werden kann, dann muss die Nationalökonomie die Frage beantworten, auf welchem Wege sich der der Lage der nichtmonetären Daten entsprechende Stand des Zinses wieder einstellt; sie muss zeigen, wie die durch die Veränderung des Geldstandes bewirkte Abweichung von dem durch die Marktdaten bedingten Stand des Zinses wieder behoben wird. Denn wenn sie das nicht zu leisten vermag, dann würde sie zugeben, dass der Zins eine monetäre Erscheinung ist, die im Gefolge monetärer Veränderungen unter Umständen auch ganz verschwinden könnte.

Für die nichtmonetären Konjunkturtheorien ist die Erfahrungstatsache, dass es Krisen gibt, das Primäre. Ihre Vertreter sehen in ihrem System der katallaktischen Abläufe zunächst nichts, was dieses Faktum — diese «Störung» — erklären könnte. Sie suchen nach den Ursachen einer Störung, um sie dann ihrem System als Konjunkturlehre anzuflicken.

Für die monetäre Theorie liegt die Sache anders. Die moderne Geldtheorie hat mit allen Vorstellungen, denen vermeintliche Neutralität des Geldes zugrundeliegt, aufgeräumt und hat gezeigt, dass in der Marktwirtschaft Kräfte wirksam sind, über die eine Theorie, die von der Triebkraft des Geldes nichts weiß, nichts zu sagen hat. Das System der Katallaktik, dass diese Erkenntnis einschließt, drängt notwendig zu der Fragestellung hin, wie Veränderungen des Geldstandes auf die Zinsgestaltung zunächst (in the short run) und endlich (in the long run) wirken. Das System wäre lückenhaft, wenn es diese Frage nicht beantworten könnte, und es wäre widerspruchsvoll, wenn es sie anders beantworten wollte als durch eine Erklärung, die zugleich den Ablauf der Konjunkturen erklärt. Auch wenn es nie Umlaufsmittel und Zirkulationskredit gegeben hätte, hätte die moderne Katallaktik das Problem der Beziehungen zwischen Veränderungen des Geldstandes und Zinsgestaltung aufwerfen und lösen müssen.

Wer den Konjunkturwechsel anders erklären will als die Zirkulationskredittheorie, kommt daher ohne Zuhilfenahme der Überlegungen dieser Theorie nicht nur darum nicht aus, weil man allgemeine Preissteigerung, die nicht durch allgemeinen Rückgang der Produktion und des Angebots an Kaufgütern [530] ausgelöst wurde, nicht ohne Vergrößerung des Geldangebots (im weiteren Sinne) zu denken vermag. Er muss auch auf die monetäre Theorie zurückgreifen, wenn er die Frage beantworten will, wie eine auf dem Darlehensmarkte auftretende zusätzliche Geldmenge auf die Zinsgestaltung wirkt. Kein Nationalökonom kann sich der Anerkennung der Gedankengänge der Zirkulationskredittheorie verschließen, es sei denn, er wäre bereit, im Zins nichts als eine monetäre Erscheinung zu erblicken. Keine Kritik war daher imstande, die Grundlagen der Zirkulationskredittheorie zu berühren, geschweige denn zu erschüttern.

Die Unzulänglichkeit der nichtmonetären Konjunkturtheorien tritt am deutlichsten zutage in den Disproportionalitätstheorien. Allen diesen Lehren ist das eigentümlich, dass sie die Krise aus irgendwelchen Störungen in der Anpassung der Produktion an die Gestaltung der Nachfrage zu erklären suchen. Doch solche Störungen größeren und geringeren Umfangs treten in der lebenden Wirtschaft täglich auf; ihr Auftreten unterscheidet die wirkliche Wirtschaft von dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft und eröffnet das Feld für das Wirken der Unternehmer, das darauf gerichtet ist, die Anpassung wiederherzustellen. Wer den Konjunkturwechsel erklären will, muss zeigen können, unter welchen Bedingungen dem auf die Behebung solcher Unstimmigkeit gerichteten Handeln der Unternehmer der Erfolg versagt bleibt.

Die modernste Spielart der Disproportionalitätstheorien, die Accelerationstheorie, meint, dass eine vorübergehende Steigerung der Nachfrage nach einigen Kaufgütern zu Erweiterung der Erzeugung führe. Stellt sich dann später heraus, dass für das größere Angebot kein Absatz zu entsprechenden Preisen zu finden ist, dann erweisen sich die Neuanlagen als Kapitalfehlleitung. Solche Fehlleitung spiele eine besonders große Rolle in der Herstellung von Produktionsmitteln mit längerer Nutzdauer. Wenn die Nachfrage nach einem Genussgut a um 10 % steigt, werden die Erzeugungsanlagen um 10 % erweitert werden. Das bedeute eine umso stärkere prozentuelle Steigerung der Nachfrage nach den für die Ausrüstung dieser Anlagen erforderlichen Gütern p , je länger die Nutzdauer von p ist und je geringer daher die jährliche Nachfrage nach p zum Ersatz der abgenützten p war. Wird diese Nutzdauer mit 10 Jahren angenommen, dann ist die jährliche Ersatznachfrage 10 % des Gesamtbestandes an p gewesen; die 10 %ige Steigerung der Nachfrage nach a verdoppelt die frühere Nachfrage nach p und führe zu Verdoppelung der bestehenden Anlagen zur Erzeugung von p . Bleibt dann später das jährliche Wachstum der Nachfrage nach a hinter 10 % zurück, so könne für die erweiterten Anlagen keine volle Verwendung gefunden werden. Wenn die Nachfrage nach a nur noch um 5 % steigt, dann bedeute das einen Rückgang der Nachfrage nach p um 25 % des Höchststandes. [234]

Der erste Fehler dieser weitverbreiteten Auffassung liegt darin, dass sie die Unternehmertätigkeit als zwangsläufige Reaktion auf die augenblickliche Gestaltung der Nachfrage ansieht. Wenn die Nachfrage steigt und die Unternehmer höhere Gewinne erzielen, werde sofort zu Erweiterung der Produktionsanlagen geschritten. Diese Behauptung ist unhaltbar. Unternehmer irren oft und büßen ihre Irrtümer durch Verluste. Doch wer so vorgehen wollte, wie die [531] Accelerationstheorie es ausmalt, wäre kein Unternehmer, sondern ein Automat. Der Unternehmer ist jedoch ein Spekulant, [235] der auf Grund der Meinung, die er sich über die künftige Gestaltung der Marktlage gebildet hat, die Gelegenheit zu gewinnversprechenden Geschäften wahrzunehmen sucht. Es gibt für diese Erfassung der Verhältnisse einer unbekannten Zukunft keine Regeln und kein System; man kann sie weder lehren noch erlernen. Wäre es anders, dann könnte jeder mit dem gleichen Aussicht auf Erfolg als Unternehmer auftreten. Was den Unternehmer von den übrigen Wirten unterscheidet, ist gerade, dass er sich in seinem Handeln nicht durch das bestimmen lässt, was war und ist, sondern allein durch das, was seiner Meinung nach sein wird. Er sieht, wie alle übrigen Menschen, die Vergangenheit und die Gegenwart; doch er sieht die Zukunft anders als sie. Den Antrieb zum Handeln gibt ihm seine, von den Meinungen seiner Mitbürger abweichende Erwartung über die Gestaltung der Zukunft. Dass er von der Zukunft eine andere Auffassung hat als die Mitmenschen, dass er die Produktionsmittel anders bewertet, als sie sie bewerten, scheint ihm eine Quelle von Gewinnen zu erschließen, die er nutzen will. Wenn die heutige Preisgestaltung bestimmter Produkte den Unternehmern, die sie schon heute verkaufen können, reiche Gewinne bringt, wird das nur dann zu Erweiterung der Produktion durch zusätzliche Investition führen, wenn Unternehmer der Meinung sind, dass die günstige Marktlage so lange anhalten wird, dass die neuen Anlagen sich als gewinnbringend erweisen werden. Wenn dies nicht erwartet wird, wird auch günstiger Geschäftsgang der bestehenden Unternehmungen keine Ausweitung der Produktion bewirken können.

Dass einzelne Unternehmer falsch spekulieren und daher Fehlinvestitionen machen, kommt. immer vor. Doch das ist nicht das Problem, das die Konjunkturtheorie zu lösen hat. Sie hat es mit dem allgemeinen Aufschwung aller Geschäfte, mit dem alle Zweige der Produktion umfassenden Drang nach Erweiterung der Produktion und mit dem darauf folgenden allgemeinen Niedergang zu tun. Diese Erscheinungen kann man nicht daraus erklären, dass eine Steigerung des Absatzes in einem Produktionszweig zu überproportionaler Steigerung der Anlagen führe, die die für diese Produktion erforderliche Ausrüstung herstellen.

Selbst wenn wir annehmen, dass die Unternehmer so vorgehen wollen, wie die Accelerationstheorie es beschreibt, wäre nicht abzusehen, wie sie ohne Kreditausweitung die Neuinvestitionen durchführen könnten. Ihr Auftreten müsste den Marktzins und die Preise der komplementären Produktionsmittel in die Höhe treiben; die Expansionsbestrebungen würden damit sehr schnell abgebremst werden.

Man hat noch nichts zur Erhellung der Verursachung der Konjunkturveränderungen beigetragen, wenn man feststellt, dass ein im Verhältnis zu den verfügbaren Kapitalgütern übergroßes Maß von Investitionen zur Krise führe. [236] Das, was der Erklärung bedarf, ist, wie es zu solcher Überspannung [532] der Investitionstätigkeit kommen kann, und warum das durch sie ausgelöste Steigen des Darlehenszinses, der Produktionsmittelpreise und der Löhne sie nicht schon im Keime erstickt. Auf diese Fragen kann nur die Zirkulationskredittheorie eine befriedigende Antwort geben.

 


 

8. KAPITEL: ARBEIT UND LOHN

I. Innenarbeit und Außenarbeit

Der Zweck der Überwindung von Arbeitsleid (des Verzichts auf Muße) kann verschieden sein:

a) Die Arbeit wird zur Kräftigung, Ertüchtigung und Gesundung des eigenen Körpers und Geistes nur um der Kraft, Tüchtigkeit und Gesundheit willen geleistet. Arbeitsleid wird dabei nicht etwa in Kauf genommen, um diese und ähnliche Ziele zu erreichen; in der Überwindung des Arbeitsleids selbst sucht und findet man Befriedigung. Wichtigste Beispiele: der echte Sport, der ohne Hinter- und Nebengedanken betrieben wird; alles Bildungsstreben, dass nur auf das Erkennen [237] allein gerichtet ist und nicht etwa auf die Erhöhung der Leistungsfähigkeit für Arbeit, die anderen Zielen dienen soll.

b) Die Überwindung des Arbeitsleids erfolgt im Dienste Gottes als Opfer oder Askese. Man nimmt das Leid auf sich, weil man im Ertragen von Leid ein Mittel sieht, um die Gunst der Gottheit zu erlangen. Das Opfer wird Gott gebracht, damit er es im Jenseits durch Gnade lohne und schon auf Erden das Glück und die friedenbringende Seligkeit des Gemütes schenke. (Wo nicht dies von der Askese und vom Opfer erhofft wird, sondern Wohlergehen auf Erden, das tägliche Brot und die Bewährung durch Erfolg in den Geschäften der Welt, ist die der Gottheit gewidmete Arbeit nicht anders anzusehen als jede andere auf die Erreichung irdischer Ziele gerichtete Arbeit. Ob die Theorie, die dem Handeln dieser Art zugrundeliegt, richtig ist und ob die Erwartungen, die der Handelnde hegt, sich erfüllen, geht die Nationalökonomie nichts an.)[238]

[533]

c) Man sucht in der Arbeit und im Arbeitsleid größerem Leid zu entkommen. Man arbeitet, um zu vergessen, um sich selbst zu entrinnen, um schweres Unbehagen verschiedener Art zu verscheuchen; d.h. man spielt in raffinierter Weise. Man hat dieses raffinierte Spielen vom einfachen Spielen der Tiere und der Kinder, das nur Lust erweckt, genau zu unterscheiden. (Nicht jedes Kinderspiel ist einfaches Spielen. Auch die Kinder sind schlau genug, raffinierte Spiele zu ersinnen.)

d) Die Arbeit der Klassen a , b und c wird geleistet, weil das Arbeitsleid selbst befriedigt. Die Arbeit wird nicht um des Zieles willen geleistet, das am Ende des Weges liegt, sondern um des Wanderns willen. Der Bergsteiger will nicht den Gipfel erklimmen, er will klettern; er verschmäht die Bergbahn, die ihn ohne Anstrengung auf den Gipfel tragen würde, auch dann, wenn die Ausgaben, die ihm die Benützung der Bergbahn auferlegen würde, weit niedriger sind als die Kosten des Aufstiegs (z. B. Führerlohn). Das Steigen bringt nicht unmittelbaren Arbeitsgenuss, sondern Arbeitsleid. Doch gerade in der Überwindung dieses Arbeitsleids sucht er die Befriedigung. Eine Besteigung, die weniger anstrengend wäre, würde ihn nicht mehr, sondern weniger befriedigen.

Die Arbeit der Klasse d wird dagegen nicht geleistet, weil sie Arbeitsleid schafft, sondern obwohl sie Arbeitsleid bringt. Das Arbeitsleid wird in Kauf genommen um eines Zieles willen, das außerhalb des Arbeitsleids gesucht wird. Nur mit der Arbeit dieser Art haben wir es in der Nationalökonomie zu tun.

Es kann vorkommen, dass Arbeit der Klassen a , b und c , die wir als Innenarbeit zusammenfassen wollen, auch Ergebnisse bringt, die sie zur Einreihung in die Klasse d , die wir Außenarbeit nennen wollen, geeignet erscheinen ließe. Wenn jemand als Sport Holz zerkleinert, wenn der Asket um Gotteslohn Kranke pflegt oder wenn jemand Zerstreuung und Vergessen im Kraftwagenlenken oder im Basteln sucht, so mag — als Nebenprodukt gewissermaßen — ein Ergebnis abfallen, das auch aus anderen Gründen als wegen der Befriedigung, die der Arbeitende in der Überwindung des Arbeitsleids findet, angestrebt werden würde.

Die Nationalökonomie, die sich nur mit der Außenarbeit zu befassen hat, hat die unmittelbaren Arbeitsgenuss bringende Arbeit und die Innenarbeit nur insoweit zu beachten, als sie das Angebot an Außenarbeit zu beeinflussen vermögen. Dass das Angebot an Arbeit bestimmter Art auf diese Weise unter bestimmten Umständen (in freilich nur geringfügiger Menge) erhöht werden kann, ist dabei allein für sie von Bedeutung, nicht aber etwa die psychologischen Probleme, die unmittelbarer [534] Arbeitsgenuss und Innenarbeit bieten. Im Lichte der Nationalökonomie gesehen, ist die Innenarbeit dem Verbrauche gleichzustellen. Man beachte, dass für die Zwecke, denen sie dient, nicht nur eigene Arbeit und eigenes Arbeitsleid des Handelnden aufgewendet werden, sondern in der Regel auch Sachgüter und fremde Arbeit, die vergütet werden muss. Die Leibesübung erfordert Sportgerät und Sportlehrer, der Gottesdienst Sakralgebäude- und Geräte, Opfergegenstände, Priester und Kirchendiener, das raffinierte Spiel Spielgerät verschiedener Art. Alle diese Aufwendungen werden als Verbrauch angesehen, und so ist auch die Innenarbeit der Verbrauchsphäre zugehörig.

II. Arbeitsfreude und Arbeitsqual

Die Arbeit, mit der wir es in der Nationalökonomie allein zu tun haben, ist die arbeitsleidbringende Außenarbeit. Sie wird um des mittelbaren Arbeitsgenusses, der in der Erreichung eines außerhalb der Arbeit und des durch sie erweckten Leids liegenden Zweckes erblickt wird, geleistet. Gearbeitet wird um des Ertrages und des Lohnes willen. Die Arbeit erweckt Arbeitsleid. Doch neben dem Arbeitsleid, das als lästig empfunden wird und um dessentwillen mit der Arbeit auch dann gewirtschaftet werden würde, wenn die menschlichen Kräfte nicht beschränkt wären und der Einzelne ein unbegrenztes Maß von Arbeit zu verrichten imstande wäre, gehen mitunter besondere Affekte, Arbeitsfreude und Arbeitsqual, einher.

Beide, Arbeitsfreude und Arbeitsqual, liegen auf einer anderen Ebene als das Arbeitsleid. Die Arbeitsfreude kann daher das Arbeitsleid weder mindern noch aufheben. Sie ist eine Begleiterscheinung der Arbeit, die auch nichts mit unmittelbarem Arbeitsgenuss zu tun hat, sondern bald an den regulären mittelbaren Arbeitsgenuss, an den Ertrag oder Lohn der Arbeit, anknüpft, bald mit Nebenwirkungen der Arbeit verbunden ist, die eine Art von irregulärem mittelbaren Arbeitsgenuss liefern. Die Arbeit wird nicht. der Arbeitsfreude wegen geleistet, sondern des mittelbaren Arbeitsgenusses wegen, obwohl sie an sich Arbeitsleid schafft. Die Arbeitsfreude setzt meist geradezu den Tatbestand des Arbeitsleids und seiner Überwindung um des Lohnes willen voraus.

Die Quellen der Arbeitsfreude sind :

a) Die Aussicht auf den mittelbaren Arbeitsgenuss, auf den Erfolg und Ertrag der Arbeit, auf den Lohn. Die Arbeit erfreut als Mittel zu einem angestrebten Zweck, der Fortgang der Arbeit erfreut als Fortschritt auf dem Weg zu einem Ziel. Die [535] Arbeitsfreude ist Vorfreude, Vorwegnahme der Befriedigung, die im mittelbaren Arbeitsgenuss liegt. Im gesellschaftlichen Gefüge äußert sich diese Freude in der Genugtuung darüber, dass man imstande ist, im Rahmen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit seinen Mann zu stellen und eine von den Mitmenschen gewürdigte, weil durch Entlohnung erfolge sie nun in der Form von Preiszahlung für das Arbeitsergebnis oder in der Form von Arbeitslohn — anerkannte Funktion zu erfüllen. Der Arbeiter findet Befriedigung im Bewusstsein, sich und seine Angehörigen erhalten zu können, im Bewusstsein, sein Leben nicht von der Gnade und der Barmherzigkeit seiner Mitmenschen abhängig zu wissen, sondern es seiner eigenen Kraft zu verdanken.

b) Im Fortgang der Arbeit bestaunt der Arbeiter die Naturgesetzlichkeit, der er arbeitend gehorcht, und die Kraft des menschlichen Geistes, der es versteht, der Natur seinen Willen aufzuzwingen, indem er sich ihren Gesetzen gemäss verhält. Es ist ästhetische Freude am Schaffen und ästhetisches Genießen des Werks, doch nicht die Freude dessen, der bloß beschaut, was andere vollbracht, sondern die höhere Freude dessen, der sich sagen darf: das kann ich und das leiste ich, das ist mein Werk.

c) Nach Vollendung der Arbeit genießt der Arbeiter die Genugtuung, das Arbeitsleid, alle Mühe und Plage, erfolgreich überwunden und überstanden zu haben. Er ist befriedigt, weil er Schweres und Leidvolles hinter sich gebracht hat. Er hat das Hochgefühl des: Ich hab's vollbracht und vollendet.

d) Manche Arbeit befriedigt auch noch andere Gelüste. Es gibt Arbeiten, die erotische Wünsche — bewusste und unbewusste — befriedigen. Manche dieser Wünsche sind «normal», manche sind es weniger. Auch Fetischisten, Homosexuelle, Sadisten und Pervertierte anderer Art können im Arbeiten ein Feld zur Stillung ihrer Leidenschaften finden. Es gibt Berufe, die Menschen solcher Veranlagung besonders anziehen. Grausamkeit und Mordlust entwickeln sich nicht selten unter dem Schutze eines beruflichen Vorwandes.

Die verschiedenen Arten von Arbeit bieten, auch wenn wir von der Arbeitsfreude der Klasse d absehen, verschiedene Bedingungen für die Entfaltung von Arbeitsfreude. Am gleichmäßigsten werden wohl die Bedingungen für die Klassen a und c liegen. Für die Klasse b dürften sie stärker differenziert sein.

Die Arbeitsfreude kann auch ganz fehlen; seelische Faktoren vermögen sie auszuschalten. Anderseits kann man durch psychische Einwirkung versuchen, die Arbeitsfreude zu heben.

[536]

Kluge Menschenkenner haben sich seit jeher bemüht, die Arbeitsfreude zu steigern. Ein gutes Stück der Leistungen der Heerführer und Heeresorganisatoren liegt auf diesem Gebiete. Sie hatten es meist nicht allzuschwer. Das «Waffenhandwerk» erschließt auch so schon die besondere Befriedigung, die Blutvergießen und Vergewaltigung von Mitmenschen dunklen Urinstinkten gewähren, und Schwertergeklirr und Sporengerassel sind wirksame Förderer erotischer Erfolge. Doch diese Freuden sind jedem Waffengebrauch eigen; auch der Krieger, der seinen Herrn im Stiche lässt und die Waffen gegen ihn im Dienste neuer Herren kehrt, genießt sie. So musste es zu einer besonderen Aufgabe des Kriegswesens werden, durch Erweckung von Korpsgeist und Fahnentreue ein Band zu knüpfen, das den einzelnen Söldner und ganze Abteilungen so bindet, dass sie gegen das verlockende Anbot günstigerer Bedingungen fest bleiben. Es gab freilich auch Armeen, die auf diese «Imponderabilien» verzichtet haben; in den Heeren und Flotten des 18. Jahrhunderts begnügte man sich damit, die Soldaten durch Prügel zum Verbleib bei den Fahnen zu zwingen.

Die moderne kapitalistische Großindustrie hat der Erweckung und Steigerung der Arbeitsfreude keine Beachtung geschenkt. Das schien ihr überflüssig. Die Fülle von Wohlfahrtszuwachs und die Befreiung von den Fesseln der landwirtschaftlich-feudalen und handwerksmäßig-zünftlerischen Arbeitsverfassung, die sie dem Arbeiter brachte, steigerte ohnehin die Arbeitsfreude. Die Nachkommen gedrückter darbender Knechte wurden nicht nur zu gleichberechtigten freien Bürgern; sie sahen ihre Lebenshaltung in fortschreitendem Aufstieg. Die moderne Großindustrie ist vor allem Erzeugung für den Bedarf der Massen. Der Verbrauch wuchs, die Sterblichkeit sank. Zum erstenmale in der Geschichte war der kleine Mann, der Handarbeiter und Handlanger, zum Nutznießer des gesellschaftlichen Wohlstands geworden. Ist er doch der Konsument, dem zu dienen die Großindustrie auf das eifrigste beflissen ist, wenn sie Märkte sucht und latenten Bedarf zu erwecken trachtet.

Da setzte die Propaganda der sozialistischen und gewerkschaftlichen Parteien ein. Sie suchte den Arbeiter darüber zu belehren, dass er sich auf dem Wege fortschreitender und unaufhaltsamer Verelendung befinde. Er werde durch Unternehmer und Kapitalisten um den größeren Teil des Ertrages seiner Arbeit gebracht, er werde ausgebeutet, unterdrückt und beraubt, er gehe zugrunde, während er andere reich macht. Das herrschende Wirtschaftssystem sei nichts als ein großes Unrecht am Arbeiter. Dieses verwünschte System müsse [537] vernichtet werden und einem andern Platz machen, in dem der Arbeiter alles Glück des Paradieses genießen werde.

Nichts stand dieser Propaganda mehr im Wege als die Freude, die dem Arbeiter seine Eingliederung in den kapitalistischen Produktionsprozess der Marktwirtschaft bereitete. Des Arbeiters Trachten war ganz darauf gerichtet, den schnellen und glänzenden Aufstieg der Arbeiterschaft zu Wohlstand, Kultur und bürgerlicher Freiheit mitzumachen. Nur wenige Arbeiter fühlen in sich den Antrieb, Unternehmer zu werden. Doch alle wollen ihre Stellung im Arbeitsprozesse möglichst verbessern. Die Arbeiter bejahten mit vollem Herzen die Gesellschaftsordnung, die ihnen täglich mehr bot. Sie grollten ihr nicht, sie wollten in ihr glücklich werden. Sie waren erfüllt von Idealen und Anschauungen, die der Marxist als «kleinbürgerlich» stigmatisierte. Doch es gelang schließlich, die Kampf- und Gewaltinstinkte dieser Schichten, die das Zeitalter «bürgerlicher Sekurität» hatte einschlafen lassen, zu neuem Leben zu erwecken. Es gelang, das «proletarische Klassenbewusstsein» und den «gewerkschaftlichen Geist» zu entzünden. Die neue Ideologie nahm dem Arbeiter die Arbeitsfreude, indem sie ihm die Arbeit und seine gesellschaftliche Stellung verekelte.

Wir wollen als Arbeitsqual die Gefühle bezeichnen, die das Gegenstück der Arbeitsfreude, gewissermaßen negative Arbeitsfreude, darstellen. Die Arbeitsfreude der Klassen a und b ist bis zu einem gewissen Grade von ideologischen Auffassungen und Überzeugungen bestimmt; den Arbeiter freut seine gesellschaftliche Stellung und seine aktive Mitwirkung im Rahmen des gesellschaftlichen Gefüges. Wenn man die Ideologie, auf der diese Freude beruht, in den Augen des Arbeiters entwertet und ihm mit Erfolg eine Ideologie empfiehlt, die die Arbeit als Fron im Dienste unmenschlicher Ausbeutung erscheinen lässt, verkehrt man die Arbeitsfreude in Arbeitsqual.

Es kann keiner Ideologie, sie mag noch so eindringlich vorgetragen werden, je gelingen, am Arbeitsleid etwas zu ändern. Man kann Arbeitsleid nicht wegdisputieren und nicht wegsuggerieren, man vermag es anderseits freilich durch Worte und Lehren auch nicht zu steigern. Arbeitsleid bleibt immer Arbeitsleid. Seine Lebenskräfte ungehemmt ausströmen zu lassen, sich frei auf den Gefilden der Erde umher zu tummeln, befriedigt besser als der Zwang der Arbeit. Auch der Arbeiter, der mit vollem Herzen, mit Begeisterung und selbst mit Aufopferung bei der Arbeit ist, empfindet das Arbeitsleid nicht weniger, als er es empfinden würde, wenn er den mittelbaren Arbeitsgenuss niedriger einschätzen würde; er sieht in der Arbeit ein Übel, weil sie Arbeitsleid bringt, sucht, wenn es den angestrebten [538] mittelbaren Arbeitsgenuss nicht gefährdet, die Arbeitsmenge herabzusetzen, um damit auch das Arbeitsleid zu mindern, und empfindet die Arbeitsfreude der Klasse c ohne Rücksicht darauf, ob er mehr oder weniger von der Arbeitsfreude der Klassen a und b empfunden hat.

Doch die Arbeitsfreude der Klassen a und b und selbst die der Klasse c können durch ideologische Einwirkungen zum Verschwinden gebracht und selbst durch Arbeitsqual ersetzt werden. Die Arbeit wird zur Qual, wenn man glaubt, man überwinde das Arbeitsleid nicht freiwillig, um einen Erfolg zu erzielen, den man höher wertet als das Freisein von Arbeitsleid, sondern dass man durch eine ungerechte Gesellschaftsordnung gezwungen werde, für das Wohl anderer, der Ausbeuter, die Fron des Arbeitsleids auf sich zu nehmen.

Die Arbeitsfreude der Klassen a und c entspringt in letzter Linie der Einsicht, dass doch das Freisein von Arbeitsleid niedriger bewertet wird als der Erfolg und Ertrag der Arbeit; der Arbeiter findet sich mit der Tatsache ab, dass nun einmal auf dieser Erde Erfolge nur durch Plage erreicht werden können. Die Propaganda der Gegner der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung hat dem Arbeiter diese Einsicht wieder genommen. Der moderne Gewerkschaftsgenosse glaubt, dass der Kapitalismus allein daran schuld sei, dass er Arbeitsleid erdulden müsse. Die kommende Gesellschaftsordnung des Sozialismus und Kommunismus, die er mit herbeiführen will, wird so beschaffen sein, dass die Arbeit «aus einer Last eine Lust wird.» [239] Im Lichte dieser Auffassung wird die Arbeit dem Arbeiter zur unerträglichen Qual.

Arbeitsfreude und Arbeitsqual sind seelische Vorgänge, die das Handeln begleiten, mit ihm aber zunächst unmittelbar nichts zu tun haben. Wir können das verdeutlichen, wenn wir die seelischen Vorgänge beachten, die durch die Knappheit der ursprünglichen sachlichen Produktionsmittel hervorgerufen werden. Unsere Welt- und Naturauffassung lässt uns die Tatsache dieser Knappheit als unabänderliches Schicksal hinnehmen; wir klagen nicht ernstlich darüber, dass wir weder im Paradies noch im Schlaraffenland leben; wir sehen in den durch die Natur gezogenen Schranken unserer Entfaltungs- und Glücksmöglichkeiten kein Unrecht, das uns zugefügt wurde. Dass aber im Naturgeschehen eine Regel- und Gesetzmäßigkeit waltet, von der wir manches zu erkennen vermögen, und [539] dass wir dieses Wissen gebrauchen können, um unser Unbefriedigtsein teilweise zu beheben, erfüllt uns mit Genugtuung. Faust jammert nicht über die Ärmlichkeit und Nichtigkeit des Menschenschicksals; arbeitend und schaffend söhnt er sich mit dem Leben aus und genießt so den «höchsten Augenblick». Doch wenn diese Welt- und Naturauffassung durch eine andere verdrängt werden würde, der die Knappheit der ursprünglichen sachlichen Produktionsfaktoren nicht mehr als eherne unabänderliche Bedingung unseres Daseins erschiene, sondern als das teuflische Machwerk von Dämonen, die uns um unseren Anteil an den Gütern der Welt prellen, wenn wir in den unserem Wirken und Leben gezogenen Schranken nicht mehr das Walten der Natur, sondern den Ausfluss der Bosheit und Tücke von uns immerhin ähnlichen Wesen zu erkennen hätten, wenn wir in jedem Missgeschick, das uns trifft, die Hand solcher Unholde sehen würden, dann würde uns das mit Bitterkeit erfüllen. Wir könnten uns der Welt nicht freuen, die so verkehrt eingerichtet ist, wir würden den Unglückstag beweinen, der diese Dämonen in die sonst so vortreffliche Welt gesetzt hat. Wir würden nicht anders handeln können, als wir heute handeln, wir würden aber mit anderen Empfindungen auf die Welt und die Natur blicken.

So ist es auch mit dem Wegfall der Arbeitsfreude und ihrer Verdrängung durch Arbeitsqual. An der Arbeit. selbst und an der Beurteilung des Arbeitsleids und des Arbeitsertrags wird nichts geändert. Das Angebot an Arbeit und die Nachfrage nach Arbeit bleiben unverändert. Man nimmt ja das Arbeitsleid nicht wegen der Arbeitsfreude in Kauf, sondern wegen des mittelbaren Arbeitsgenusses. Was sich ändert, ist allein die gefühlsmäßige Stellung des Arbeiters zu seiner Arbeit und zur Gesellschaft, und in weiterer Folge seine Stellung zum Leben und zur Welt überhaupt. Eine Gesellschaft, in der die Arbeitsfreude durch die Arbeitsqual verdrängt wurde, ist eine Gesellschaft von unfrohen, verdrossenen und mit sich selbst zerfallenen Menschen.

Wie wenig die Arbeitsfreude den eigentlichen Arbeits- und Produktionsprozess selbst berührt, zeigt das Versagen der in sie gesetzten Erwartungen im sozialistischen Arbeitssystem. In den sozialistischen Experimenten, die die politischen Machthaber in Sowjet-Russland, im nationalsozialistischen Deutschland und im fascistischen Italien unternommen haben, hat man damit gerechnet, dass durch eindringliche Propaganda gezüchtete Arbeitsfreude die Unergiebigkeit der kollektivistischen Arbeitsmethoden wettmachen werde. Das Ergebnis war kläglich. Wo man der Arbeitsfreude eine Funktion im Arbeitssystem [540] zuweisen will, werden alle Bemühungen, sie hervorzurufen und zu steigern, zum eitlen Spiel.

Arbeitsfreude und Arbeitsqual können das Angebot von Arbeit nicht beeinflussen. Für Arbeitsfreude und Arbeitsqual, die mit jeder Art von Arbeit in gleicher Intensität verbunden sind, bedarf das wohl keiner näheren Beweisführung. Doch auch dort, wo die Arbeitsfreude von der besonderen Art. der Arbeit und von der besonderen Veranlagung des Arbeiters abhängt, so vor allem bei der Arbeitsfreude der Klasse d , ist sie für den Umfang des Arbeitsangebots belanglos. Wohl strömen solcher Arbeit Arbeiter zu, die für die besondere mit ihr verbundene Arbeitsfreude empfänglich sind; doch dieser Zustrom hat die Tendenz, den Lohn zu drücken und damit alle jene abzuwehren, die, weil sie für die besondere Arbeitsfreude dieser Klasse unempfänglich sind, lieber andere Arbeitsgelegenheiten aufsuchen, wo ihre Arbeit besser vergütet wird.

Arbeitsfreude und Arbeitsqual sind eben Gefühle und Empfindungen, die neben der Arbeit einhergehen, ohne auf die Schätzung des Arbeitsleids und des Arbeitslohns Einfluss zu üben.

III. Der Arbeitslohn

Im weiteren Sinne des Wortes hat man unter Arbeitslohn die in der Marktwirtschaft für Arbeit gezahlten Preise zu verstehen, gleichviel ob diese Preise mit dem Preis, der für das Produkt gezahlt wird, verbunden sind, oder ob die Arbeit allein gekauft und verkauft wird. Im engeren Sinn des Wortes ist als Arbeitslohn nur der Preis der Arbeit, wie er in der Entlohnung von Arbeitern durch Unternehmer oder direkt empfangener Dienste durch die Verbraucher gezahlt wird, zu verstehen.

Die Arbeit ist auf dem Markte ein Produktionsmittel. Für das Handeln und für den handelnden Menschen ist die eigene Arbeit nicht nur Produktionsmittel, sondern auch Quelle des Arbeitsleids; sie wird nicht nur als Produktionsmittel, sondern auch im Hinblick auf das Arbeitsleid gewertet. Doch die auf dem Markte angebotene fremde Arbeit ist nichts als Produktionsmittel. Sie wird wie jedes andere Produktionsmittel behandelt, bewirtschaftet und bewertet. Die Bewertung der Arbeit folgt denselben Grundsätzen und Regeln wie die Bewertung aller anderen Produktionsmittel; der Preis, der für die Arbeit auf dem Markte gebildet wird, der Arbeitslohn, unterliegt denselben Preisgesetzen wie die Preisbildung aller anderen Produktionsmittel. In diesem Sinne kann man sagen, die Arbeit werde wie eine Ware behandelt. Um die Assoziationen, die man [541] unter dem Einfluss des Marxismus mit diesem Ausdruck verbindet, braucht sich die Nationalökonomie nicht weiter zu kümmern.

Von «Arbeit» ganz allgemein ohne näheren Zusatz zu sprechen, ist nur unter gewissen Einschränkungen zulässig. Es gibt keine einheitliche Arbeit. Arbeit ist sehr verschiedener Qualität, und jede Art von Arbeit ist von anderer Wirkung und wird daher als ein Produktionsmittel besonderer Art angesehen. Die Arbeit des Chirurgen ist von der des Erdarbeiters, der Erde aushebt, und von der des Eisendrehers verschieden. Jede Art von Arbeit wird als komplementäres Produktionsmittel zur Erzeugung von bestimmten Genussgütern bewertet. Zwischen der Bewertung der Arbeit des Chirurgen, der des Erdarbeiters und der des Eisendrehers besteht zunächst kein Zusammenhang. Jede einzelne Arbeitsart wird als komplementäres Produktionsmittel besonders bewertet. Ein Zusammenhang wird erst durch die zwischen dem Angebot an Arbeit verschiedener Art bestehenden Beziehungen hergestellt. Eine noch so starke Steigerung der Nachfrage nach Chirurgen wird nicht zu einem Abströmen von Arbeitskräften aus der Erdarbeit in die Chirurgie führen. Doch zwischen den einzelnen näher verwandten Arbeitsqualitäten gibt es Übergänge, durch die jede Veränderung der Nachfrage nach einer bestimmten Arbeitsart sich nach und nach auf alle übrigen Arbeitsarten auswirkt. Wenn mehr Kräfte dem Ärzteberuf zuströmen, werden anderen, dem Ärzteberuf näherstehenden Gruppen Arbeitskräfte entzogen, die wieder durch Zustrom aus ferneren Gruppen ersetzt werden, und so fort. In diesem Sinne besteht zwischen dem Angebot von Arbeit gänzlich verschiedener Art doch ein Zusammenhang, auch wenn der unmittelbare Übergang von einer Gruppe in die andere nicht möglich ist. Das ist die Auswirkung des Tatbestandes, dass die Verschiedenheit der zur Deckung menschlicher Bedürfnisse benötigten Arbeitsleistungen größer ist als die Verschiedenheit der angeborenen menschlichen Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. [240]

Jeder Arbeit wird in der Marktwirtschaft der Preis, der ihrem Ertrag entspricht. In derselben Weise, in der jedes sachliche Produktionsmittel mit dem Preise bezahlt wird, der seiner Mitwirkung am Ergebnis der Zusammenfügung der komplementären Produktionsfaktoren entspricht, wird auch der Arbeit ihr Lohn. Jeder Unternehmer bietet für jede Arbeitsmenge, die er verwenden will, gerade soviel, als er bieten muss, um auf dem Arbeitsmarkte zum Zuge zu kommen. Er kann nicht [542] weniger bieten, weil er dann vom Wettbewerb anderer Unternehmer geschlagen wird und keine Arbeiter findet. Er kann nicht mehr bieten, weil er dann das Produkt teurer erzeugen würde als seine Konkurrenten und es nur zu Verlustpreisen absetzen könnte. Die Marktpreise der Genussgüter legen die Löhne vollkommen fest. Die Löhne sind durch das Angebot an Arbeit und an sachlichen Produktionsmitteln und durch die Marktpreise der Genussgüter eindeutig bestimmt.

Man hat das durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Bildung eines Nachfragemonopols bestreiten wollen. Ob man nun die von Adam Smith behauptete stillschweigende Verabredung der Arbeitgeber zur Herabdrückung der Löhne [241] im Auge hat oder ausdrückliche Vereinbarungen zwischen den Unternehmern eines isolierten Gebietes oder der ganzen Welt, der Einwand ist in jedem Fall unstichhaltig.

Die Unternehmer stehen den Verkäufern der Arbeitskraft nicht anders auf dem Markte gegenüber als den Verkäufern der sachlichen Produktionsmittel. Sie wollen — und müssen – die Produktionsmittel so billig als möglich erwerben. Wenn einzelne Unternehmer, Unternehmergruppen oder alle derzeit auf dem Markte wirkenden Unternehmer in diesem Bestreben zu niedrige Löhne und Preise bieten, d. s. Löhne und Preise, die nicht der Lage des Marktes entsprechen, werden sie nur dann Erfolg erzielen, wenn durch natürliche oder durch institutionelle Verhältnisse der Zutritt zum Unternehmertum gehemmt ist. Wenn das Auftreten neuer Unternehmer möglich ist, wenn Wirte, die bisher nicht Unternehmer waren, nicht daran gehindert werden, die Gunst der Marktlage durch eigene Unternehmertätigkeit auszunützen, muss das Sinken der Preise und Löhne sogleich wieder einer Aufwärtsbewegung weichen, die durch die Nachfrage dieser neuen Unternehmer ausgelöst wird. Es werden z. B. die Eigentümer der sachlichen Produktionsmittel statt die Sachgüter höherer Ordnung an die Unternehmer zu verkaufen, selbst als Unternehmer auftreten und den alten Unternehmern damit die Monopolgewinne, die sie durch Unterentlohnung der Arbeit oder durch zu billigen Erwerb der Sachgüter oder durch beides erzielen, wieder nehmen. Die stille Vereinbarung der Unternehmer, von der Adam Smith spricht, könnte nur dann die Löhne unter den durch die Marktlage bedingten Stand herabdrücken, wenn der Zutritt zum Unternehmertum [543] und Spekulantentum gesperrt wäre, d.h. wenn der Unternehmer zum Produzieren außer über Arbeit und sachliche Produktionsmittel auch noch über ein institutionelles Produktionsmittel, ein Unternehmerpatent oder Privileg, verfügen müsste.

Man hat gemeint, dass die Arbeiter ihre Arbeit um jeden Preis verkaufen müssen, da der Lohn in der Regel ihr einziges Einkommen bildet und sie daher ohne Lohn verhungern müssten. Der Arbeiter sei daher gezwungen, jedes Angebot, das ihm gemacht wird, anzunehmen, wenn er kein günstigeres findet. Wenn die Unternehmer einheitlich vorgehen, können sie daher den Lohn beliebig herabdrücken. Dabei wird als selbstverständlich angesehen, dass die Unternehmer den Unterschied zwischen dem Lohn, der sich auf dem nichtmonopolisierten Arbeitsmarkt gebildet hätte, und dem durch ihre Monopolaktion herabgedrückten Lohn als Sondergewinn einstecken und ihn nicht etwa den Verbrauchern durch Preisnachlass zukommenlassen. Denn täten sie das, dann hätten sie als Unternehmer von ihrem Vorgehen keinen unmittelbaren Gewinn; der Vorteil käme den Verbrauchern (und damit auch wieder den Arbeitern in ihrer Eigenschaft als Verbraucher) zu gute und die Unternehmer wären nur als Verbraucher an ihm mitbeteiligt. Die Unternehmer wären aber nur unter der Voraussetzung imstande, den durch den Lohndruck erzielten Überschuss den Verbrauchern vorzuenthalten, wenn sie für den Verkauf der Waren an die Verbraucher gleichfalls zu einheitlichem Vorgehen vereinigt wären, was sie wieder nur könnten, wenn der Zutritt zum Unternehmertum institutionell beschränkt wäre.

Damit gelangen wir zu dem entscheidenden Punkte der Auseinandersetzung. Jenes vermeintliche Monopol der Unternehmer auf dem Arbeitsmarkte wäre ein Nachfragemonopol. Wir haben jedoch schon gesehen, welche Bewandtnis es mit diesen vermeintlichen Nachfragemonopolen hat. Sie sind Angebotsmonopole besonderer Art. [242] Die Bedingung, die den Unternehmern allein die Möglichkeit verschaffen könnte, auf dem Arbeitsmarkte jenen Lohndruck auszuüben, den Smith und mit ihm ein großer Teil der öffentlichen Meinung im Auge haben, wäre die, dass sie über ein sachliches Produktionsmittel, das für jedeProduktion unentbehrlich ist, monopolistisch verfügen und dafür Monopolpreise erzielen können. Da es ein für jede Produktion unentbehrliches sachliches Produktionsmittel nicht gibt, müssten sie in dieser Art über alle sachlichen Produktionsmittel [544] verfügen. Diese Bedingung wäre nur in der sozialistischen Wirtschaftsordnung erfüllt, in der es weder Markt noch Marktpreise gibt.

Auch die Eigentümer der sachlichen Produktionsmittel, der ursprünglichen sowohl als auch der erzeugten, könnten sich nicht zu einem Universalkartell verbinden, um die Preise der sachlichen Produktionsmittel zu erhöhen und dadurch mittelbar den Preis der Arbeit zu drücken. Der Tatbestand, der dem menschlichen Wirtschaften bisher und für alle absehbare Zukunft den Stempel aufdrückt, ist die Knappheit der Arbeit und der Überfluss an ursprünglichen sachlichen Produktionsmitteln. Die Knappheit an verfügbarer Arbeit bestimmt das Ausmaß der Ausnützung der ursprünglichen sachlichen Produktionsfaktoren. Es gibt brachliegenden Boden, weil nicht genug Arbeit zur Verfügung steht, um mehr Bodenkräfte zur Erhöhung menschlicher Wohlfahrt heranzuziehen. Wenn die Eigentümer des Bodens, der heute der Produktion dient, sich kartellieren würden, um durch Einschränkung der Produktion Monopolgewinn zu erzielen, würden sie durch das Auftreten der Konkurrenz des extramarginalen Bodens um die Frucht ihres Vorgehens gebracht werden. Die Eigentümer der Kapitalgüter aber könnten sich ohne Einbeziehung der Bodeneigentümer allein nicht kartellieren.

Um die Lehre von der monopolistischen Ausbeutung der Arbeiter durch stillschweigende oder ausdrückliche Verabredung der Unternehmer zu widerlegen, hat man manche Einwände vorgebracht. Man hat zunächst festgestellt, dass man nirgends und niemals den Bestand einer solchen Vereinbarung aller Unternehmer — denn nur eine solche aller Unternehmer käme hier in Frage — hätte nachweisen können. Man hat darauf hingewiesen, dass es nicht richtig sei, dass der Arbeitsuchende nicht warten könne, weil er sonst hungern müsste, und darum gezwungen sei, jedes, auch das ungünstigste Anbot der Unternehmer anzunehmen. Auch die Arbeiter hätten Reserven, die ihnen das Warten zumindest für einige Zeit ermöglichten. Überdies stünde, einem Teil der Arbeitsuchenden wenigstens, die Möglichkeit offen, ihre Arbeit auf dem Markte ohne Dazwischentreten der Unternehmer zu verwerten; da sei vor allem der Übertritt in landwirtschaftlichen Kleinbetrieb durch Pachtübernahme und in gewerblichen Kleinbetrieb von Bedeutung. Schließlich hat man darauf hingewiesen, dass auch der Unternehmer nur um den Preis von Vermögens- und Einkommenseinbussen warten könne; der Versuch den Arbeiter durch Zuwarten mürbe zu machen, sei dabei auch für den Unternehmer nicht ungefährlich.

[545]

Es ist, im Hinblick auf das früher Gesagte, nicht mehr notwendig, sich mit diesen — übrigens durchaus richtigen — Einwendungen nebensächlicher Art eingehender zu befassen. Auf einen anderen Punkt muss aber noch besonders hingewiesen werden.

Für jene Auffassung von der monopolistischen Ausbeutung der Arbeiter durch die stillschweigende Verabredung der Unternehmer ist alle «Arbeit» gleichartig; es gibt Angebot von «Arbeit» und Nachfrage nach «Arbeit», d.h. nach Arbeit schlechthin ohne Beachtung der verschiedenen Qualität der Arbeit. In Wahrheit gibt es aber etwas derartiges nicht. Angeboten wird immer Arbeit bestimmter Art, und ebenso richtet sich die Nachfrage nie auf «Arbeit» schlechthin, sondern stets auf Arbeit bestimmter Art. Jeder Unternehmer muss darauf bedacht sein, für sein Unternehmen die Arbeiter zu finden, die die bestimmten Arten von Arbeit, die er benötigt, leisten können. Er muss diese Arbeiter aus den Produktionszweigen, Beschäftigungen und Betrieben, in denen sie gerade tätig sind, durch das Anbot besserer Entlohnung herauszuziehen und anzulocken wissen. Jede Neuerung, die ein Unternehmer ins Werk setzen will, bestehe sie nun in der Aufnahme der Erzeugung eines neuen Artikels, in der Anwendung eines neuen Verfahrens, in der Wahl eines neuen Standortes oder einfach nur in der Erweiterung schon bestehender Erzeugung, bedarf der Mitwirkung von Arbeitern, die bisher anderweitig tätig waren. Die Unternehmer stehen nicht nur im Allgemeinen einer Knappheit an Arbeit gegenüber, sondern im besonderen einer Knappheit an Arbeit der von ihnen benötigten Qualität. Der Wettbewerb der Unternehmer um den gelernten Arbeiter, den Qualitätsarbeiter, den sie für ihre besonderen Ziele brauchen können, ist nicht minder heftig als ihr Wettbewerb um die geeigneten Rohstoffe, Halbfabrikate, Maschinen und Werkzeuge und als ihr Wettbewerb auf dem Kapital- und Geldmarkte. Die Ausdehnungsmöglichkeit der einzelnen Unternehmungen ist wie die der gesamten Produktion durch die Knappheit der Arbeit geradeso begrenzt wie durch die von ihr bewirkte Knappheit der produzierten Produktionsmittel.

Der Unternehmer hat wohl ein Interesse daran, die Arbeit so niedrig als möglich zu entlohnen; ein Unternehmer, der seinen Arbeitern mehr zahlen wollte, als dem Marktwerte ihrer Leistungen entspricht, würde bald aus der Unternehmerstellung hinausgedrängt werden. Doch das bedeutet nicht, dass es dem Unternehmer möglich wäre, den Arbeiter schlechter zu entlohnen als nach dem Marktwerte seiner Leistungen. Er muss die Arbeit jener Qualität suchen, die in den Rahmen seines [546] Produktionsprozesses am besten hineinpasst; Verwendung von Arbeit schlechterer Qualität bedeutet für ihn weniger zweckmäßige Ausnützung der Anlagen, Werkzeuge, Rohstoffe und der Halbfabrikate; sie bringt, auch wenn sie billiger ist, Verluste. Die Qualitätsarbeit — und jede Arbeit, auch die des «ungelernten» Arbeiters, ist Qualitätsarbeit; «abstrakte» Arbeit ist eine unsinnige Vorstellung — muss er durch Überbieten der Löhne, die die übrigen Unternehmer zu zahlen bereit sind, an sich zu ziehen suchen.

IV. Die Arbeitslosigkeit

Wenn ein Arbeitsuchender für die Art von Arbeit, die er vorzieht, keinen Abnehmer findet, muss er sich um Arbeit anderer Art umsehen. Wenn ein Arbeitsuchender nicht den Lohn erhalten kann, den er gerne haben wollte, dann muss er seine Ansprüche herabsetzen. Will er das nicht, so findet er keine Arbeit; er wird arbeitslos.

Die Arbeitslosigkeit ist die Folge des Umstandes, dass der Arbeiter entgegen der Auffassung der früher erwähnten Lehre vom Nichtwartenkönnen der Arbeiter — warten kann und warten will. Ein Arbeiter, der nicht warten kann und nicht warten will, findet in der unbehinderten Marktwirtschaft, in der es extramarginalen brachliegenden Boden und oft auch unausgenützte Produktionskapazität produzierter Produktionsmittel gibt, immer Arbeit; es genügt, dass er seine Lohnforderung ermäßigt oder Beruf und Arbeitsort wechselt.

Es gab einst und gibt auch noch heute Arbeiter, die eine gewisse Zeit hindurch arbeiten, um dann wieder eine Zeit lang von Ersparnissen zu leben. In Ländern mit niedrigem Kulturstand der Massen ist es oft nicht leicht, Arbeiter zu finden, die ständig in der Arbeit bleiben wollen. Der Arbeiter ist dort so bedürfnislos und phantasiearm, dass er für seine Ersparnisse keine andere Verwendung kennt als die, sich für einige Zeit Muße zu kaufen. Der Arbeiter arbeitet nur, um dann wieder arbeitslos leben zu können.

In den Kulturländern ist das anders. Die Arbeitslosigkeit erscheint dem Arbeiter hier als ein Übel, das er gerne vermeiden möchte, wenn nur das Opfer, das er für das Vermeiden zu bringen hat, nicht zu groß ist. Das Vermeiden der Arbeitslosigkeit wird dem Arbeiter zu einem Gegenstand rationalen Abwägens des Für und des Gegen. Der Arbeiter kann die Arbeitslosigkeit aus mancherlei Erwägungen für zweckmäßiger ansehen als das Annehmen von Arbeit. Die Erwägungen, die zu [547] der marktmäßigen oder regulären Arbeitslosigkeit führen, sind:

a) Der Arbeiter ist der Meinung, dass es ihm nach einigem Zuwarten gelingen werde, an seinem Aufenthaltsorte und in dem Produktionszweig, in dem er bisher tätig war und für den er besondere Eignung erworben hat, wieder Beschäftigung zu finden. Er zieht vorübergehende Arbeitslosigkeit dem kostspieligen Orts- und Berufswechsel vor. Erwägungen dieser Art fallen besonders dann ins Gewicht, wenn der Arbeiter durch Grund- und Hausbesitz an seinen Aufenthaltsort stärker gebunden ist.

b) Der Umfang der Nachfrage nach der Art von Arbeit, die der Arbeiter auf dem Markte anbietet, schwankt im Verlaufe des Jahres (mitunter im Verlaufe eines längeren Zeitabschnitts) beträchtlich. Einer oder mehreren Perioden stärkerer Nachfrage (Saison, Hochsaison) stehen Perioden gegenüber, in denen die Nachfrage geringer oder überhaupt nicht vorhanden ist (schlechte Saison, tote Saison). Die Arbeiter, die in der guten Saison reichlich verdient haben, sehen sich in der toten Saison nicht um Arbeit anderer Art um, sondern ziehen es vor, arbeitslos zu bleiben und von Rücklagen zu leben, die sie während der Zeit guten Verdienstes gemacht haben.

c) Der Arbeiter zieht vorübergehende Arbeitslosigkeit aus Erwägungen vor, die man nicht als wirtschaftlich (im engeren Sinne) zu bezeichnen pflegt. Er will nicht Arbeit annehmen, die seinen religiösen, ethischen oder politischen Anschauungen und Wertungen zuwiderläuft. Auch ständische Vorurteile spielen mitunter eine große Rolle.

Die Arbeitslosigkeit ist auf dem unbehinderten Markte immer freiwillig gewollt. Der Arbeitslose sieht in ihr das kleinere von zwei Übeln, zwischen denen er zu wählen hat. Die Marktlage mag den Lohn herabdrücken, doch es gibt auf dem unbehinderten Markte stets einen Lohnsatz, zu dem alle Arbeitswilligen Arbeit finden können. Die endlichen Löhne sind jene Lohnsätze, bei denen alle Arbeiter Beschäftigung und alle Unternehmer so viele Arbeiter, als sie beschäftigen wollen, finden.

Es ist unzweckmäßig, die Arbeitslosigkeit als Reibungserscheinung zu bezeichnen. In dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft fehlt die Arbeitslosigkeit, weil wir das Gedankenbild so konstruiert haben, dass in ihm Gleichgewicht herrscht und alle Produktionsfaktoren voll beschäftigt sind. Die Arbeitslosigkeit ist eine Begleiterscheinung der Veränderungen, die das Bild der gleichmäßigen Wirtschaft stören. Dass der durch Veränderungen im Produktionsprozess freigesetzte Arbeiter nicht gleich jede Möglichkeit einer neuen Beschäftigung [548] ergreift, sondern wartet und bessere Verwendungsmöglichkeit für seine Arbeit sucht, ist nicht die Folge der Langsamkeit, mit der die Anpassung an die neue Lage der Dinge vor sich geht, sondern im Gegenteil eine der Ursachen dieser Langsamkeit.

Von der marktmäßigen Arbeitslosigkeit ist die irreguläre Arbeitslosigkeit grundsätzlich verschieden. Sie entspringt nicht dem Entschlusse des einzelnen Arbeiters. Sie ist die Folge einer Politik, die höhere Löhne als die, die der Markt bildet, durch Eingriff in das Getriebe des Marktes festzulegen sucht. Die irreguläre Arbeitslosigkeit geht über den Rahmen einer Betrachtung der unbehinderten Marktwirtschaft hinaus.

V. Die Lohnbildung: Die Ansprüche der Käufer von Arbeit

Die Unternehmer müssen die für ihre Geschäfte erforderlichen Produktionsmittel auf dem Markte kaufen. So wie sie nicht schlechthin irgendwelche Rohstoffe und Maschinen kaufen, sondern bestimmte Mengen von bestimmten Produktionsmitteln bestimmter Art, so kaufen sie auch nicht «Arbeit», sondern bestimmte Mengen von Arbeit bestimmter Art. Diese Arbeitsleistungen müssen sie so hoch vergüten, dass sie den Wettbewerb der übrigen Unternehmer aus dem Felde schlagen.

Der Unternehmer kauft immer nur die Arbeitsleistung und zahlt nur für die Arbeitsleistung. Die institutionellen Formen sind dabei ohne Einfluss auf die Gestaltung des Preises, den der Unternehmer für die Leistung zahlt. Der Unternehmer fragt allein nach dem Aufwand, der ihm durch die Einstellung des Arbeiters erwächst, und hält ihm die Ertragssteigerung gegenüber, die er durch seine Einstellung zu erzielen vermag. Darnach entscheidet er sich. Erachtet es der Unternehmer für vorteilhafter, den Arbeiter einzustellen, dann tut er es; erachtet er den Aufwand als zu groß, dann verzichtet er auf die Einstellung. Der erwartete Ertrag bestimmt die Grenze, bis zu der der Unternehmer bei der Beschaffung der Arbeitskraft zu gehen bereit ist.

Die Lohntheorie hat unter dem Ausdruck Lohn stets den gesamten Aufwand zu verstehen, der dem Unternehmer durch die Beschäftigung eines Arbeiters erwächst. Der Unternehmer fragt nicht: was erhält der Arbeiter? sondern: was kostet mich die Arbeitsleistung? Der Unternehmer kauft immer die Leistung und nicht den Arbeiter oder die Arbeit.

Man hat demnach zu beachten:

a) Es macht keinen Unterschied aus, ob die Lohnzahlung in der Gestalt des Stücklohnes oder in der des Zeitlohnes [549] erfolgt. Auch wenn Zeitlöhne gezahlt werden, rechnet der Unternehmer immer nur mit dem Werte der Leistung, die der Arbeiter ihm liefert. Arbeiter, die nicht das erwartete Mindestmaß leisten, werden als ungeeignet entlassen oder schlechter entlohnt. Anderseits kann der Arbeiter, der mehr verdienen will als den Zeitlohn, sein Ziel nur dadurch erreichen, dass er zum Stücklohn übergeht oder einen Arbeitsplatz aufsucht, an dem mehr verlangt und daher auch mehr gezahlt wird.

Es macht ferner keinen Unterschied aus, ob der Zeitlohn als Taglohn, Wochenlohn, Monats- oder Jahresgehalt gezahlt wird, ob die Kündigungsfristen länger oder kürzer sind, ob die Anstellung des Arbeiters für längere Zeit oder gar für Lebensdauer geschieht, ob der Arbeiter einen Anspruch auf Ruhegehalt, Krankengeld, Urlaub, Witwenund Waisenversorgung hat oder nicht. Die Frage, die sich der Unternehmer vorlegt, ist immer dieselbe: Ist es für mich vorteilhaft, einen Arbeitsvertrag dieser Art abzuschließen? Zahle ich für die Leistung, die ich erhalte, nicht zuviel?

b) Alle sogenannten sozialen Lasten gehen daher zu Lasten des Arbeitslohnes. Es ist ohne Belang, ob der Unternehmer berechtigt ist, die Beiträge, die er für Alters- und Invaliditätsversicherung, Witwen- und Waisenversorgung, Krankenkassen, Sterbekassen, Unfallversicherung und Arbeitslosenunterstützung zu zahlen hat, vom Arbeitslohn abzuziehen oder nicht. Diese Beträge werden, gleichviel wer sie zahlt, immer vom Arbeiter getragen.

c) Das gleiche gilt von Lohnsteuern. Auch hier ist es ohne Belang, ob ein Recht des Abzugs besteht. Jede Steuer, die nach dem Lohnaufwand bemessen wird, trifft in letzter Linie den Arbeitslohn.

d) Die Belastung, die dem Unternehmer aus den Arbeiterschutzgesetzen erwächst, wird auf den Lohn überwälzt. Wenn die Länge des Arbeitstages gekürzt wird und der Arbeiter diese Verkürzung nicht durch Erhöhung der Leistung wettmacht, dann wird der Lohn, (wofern er Zeitlohn ist), entsprechend gekürzt werden. Wird die Lohnsenkung durch einen weiteren Staatseingriff unmöglich gemacht, dann treten alle Wirkungen einer durch Intervention anbefohlenen Lohnsteigerung auf.

Was von der Kürzung der Länge des Arbeitstages gilt, gilt mutatis mutandis auch von den Arbeiterurlauben und von allen verwandten Bestimmungen.

e) Wird anderseits dem Unternehmer, der Arbeiter einer bestimmten Art beschäftigt, ein Beitrag aus öffentlichen Mitteln geleistet, so wird der Lohn, den der Arbeiter empfängt, den Betrag dieses Beitrags erhöht.

[550]

f) Wird dagegen dem Arbeiter aus öffentlichen Mitteln ein Beitrag zur Ergänzung seines Arbeitsverdienstes auf eine bestimmte Höhe geleistet, wie dies in England am Anfang des 19. Jahrhunderts (SpeenhamlandSystem) geschah, so bleibt das ohne Einfluss auf die Lohngestaltung, es sei denn, dass der Umstand, dass die Gewährung der Unterstützung an die Bedingung geknüpft wird, dass der Arbeitsfähige auch wirklich arbeite, das Angebot auf dein Arbeitsmarkte vergrößert.

VI. Die Lohnbildung: die Ansprüche der Verkäufer von Arbeit

Das Schicksal des Urmenschen war ein beständiger Kampf mit der Armut der Bedingungen, die die Natur seiner Existenz geboten hat. In diesem Kampf ums nackte Dasein sind Einzelne und ganze Familien, Gruppen und Stämme erlegen. Über dem Handeln des Urmenschen schwebte stets das Gespenst des Hungertodes. Unsere Kultur hat uns über diese Nöte hinausgehoben. Das menschliche Leben ist in jeder Stunde von tausend Gefahren bedroht; jeden Augenblick können unbeherrschbare oder zumindest heute noch nicht gebändigte Elementarkräfte es zerstören. Doch der Hunger hat für die in der kapitalistischen Gesellschaft lebenden Menschen seine Schrecken eingebüsst. Der Arbeitsfähige kann heute durch seine Arbeit weit mehr erwerben als das Existenzminimum.

Es gibt auch Arbeitsunfähige. Es gibt solche, die überhaupt zu keiner Arbeitsleistung fähig sind, und solche, die zwar arbeiten können, deren Leistung jedoch so gering bewertet wird, dass sie nicht imstande wären, von dem Ertrag ihrer Arbeit das Leben zu fristen. Diese Personen können ihr Auskommen nur finden, wenn die Erwerbenden sich ihrer annehmen. Für die mittellosen Erwerbsunfähigen sorgen die Familienangehörigen, die Menschlichkeit und Mildherzigkeit von Wohltätern oder die öffentliche Armenpflege. Sie nehmen am gesellschaftlichen Produktionsprozess keinen Anteil; soweit die Beschaffung der für den Verbrauch benötigten Mittel in Betracht kommt, handeln sie nicht; sie leben, weil andere für sie sorgen. Die Probleme dieser Versorgung stehen als Probleme des Verbrauches jenseits der Probleme der Mittelwahl, denen die Nationalökonomie ihre Aufmerksamkeit zuwendet. In den Bereich der nationalökonomischen Überlegungen fällt allein die Betrachtung der Wirkungen, die von der bei der Versorgung der Arbeitsunfähigen eingeschlagenen Politik auf das Angebot an Arbeit ausgehen. Man hat in der Armenpolitik mitunter Methoden [551] befolgt, die Arbeitsunwilligkeit und Müßiggang von Arbeitsfähigen gefördert haben.

Es ist denkbar und, wenn man die Wirtschaftspolitik der letzten Zeit ins Auge fasst, nicht ganz unwahrscheinlich, dass durch Kapitalaufzehrung auf der einen Seite und durch Vermehrung oder auch nur durch nicht entsprechend großen Rückgang der Bevölkerungsmenge auf der anderen Seite die Welt einem Zustand näher gebracht werden könnte, in dem die Menschen wieder die Not im strengen Sinn des Wortes kennen lernen. Das Verhältnis von Kapitalmenge und Arbeiterzahl könnte so ungünstig werden, dass ein Teil der Arbeiter weniger erzeugt als das Existenzminimum. Schon die langsame Annäherung an solche Zustände würde zweifellos fürchterliche Kämpfe innerhalb der Gesellschaft auslösen, Kämpfe, die zur vollständigen Vernichtung der Kultur und der gesellschaftlichen Kooperation führen müssten.

Der Begriff des Existenzminimums, mit dem manche Lohntheorien einst gearbeitet haben und den die Demagogen allezeit gerne im Munde geführt haben und noch führen, ist für die Lohntheorie unbrauchbar. Eine der Bedingungen, auf der die gesellschaftliche Kooperation aufgebaut ist, ist eben die Tatsache, dass in Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung geleistete Arbeit in solchem -Masse ergiebiger ist als die Arbeit isolierter Einzelner, dass in der Gesellschaft jeder Einzelne, sofern er nur arbeitsfähig ist, von Not, wie sie entfernten Vorfahren täglich drohte, nichts zu fürchten hat. In der kapitalistischen Welt spielt das Existenzminimum praktisch keine Rolle. [243]

Der Begriff des Existenzminimums entbehrt aber auch der Genauigkeit und Eindeutigkeit, die man in ihm zu finden geglaubt hat. Der an ein mehr tier- denn menschengleiches Leben gewöhnte Urmensch konnte unter Bedingungen existieren, die für den verwöhnten Kulturmenschen unerträglich wären. Es gibt keinen physiologisch-biologischen Begriff eines Existenzminimums, der für den Menschen im allgemeinen anwendbar wäre. Nicht minder unhaltbar ist aber auch die Vorstellung, man brauche ein bestimmtes Quantum an Kalorien, um den — nicht arbeitenden — Menschen gesund und reproduktionsfähig am leben zu erhalten, und dann eine weitere Kalorienmenge, um den durch die Arbeit erforderten Kräfteverbrauch zu ermöglichen. Mit solchen Viehzüchterund Laboratoriumsanschauungen kann man die Probleme menschlicher [552] Arbeit und menschlichen Lebens nicht erfassen. Von allen absurden Ideen, die man in die Nationalökonomie einschmuggeln wollte, waren das eherne Lohngesetz und die ihm wesensgleiche Lehre von der «Bestimmung» des «Wertes der Arbeitskraft» durch «die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit» [244] wohl die absurdesten.

Immerhin konnte man mit den Vorstellungen, die dem ehernen Lohngesetz zugrunde lagen, noch einen bestimmten Sinn verbinden. Wenn man im Arbeiter ein Stück Vieh sieht und wenn man glaubt, dass der Arbeiter in der Gesellschaft und auf dem Markte wie Vieh behandelt wird und keine andere gesellschaftliche Rolle spielt als das Zugtier, wenn man ferner meint, dass der Arbeiter keine anderen Ziele kennt als Fressen und Sichfortpflanzen und für den Arbeitslohn keine andere Verwendung hat als die durch diese Zielsetzung bedingte, dann mag das eherne Lohngesetz als eine Lohntheorie erscheinen. Hat man sich aber einmal genötigt gesehen, die unhaltbaren Grundlagen des ehernen Lohngesetzes aufzugeben, dann verwickelt man sich in unauflösbare Widersprüche, wenn man zur Rettung des liebgewordenen Begriffs des Existenzminimums das physiologisch-biologische Existenzminimum in ein «soziales» verwandelt. Aus den zur Fristung des Lebens, zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und zur Fortpflanzung «notwendigen» Konsummengen werden dann die zur Erhaltung einer historisch überkommenen Lebensführung erforderlichen Gütermengen. Es ist für die Entstehungsgeschichte dieser Lehre, die den Lohn aus der Tradition und aus der ständischen Gliederung der Gesellschaft erklärt, charakteristisch, dass sie geschaffen wurde als Antwort auf die Feststellung, dass Lohneinkommen und Lebenshaltung der Arbeitermassen in der modernen kapitalistischen Gesellschaft sich in fortschreitendem Aufstieg befinden und dass die überkommenen Rangunterschiede innerhalb der Gesellschaft nicht aufrechterhalten werden können, weil der soziale Aufstieg der arbeitenden Schichten die alten Scheidewände niederreißt. Es bedurfte vollkommener Geschichtsblindheit, um in einem Zeitalter, in dem die Industrie dem Massenkonsum täglich neue Gebiete erschließt, eine Lehre vorzutragen, die die Lohnbildung als traditionell gebunden ansieht.

Dass die historische Richtung der «wirtschaftlichen Staatswissenschaften» den Lohn wie alle anderen Preise als historische Kategorie ansieht und mit dem Begriff des standesgemäßen Einkommens arbeitet, mag weiter nicht auffällig [553] scheinen; es ist doch das Um und Auf der Lehren dieser Schule, die Nationalökonomie durch Wirtschaftsgeschichte zu ersetzen. Merkwürdiger ist es schon, dass Marx und die Marxisten nicht erkannt haben, dass sie mit dem Entgegenkommen an diese Lehre das Lehrgebäude ihres Systems zerstören. Wenn man meint, es sei «der Umfang s.g. notwendiger Bedürfnisse. wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt» und hänge «daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter anderem wesentlich auch davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet. hat», wenn man daher feststellt, dass «die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element» enthält, dann mag man zwar noch immer behaupten, dass «für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode», der «Durchschnittsumkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben» sei. [245] Doch dann hat man die Lohnhöhe nicht mehr nationalökonomisch und katallaktisch erklärt, sondern als historisches Datum gesetzt. Dann ist die Lohnhöhe nicht mehr Ergebnis des Zusammenwirkens der Marktfaktoren, sondern ein marktfremder Tatbestand.

Auch wer die Auffassung vertritt, die Lohnsätze würden dem Markte als Datum von außen aufgedrängt, kann, wenn er überhaupt Nationalökonomie treiben will, um die Aufstellung einer den Lohn als Markterscheinung aus dem Getriebe der Tauschakte erklärenden Lehre nicht herumkommen. Ohne eine solche katallaktische Lohnerklärung bliebe die Marktlehre nicht nur unvollständig, sie wird einfach sinnlos. Es geht nicht an, die Katallaktik auf die Erklärung der Warenpreise und der Zinssätze zu beschränken und die Löhne als Datum hinzunehmen. Eine geschichtliche Situation, in der die Löhne dem Markte von außen her durch Eingriffe vorgeschrieben werden, ist recht wohl denkbar; gerade solche Lohnfestsetzung ist das Kennzeichen unserer heutigen Wirtschaftslage. Doch dann obliegt es der Nationalökonomie zu untersuchen, welche Folgen aus der Verschiedenheit der beiden Lohnsätze der aus dem Zusammenspiel der Marktfaktoren hervorgehenden ideellen Marktsätze und der dem Markte durch von außen her wirkende Kräfte vorgeschriebenen effektiv gezahlten Löhne — entstehen.

Die Vorstellung, dass der Lohn mindestens so hoch sein müsse, dass er dem Arbeiter das «standesgemäße» Auskommen sichere, erfüllt zweifellos die Arbeitnehmer. Jeder einzelne Arbeitnehmer hat dabei seine besondere Auffassung darüber, [554] wozu «Stand» und «Herkommen» ihn berechtigen, wie er anderseits auch seine besondere Auffassung über seine Leistungsfähigkeit und seine Leistungen hat. Doch diese Ansprüche und Selbsteinschätzungen sind für die Lohngestaltung ohne Bedeutung. Sie begrenzen den Lohn weder nach oben noch nach unten. Der Arbeitnehmer muss sich bald mit viel weniger begnügen, als er für angemessen hält; bietet man ihm mehr, als er erwarten konnte , dann nimmt er es ohne Bedenken. Das Zeitalter des Kapitalismus, für das das eherne Lohngesetz und Marx's Lehre vom herkommensgemäß bestimmten Lohn Geltung beanspruchen, sah einen fortschreitenden, wenn auch immer wieder durch kurze Rückschläge unterbrochenen Aufstieg der Löhne und dementsprechend eine vorher nie geahnte und in der Geschichte ohne Beispiel dastehende Hebung der Lebenshaltung der lohnempfangenden Schichten.

Die Ansprüche, die der Arbeiter im Hinblick auf Stand, Herkommen und Kulturhöhe erheben mag, spielen in der Lohngestaltung keine Rolle. Der Markt bewertet seine Arbeit und setzt sich dabei über Standesauffassungen und Herkommen ebenso hinweg wie über die Überschätzung der eigenen Leistungen, die wohl als allgemein menschliche Eigenschaft bezeichnet werden kann.

Im Bild der gleichmäßigen Wirtschaft entspricht der Lohn für jede einzelne Art von Arbeit der Grenzproduktivität. Es herrscht Gleichgewicht in der Verteilung der Arbeiter auf die verschiedenen Arten von Arbeit. Denn eine Änderung in der Verteilung der Arbeiter könnte, unseren Annahmen gemäss, nur dazu führen, dass ein Missverhältnis zwischen den Produktionskosten und den auf dem Markte erzielbaren Preisen entsteht; es würde auf der einen Seite Waren gehen, deren Verkauf einen Überschuss über die Produktionskosten bringen würde, auf der andern Seite wieder Waren, deren Verkaufspreise die Produktionskosten nicht decken könnten. In der gleichmäßigen Wirtschaft kann kein Arbeiter durch Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsart einen höheren Lohn erzielen als den, den er gerade erhält; jeder Arbeiter befindet sich an der Stelle, an der er der Gesellschaft die besten Dienste leistet und daher am höchsten entlohnt wird.

Die mathematische Detailausmalung dieser Lage des Arbeitsmarktes in der gleichmäßigen Wirtschaft vermag keineswegs die Frage zu beantworten, die allein Interesse beanspruchen darf, nämlich die Frage, wie dieser Zustand des Gleichgewichts und der Gleichmäßigkeit entstanden ist und wie er sich nach jeder Störung durch das Auftreten eines neuen Datums wiederherzustellen sucht. Nehmen wir an, dass der gleichmässige [555] Gang der Wirtschaft durch Verschiebung der Nachfrage — Änderung des Bedarfs — unterbrochen wurde. Die Nachfrage nach Bier sei gestiegen und dementsprechend muss — den übrigen dem Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft zugrundeliegenden Annahmen gemäss — die Nachfrage nach anderen Artikeln, z. B. nach Wein zurückgehen. Die Biererzeuger erzielen nun Unternehmergewinne, die den Anreiz zu einer Ausdehnung der Erzeugung von Bier und der für die Biererzeugung erforderlichen Güter höherer Ordnung geben; auf der anderen Seite erleiden die Weinerzeuger Verluste, die zu einer Einschränkung der auf die Erzeugung von Wein gerichteten Unternehmungstätigkeit führen. Um Arbeiter anzuziehen, wird die Bierindustrie höhere Löhne zahlen müssen; auf der anderen Seite werden die Löhne in der Weinerzeugung zurückgehen, weil Arbeiter freigesetzt werden und auf den Arbeitsmarkt einen Druck ausüben. Das neue Gleichgewicht kann sich erst einstellen, bis diese Umschichtung der Arbeit zum Abschluss gelangt ist, bis die Biererzeugung alle Arbeiter erhalten hat, die sie für die Erzeugung jener Menge benötigt, die unter den neuen Verhältnissen zum Gleichgewichtspreis abgesetzt werden kann, und bis alle in der Weinerzeugung freigesetzten Arbeiter Arbeit gefunden haben. Es ist dabei ohne Belang, ob die Verschiebung durch direkte Abwanderung von Arbeitern aus der Weinerzeugung in die Biererzeugung oder durch eine Kette von Berufsumstellungen, deren Endglieder die Bier- und die Weinerzeugung bilden, erfolgt. Jedenfalls ist schließlich wieder ein Gleichgewicht erreicht; kein Arbeiter kann durch Wechsel der Arbeitsstelle seine Lage weiter verbessern, jeder Arbeiter erhält den höchsten Lohn, den er zu erreichen vermag; kein Unternehmer kann durch die Einstellung weiterer Arbeiter oder durch die Entlassung von Arbeitern den Ertrag seines Unternehmens günstig beeinflussen.

Die Lohnsätze des neuen Gleichgewichtszustandes können von denen des alten Gleichgewichtszustandes verschieden sein, wenn wir annehmen, dass die Arbeit in der Biererzeugung und die in der Weinerzeugung verschiedene Eigenschaften des Arbeiters erfordern, die nur durch Schulung erworben werden können. Wird in beiden Erzeugungszweigen die gleiche Kategorie von Arbeitern in gleichem Umfang verlangt, dann bedeutet die Produktionsverschiebung im endlichen Ruhezustand nur eine Verschiebung von Arbeitern ohne Beeinflussung der Löhne; dasselbe tritt ein, wenn zwar die in der Weinerzeugung freigesetzten Kräfte nicht in die Biererzeugung übertreten können, wenn sie aber in andere Produktionszweige abwandern können, um dort Arbeiter freizumachen, die für die Biererzeugung [556] geeignet sind. Sind die besonderen Fähigkeiten, die die Biererzeugung verlangt, nur durch Schulung zu erlangen, so tritt diese Ausgleichung der Löhne erst nach Ablauf der Zeit ein, die die Ausbildung der den Beruf wechselnden Arbeiter beansprucht. [246]

Eine Verschiebung der Nachfrage und damit auch der Erzeugung vom Wein zum Bier erhöht die Preise aller spezifischen Produktionsmittel der Biererzeugung und drückt die Preise aller spezifischen Produktionsmittel der Weinerzeugung, sofern jene nicht ohne steigende Kosten vermehrt und diese nicht ohne steigende Kosten für andere Zwecke verwendbar gemacht werden können. Zu diesen spezifischen Produktionsmitteln gehört auch die Arbeit, deren Verrichtung besondere Eignung des Arbeiters voraussetzt.

Nicht die Ansprüche, die der Arbeiter erhebt, sondern die Bewertung seiner Leistung durch die Gesellschaft entscheiden über die Höhe der Löhne; sie allein kommt in den Lohnsätzen, die der Markt bildet, zum Ausdruck. In diesem Sinne ist die Arbeit eine Ware wie jede andere. Doch das ist nicht etwa eine Folge der Hartherzigkeit und Habsucht der Unternehmer, sondern eine Folge des Umstandes, dass die Verbraucher nur gewillt sind, Leistungen zu bezahlen, und nicht Ansprüche auf standesgemäßen, dem Herkommen und der übertriebenen Einschätzung der eigenen Person entsprechenden Lohn zu befriedigen.

VII. Das Arbeitsleid und das Angebot an Arbeit.

Die die Arbeit betreffenden Tatbestände, mit denen der Markt zu rechnen hat, sind:

a) Jeder einzelne Mensch vermag nur eine begrenzte Menge an Arbeit zu leisten.

b) Diese Arbeitsmenge kann nicht zu beliebiger Zeit geleistet werden; die Einschaltung von Ruhepausen ist erforderlich.

c) Nicht jeder Mensch ist imstande, jede Art von Arbeit zu leisten. Es gibt angeborene und durch Schulung und Übung erworbene Befähigung zur Leistung bestimmter Arbeiten; die angeborene Begabung, die bestimmte Arbeiten erfordern, kann durch keine Schulung und Übung erworben werden.

d) Die Arbeitskraft muss pfleglich behandelt werden, wenn sie nicht ganz zerstört oder in der Qualität verschlechtert werden soll. Es muss ein besonderer Aufwand geleistet werden, [557] damit der Arbeiter im Vollbesitz seiner Arbeitsfähigkeit — der angeborenen sowohl als der erworbenen — verbleibe.

e) Mit dem Fortschreiten der Arbeit über ein gewisses Maß hinaus und ihrer Annäherung an den Punkt, an dem die zur Zeit überhaupt vom Arbeiter abgebbare Arbeitsmenge erschöpft ist und eine Ruhe- und Erholungspause eingeschaltet werden muss, sinkt die Qualität der Arbeit. [247]

f) Die Menschen legen dem Freisein von Arbeit, der Muße, Wert bei, d.h. sie streben die Muße an. Die moderne Nationalökonomie drückt diesen Tatbestand aus, indem sie erklärt: Die Arbeit ist mit Arbeitsleid verbunden.

Der isolierte Wirt, der unmittelbar für seinen eigenen Verbrauch arbeitet, bricht die Arbeit an dem Punkt ab, an dem er die Muße, — das Freisein von Arbeitsleid — höher zu bewerten beginnt als den Ertrag, der durch weitere Arbeit erzielt werden kann. Nun, da die dringendsten Bedürfnisse befriedigt wurden, erscheint die Befriedigung der übrigen noch unbefriedigten Bedürfnisse weniger wichtig als die Befriedigung des Bedürfnisses nach Muße.

Auch der einzelne Lohnarbeiter handelt nicht anders als der Wirt, der unmittelbar für seinen Verbrauch arbeitet. Auch er ist nicht gewillt, bis zur Erschöpfung zu arbeiten; auch er will die Arbeit an dem Punkte abbrechen, an dem er die Muße höher zu bewerten beginnt als den Ertrag, der durch weitere Arbeit erzielt werden kann.

Man hat es so außerordentlich schwer gehabt, diesen Tatbestand zu erkennen, weil man es sich nur langsam abgewöhnen konnte, im Arbeiter den Knecht zu sehen und im Lohn eine den geldwirtschaftlichen Verhältnissen angepasste Gestalt des Unterhalts, den auch der Sklavenhalter und der Viehhalter dem Sklaven und dem Arbeitstier gewähren müssen. Für diese Auffassung ist der Arbeiter ein Mensch, den seine Mittellosigkeit genötigt hat, Knechtschaft auf sich zu nehmen. Diese Unterwerfung werde zwar vom Formaljuristen als freiwillig angesehen und von den Gesetzen als Vertrag zwischen zwei gleich berechtigten Vertragsteilen ausgelegt. In der Tat aber sei sie unter dem Zwange der Not erfolgt; dem Arbeiter bleibe keine Wahl; er müsse das Joch eines Herrendienstes auf sich nehmen, weil er ein Enterbter ist. Selbst die Freiheit, sich den Arbeitsplatz auszusuchen und damit den Herrn selbst zu wählen, sei nur scheinbar; die offene oder stillschweigende [558] Verabredung der Reichen, die die Arbeitsbedingungen ziemlich einheitlich festlege, nehme ihr jede Bedeutung.

Wenn man die Auffassung teilt, dass der Arbeitslohn nur den Ersatz der für die Erhaltung der Arbeitskraft und ihre Reproduktion vom Arbeiter gemachten Auslagen darstelle, oder wenn man den Arbeitslohn als durch das Herkommen bestimmt ansieht, ist es folgerichtig, in jeder Erleichterung der dem Arbeiter durch den Arbeitsvertrag auferlegten Arbeitsverpflichtung einen einseitigen Gewinn des Arbeiters zu erblicken. Wenn der Lohn von der Leistung unabhängig ist, wenn dem Arbeiter nicht das vergütet wird, was das Getriebe des Marktes seiner Leistung als Preis zuweist, wenn der Unternehmer nicht eine bestimmte Menge von Arbeit bestimmter Qualität, wenn er nicht die Leistung, sondern den Knecht kauft, wenn der Lohn so tief ist, dass er aus natürlichen Gründen gar nicht weiter sinken kann, dann verbessert man die. Lage des Arbeiters, wenn man die Länge des Arbeitstages kürzt. Die durch Staatsintervention verfügte Kürzung der täglichen Arbeitszeit ist dann in eine Reihe zu stellen mit den Maßnahmen, durch die der Staat des 17., 18. und 19. Jahrhunderts die Robotpflicht der leibeignen oder erbuntertänigen Bauern schrittweise herabgesetzt und schließlich ganz beseitigt hat, oder mit Dekreten, die die Arbeitslast von Strafgefangenen erleichtern. Die im Zuge der kapitalistischen Entwicklung erfolgte fortschreitende Kürzung des Arbeitstages erscheint dann als ein Sieg, den die ausgebeuteten Knechte über die harte Eigensucht der Herren davongetragen haben. Die sozialpolitischen Gesetze, die dem Arbeitgeber die Verpflichtung auferlegen, Aufwendungen besonderer Art zu Gunsten der Arbeiter zu machen, hält man für Maßnahmen, die den Arbeitern auf Kosten der Arbeitgeber Vorteile verschaffen, für die sie keinerlei Opfer zu bringen hätten.

Man glaubt, dass es, um die Richtigkeit dieser Auffassung zu beweisen, genüge, sich darauf zu berufen, dass der einzelne Arbeiter auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen kaum Einfluss nehmen könne. Die Länge der täglichen Arbeitszeit, die Bestimmungen über die Arbeit an Sonn- und Feiertagen, über die Ruhe- und Essenspausen während der täglichen Arbeit, über allfällige Arbeitsferien und über vieles andere würden von den Unternehmern getroffen, ohne dass man die Arbeiter um ihre Wünsche befrage. Der Arbeiter habe sich den Arbeitsbedingungen, an deren Aufstellung er nicht mitgewirkt hat, zu unterwerfen, wenn er nicht der Not und dem Elend preisgegeben sein will.

Von dem Fehler, der dieser Auffassung zugrundeliegt, wurde schon gesprochen. Die Unternehmer suchen nicht Arbeit [559] und Arbeiter schlechthin, sondern Arbeit bestimmter Qualität und Arbeiter, die imstande sind, diese Arbeit zu verrichten. Geradeso wie der Unternehmer darauf bedacht sein muss, für seine Geschäfte den geeignetsten Standort, das geeignetste Verfahren, die geeignetsten Anlagen und die geeignetsten Rohstoffe und Halbfabrikate zu finden, so muss er auch darauf bedacht sein, die geeignetsten Arbeiter heranzuziehen. Er muss die Arbeitsbedingungen so erstellen, dass sie den Arbeitern, die er benötigt, anziehend erscheinen. Der einzelne Arbeiter hat freilich auf die Erstellung der Arbeitsbedingungen nicht mehr, aber auch nicht weniger Einfluss als der einzelne Konsument auf die Richtung, die die Industrie der Erzeugung von Massenverbrauchsartikeln gibt. Wie nicht der Geschmack Einzelner, der vom Geschmack der Menge verschieden ist, über die Gestaltung der Qualität der Massenbedarfsartikel entscheidet, so entscheiden auch nicht die besonderen Wünsche Einzelner, die von denen der Menge verschieden sind, über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in den Fabriken. Doch die Unternehmer müssen selbst schwere Unzukömmlichkeiten in Kauf nehmen, wenn die Arbeiter, die sie benötigen, anders nicht zu arbeiten gewillt sind. Im Osten Europas und in Asien müssen Arbeitszeit, Feiertage und manche Betriebseinrichtungen den religiösen und gesellschaftlichen Wertungen der Arbeiterschaft Rechnung tragen, mag auch der Unternehmer dies als noch so störend und kostspielig empfinden. Wenn ein Unternehmer von Arbeitern Leistungen unter Bedingungen verlangt, die den Arbeitern aus irgendwelchen Gründen besonders drückend erscheinen, muss er Sondervergütung leisten.

Alle Arbeitsbedingungen, nicht nur die Lohnhöhe allein, müssen in Betracht gezogen werden, wenn man das Arbeitsverhältnis ins Auge fasst. Alle Arbeitsbedingungen, nicht nur der Lohn allein, sind Gegenstand des Arbeitsvertrags. Dass die Zusammenarbeit in Fabriken und Werkstätten und der Verkehr zwischen den einzelnen Unternehmungen es nicht gestatten, von den landesüblichen Bedingungen in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitspausen und auf manche andere Modalitäten der Arbeitsverrichtung abzuweichen, und zur Vereinheitlichung und Ausgleichung der Arbeitsverhältnisse führen, bedeutet nicht, dass der Einfluss der Arbeitnehmer auf ihre Gestaltung vermindert oder ausgeschaltet wird. Für den einzelnen Arbeitnehmer sind diese Bedingungen freilich eine Tatsache, der er sich fügen muss, wenn er nicht Berufs- oder Ortswechsel vorzieht. Wenn man in Westeuropa und Amerika deutsche Verkäufer, Kellner und Friseurgehilfen nach den Gründen fragte, die sie zur Auswanderung veranlasst hätten, bekam man oft die [560] Antwort, sie hätten den barschen Ton, den Offiziere, Corpsstudenten und deren Standesgenossen im Verkehr mit ihnen einzuschlagen pflegen, nicht länger ertragen können. Die Masse ihrer Berufskollegen wird diesen Ton als selbstverständlich hingenommen haben; wer ihn nicht hinnehmen wollte, musste auswandern.

Wo das Arbeitsverhältnis nicht rein geldwirtschaftlich geordnet ist, wo z. B. ein Teil des Lohnes in Naturalleistungen besteht, oder wo es zu persönlicher Berührung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt, spielen Dinge mit, die sich der eindeutigen Regelung in Verträgen und der objektiven Feststellung der Vertragserfüllung entziehen. Der Arbeiter ist da mehr oder weniger auf wohlwollende Auslegung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber angewiesen; es macht einen Unterschied aus, ob er gut oder schlecht behandelt wird. In den rein geldwirtschaftlich geregelten Beziehungen wird der Arbeitnehmer nicht behandelt ; er leistet und wird für die Leistung nach dem Marktpreise bezahlt. Wo aber behandelt wird, wird gute Behandlung vom Arbeitnehmer, der sie sucht, durch Lohnnachlass erkauft. In den Ankündigungen in den Tageszeitungen, durch die häusliche Dienstboten Stellung suchen, las man und liest man sehr häufig in den Ländern, in denen man die Dienstboten nach alter Art noch streng behandelt, die Wendung: «sieht mehr auf gute Behandlung als auf hohen Lohn.»

Man hat der Geschichte der Arbeitsverhältnisse in der modernen Großindustrie eine falsche Auslegung gegeben, wenn man meinte, die Hebung der Reallöhne, die Verdrängung der Frauen- und Kinderarbeit und die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit wären das Ergebnis des auf die Unternehmer vom Staate, von den Gewerkschaften und von der öffentlichen Meinung geübten Druckes; die Arbeitgeber hätten, wenn sie nicht diesem Zwange hätten weichen müssen, die Vorteile, die die Steigerung der Produktivität der Arbeit gebracht hat, ganz für sich behalten; der soziale Aufstieg der Arbeitnehmer gehe daher auf Kosten des Einkommens der besitzenden Schichten, der Unternehmer, Kapitalisten und Grundbesitzer. Dass diese Auffassung unhaltbar ist, ergibt sich schon aus dem über die vermeintliche stillschweigende Koalition der Arbeitgeber zur Niedrighaltung der Löhne Gesagten. Die Wirkung der «sozialpolitischen» Gesetze, insbesondere der Arbeiterschutzgesetze im engeren Sinne, ist ganz anders, als es sich die öffentliche Meinung gemeiniglich vorzustellen pflegt.

Die Kürzung der täglichen Arbeitsdauer, die Ausdehnung der Sonn- und Feiertagsruhe, die Verfügungen über Arbeiterurlaube und alle ähnliche Maßnahmen, die das Zeitausmaß der [561] Arbeit, die der einzelne Arbeiter leistet, herabsetzen, belasten die besitzenden Schichten, die Eigentümer der Produktionsmittel, durch die Verschiebung der Grenzproduktivität von Kapital und Arbeit. Da das Gesamtangebot an Arbeit herabgemindert wird, wird bei ungeändertem Stand des Kapitalreichtums eine Erhöhung des der Arbeit zufallenden Anteils am Gesamtprodukt eintreten. Doch das Gesamtprodukt, wird kleiner sein, und es ist fraglich, ob der größere Anteil am kleineren Produkt mehr bedeutet als früher der geringere Anteil am größeren Produkt. Zins und Unternehmergewinn werden von der Kürzung der verfügbaren Arbeitsmenge überhaupt nicht unmittelbar berührt. Die Preise der Kapitalgüter sinken, die Löhne steigen pro Arbeitsleistungseinheit; die Preise der Produkte steigen gleichfalls. Ob die Geldlohnsteigerung im Haushalt der Arbeiter nicht durch die Steigerung der Preise der Konsum- güter aufgewogen wird, ist, wie gesagt, questio facti.

Es kann sich aber auch unter Umständen ergeben, dass die Voraussetzung, von der wir ausgegangen sind, dass nämlich die verfügbare Kapitalmenge unverändert geblieben ist, nicht zutrifft. Die Verkürzung der Arbeitszeit mag bestehende Anlagen unverwendbar machen und neue Anlagen erfordern, die nicht einfach durch Umstellung schon bestehender Anlagen, die nun nicht mehr brauchbar sind, gewonnen werden können. Damit entsteht eine Kapitalsverknappung, die einen Teil der Verknappung der Arbeitsmenge für eine längere oder kürzere Übergangszeit ganz oder teilweise in ihrer Wirkung auf die Verschiebung der Anteile der Produktionsfaktoren am Gesamtprodukt aufwiegen mag.

Wird mit der Verkürzung der Arbeitszeit verfügt, dass eine Kürzung der Tages-, Wochen- und Monatslöhne, die durch die neue Marktlage etwa erfordert wird, nicht eintreten darf, oder hindern schon bestehende institutionelle Einrichtungen die Kürzung, dann ist die Wirkung jener gleich, die auch sonst Lohntaxen, die die Löhne über die Marktsätze erhöhen wollen, auslösen. Die dekretierte Lohnsteigerung führt zu Arbeitslosigkeit.

Mit dem Fortschreiten der Kapitalbildung hat sich das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeit verschoben. Auf diesem Gebiete der geschichtlichen Erfahrung gibt es keine Möglichkeit der Messung und der arithmetischen Vergleiche. Doch das Urteil aller Geschichtsforscher, deren Urteilskraft nicht durch die Befangenheit im romantisch-sozialistischen Vorstellungskreis getrübt ist, muss dahin lauten, dass die kapitalistische Entwicklung überall den Kapitalreichtum weit stärker gemehrt hat, als der Vermehrung der Bevölkerungszahl entsprochen hätte. Die Kapitalmenge pro Kopf der [562] Gesamtbevölkerung und pro Kopf der arbeitsfähigen Bevölkerung ist heute weit größer als sie vor 50, vor 100 oder vor 200 Jahren war. Damit ist auch der Anteil, der vom Preis der Endprodukte auf den Lohn entfällt, gestiegen. Da die kapitalistische Produktion auch die Produktivität der Arbeit in gewaltigstem Masse gesteigert hat, führte das zu einer Hebung der materiellen Lage der Lohnarbeiter, die man als märchenhaft bezeichnen muss, wenn man sie mit dem Lebensstand der Arbeiter vergangener Zeiten vergleicht. Die Zeit, die man als die vorkapitalistische oder als die Zeit vor der «industriellen Revolution» bezeichnet, hat auch dem, den man damals als reich oder als wohlhabend angesehen hat, nur ein Leben ermöglicht, das man heute ärmlich nennen muss, wenn man es mit dem Leben der Massen in den modernen Industriestaaten vergleicht. Der Kapitalismus hat den Arbeiter nicht nur nicht verelendet, wie die Geschichtsblindheit Marx's und der Marxisten romantischen Lobrednern der guten alten Zeit nachgeschrieben hat und wie gedankenlose Demagogen immer wieder in die Welt hinausschreien; er hat über die Massen ein Füllhorn von Gaben ausgeschüttet. Wie unglücklich würde sich ein moderner amerikanischer oder englischer Fabriksarbeiter fühlen, wenn man ihn in das Haus eines mittelalterlichen Herrn versetzen würde und ihm zumuten würde, so zu leben, wie jener gelebt hat!

Mit dem Wachsen des Wohlstandes hat sich die Bewertung der Muße und des Arbeitsleids ändern müssen. Der besser befriedigte Arbeiter erreicht früher den Punkt, wo er in der Fortsetzung der Arbeit ein Übel erblickt, das durch den Ertrag der Arbeit nicht mehr aufgewogen wird; er lässt Kinder und Frau daheim, weil er auf den Ertrag ihrer Arbeit leichter verzichten kann. Nicht die sozialpolitische Gesetzgebung und nicht das Eingreifen der Gewerkschaften haben die Kürzung der täglichen Arbeitszeit, die Sonntagsruhe, die Einschränkung der Frauenarbeit und die Beseitigung der Kinderarbeit bewirkt, sondern der Kapitalismus, der den Arbeiter so wohlhabend gemacht hat, dass er nun für sich und seine Familie mehr Muße finden kann als früher. Die sozialpolitische Gesetzgebung hat im Grossen und Ganzen im 19. Jahrhundert nichts anderes getan, als Wandlungen, die sich auf dem Arbeitsmarkte vollzogen hatten, nachträglich die gesetzliche Weihe zu verleihen. Wo sie der industriellen Entwicklung vorauseilte, wurde der Vorsprung durch den schnellen Fortschritt der Reichtumszunahme bald wieder aufgeholt. Wo aber die Arbeiterschutzgesetze Verfügungen trafen, die nicht einfach eine Bestätigung eingetretener Wandlungen oder die Vorwegnahme von Wandlungen, die sich vorbereiteten, darstellten, blieb es fraglich, ob [563] sie für die betroffenen Arbeiter mehr eine Wohltat oder eine Last bedeuteten.

Die Sozialversicherungsgesetze haben dem Arbeitnehmer bestimmte Zuwendungen gebracht. Doch die Aufbringung der Mittel, aus denen diese Zuwendungen bestritten wurden, belasten, sofern sie durch eine allgemeine Steuer beschafft werden, immer die Arbeitnehmer, gleichviel ob die Arbeitgeber zu Beitragsleistungen verpflichtet wurden, die sie dem Arbeiter vom Lohn nicht abziehen dürfen, oder nicht. Eine Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge, Steuern oder anderer Art — des Arbeitslohns wird vom Arbeitgeber als Erhöhung des Preises, den er für die Arbeit zu zahlen hat, angesehen und muss daher schließlich durch eine entsprechende Senkung des dem Arbeiter zukommenden Barlohnes ausgeglichen werden. So betrachtet stellt sich die Sozialversicherung nicht als eine gegen den Arbeitgeber gerichtete Zwangsmassnahme dar, sondern als eine dem Arbeitnehmer auferlegte Beschränkung der Verwendung seines Arbeitsertrages.

VIII. Das Unternehmerrisiko des Arbeiters

Die Ausdrücke Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind aus Anschauungen entstanden, die uns schon lange fremd geworden sind. Sie stellen den Sachverhalt schief dar. Der Unternehmer empfängt die Arbeitsleistung des Arbeiters und zahlt dafür einen Preis, den Lohn; der Arbeiter verkauft dem Unternehmer die Leistung und wird für ihre Hingabe entlohnt.

Die Arbeit ist Produktionsmittel, und der Arbeiter ist als Verkäufer dieses Produktionsmittels von der Gestaltung der Marktlage abhängig.

Menge und Art der Arbeit, die der einzelne Arbeiter abzugeben vermag, sind teils durch seine angeborenen, teils durch seine erworbenen Eigenschaften bestimmt. An den angeborenen Eigenschaften kann der Arbeiter nichts mehr ändern. Sie sind ihm als Ausstattung von seinen Vorfahren mitgegeben worden; er kann dieses Pfund pfleglich verwalten und entwickeln, er kann es vor vorzeitigem Schwinden bewahren, doch er kann sich nie über die Grenzen hinwegsetzen, die die Natur seinen Kräften und Fähigkeiten gezogen hat. Er kann mehr oder weniger Geschick bezeigen in dem Bestreben, seine Leistungsfähigkeit so zu verwenden und zu verkaufen, dass er für sie den höchsten Preis herausschlägt, der auf dem Markte augenblicklich zu erzielen ist; doch er kann seine Natur nicht ändern, um sie dem Markte besser anzupassen. Es ist sein Glück, wenn [564] die Marktverhältnisse so liegen, dass eine Art von Arbeit, die er zu leisten versteht hoch belohnt wird; nicht seiner Geschicklichkeit, dem Schicksal hat er es zu danken, wenn Arbeit, die er zu leisten vermag, gut bezahlt wird. Greta Garbo hätte, wäre sie hundert Jahre früher zur Welt gekommen, sich wohl mit weit geringeren Löhnen begnügen müssen als mit denen, die ihr im 20. Jahrhundert gezahlt werden. Soweit ihre angeborenen Anlagen in Frage kommen, ist sie in ähnlicher Lage wie der Bauer, dessen Gut gewaltig im Preise gestiegen ist, weil die Ausbreitung einer Grosstadt es in das Stadtgebiet einbezogen hat.

Die angeborenen Anlagen werden durch Schulung und Übung für besondere Arbeiten ausgebildet. Der Arbeiter — oder seine Eltern — wenden Kosten für eine Erziehung auf, deren Frucht in der Erlangung von Eigenschaften liegt, die zur Leistung von besonderen Arten von Arbeit befähigen. Durch die Schulung wird die Brauchbarkeit der Arbeit einseitig erhöht; jede Spezialausbildung macht einseitig, sie erhöht den spezifischen Charakter des Produktionsmittels Arbeit. Die Mühe, — das Arbeitsleid -, die der Arbeiter auf seine Ausbildung verwendet hat, der Lohnentgang der Ausbildungszeit und die Geldauslagen, die mit der Ausbildung verbunden waren, sollen sich später in Gestalt höheren Lohnes bezahlt machen. Diese Aufwendungen stellen eine Anlage von Mitteln für künftigen Erfolg dar; ob die Erwartungen, unter denen sie gemacht wurden, sich erfüllen werden, ob die Aufwendung sich durch höheren Lohn bezahlt machen wird, ist wie bei jeder andern Spekulation von der künftigen Gestaltung des Marktes abhängig. Durch die Ausbildung, die Aufwendungen bindet, wird der Arbeiter zum Spekulanten und Unternehmer. Sein Risiko ist hier echtes Unternehmerrisiko, das Unternehmerverlust oder Unternehmergewinn bringt je nach der Gestaltung des Marktes.

Der Lohnarbeiter verkauft seine Leistung um den Preis, den sie heute auf dem Markte hat; dieser Preis bleibt, wie die Preise aller Produktionsmittel, caeteris paribus hinter dem Preise zurück, der für sie am Tage der Fertigstellung der Genussgüter, deren Erzeugung sie dient, erzielt werden könnte. Das Risiko künftiger Änderungen der Marktpreise der Produkte wird ganz vom Unternehmer getragen, der den Arbeiter beschäftigt und entlohnt. Doch dem Arbeiter bleiben andere Risken:

a) Das Risiko, das mit der Aufwendung von Zeit, Arbeitsleid und Barauslagen für die Ausbildung zu einem bestimmten Beruf verbunden ist.

[565]

b) Das Risiko, das mit der Aufwendung von Zeit und Barauslagen für die Niederlassung an einem bestimmten Ort verbunden ist.

c) Im Falle des Verkaufes der Arbeitsleistung für einen längeren Zeitabschnitt: das Risiko der Veränderung der Lohnhöhe während der Dauer der Vertragszeit und das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers.

Der Arbeiter trägt mithin auch als Lohnarbeiter wie die Unternehmer Risken, die aus der Unsicherheit der Zukunft stammen.

IX. Der Arbeitsmarkt

Der Arbeitslohn ist der Preis des ProduktionsmittelsArbeitsleistung. Wie die Preise aller komplementären Produktionsmittel wird er durch die Preise der Genussgüter bestimmt. Es macht dabei keinen Unterschied, ob der Arbeiter seine Arbeitsleistung als Lohnarbeiter einem Unternehmer verkauft, der sie mit anderen Produktionsmitteln zusammenfügt und das Produkt dieser Zusammenfügung weiter verkauft, oder ob der Arbeiter seine Arbeitsleistung als Unternehmer auf eigene Rechnung und Gefahr mit anderen Produktionsmitteln zusammenfügt und selbst das Produkt veräußert. Gleicher Leistung kommt im endlichen Preisstand gleicher Lohn zu. Der Preis der Arbeit ist stets der volle Arbeitsertrag. Die Bildung der Löhne und die der Preise der sachlichen Produktionsmittel folgen denselben Gesetzen. Dem Schlagwort «Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag» lag eine unsinnige Vorstellung zugrunde. Die Produkte können keiner wie immer gearteten Betrachtung als Ertrag bloßer Arbeit erscheinen. Sie treten in die Welt als das Ergebnis einer Verbindung von Arbeit und von sachlichen Produktionsmitteln.

In der lebenden und sich verändernden Wirtschaft haben die Löhne die Tendenz, sich zu den Gleichgewichtslöhnen hin zu bewegen; wenn keine weiteren Datenänderungen auftreten würden, müssten die Marktlöhne und die Gleichgewichtslöhne schließlich zusammenfallen. Die Anpassung erfordert Zeit. Die Anpassungszeit ist umso länger, je mehr Unkenntnis über die Lage des Marktes besteht; die Bedeutung der Einrichtungen für Arbeitsvermittlung liegt gerade darin, dass sie diese Unwissenheit abzustellen suchen. Dann kommt die Dauer der Umschulungszeit in Betracht und schließlich auch die Zeit, die durch die Umsiedlung der Arbeiter beansprucht wird.

Die Anpassung des Arbeiterangebots an die Nachfrage nach Arbeit erfordert meist mehr oder weniger hohe Aufwendungen. [566] Umschulung und Umsiedlung sind mit Kosten verbunden, die man nur aufwendet, wenn man der Überzeugung ist, dass die künftige Lage des Arbeitsmarktes sie rechtfertigt. Die Anpassung ist daher in gewissem Umfange von spekulativen Erwägungen abhängig.

In all dem liegt nichts, was der Arbeit, dem Arbeitsmarkte und dem Arbeitslohne eigentümlich wäre. Die Besonderheit des Arbeitsmarktes in dieser Hinsicht wird durch den Umstand gegeben, dass der Arbeiter nicht nur Träger des Produktionsmittels Leistung ist, sondern zugleich auch Mensch, und dass man die Leistung vom Menschen nicht zu trennen vermag. Man hat den Hinweis auf diesen Umstand meist dazu verwendet, um die nationalökonomische Lehre vom Arbeitslohn als weltfremd zu bezeichnen. Doch die Erinnerung an diese Kritik darf die Nationalökonomie nicht abhalten, diesem Tatbestand die ihm gebührende Berücksichtigung zuteil werden zu lassen.

Es ist für den Arbeiter nicht gleichgültig, was für eine Art von Arbeit (von den verschiedenen Arten von Arbeit, die er zu leisten vermag) er leistet, wo er sie leistet, und unter welchen äußeren Umständen er sie leistet. Man mag die Anschauungen und Gefühle, die den Arbeiter dazu veranlassen, manche Art von Arbeit, manche Arbeitsstätten und manche Arbeitsbedingungen anderen vorzuziehen, als unbegründete Vorurteile bezeichnen. Doch solche Werturteile gehen die Nationalökonomie nichts an. Für die nationalökonomische Betrachtung liegt nichts Auffälliges darin, dass der Arbeiter die Arbeit nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Lohns und des Arbeitsleids betrachtet, sondern auch prüft, ob sie nicht unter Umständen geleistet werden muss, die er als Beeinträchtigung seines Lebensgenusses ansieht. Dass ein Arbeiter bereit ist, Opfer dafür zu bringen, dass er in seiner Heimat bleiben darf und sie nicht mit einem Arbeitsorte vertauschen muss den er als weniger wünschenswerten Aufenthaltsort ansieht, ist nicht mehr oder weniger auffällig, als dass ein Müßiggänger, der seinen Aufenthalt nach Belieben wählen darf, den kostspieligen Aufenthalt in der Hauptstadt dem billigeren Leben in einem Dorf vorzieht. Da der Mensch, der arbeitet, der Arbeiter, und der Mensch, der genießt, der Verbraucher, identisch sind, da sie nur im Denken, das die Funktionen gesondert betrachtet, in zwei Wesen zerlegt werden können, können die Menschen die Entscheidungen über die Verwertung ihrer Arbeit nicht von denen über ihren Genuss sondern.

Der Arbeiter ist durch seine Herkunft, Sprache, Erziehung, Religion und Mentalität und durch die persönlichen Beziehungen zu seiner Familie und zu seinen Freunden örtlich [567] gebunden, so dass er die Wahl des Arbeitsortes, die auch seinen Wohnsitz bestimmt, nicht nur im Hinblick auf die Lohnhöhe trifft.

Wir wollen die Lohnsätze, die in der gleichmäßigen Wirtschaft unter der Voraussetzung bestehen würden, das die Arbeiter zwischen den verschiedenen Arbeitsorten nicht unterscheiden und bei gleicher Lohnhöhe keinem Arbeitsort vor einem andern den Vorzug geben, neutrale Lohnsätze nennen. Sofern die Arbeiter jedoch aus den obenbezeichneten Gründen zwischen den verschiedenen Arbeitsorten unterscheiden, können die Marktlöhne von den Neutrallöhnen abweichen. Die höchste Differenz zwischen dem Marktlohn und dem Neutrallohn, bei der es nicht zur Abwanderung von Arbeitern von den Orten niedrigeren Marktlohns zu den Orten höheren Marktlohns kommt, wollen wir die Lohnprämie nennen. Die Lohnprämie eines Ortes kann positiv oder negativ sein. [248]

Wir müssen ferner den Umstand in Betracht ziehen, dass die verschiedenen Orte in Bezug auf die Zufuhr der Genussgüter unter verschiedenen Bedingungen stehen, je nach dem sie näher oder weiter von den Produktionsstätten entfernt sind, und dass an manchen Orten vom Arbeiter Aufwendungen gemacht werden müssen, die er an anderen Orten nicht machen müsste, um, abgesehen von den Momenten, die die Gestaltung der Lohnprämie bestimmen, denselben Grad von Befriedigung zu erreichen. An manchen Orten wieder kann der Arbeiter ohne Beeinträchtigung seiner Befriedigung Aufwendungen vermeiden, die er an der Mehrzahl aller anderen Orte machen müsste. Die Aufwendungen, die der Arbeiter an manchen Orten machen muss, um in diesem Sinne dasselbe Maß an Befriedigung zu erreichen, oder die er an anderen Orten sparen könnte, ohne in diesem Sinne das Maß an Befriedigung zu schmälern, wollen wir die Ortsprämie nennen. Die Ortsprämie kann positiv oder negativ sein.

Nehmen wir an, dass der Übertragung der Kapitalgüter und der Arbeiter von Ort zu Ort keine institutionellen Hindernisse im Wege stehen, dann wird, wenn die Arbeiter zwischen den Arbeitsorten nicht unterscheiden, in der gleichmäßigen Wirtschaft die Verteilung der Arbeiter über die Erdoberfläche der Abstufung der Ergiebigkeit der ursprünglichen naturgegebenen Produktionsfaktoren und der in der Vergangenheit mit dem Boden fest verbundenen Kapitalsanlagen entsprechen. Es gibt dichter und weniger dicht besiedelte Gebiete; die Lohnsätze [568] sind, wenn wir von der Ortsprämie absehen, überall gleich hoch.

Man kann einen Teil der Erdoberfläche als relativ übervölkert bezeichnen, wenn der Marktlohn zuzüglich oder abzüglich der Ortsprämie dort niedriger ist als der Neutrallohn, und als relativ untervölkert, wenn der Marktlohn zuzüglich oder abzüglich der Ortsprämie dort höher steht als der Neutrallohn. Diese Ausdrucksweise wäre jedoch für die Erklärung der Gestaltung der Lohnsätze und des Verhaltens der Arbeiter nicht zweckmäßig. Aus dem so gefassten Tatbestand der relativen Über- oder Untervölkerung ergibt sich nichts, was das Handeln bestimmt.

Es erscheint daher zweckmäßiger, die Begriffe der relativen Über- und Untervölkerung anders zu fassen. Als relativ übervölkert wollen wir einen Teil der Erdoberfläche bezeichnen, in dem der Marktlohn ( M ) niedriger ist als der um die Ortsprämie ( O ) vermehrte oder verminderte Neutrallohn ( N ) abzüglich oder zuzüglich der Lohnprämie ( L ), wo also M < (N±O±L) . Als relativ untervölkert wollen wir einen Teil der Erdoberfläche bezeichnen, in dem der Marktlohn höher ist als der um die Ortsprämie vermehrte oder verminderte Neutrallohn abzüglich oder zuzüglich der Lohnprämie, wo also M > (N±O±L) . Stehen der Abwanderung und Zuwanderung von Arbeitern keine gesetzlichen Hindernisse im Wege, dann wandern Arbeiter von den übervölkerten Gebieten nach den untervölkerten, bis endlich überall der Marktlohn gleich ist dem durch Ortsprämie und Lohnprämie erhöhten oder verminderten Neutrallohn.

Was von den Lohnarbeitern gilt, gilt mutatis mutandis auch von den Wirten, deren Arbeitslohn im Preise von Produkten, die sie als selbständige Unternehmer verkaufen, enthalten ist.

Der gleiche Gedankengang ist auch auf die Wanderung von Arbeitern von einem Berufszweig zu einem andern anwendbar; statt von Ortsprämie könnte man in diesem Falle von Berufsprämie sprechen.

Die Arbeit der Tiere und der Sklaven

Die Tiere sind für den Menschen sachliche Produktionsmittel Es mag sein, dass ein Wandel der sittlichen Auffassungen einmal dazu führen wird, das die Menschen die Tiere besser behandeln werden. Doch soweit die Menschen die Tiere nicht ruhig ihrer Wege ziehen und sie frei gewähren lassen, werden sie in ihnen lediglich Objekte ihres Handelns sehen. Kooperation in gesellschaftlichem Verbande ist nur zwischen Menschen möglich, weil nur Menschen fähig sind, Einsicht in das Wesen der Arbeitsteilung und des friedlichen freien Zusammenwirkens zu erlangen.

[569]

Der Mensch bändigt das Tier und fügt es in sein Handeln als Sache ein. Auch wenn die Bändigung und Abrichtung des Tieres sich eines Verfahrens bedient, das auf dem Eingehen auf die Eigenart der tierischen Psyche beruht, bleibt die Kluft, die den Menschen vom Tier scheidet, unüberbrückbar. Das Tier kann nie anderes erhalten als Nahrung, Befriedigung des Geschlechtstriebes und den den natürlichen Bedingungen, denen sein Wesen angepasst ist, entsprechenden Schutz gegen schädliche Einwirkungen der Außenwelt. Die Tiere sind tierisch und unmenschlich, weil sie genau so sind, wie sich das eherne Lohngesetz die Menschen vorgestellt hat. Und wie niemals menschliche Gesellschaft und menschliche Kultur hätten werden können, wenn die Menschen nur auf Fressen, Saufen und Paarung bedacht geblieben wären, so können die Tiere weder selbst Gesellschaft bilden noch an der Gesellschaft der Menschen teilhaben.

Man hat versucht, auch Menschen als Haustiere zu behandeln und zu bewirtschaften. Man hat Galeerensklaven und Schiffszieher mit der Peitsche zur Arbeit verhalten wie Pferde im Göpelwerk. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass man durch andere Verfahren aus den Menschen, und wären sie auch noch so roh und unbegabt, mehr herauszuholen vermag als durch brutale Vergewaltigung.

Der Urmensch macht keinen Unterschied zwischen seinem Eigentum an Weibern, Kindern und Sklaven und seinem Eigentum an Vieh und an leblosen Gegenständen. Doch wenn er vom Sklaven andere Dienste verlangt als solche, die auch ein Zugtier oder Tragtier leisten kann, muss er seine Fesseln lockern und ihn nicht nur durch bloße Gewalt und Androhung von Gewalt, sondern auch durch Weckung persönlichen Interesses an sich zu binden suchen. Wo der Sklave nicht nur durch Fesselung und ständige Bewachung am Entfliehen gehindert und nicht nur durch die Peitsche zur Arbeit angehalten wird, wird das Verhältnis Herr-Sklave ein gesellschaftliches Verhältnis. Der Sklave mag, besonders wenn die Erinnerung an glücklichere Tage der Freiheit noch frisch ist, sein Schicksal beklagen und die Befreiung ersehnen; doch er findet sich notgedrungen mit dem Stand der Dinge ab, den er zur Zeit nicht zu ändern vermag, und er sucht sich ihm so anzupassen, dass sein Leben so erträglich als möglich werde. Der Sklave sucht den Herrn durch sein Verhalten und durch seine Leistung zufriedenzustellen, und der Herr trachtet, durch vernünftige Behandlung die Anhänglichkeit und die Arbeitslust des Dieners zu heben. Zwischen Herren und Sklaven entwickeln sich persönliche Beziehungen, die man mitunter geradezu als Freundschaft bezeichnen darf.

Vielleicht hatten die Lobredner der Sklaverei nicht unrecht, wenn sie behaupteten, dass nicht nur die Herren, sondern auch die Sklaven sich mit dem Institut so wohl abgefunden haben, dass sie keine Veränderung wünschten. Es gibt vielleicht einzelne Menschen und ganze Gruppen und Rassen von Menschen, die in der Sklaverei Geborgenheit empfinden, in ihr keine Demütigung und Entwürdigung sehen, eher froh sind, bei mäßiger Arbeit das Wohlleben eines reichen Hausstandes mitzugenießen, und in der Abhängigkeit von den Launen und von der Zuchtgewalt der Herrschaft nur ein kleines Übel oder überhaupt kein Übel erblicken.

Die Verhältnisse, unter denen die unfreien Arbeiter in landwirtschaftlichen Grossbetrieben, in Bergwerken, in gewerblichen Werkstätten und auf Galeeren zu arbeiten hatten, waren freilich von den als idyllisch geschilderten Lebensbedingungen der im häuslichen Dienste verwendeten Kammerdiener, Zofen, [570] Köche und Ammen und der in Bauernwirtschaften tätigen Knechte, Mägde und Hirten sehr verschieden. Kein Lobredner der Sklaverei war verwegen genug, das Leben der im ergastulum eingepferchten römischen Feldsklaven oder der auf den Baumwollplantagen Nordamerikas fronenden Negersklaven poetisch verklären zu wollen. [249]

Die Beseitigung der persönlichen Unfreiheit der Arbeiter ist nicht der Kritik von Morallehrern und Religionsstiftern und nicht der Schwäche der Herren zuzuschreiben. Sklaverei und Leibeigenschaft sind verschwunden, weil sie sich als Arbeitssysteme neben der freien Arbeit nicht zu behaupten vermochten, weil sie sich in der Marktwirtschaft als unrentabel erwiesen haben.

In der Sklavenwirtschaft, in der Sklaven als Arbeiter in der Produktion verwendet werden, ist der Sklave für den Herrn ein sachliches Produktionsmittel wie das Vieh. Der Preis, der für Sklaven gezahlt wird, entspricht dem reinen Nutzen, den man aus der Verwendung des Sklaven zu ziehen erwartet, wie der Preis, der für Rindvieh oder Pferde gezahlt wird, dem reinen Nutzen, den man von ihrer Verwendung zu ziehen hofft, entspricht. Dem Eigentümer von Sklaven fließt daher kein spezifisches Einkommen zu. Wer Sklaven kauft, hat einen Kaufpreis zu zahlen, der dem eskomptierten Ertrag ihrer Arbeit abzüglich der durch ihren Unterhalt und ihre Bewachung erwachsenden Auslagen gleichkommt. Den spezifischen Gewinn erzielt nicht der Sklavenhalter, mag er nun den Sklaven im eigenen Unternehmen verwenden oder seine Arbeitskraft an Unternehmer vermieten, sondern der, der Freie in Sklaven verwandelt, der Sklavenjäger. Doch der Gewinn des Sklavenjägers ist davon abhängig, dass für Sklaven Preise bezahlt werden, weil die Verwendung von Sklaven rentabel erscheint.

Nirgends und niemals ist es Unternehmungen, die unfreie Arbeiter verwendet haben, möglich gewesen, mit Unternehmungen, die freie Arbeiter verwendet haben, erfolgreich in Wettbewerb zu treten. Die unfreie Arbeit konnte überhaupt nur dort verwendet werden, wo sie den Wettbewerb freier Arbeit; nicht zu fürchten hatte.

Wenn man Menschen als Vieh behandelt, kann man aus ihnen auch nicht mehr herauswirtschaften als aus Vieh. Dann kommt aber zur Geltung, dass der Mensch physisch schwächer ist als das Vieh und dass sein Unterhalt und seine Bewachung im Verhältnis zur Leistung kostspieliger sind. Als Haustier betrachtet gibt der Mensch ein schlechteres Rendement als Rinder und Pferde. Verlangt man aber vom unfreien Arbeiter menschliche Leistungen, dann muss man ihn am Ertrag der Arbeit interessieren; man muss ihm die Hergabe von Leistungen, die man nicht einfach durch die Peitsche herauszupressen vermag, erstrebenswert machen. Nie aber wird man vom unfreien Arbeiter, d.h. von einem Arbeiter, dem nicht der volle, seiner Arbeit zugerechnete Ertrag als Lohn zufließt, Leistungen zu erhalten vermögen, die denen freier Arbeiter gleichwertig sind. Die Grenze, über die hinaus die Qualität und Quantität der Arbeit des Sklaven nicht gesteigert werden kann, liegt tief unter der Quantität [571] und Qualität von Arbeit, die der freie Arbeiter leistet. Der auf Qualitätsarbeit angewiesene Betrieb kann sich mit der scheinbar billigeren Arbeit von Sklaven dem freie Arbeit verwendenden Unternehmer gegenüber nicht behaupten. Das ist die Klemme, aus der es für den, der unfreie Arbeit verwenden will, kein Entrinnen gibt.

Gesellschaftliche Einrichtungen haben mitunter ganze Gebiete oder Produktionszweige zu Reservaten unfreier Arbeit gemacht, indem sie das Eindringen des Wettbewerbs freier Arbeit hinderten. Die Unfreiheit der Arbeit war dann ein Stück starrer ständischer Gliederung geworden, das durch das Handeln der Einzelnen nicht beeinflusst werden konnte. Wo die Dinge anders lagen, haben die Herren im eigenen Interesse Maßnahmen ergriffen, die schrittweise zur Beseitigung der Unfreiheit führen mussten. Nicht aus Menschlichkeit und Mildherzigkeit haben die harten und erbarmungslosen altrömischen Sklavenbesitzer die Fesseln ihrer Sklaven gelockert, sondern um von ihrem Eigentum den Nutzen zu ziehen, den es gewähren konnte. Der landwirtschaftliche Grossbetrieb wurde aufgelöst, und die unfreien Arbeiter wurden als Colonen angesiedelt, die für eigene Rechnung und Gefahr zu wirtschaften hatten und dem Herrn nur einen Pachtzins schuldeten. Im Gewerbe wurde der Sklave zum selbständigen Unternehmer und seine Habe, das peculium, auch rechtlich zu seinem Eigentum und Vermögen. Man ließ Sklaven massenhaft frei, weil der Freigelassene dem Patron wertvollere Dienste leistete als der Sklave. Denn die Freilassung war kein Gnadenakt und kein bloßes Geschenk von Seite des Herrn; man könnte sie als ein Kreditgeschäft bezeichnen, da der Freigelassene für die Freiheit im Laufe der auf die Freilassung folgenden Jahre — meist bis auf sein Lebensende — dem Herrn gegenüber zu vermögensrechtlichen Leistungen verpflichtet blieb und dem Herrn am Nachlass des Freigelassenen sowohl ein Intestaterbrecht als auch ein Noterbrechtsanspruch zukam. [250]

Mit der Auflösung der auf Sklavenarbeit beruhenden landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe hörte die Unfreiheit auf, ein Arbeitssystem zu bilden, und wurde zu einem politischen Privileg. Die Herren hatten das Recht, von den Unfreien Abgaben und persönliche Dienste zu fordern, sie konnten auch über ihre Kinder als Gesinde und als militärisches Gefolge verfügen. Doch die unfreien Bauern und Handwerker wirtschafteten auf eigene Rechnung. Erst wenn das Erzeugungsverfahren abgeschlossen war, trat der Herr auf den Plan und forderte seinen Anteil an den Früchten. Später, seit dem 16. Jahrhundert, hat man wieder den Versuch unternommen, die unfreie Arbeit in landwirtschaftlichen — mitunter auch in gewerblichen — Grossbetrieben zu verwenden. In den amerikanischen Kolonien wurde die Negersklaverei zum Arbeitssystem der Plantagen. In Osteuropa (in Ostdeutschland, in den Ländern der böhmischen Krone, in Polen, in den baltischen Ländern und in Russland, auch in Ungarn) wurde der landwirtschaftliche Grossbetrieb auf der Robotpflicht der Bauern und dem Zwangsgesindedienst der Bauernkinder aufgebaut. Beide Arbeitssysteme waren politisch gegen den Wettbewerb von Betrieben, die freie Arbeit verwenden wollten, geschützt. In den Plantagengebieten verhinderten die hohen Kosten der Einwanderung und die Schutz- und Rechtlosigkeit des [572] Einzelnen gegenüber der Willkürherrschaft der Gouverneure die Bildung eines Anbots freier Lohnarbeit und das Aufkommen von Farmerwirtschaften. In Osteuropa verwehrte die ständische Gliederung der Gesellschaft das Eindringen neuer Elemente in die Landwirtschaft. Großgrundbesitz durften nur Adelige erwerben, und auf den Bauernstellen, die dem Obereigentum der Gutsherren unterstanden, durften nur unfreie Bauern siedeln. Darüber, dass die unfreie Arbeit verwendenden Betriebe nicht imstande wären, den Wettbewerb von Betrieben, die freie Arbeit verwenden, auszuhalten, gab man sich keiner Täuschung hin. Das betriebswirtschaftliche Schrifttum des 18. und 19. Jahrhunderts stimmte darin ebenso überein wie die altrömischen Bearbeiter agrartechnischer Probleme. Doch die Beseitigung der Unfreiheit konnte nicht durch das Getriebe des Marktes erfolgen, weil die politischen Verhältnisse den Sklaven- und Roboterbetrieb dem Einfluss des Marktes entzogen. Die Unfreiheit wurde erst durch politische Maßnahmen aufgehoben, die der Geist des Liberalismus eingegeben hatte.

Heute stehen wir wieder vor Bestrebungen, die freie Arbeit des seine Arbeit als Ware auf dem Markte verwertenden Arbeiters durch Zwangsarbeit zu ersetzen. Man glaubt wohl, dass zwischen der Zwangsarbeit, die die Genossen eines sozialistischen Gemeinwesens zu leisten haben, und der der Sklaven und Leibeigenen ein Unterschied bestehe. Die Zwangsarbeit der Unfreien sei für den Herrn geleistet worden; im sozialistischen Gemeinwesen falle jedoch der Ertrag der Arbeit der Gesellschaft zu, der auch der Arbeiter eingegliedert sei; so arbeite der Arbeiter gleichsam für sich. Man vergisst nur dabei, dass die Identifizierung des einzelnen Genossen und der Gesamtheit aller Genossen mit dem Kollektivgebilde, dem der Ertrag der Arbeit zufließt, fiktiv ist. Ob nun die Zielsetzungen der Machthaber mit denen der einzelnen Genossen übereinstimmen oder nicht, der Ertrag der Arbeit kommt keinesfalls dem Arbeiter in Gestalt des auf dem Markte gebildeten Lohnes zu. Im sozialistischen Gemeinwesen, das in der Wirtschaft nicht rechnen und die den einzelnen komplementären Produktionsfaktoren zuzurechnenden Anteile am Produkt nicht gesondert zu ermitteln vermag, kann der Beitrag, den die Wohlfahrt der Arbeit des Einzelnen verdankt, nicht ermittelt und daher auch nicht zum Maßstab für die Entlohnung des Arbeiten gemacht werden.

Um freie Arbeit und Zwangsarbeit zu unterscheiden, bedarf es keiner spitzfindigen Untersuchungen über das Wesen der Freiheit und des Zwanges. Freie Arbeit wollen wir die nicht im Hinblick auf unmittelbaren Arbeitsgenuss geleistete Außenarbeit nennen, die der Arbeiter unmittelbar für eigenen Bedarf oder um des auf dem Markte gebildeten Lohnes leistet, Zwangsarbeit die Arbeit, die in anderer Weise entlohnt wird. Wenn jemand an diesem Sprachgebrauch Anstoß nehmen sollte, weil er durch die Verwendung der Ausdrücke Freiheit und Zwang Gedankenverbindungen nahelegt, die der objektiven wissenschaftlichen Behandlung der Probleme abträglich werden könnten, kann man ebensogut auch andere Bezeichnungen wählen, z. B. für freie Arbeit A -Arbeit und für Zwangsarbeit B -Arbeit sagen. Das entscheidende Problem wird durch die Ausdrucksweise nicht berührt. Es handelt sich darum, wodurch ein Arbeiter, der nicht durch den auf dem Markte für seine Leistung gebildeten Preis belohnt wird, zur Überwindung des Arbeitsleids veranlasst wird.

Man mag annehmen, dass viele Arbeiter, dass vielleicht die meisten Arbeiter aus eigenem Antrieb — aus Pflichtgefühl — bereit sein werden, sich alle [573] erdenkliche Mühe zu geben, um jenes Arbeitspensum zu erfüllen, das ihre Vorgesetzten von ihnen verlangen werden. Wir wollen es dahingestellt sein lassen, ob sich nicht schon bei der Festlegung des vom Einzelnen zu fordernden Pensums für die Leitung einer sozialistischen Wirtschaft unüberwindliche Schwierigkeiten ergeben müssen. Doch wie soll man mit jenen verfahren, die in der Erfüllung der ihnen auferlegten Pflichten säumig sind? Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als sie zu strafen. Man muss den Vorgesetzten das Recht einräumen, die Verfehlung festzustellen, über ihre subjektiven Ursachen zu urteilen und demgemäss die Strafe zu bemessen. Aus dem Arbeitsverhältnis wird dann wieder ein Verhältnis persönlicher Unterordnung und Abhängigkeit.

Der unfreie Arbeiter hat über sich einen Herrn, dessen Zuchtgewalt er untersteht. In der Marktwirtschaft verkauft der Arbeiter seine Leistung auf dem Markte wie jeder andere Verkäufer. Der Arbeitgeber ist nicht Herr des Arbeitnehmers. Er ist nichts als der Käufer einer Leistung, die er zum Marktpreise bezahlen muss. Er schädigt sich selbst, wenn er den Arbeiter schlechter entlohnen wollte, weil er dann nur weniger geeignete Arbeiter einzustellen vermag.

Gewiss, jeder Käufer und so auch der Käufer von Arbeitsleistungen kann es sich erlauben, willkürlich vorzugehen. Doch er muss dann für die Willkür zahlen. Der Unternehmer und der für die Führung einer Abteilung eines größeren Unternehmens verantwortliche Angestellte können ans persönlichen Gründen einen brauchbaren Arbeiter entlassen oder schlechter entlohnen, als er es nach seinen Leistungen verdient. Doch wer so vorgeht, gefährdet die Rentabilität seines Unternehmens oder seiner Abteilung und damit sein eigenes Einkommen und seine eigene Stellung in der Wirtschaft. Der einzige wirksame ,Schutz des Arbeiters in der Marktwirtschaft liegt im Walten der Marktgesetze. Indem die Verbraucher auf dem Markte durch ihre Käufe und durch ihre Enthaltung vom Kaufe die Preise der Produkte und die Verwendung der Produktionsmittel regeln, weisen sie zugleich auch jedem einzelnen Arbeiter den Lohn zu. Der Markt macht den Arbeiter unabhängig von der Willkür der Unternehmer und seiner Gehilfen. Auch der Arbeiter hat in der Marktwirtschaft nur den Markt als Herrn über sich, genau so wie der Unternehmer und der Eigentümer von sachlichen Produktionsmitteln.

Gerade darin, dass der Unternehmer unter dem Drucke des Marktes die Arbeit als Ware behandelt und im Arbeiter nichts sieht als den Menschen, der ihm für Geld hilft, Geld zu verdienen, liegt die Freiheit des Arbeiters. Seine Leistung wird entlohnt, und er leistet, um Lohn zu empfangen. Gnade und Ungnade des Herrn haben für ihn keine Bedeutung. Er schuldet dem Arbeitgeber keinen Dank, er schuldet ihm eine Leistung.

Darum bedarf der Unternehmer in der Marktwirtschaft keiner Strafgewalt über den Arbeiter. Alle nichtmarktwirtschaftlichen Arbeitssysteme müssen dem, der Arbeiter verwendet, die Möglichkeit bieten, den säumigen Arbeiter zu höherem Fleiße anzutreiben. Da Gefängnis den Arbeiter entweder ganz der Arbeit entzieht oder seine Leistung sehr stark herabsetzt, war das klassische Mittel, um unfreie oder halbfreie Arbeiter zur Arbeit anzuhalten, stets die körperliche Züchtigung. Mit dem Verdrängen der unfreien Arbeit ist die Peitsche als Antrieb zur Arbeit entbehrlich geworden. Das Prügeln war das Symbol der unfreien Arbeit gewesen. Das marktwirtschaftliche Denken empfindet es als dermaßen unmenschlich und entwürdigend, dass es die Züchtigung auch in der [574] Erziehung, im Strafensystem der Gerichte und in der militärischen Disziplin beseitigt hat.

Wer des Glaubens ist, dass es in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung möglich wäre, ohne Zwangsmassnahmen gegen unfleißige Arbeiter auszukommen, weil doch jeder seinen Pflichten freiwillig nachkommen werde, gibt sich den Täuschungen hin, auf denen die anarchistischen Lehren beruhen. Auch ein sozialistisches Gemeinwesen wird nicht vermeiden können, Zwangsmittel gegen nachlässige und faule Arbeiter anzuwenden.

 


 

9. KAPITEL: DIE AUSSERMENSCHLICHEN URSPRÜNGLICHEN PRODUKTIONSFAKTOREN

I. Bemerkungen zur Rententheorie

Im Systeme Ricardo’s stellt der Rentengedanke einen Versuch dar, jene Erscheinungen zu erfassen, denen die moderne Nationalökonomie durch das Grenznutzengesetz beizukommen sucht. [251] Der Versuch misslang, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass das Verfahren der subjektivistischen Theorie dem Ricardo’s überlegen ist. Dennoch muss man feststellen, dass die Rententheorie den Ruhm, der ihr zuteil geworden ist, verdient hat, und dass die Arbeit, die zu ihrer Begründung und Verteidigung und zu ihrer Kritik und Zurückweisung aufgewendet wurde, reiche Früchte getragen hat. Die Geschichte der Nationalökonomie braucht sich der Rententheorie nicht zu schämen. [252]

Dass Boden verschiedener Art und verschiedener Leistungsfähigkeit verschieden gewertet wird, bietet der Betrachtungsweise der modernen Nationalökonomie überhaupt kein Problem. Soweit die Ricardo’sche Rententheorie sich mit der Abstufung der Wertung und Bewertung der Bodenleistungen befasst, ist sie in der modernen Lehre von der Preisbildung der Produktionsmittel ganz enthalten. Nicht der Inhalt der Rententheorie, sondern die Sonderstellung, die ihr im System zugewiesen wird, ist anstößig. Die Differentialrente ist eine allgemeine Erscheinung, die nicht auf die Gestaltung der Wertung und der Preise von Bodenleistungen beschränkt ist. Der Boden und die Dienste, [575] die er leistet, werden nicht anders behandelt als andere Produktionsmittel und deren Leistungen. Die Verfügung über das bessere Werkzeug und die über die höhere Begabung zur Arbeit erscheinen als Rentenquellen, wenn wir sie mit dem schlechteren Werkzeug und mit dem schlechteren Arbeiter, die man wegen der bestehenden Knappheit noch verwenden muss, vergleichen.

Manche Schwierigkeiten, zu deren Lösung man die Rententheorie heranziehen wollte, entsprangen dem Gebrauche von für nationalökonomische Untersuchungen ungeeigneten Wörtern. Die Allgemeinbegriffe, die die Nationalökonomie in der Sprache und in der Begriffsbildung des Alltags vorgefunden und zunächst bedenkenlos für ihr Denken verwendet hat, waren nicht im Hinblick auf die praxeologischen Probleme geschaffen worden. Nur wenn man sich an das Wort Boden oder an das Wort Arbeit klammert, kann man die Frage aufwerfen, warum Boden oder Arbeit verschieden gewertet und bewertet werden. Wenn man nicht vom Wort, sondern von der Leistung und Bedeutung für die menschlichen Zwecke ausgeht, erscheint es als selbstverständlich, dass verschiedener Leistung im Handeln verschiedene Bedeutung beigelegt wird.

Die Wert- und Preislehre unterscheidet nicht Boden, Kapital und Arbeit, sondern Güter höherer und Güter niederer Ordnung, Produktionsmittel und Genussgüter. Wenn sie innerhalb der Produktionsmittel die ursprünglichen Produktionsmittel von den produzierten Produktionsmitteln unterscheidet und bei den ursprünglichen Produktionsmitteln wieder die menschliche Arbeit von den ursprünglichen außermenschlichen oder sachlichen Produktionsmitteln, lässt sie den Gedankengang, auf dem sie zur Erfassung des Prozesses der Preisbildung der Produktionsmittel gelangt, unberührt. Die Aufteilung der Preise der Genussgüter auf die Preise der komplementären Produktionsmittel folgt bei allen Arten von Produktionsmitteln denselben Gesetzen. Dass verschiedene Leistungen verschieden gewertet, bewertet und behandelt werden, kann nur einem Betrachter, der auf die Verschiedenheit nicht achtet, auffällig erscheinen. Wer blind ist für die Qualitäten von Gemälden, wird es merkwürdig finden, dass für ein Gemälde von Velasquez höhere Preise gezahlt werden als für ein Gemälde, das ein weniger begnadeter Künstler gemalt hat; dem Kenner erscheint das selbstverständlich. Der Landwirt wundert sich nicht darüber, dass für fruchtbareren Boden höhere Preise gezahlt werden als für weniger fruchtbaren. Wenn die Nationalökonomen das einst als erklärungsbedürftig erachteten, geschah es, weil sie von dem Allgemeinbegriff Boden ausgingen, der von den Qualitätsunterschieden absieht.

[576]

Nicht anders als mit der Differentialrente steht es mit der Residualrente, die Ricardo neben der Differentialrente zur Erklärung des Bodenpreises verwendet. Auch das Residualprinzip ist ein allgemeines Prinzip, das auf alle Produktionsmittel angewendet werden kann.

Die gleichmäßige Wirtschaft werde durch das Hinzutreten einer Produktivgütermenge d gestört. Der Zuwachs von d ermöglicht es, eine Menge von Produktionsmitteln a , die bisher zur Erzeugung des Genussgutes g verwendet wurde, aus dieser Verwendung herauszuziehen und durch die Kombination von a und d ein Genussgut G zu erzeugen, das höher geschätzt wird als g . Dann ist von der Verfügung über d der Wohlfahrtsgewinn abhängig, der durch die Differenz der Wertung von G und g gegeben ist. Der Wert, der d beigelegt wird, entspricht der höheren Bedeutung, die die Wertung dem Gute G gegenüber dem Gute g beilegt. Es ist dabei ohne Belang, ob es sich bei d um eine Menge eines schon vorhandenen und bisher durch dringendere Zwecke beanspruchten Gutes oder um eine Menge eines bisher nicht verfügbaren Produktionsmittels handelt oder um eine Erweiterung der zugänglichen und verwendbaren Menge von Gütern. Es ist weiter ohne Belang, ob d eine Menge von Boden, Kapitalgütern oder Arbeit darstellt. Das Residualprinzip ist ebenso wie das Differentialprinzip — ein allgemeines Zurechnungsprinzip. Es ist daher auch hier unzulässig, zwischen Renten und Quasirenten zu unterscheiden. Es ist ebenso unzulässig anzunehmen, dass die Anwendung des Residualprinzips auf absolut spezifische Produktionsmittel beschränkt wäre.

Die Unzulänglichkeit des Residualprinzips liegt darin, dass es auch die Umkehrung gestattet und verlangt. Nehmen wir nämlich an, dass das Gleichgewicht durch das Hinzutreten von a gestört wurde und dass d schon im Gleichgewichtszustand verfügbar war, dann müssen wir denselben Gedankengang gelten lassen, um die Wertung von a zu erfassen. Gab es im alten Gleichgewichtszustand für d keine Verwendung, dann muss der ganze Wert von G dem a zugerechnet werden. Wurde d im Gleichgewichtszustand zur Erzeugung von g verwendet, dann muss man a das zurechnen, was die höhere Bedeutung von G gegenüber d ausmacht. [253]

[577]

Das Residualprinzip reicht wie alle Zurechnungsprinzipien nicht aus, um die Preisbildung der Produktionsmittel abzuleiten. Seine Anwendung führt nicht zu Ergebnissen, die es ermöglichen würden, jedem einzelnen der komplementären Produktivgüter einen Teil des Preises des Produkts eindeutig zuzuweisen. Nicht durch die Zurechnung, sondern durch die Preisbildung des Marktes werden die Preise der Produktionsmittel gebildet.

Ein allgemeines Zurechnungsprinzip ist dann schließlich auch das Prinzip der Bildung der absoluten Rente, das gleichfalls schon von Ricardo verwendet wird. Ist die verfügbare Menge eines Produktionsmittels dermaßen beschränkt, dass kein Teilchen davon unverwendet bleibt, dann muss auch die qualitativ schlechteste (unergiebigste) Teilmenge dieses Produktionsmittels noch als wirtschaftliches Gut behandelt werden. Diese Bedingung ist in unserer Welt für die menschliche Arbeit gegeben.

Die Bedeutung, die der Rentenlehre in der Geschichte der Nationalökonomie dauernd gewahrt bleibt, liegt in der Herausarbeitung von Zurechnungsprinzipien. Der Irrtum der Rentenlehre lag darin, dass sie dem Boden eine Sonderstellung in der Wert- und Preislehre zuweisen wollte. Doch der Boden wird als Produktionsmittel nicht anders bewertet als andere Produktionsmittel. Die Besonderheit in der Bewertung und Bewirtschaftung des Bodens geht allein aus der Besonderheit der den Boden betreffenden Daten hervor.

II. Die Unzerstörbarkeit der Bodenkräfte

Die nationalökonomische Lehre vom Boden hat nicht vom Rentengedanken auszugehen, sondern von der Unterscheidung zweier Kategorien ursprünglicher Produktionsmittel. Da die Verfügung über die naturgegebenen außermenschlichen Produktionsmittel in der Regel von der Verfügung über Teile der Erde abhängig ist, sprechen wir von Boden, wenn wir dieser Kategorie ursprünglicher Produktionsmittel unser Augenmerk zuwenden. [254]

Wenn man vom Produktionsfaktor Natur und vom Boden schlechthin als von dem Träger dieses Produktionsfaktors spricht, muss man den kosmologischen Gesichtspunkt vom praxeologischen reinlich scheiden. Für die kosmologische Betrachtung, die das Werden und Vergeben von Weltkörpern zu erfassen sucht, soweit sie menschlichem Geiste zugänglich sind, [578] hat es einen Sinn, von unzerstörbaren und sich selbst erhaltenden und erneuernden Kräften und Stoffen der Natur zu sprechen, wenn sie den Spielraum, in dem Menschen wirken können, den Naturgewalten gegenüberhält. Wenn man den Bereich, in dem das menschliche Handeln die natürlichen Bedingungen des menschlichen Lebens zu beeinflussen vermag, mit dem Walten der Naturkräfte vergleicht, dann kann man von unzerstörbaren, — genauer gesagt: der Zerstörung durch Menschen entzogenen — Kräften der Natur, sprechen. Für die Größenordnung der Zeiträume, mit denen kosmologische Betrachtungen arbeiten, spielen Verwüstungen und Verkarstungen, die Ergebnis menschlicher Eingriffe in das Naturgetriebe sind, keine Rolle. Niemand kann wissen, ob nicht kosmische Veränderungen in hunderttausend Jahren den Karst in — vom Standpunkte unserer heutigen technologischen Wertungen — fruchtbarstes Land und die üppigsten Tropengegenden in öde Wüste verwandelt haben werden. Doch gerade weil es niemand wissen kann und weil niemand daran denken kann, auf den Ablauf der kosmischen Ereignisse, die solche Umwälzungen herbeizuführen vermögen, irgendwie einzuwirken, sind Betrachtungen dieser Art für das menschliche Handeln unfruchtbar. [255]

Die naturwissenschaftliche Betrachtung mag feststellen, dass die Nutzkraft des Bodens für die Verwendung in der Forst-, Vieh-, Land- und Wasserwirtschaft sich periodisch erneuert. Es mag auch zutreffen, dass selbst einem menschlichen Handeln, das es sich zum Ziel setzen wollte,die Produktivkraft des Bodens mit Aufwand von Kapital und Arbeit zu zerstören, es höchstens gelingen könnte, beschränkte Teile der Erdoberfläche zu verwüsten. Doch diesem Tatbestand kommt für das menschliche Handeln keine Bedeutung zu. Die periodische Erneuerung der Bodenkräfte ist kein starres Datum, das für das menschliche Handeln eine eindeutige Lage schafft. Man kann den Boden auch so verwenden, dass die Erneuerung nur unvollkommen erfolgt, verlangsamt oder hinausgeschoben wird, oder dass seine Ertragsfähigkeit, für absehbare Zeit wenigstens, auch ganz schwindet oder nur mit beträchtlichen Aufwendungen von Kapitalgütern und Arbeit wieder hergestellt werden kann. Der Bodenwirt hat zwischen verschiedenen Verfahren zu wählen, die für die Erneuerung der Bodenkräfte mehr oder weniger günstig sind. Wie in jedem Handeln, so ist auch in Jagd, Fischerei, Weidewirtschaft, Ackerbau, Holzgewinnung und Wasserwirtschaft das Zeitmoment von Bedeutung. [579] Auch hier wird zwischen Befriedigung in näheren und in ferneren Abschnitten der Zukunft unterschieden und entschieden. Auch im Handeln des Land- und Forstwirts spielt die mit allem menschlichen Handeln notwendig verknüpfte Erscheinung des Urzinses ihre Rolle.

Es gibt institutionelle Bedingungen, die die Entscheidung zu Gunsten der näheren Zukunft lenken. Wenn der Boden nicht im Privateigentum steht, jedermann aber oder gewisse durch die faktische Lage begünstigte Menschen oder Menschengruppen ihn vorübergehend für ihre Zwecke verwenden können, oder wenn der Eigentümer erwarten muss, dass ihm das Eigentum in naher Zukunft entzogen werden wird, erscheint dem Wirt Rücksichtnahme auf spätere Nutzungsmöglichkeit in der Bodenverwendung unangebracht. Dann trachten die Wirte, soviel aus dem Boden herauszuschlagen, als sie nur herauszuschlagen vermögen, ohne sich um das Später zu kümmern. Die Geschichte der Waldnutzungen und des Fischfangs ist besonders reich an Beispielen solcher Art.

Naturwissenschaftlich gesehen, gehören Kapitalgütererhaltung und pflegliche Behandlung der Bodenkräfte verschiedenen Kategorien an. Die produzierten Produktionsmittel gehen früher oder später in der Produktion unter und an ihre Stelle treten Genussgüter, die durch den Genuss früher oder später aufgezehrt werden. Wenn man das Ergebnis der Spartätigkeit vergangener Zeit nicht verlieren will, muss man neben Genussgütern auch immer wieder Kapitalgüter neu erzeugen, um die aufgebrauchten zu ersetzen. Man könnte die Kapitalgüter ganz aufzehren, wenn man immer nur Genussgüter erzeugen und verzehren wollte, ohne auf den Kapitalersatz Bedacht zu nehmen. Man könnte die Zukunft der Gegenwart opfern; man könnte heute prassen und später darben.

Mit dem Produktionsmittel Boden, meint man, stehe es anders. Der Boden könne nicht aufgezehrt werden. Doch diese Behauptung ist nur vom geologischen Gesichtspunkt sinnvoll. Vom geologischen Standpunkt könnte oder müsste man aber auch bestreiten, dass eine Eisenbahn aufgezehrt werden kann. Die Steine und Erden, die den Unterbau bilden, und das Eisen der Schienen, Brücken und Fahrzeuge gehen im geologischen Sinne nicht unter. Nur vom nationalökonomischen Gesichtspunkt ist man befugt, von der Aufzehrung einer Eisenbahn oder eines Walzwerks zu sprechen. Vom nationalökonomischen Gesichtspunkt kann man aber ebenso von der Aufzehrung von Bodenkräften sprechen. In der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft wird mit dem Boden als Produktionsmittel nicht anders verfahren als mit den produzierten Produktionsmitteln. Auch [580] da hat man die Wahl zwischen Verfahren, die für die nähere Zukunft auf Kosten der späteren Zukunft reichere Versorgung sichern. Man kann aus dem Produktionsmittel Boden soviel herausholen, dass seine spätere Verwendung geringeren Ertrag (auf die Einheit der Aufwendung von Arbeit und Kapitalgütern gerechnet) oder überhaupt keinen Ertrag mehr bringen wird.

Richtig ist, dass es physische Grenzen für die Verwüstung gibt, die der Mensch in der Natur anzurichten vermag. Diese Grenzen liegen in der Holzwirtschaft, Jagd und Fischerei näher, in der Landwirtschaft ferner. Doch das gibt nur einen quantitativen, keinen qualitativen Unterschied zwischen Kapitalgüteraufzehrung und Bodenaussaugung.

Ricardo nennt die Bodenkräfte «original and indestructible». [256] Die moderne Nationalökonomie hat demgegenüber festzustellen, dass Wertung und Bewertung zwischen ursprünglichen und produzierten Produktionsmitteln nicht unterscheiden, und dass die geologische Unzerstörbarkeit des Bodens der Bodenwirtschaft keinen besonderen Charakter einprägt.

III. Der Überfluss an Boden

Die Nutzleistungen des Bodens sind begrenzt; wären sie unbegrenzt, dann würden die handelnden Menschen den Boden überhaupt nicht als Produktionsmittel und als wirtschaftliches Gut ansehen und bewirtschaften. Ein begrenztes Stück Boden kann in einem begrenzten Zeitabschnitt immer nur eine begrenzte Menge Nutzen abgeben. Doch die Menge des verfügbaren Bodens ist so groß, die Natur ist auf Erden so reich, dass Boden noch im Überfluss vorhanden ist. Nur die ergiebigeren Bodenteile werden daher zur Ausnützung herangezogen. Es gibt Boden, den man — im Hinblick auf seine Lage oder auf seine Fruchtbarkeit — als zu schlecht erachtet und daher brach liegen lässt. Daraus folgt, dass der Grenzboden — d.i. der schlechteste Boden, der noch genutzt wird — keine Rente abwirft. Der extramarginale Boden würde als wertlos angesehen werden, würde man ihn nicht in Vorwegnahme künftiger Veränderungen, die zu seiner Heranziehung führen werden, schon jetzt positiv werten. [257]

[581]

Dass wir nicht mehr Bodenprodukte zur Verfügung haben, ist der Knappheit an Kapitalgütern und Arbeit, doch nicht einer Knappheit an Boden zuzuschreiben. Eine Vermehrung der Bodenfläche könnte die Versorgung an Bodenprodukten unter sonst gleichen Umständen nur dann verbessern, wenn der Zuwachs an Fruchtbarkeit dem gegenwärtig verwendeten Grenzboden überlegen wäre. Dagegen könnte die Versorgung an Bodenprodukten durch jede Vermehrung der verfügbaren Menge von Kapitalgütern und Arbeit verbessert werden; Voraussetzung dafür ist allein das, dass die Menschen für das zusätzliche Kapital und die zusätzliche Arbeit keine dringendere Verwendung finden.

Die nutzbaren Steine und Erden, die der Boden trägt oder birgt, sind nur in beschränkten Mengen vorhanden. Zwar sind manche dieser Stoffe das Ergebnis von Prozessen, die noch heute im Gange sind und den gegebenen Vorrat mehren, doch die Langsamkeit, mit der dieser Zuwachs vorsichgeht, macht ihn für das Wirtschaften bedeutungslos. Die Menschen haben damit zu rechnen, dass ihnen nur beschränkte Mengen abbaufähiger Mineralien zur Verfügung stehen. Jede einzelne Fundstätte ist erschöpfbar, und nicht wenige Fundstätten sind schon vollkommen ausgebeutet worden. Man kann hoffen, dass es gelingen wird, weitere Fundstätten zu entdecken und Verfahren zu erfinden, die es gestatten, Vorkommen zu erschließen, die heute überhaupt nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten zur Gewinnung dieser Stoffe herangezogen werden können. Man darf auch annehmen, dass Fortschritte der Technologie den Weg zeigen werden, Stoffe zu verwerten, die man heute als nutzlos unbeachtet liegen lässt. Doch das alles kann in der Wirtschaft der Gegenwart noch keine Rolle spielen.

Den Fundstätten und der Gewinnung nutzbarer Steine und Erden kommt in der Katallaktik keine Sonderstellung zu. Für die Katallaktik ist die Unterscheidung landwirtschaftlich genutzten Bodens und Bergwerksbodens nur eine Verschiedenheit der Daten, nicht auch eine solche der Kategorien. Auch die ausbeutbaren Fundstätten sind nichts als ursprüngliche außermenschliche Produktionsmittel besonderer Art.

Wenn auch die Menge, in der die nutzbaren Mineralien zur Ausbeute überhaupt zur Verfügung stehen, begrenzt ist und wenn man auch schon heute sich akademisch mit dem Gedanken befassen kann, dass diese Vorkommen einmal voll ausgeschöpft sein werden, dem Wirtschaften der Gegenwart erscheinen diese Vorkommen keineswegs als fest begrenzt. Die Wirtschaft von heute rechnet zwar damit, dass einzelne Bergwerke bald versiegen werden, doch nicht damit, dass alle Fundstätten eines [582] bestimmten Minerals in absehbarer Zeit erschöpft werden könnten. Denn für die Gegenwart erscheint die Versorgung mit Bergwerksboden jeglicher Art so reichlich, dass keine Anstalten zur Heranziehung des gesamten Vorkommens in vollem Umfange getroffen werden. Die Bergwerke werden nur soweit abgebaut, als die für die Gewinnung von nutzbaren Steinen und Erden benötigten Mengen von Kapitalgütern und von Arbeit keine dringendere Verwendung finden können. Es gibt daher, nicht anders als in der Landwirtschaft, auch im Bergwesen Grenzbergwerke und extramarginale und daher nicht ausgebeutete Vorkommen, und in jedem einzelnen Bergwerk wird das Maß des Abbaus durch den Preis der Produkte und der Kostengüter begrenzt.

IV. Der Boden als Standort

Die Verwendung von Boden als Standort menschlicher Wohn- und Werkstätten und der Transporteinrichtungen entzieht Bodenteile anderer Verwendung.

Die Sonderstellung, die man der städtischen Grundrente, der Rente der Lage, in der älteren Theorie eingeräumt hat, ist für die moderne Theorie bedeutungslos. Dass für dieBenützung von Boden, der für Wohnzwecke höher gewertet wird, höhere Preise bewilligt werden , ist nicht auffallend. Ebenso selbstverständlich ist es, dass man für Werkstätten und Werkplätze Lagen bevorzugt, die Transportkosten zu sparen erlauben, und dass man bereit ist, für diesen Boden Preise zu zahlen, deren Höhe den erzielbaren Ersparnissen entspricht.

Boden wird auch für Lustgärten, Parkanlagen und Naturparks beansprucht. Mit der Ausbildung der Liebe zur Natur, die für die Geistigkeit und das Gefühlsleben der modernen Menschen kennzeichnend ist, hat die Bedeutung der Naturparks zugenommen. Der Boden der Hochgebirgslandschaften, der einst als von Felsen und Gletschern bedecktes Ödland erschien, gilt heute als Quelle schönsten Genusses.

Dieser Boden ist seit altersher allgemein zugänglich. Auch wo er im Sondereigentum steht, ist der Eigentümer in der Regel nicht befugt, ihn der Benützung durch Wanderer zu entziehen oder ein Entgelt für diese Benützung zu fordern. Wer die Möglichkeit hat, sich im Gebirge aufzuhalten, darf sich unentgeltlich aller Schönheit erfreuen und darf die Gipfel und Täler als sein betrachten. Den nominellen Eigentümern erwächst aus dem Genuss der Besucher kein unmittelbarer Vorteil. Doch das ändert nichts an dem Tatbestand, dass der Boden menschlichen Zwecken dient und ob dieses Dienstes geschätzt [583] wird. Auf dem Boden lastet eine Dienstbarkeit, die jedermann seine Begehung und sonstige Verwendung für touristische Zwecke (z. B. Lagern) gestattet. Da ein anderer Gebrauch von diesem Boden nicht gemacht werden kann, erschöpft die Dienstbarkeit restlos die Vorteile, die das Eigentum bieten kann. Ist die Menge des für die Erbauung von Unterkunftshäusern und Verkehrsanlagen (z. B. Gebirgsbahnen) in der Umgebung verfügbaren Bodens begrenzt, dann können die Eigentümer dieser Grundstücke höhere Preise und Pachtschillinge erzielen und damit einen Teil der Vorteile, die der Tourist aus der freien Zugänglichkeit der Naturgebiete erlangt, an sich ziehen. Ist das nicht der Fall, dann sind es nur die Touristen, die von der freien Benützung den Vorteil haben.

V. Die Bodenpreise

Die Preise, die für die Verfügung über die Nutzung des Bodens während eines begrenzten Zeitabschnittes der näheren Zukunft gezahlt werden, weisen im Gedankenbilde der gleichmäßigen Wirtschaft keine Besonderheit auf, die sie von den Preisen anderer Produktionsmittel unterscheiden würden. Wird nicht nur die Verfügung über die Bodennutzung während eines begrenzten Zeitabschnittes der näheren Zukunft, sondern die zeitlich unbegrenzte Verfügung umgesetzt, dann werden die späteren Nutzungen mit dem Abschlage bewertet, der ihnen als Mittel zur Erlangung erst in späterer Zeit reifender Genussgüter zukommt. Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ist der Preis eines Grundstückes gleich dem unter Zugrundelegung des Urzinssatzes berechneten Barwert einer ewigen Jahresrente von der Höhe des reinen Jahresertrages.

In der sich verändernden Wirtschaft wird im Bodenpreis auch den erwarteten Veränderungen der Daten Rechnung getragen. Erwartete Preisänderungen der Produkte und anderer Bodennutzungen werden eskomptiert. Das spielt eine große Rolle vor allem bei der Preisgestaltung für Grundstücke in Städten, mit deren Wachsen gerechnet wird; doch die Erscheinung ist allgemeinen Natur. Befürchtungen betreffend die Aufhebung oder Einschränkung des Eigentumsrechts am Boden drücken den Bodenpreis.

Wird ein Teil des Bodenertrages dem Eigentümer durch eine Steuer, mit deren Beseitigung nicht zu rechnen ist, entzogen, dann werden der Ertrag des Eigentümers und der Bodenpreis entsprechend gesenkt. Das ist die Erscheinung, die die Finanzwissenschaft als Rückwälzung der Steuer oder als Steueramortisation bezeichnet. Wird anderseits das Einkommen der Grundbesitzer [584] durch institutionelle Maßnahmen (z. B. durch Zölle zugunsten der landwirtschaftlichen Erzeugung) gesteigert, dann führt das zu Steigerung der Bodenpreise.

Den Grundeigentümern standen oder stehen noch heute in manchen Ländern politische und gesellschaftliche Vorrechte zu; sie genießen etwa Wahlrechtsprivilegien. Auch solche Einrichtungen können in der Gestaltung der Bodenpreise eine Rolle spielen.

Der Mythus vom Boden

Man hat der nationalökonomischen Lehre vom Boden und von der Gestaltung der Bodenpreise entgegengehalten, dass sie die Dinge mit den Augen des wurzellosen Spekulanten sehe, für den sich alle ewigen Werte in Geld und Geldrechnung auflösen. Der Boden sei unendlich mehr als bloß Produktionsmittel. Er sei der unerschöpfbare Urquell unseres Lebens und unserer besten Kräfte. Die Landwirtschaft sei nicht einfach ein Produktionszweig neben anderen Produktionszweigen; sie sei die natürliche und dem Menschen allein angemessene Betätigung. Man dürfe sie nicht im Hinblick auf einen Reinertrag betrachten, den man aus dem Boden herausholen will, sondern als natürliche und gesunde Lebensweise. Aus dem Acker sprieße nicht nur die Bodenfrucht, die den Leib nährt; ihm entstammen auch die sittlichen und geistigen Elemente, die das Wesen echter Kultur ausmachen. Die Stadt, das Gewerbe und der Handel seien Verfallserscheinungen; sie zehren auf und verderben, was der Landmann immer wieder neu schafft.

Vor mehreren tausend Jahren, als Stämme von Jägern und Fischern zur Bodenbestellung übergingen und das Nomadentum gegen feste Wohnsitze vertauschten, kannte man noch keine romantische Schwärmerei. Doch hätte es damals schon Romantiker gegeben, sie hätten das Lob des Jagdlebens gesungen und die Landwirtschaft als Verfallserscheinung zu brandmarken gesucht. Sie hätten die ethischen Werte des edlen Weidwerks gepriesen und den Ackerbau geschmäht, weil er Schlechtigkeit der Gesinnung und Knechtesgeist züchte, und sie hätten dem Landmann vorgeworfen, dass er den Boden, den die Gottheit den Menschen zur Ausübung der Jagd geschenkt habe, entweihe und zum Produktionsmittel erniedrige.

Als es noch keine Romantik gab, hat kein Mensch im Boden etwas anderes sehen wollen als ein Mittel menschlicher Wohlfahrt. Die Kulthandlungen und Riten, die den Boden betrafen, waren auf kein anderes Ziel gerichtet als auf die Sicherung und Erhöhung der Fruchtbarkeit des Bodens und der Ergiebigkeit der Bodenbestellung. Das magische Denken wollte überall das Wirken von Gottheiten und Dämonen entdecken. Wenn man diesen übermenschlichen Wesen, die man sich doch recht menschlich dachte, opferte und spendete, wenn man sie anflehte und um ihre Gunst buhlte, tat man es nicht um ideeller Werte willen. Man erblickte im magischen Ritus einfach das richtige Mittel, um reiche Ernte zu erzielen. Man suchte nicht etwa die unio mystica mit den dunklen Urgewalten und Urkräften des Bodens; man suchte besseren Ertrag der Feldarbeit zu erreichen. Erst romantische Schwärmer haben in den Mythen und Märchen, im Ritual und im Brauchtum der Urzeit der Kulturvölker und der primitiven Völkerschaften unserer Zeit anderes sehen wollen. Der Bauer [585] schwärmt nicht von dem Boden und von geheimnisvollen Kräften, die ihm entströmen. Ihm ist der Boden Quelle der Wohlfahrt und nicht Gegenstand der Gefühlsduselei. Sein Bodenhunger ist Streben nach mehr Gewinn und mehr Reichtum. Die Landwirte kaufen Boden und verkaufen Boden, sie belasten ihr Bodeneigentum mit Hypotheken, sie verkaufen die Bodenfrüchte und sind sehr ungehalten, wenn die Preise nicht so hoch hinaufgehen, wie sie es wünschen.

Liebe zur Natur und Sinn für die Schönheit der Landschaft waren dem Landvolke fremd; die Bürger der Städte haben beides aufs Land hinausgetragen. Die Städter waren es, die den Boden nicht im Hinblick auf seine Ertragsfähigkeit für Jagd und Holzgewinnung, für Ackerbau und Viehzucht, sondern als Natur zu werten begannen. Jahrtausendelang galten die Gletscher und Felsen den Gebirgsbewohnern bloß als unproduktives Land. Erst als die Städter die Gipfel zu erklimmen begannen, erst als die Touristik Geld in die Gebirgstäler brachte, entdeckten die Gebirgsbewohner ihre Liebe zur Natur. Die Bahnbrecher der Touristik und des Skilaufs wurden von den Gebirgsbauern, Jägern und Hirten als wunderliche Menschen bestaunt, ehe sie herausfanden, dass man aus dieser Wunderlichkeit Vorteil ziehen kann.

Nicht Hirten, sondern raffinierte Städter haben die bukolische Dichtung geschaffen. Daphnis und Chloe sind Gebilde bodenferner Phantasie. Bodenfern ist auch der moderne politische Mythus vom Boden. Er ist nicht dem Moos des Waldes und der Ackerkrume entsprossen, sondern dem Asphalt der Großstädte und dem Parkett der Salons. Der Bauer bedient sich seiner, weil er ihm als brauchbares Mittel zur Erlangung politischer Vorrechte erscheint, die den Geldertrag der Landwirtschaft und den Geldpreis des Bodens steigern können.

 


 

10. KAPITEL: DIE DATEN DER MARKTLAGE

I. Das Gegebene und das Datum

Die Marktwirtschaft ist gesellschaftliche Wirtschaft auf Grundlage des Sondereigentums an den Produktionsmitteln. Ob es noch eine andere Gestalt gesellschaftlicher, d.i. arbeitsteiliger Wirtschaft geben kann, soll zunächst dahingestellt bleiben. Doch wo Sondereigentum an den Produktionsmitteln und Arbeitsteilung bestehen, kann die Wirtschaft nur Marktwirtschaft sein und das Getriebe muss so laufen, wie es die nationalökonomische Lehre von der Marktwirtschaft darstellt. Soweit Sondereigentum und Arbeitsteilung reichen, reicht auch der Markt mit seinem Gesetz.

Die Lehre von der Marktwirtschaft ist nicht etwa eine Lehre von dem, was unter idealen Verhältnissen gelten würde, unter den gegebenen Verhältnissen aber nur mit wesentlichen Einschränkungen und Modifikationen gilt. Alle Sätze der Markttheorie [586] sind so gefasst, dass sie streng und ausnahmelos für alle Marktwirtschaft gelten, wofern die besonderen Bedingungen, an die sie im einzelnen Falle geknüpft sind, zutreffen. Ob z. B. auf dem Markte direkt oder indirekt getauscht wird, ist questio facti ; wenn aber indirekt getauscht wird, so gilt von Tauschmitteln alles das, was die Theorie von den Tauschmitteln aussagt. Hier gibt es kein mehr oder weniger, hier heißt es nur: entweder oder. Und nichts ist, — auch in der Nationalökonomie verkehrter, als den Sätzen der Theorie den Gemeinspruch entgegenzuhalten: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis.

Das, was die Theorie bietet, ist die Lehre vom Handeln an sich. Die Theorie spricht vom Handeln, doch nicht von der besonderen Verfassung der Umwelt, in der der Mensch handelt, und nicht von dem MenschlichIndividuellen der Wertungen, die dem Handeln den Weg weisen. Daten sind ihr die Menschen mit ihren geistigen und körperlichen Kräften und Fähigkeiten, mit den Trieben, denen sie untertan sind, und mit den Gedanken, die sie ersinnen, um sich der Umwelt anzupassen und sie dadurch ihren Zwecken dienstbar zu machen. Diese Daten, wenn auch unveränderlich in ihrer Struktur, sind stets im Flusse und sind im nächsten Augenblick schon wieder anders, als sie im letztverflossenen Augenblick gewesen sind. [258]

Gegeben nennen wir das, was unser nach den Ursachen forschendes Denken nicht aufzulösen vermag. Das Gegebene kennen wir, weil wir es wahrgenommen haben. Wir vermögen die Grenzen des Gebietes, das die Theorie aufzuklären vermag, zurückzuschieben, wir können jedoch nie dazu gelangen, letzte Ursachen aufzudecken.

Der Begriff der Daten, wie ihn die Praxeologie verwendet, ist enger als der Begriff des Gegebenen. Er ist nicht wie das Gegebene ein Begriff der Wissenschaftslehre, sondern ein praxeologischer Begriff, also ein Begriff einer Wissenschaft. Datum ist, was dem Handeln gegeben ist. Die Daten sind der Inbegriff der Wertungen der Handelnden und ihrer Ideen und zugleich der Inbegriff der Umwelt, der das Handeln sich anzupassen hat, wenn es erfolgreich sein soll. Die Daten sind nicht als das Gegebene im Sinne der Wissenschaftslehre anzusehen, weil sie zum Teil durch wissenschaftliches Denken auf Gegebenes zurückgeführt werden können. Für das Handeln ist es jedoch unwesentlich, ob etwa die politische Weltlage, wie sie sich am 28. Juli 1914, 12 Uhr mittags, jedem einzelnen [587] Handelnden darstellen mochte, sich aus dem, was vorangegangen war, erklären und verstehen ließ oder nicht; wenn er zu handeln hatte, hatte er sich dieser Lage anzupassen. Gewiss darf man annehmen, dass jemand, der das Werden einer Lage aus den Lagen der Vergangenheit verstehen kann, damit auch besser befähigt ist, diese Lage selbst richtig zu erfassen, als jemand, der das nicht vermag. Doch das ist nur möglich und vielleicht wahrscheinlich; es ist gewiss nicht notwendig. Wenn man mitunter behauptet, dass zu viel Wissen und Verstehen dem Handeln nicht gerade förderlich sei, so mag das wohl in der Regel nichts sein als ein Versuch der Unwissenden, ihre Unwissenheit vor sich selbst zu rechtfertigen und ihre Befähigung zur Führerschaft zu erweisen. Doch es bleibt immerhin wahr, dass der Handelnde das Datum nicht durch Zurückführung auf Gegebenes zu erklären, sondern sich ihm mit seinem Handeln anzupassen hat.

Die Wissenschaft dient zwei verschiedenen Zwecken: sie will den Drang nach Wissen und Erkenntnis befriedigen, und sie will aus der Lage der Gegenwart die zukünftige Lage erkennen, um das Handeln auf richtiger Beurteilung der kommenden Dinge aufzubauen. Positivismus und Pragmatismus sehen nur diese zweite Aufgabe; die Auffassung, dass Wissenschaft um ihrer selbst willen betrieben werden kann, lehnen sie ab. Es ist nicht notwendig, sich mit diesem Gegensatz der Meinungen zu befassen. Wie auch immer man die Aufgabe der Wissenschaft bestimmen mag, über den Umkreis des Feldes, das sie zu bestellen hat, besteht keine Verschiedenheit der Auffassung. Das Erkennen ermöglicht auch die Voraussage, und die Voraussage bedarf des Erkennens.

Erkennen und Voraussagen werden durch die Gesamtheit der Wissenschaften vermittelt. Was die Einzelwissenschaft bieten kann, ist immer nur Stückwerk, das erst in Verbindung mit dem von den übrigen Wissenschaften Gebotenen brauchbar wird. Die Sonderung der Wissenschaften nach den Methoden, derer sie sich bedienen, und nach dem Gegenstand, mit dem sie sich befassen, ist Arbeitsteilung. Wer erkennen und wer voraussagen will, muss sich der Ergebnisse aller Zweige der Wissenschaft bedienen, wie der Verbraucher in seinem Haushalt die Erzeugnisse der verschiedenen Produktionszweige konsumiert. Wenn wir die geistigen Werkzeuge, die die Praxeologie formt, auf die Daten anwenden, bringen wir sie mit dem von allen anderen Wissenschaften gebotenen Erkenntnisstoff zusammen, um so das geistige Gut niederer Ordnung zu bilden, dessen wir zum Handeln und zum Erkennen bedürfen. Datum ist für die Praxeologie alles, was nicht mit den Denkmethoden der [588] Praxeologie erfasst werden kann. Datum ist daher auch der Stand unseres Wissens und die Gesamtheit aller Kenntnisse und Erkenntnisse, die von allen Wissenschaften übermittelt werden.

Unter den Daten spielt eine besondere Rolle alles das, was sich im menschlichen Handeln der Erfassung durch die Praxeologie entzieht, weil es nicht begriffen, sondern verstanden werden will. Das Praxeologische ist formal. Die verstehbaren Inhalte haben Quantität, Intensität und Qualität.

Man ändert nichts an dem Charakter der Daten, wenn man sie mit einem andern Ausdruck bezeichnet. Man liebt es heute, statt von Daten von den Institutionen und vom Institutionellen zu sprechen. Wenn damit nichts anderes gesagt werden soll als das, dass das Handeln sich immer den Bedingungen anzupassen hat, die es in der Umwelt vorfindet, und dass diese Bedingungen auch durch die Individualität der Mitmenschen und durch die Geschichte gestaltet wurden, dann darf man rückhaltlos zustimmen. Doch man hat den Hinweis auf das Institutionelle als eine Waffe im Kampfe gegen die Berechtigung und Unentbehrlichkeit der nationalökonomischen Theorie gebraucht. Die amerikanischen Institutionalisten sind Nachzügler der historischen Schulen der Staatswissenschaften, die auf europäischem Boden ihre Blüte in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erlebt haben. Sie haben kein neues Argument vorzubringen gewusst. Sie haben die Entwicklung der amerikanischen Wirtschaftspolitik der letzten zwanzig Jahre stark beeinflusst; in der Geschichte der Wissenschaft haben sie kein Blatt beschrieben.

II. Die Macht als Datum

Menschliche Macht ist die Fähigkeit, fremdes Handeln zu bestimmen. Alle Macht beruht auf Ideologie. Wer mächtig ist, ist es durch eine Ideologie; er ist mächtig, weil sein Anspruch, zu befehlen, durch eine Ideologie gerechtfertigt wird, die Menschen als gültig und richtig anerkennen. [259]

Die Macht ist somit für den, der ihrer Einwirkung unterworfen ist, Beweggrund des Handelns. Der Handelnde wählt die Ziele oder die Mittel oder beides, Ziel und Mittel, unter dem Einfluss, den eine Ideologie auf ihn ausübt. Dieser Einfluss der Ideologie kann unmittelbar oder mittelbar sein. Er ist unmittelbar, wenn der Handelnde die Richtigkeit und Gültigkeit der Ideologie bejaht, wenn er es für richtig, zweckmäßig und [589] unmittelbar nützlich erachtet, Ziele und Mittel so zu wählen, wie sie empfiehlt. Er ist mittelbar, wenn die Richtigkeit und Gültigkeit der Ideologie zwar abgelehnt wird, wenn aber der Umstand, dass die Ideologie allgemein anerkannt wird, das Handeln bestimmt. Auch wer den Hexenaberglauben oder die Lehre, nach der die Valutenkurse auch außerhalb der Goldpunkte durch die Gestaltung der Zahlungsbilanz bestimmt werden, verwirft, wird dem Umstand, dass diese Lehren von vielen oder gar von allen übrigen Menschen als richtig angesehen werden, in seinem Handeln Rechnung tragen müssen. Er wird sich z. B. entscheiden müssen, ob er so leben will, dass er mit der Gesetzgebung, die Hexerei und Devisenverbrechen bestrafen lässt, nicht in Konflikt gerät, oder ob er alle Nachteile in Kauf nehmen will, die aus Missachtung dieser Gesetze für ihn erwachsen können. Auch die Macht ist ein Stück der Umwelt, der sich das Handeln anzupassen hat, wenn es seine Ziele wählt und zu erreichen sucht.

Was von der Macht gilt, gilt auch von der Gewalt. Der Gewalt, die genug stark ist, sein Handeln zu stören, wenn es ihren Zwecken zuwiderlaufen wollte, muss der Handelnde weichen. Er muss sein Handeln ihren Forderungen anpassen, da er sonst Folgen befürchten muss, die ihm noch weniger erwünscht erscheinen als der Verzicht darauf, im Handeln nur seine eigenen Ziele zu suchen.

Wer es kann, mag versuchen, die Macht der herrschenden, weil anerkannten Ideologie dadurch zu brechen, dass er einer anderen, ihm besser zusagenden Ideologie den Weg zur Macht zu bereiten hilft. Wer glaubt', dass drohende Gewalt der ideologischen Stütze entbehrt, mag versuchen, die Gewalt durch eine besser fundierte Gewalt zu bekämpfen. Doch wenn das nicht geht oder nicht gelingt, muss das Handeln in Macht und Gewalt Daten anerkennen, denen es sich zu fügen hat.

Für die praxeologische Lehre vom Handeln, die sich mit dem Handeln und nicht mit den Beweggründen des Handelns befasst, ist es ohne Belang, welcher Art die Macht oder Gewalt ist, die auf das Handeln einwirkt. Alle Sätze der Praxeologie gelten auch von dem Handeln, das unter dem Einfluss von Macht- oder Gewaltfaktoren von der Linie abgelenkt wird, auf der es sich ohne Einwirkung dieser Faktoren bewegt hätte. Wenn jemand bereit wäre, für eine Ware, die er erstehen möchte, einen höheren Preis zu bieten als den, den er tatsächlich — ohne die Ware zu erhalten — bietet, dies aber unterlässt, weil er fürchtet, von seinen Mitbürgern als Protz oder Verschwender oder als Preisverderber angesehen zu werden, oder weil er sich scheut, ein durch Strafsanktionen geschütztes behördliches Verbot zu [590] übertreten, oder weil er es nicht wagt, einem zu Gewalttaten bereiten Mitbewerber in den Weg zu treten, hat er den Markt und die Bildung der Marktpreise geradeso beeinflusst, wie er es getan hätte, wenn sein Verzicht auf ein höheres Preisanbot der Meinung entsprungen wäre, dass eine andere Verwendung seiner Geldmittel zweckmäßiger wäre.

Es ist nicht empfehlenswert, die Stellung, die die Verfügung über wirtschaftliche Güter, das Eigentum, den Eigentümern verleiht, als Macht zu bezeichnen. Doch auch wenn man diese Ausdrucksweise annimmt, erscheint die Behauptung, dass die Bildung der Preise, Löhne und Zinssätze durch Machtfaktoren bestimmt werde, als irreführend, wenn damit gemeint ist, dass die Bildung der Austauschverhältnisse sich nicht in der Weise vollzieht, die die Gesetze der Katallaktik angeben. Die Katallaktik zeigt uns, wie aus der jeweiligen Marktlage die Austauschverhältnisse hervorgehen, wie jede Veränderung der Marktlage zu entsprechenden Verschiebungen der Austauschverhältnisse führt und wie der der Marktlage gemäße Stand der Preise, Löhne und Zinssätze, der seinerseits wieder die Unternehmergewinne bestimmt, sich zu erhalten sucht. Man hat die Gesetze der Katallaktik nicht im mindesten erschüttert, geschweige denn widerlegt, wenn man ausführt, die Marktlage werde durch Machtfaktoren bestimmt. Der Hinweis auf solche Machtfaktoren enthebt nicht der Verpflichtung, die Bildung der Austauschverhältnisse durch eine katallaktische Theorie zu erklären.

Das Problem, das die Antithese: Macht oder ökonomisches Gesetz? bezeichnet, liegt in der Frage nach der Wirkung der Interventionen. Davon wird noch ausführlich zu sprechen sein.

III. Die Gewalt als Datum

Wenn man den Geist, aus dem heraus die Räuber ihre Taten vollbracht haben, und die ritterlichen Tugenden der Vandalen und der Wikinger preist, und wenn man die Ethik des «Helden» über die des «Händlers» stellt, sind Werturteile im Spiele, mit denen sich die Wissenschaft nicht zu befassen hat. Wenn man die Meinung ausspricht, dass Geschichte nicht von den die Güter erzeugenden und tauschenden Bürgern gemacht werde, sondern von den blutvergießenden Kriegern, so hat man darauf hinzuweisen, dass die Eroberer nur von dem leben können, was die Arbeit derer, die sie ausplündern, geschaffen hat, und dass die Kultur, die uns umgibt, nicht das Werk der Räuber, sondern das der Bürger ist. Die großen Eroberer- und Räubervölker sind untergegangen und vom Schauplatz der Geschichte [591] verschwunden. Dass Hunnen und Tataren, Vandalen und Wikinger, Normannen und Conquistadoren eine große Rolle in der Geschichte gespielt haben und dass die Welt heute ein anderes Aussehen hätte, wenn sie nicht durch Jahrtausende und Jahrhunderte von Raubzügen und Kriegsfahrten hindurchgegangen wäre, wird niemand bestreiten. Doch das, was stehen geblieben ist und das Wesen unserer Kultur ausmacht, ist nicht das Erbe, das die Krieger hinterlassen haben. Man wird nicht nur in Budapest und Bukarest, sondern auch in Belgrad, Sophia und Athen heute, von Ruinen abgesehen, keine Spuren mehr der Jahrhunderte entdecken, in denen die Türken dort als Herren gehaust haben. Die Barbaren, die sich nicht aus Beutejägern in Arbeitsvölker gewandelt haben, sind aus der Geschichte getilgt worden, und wo noch eine Erinnerung an sie besteht, verdankt man sie Leistungen, die sie unter dem Einfluss vollbracht haben, den die Kultur der Unterworfenen auf sie ausgeübt hat. Die lateinische Kultur hat sich in Oberitalien, in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel, allen barbarischen Eroberungen zum Trotz, siegreich behauptet. Wenn auf Lord Clive und Warren Hastings nicht die Wegbereiter des «kapitalistischen Krämergeistes» gefolgt wären, würde die britische Herrschaft für Indien einst ebenso eine bedeutungslose geschichtliche Erinnerung werden können, wie es die hundertfünfzigjährige Türkenherrschaft für Ungarn ist.

Doch es ist nicht die Aufgabe der Nationalökonomie, sich mit den Bemühungen zur Wiedererweckung des Wikingergeistes und mit der Räuberromantik auseinanderzusetzen. Sie hat es allein mit der Behauptung zu tun, dass die Tatsache der Kriege und Eroberungen das Gedankengebäude der Katallaktik erschüttere oder ganz vernichte, da die menschlichen Beziehungen sich nicht in den Formen des Marktverkehrs abwickeln, sondern in denen des kriegerischen Zusammenpralls der Völker und Staaten. Die Nationalökonomie gehe darin fehl, dass sie aus dem Erfahrungsmaterial einer kurzen Geschichtsepoche, des liberalen Zeitalters, eineLehre abstrahiert habe, der sie allgemeine Bedeutung zuschreiben will. Dieses Zeitalter des Liberalismus, Individualismus und Kapitalismus, der Demokratie, der Toleranz und der Geistesfreiheit, beklagenswerten Verfalls aller «ewigen» und «echten» Werte und der Herrschaft einer minderwertigen Roture sei nun — glücklicherweise — für immer überwunden und werde nie mehr wiederkehren. Die neue Zeit aber bedürfe einer neuen Nationalökonomie.

Dem gegenüber aber haben wir noch einmal festzustellen:

a) Die Lehren der Katallaktik beziehen sich nicht auf eine Geschichtsepoche, sondern auf alles Handeln, das durch die beiden [592] Bedingungen Sondereigentum an den Produktionsmitteln und Arbeitsteilung gekennzeichnet ist. Wo immer und zu welcher Zeit immer in einer Gesellschaft, in der Sondereigentum an den Produktionsmitteln besteht, nicht nur für den eigenen Bedarf erzeugt wird und vom Einzelnen nicht nur das verzehrt wird, was er in seinem eigenen Haushalt erzeugt hat, wird so gehandelt, wie es die Katallaktik darstellt.

b) Wenn neben dem Markte oder außerhalb des Marktes geraubt und geplündert wird, ist das für den Markt ein Datum. Die Marktparteien müssen dem Umstand, dass Mord und Raub sie bedrohen, im Handeln Rechnung tragen. Wenn die Plünderung so sehr überhandnimmt, dass jegliche Produktion den Produzenten nutzlos erscheint, mag es schließlich dazu kommen, dass auch sie zu arbeiten aufhören und dass die Menschheit in einen Krieg aller gegen alle gestürzt wird.

c) Doch vom Beutemachen kann man nur leben, solange noch Beute zu machen ist. Die «Helden» können nur schmarotzen, wenn es genug «Händler» zu plündern gibt. Dass es Produzenten gibt, ist eine Bedingung für das Bestehen des Gemeinwesens der Räuber, doch die Produzenten könnten auch leben, wenn es keine Räuber geben würde. Der Eroberer und Kriegsherr muss daher darauf bedacht sein, dass der «Nährstand» nicht verkümmere. Er verbirgt dieses Zugeständnis der Schwäche durch die Redensart, dass seine Waffen den Bürger beschützen.

d) Es gibt freilich noch andere denkbare Formen der arbeitsteiligen Produktion neben der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden kapitalistischen Ordnung. Die Militaristen von heute streben ganz folgerichtig die Ausbildung des Militärsozialismus an. Jeder Staat soll ein sozialistisches Gemeinwesen werden, in dem Krieger und Arbeitsknechte dem Führer untertan sind und seinen Weisungen gemäss für den Unterhalt der beiden Kasten gesorgt wird. Wir werden uns mit diesem Gedanken noch zu befassen haben.

IV. Der leibhaftige Mensch als Datum.

Das wichtigste Datum sind die Menschen mit allen ihren menschlichen Eigenschaften, mit ihrem Wollen und Wünschen, mit ihren Fähigkeiten, mit ihren seelischen und körperlichen Gaben, mit ihrem Irren und mit ihren Schwächen. Die moderne Theorie kennt keine Idealmenschen und keine vollkommene Wesen, sie kennt weder einen homo oeconomicus, noch einen homme moyen, sondern nur Menschen, die menschlich handeln. Der Mensch ist in jedem Augenblick seines Daseins und Handelns [593] ein Produkt der Vergangenheit. Sein Wesen ist durch all das bestimmt, was er von seinen Vorfahren ererbt hat und was die Umwelt aus diesem Erbgut gemacht hat. Sein Körper ist der Niederschlag einer in unausdenkbare Fernen zurückreichenden Entwicklung; die Ideen, die ihn erfüllen, sind von der Menschheit in Jahrtausenden gebildet worden. Wie Art und Dosierung dieser Einflüsse bei jedem Einzelnen verschieden ist, so ist auch ihre Wirkung. Aus der Schmiede der Natur und der Geschichte gehen nicht Stücke hervor, die einander gleichen wie die Erzeugnisse einer fabriksmäßigen Serienproduktion, sondern einzigartige Individuen. Das muss gerade die Praxeologie nachdrücklich betonen, weil sie ihr Augenmerk allein auf das richtet, was am Handeln allgemeinmenschlich und notwendig ist, also auf das, was nicht individuell und nicht persönlich ist.

Die Ziele, die der Einzelne wählt, und die Mittel, deren er sich zur Erreichung dieser Ziele bedient, sind durch seine Individualität bestimmt. Weil alle Menschen stammverwandt sind, und weil ähnliche geschichtliche und umweltliche Einflüsse auf sie einwirken, sind sie auch in ihrem Wählen und Streben verwandt. Weil ihnen viele Ziele gemeinsam sind und weil ihre Anschauungen über die Wege, die zu den Zielen führen, sich zum Teil decken, ist Arbeitsteilung möglich. Doch diese Gemeinsamkeit des Wollens und Denkens hat Grenzen. Nie darf man vergessen, dass Zielsetzung und Wegewahl subjektiv sind. Die klassische Nationalökonomie hat es in ihren Theorien vergessen. Die Sozialisten, Rationalisierungsfanatiker und Technokraten vergessen es Tag für Tag in ihren Reformplänen.

Man kann den Menschen, wenn man sich auf einen übermenschlichen Standpunkt irgend einer Art stellt, auch als Objekt einer Ernährungs- und Züchtungspolitik betrachten. Man kann Projekte entwerfen, wie man ihn paaren und füttern soll, um bestimmtgeartete Ergebnisse zu erzielen. Man kann noch weiter gehen und versuchen, seinen Geist mit bestimmten Anschauungen zu füllen und alle «Irrlehren» von ihm fernzuhalten. Man kann versuchen, Vorsehung zu spielen: die Menschen zu entmenschen, sie in Wesen zu verwandeln, die nur so denken und fühlen, wie ihnen angezüchtet wurde, sie zu Geschöpfen zu machen, die nur das ausführen, was ihnen im Plane zugewiesen wurde. Nie zuvor hat es eine Zeit gegeben, die solchen Versuchen günstiger war als unsere. Ringsum sehen wir Bestrebungen im Gange, die Menschen in Ameisen zu verwandeln und die menschliche Gesellschaft nach dem Vorbild des Ameisenstaates umzugestalten.

Man darf bei der Würdigung dieser Pläne nicht in den Fehler verfallen, sie für Versuche zur Erneuerung der [594] Sozialverfassung vergangener Jahrhunderte anzusehen. Die Beschränkung und Bindung des Einzelnen, von der uns die Geschichte Europas und in noch höherem Masse die des Morgenlandes berichtet, machten an der Schwelle des Haushalts und des Betriebes halt. Wie sehr der Einzelne auch in seiner Bewegungsfreiheit außerhalb seiner Heim- und Betriebsstätte behindert sein mochte und wie sehr auch seine Betätigung gehemmt sein mochte, es blieb ihm doch immer ein Spielraum, in dem er zu entscheiden hatte. Es gab drei Sphären der Selbstbestimmung: die Erzeugung für den eigenen Bedarf, die damals einen großen, ja den größten Teil der Gesamterzeugung einnahm, dann die Erzeugung für den freilich vielfach beengten Markt und schließlich die Durchführung der reglementierten Arbeit im eigenen Betrieb. Im totalen Staat der vollkommenen Arbeitsteilung gibt es für den Einzelnen keine Sphäre persönlichen Handelns, die Eugenik fesselt sein Geschlechtsleben und die Unterdrückung der Gewissen schließt seinen Kerker vollends. Es ist sehr charakteristisch, dass man heute bereits die Gestaltung der Freizeit des Einzelnen als eine Aufgabe der Staatsführung ansieht und gar nicht bemerkt, wie widerspruchsvoll es ist, von einer obrigkeitlich geregelten «Freizeit» zu sprechen. Im Idealbild des totalen Staates bleibt kein Raum, innerhalb dessen der Einzelne zu wählen hat. Das Wählen ist Sache des Einen, der der Herr aller ist.

Es ist nicht Aufgabe der Praxeologie, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für das Gelingen dieser Versuche gegeben sind oder nicht. Sie kann sich nur mit der Frage befassen, ob und unter welchen Bedingungen eine menschliche Gesellschaft auf anderen Grundlagen als auf denen des Sondereigentums an den Produktionsmitteln errichtet werden kann. Das ist das Problem, mit dem sich der V. Teil dieses Buches zu befassen hat.

Wer den Menschen mit dem liebevollen Verstehen betrachtet, das das Um und Auf der Weisheit bildet, das den Seelenarzt zum Heilen befähigt und dem Geschichtsschreiber und dem Dichter die Gabe verleiht, das Menschliche darzustellen, wird erkennen, dass die Menschen irren und nicht immer die Vernunft zweckmäßig zu brauchen wissen. Es ist leicht nachzuweisen, dass die Gedankengänge, die die Verwendung der Mittel leiten, oft fehlgehen und dass in der Beurteilung der Ziele die Kosten nicht immer richtig veranschlagt werden. Man schlägt unzweckmäßige Verfahren ein, die nie zum angestrebten Ziel zu führen vermögen. Man ist sich nicht klar darüber, dass Ziele, die man anstrebt, Opfer erfordern, die man für sie nicht zu bringen geneigt ist. Wer diesen unbefriedigenden Zustand zu beseitigen wünscht, sei es, weil er ihn als seiner eigenen [595] Wohlfahrt schädlich ansieht, sei es aus reiner Menschenliebe, muss trachten, seine Mitmenschen aufzuklären. Das ist ein schwieriges Unterfangen, und es verlangt einen großen Aufwand von Überredungskunst und Geduld. Es verlangt vor allem Eingehen auf die Denkungsart derer, die belehrt werden sollen. Wem die Gabe. mit seinen Mitmenschen friedlich auszukommen, mangelt, zieht einen anderen Weg vor. Er will dem, das er für richtig hält, nicht durch Überredung zur Herrschaft verhelfen, sondern durch Zwang. Er will die Mitmenschen wider ihren Willen durch Anwendung von Gewalt glücklich machen.

Der Widerspruch, der in diesem Bestreben liegt, ist offenkundig. Wenn Einer nicht das erreicht, was er für anstrebenswert erachtet, wenn ihm ein Ersatz geboten wird, den er minder hoch bewertet als das, was ihm entgangen ist, dann ist er nicht besser befriedigt worden, sondern schlechter. Der Ersatz mag vom Standpunkt einer überirdischen Betrachtung der Dinge als wertvoller erscheinen; wenn er nicht auch vom Standpunkte derer, die befriedigt werden wollen, wertvoller erscheint, ist die Versorgung nicht verbessert, sondern verschlechtert worden. Uns Menschen steht kein objektiver Maßstab zur Beurteilung der Wertsetzungen anderer Menschen zur Verfügung. Die Wissenschaft mag die Folgen des Genusses von Alkohol, Nikotin und anderen Giften feststellen; sie mag aufklären und belehren. Wenn aber jemand bereit ist, die schädlichen Folgen auf sich zu nehmen, weil er den Genuss so hoch schätzt, dass er ihm diese Schädigungen aufzuwiegen scheint, dann kann ihm die Wissenschaft nichts mehr sagen. Ich mag es bedauern, dass die Mitmenschen anders handeln, als ich es für vernünftig halte. Doch wenn ich die Mittel hätte, sie wider ihren Willen zu dem zu zwingen, was ich als ihnen zuträglicher erachte, würde ich ihre Versorgung nicht verbessern und sie nicht glücklicher machen.

Man darf nie vergessen, dass Sinn und Zweck alles Handelns die Abstellung von Unbefriedigtsein ist und dass Unbefriedigtsein subjektiv ist. Der Einstand, dass das Unbefriedigtsein zu einem großen Teil physiologisch genau erfassbaren Quellen entspringt und dass dieser Teil des Unbefriedigtseins durch Mittel behoben werden kann, über deren Tauglichkeit zur Behebung des dem Unbefriedigtsein zugrundeliegenden physiologischen Tatbestandes man ein nach Art und Maß abgestuftes, objektives Urteil abzugeben vermag, darf da nicht irreführen. Denn die Kultur ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch sich über den rein animalischen Zustand bloßer Suche nach Nahrung und Wärme emporgehoben hat. Je weiter die Kultur fortschreitet, desto mehr setzt sich der Mensch Ziele, [596] die mit dem Physiologischen nur lose verknüpft sind und für die objektive Maßstäbe nicht gefunden werden können. Solange es nicht gelingt, die Menschen vollkommen ihres Menschentums zu entäußern, wird dieser Subjektivismus nicht verschwinden können. Man mag ihn Laune, Unvernunft oder Starrsinn nennen ; man muss aber mit ihm rechnen, wenn man mit Menschen zu tun hat.

In der Marktwirtschaft ist diesem Subjektivismus des Verbrauchers Spielraum gegeben. Der Verbraucher entscheidet durch sein Verhalten auf dem Markte über die Produktion. Er wählt die Wege, die die Produktion zu gehen hat. Er ordnet an, der Unternehmer führt seine Befehle aus. Wenn man die Herrschaft des Verbrauchers durch die der Erleuchteten ersetzen wollte, die sich einbilden, besser zu wissen, was ihren Mitmenschen frommt, macht man die Menschen nicht zufriedener. Die Ironie, mit der man solche Vorschläge als Weltbeglückungspläne bezeichnet, ist berechtigt. Man kann niemand zu seinem Glücke zwingen. Die Menschen wollen nach ihrer Façon glücklich werden und nicht auf die Weise, die dem notwendigerweise subjektiv gefärbten Ideal eines Menschen entspricht, der sich besser und weiser dünkt als seine Mitmenschen.

Für die Praxeologie sind menschliches Irren und menschlicher Irrtum Datum. Die Ergebnisse der Praxeologie sind unabhängig davon, ob das, was das Handeln ausgelöst hat, richtige oder unrichtige Beurteilung der Lage der Dinge war, und ob die Anschauungen über Ursache und Wirkung, an denen das Handeln sich orientiert hat, zutreffend waren oder nicht. Im Handeln entscheidet der Mensch, so wie er ist und irrt, und nicht eine Wahrheit, die gilt, auch wenn sie nicht erkannt wurde.

Man hat gemeint, dass die Katallaktik es nur mit einem idealen Handeln zu tun habe, das frei von Irrtümern ist. Selbst Menger dachte, man müsse zwischen echten Gütern und eingebildeten Gütern unterscheiden; diesen fehle die Fähigkeit, menschliche Bedürfnisse wirklich abzustellen; sie würden mit Unrecht von den Menschen so behandelt, als ob sie echte Güter wären. [260] Diese Unterscheidung ist jedoch für das Handeln unwesentlich. Kein Mensch vermag die Wahrheit ganz zu erkennen, und kein Mensch weiß, was ihm und anderen nützlich und zuträglich ist. Im Handeln ist jedes Ziel subjektiv.

Das Handeln, das die Marktpreise bildet, ist nicht weniger dem Irrtumunterworfen als jedes andere Handeln. Doch die irrige Meinung, die zum Handeln führt und das Handeln orientiert, entscheidet, und die richtige Meinung, die kein Handeln [597] bestimmt, bleibt wirkungslos. Man hat durch Jahrhunderte und Jahrtausende harmlosen und giftigen Kräutern Heilwirkungen beigemessen und sie teuer bezahlt, und man hat ebensolange die radiumhaltigen Substanzen achtlos liegen lassen. Die Nationalökonomie aber hat es mit den Preisen zu tun, die auf dem Markte wirklich gezahlt wurden, nicht mit dem, was hätte sein sollen. Sie ist die Lehre vom Handeln, nicht aber eine Lehre vom richtigen Handeln.

Gegen den Irrtum gibt es nur ein Mittel: Erforschung des richtigen Sachverhalts und Aufklärung der Irrenden. Keine Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung und keine Organisation menschlicher Arbeit könnte den Irrtum aus dem Handeln ausschalten. Nur ein allwissender Gott, der jeden Schritt der Menschen leitet, könnte sie vor Irrtum bewahren.

V. Die Reaktionszeit — Wirkungen in the long run und in the short run

Jede Änderung der Daten löst auf dem Markte Bewegungen aus, und es bedarf geraumer Weile, bis alle ihre Wirkungen erschöpft sind. Die Katallaktik ist in der Regel imstande, zu zeigen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Anpassungsvorgänge (Reaktionserscheinungen) auftreten. Sie ist jedoch nie imstande anzugeben, wie viel Zeit verstreichen muss, ehe die Reaktionserscheinungen auftreten und ihr Werk tun. Das hängt von den Daten ab.

Es wäre vergebene Mühe, wollte man versuchen, über die Länge der Reaktionszeit auf empirischem Wege Auskunft zu erhalten. Was man auf diese Weise erfahren könnte, wäre im besten Falle wirtschaftsgeschichtliche Einsicht. Sie wäre überdies außerordentlich unvollkommen, da Änderungen der Daten unaufhörlich vor sich gehen und es nie zur Erreichung eines Gleichgewichtsstandes kommt. Keinesfalls wäre es möglich, aus solcher Erfahrung heraus mehr als recht vage und unzuverlässige Voraussagen über künftiges Geschehen zu machen. Zu den Gaben, die ein erfolgreicher Unternehmer besitzen muss, gehört auch intuitives Abschätzen der Länge von Reaktionszeiten. Doch die Wissenschaft kann ihm da nicht helfen. Er mag aus der Erfahrung ein paar unzulängliche Faustregeln ableiten, Gewissheit oder auch nur halbe Gewissheit wird er nie erlangen können.

Es ist üblich, zwischen den zeitlich näheren Wirkungen einer Datenänderung und der zeitlich am fernsten liegenden Wirkung, der Erreichung eines neuen Gleichgewichtsstandes, zwischen den Wirkungen in the short run und den Wirkungen in the long [598] run, zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist älter als die Ausdrucksweise, die sie bezeichnet.

Um die näheren Wirkungen zu entdecken, bedurfte es meist nicht erst eingehender Untersuchungen. Dazu reicht in der Regel auch die Überlegung des wissenschaftlich ungeschultenDenkens aus. Den Anstoß zur wissenschaftlichen Behandlung der katallaktischen Probleme gab gerade der Umstand, dass man auf die Vermutung kam, die ferneren Wirkungen dürften von den näheren verschieden sein. Es ist da nicht anders als in den Naturwissenschaften. Die Wirkung schnellwirkender Gifte war meist schon bekannt, ehe es Pharmakologie und Physiologie gab; die Wissenschaft konnte da nicht viel Neues zum Vorschein bringen. Um die ferneren Wirkungen von Stoffen zu erkennen, die nur langsam wirken, bedarf es dagegen wissenschaftlicher Arbeit. Der wichtigste Beitrag, den die Nationalökonomie dem praktischen Handeln und vor allem der Wirtschaftspolitik lieferte, war gerade die Aufdeckung solcher fernerer Wirkungen.

Aus der neuen Einsicht der Nationalökonomen floss als praktische Anleitung für die Politik die Mahnung, nicht nur die näheren, sondern auch die ferneren Wirkungen zu berücksichtigen. Man wird dagegen wohl nichts einwenden. Das Handeln wägt die Bedeutung der Folgen ab, und es ist selbstverständlich, dass dabei alle Folgen eines Schrittes in Betracht zu ziehen sind, nicht bloß die näheren und unmittelbaren, sondern auch die ferneren und mittelbaren. Man hat gegen die Richtigkeit der Gedankengänge der nationalökonomischen Theorie eingewendet, dass sie sich zuviel mit den ferneren und endlichen Wirkungen von Veränderung der Daten befasse und darob die näheren Wirkungen vernachlässige. Das ist durchaus verfehlt. Man kann die Wirkungen in the long run nicht anders studieren, als indem man von den Wirkungen in the short run ausgeht und Schritt für Schritt zu den endlichen Wirkungen fortschreitet. Die long run Untersuchung schließt immer die short run Untersuchung ein.

Wenn man seit langem und in besonders heftiger Weise in den letzten Jahren die Forderung erhoben hat, man möge in der Wirtschaftspolitik den Gedanken an die long run Wirkungen keinen Spielraum geben und Maßnahmen, deren Wirkungen in the short run als segensreich betrachtet werden, nicht darum unterlassen, weil ihre Wirkungen in the long run als schädlich erachtet werden, so kann man darauf nur antworten, dass das eben der Entscheidung der Handelnden in jedem einzelnen Fall überlassen bleiben muss. Jedermann wird zugeben, dass es Lagen geben kann, in denen selbst sehr unerwünschte [599] endliche Wirkungen, die man gerne vermeiden würde, um eines augenblicklichen Vorteils willen in Kauf genommen werden müssen. Es ist mitunter zweckmäßig, mit den Möbeln einzuheizen. Doch wenn man es tut, dann soll man es in Erkenntnis aller Folgen tun.

Die Praxeologie hat dazu nichts weiter zu bemerken. Die Geschichte wird freilich eines Tages mehr zu sagen haben. Sie wird nicht unterlassen können, festzustellen, welche Rolle die Empfehlung der short run Politik die moderne Form des Schlagworts après nous le déluge — in der Zeit der schwersten Krise der modernen Kultur gespielt hat. Sie wird darauf hinzuweisen haben, wie willkommen dieses Schlagwort unfähigen Regierungen und Parteien sein musste, die ihre Politik auf das Aufzehren der von der Vergangenheit überkommenen Kapitalgüter einstellten.

VI. Die Grenzen des Sondereigentums und das Problem der external costs und external economies

Die Marktwirtschaft ist auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebaut.

Eigentum ist jene Verfügungsmöglichkeit über die Güter, die sie in den Dienst der Abstellung von Unbefriedigtsein einordnet. In der Marktwirtschaft gibt es Sondereigentum nicht nur an den Genussgütern, sondern auch an den Gütern höherer Ordnung. Über die Verwendung der Nutzleistungen, die von den wirtschaftlichen Gütern abgegeben werden können, verfügen einzelne Wirte, die Eigentümer, und nicht der Staat oder wie sonst man den gesellschaftlichen Zwangsverband mit seinem Gewaltapparat benennen mag.

Das Eigentumsrecht, das die Gesetzbücher kennen und die Gerichte und Gendarmen schützen, ist Ergebnis einer vieltausendjährigen Geschichte. Diese Geschichte ist erfüllt gewesen von Kämpfen, die auf Vernichtung des Eigentums hinzielten. Immer wieder haben Regenten und Volksbewegungen den Versuch unternommen, das Sondereigentum zu beschränken oder ganz durch Gemeineigentum zu ersetzen. Der Erfolg ist diesen Bemühungen zwar versagt geblieben. Doch sie haben Spuren hinterlassen in den Auffassungen, die die rechtliche Gestaltung des Eigentums bestimmt haben. Der gesetzliche Eigentumsbegriff ist unzulänglich und entspricht nicht dem gesellschaftlichen Zweck des Instituts. So ergeben sich Unstimmigkeiten, die den Ablauf der Markterscheinungen beeinflussen.

Rein durchgeführt, würde das Eigentum dem Eigentümer alle von dem Gute ausgehenden Nutzwirkungen zufallen lassen und [600] ihn auf der andern Seite mit jedem Nachteil, der aus der Verwendung des Gutes entstehen kann, belasten. Unter diesen Voraussetzungen hätte allein der Eigentümer alle Vorteile und alle Nachteile der Verfügung über sein Eigentum zu tragen. Sein Handeln müsste dann alle Folgen, die es nach sich zieht oder unter besonderen Bedingungen nach sich ziehen kann, erwägen, sowohl die Folgen, die man als vorteilhaft erachtet, als auch die, die als schädlich angesehen werden. Fällt jedoch ein Teil der Wirkungen des Handelns aus dem Bereich der dem Eigentümer zufließenden Vorteile und der ihn belastenden Nachteile heraus, dann werden seine Überlegungen nicht den ganzen Umkreis der Wirkungen des Handelns umfassen. Er wird manche Vorteile nicht in Rechnung stellen, weil sie nicht ihm zugute kommen, und wird manche Nachteile nicht in Rechnung stellen, weil sie nicht ihm zur Last fallen. Er wird daher von jener Linie abgelenkt werden, die sein Handeln eingehalten hätte, wenn die Rechtsordnung dem Zweck des Eigentums besser angepasst wäre. Es wird Handlungen geben, die die Eigentümer nur darum unterlassen, und es wird Handlungen geben, die sie nur darum setzen, weil die Rechtsordnung sie dort um den vollen Ertrag ihres Handelns bringt und sie hier von einem Teil der Verantwortung für ihr Handeln enthebt.

Das Schadenersatz- und Haftpflichtrecht war lange unvollkommen und ist es in mancher Hinsicht noch heute. Obwohl im allgemeinen der Grundsatz anerkannt wird, dass jedermann für seine Handlungen, die anderen Personen oder ihrem Eigentum Schaden zugefügt haben, Ersatz zu leisten hat, hat es doch immer noch Lücken gegeben, an deren Ausfüllung man nur langsam geschritten ist. Manche dieser Lücken wurden mit Absicht lange offen gelassen, weil dieser Zustand den wirtschaftspolitischen Absichten der Regierungen entsprach. Wenn man industrielle Unternehmungen und Verkehrsanstalten nicht verantwortlich gemacht hat für den Schaden, den sie durch Rauch, Lärm, Abwässer und in anderer Weise dem Eigentum unmittelbarer und fernergelegener Nachbarn zugefügt haben, und für die Schädigung an Leben und Gesundheit, die Betriebsunfälle verursachten, so entsprang dies dem Gedanken, dass man die Entwicklung der Industrie und des Verkehrswesens nicht hemmen dürfe. Aus denselben Anschauungen heraus, die viele Regierungen bestimmt haben und noch bestimmen, die Einrichtung und den Betrieb von industriellen Anlagen und Transportanstalten durch Subventionen, Steuererleichterungen und Einräumung von billigem Kredit zu fördern, hat man die gesetzlichen Bestimmungen über Schadenersatz und Haftpflicht für sie entweder ausdrücklich abgeschwächt oder so gehandhabt, [601] dass ihre Verantwortlichkeit tatsächlich herabgesetzt wurde. In vielen Ländern hat sich dann im Laufe der Zeiten ein Wandel vollzogen, der die Haftpflicht der industriellen Unternehmungen und der Verkehrsunternehmungen über das den übrigen Bürgern auferlegte Maß beträchtlich erweiterte. Wieder waren es politische Gesichtspunkte, die den Ausschlag gaben; man wollte den Armen, den Arbeiter und den Landwirt gegen die reichen Unternehmer und Kapitalisten schützen.

Doch gleichviel, ob die Entlastung des Eigentümers von einem Teil der nachteiligen Folgen seines Handelns einem zielbewussten Vorgehen der Regierung und Gesetzgebung entspringt oder sich aus der allgemeinen Rechtslage ohne besondere Absicht des Gesetzgebers ergibt, sie ist für das Handeln ein Datum. Wenn der Unternehmer gewisse Kosten seines Handelns nicht in Rechnung stellen muss, weil sie für ihn angesichts der Rechtslage external costs sind, dann wird er manches unternehmen, was er sonst unterlassen hätte. Es wird dann Personen geben, die unter seinem Vorgehen leiden, ohne dass ihnen die Möglichkeit geboten wäre, den Ersatz des von ihnen erlittenen Schadens zu begehren.

Ein anderes Beispiel bieten die schon erwähnten Fälle, in denen Boden außerhalb des Sondereigentums steht und jedermann sich Bodenerträgnisse wie herrenloses Gut aneignen darf. Wenn irgendwo Naturschätze Holz und Wild in den Waldungen, Mineralschätze des Bodens, Fische in Gewässern — von jedermann erworben werden dürfen, dann wird jenes Verfahren platzgreifen, das man als Raubbau bezeichnet. Niemand ist für die Nachteile verantwortlich, die durch Vernichtung der Bestände entstehen mögen. Dann werden die Wälder abgestockt, ohne dass für die Wiederaufforstung gesorgt wird, dann werden Wild und Fische so gejagt und gefischt, dass der Nachwuchs gefährdet oder vernichtet wird.

Der Fall der external economies ist nicht einfach die Umkehrung des Falls der external costs. Wenn die Vorteile, die ein Handeln bringt, nicht nur dem Handelnden zugute kommen, sondern auch anderen Wirten, dann sind zwei Möglichkeiten gegeben:

a) Die Vorteile erscheinen dem, der vor die Wahl gestellt ist, so groß, dass er bereit ist, alle notwendigen Auslagen selbst zu bestreiten. Dass auch andere aus seinem Handeln und aus den von ihm gebrachten Opfern Gewinn ziehen, wird ihn nicht abhalten, seinen eigenen Vorteil wahrzunehmen. Wenn eine Eisenbahnunternehmung Schutzbauten ausführt, um ihre Anlagen gegen Lawinen zu sichern, dann schützt sie nicht nur die eigene Bahnstrecke, sondern auch die Grundstücke der [602] Anreiner. Dieser Gewinn fremder Personen wird sie natürlich nicht abhalten, das vorzukehren, was ihr im eigenen Interesse zweckmäßig erscheint.

b) Die Kosten, die das Werk erfordert, sind so groß, dass keiner von denen, denen das Werk Vorteil bringen kann, bereit ist, sie allein zu bestreiten. Das Werk kann daher nur ausgeführt werden, wenn zwischen mehreren Interessenten eine Vereinbarung über die Teilung der Kosten zustandekommt.

Das ist alles, was über diese Dinge zu sagen wäre, wenn man sie nicht, vor allem aus politischen Gründen, in irreführender Weise behandelt hätte. Man hat nämlich versucht, sie zum Ausgangspunkte einer Kritik der Marktwirtschaft zu machen und zur Rechtfertigung des Interventionismus zu verwenden.

Die Rentabilitätsrechnung, meint man, ziehe weder die external costs noch die external economies (external profits) in den Kalkül ein. Daraus entstehe ein Gegensatz zwischen dem, was den Sonderinteressen der einzelnen Unternehmer und Eigentümer dient, und dem, was der Gesamtheit und dem Ganzen frommt. Manches Unternehmen, das den Unternehmern und Kapitalisten als rentabel erscheint, erweise sich als dem Ganzen schädlich, wenn man die external costs in Rechnung stellt; anderseits sei manches unrentable Unternehmen volkswirtschaftlich produktiv, wenn man die external economies und external profits, die es bringe, in die Betrachtung einbeziehen will. Über die external costs ist in diesem Zusammenhang wohl nichts mehr hinzuzufügen; das ist ein Problem, das durch die Ausgestaltung des Schadenersatz- und Haftpflichtrechtes restlos gelöst werden kann.

Eingehender muss man sich jedoch mit dem Versuch befassen, die Rentabilitätsrechnung durch Berufung auf die external economies zu kritisieren. Dass ein Unternehmen als unrentabel erscheint, bedeutet, dass die Kostengüter, die seine Durchführung erfordert, für andere Zwecke dringender benötigt werden. Daran wird auch durch die Erscheinung der external economies nichts geändert. Wenn die Vorteile, die anderen Personen als dem Unternehmer oder Eigentümer, der sie aufwendet, zugutekommen, von diesen so hoch gewertet werden, dass sie bereit sind, für sie zu zahlen, dann wird die Aufwendung durch ihre Beiträge rentabel werden. Wenn sie nicht gewillt sind, beizutragen, hat ihr Handeln die Verbesserung verhindert. Wenn die Beitragsleistung für sie nicht rentabel ist, dann ist das so zu beurteilen wie jeder andere Fall von Unrentabilität.

Man hat z. B. das Argument der external profits verwendet, um den Bau und Betrieb von unrentablen Eisenbahnstrecken durch den Staat zu rechtfertigen. Es mag sein, sagte man, [603] dass die Eisenbahn nicht rentabel sei im gewöhnlichen Sinn des Wortes und daher für Unternehmer und Kapitalisten nicht lohnend erscheine. Doch sie werde zur Entwicklung einer ganzen Landschaft beitragen, sie werde dort Handel, Gewerbe und Ackerbau aufblühen lassen und damit zur Hebung der Wirtschaft Bedeutendes leisten, das man in Rechnung zu stellen habe, sobald die Ersprießlichkeit der Bau- und Betriebsführung von einem höheren Standpunkte als von dem der Profitinteressen betrachtet werde. Die privatwirtschaftliche Beurteilung möge den Bau der Eisenbahn als unangezeigt erscheinen lassen, der volkswirtschaftlichen Beurteilung erscheine er als wohlfahrtsfördernd. Dieser Gedankengang ist jedoch durchaus falsch. Es ist freilich nicht zu bestreiten, dass die Eisenbahn den Einwohnern der Gegend, durch die sie zieht, Nutzen bringt; genauer: sie bringt den Grundeigentümern jener Gegend und allen denen, die dort Anlagen errichtet haben, die nicht mehr ohne Wertminderung übersiedeln können, Vorteile. Sie entwickelt, pflegt man zu sagen, die Produktivkräfte der von ihr durchzogenen Landesteile. Der Nationalökonom hat das anders auszudrücken: die Zuschüsse, die der Staat aus Steuergeldern für den Bau, die Erhaltung und den Betrieb der Bahn, die ohne diese Beihilfe nicht gebaut und nicht betrieben worden wäre, leistet, verschieben einen Teil der Produktion von Standorten, die günstigere natürliche Produktionsbedingungen bieten, nach Standorten, die für die Produktion weniger geeignet sind. Es werden Grundstücke angebaut werden, die im Hinblick auf ihre Lage zu den Konsumstätten und ihre Fruchtbarkeit einen rentablen Anbau nicht gestatten, wenn man sie nicht durch die Subventionierung des Transportsystems, das sie erst rentabel machen soll und zu dessen Kosten sie nicht entsprechend beitragen können, mittelbar subventioniert. Gewiss trägt man dadurch zum Aufblühen einer Gegend bei, in der sonst weniger erzeugt worden wäre. Doch diesem Zuwachs an Produktion in dem durch die Bahnpolitik der Regierung geförderten Landstrich steht die Belastung der Produktion und des Konsums in den Teilen des Landes gegenüber, die die Kosten der Regierungspolitik zu bestreiten haben. Der schlechtere Acker wird aus dem Ertrag von Abgaben, die entweder die Produktion des besseren Ackers belasten oder vom Verbraucher direkt zu tragen sind, subventioniert. Die an ungünstigeren Standorten befindlichen Betriebe können wohl ihre Produktion erweitern, doch die auf günstigeren Standorten befindlichen müssen sie einschränken. Man mag, das «gerecht» oder politisch klug finden, doch man darf nicht davon sprechen, dass es die Gesamtnettoversorgung steigert; es mindert sie.

[604]

Die Belebung der Produktion in dem von der Bahn bedienten Landstrich darf man nicht als «volkswirtschaftlichen» Vorteil ansehen. Alle diese Vorteile erschöpfen sich darin, dass eine Reihe von Betrieben an Orten arbeitet, die man unter anderen Umständen als ungeeignet angesehen hätte. Die Vorteile, die diesen Unternehmungen vom Staate durch die Unterstützung des Bahnbetriebes zuteil werden, unterscheiden sich in keiner Hinsicht von den Vorteilen, die er minderleistungsfähigen Unternehmern unter anderen Voraussetzungen gewährt. Es kommt in der Wirkung auf das gleiche Ergebnis heraus, ob der Staat eine Schuhmacherwerkstätte subventioniert oder privilegiert, um sie den Schuhfabriken gegenüber wettbewerbsfähig zu machen, oder ob er einen wegen seiner Lage nicht wettbewerbsfähigen Acker dadurch fördert, dass er einen Teil der Kosten, die durch den Transport seiner Produkte entstehen, aus öffentlichen Geldern bestreitet.

A. Über das Eigentum an Rezepten.

Dass das Problem der external economies nichts anderes ist als ein Problem der Abgrenzung des Eigentumsrechts, wird besonders deutlich, wenn man die Wirkungen der Regelung des Eigentums an Rezepten und Verfahrensarten betrachtet.

Das Eigentümliche des Rezepts ist die Unerschöpflichkeit seiner Nutzwirkung. Ist ein Verfahren einmal gefunden und nicht wieder vergessen worden, dann dient es unbegrenzt. Wer es kennt, kann es als freies Gut betrachten. Auch wenn er für die Erwerbung dieser Kenntnis Aufwendungen machen musste, wird es für ihn gleichgültig sein, ob er es öfter oder seltener gebraucht, da der Gebrauch die Fähigkeit des Rezepts, Nutzen zu stiften, nicht beeinträchtigt. Er wird es bei der Kalkulation der variablen Selbstkosten nicht zu berücksichtigen haben, weil er sich durch den Gebrauch des Rezepts nicht der Möglichkeit begibt, es für andere Zwecke zu verwenden. Dass seine Erwerbung Kosten erfordert hat, schmälert wohl den Gewinn, den die Produktion und der Vertrieb der nach der Weisung des Rezeptes hergestellten Ware einbringt. Man hat aber diesen Aufwand nur geleistet, weil ungeachtet dieser Kürzung das Geschäft noch als rentabel erscheint. Die Hoffnung auf erzielbare Bruttogewinne begrenzt den Preis, der für die Erwerbung des Rezeptes gezahlt wird, nach obenhin.

Wenn die Rechtsordnung geistiges Eigentum nicht schützt, dann können von den Unternehmern, die nach Anweisung dieser Rezepte erzeugte Güter zu Markte bringen, nur Unternehmergewinne erzielt werden. Ein Verleger kann, wenn das Urheberrecht nicht geschützt ist, an den Büchern, die Erfolg haben, nur insoweit Gewinne erzielen, als er einen zeitlichen Vorsprung vor den anderen Verlegern erlangt hat. Nur die Aussicht, einen Gewinn dadurch zu erzielen, dass er imstande ist, das Buch früher zu verkaufen als seine Konkurrenten, könnte ihn veranlassen, dem Verfasser ein Honorar zu bezahlen. Wird jedoch das Urheberrecht durch das Gesetz geschützt, dann können im Vertrieb des Buches, wenn die übrigen Bedingungen zutreffen, Monopolpreise erzielt werden; dementsprechend können auch Autorenhonorare bemessen werden.

[605]

Die Frage, ob man das geistige Eigentum der Schriftsteller, Künstler, Erfinder und Musterentwerfer schützen soll oder nicht, gehört nicht in den Rahmen einer theoretischen Untersuchung. Hier ist für uns allein die Feststellung von Bedeutung, dass dort, wo dieser Schutz nicht gewährt wird, das Problem der external economies eine bedeutende Rolle im geistigen Schaffen spielt. Der geistig Schaffende ist dann ein Erzeuger, der weniger für sich als für die wirkt, die aus seinem Werk Vorteil zu ziehen wissen.

B. Privilegien

Die Schranken, die dem Handeln durch die Institutionen gezogen werden, sind nicht immer so hoch, dass sie nicht unter gewissen Voraussetzungen überstiegen werden könnten. Aus der Verschiedenheit der Voraussetzungen für ihre Übersteigbarkeit entstehen Renten und unter Umständen auch Monopolgewinne, die man genau von den Renten und Monopolgewinnen unterscheiden muss, die das Ergebnis der durch die Regierung und Gesetzgebung gesetzten Schranken des Eigentums selbst sind.

Ein Gesetz, das nicht befolgt wird, ist wirkungslos. Ein Gesetz, das nicht für alle gilt oder das nicht alle befolgen, kann den davon Befreiten und den Gesetzesübertretern zur Quelle von Monopol- und Renteneinkommen werden. Sie sind, wenn sie von der Befolgung des Gesetzes ausgenommen sind, Privilegierte, wenn sie es nicht befolgen, ohne dazu berechtigt zu sein, Quasiprivilegierte.

Ob das Privileg gesetzlich erworben und geschützt ist oder ob es als Quasiprivileg nur tatsächlich — und dann meist gegen des Gesetz und dem Gesetz zum Trotz besteht, ist für seine Wirkung auf dem Markte ohne Bedeutung. Wichtig ist dagegen unter Umständen, ob das Privileg einen Kostenaufwand erfordert. Auch bei diesem Kostenaufwand ist es für die Preisgestaltung ohne Belang, ob er legitim oder illegitim ist. Die Wirkung auf den Markt wird nicht davon berührt, ob die faktische Nichtbeachtung eines Einfuhrverbots durch die Erlangung einer von der Regierung gesetzmäßig gewährten Erlaubnis, eine bestimmte Menge einzuführen, ermöglicht wurde oder durch Bestechung der Zollbeamten. Es ist ohne Belang für die Beurteilung der durch Hasardspiel oder Prostitution geschaffenen Marktlage, ob die Regierung Spielbanken und Unzucht ausdrücklich einigen Privilegierten gestattet oder ob manche das bestehende Verbot zu umgehen wissen.

11. KAPITEL: EINKLANG UND WIDERSTREIT DER INTERESSEN

I. Die Quelle der Gewinne auf dem Markte.

Die Veränderungen der Daten, deren Auftreten bewirkt, dass die Wirtschaft nicht gleichmäßige Wirtschaft werden kann, und dass Unternehmergewinne und Unternehmerverluste entstehen, bedeuten für einen Teil der Wirte Vorteil, für einen andern Teil Schaden. Man hat daraus den Satz abgeleitet: Des [606] Einen Vorteil ist des Andern Schaden. [261] Das ist insoferne richtig, als in der stationären Wirtschaft die Summe der Unternehmergewinne der Summe der Unternehmerverluste gleichkommt; es ist auch richtig in Bezug auf die Wirkung von Kaufkraftveränderungen, die von der Geldseite her ausgelöst werden. Es ist unrichtig, wenn man damit ausdrücken wollte, dass auch sonst der Schaden des Einen Quelle des Vorteils wäre, der dem Andern zukommt.

Nicht das Unheil, das einen Mitbürger trifft, wird für andere zur Quelle von Gewinn, sondern dass sie dieses Unheil mildern oder beheben. Die Seuche bringt dem Erkrankten Schaden, nicht der Arzt, der ihn von der Krankheit befreit. Der Gewinn des Arztes ist nicht durch die Seuche geschaffen worden, sondern dadurch, dass er sie zu bekämpfen weiß und bekämpft. Quelle der Unternehmergewinne ist immer die Voraussicht, die es ermöglicht, Mitmenschen zu helfen, die weniger zweckmäßig für die Zukunft vorgesorgt haben. Wenn die Dinge sich anders gestalten, als die Masse der Menschen erwartet hat, dann ist es für die, die durch das Eingetretene überrascht wurden, kein Nachteil, sondern ein Vorteil, dass andere Wirte das, was nun gekommen ist, besser vorausgesehen haben als sie selbst, so dass sie nun für den neuen Bedarf vorsorgen können.

Mitunter kommen die äußeren Ereignisse, die Nachfrage und Angebot umgestalten, so unerwartet, dass man sagen darf, das hätte kein vernünftiger Mensch voraussehen können. Man mag dann den Gewinn derer, die von der Veränderung Vorteil haben, als unberechtigt ansehen und mag ihn ihnen besonders neiden. Doch das ändert nichts an der Interessenlage. Es ist für den Kranken offenbar noch immer vorteilhafter, dass ein Arzt ihn um teures Geld heilt, als dass er ohne ärztliche Hilfe bleibt. Wäre dem anders, dann würde er nicht ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Nicht Interessenkonflikte liegen hier vor, sondern Schädigungen durch mangelnde Voraussicht. Es wäre für jeden Wirt besser, wenn er selbst und alle Menschen die kommenden Ereignisse stets richtig und rechtzeitig zu erkennen vermöchten. Dann würde es möglich werden, Kapitalgüter und Arbeit immer so zu verwenden, dass eine rückschauende Beurteilung feststellen könnte, kein Teilchen sei auf die Deckung eines Bedarfes verschwendet worden, der sich als weniger wichtig herausgestellt hat als anderer Bedarf, der unbefriedigt blieb. Doch die Menschen sind eben nicht allwissend.

[607]

Man darf nicht auf den einzelnen Fall sehen und darnach urteilen. Die Bedienung der Interessen jedes Gliedes der Marktwirtschaft wird gerade dadurch sichergestellt, dass dem Unternehmer, der die künftige Marktlage besser als andere vorauszusehen wusste, Unternehmergewinn zufällt. Dieses System, das den Erfolg belohnt und den Misserfolg straft, bewirkt die denkbar beste Versorgung des Marktes. Würden die Unternehmergewinne zu Gunsten derer, die durch die Veränderung leiden, beschränkt werden, dann würde man die Anpassung der Versorgung an die wechselnden Verhältnisse nicht verbessern, sondern verschlechtern.

Der Widerstreit der Interessen, der zwischen Käufer und Verkäufer besteht, wird dadurch behoben, dass der Kaufabschluss immer für beide Teile vorteilhaft ist. Selbst wenn man mit Verlust verkauft, ist man noch immer besser daran, als wenn man überhaupt nicht oder nur zu noch ungünstigeren Bedingungen verkaufen könnte. Dass Einer Verluste erleidet, hat er seinem Mangel an Voraussicht zuzuschreiben; der Verkauf begrenzt seinen Verlust, auch wenn er zu noch so ungünstigen Bedingungen erfolgt. Wenn der Verkäufer den Verkauf nicht als das unter den gegebenen Umständen für ihn vorteilhafteste Handeln ansehen würde, würde er nicht verkaufen.

Der Satz, dass des Einen Vorteil des Andern Schaden sei, ist richtig für Kriegführen und Beutemachen. Was der Räuber mir abgenommen hat, ist sein Vorteil und mein Schaden. Doch Krieg und Handel sind verschiedene Dinge. Voltaire irrte, als er — im Jahre 1764 — im Artikel «Patrie» seines Dictionnaire Philosophique schrieb: « être bon patriote, c'est souhaiter que sa ville s'enrichisse par le commerce et soit puissante par les armes. Il est clair qu'un pays ne peut gagner sans qu'un autre perde, et qu'il ne peut vaincre sans faire des malheureux.» Voltaire hat, wie vor ihm und nach ihm viele andere Schriftsteller, es wohl für überflüssig gehalten, sich mit den Ergebnissen des nationalökonomischen Denkens vertraut zu machen; hätte er Hume's Essays zur Hand genommen, dann hätte er erfahren, wie verkehrt seine Gleichsetzung von Krieg und Außenhandel ist. Der große Kritiker landläufiger Vorurteile und ererbter Irrlehren hat kritiklos ein gangbares Schlagwort übernommen.

Wenn der Bäcker dem Zahnarzt Brot liefert und der Zahnarzt des Bäckers Zahnschmerzen beseitigt, wird weder der Bäcker noch der Zahnarzt geschädigt. Es ist unzulässig, diesen Austausch von Diensten der Plünderung des Bäckerladens durch bewaffnete Räuber gleichzusetzen. Der Außenhandel unterscheidet sich vom Binnenhandel nur dadurch, dass Dienste [608] über die politischen Grenzen hinweg ausgetauscht werden. Es ist ungeheuerlich, dass Prinz Louis Napoleon Bonaparte, der spätere Kaiser Napoleon III., viele Jahrzehnte nach Hume, Smith und Ricardo, schreiben konnte: «La quantité de marchandises qu'un pays exporte est toujours en raison directe du nombre de boulets qu'il peut envoyer à ses ennemis, quand son honneur et sa dignité le commandent.» [262] Alle nationalökonomischen Untersuchungen über die Wirkungen der internationalen Arbeitsteilung und des Außenhandels haben es nicht vermocht, die merkantilistische Auffassung zu erschüttern, „that the object of foreign trade is to pauperise foreigners.“ [263] Es mag Aufgabe der psychologischen Forschung sein, die Wurzel der Volkstümlichkeit dieser und ähnlicher Irrlehren aufzudecken; für die Nationalökonomie ist die Erörterung dieser Dinge längst abgeschlossen.

II. Die Geburtenregelung

Wie für jedes Lebewesen so sind auch für den Menschen die natürlichen Bedingungen für die Entfaltung des Lebens beschränkt. Die Unterhaltsmittel sind knapp, sie reichen nur für eine begrenzte Zahl. Wie jedes Lebewesen führt daher der Urmensch einen Kampf ums Dasein auf zwei Fronten: gegen die sein Leben bedrohenden Gefahren, z. B. gegen Raubtiere, und gegen die Mitmenschen, in denen er Konkurrenten im Bestreben nach Erlangung der knappen Unterhaltsmittel sieht.

Der Kampf aller Menschen gegen alle anderen Menschen und der Kampf aller Urhorden gegen alle anderen Urhorden wird dann durch die gesellschaftliche Vereinigung abgelöst. In der Tauschgesellschaft besteht solange kein Widerstreit der Interessen, als das Optimum der Bevölkerungszahl nicht erreicht ist. Solange der Zuwachs von Arbeitern eine überproportionale Steigerung des Arbeitsertrags bedeutet, ist in der arbeitteilenden Gesellschaft der natürliche Interessenkonflikt durch Interessenharmonie ersetzt. Die Menschen sind nicht länger Konkurrenten um ein knappes Maß von Unterhaltsmitteln, sondern als Mitstrebende zur Erreichung gemeinsamer Ziele verbunden. Die Ankunft eines neuen Gastes an der Tafel des Lebens bedeutet nicht Kürzung der Portionen, die den Einzelnen zufallen, sondern eher ihre Vergrößerung.

[609]

Würden die Menschen wie Tiere nichts anderes anstreben als Nahrung und Fortpflanzung, dann würde die Bevölkerungszahl die Tendenz haben, über das Optimum hinauszuwachsen. Doch die Menschen setzen sich auch andere Ziele, sie wollen nicht nur leben, sie wollen menschlich leben. Eine Verbesserung der Lebensbedingungen führt daher wohl zur Erhöhung der Bevölkerungszahl, doch das Wachstum der Bevölkerung bleibt hinter der Erweiterung des Nahrungsspielraums zurück. Wäre dem anders, dann hätten die Menschen es nie vermocht, Gesellschaft zu bilden und Kultur zu schaffen. Wie für Ratten, Mäuse, Insekten und Mikroben würde für sie jede Verbesserung der Lebensbedingungen Vermehrung bis zur Grenze des Nahrungsspielraums bewirken, und es bliebe nichts für die Erreichung anderer Ziele übrig. Der Irrtum, der dem ehernen Lohngesetz zugrundelag, war eben der, dass es in den Menschen (oder zumindest doch in den Arbeitern) nur das Tierische sehen wollte, und dass seine Vertreter nicht bemerkt haben, dass die Menschen gerade dadurch vor den anderen Lebewesen ausgezeichnet sind, dass sie auch andere Ziele anstreben, spezifisch menschliche Ziele, die man, wenn man will, auch «höhere» Ziele nennen darf.

Das Malthus'sche Bevölkerungsgesetz ist eine der großen Leistungen der Wissenschaft. Mit ihm und mit der Lehre von der Arbeitsteilung hat die englisch-schottische Gesellschaftslehre des 18. Jahrhunderts auch den Grundstein der modernen Biologie und Entwicklungsgeschichte gelegt; die Fruchtbarkeit dieser beiden Lehren für den Fortschritt der Erkenntnis vom Handeln wird nur von der Entdeckung der Gesetzmäßigkeit im Ablauf der Markterscheinungen übertroffen. Der Kritik, die am Malthus’schen Gesetz und am Ertragsgesetz geübt wurde, kommt überhaupt keine wissenschaftliche Bedeutung zu. Die beiden Gesetze gehören zum ehernen Bestande menschlicher Wissenschaft. Doch ihre Einordnung in den Bau der Lehre vom menschlichen Handeln hat anders zu erfolgen, als Malthus sie sich gedacht hat.

Die nichtmenschlichen Lebewesen sind dem Walten der von Malthus beschriebenen Gesetzmäßigkeit ganz unterworfen. Für sie gilt der Satz, dass sie die Tendenz haben, sich bis zur Grenze des Nahrungsspielraums zu vermehren und dass die Überzähligen nur durch Mangel an Nahrungsmitteln ausgemerzt werden. In Bezug auf sie hat der Begriff Existenzminimum einen klaren und eindeutigen Sinn. Der Mensch aber hat auch andere Ziele als das Tier. Er ordnet die Befriedigung seiner bloß animalischen Triebe, die er mit allen Lebewesen gemein hat, in eine Rangordnung ein, die auch rein menschliche Ziele, die den [610] übrigen Lebewesen fremd sind, umfasst. Im menschlichen Handeln wird auch der Geschlechtstrieb rationalisiert. Die Befriedigung des Geschlechtstriebs ist beim Menschen ein Akt der Vernunft, d.h. der Mensch folgt nicht wie der Stier und der Auerhahn blind dem Trieb, sondern weiß auch Enthaltsamkeit zu üben, wenn er es für angezeigt hält. In diesem Sinn können wir, ohne alle Wertung und ohne jede ethische Färbung, den von Malthus geschaffenen Ausdruck moral restraint unbedenklich verwenden. [264]

Rationalisierung des Geschlechtsverkehrs ist notwendigerweise auch schon Rationalisierung der Zeugung. Allmählich hat sich dann eine weitere Rationalisierung der Vermehrung herausgebildet, die von der Rationalisierung des Geschlechtsaktes unabhängig ist; zuerst nur in den rohen Formen der Kindertötung und Kinderaussetzung, dann als Abtreibung der Leibesfrucht, bis man es schließlich lernte, den Geschlechtsakt auch so zu vollziehen, dass eine Schwangerschaft nicht folgt. Die Technik und die Verwendung antikonzeptioneller Verfahren hat sich in den letzten hundert Jahren beträchtlich entwickelt; doch die Sache selbst ist uralt.

Der Reichtum, mit dem der Kapitalismus alle Schichten, vor allem aber die breiten Volksmassen der kapitalistischen Länder überschüttet, und die Fortschritte der hygienischen Einrichtungen und des therapeutischen Könnens, die man dem Kapitalismus dankt, haben die Sterblichkeit, besonders die der Kinder, so sehr herabgedrückt und die durchschnittliche Lebensdauer so sehr verlängert, dass die Beschränkung der Geburtenzahl, um Erfolg zu erzielen, heute weiter gehen muss als in der vorkapitalistischen Zeit. Der Übergang zum Kapitalismus hat daher die Geschlechtssitten weitgehend beeinflusst. Nicht die Praxis der Geburtenregelung ist neu, sondern das, dass sie allgemeiner und in stärkerem Umfang geübt wird. Neu ist vor allem die Erscheinung, dass sie nicht nur auf die höheren Schichten der Gesellschaft, auf den Adel, die Bürger und die Grossbauern, beschränkt bleibt, sondern alle Schichten umfasst. Denn es ist eine der wichtigsten sozialen Wirkungen des Kapitalismus, dass er alle Schichten der Gesellschaft entproletarisiert; er hebt die Arbeitermassen so, dass auch sie «verbürgerlichen» und wie besitzende Bürger denken und handeln. Auf die Bewahrung der erreichten höheren Lebenshaltung bedacht, beginnen sie Geburtenregelung zu üben. In dem Maße, in dem der Kapitalismus fortschreitet, greift auch die Geburtenregelung [611] als allgemeine, von allen Schichten des Volkes geübte Handlungsweise um sich. Der Übergang zum Kapitalismus ist daher bevölkerungsstatistisch durch zwei Tatsachen gekennzeichnet: Sinken der Geburtenzahl und Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer.

Als Malthus hervortrat, konnte man diese Wirkung des Kapitalismus noch nicht erkennen. Heute darf man sie für die kapitalistischen Länder nicht mehr verkennen. Doch man glaubt, erfüllt von romantischen Vorurteilen, in ihr eine Erscheinung des Verfalls zu erblicken, von dem nur die Kulturmenschheit, die weiße Rasse, betroffen wird. Für diese Romantiker ist nämlich alles, was die Völker Europas in den letzten Jahrhunderten geschaffen haben, alle ihre Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Technik, alle Wohlstandssteigerung, alle Verfeinerung des Lebens nichts als traurige Entartung, die man als das Werk des Teufels ansehen muss. [265] Dass die Asiaten, obwohl auch bei ihnen die Anwendung moderner Hygiene und Infektionsbekämpfung die durchschnittliche Lebensdauer verlängert, die Geburtenregelung nicht in dem Umfang üben, in dem sie heute in Europa, Amerika und Australien geübt wird, dass daher die Inder, Malayen, Chinesen und Japaner sich heute stärker vermehren als die Weißen, erfüllt sie mit Schrecken. Wird nicht, fragen sie besorgt, das Ende das sein, dass die Rassen, denen die Früchte der kapitalistischen Kultur, an deren Werden sie nicht mitgewirkt haben, als ein unerwartetes Geschenk in den Schoss gefallen sind, durch ihre stärkere Bevölkerungszunahme die Weißen schließlich erdrücken werden?

Wenn man sich frei hält von den Vorurteilen, die in der Geburtenregelung, wie sie von den Völkern der modernen kapitalistischen Kultur geübt wird, nichts als ein Laster sehen wollen, erscheinen diese Gedankengänge als falsch. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass alle Völker weißer Rasse auf die durch den Kapitalismus bewirkte Herabsetzung der Kindersterblichkeit und Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer sehr bald mit verschärfter Geburtenregelung reagiert haben. Gewiss, aus solcher Erfahrung lässt sich kein allgemeingültiges Gesetz ableiten. Doch die praxeologische Überlegung zeigt, dass zwischen den beiden Tatsachen ein notwendiger Zusammenhang besteht. Wo die Menschen auf die Verbesserung der Lebensbedingungen nicht durch entsprechende Einschränkung der Geburtenhäufigkeit reagieren, kann die Lebenshaltung auf die Dauer nicht gehoben werden. Wenn die Völker des Ostens von unserer Kultur nur die gebrauchsfertigen Mittel zur [612] Bekämpfung der Infektionskrankheiten übernehmen, im Übrigen aber ihr Verhalten nicht ändern, dann werden sie auch nie in die moderne Kultur eintreten. Dann werden sie Barbarenmassen bleiben, deren Angriffe den Kulturvölkern nicht gefährlich werden können. Solange Waffen benötigt werden, werden die Unternehmer der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht aufhören, immer wirksamere Waffen zu erzeugen und so ihren Volksgenossen einen Vorsprung in der Ausrüstung gegenüber den nichtkapitalistischen Völkern zu sichern. Nicht den militaristischen Völkern, die nicht müde werden, sich ihrer unverbrauchten Jugendkraft, ihres überschäumenden Dynamismus und ihres Menschenreichtums zu rühmen, sind die Fortschritte zu verdanken, die die Waffentechnik in den letzten hundert Jahren gemacht hat. Die alt, verbraucht und kriegsuntüchtig gescholtenen Westvölker haben Panzerschiffe, Unterseebote, Flugzeuge, Tanks, Maschinengewehre, Rohrrücklaufgeschütze, Torpedos und viele andere Kriegswaffen geschaffen; die anderen Völker haben nur nachgeahmt und haben auch auf diesem Gebiet nichts Neues zu erfinden gewusst. Kein äußerer Feind wird die kapitalistische Kultur zerstören, wenn sie sich nicht selbst zerstört. Wenn man die Unternehmertätigkeit nicht aus der Waffenerzeugung verdrängt, [266] dann werden die kapitalistischen Staaten im Augenblick der Gefahr stets besser gerüstet sein als die nichtkapitalistischen.

Die geistigen Führer der Völker des Ostens wollen ihren Volksgenossen den Wohlstand schaffen, den sie in Westeuropa und in Nordamerika sehen. Irregeführt durch die marxistischen und militaristischen Gedankengänge, glauben sie, dass das, worauf es ankommt, die Übernahme der europäisch-amerikanischen Technologie sei. Die Bolschewiken und die Nationalisten Japans, Chinas und Indiens sehen nicht, dass ihnen nicht nur die Produktionstechnik Europas fehlt, sondern jene Gesellschaftsverfassung, aus der neben anderen Kulturerscheinungen auch diese Technik hervorgegangen ist. Nicht Traktoren und Dynamos braucht Russland am dringendsten, sondern das Privateigentum an den Produktionsmitteln; nicht «Spezialisten», sondern Unternehmer fehlen ihm. Was Ost und West scheidet, ist die Sozialverfassung, der Geist, der sie geschaffen hat, und der Geist, den sie schafft. Die Freiheit, die Europa in den letzten Jahrhunderten dem Getriebe des Marktmechanismus gelassen hat, der Spielraum, den es den aus dem Sondereigentum [613] an den Produktionsmitteln entspringenden Kräften geöffnet hat, haben die Kultur hervorgebracht, in der der einfache Mann besser leben kann als einst Fürsten, und in der Descartes, Spinoza, Hume, Laplace, aber auch Mozart, Goethe und Beethoven sich entfalten konnten, die Kultur, die die Gedanken des Rechtsstaates und der Gleichheit vor dem Gesetze, der Demokratie, des Roten Kreuzes und des ewigen Friedens gestaltet hat. Nichts, was dieser Kultur zugehört, hätte in einer Welt, die das Sondereigentum nicht frei gewähren lässt, entstehen können und könnte in einer Welt ohne Sondereigentum bestehen bleiben.

Wenn die Asiaten in die europäische Kultur wirklich eintreten sollten, werden sie auch die Marktwirtschaft übernehmen müssen. Dann wird der Arbeiter entproletarisiert werden, er wird die Geburtenregelung so durchführen, wie sie der westeuropäische Arbeiter heute kennt und übt, und die Bevölkerungsvermehrung wird der Hebung der Lebenshaltung nicht mehr im Wege stehen.

Bewusste Anpassung der Geburtenzahl und der Zahl der Nachkommen, die die Geschlechtsreife erreichen, an die Unterhaltsmöglichkeiten ist allgemein menschlich. Nie hätten die Menschen sich über das kümmerlichste Dasein, über das «nackte» Leben erheben können, wenn sie sich hemmungslos vermehrt hätten, und sie würden sehr bald wieder vertieren, wenn sie zur tierischen Hemmungslosigkeit zurückkehren wollten. Ob man Geburtenregelung nur dann für sittlich hält, wenn sie durch Enthaltung vom Geschlechtsverkehr geübt wird, ist praxeologisch belanglos; darüber darf wohl bloß die Hygiene ein Urteil abgeben. Es ist absurd, die Entscheidung auf Grund von Normen zu fällen, die in Zeitaltern geschaffen wurden, die andersgearteten Bedingungen gegenüberstanden. Doch die Praxeologie hat sich um das theologische Problem nicht zu kümmern; sie hat nur festzustellen, dass ohne Geburtenregelung Kultur nicht denkbar ist.

Eine sozialistische Gesellschaftsordnung müsste die Geburtenregelung selbst in die Hand nehmen und den Einzelnen auch in diesen Dingen den Befehlen der Obrigkeit untertan machen. In der Marktwirtschaft ist jeder Einzelne im eigenen Interesse darauf bedacht, nicht mehr Kinder in die Welt zu setzen, als er ohne empfindliche Senkung der Lebenshaltung aufzuziehen vermag. Damit wird das Hinauswachsen der Bevölkerungsmenge über das jeweils durch die verfügbare Kapitalausstattung und durch den Stand des technischen Könnens gegebene Optimum verhindert. So kommen dann die Interessen der Einzelnen zum Einklang.

[614]

Die militaristische Ideologie will sich mit diesem Stand der Dinge nicht abfinden. Sie sieht im Menschen nicht den Genossen gesellschaftlicher Kooperation, nicht den Mitarbeiter, sondern den Soldaten und unterscheidet zwischen den eigenen Soldaten und den Feinden. Sie wünscht die Zahl der eigenen Soldaten so groß als möglich, um die Welt zu erobern, und bekämpft daher alle Arten von Geburtenbeschränkung. Denn aller Raum auf Erden gebühre den eigenen Leuten; die übrigen hätten, weil sie schwächer wären, zu verschwinden oder den Siegern als Knechte zu dienen. Der Fehler dieses Gedankenganges liegt in der Unterschätzung der militärischen Widerstandskraft der kapitalistischen Kultur. Auch militärisch ist die kapitalistische Gesellschaft der nichtkapitalistischen überlegen. Dass sie nicht kriegslustig ist, ist nicht Ausfluss von Schwäche, sondern Einsicht in die gesellschaftszerstörende Wirkung des Krieges. Wenn sie angegriffen wird, weiß sie sich zu verteidigen.

Wer die Geburtenregelung beseitigen will, will aus dem menschlichen Leben das Verfahren ausschalten, das friedliches Zusammenwirken der Menschen ermöglicht. Wenn die Menschen sich über das Optimum der Arbeiterzahl hinaus vermehren, ist es mit dem Frieden und mit der Kultur vorbei. Dann muss die durchschnittliche Lebenshaltung sinken, und der Kampf um die Vergrößerung der Portionen wird unvermeidlich. Wenn man meint, Geburtenregelung wäre wider die Natur und wider die Gebote Gottes, dann möge man sich doch darauf besinnen, dass die Natur den Menschen den Nahrungsspielraum knapp bemessen hat. Der Mensch hat unter den Bedingungen, die die Natur seinem Leben gestellt hat und denen er sich anpassen muss, nur die Wahl zwischen Kulturlosigkeit und erbarmungslosem Vernichtungskampf aller gegen alle auf der einen Seite und Vergesellschaftung auf der andern Seite. Die Beseitigung der Geburtenregelung würde im endlichen Erfolg die Menschenzahl nicht vergrößern, sondern verkleinern, und jedem Einzelnen das Leben so kärglich gestalten, wie es für die Vorfahren der Menschen vor Jahrtausenden war.

III. Die Harmonie der «richtig verstandenen» Interessen.

Weil die Unterhaltsmittel knapp sind und nicht alle voll befriedigen können, muss der Urmensch in jedem Mitmenschen den Feind sehen. Mann kämpft gegen Mann, Horde gegen Horde. Solange der Kampf tobt, unterscheidet man Feind und Freund. Doch hat man einmal den Feind niedergerungen und vernichtet und kommt es zur Teilung der Beute, dann geht der Streit zwischen denen, die bisher im Kampfe verbündet waren, [615] von Neuem an. Denn wieder steht man vor demselben Problem: der Beuteanteil jedes Einzelnen kürzt die Anteile der Übrigen. Der Bund zerfällt, und neuer Ausrottungskampf hebt an. Weil jede Beendigung eines Streites unter den Siegern neue Konflikte entstehen lässt, nehmen die Kämpfe kein Ende.

Nur die gesellschaftliche Arbeitsteilung vermag dauernden Frieden zu stiften. Sie überwindet den natürlichen Widerstreit der Interessen. Denn nun ist nicht mehr ein nicht vermehrbarer Vorrat an Gütern erster und höherer Güterordnungen zu verteilen. Aus dem von der Natur den Menschen gespendeten Reichtum vermag die höhere Ergiebigkeit der arbeitsteilig verrichteten Arbeit mehr herauszuholen als die isolierte Arbeit. Die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Kooperation bringt jedem Gewinn. Der Nebenmensch erscheint nicht mehr als Hindernis auf dem Wege zur Erhaltung des eigenen Lebens, sondern als Verbündeter und Genosse im gemeinsamen Streben zur Verbesserung der Daseinsbedingungen.

Der Widerstreit der Interessen, der zwischen den Marktparteien besteht, wird durch das gemeinsame Interesse an der Aufrechthaltung und Fortbildung der gesellschaftlichen Kooperation in Einklang der Interessen verwandelt. Gerade weil die Menschen gleiche Ziele anstreben, gerade weil sie ihre Nachfrage auf dieselben Waren richten, wird Produktion in arbeitsteiligen Verfahren möglich; der Wettbewerb der anderen macht so jedem Einzelnen die Erreichung seiner Ziele nicht schwieriger, sondern leichter. Weil viele, weil alle Brot, Kleider, Schuhe, Kraftwagen begehren, können diese Gegenstände im Grossbetrieb so billig erzeugt werden, dass sie den Einzelnen erreichbar werden. Dass mein Nachbar gleich mir Schuhe erwerben will, hindert nicht, sondern erleichtert meine Bemühungen Schuhe zu erlangen. Was die Erwerbung von Schuhen verteuert, ist das, dass die Natur den Rohstoff nicht reichlicher zur Verfügung gestellt hat und dass Arbeitsleid aufgewendet werden muss, um den Rohstoff in Schuhe zu verwandeln. Der Wettbewerb derer, die gleich mir Schuhe erwerben wollen, führt zur Verbilligung, nicht zur Verteuerung.

Das ist der Sinn der Lehre von der Harmonie der richtig verstandenen Interessen. [267] Wenn die alten Nationalökonomen diesen Ausdruck gebrauchten, wollten sie zwei Feststellungen machen: dass jedermann an der Aufrechthaltung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die die Ergiebigkeit der Arbeit vervielfacht, interessiert ist, und dass in der unbehinderten Marktwirtschaft [616] die Begehrungen der Verbraucher der Produktion die Richtung weisen. Dass es auch in der bürgerlichen Gesellschaft nicht gelingen kann, alles menschliche Unbefriedigtsein abzustellen, sei nicht etwa der Unzulänglichkeit der gesellschaftlichen Einrichtungen zuzuschreiben. Die Auffassung, dass die Natur den Menschen unerschöpflichen Reichtum spende und dass nur die Verkehrtheit der gesellschaftlichen Organisation künstlich Knappheit, Not und Elend schaffe, sei grundfalsch. Der Urzustand, den noch manche Schriftsteller des 18. Jahrhunderts als irdisches Paradies gemalt haben, sei in Wahrheit ein Leben in kümmerlichsten Verhältnissen gewesen. Elend und Not wären das natürliche Los der Menschen; den Reichtum hätte erst die gesellschaftliche Kooperation geschaffen. Wer in der Gesellschaft weniger habe als andere, dürfe nicht etwa behaupten, dass er darbe, weil andere von dem, was die Natur ihm als sein Teil zugewiesen hätte, zu viel an sich gezogen hätten. Er müsse begreifen, dass auch er in der Gesellschaft weit besser lebe, als er im Naturzustand leben könnte. [268]

Die Gesellschaftskritik des 19. Jahrhunderts hielt der Marktwirtschaft nicht mehr den paradiesischen Naturzustand entgegen, sondern das Zukunftsparadies einer sozialistischen Gemeinwirtschaft. Die sozialistische Produktionsweise werde, meinen die Sozialisten aller Spielarten, die Produktivität der Arbeit unermesslich steigern und die Möglichkeit bieten, jeden Einzelnen weit besser zu versorgen als in der Marktwirtschaft. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung hemme die Entfaltung der Produktivkräfte; Sondereigentum an den Produktionsmitteln und kapitalistische Warenproduktion müssten beseitigt werden, damit die Armut verschwinde.

Die sozialistische Kritik der Marktwirtschaft war auf zwei Grundirrtümern aufgebaut. Sie verkannte den spekulativen Charakter aller Vorsorge für die Zukunft. Sie glaubte naiv, dass darüber, was im Interesse der bestmöglichen Versorgung der Verbraucher zu veranlassen wäre, kein Zweifel bestehen könnte. Der Leiter eines sozialistischen Gemeinwesens werde daher nicht zu spekulieren haben. Er werde «einfach» das vorzukehren haben, was das Interesse der seiner Obhut anvertrauten Menschen erfordere. Dass er für künftigen Bedarf, der vom heutigen Bedarf verschieden sein kann, vorzusorgen und knappe Produktionsmittel so zu verwenden hat, dass sie das höchste Maß an Befriedigung zu gewähren vermögen, haben die Sozialisten nicht beachtet. Sie haben daher auch nicht begriffen, [617] dass es auch in der sozialistischen Gemeinwirtschaft darauf ankomme, die zweckmäßigste Wahl für die Verwendung der Produktionsmittel zu treffen, und dass dieses wirtschaftliche Problem mit dem technologischen Problem der Entscheidung zwischen verschiedenen möglichen Produktionsverfahren nicht verwechselt werden dürfe. Sie haben nicht in Rechnung gestellt, dass auch der Leiter des sozialistischen Gemeinwesens irren könnte. Der kapitalistische Unternehmer irre mitunter, weil er weder wisse, was die Verbraucher begehren, noch, was die übrigen Unternehmer tun. Die sozialistische Produktion werde diese anarchischen Zustände beseitigen; sie werde planmäßig das erzeugen, was die Verbraucher verlangen.

Der andere Grundirrtum der sozialistischen Kritiker der Marktwirtschaft entsprang ihrer Lohntheorie. Sie haben nicht gesehen, dass der Lohn der Preis des Produktionsmittels Arbeit ist und dass der Unternehmer auf dem Markte die Arbeitsleistung kauft. Sie haben daher gemeint, dass der Arbeiter kein Interesse an der Arbeitsleistung habe. Wenn er sich bemühe, gut und fleißig zu arbeiten, so treibe ihn das Pflichtgefühl, keineswegs aber sein eigenes Interesse; der Mehrertrag, den er durch Anspannung seiner Kräfte schafft, komme nicht ihm zugute„ sondern dem Unternehmer. Im sozialistischen Gemeinwesen werde jeder einzelne Arbeiter vom Bewusstsein erfüllt sein, dass er sich nicht für Ausbeuter plage, und dass seine Mehrleistung die Sozialdividende und dann mittelbar auch sein Einkommen vergrößert. Dieses Bewusstsein werde das Pflichtgefühl der Arbeiter stärken und so die Ergiebigkeit der Arbeit erhöhen; jedenfalls wären die Besorgnisse, das Abgehen vom kapitalistischen System könnte die Ergiebigkeit der Arbeit herabsetzen, ganz und gar unbegründet. Im Lichte der Lohntheorien der modernen Katallaktik erscheint dieser Gedankengang durchaus verkehrt. Der Lohnarbeiter wird in der Marktwirtschaft für die Leistung, die er vollbringt, bezahlt; wer mehr und besser arbeitet, verdient auch mehr, und wer mehr verdienen will, muss trachten, mehr und besser zu arbeiten. Nicht Pflichtgefühl, sondern Eigennutz spornt den Lohnarbeiter. Im sozialistischen Gemeinwesen wird der einzelne Arbeiter wohl wissen, dass seine Mehrleistung die Sozialdividende steigert. Doch von dem Mehrertrag, den sein Eifer schafft, wird ihm nur ein verschwindend kleiner Teil zufließen, wogegen die Opfer, durch die dieser Mehrertrag erkauft wird, ganz ihm und nur ihm allein zur Last fallen. Das gerade unterscheidet die Marktwirtschaft von der Gemeinwirtschaft, dass sie dem Einzelnen keinen Zwang und keine Pflichten auferlegt. In diesem Sinn ist der Arbeiter in der Marktwirtschaft frei und der Arbeiter [618] eines sozialistischen Gemeinwesens Zwangsarbeiter. [269] In diesem Sinne beruht die Marktwirtschaft auf dem eigennützigen Handeln der Einzelnen.

Kein Urteilsfähiger kann, wenn er diese Tatbestände ins Auge fasst, verkennen, dass die Marktwirtschaft die menschliche Arbeit ergiebiger gestaltet als jedes andere denkbare System menschlicher Kooperation. Doch mit dieser Feststellung ist die Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus keineswegs schon im praxeologischen, d.h. im wissenschaftlichen Sinne entschieden.

Die Befürworter des Sozialismus sagen: Es mag richtig sein, dass P , das Sozialprodukt, das in der Marktwirtschaft erzielt wird, größer ist als p , das Sozialprodukt, das eine sozialistische Gemeinwirtschaft erzielen würde. Doch wenn die Gemeinwirtschaft jedem Einzelnen gleichen Anteil an p , nämlich p/z = d zuweist, dann sind alle, die in der Marktwirtschaft ein Einkommen beziehen, das kleiner ist als d, daran interessiert, dass der Kapitalismus durch Sozialismus ersetzt werde. Es kann sein, dass diese Gruppe die Mehrzahl der Menschen umfasst. Jedenfalls sei aber die Unhaltbarkeit der Lehre von der Harmonie der richtig verstandenen Interessen erwiesen. Die Liberalen lassen diesen Gedankengang nicht gelten. Sie sind der Meinung, dass p hinter P soweit zurückbleiben wird, dass d kleiner sein wird als das Einkommen, das in der Marktwirtschaft den Empfängern der niedrigsten Löhne zufließt. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Liberalen mit diesem Einwand durchaus Recht haben. Doch ihr Urteil ist nicht allein auf praxeologischen Erwägungen aufgebaut; das Hauptgewicht liegt auf der quantitativen Einschätzung des Unterschiedes zwischen P und p . Quantitative Erkenntnis ist nicht praxeologischer Natur.

Die Befürworter des Sozialismus könnten aber noch weiter gehen und sagen: «Es mag zutreffen, dass jeder Einzelne im sozialistischen System schlechter mit materiellen Gütern versorgt sein wird als selbst die Ärmsten in der Marktwirtschaft. Doch wir verwerfen die Marktwirtschaft, obwohl sie alle [619] Menschen an materiellen Gütern reicher macht, weil wir sie als unsittlich ansehen. Wir ziehen den Sozialismus aus «außerwirtschaftlichen» Gründen vor und nehmen es in Kauf, dass er die Versorgung verschlechtert.» Wäre das wirklich die Auffassung der Mehrzahl der Menschen, dann würde jener Einwand der Liberalen das Argument der Befürworter des Sozialismus überhaupt nicht widerlegen können.

Könnte man dem Problem nur auf diesem Wege beikommen, dann müsste man zur Erkenntnis gelangen, dass die Wissenschaft darüber nichts zu sagen habe. Doch der Sachverhalt stellt sich ganz anders dar. Die Menschen haben nicht die Wahl zwischen zwei verschiedenen Systemen arbeitsteiliger Produktion und gesellschaftlicher Kooperation. Arbeitsteilige Produktion auf sozialistischer Grundlage ist undurchführbar, weil eine sozialistische Wirtschaft nicht rechnen könnte. Darüber wird noch (im V. Teil dieses Buches) ausführlich zu sprechen sein.

Die Lehre von der Harmonie der richtig verstandenen Interessen kann daher durch die sozialistische Kritik ebensowenig erschüttert werden wie durch die Kritik der Lobredner des primitiven Naturzustandes.

Von anderer Art sind die Bedenken, die man gegen die Lehre von der Interessenharmonie im Hinblick auf die Monopolpreise erhoben hat. Die Monopolpreise lassen zwischen den Monopolisten und den Verbrauchern einen Gegensatz der Interessen hervortreten. Der Monopolist, der Monopolpreise erzielt, verwendet das Monopolgut nicht den Wünschen der Verbraucher gemäss. Es gibt Fälle, von denen man behaupten kann, dass der Tatbestand, dass Monopolpreise gebildet werden können, auch den Interessen der Verbraucher dient. Wenn man meint, dass das Urheberrecht an Werken der Kunst und der Literatur das künstlerische und literarische Schaffen und dass der Patentschutz für Erfindungen den technischen Fortschritt fördern, dann mag man zur Auffassung gelangen, dass die Freunde der Erzeugnisse der Kunst und Literatur und die Verbraucher der patentgeschützten Artikel durch die Monopolpreise weniger geschädigt als gefördert werden. Man mag behaupten, dass nur der Umstand, dass man für solche Erzeugnisse Monopolpreise erzielen kann, die Hervorbringung dieser Werke oder doch zumindest ihre Veröffentlichung bewirkt habe. Der Verbraucher zahle Monopolpreise für einen Genuss, der ihm überhaupt nicht erlangbar gewesen wäre, wenn es nicht Monopolrechte geben würde. Ob diese Auffassung berechtigt ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Denn das, um was es sich hier handelt, hat mit der Frage, ob in einzelnen Fällen das Problem der external economies nicht durch die institutionelle Schaffung der [620] Voraussetzungen für die Bildung derartiger Monopolpreise zweckmäßig gelöst werden könnte, nichts zu tun.

Dass es unter besonderen Umständen auch auf dem unbehinderten Markte zur Bildung von Monopolpreisen für einige wenige Güter kommen kann, würde dem Monopolpreisproblem noch nicht die Bedeutung geben, die ihm in den modernen Erörterungen sozialer Fragen zugewiesen wird. Würde es nur diese wenigen Monopolpreisfälle geben, dann hätte man einfach festzustellen, dass es besondere Bedingungen gibt, unter denen der Eigentümer von Produktionsmitteln seine den Interessen der Verbraucher entgegenstehenden Sonderinteressen durchzusetzen vermag. Man hätte zu erkennen, dass es Grenzen der Demokratie des Marktes gibt.

In der Welt, in der wir leben, sind die Bedingungen, die auf dem unbehinderten Markte zur Bildung von Monopolpreisen führen könnten, nur für wenige Güter gegeben. Nahezu alle Monopolpreise, die auf den Märkten gefordert und bewilligt werden, verdanken ihr Entstehen den Eingriffen der Regierungen. Doch in den wirtschaftspolitischen Erörterungen wird dieser Tatbestand in das Gegenteil verkehrt. Man behauptet, es bestünde in der unbehinderten Marktwirtschaft eine Tendenz zur fortschreitenden Bildung von Monopolen und Monopolpreisen, und man stützt die Forderung staatlicher Intervention in das Getriebe des Marktes und die Forderung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch den Hinweis auf diese Tendenz. Nichts ist für unsere Zeit kennzeichnender als dieses Verhalten der politischen Parteien. Doch für die nationalökonomische Betrachtung liegt hier überhaupt kein Problem vor. Sie hat einfach festzustellen, dass man durch behördliche Eingriffe in das Marktgetriebe die Bedingungen für die Entstehung von Monopolen und die Bildung von Monopolpreisen schaffen kann und heute tatsächlich in großem Umfange schafft. [270]

Die Fassung, in der die älteren Nationalökonomen die Lehre von der Harmonie der richtig verstandenen Interessen vorgetragen haben, war nicht glücklich gewählt, und die Auslegung, die diese Lehre durch manche Nachfahren der Klassiker gefunden hat, war ungeschickt. Es wäre zweckmäßiger gewesen, schlicht zu erklären:

Die Erhaltung und weitere Ausgestaltung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung liegt im Interesse aller. Wohl könnten viele Menschen durch gesellschaftsfeindliches Verhalten [621] vorübergehend ihre Lage verbessern; doch schließlich würde die Zerstörung der gesellschaftlichen Kooperation auch sie so schwer schädigen, dass jene Vorteile ihnen nicht als Entschädigung für das, was sie verlieren, erscheinen könnten. Für das Zusammenwirken von Menschen in Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung gibt es nur eine wirkungsfähige Ordnung: die der Marktwirtschaft. Alle Gegensätze der Interessen, die innerhalb der Marktwirtschaft zwischen Menschen zunächst (in the short run) auftreten, werden schließlich und endlich (in the long run) überwunden durch das größere gleichlaufende Interesse an der Aufrechthaltung dieser einzig wirkungsfähigen Ordnung arbeitsteiliger Produktion. Dieses größere Interesse wird durch den Umstand, dass für einzelne Güter auch in der unbehinderten Marktwirtschaft Monopolpreise erzielt werden können, nicht berührt.

IV. Das Sondereigentum

Die sachlichen ursprünglichen Produktionsmittel sind Naturgabe in dem Sinne, dass sie ohne menschliches Dazutun oder Handeln vorhanden sind. Man mag daher die Redeweise, sie wären ein Geschenk Gottes oder der Natur an die Menschheit oder an alle Menschen, hinnehmen. Doch die Wissenschaft hat nüchtern festzustellen: sie sind die Bedingungen, die dem menschlichen Handeln gesetzt sind.

Die Knappheit der Güter nötigt die Menschen dazu, diese Güter zu bewirtschaften, und lässt zugleich zwischen ihnen unüberbrückbare Interessenkonflikte entstehen. Die Gewalt entscheidet darüber, wer zu dem Tische, den die Natur gedeckt hat, zugelassen wird und wie groß sein Teil wird; wer sich im Kampfe nicht zu behaupten weiß, wird in den Hungertod getrieben. Für viele Geschichts- und Gesellschaftskritiker liegt in dieser gewaltsamen Aneignung von Teilen ans einem Vorrat, den doch Gott oder die Natur allen gespendet habe, der wahre Sündenfall. Nach ihrer Auffassung hätten wohl die Urmenschen sogleich die sozialistische Gemeinwirtschaft einrichten sollen. Dass sie es unterlassen haben, habe das Übel in die Welt gebracht, und dass die späteren Geschlechter am fluchwürdigen System des Sondereigentums festgehalten haben, habe Übel und Unglück vervielfacht. Die Erbsünde wird erst getilgt sein, wenn die Menschheit durch die endliche Aufrichtung der sozialistischen Produktionsweise das Naturrecht wiederhergestellt haben wird. Das Sondereigentum ist das Böse; das Gemeineigentum bringt die Erlösung und das ewige Heil auf Erden.

[622]

Es ist müßig, sich mit der Frage zu befassen, wie die Geschichte hätte ablaufen können und sollen, wenn schon die Urmenschen so klug und weise gewesen wären wie die Utopisten von heute.

Das Sondereigentum an allen Sachgütern ist nicht natürlichen oder göttlichen Ursprungs, es ist auch nicht heilig; es ist einfach menschlich und ist in urgeschichtlichen und geschichtlichen Zeiten durch Aneignung herrenlosen Gutes entstanden. Immer wieder sind Eigentümer durch Gewalt enteignet worden. Alles Eigentum an Sachgütern geht demnach in letzter Linie auf Akte zurück, die mit Recht und Vertrag nichts gemein haben. Jeder Eigentümer von Sachgütern ist der Rechtsnachfolger von Eigentümern, die das Eigentum durch Aneignung oder durch Gewalt erworben haben. Man mag es bedauern, dass nicht einmal in grauer Urzeit alle menschlichen Bewohner der Erde zu einer allgemeinen Verteilung aller Sachgüter zusammengetreten sind; doch solches Bedauern kann den Gang der Geschichte nicht mehr ändern.

Der Gedanke des Friedens und der rechtlichen Anerkennung des vom Mitmenschen erworbenen Besitzstandes hat eine lange, langsame, durch Rückfälle immer wieder unterbrochene Entwicklung hinter sich. Auch Befriedung und Rechtsordnung sind nicht durch konstituierende Menschheitsparlamente in die Welt gesetzt worden. Dennoch hat die Lehre vom Gesellschaftsvertrag nicht so unrecht, wie der Historismus glauben machen wollte. Die menschliche Gesellschaft ist nicht durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags von Menschen, die bis dahin gesellschaftslos gelebt haben, errichtet worden. Doch jede Anerkennung eines de facto bestehenden Zustandes, jedes sich Abfinden mit den augenblicklich bestehenden Eigentumsverhältnissen, jeder — wenn auch nur faktische — Verzicht auf Störung fremden Besitzes durch Gewaltgebrauch stellt eben ein Sichvertragen und in diesem Sinne einen Vertrag dar. Durch solches Sichvertragen ist neben die Gewalt ein zweites Verfahren für zwischenmenschliche Beziehungen, der Vertrag, gestellt worden. Die Auseinandersetzung über die Größe des Anteils, der dem Einzelnen aus dem knappen Vorrat zukommt, den die Natur den Menschen gestiftet hat, konnte nun auch ohne Blutvergießen erfolgen. Recht und Frieden hielten ihren Einzug in die Welt.

Nie hätte die friedliche Zusammenarbeit der Menschen anders beginnen können als durch die Hinnahme der bestehenden Eigentumsverhältnisse. Hätte man es sich zur Aufgabe machen wollen, zuerst eine rechtmäßige Verteilung des Eigentums durch gewaltsame Enteignung der gerade im Besitz [623] befindlichen Eigentümer vorzunehmen, dann hätte man die Kämpfe und die Herrschaft des Gewaltprinzips verewigt und die Befriedung unmöglich gemacht. Der gesellschaftliche Frieden kann nicht anders beginnen als durch ein Sichvertragen und Anerkennen der bestehenden Verhältnisse als rechtmäßig und durch die Annahme des Grundsatzes, dass künftige Veränderungen nur friedlich durch Verträge erfolgen dürfen. Auch die politische Befriedung kann nicht anders eingeleitet werden als durch Anerkennung des bestehenden Staatensystems und der Grenzen jedes einzelnen Staates und durch die Annahme von Grundsätzen, nach denen künftige Grenzberichtigungen friedlich zu erfolgen haben. Wollte man versuchen, zunächst die «richtigen» Grenzen zu setzen, so käme man nicht zum ewigen Frieden, sondern zum ewigen Krieg.

In der geschlossenen Hauswirtschaft dient das Eigentum an den Produktionsmitteln nur dem Eigentümer. Nur der Eigentümer verzehrt die Früchte des Produktionsprozesses, für den sie verwendet wurden. Für alle übrigen Gesellschaftsmitglieder ist es so, als ob diese Produktionsmittel nicht auf der Welt wären. In der Marktwirtschaft ist das Eigentum an den Produktionsmitteln ein Werkzeug der gesellschaftlichen Produktion, die vom Markt, d.h. von der Gesamtheit der Bürger, abhängt und deren Früchte durch den Markt wieder allen Bürgern zuströmen. Eigentümer kann nur der werden und bleiben, der das Eigentum täglich durch Bewährung auf dem Markte neu erwirbt. Der Umstand, dass jeder Eigentümer von sachlichen Produktionsmitteln der Rechtsnachfolger von Eigentümern ist, die das Eigentum durch Aneignung oder durch Beraubung eines Eigentümers erworben haben, verliert damit alle Bedeutung. Er wird zu einer rechtsgeschichtlichen Feststellung, die mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit nichts zu tun hat. In der Marktwirtschaft ist das Sondereigentum von jenem fernen Ursprung des Ureigentums losgelöst. Der Markt enteignet täglich den Eigentümer, der das Eigentum nicht in der — vom Standpunkt aller Marktparteien zweckmäßigsten Weise für die Produktion zu nutzen weiß. In der Marktgesellschaft wird man Eigentümer, weil man erfolgreich für die Bedürfnisse der Mitmenschen zu sorgen weiß, und mit der Erwerbung von Eigentum übernimmt man die Verpflichtung, auch ferner besser für die Versorgung des Marktes zu wirken als andere. Jeder Eigentümer ist ein Beauftragter der Gesellschaft und muss gewärtig sein, dass er das Eigentum wieder verliert, wenn er es nicht dem Auftrage gemäss verwaltet. Nicht nur der Erwerb, auch die Erhaltung des Eigentums wird durch das Handeln aller Marktparteien bestimmt. Die Eigentümer gehen aus einem [624] täglich erneuten Wahlverfahren hervor, und das Mandat, das ihnen durch die Verleihung der Verfügungsmacht über Produktionsmittel erteilt wird, ist ein imperatives Mandat, das ihnen wieder entzogen wird, wenn sie dem erteilten Auftrag nicht entsprechen.

Das Sondereigentum ist in der Marktgesellschaft kein Privileg, sondern eine gesellschaftliche Funktion.

V. Die Konflikte der modernen Welt.

Die landläufige Meinung will die Wurzel der Konflikte, die die Menschen heute in Bürgerkriege und Staatenkriege treiben, in «wirtschaftlichen» Interessengegensätzen erblicken, die in der Marktgesellschaft unentrinnbar sind. Im Bürgerkrieg erheben sich die «ausgebeuteten Klassen» gegen die Klassen der Ausbeuter. Im Staatenkrieg kämpfen die Völker, die bei der Teilung der Erde und ihrer Schätze zu kurz gekommen sind, gegen die, die mehr an sich gerissen haben, als ihnen zukommt. Wer heute für Liberalismus, Demokratie und Frieden einzutreten wagt, wird als Verteidiger einer die gerechten Ansprüche der Mehrheit der Menschen schädigenden Weltordnung gebrandmarkt. Denn es sei doch offenkundig und könne von Gutgläubigen gar nicht bestritten werden, dass die Welt voll sei von schweren Interessenkonflikten, die nur durch die Waffen ausgetragen werden könnten. Wenn man von Harmonie der Interessen spreche und Frieden empfehle, müsse man entweder ein Narr oder ein bewusster Anwalt jener eigensüchtigen Sonderinteressen sein, die fürchten, durch den Sieg der gerechten Sache zu verlieren.

Es ist freilich wahr, dass in der Welt, in der wir leben, Interessenkonflikte bestehen, die zu Kriegen treiben. Doch diese Konflikte entspringen keineswegs dem Getriebe der Marktwirtschaft. Man kann diese Konflikte als wirtschaftliche bezeichnen, weil sie dem Umkreis des Lebens angehören, den man wirtschaftlich zu nennen pflegt, doch man darf aus dieser Bezeichnung nicht etwa den Schluss ziehen, dass sie Interessengegensätzen entstammen, die die unbehinderte Marktwirtschaft hervorkommen lässt. Ihre Quelle ist nicht die Marktwirtschaft, sondern gerade Privilegien und Eingriffe, durch die die staatlichen Gewaltapparate den Gang der Marktwirtschaft hemmen. Das bedeutendste Privileg dieser Art ist das durch die Wanderungsbeschränkungen für die Arbeiter der relativ untervölkerten Länder geschaffene Vorrecht, das den Bevorrechteten die Erreichung höherer Löhne ermöglicht und die Benachteiligten zwingt, sich mit niedrigeren Löhnen zufrieden zu geben. Die [625] höhere Lebenshaltung der Arbeiter in den Ländern, die günstigere natürliche Produktionsbedingungen aufweisen, wird durch Herabdrückung der Lebenshaltung der Arbeiter in den Ländern ungünstigerer Produktionsbedingungen erkauft. Überdies wird die Gesamtproduktivität der menschlichen Arbeit herabgesetzt; ein Teil der Produktion wird an Standorten festgelegt, die hei Freizügigkeit der Arbeiter nicht verwendet werden würden, weil noch an günstigeren Standorten Raum für die Ausweitung der Produktion vorhanden ist.

Man denke sich die Welt als ein einziges Marktwirtschaftsgefüge, in dem das Marktgetriebe durch keinerlei Maßnahmen behindert wird, die es dem Einzelnen verwehren, sich als Unternehmer, Eigentümer oder Arbeiter so zu betätigen, wie er es für zweckmäßig erachtet, und man frage, welche von den sogenannten wirtschaftlichen Konfliktursachen in einer so beschaffenen Weltordnung übrigbleiben würde. Man stelle sich doch vor, was es bedeuten würde, wenn alle Menschen und alle Güter volle Freizügigkeit genießen würden, wenn überall auf Erden das Sondereigentum an den Produktionsmitteln streng durchgeführt wäre, wenn kein Staat und kein Gericht einen Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden machen würden, wenn es daher für jedermann gleichgültig wäre, wo die Grenzen zwischen den einzelnen Staatsgebieten laufen.

Alle jene Konflikte zwischen den Staaten und Völkern, die man als wirtschaftliche zu bezeichnen pflegt, entspringen nicht Interessengegensätzen, die im Innern eines Marktwirtschaftsgefüges unversöhnbar auftreten, sondern den Bestrebungen, das marktwirtschaftliche System menschlicher Kooperation durch eine andere Ordnung zu ersetzen. Nicht weil es auf dem Markte zu unüberbrückbaren Gegensätzen der Interessen kommen muss, sondern weil man aus politischen Gründen die Marktwirtschaft hemmen und beseitigen will, gibt es Konflikte. Das Schlagwort vom Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft weist auf diesen Sachverhalt hin, wenn es ihn auch nicht in befriedigender Weise ausdrückt. Denn einerseits ist auch der Liberalismus, der die Marktwirtschaft will, Politik, und anderseits mag auch die Ordnung der Dinge, die der Antiliberalismus herstellen will, als Wirtschaft angesehen werden.

Bis zum Durchbruch des Liberalismus lebten die Menschen vorwiegend von dem, was in der Gegend, in der sie wohnten, aus heimischen Rohstoffen erzeugt werden konnte. Die Ausgestaltung der internationalen Arbeitsteilung hat darin radikal Wandel geschaffen. Aus weiter Ferne eingeführte Lebensmittel und Rohstoffe sind zu Gegenständen des Massenverbrauchs geworden. Die Europäer könnten heute nur bei empfindlicher [626] Herabdrückung der Lebenshaltung auf den Bezug von Erzen und Mineralien, von Wolle und Baumwolle, von Kaffee, Tee, Schokolade, Pflanzenfett, Früchten und von vielen anderen Artikeln ihres täglichen Verbrauchs aus den in anderen Weltteilen gelegenen Produktionsstätten verzichten. Die Wirtschaftsverfassung des liberalen Zeitalters hat die institutionellen Bedingungen für die Ausbildung der internationalen Arbeitsteilung geschaffen, indem sie Schritt für Schritt die Hindernisse, die das Getriebe der Marktwirtschaft hemmten, zu beseitigen suchte. Freizügigkeit der Menschen, der Kapitalien und der Waren haben die Welt des Wasserrads und des Segelschiffs in die Welt der Elektrizität, des Flugzeugs und des Rundfunks umgewandelt.

Die Wirtschaftsgestaltung des 19. Jahrhunderts, die die früher isolierten Wirtschaftsgefüge der einzelnen Länder und Weltteile zum Weltwirtschaftsgefüge verschmolzen hat, hätte die Aufhebung der Souveränität der Einzelstaaten erfordert. Man darf nicht etwa behaupten, dass der Liberalismus in diesem Punkte versagt habe, weil er in sein Programm nicht auch die Vernichtung der politischen Unabhängigkeit der Einzelstaaten und ihre Unterordnung unter die Oberherrschaft eines die ganze Erde umspannenden Weltstaats aufgenommen hat. Es war im liberalen Sinne folgerichtig, die politische Einigung und Befriedung der Menschheit nicht durch die Schaffung eines neuen Zwangsapparates anzustreben, sondern durch eine Wandlung des Denkens und der Gesinnung. Nicht von außen sollte den Menschen der Frieden durch Zwang und Waffengewalt aufgedrängt werden; sie sollten friedlich werden durch die Erkenntnis, dass sie ihre menschlichen Ziele nur auf friedlichem Wege erreichen können. Wenn alle Völker, von liberalen Ideen durchdrungen, liberale Politik machen, werden sie in Frieden leben und friedlich kooperieren, auch wenn dem äußeren Anschein nach die Souveränität der Staaten unberührt bleibt und die Empfindlichkeiten und Eitelkeiten der Fürsten und Minister geschont werden. Wie im englischen Staatswesen die Formen des königlichen Absolutismus sich als verträglich mit demokratischer Parlamentsherrschaft erwiesen haben, so würden auch die Formen einzelstaatlicher Souveränität der politischen Einigung der Welt nicht im Wege stehen.

Der Liberalismus erkannte klar, dass die politische Organisation der Welt nur auf Grundlage allgemeiner rückhaltloser Anerkennung der liberalen Ideen möglich ist. Weder der Gedanke, den Weltstaat durch Eroberung und Annexion aller Einzelstaaten zu errichten, noch der eines Völkerbundes, der sich nicht auf liberale Ideologie stützen kann, können als liberal [627] angesehen werden. Wenn aber überall auf Erden das Programm des Liberalismus durchgeführt wird, ist der Weltstaat auch ohne formelle Bindung, ohne Weltbürokratie und ohne Amtspaläste eine Realität.

Der verhängnisvolle Irrtum der Pazifisten liegt gerade darin, dass sie das verkennen. Der Liberalismus hätte den ewigen Frieden und die friedliche Zusammenarbeit der Völker und Staaten gebracht, weil in der unbehinderten Marktwirtschaft keine Konflikte zwischen Völkern und Staaten entstehen können. Wenn man jedoch die Marktwirtschaft hemmt, entstehen Konflikte, die durch den Zuspruch der Pazifisten nicht behoben werden können.

Die Befriedung der Welt, die die liberalen Vorkämpfer des 19. Jahrhunderts in greifbarer Nähe wähnten, ist durch die Abkehr der Menschen vom liberalen Denken und Handeln vereitelt worden. Friedensliebe, die nicht auf liberaler Politik aufgebaut ist, ist blind und ohnmächtig. Dass die Welt nach der Niederlage des Liberalismus noch eine Reihe von Jahren von großen Kriegen verschont blieb, war nur dem alten System des europäischen Gleichgewichts zu danken. Als dieses System zusammenbrach, kam das Chaos.

Der Genfer Völkerbund ist ein Erzeugnis jenes utopischen Pazifismus, der nicht die Konflikte, sondern nur ihre kriegerische Austragung beseitigen will. Er hätte, auch wenn er besser organisiert worden wäre, nie das leisten können, was man von ihm erwartet hat. Nicht die Verfassung des Völkerbundes ist mangelhaft; die Idee, die ihm zugrundeliegt, ist falsch. Nur liberale Staaten könnten einen Völkerbund bilden, der Frieden gibt; wenn aber alle Staaten liberal sind, bedarf es zur Erhaltung des Friedens keines Paktes. [271]

 




 

FÜNFTER TEIL: DIE VERKEHRKEHRSLOSE ARBEITSTEILIGE WIRTSCHAFT

[628]

1. KAPITEL: DAS GEDANKENBILD EINER VERKEHRSLOSEN ARBEITSTEILIGEN WIRTSCHAFT

I. Die Herkunft des planwirtschaftlichen Gedankens

Als Denker des 18. Jahrhunderts die Grundlagen der Praxeologie und Nationalökonomie schufen, fanden sie im Schrifttum der Zeit eine Unterscheidung des einzelwirtschaftlichen und des volkswirtschaftlichen Interesses vor. Der Begriff der Volkswirtschaft war dabei ganz und gar politisch gefaßt. Die Volkswirtschaft, das war der Staat in den Grenzen, die ihm der Ausgang der Kriege und des diplomatischen Ränkespiels und die Wirkung des Erbrechts gezogen hatten, das waren die Fürsten mit ihren Kassen, die noch nicht überall von denen der Verwaltung getrennt waren, das waren oligarchische Adelsgruppen, die das Regiment als Quelle von Gütererwerb ansahen. Die Interessen dieses Staates fand man von zwei Seiten bedroht: von den nur auf die Befriedigung ihres eigenen Wohls bedachten Einzelnen, den Untertanen, und von den anderen Staaten, den Fremden. Der Staat hatte demnach nach zwei Seiten einen Existenzkampf zu führen: nach Innen gegen die selbstsüchtigen Untertanen, nach Außen gegen die fremden Staaten.

Die liberale Philosophie hat diese Auffassung der Dinge überwunden. Sie sieht in der Welt keinen Gegensatz richtig verstandener Interessen. Die richtig verstandenen Interessen der Einzelnen stehen denen des Ganzen ebenso wenig entgegen wie die des einzelnen Staates denen der übrigen Staaten.

Um zu diesem Urteil zu gelangen, setzen die liberalen Denker an Stelle des Staates, den sie auf der Bühne der Geschichte agieren sehen, einen Idealstaat. Sie konstruieren das Bild eines Staates, dem kein anderes Ziel vorschwebt als das Wohl seiner [629] Untertanen. In der Welt des 18. Jahrhunderts sind andersgeartete Staaten am Werke. Da gibt es deutsche Reichsfürsten, die ihre Untertanen wie Vieh in ausländischen Kriegsdienst verkaufen, da ist der König von Preußen, der seinen Staat als Instrument der Eroberung und des Beutemachens betrachtet, da fallen drei Despoten über einen schwächeren Nachbarstaat her und teilen ihn auf, da regieren in Frankreich die königlichen Mätressen, und bald wird dort ein General befehlen, der die Länder Europas zur Ausstattung seiner Geschwister verwenden will und diesem Ziel unbedenklich das Leben seiner Untertanen opfert, die noch vor kurzem seine Mitbürger gewesen waren. Doch der liberale Denker hat einen Idealstaat im Auge, der von diesen Raub- und Mordstaaten sehr verschieden ist. Wesen von übermenschlicher Vollkommenheit stehen an der Spitze seines Traumlandes. Sie haben es auf nichts anderes abgesehen als darauf, den ihrer Obhut anvertrauten Untertanen ein Leben in Frieden und materiellem Wohlstand zu sichern. Von diesen Voraussetzungen ausgehend wird dann die Frage erörtert, ob das Handeln der Wirte in der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Marktwirtschaft nicht etwa zu Ergebnissen führe, die jener weise und gute König des Traumstaates nicht billigen könnte. Der liberale Denker glaubt, diese Frage verneinen zu müssen. Wohl, meint er, strebe der einzelne Unternehmer nur nach Gewinn; doch Gewinn vermag er in der Marktwirtschaft nur dann zu erzielen, wenn er die Wünsche der Verbraucher, seiner Mitbürger, so gut und so reichlich erfüllt, als es die vorhandenen Mittel erlauben. Das Ziel, das er seiner Unternehmungstätigkeit setzt, ist mithin von dem Ziel jenes guten Königs nicht verschieden; denn auch dieser will nichts anderes als die Produktion in die Wege leiten, auf denen sie die Wünsche der Bürger so gut und so reichlich befriedigt, als es möglich ist.

Es ist offenkundig, daß man mit solchen Betrachtungen ein politisches Moment in die wissenschaftliche Erörterung einschmuggelt. Jener gute Vater Staat ist doch nichts anderes als ein Decknamen für den Beurteiler, der es versucht, seine subjektiven Werturteile auf diesem Wege zur Würde eines allgültigen Wertmaßstabes zu erheben. Der Beurteiler denkt sich in die Rolle des weisen und gütigen Herrschers hinein und nennt dann die Zielsetzungen, von denen er annimmt, daß er sie in dieser Stellung wählen würde, volkswirtschaftlich, gemeinnützig oder produktiv, und hält sie dem eigennützigen, auf Rentabilität gerichteten Handeln der einzelnen Wirte der Marktwirtschaft entgegen. Das Bedenkliche dieses Verfahrens liegt vor allem darin, daß man seinen wertenden und politischen [630] Charakter verkennt. Man glaubt ganz unbefangen, in dem vermuteten Verhalten dieses hypothetischen Staatslenkers einen allgemeingültigen Maßstab zur Beurteilung der Ziele des Wirtschaftens gefunden zu haben. Denn dieser Staat wolle doch das Wohl des Ganzen und Aller, das Gemeinnützige und Beste. In ihm regiert nicht der Eigennutz, nicht der schwache Mensch mit allen seinen Fehlern und Lastern, sondern das Sittengesetz selbst.

Das Wesentliche an der Konstruktion des Gedankenbilds dieses Idealstaats ist, daß alle seine Bürger stets im Sinne der Obrigkeit handeln. Der König befiehlt, und alle gehorchen. Dieser Staat ist mithin keine Marktwirtschaft, er ist nicht auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebaut. Wohl besteht in ihm formell Sondereigentum und Austausch von Gütern. Doch Produktion und Verteilung werden nicht vom Markte geregelt, sondern durch die Weisung der Obrigkeit, die jedem seinen Platz, seine Aufgaben und seine Rechte zuteilt, die anordnet, was und wie erzeugt werden soll und zu welchen Preisen die Umsätze erfolgen sollen. Dem Wesen nach haben wir mithin eine sozialistische Gemeinwirtschaft vor uns, mag sich auch der tägliche Geschäftsgang in den äußeren Formen der Marktwirtschaft abspielen.

Dieser hypothetischen Gemeinwirtschaft, die man als die Verwirklichung des sittlich Richtigen ansieht, wird nun die Marktwirtschaft gegenübergehalten. Das Günstigste, das die Liberalen von ihr auszusagen vermögen, ist, daß in ihr auch nicht anders gehandelt wird als in jenem Utopien. Man sieht, wie die naive Gleichsetzung von Sittlichkeit und Sozialismus, die das Denken der letzten Menschenalter erfüllt und irregeleitet hat, auch von den alten Liberalen nicht bestritten wurde. Ja, man darf sogar behaupten, daß sie bei der Entstehung dieses Vorurteils eine wichtige Rolle gespielt haben, als sie den auf die Füllung seiner Kassen und die Mehrung seiner Reiche bedachten Fürsten, den das Staatsleben der Zeit zeigte und den die merkantilistische Lehre als den höchsten Staatszweck ansah, durch den allein auf das Wohl seiner Untertanen bedachten «Staat» ersetzt haben.

Immerhin war der die Wirtschaft wohlwollend leitende Staat für die Nationalökonomen nur ein Idealbild, mit dem sie das Wirken der Marktwirtschaft verglichen. Es war aber nicht zu vermeiden, daß dann die Frage aufgeworfen wurde, warum man dieses Ideal nicht verwirklichen soll.

Die älteren Vorschläge zur Umgestaltung des Eigentums wollten zunächst eine Neuverteilung des Eigentums vornehmen und dann den so erreichten Zustand der Wohlstandsgleichheit [631] durch die ständige Einflußnahme der Obrigkeit erhalten. Dieses Reformprogramm wurde unausführbar, als der Fortschritt des Kapitalismus den Großbetrieb in Industrie, Bergbau und Verkehrswesen hervorgebracht hatte. An die Zerschlagung und Aufteilung der großen Unternehmungen konnte man nicht denken. Man ersetzte das uralte Aufteilungsprogramm durch das des Sozialismus. Die Produktionsmittel sollen wohl enteignet werden, doch auf die Enteignung soll keine Neuverteilung folgen. Der Staat soll die Produktionsmittel in seiner Hand behalten und damit die Leitung der Produktion übernehmen.

Zu diesem Schluß mußte man in folgerichtiger Anwendung der von den liberalen Denkern verwendeten Methode gelangen, wenn man dem Staat nicht nur sittliche, sondern auch intellektuelle Vollkommenheit zuzuschreiben bereit war. Die Liberalen hatten den Staat ihrer Träume als selbstlos und nur auf das Wohl der Bürger bedacht dargestellt und hatten die Entdeckung gemacht, daß das Marktgetriebe das eigennützige Handeln der Bürger zu den Ergebnissen führt, die der nur auf das Wohl des Ganzen und jedes Einzelnen bedachte Staat sich als Ziel seines Handelns setzen würde. In dieser Erkenntnis fanden sie die Rechtfertigung der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Marktwirtschaft. Wenn man nun dem Staate nicht nur den guten Willen sondern auch Allwissenheit zuschrieb, mußte man zu einem andern Ergebnis gelangen. Denn der allwissende Staat könnte das Ziel, bestmögliche Versorgung der Verbraucher, besser erreichen als die irrenden Einzelnen. Er würde alle jene Fehler vermeiden können, die die Unternehmer begehen, wenn sie die künftigen Bedürfnisse der Verbraucher nicht richtig erkannt haben. Die Ausnützung der vorhandenen Produktionsmittel wird dann zweckmäßiger erfolgen, Kapitalfehlleitung wird unterbleiben, und die Versorgung der Verbraucher wird reichlicher werden. Die Anarchie des Marktes erscheint als Verschwendung, wenn man sie der Planwirtschaft des allwissenden Staates gegenüberstellt.

Nun erscheint das sozialistische System als das allein vernünftige und die Marktwirtschaft als die Verkörperung der Unvernunft. Die Rationalisten unter den Sozialisten wollen in der Marktwirtschaft nichts als eine unbegreifliche Verirrung der Menschheit sehen. Die vom Historismus beeinflußten Köpfe sehen in der Marktwirtschaft das Wirtschaftssystem einer zu überwindenden Geschichtsepoche, das die geschichtliche Fort- und Höherentwicklung durch das zweckmäßigere System des Sozialismus ersetzen muß. Für beide Richtungen besteht aber kein Zweifel darüber, daß die Vernunft den Übergang zum Sozialismus fordert.

[632]

Denn die Vernunft des naiven Denkens ist die Verabsolutierung der Wertmaßstäbe des Denkers. Der Einzelne setzt seine Vernunft als die schlechthin allgemeine Vernunft. Kein Sozialist zieht auch nur einen Augenblick lang die Möglichkeit in Betracht, daß der Leiter des von ihm angestrebten sozialistischen Gemeinwesens anders handeln könnte, als er selbst es für richtig hält. Er will den Sozialismus, weil er bestimmt erwartet. daß der Leiter des sozialistischen Gemeinwesens in seinem — des einzelnen Sozialisten — Sinne vernünftig sein wird, d.h. daß er die Ziele so wählen wird, wie er selbst — der einzelne Sozialist — sie wählen würde, und das er sie auf die ihm — dem einzelnen Sozialisten -- zweckmäßigst erscheinende Weise verwirklichen wird. Nur der Sozialismus ist in seinen Augen wahrer und echter Sozialismus, in dem diese Bedingung erfüllt ist. Jeder Sozialist denkt: meine Vernunft soll die Welt allein regieren; alle sollen nach meiner Pfeife tanzen. Es fällt ihm nicht ein, daß der Sozialismus von anderer Leute Vernunft regiert werden und ihn nötigen könnte, nach deren Pfeife zu tanzen.

Man hat den Sozialismus als Religion bezeichnet. Der Staat, von dem die Sozialisten sprechen, die Gesellschaft der Marxisten und das Volk der Nationalisten sind Namen zur Benennung eines neuen Gottes. Diesem Gott werden die Eigenschaften beigelegt, die die Theologie als Attribute Gottes gelehrt hat. Er ist allgütig und allwissend, er ist ewig. Er ist die Vollkommenheit, die Menschen sind die Unzulänglichkeit. Der Staat ist das Absolute, lehrten schon Schelling und Hegel.

Mit dem Mythus dieses neuen Glaubens kann sich die Praxeologie nicht auseinandersetzen. Denn der Glauben ist gegen die Kritik durch die Vernunft gefeit. Kritik ist dem Gläubigen nichts als Ärgernis, als Auflehnung vermessener Menschlein gegen das Absolute. Doch die sozialistische Religion weist einen Punkt auf, an dem das nationalökonomische Denken einzusetzen vermag. Der Sozialismus verspricht den Menschen Heil im Diesseits. Er weist ein Ziel und das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Damit aber betritt er den Boden, auf dem das rationale Denken allein zuständig ist.

II. Das praxeologische Wesen der Gemeinwirtschaft

Das praxeologische Merkmal des sozialistischen Gemeinwesens ist, daß nur ein Wille handelt. Wie diese Willensbildung erfolgt, ob ein Gesalbter Gottes kraft des ihm innewohnenden Charisma oder ein durch Wahl des Volkes bestellter Führer oder Führerrat regiert, ist dabei unwesentlich. Entscheidend [633] ist, daß die Verfügung über alle Produktionsmittel — über die Sachgüter sowohl als auch über die Arbeit — einheitlich erfolgt. Einer leitet, führt, ordnet an, einer allein wählt, entscheidet, handelt. Alle anderen führen nur aus, gehorchen, arbeiten, befolgen Befehle, Anweisungen und allgemeine Instruktionen; doch Wählen, Entscheiden und Handeln ist nicht ihre Sache. Die «Anarchie der Produktion» hat der «Ordnung» und der «Organisation» Platz gemacht.

Die Sozialisten pflegen von diesem einen Willen als von der Gesellschaft, vom Staat, von der Regierung, von der Obrigkeit zu sprechen. Man vergißt bei dieser Ausdrucksweise nur zu leicht, das es sich dabei immer um Menschen handelt, um einen oder um mehrere Menschen, und nicht um abstrakte Begriffe, um geheimnisvolle Kollektivgebilde übermenschlicher Natur oder um Gottheiten. Da ist die Sprache jener Sozialisten schon vorzuziehen, die einfach und klar vom Herrscher oder vom Führer sprechen. Wir wollen, um die politische Färbung, die allen diesen Ausdrücken anhaftet, zu vermeiden, vom Leiter sprechen, wobei zu beachten ist, daß der Leiter auch ein Kollegium, ein geordneter Verband mehrerer Menschen, sein kann.

Nur das Wissen, das dem Leiter zur Hand ist, zählt im Handeln. Wenn er Ziele setzt und Mittel zur Erreichung dieser Ziele wählt, kann er nur sein Wissen gebrauchen. Nur das, was ihm bekannt ist, kann er in den Überlegungen, die seinen Entscheidungen vorangehen, bedenken. Leitet nicht ein Einzelner, sondern ein Kollegium, das aus mehreren Personen besteht, dann zählt nur das Wissen, über das jedes einzelne Mitglied des Kollegiums verfügt.

Menschliches Wissen ist immer Stückwissen, ist nie Allwissenheit. Auch wer alles wüßte, was einzelne Menschen wissen, würde nicht allwissend sein. Jeder Einzelne verfügt aber nur über einen kleinen Teil von dem Wissen, das die enzyklopädische Zusammenfassung des gesamten zeitgenössischen Wissens darstellen würde. Die meisten Entscheidungen über das Handeln werden in der Marktwirtschaft und im «nichtwirtschaftlichen» Handeln der Menschen auf Grund eines Wissens gefaßt, das im Vergleich mit dem den Fachleuten verfügbaren Wissen sehr bescheiden ist. Die Käufer von Maschinen, Kraftwagen oder chemischen Präparaten wissen von den Gegenständen, die sie kaufen, viel weniger als die Konstrukteure, Ingenieure und Chemiker. Die Kranken, die sich entscheiden müssen, ob sie sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen wollen, wissen recht wenig von dem, was nach dem Stande des ärztlichen Wissens bei der Entscheidung zu beachten wäre. Man handelt als Verbraucher immer mehr oder weniger im Vertrauen [634] auf Berater. Das Handeln des Verbrauchers besteht vielfach nur in der Wahl von Vertrauensmännern, denen er das Weitere überläßt. Doch in der Produktion entscheidet der Fachmann, der darauf bedacht ist, alles zu kennen und zu wissen, was für sein Handeln von Bedeutung ist.

Im sozialistischen Gemeinwesen fehlt die geistige Arbeitsteilung. Hier müssen alle Entscheidungen über die Produktion vom Leiter getroffen werden. Wissen und Kenntnisse, die ihm fremd sind, sind für die Entscheidung nicht vorhanden; sie bleiben ungenützt. Es ist wie im Kriege: die strategischen Gaben und das Wissen des Feldherrn allein sind maßgebend, weil er allein über die Art der Verwendung des Heeres entscheidet; die anderen können ihre Fähigkeiten und ihr Wissen nur zum Nörgeln gebrauchen, auf den Gang der Operationen haben sie keinen Einfluß.

In diesem sozialistischen Gemeinwesen kann im Handeln nicht gerechnet werden. Es gibt keinen Weg, um die Mengen von Produktionsmitteln verschiedener Art, mit denen der Leiter zu wirtschaften hat, in einer Weise gedanklich nebeneinanderzustellen, die Wirtschaftsrechnung ermöglichen würde. Man kann nicht rechnen, um herauszufinden, welches von mehreren denkbaren Verfahren das ergiebigste ist. Es gibt hier weder rationales — d.h. rechnendes Vorbedenken des Handelns, noch rationale Feststellung des Erfolges des schon vollzogenen Handelns.

 


 

2. KAPITEL: DIE UNMÖGLICHKEIT SOZIALISTISCHER WIRTSCHAFTSRECHNUNG

I. Die Lösungsversuche

Das nationalökonomische Problem, das der Sozialismus bietet, ist das Problem der Wirtschaftsrechnung.

Rechnen und Berechnen im menschlichen Handeln sind an die Marktwirtschaft und den Geldgebrauch geknüpft. Ohne Sondereigentum an den Produktionsmitteln kann es weder Markt noch in Geld bestehende Marktpreise der wirtschaftlichen Güter aller Güterordnungen und der Dienstleistungen geben. Eine sozialistische Gemeinwirtschaft könnte im Handeln nicht rechnen. Die Rechnungen, die ihre Ingenieure, Konstrukteure und Chemiker anstellen könnten, könnten dem Handeln nicht nutzbar gemacht werden, weil keine Möglichkeit bestünde, zwischen [635] ihnen und den Wertungen der Genüsse und der Genußgüter eine geistige Verbindung herzustellen. Man kann die sozialistische Utopie daher nicht widerspruchslos bis zu Ende denken. Ein sozialistisches Gemeinwesen, die Planwirtschaft, müßte planlos drauflosarbeiten. Der Leiter der sozialistischen Gemeinwirtschaft würde hilf- und ratlos allen Aufgaben des Wirtschaftens gegenüberstehen. Sozialismus ist das Gegenteil von Rationalität, ist Unwirtschaftlichkeit und Chaos.

Das ist das Urteil, das die Nationalökonomie über die Schwärmereien der Sozialisten fällt. Die Sozialisten mögen Ströme von Blut vergießen; es wird ihnen vielleicht gelingen die Marktwirtschaft zu zerstören; das sozialistische Gemeinwesen werden sie niemals aufrichten.

Als man, spät genug, das Problem der Wirtschaftsrechnung erkannte, begannen einige Sozialisten einzusehen, daß die Ausrottung der Bürger und die Schmähung der «bürgerlichen» Nationalökonomie doch nicht genügen, um das sozialistische Eldorado zu schaffen. So entstanden einige Versuche, an Stelle des «wissenschaftlichen» Sozialismus marxistischer und antimarxistischer Prägung, der sich in skurriler Metaphysik und in Verleumdung aller unabhängigen Denker erschöpfte, eine Theorie sozialistischer Wirtschaftsrechnung zusetzen. Die Versuche mußten kläglich mißlingen. Es stünde nicht dafür, sich mit ihnen zu befassen, würde ihre Darstellung und Kritik nicht die Gelegenheit bieten, das große Problem in neuem Licht zu betrachten und die Unmöglichkeit sozialistischer Wirtschaftsrechnung noch einmal aufzuzeigen.

Die Versuche, ein für das sozialistische Gemeinwesen brauchbares Verfahren zur Wirtschaftsrechnung zu finden, bewegen sich in verschiedenen Gedankengängen:

1. Von der Arbeitswertlehre ausgehend, will man die Rechnung in Arbeitsstunden durchgeführt wissen. Die Methode ist unbrauchbar, weil sie die Einbeziehung der sachlichen Produktionsmittel in die Rechnung nicht zuläßt, und weil sie die Verschiedenheit in der Beschaffenheit und in den Leistungen der einzelnen Arbeitsstunden nicht berücksichtigen kann.

2. Man will eine Nutzengröße zur Rechnungseinheit machen. Der Gedanke ist verfehlt, weil das Handeln den Nutzen nicht mißt, d.h. gleichstellt, sondern reiht. Die Gleichstellung zweier verschiedener Güter ist das Ergebnis des Tausches auf dem Markt. Man verstößt gegen den ersten Grundsatz der modernen Wertlehre, wenn man nicht beachten will, daß der Wert einer Einheit gleichartiger Güter aus einem Vorrat von n-1 Einheiten größer ist als der Wert einer Einheit aus einem Vorrat von n Einheiten.

[636]

3. Man will die Rechnungsmöglichkeit durch die Konstruktion eines Scheinmarktes schaffen. Davon handelt der III. Abschnitt.

4. Man will die Rechnung durch Verwendung der Gleichungen der mathematischen Katallaktik durchführen. Davon handelt der IV. Abschnitt.

II. Die Aufgabe

Wir wollen annehmen, daß der Leiter des sozialistischen Gemeinwesens ein Ziel ins Auge gefaßt hat. Er will z. B. ein Haus bauen. Nun gibt es aber verschiedene Möglichkeiten für die Lösung der Aufgabe. Jede dieser Möglichkeiten bietet (vom Standpunkt der Wertungen des Leiters gesehen) andere Vorteile, erfordert andere Aufwendungen an Arbeit und sachlichen Produktionsmitteln und beansprucht andere Produktionszeit. Für welche Lösung soll sich der Leiter entscheiden? Er kann die verschiedenen Aufwendungen von Arbeit und Material verschiedener Art nicht auf einen gemeinsamen Ausdruck bringen und kann sie daher nicht vergleichen. Und er kann weder die Wartezeit (Produktionszeit) noch die Nutzdauer in seinen Erwägungen eine ziffernmäßig bestimmte Rolle spielen lassen. Er kann mithin Aufwand und Erfolg, Kosten und Ertrag nicht vergleichen. Er weiß nicht, ob seine Entscheidungen, vom Standpunkte seiner Wertungen aus gesehen, zweckmäßig sind oder nicht.

Man wäre etwa diesem Leiter um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit dem Vorschlag gekommen, die Schafzucht in Europa wesentlich einzuschränken und in Australien eine neue Stätte für sie zu finden, oder man hätte ihm den Vorschlag gemacht, die Zugkraft der Pferde durch das Dampfroß zu ersetzen. Wie hätte er herausfinden sollen, ob solche und andere Neuerungen wirtschaftlich sind?

Ja, meint der Sozialist, auch die kapitalistische Geldrechnung ist nicht unfehlbar; es könne geschehen, daß der Kapitalist sich verrechne. Gewiß, das tritt immer wieder ein und wird immer wieder eintreten. Denn alles Handeln ist auf die Zukunft gerichtet, und die Zukunft liegt Immer im Dunkel. Alle Pläne werden zuschanden, wenn die Erwartungen in Bezug auf die Gestaltung der künftigen Verhältnisse enttäuscht werden. Doch das hat mit dem Problem der Wirtschaftsrechnung nichts zu tun. Heute rechnen wir vom Standpunkte unseres heutigen Wissens und vom Standpunkte unserer heutigen Erwartungen über die Gestaltung der Zukunft. Nicht daß der Leiter sich [637] verrechnen kann, weil er die Zukunft unrichtig beurteilen mag, ist das Problem, sondern das, daß er auch vom Standpunkte seiner heutigen Wertungen und der Erwartungen, die er heute über die Zukunft hegt, nicht rechnen könnte. Wenn er heute daran schreiten will, Heilstätten für Schwindsüchtige zu bauen, mag sich einmal herausstellen, daß er Kapital und Arbeit am unrechten Platz investiert hat, wenn ein einfacheres und wirksameres Mittel zur Bekämpfung der Seuche gefunden wird. Doch wie kann er heute wissen, wie er die Anstalten am wirtschaftlichsten erbauen soll?

Manche Eisenbahnlinie wäre um 1900 herum nicht gebaut worden, wenn man damals die Entwicklung des Kraftwagenverkehrs und des Flugwesens hätte voraussehen können. Doch wer Eisenbahnen baute, wußte, welche von den denkbaren und möglichen Ausführungen er (wohlgemerkt: vom Standpunkte seiner damaligen Wertungen und Erwartungen und vom Standpunkte der damaligen Marktpreise, in denen die damaligen Wertungen der Verbraucher sich ausdrückten) zu wählen hatte. Das aber wird der Leiter des sozialistischen Gemeinwesens nicht wissen. Er wird einem Schiffer gleichen, der auf hoher See ohne die Hilfsmittel, der Nautik segeln soll.

Wir haben angenommen, daß der Leiter eine bestimmte Anlage errichten will. Doch schon um zu diesem Entschluß zu gelangen., bedarf er der Wirtschaftsrechnung. Die Entscheidung zu Gunsten des Baues eines Kraftwerkes kann nur getroffen werden, wenn man berechnet hat, daß durch diesen Bau nicht Produktionsmittel einer als dringlicher erachteten Verwendung entzogen werden. Wie soll man das ohne Rechnung herausfinden?

Daß ein sozialistisches Gemeinwesen in den ersten Jahren sich noch ungefähr mit der Erinnerung an die im marktwirtschaftlichen System gemachten Erfahrungen behelfen könnte, sei zugegeben. Doch was soll dann später geschehen, wenn die Verhältnisse sich immer weiter verändern ? Welche Hilfe könnte der Leiter etwa 1940 daran finden, daß ihm die Geldpreise von 1900 bekannt sind? Und welchen Nutzen könnte es ihm 1980 bringen, daß er die Geldpreise von 1940 kennt?

Wir mögen annehmen, daß der Leiter eine vollständige Sammlung aller statistischen Daten besitzen wird. Doch weder dieses Verzeichnis aller verfügbaren Produktionsmittel noch eine enzyklopädische Kenntnis des gesamten technologischen Wissens ermöglicht Rechnen, wenn man den Aufwand verschiedenartiger Produktionsmittel nicht auf einen gemeinsamen Ausdruck zu bringen vermag.

[638]

III. Der künstliche Markt

Sozialismus bedeutet Beseitigung der Marktwirtschaft mit ihrer «anarchischen Produktion» und Aufrichtung der marktlosen Planwirtschaft. Es muß daher grotesk erscheinen, daß manche Sozialisten heute glauben, man könnte in einem sozialistischen Gemeinwesen das Problem der Wirtschaftsrechnung durch die Schaffung eines künstlichen Marktes lösen, auf dem Quasiumsätze erfolgen und Quasipreise gebildet werden sollen. Man will das Sondereigentum, den Austausch von Gütern und Diensten, das Geld und die Marktpreise abschaffen, um die Menschen dann Sondereigentum, Güteraustausch und Preisbildung spielen zu lassen. Es kann wohl keine nachdrücklichere Anerkennung der Lehre von der Unmöglichkeit sozialistischer Wirtschaftsrechnung geben als die, die in diesen Vorschlägen enthalten ist.

Es sei, meint man, ein Irrtum des älteren Sozialismus gewesen, daß er geglaubt hat, man könnte den Sozialismus nur in der Weise verwirklichen, daß man, um einen Ausdruck Lenins zu gebrauchen, alle Unternehmungen und Betriebe in Abteilungen der Staatsmaschine nach dem Muster der Postbüros verwandele. Solcher Sozialismus müßte, das geben die nationalökonomisch Gebildeten unter den Sozialisten heute, wenn auch schweren Herzens, endlich zu, zu einem sinnlosen Chaos führen. Doch man könnte, glauben sie, auch noch anders sozialisieren. Man könnte die Betriebsführer der einzelnen Betriebe anweisen, sich in Hinkunft so zu benehmen, wie sie sich bisher in der kapitalistischen Marktwirtschaft benommen hätten. Der Manager einer Aktiengesellschaft arbeite auch in der kapitalistischen Gesellschaft nicht für eigene Rechnung, sondern für die der Aktiengesellschaft, also der Aktionäre. Er werde im sozialistischen Gemeinwesen in derselben Weise wie bisher, mit derselben Umsicht und Gewissenhaftigkeit zu verfahren haben. Der einzige Unterschied würde darin bestehen, daß der Ertrag seiner Bemühungen dem Gemeinwesen und nicht den Aktionären zugutezukommen hätte. Im Übrigen würde er aber gerade so kaufen und verkaufen und Arbeiter anwerben und entlohnen, wie er es bisher getan hat. Das wäre dann, meint man, dezentralisierter Sozialismus im Gegensatz zum zentralistischen Sozialismus, den die älteren Sozialisten — d.h. alle bisherigen Sozialisten, alle Sozialisten, die vor 1920 aufgetreten sind, — allein im Auge gehabt hätten.

Es ist der Kardinalfehler dieser und aller ähnlichen Vorschläge, daß sie das Problem der Wirtschaftsrechnung aus der Froschperspektive des subalternen Buchhalters sehen und nicht [639] erfaßt haben, um was es sich dabei eigentlich handelt. Sie nehmen den einmal bestehenden Aufbau der Betriebe und Betriebsstätten und der Produktionsgestaltung als gegeben an und denken gar nicht daran, daß an diesem Aufbau Veränderungen vorgenommen werden müssen, um ihn jeweils dem Wandel der Verhältnisse anzupassen. Sie haben das Bild einer stationären Wirtschaft vor sich oder gar das einer gleichmäßigen Wirtschaft, in der alle Bedingungen des Handelns starr sind, und vergessen, daß die wirkliche Wirtschaft diesen Bildern nie entsprechen kann. Sie sehen nicht, daß das Handeln der Manager von Aktiengesellschaften darin besteht, daß sie Aufgaben durchführen, die ihnen von ihren Auftraggebern zugewiesen wurden, und daß sie sich dabei der Gestaltung des Marktes anzupassen haben, auf dem andere Faktoren den Ausschlag geben. Jene Käufe und Verkäufe der Manager von Aktiengesellschaften sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtheit der Umsätze, die der Markt vollzieht. Auf dem Markte der kapitalistischen Gesellschaft erfolgen auch alle jene Umsätze, die die Kapitalgüter jenen Produktionszweigen zuführen, in denen sie der weiteren Produktion dienen sollen. Indem die Unternehmer und Kapitalisten Aktiengesellschaften gründen, erweitern, umgestalten und auflösen, indem sie Aktien und Schuldverschreibungen von bestehenden und von neu zu errichtenden Gesellschaften kaufen und verkaufen, indem sie Kredite gewähren und zurückziehen, indem sie die Handlungen setzen, die den Kapital- und Geldmarkt bilden, leiten sie die Wirtschaft in die Wege, in die sie die Nachfrage der Verbraucher geleitet sehen will. Erst durch diese Handlungen der Kapitalisten, Unternehmer und Spekulanten wird der Markt der Marktwirtschaft gebildet, und wenn man diese Handlungen ausschaltet, bleibt nicht etwa ein Teilmarkt übrig, sondern ein Stück des Marktes, das für sich allein nicht bestehen und nicht als Markt funktionieren kann.

Es sind die Handlungen der spekulierenden und investierenden Kapitalisten, die die Lage des Geldmarktes, des Kapitalmarktes, der Börsen und der Großhandelsmärkte der Waren schaffen, die der Leiter einer Aktiengesellschaft, der nichts weiter ist als der getreue und pflichteifrige Manager, wie ihn die Urheber dieser Vorschläge im Auge haben, als gegeben hinzunehmen hat, der er seine Geschäfte anzupassen hat und die seinem Handeln die Richtung weist. Die Konstruktion eines «künstlichen» Marktes mit «künstlichem» Wettbewerb krankt daran, daß sie glaubt, daß auf dem Markte der Produktionsmittel keine anderen Faktoren wirksam sind als die Waren kaufenden und verkaufenden Produzenten, und nicht erkennt, daß [640] man aus diesem Markte die Wirkung des Kapitalangebotes der Kapitalisten und der Kapitalnachfrage der Unternehmer nicht auszuschalten vermag, ohne ihn ganz zu zerstören.

Die Frage lautet nicht etwa: wie soll der Leiter der einzelnen Aktiengesellschaft sich benehmen? sondern: welchen Aktiengesellschaften soll Kapital zugeführt und welchen entzogen werden? Um diese Aufgabe zu lösen, genügt kein Automatismus und keine Berufung auf die Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue irgendwelcher Funktionäre, die im sozialistischen Gemeinwesen nur das fortzusetzen hätten, was sie im kapitalistischen System geübt haben. Man kann nicht daran denken, auch die Kapitalisten und Spekulanten einzuladen, sich im gemeinwirtschaftlichen System genau so zu verhalten, wie sie es im kapitalistischen getan haben, und dann den Ertrag ihrer Geschäfte an den Staat abzuführen. Spekulieren kann man nur für eigene Rechnung; der Spekulant muß die günstigen und die ungünstigen Chancen seines Einsatzes gegeneinander abwiegen, um dann gemäß seiner Beurteilung der Lage zu handeln. Wer am Ausgang des Geschäftes nicht persönlich unmittelbar interessiert ist, sieht die Chancen in einem ganz anderen Licht als der, der seine eigene Haut zu Markte trägt. Dem Unbeteiligten erscheint kein Einsatz zu hoch, kein Wagnis zu riskant. In der Marktwirtschaft werden die Kapitalisten und Unternehmer durch ihr Vermögensinteresse zur Bedienung der Wünsche der Verbrancher gezwungen. Sie sind, wenn sie spekulieren, Diener der Verbraucher, die sich im eigenen Interesse bestreben müssen, sich, so gut sie es nur verstehen und vermögen, dem Verbraucher nützlich zu erweisen. Wenn die sozialistische Gemeinwirtschaft die Verfügung über die Kapitalverwendung in die Hand von Quasispekulanten legen würde, würde sie diese zu unverantwortlichen Herren der Wirtschaft machen. Niemand, der ernst genommen werden will, könnte einen so absurden Vorschlag machen oder vertreten. Eine Gemeinschaft, die die Verfügung über die Kapitalverwendung in dieser Weise regeln wollte, wäre nicht mehr sozialistisch und planwirtschaftlich; sie wäre auch nicht kapitalistisch. Sie wäre chaotisch.

Die Marktwirtschaft ist ein geschlossenes System der Verfügung über die Produktionsmittel, aus der man nicht beliebige Stücke herausschneiden kann, ohne sie ganz zu zerstören. Der Markt der Marktwirtschaft ist ein einheitlicher und unzerlegbarer Zusammenhang aller Preise der Güter aller Güterordnungen und aller Dienste. Von Teilmärkten sprechen wir nur, um das System und sein Getriebe mit den beschränkten Mitteln unserer Intelligenz zu erfassen. Wir dürfen aber nie vergessen, daß das, was wir einen Teilmarkt nennen, nur durch seinen [641] unlösbaren Zusammenhang mit allen übrigen Teilmärkten wirken kann.

Man kann eine sozialistische Ordnung denken, die den Genossen gestattet, die ihnen zugewiesenen Genußgüter zu tauschen. Dann hätten wir einen Markt der Genußgüter und auf diesem Austauschverhältnisse zwischen Genußgütern. Doch für Produktionsmittel können Preise nur auf einem Markte gebildet werden, auf dem auch die Produktionsmittel im Sondereigentum stehen und umgesetzt werden.

Wenn man die Marktwirtschaft durch die Plan- und Gemeinwirtschaft ersetzen will, will man doch den Markt ausschalten und an Stelle des Marktes die Verfügungsgewalt des Leiters der sozialistischen Gemeinwirtschaft setzen. Der Leiter soll über die Verwendung der Produktionsmittel verfügen, nicht die Unternehmer und Kapitalisten. Eine Planwirtschaft mit Markt ist so widersinnig wie ein dreieckiges Viereck.

Es gibt nur die Alternative: entweder entscheidet der Leiter über die Verwendung der Produktionsmittel oder die auf dem Markte tauschenden Wirte. Wenn aber der Leiter den einzelnen Produktionszweigen und Betrieben die Produktionsmittel zuweist, die nach seinen Weisungen für die Produktion zu verwenden sind, kann es keinen Markt für Produktionsmittel geben. Dann können die Manager der einzelnen Betriebe sich nicht mehr so verhalten, wie sich Manager von Aktiengesellschaften in der Marktwirtschaft verhalten.

IV. Die Gleichungen der mathematischen Katallaktik

Man hat schließlich den Vorschlag gemacht, die Wirtschaftsrechnung des sozialistischen Gemeinwesens auf den Gleichungen aufzubauen, mit denen die mathematische Nationalökonomie die Gleichgewichtslage der gleichmäßigen Wirtschaft beschreibt.

Um diesen Vorschlag entsprechend zu würdigen, müssen wir uns darauf besinnen, was diese Gleichungen besagen. Wenn wir das Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft konstruieren, nehmen wir an, daß alle Produktionsmittel in der Weise verwendet werden, daß jedes Produktionsmittel den höchsten Nutzen gibt. Keine Änderung, die durchführbar ist, könnte die Bedürfnisbefriedigung verbessern. Diesen Zustand, in dem nicht mehr verändert, d.h. nicht mehr weiter gehandelt wird, umschreiben wir dann durch die Aufstellung von Gleichungen. Wie man zu diesem Zustand des Gleichgewichts gelangt, kann man durch mathematische Verfahren nicht veranschaulichen. Die Gleichungen sagen nichts als das: wenn m Einheiten von p [642] zur Erzeugung von q und n Einheiten von p zur Erzeugung von r verwendet werden, so bedeutet das, daß eine Änderung der Verwendung einer Einheit von p keinen Nutzenzuwachs bringen könnte. (Selbst wenn man, unter Annahme voller Teilbarkeit aller Güter, die Einheit sehr klein nimmt, darf man nicht etwa sagen, daß die Grenzverwendung von p in den beiden Produktionszweigen gleichen Nutzen bringt.)

Dieser Gleichgewichtszustand ist nicht nur ein hypothetischer Zustand, der nie erreicht werden wird. Es ist auch, was man nicht genug beachtet, von dem heutigen Zustand und von jedem Zustand der wirklichen Wirtschaft verschieden.

In der Marktwirtschaft geht die Umgestaltung der Austauschverhältnisse und der Aufteilung der Produktionsmittel auf die verschiedenen Verwendungsarten, die schließlich, wenn nicht durch das Auftreten neuer Datenänderung neue Bewegung ausgelöst wird, zum Gleichgewichtsstand der gleichmäßigen Wirtschaft führen müßte, aus Handlungen der Unternehmer hervor. Der Unternehmer entdeckt eine Unstimmigkeit zwischen den Preisen der Produktionsmittel und den von ihm erwarteten Preisen der Produkte und will daraus Vorteil ziehen. Der künftige Preis der Produkte, den er im Auge hat, ist nicht etwa der hypothetische Gleichgewichtspreis. Mit dem Gleichgewicht und den Gleichgewichtspreisen hat kein Wirt etwas zu schaffen; sie gehören nicht dem Leben an; sie sind Hilfsvorstellungen der Wissenschaft, die das Nierastende des Handelns nur begreifen kann, wenn sie ihm das Bild der Ruhe gegenüberhält. Die theoretische Betrachtung sieht in jedem Preis einen Schritt auf einem Wege, der, wenn nicht neue Daten hervorkommen, schließlich zum Gleichgewichtspreis führen wird. Weder die Unternehmer noch die Verbraucher wären imstande, sich aus der heutigen Lage des Marktes und aus ihren Auffassungen über die voraussichtliche Umgestaltung dieser Lage ein Bild der Gleichgewichtslage zu formen. Sie benötigen aber solche Einsicht nicht. Um zur Auffassung zu gelangen, daß Serienerzeugung von Kraftwagen ein gutes Geschäft ist, bedurfte Ford nicht der Konstruktion der Preis- und Produktionsverhältnisse, die einem hypothetischen Gleichgewichtszustand entsprechen; es genügte, daß er annehmen konnte, daß billigere Wagen so großen Absatz finden könnten, daß die Aufnahme der Serienerzeugung sich als rentabel erweisen dürfte. Was der Unternehmer, der eine Neuerung plant, im Auge hat, sind nur die ersten Schritte einer Umgestaltung, die, falls keine weiteren Datenänderungen auftreten, nach manchen anderen Bewegungen, die durch sie noch ausgelöst werden müssen, zum Gleichgewicht führen müßte.

[643]

Wenn aber die Gleichungen, die den Gleichgewichtsstand umschreiben, gelöst werden sollen, dann muß man über die Kenntnis der Reihung der Genußgüter im Gleichgewichtsstand verfügen. Denn diese Reihung ist ein Element in dem System der Gleichungen. Der Leiter kennt jedoch nur seine heutigen Wertungen, nicht auch seine künftigen Wertungen. Er findet, daß im Hinblick auf seine heutigen Wertungen die Verwendung der Produktionsmittel unbefriedigend ist und will an ihr Änderungen vornehmen. Doch von den Wertungen, die dem künftigen gedachten und in der Wirklichkeit nie erreichbaren Stand des Gleichgewichts entsprechen werden, kann er ebensowenig etwas wissen wie sonst jemand in der Markwirtschaft. Denn diese werden erst aus den Verhältnissen, die die sukzessiven Veränderungen der Produktion schaffen, hervorgehen.

Wir dürfen nicht etwa annehmen, daß diese künftigen Wertungen den heutigen gleichen werden. Wenn wir das annehmen wollten, würden wir unsere Aufgabe in unzulässiger Weise einschränken; wir würden nicht ein Rechnungsverfahren für eine sich verändernde Wirtschaft suchen, sondern für ein System unveränderlicher Wertungen, das keine Rechnung benötigt.

Wir bezeichnen die Wertskala des heutigen Tages für Güter niederster Ordnung als W 1, die des Tages, an dem der Gleichgewichtsstand erreicht sein wird, als W n; in der gleichen Weise bezeichnen wir den Bestand [272] aller originären Produktionsmittel als O 1, und O n, den der produzierten Produktionsmittel als P 1 und als P nund fassen O 1 + P 1 und O n + P n als M l und M n zusammen; schließlich bezeichnen wir den Stand des gesamten technischen Könnens als T 1 und T n. Um die Gleichungen lösen zu können, bedarf man der Kenntnis von W n, von O nund P n, was zugleich auch die Kenntnis von M n ergibt, und von T n .Bekannt sind aber heute nicht diese Daten, sondern nur W 1, O 1 + P 1 = M l und schließlich T 1.

Man darf nicht etwa denken, es wäre zulässig, die dem heutigen Zustand entsprechenden Daten denen des Gleichgewichtszustandes gleichzusetzen, weil doch der Gleichgewichtszustand nur erreicht werden kann, wenn keine weitere Datenänderung mehr auftritt. Die Abwesenheit von Datenänderungen, die Bedingung für das endliche Erreichen des Gleichgewichts ist, ist Abwesenheit des Auftretens von Datenänderungen, die die [644] Anpassung des Marktgetriebes an die schon im gegenwärtigen Augenblick das Handeln bestimmenden Elemente stören könnten; das System darf, wenn es ins Gleichgewicht gelangen soll, nicht durch Veränderungen, die von außen eindringen, von den Bewegungen abgelenkt werden, die es dem Gleichgewicht zuführen. [273] Doch solange das Gleichgewicht noch nicht erreicht ist, ist das System in einer Bewegung, die die Daten ändert; die durch keine von außen eindringende Datenänderung gestörte Annäherung an den Gleichgewichtszustand ist schon selbst fortschreitende Datenänderung.

Wenn man P 1 in die Gleichungen einsetzen wollte, könnte man niemals zu einem sinnvollen Ergebnis gelangen. Der heutige Stand der produzierten Produktionsmittel entspricht nicht der Wertskala von heute; er ist das Ergebnis von Handlungen, die an anderen Wertskalen orientiert waren und mit einem anderen Stande der Technik und mit einer anderen Kenntnis der originären Produktionsfaktoren gearbeitet haben. Daß heute kein Gleichgewicht besteht, liegt gerade darin, daß P 1 nicht den übrigen Daten des heutigen Zustandes entspricht. Es gibt Anlagen und Gütervorräte, die nicht bestehen würden, wenn Gleichgewicht wäre, und andere Anlagen und Gütervorräte, die geschaffen werden müssen, um das Gleichgewicht zu ermöglichen. Das Gleichgewicht kann erst erreicht werden, bis die verfügbaren Bestände an produzierten Produktionsmitteln (soweit sie überhaupt noch unter den gegebenen Verhältnissen zu brauchen sind) aufgebraucht und durch Bestände ersetzt sein werden, die den übrigen gleichzeitigen Daten — W , O und T — entsprechen. Was das Handeln benötigt, ist nicht die Kenntnis der Daten der Gleichgewichtslage, sondern Orientierung über die Schritte, die sukzessiv zu machen sind, um P 1 in P n überzuführen. Das kann die Auflösung der Gleichungen nicht bringen.

Es wäre ein Irrtum, glaubte man dieser Schwierigkeit dadurch Herr werden zu können, daß man P aus den Gleichungen eliminiert und sich mit O begnügt. Aus der Art der Verwendung der ursprünglichen Produktionsfaktoren ergibt sich zwar eindeutig Beschaffenheit und Menge der produzierten Produktionsmittel, der Zwischenprodukte. Doch die durch dieses Verfahren gewonnene Erkenntnis hat nur für den Gleichgewichtsstand Bedeutung. Sie ist nicht imstande, den Leiter über den Weg zu informieren, auf dem er diesem Gleichgewichtsstand zustreben soll. Heute stehen wir einem Stande von P 1 gegenüber, der vom Gleichgewichtsstande verschieden ist. Die [645] Wirtschaftsrechnung hat mit diesem zu rechnen, nicht mit dem hypothetischen Stande P n.

Jenes künftige Gleichgewicht wird erst erreicht sein, bis alle Produktionsverfahren dem erreichten Stand der Technik angepaßt sein werden. Dann wird durchaus auf den günstigsten Standorten mit den modernsten technischen Verfahren gearbeitet werden. Die Wirtschaft von heute ist von jenem Stand verschieden. Sie arbeitet mit Mitteln, die jenem künftigen Stand nicht entsprechen, und die daher in dem Gleichungssystem, das dem künftigen Stand entspricht, nicht berücksichtigt werden können. Was kann es dem Leiter, der heute und hier zu handeln hat, nützen, wenn er weiß, wie die Welt beschaffen sein wird, wenn sie sich einmal ganz dem heutigen Stande der Technik angepaßt haben wird. Was er wissen muß, ist, wie er mit den heute verfügbaren Mitteln, die das Erbe einer Zeit anderer Technik, anderer Orientierung über Standortsfragen und anderer Wertskalen sind, wirtschaften soll. Er muß wissen, welchen Schritt er als nächsten zu setzen hat. Das könnte er auch aus der Kenntnis aller den hypothetischen Gleichgewichtsstand betreffenden Daten nicht erfahren.

Man stelle sich doch vor, daß ein isoliertes Land, das etwa auf der Kulturstufe steht, die Mitteleuropa zu Beginn des 19. Jahrhunderts erreicht hatte, als Leiter einen Mann erhält, der die moderne Technik der Vereinigten Staaten von heute voll beherrscht. Dieser Leiter weiß ungefähr, welchem Ziel er die Wirtschaft des seiner Obhut anvertrauten Landes zuführen soll. Doch er kann mit dieser Kenntnis allein nichts anfangen, um den zweckmäßigsten Weg zur Erreichung dieses Zieles zu finden, wenn er nur über die Kenntnis des amerikanischen Preissystems von heute verfügt.

Es war ein Irrtum anzunehmen, daß man den Gleichgewichtszustand aus den Daten einer nicht im Gleichgewicht befindlichen Wirtschaft errechnen könnte; es war ein weiterer Irrtum zu glauben, daß das, was das Handeln von heute für das Rechnen benötigt, Kenntnis der Wertungen und Bewertungen des Gleichgewichtsstandes wäre. Es erübrigt sich daher, darauf hinzuweisen, daß aus praktischen Gründen an die Verwendung der Gleichungen zur Lösung der Aufgaben, die die Wirtschaftsrechnung zu erfüllen hat, auch dann nicht gedacht werden könnte, wenn die Methode grundsätzlich als brauchbar erscheinen würde. [274]

 




 

SECHSTER TEIL: DIE GEHEMMTE MARKTWIRTSCHAFT

[646]

1. KAPITEL: MARKT UND OBRIGKEIT

I. Eine dritte Lösung

Sondereigentum an den Produktionsmitteln und Gemeineigentum an den Produktionsmitteln (Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Kapitalismus und Sozialismus) sind gedanklich leicht und scharf auseinanderzuhalten. Jedes dieser beiden Systeme arbeitsteiliger Wirtschaft ist klar umschrieben. Von dem einen führt kein Übergang zum anderen, es gibt zwischen ihnen keine Vermischung. In Bezug auf dieselben Produktionsmittel kann es immer nur entweder Sondereigentum oder Gemeineigentum geben. Wenn in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ein Teil der Produktionsmittel im Gemeineigentum steht, dann bleibt das System marktwirtschaftlich, es sei denn, der gemeinwirtschaftliche Sektor scheide aus jedem Austausch mit den übrigen Menschen aus und führe ein autarkes Dasein für sich. Staatsbetriebe im Rahmen einer Marktwirtschaft und sozialistische Staaten, die mit nichtsozialistischen Staaten im Tauschverkehr stehen, sind in das Gefüge der Marktwirtschaft eingebaut und können daher wie alle Teilnehmer der Marktwirtschaft auf Geld aufgebaute Wirtschaftsrechnung führen.

Wenn man den Gedanken erwägt, neben oder zwischen diese beiden Systeme arbeitsteiligen menschlichen Zusammenwirkens ein drittes zu stellen, kann man immer nur vom Sondereigentum und von der Marktwirtschaft ausgehen, nicht auch vom Gemeineigentum und vom Sozialismus. Das sozialistische System kann in seinem auf einen Willen und das Handeln eines Leiters abgestellten Monismus und Zentralismus kein Entgegenkommen an [647] andere Systeme vertragen. Man muss schon auf den ersten Blickerkennen, dass an diesem Gedankenbild keinerlei Korrekturen angebracht werden können. Mit der Marktwirtschaft steht es da anders. Hier ladet der Dualismus von Markt und Obrigkeit zu verschiedenartigen Erwägungen ein. Muss denn, fragt man, die Obrigkeit ganz außerhalb des Marktverkehrs bleiben? Kann sie nicht in den Markt eingreifen und damit die Ergebnisse des Marktverkehrs korrigieren? Muss man sich mit der Alternative Marktverkehr oder Gemeinwirtschaft zufrieden geben? Kann es nicht noch andere Systeme der Ordnung gesellschaftlicher Kooperation geben, Systeme, die weder Gemeinwirtschaft noch (ungehemmte oder reine) Marktwirtschaft sind?

So hat man denn eine Reihe von dritten Lösungen ersonnen, Systeme, die weder Kapitalismus noch Sozialismus sein wollen. Von diesen Systemen wird meist behauptet, dass sie das Sondereigentum beibehalten und daher nicht sozialistisch wären, dass sie aber die «Mängel» des marktwirtschaftlichen Systems beseitigen und daher auch nicht Kapitalismus genannt werden dürfen. Für die wertfreie Erörterung, die keine «Mängel», «Schäden» oder «Auswüchse» des Kapitalismus kennt, ist diese politische Empfehlung der dritten Lösungen belanglos. Sie hat es allein mit der Untersuchung des Ablaufs des Handelns in jedem einzelnen dieser Systeme zu tun.

II. Der Eingriff

Man hat das sozialistische Gedankenbild nicht immer in der klassischen Form eines großen Amtsbetriebes gestaltet, in dem die Technik der bürokratischen Gebarung auch äußerlich sichtbar ist. Man kann Sozialismus auch anders denken als im Bild eines hierarchisch gegliederten Systems von Ämtern und Abteilungen.

Man kann etwa ein sozialistisches Gemeinwesen denken, in dem dem Namen nach Sondereigentum an den Produktionsmitteln, Unternehmertum und Marktverkehr beibehalten werden. Äußerlich geht alles den Gang des Kapitalismus. Unternehmer kaufen und verkaufen, entlohnen Arbeiter, nehmen Kredite auf und verzinsen und tilgen sie. Doch der Leiter befiehlt diesen Scheinunternehmern was und wie sie erzeugen sollen, was und zu welchen Preisen und von wem sie kaufen, und was und zu welchen Preisen und an wen sie verkaufen sollen. Er ordnet an, wem und unter welchen Bedingungen die Kapitalisten ihre Kapitalien anvertrauen sollen und wo und zu welchen Löhnendie Arbeiter arbeiten sollen. Der Marktverkehr ist nur noch Schein. Da alle Preise, Löhne und Zinssätze durch die Obrigkeit festgesetzt werden, sind diese Geldansätze nur noch dem äußeren Anschein nach Preise, Löhne und Zinssätze, ihrem Wesen nach aber Quantenbestimmungen in den obrigkeitlichen Befehlen; nicht die Verbraucher leiten die Produktion, sondern die Obrigkeit. Das ist Sozialismus im äußeren Gewand des Kapitalismus. Die Bezeichnungen der Kategorien der kapitalistischen Marktwirtschaft sind beibehalten worden, doch sie bezeichnen nun etwas, was von jenen marktwirtschaftlichen Kategorien durchaus verschieden ist.

Man muss auf diese Möglichkeit hinweisen, um Verwechslung dieser Art von Sozialismus mit dem Interventionismus, um den es sich hier handelt, vorzubeugen. Das System der gehemmten Marktwirtschaft oder des Interventionismus ist vom Sozialismus gerade dadurch verschieden, dass es immer noch Marktwirtschaft ist. Die Obrigkeit sucht den Markt durch Eingriffe ihres Gewaltapparates zu beeinflussen, sie will ihn aber nicht ganz ausschalten. Sie will, dass Produktion und Verbrauch sich anders gestalten, als der unbehinderte Marktverkehr es bewirkt, und sie will dieses Ziel dadurch erreichen, dass sie in das Getriebe des Marktes Anordnungen hineinsetzt, Befehle und Verbote, zu deren Durchsetzung sie den Gewalt- und Zwangsapparat bereit hält. Doch es sind isolierte Eingriffe; sie fügen sich nicht zu einem vollständig geschlossenen System zusammen, das alle Preise, Löhne und Zinssätze regelt und damit die Leitung der Produktion und des Verbrauches in die Hand der Obrigkeit gibt.

Der Dualismus von Markt und Obrigkeit besteht auch im System des gehemmten Marktverkehres. Zum Unterschied vom System der reinen Marktwirtschaft beschränkt sich jedoch die Obrigkeit nicht darauf, den Marktverkehr vor Störungen zu bewahren. Sie selbst greift durch isolierte Eingriffe in das Getriebe des Marktes ein, sie befiehlt und verbietet.

Der Eingriff ist eine von der den gesellschaftlichen Gewalt- und Unterdrückungsapparat handhabenden Obrigkeit ausgehende Weisung, die die Unternehmer und die Eigentümer der Produktionsmittel zwingt, über die Produktionsmittel anders zu verfügen als sie es — unter dem Druck des Marktes — sonst tun würden. Die Weisung kann Befehl oder Verbot sein. Befehl und Verbot müssen nicht gerade auch der Form nach von der Obrigkeit ausgehen. Es kommt vor, dass Befehl und Verbot von anderer Seite herkommen und dass diese andere Seite auch den Gewaltapparat zur Bekräftigung ihrer Anordnungen beistellt. Wenn die Obrigkeit dieses Vorgehen duldet oder geradezu [649] unterstützt, dann liegen die Dinge nicht anders, als ob sie selbst die Weisung erteilt hätte. Wenn sie es nicht dulden will und ihren Gewaltapparat dagegen aufbietet, aber damit nicht durchdringt, dann ist das ein Anzeichen dafür, dass sich neben ihr eine andere Obrigkeit eingerichtet hat.

III. «Gerechtigkeit» als Richtmass des Handelns

Man hat die Auffassung vertreten, es bedürfe gar nicht erst des Eingreifens der Obrigkeit, um die Marktwirtschaft in andere Bahnen zu lenken als die es sind, die sie wandelt, wenn sie sich ungehemmt zu entfalten vermag. Christliche Sozialreformer und manche Vertreter einer ethisch motivierten Sozialreform haben gemeint, das religiöse oder sittliche Gewissen müsste den gutgearteten Menschen auch im Wirtschaften leiten. Wenn alle Wirte nicht nur ihren Gewinn und ihre eigennützigen Sonderinteressen wahrnehmen, sondern stets auch an ihre kirchlichen und sozialen Verpflichtungen denken wollten, bedürfe es nicht erst der Anordnung der Obrigkeit, um die Dinge ins rechte Geleise zu bringen. Nicht Staatsreform tue not, wohl aber sittliche Läuterung der Menschen, Rückkehr zu Gott und zum Sittengesetz, Abkehr von den Lastern des Eigennutzes und der Selbstsucht. Dann werde es unschwer gelingen, das Sondereigentum an den Produktionsmitteln mit den sozialen Belangen in Einklang zu bringen. Man werde die Wirtschaft von den verderblichen Folgen des Kapitalismus befreit haben, ohne durch staatliche Eingriffe die Freiheit und Initiative des Einzelnen zu beschränken. Man werde den Moloch Kapitalismus vernichtet haben, ohne an seine Stelle den Moloch Staat gesetzt zu haben.

Mit den Werturteilen, die dieser Auffassung zugrundeliegen, haben wir es nicht zu tun. Was diese Kritiker am Kapitalismus auszusetzen finden, ist belanglos, und die Irrtümer und Missverständnisse, die sie dabei vortragen, kümmern uns weiter nicht. Für uns ist allein ihr Vorschlag interessant, eine Gesellschaftsordnung auf der doppelten Grundlage des Sondereigentums an den Produktionsmitteln und eines das Sondereigentum beschränkenden Sittengesetzes aufzubauen. Diese ideale Gesellschaftsordnung soll nicht Sozialismus sein, weil sie das Sondereigentum beibehalten will. Sie soll nicht Kapitalismus sein, weil in ihr nicht mehr das Streben nach Gewinn die einzelnen Wirte, insbesondere die Unternehmer, Kapitalisten und Eigentümer leiten soll, sondern das Gewissen. Sie soll aber auch nicht Interventionismus sein, weil es in ihr keiner staatlichen Eingriffe bedarf, um den Gang des Getriebes zu sichern.

[650]

In der Marktwirtschaft ist der Einzelne im Handeln frei, soweit das Sondereigentum und der Markt reichen. Da entscheiden seine Wertungen allein. Was auch immer er wählen mag, es bleibt bei der von ihm getroffenen Wahl. Sein Handeln ist für die übrigen Marktparteien ein Datum, mit dem sie zu rechnen haben. Um sein Handeln in den Rahmen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit einzufügen, gibt es kein anderes Mittel als die Auswirkung des Handelns auf dem Markte. Die Gesellschaft sagt dem Einzelnen nicht, was er tun und was er lassen soll; niemand befiehlt und verlangt Gehorsam, nirgends wird, wenn es sich nicht um den Schutz des Sondereigentums und des Marktes gegen Gewalt handelt, Gewalt angewendet. Die Kooperation ist das Ergebnis des Marktgetriebes. Wer sich in seinem Handeln nicht in die gesellschaftliche Kooperation so gut er kann eingliedert, spürt die Folgen seiner Auflehnung, seiner Lässigkeit, seiner Irrtümer und Fehler am eigenen Leibe. Denn diese Eingliederung stellt an den Einzelnen keine anderen Anforderungen als sein eigenes Handeln. Daher bedarf es auch hier keiner von einer Obrigkeit ausgehenden Weisungen, die das, was der einzelne Wirt zu tun und zu lassen hat, anordnen, und keines Zwangsapparates, der über die Beobachtung solcher Vorschriften wacht.

Jenseits des Bereichs des Sondereigentums und des Marktverkehres liegt der Bereich des verbotenen Handelns; dort stehen die Schranken, die die Gesellschaft zum Schutze des Sondereigentums und des Marktes gegen Gewalt, List und Tücke aufgerichtet hat. Hier ist nicht mehr Freiheit, sondern Zwang. Hier darf man nicht mehr alles, hier wird zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem unterschieden, hier gibt es Gesetze über das, was befohlen, was gestattet und was verboten ist. Hier steht ein Zwangsapparat zum Eingreifen bereit. Wäre es anders, dann stünde es im Belieben jedes Einzelnen, die von der Rechtsordnung gezogenen Schranken zu durchbrechen.

Die Reformer, mit deren Vorschlägen wir es hier zu tun haben, wollen nun neben die Rechtsordnung und das Sittengesetz, die sich auf die Aufrechterhaltung und den Schutz des Sondereigentums beschränken, noch weitere ethische Normen setzen. Sie wollen in Produktion und Verbrauch anderes erreichen, als der unbehinderte Markt erzielt, auf dem keine andere Bindung des Einzelnen besteht als die, das Sondereigentum nicht zu verletzen. Sie wollen die Kräfte, die das Handeln des Einzelnen in der Marktwirtschaft leiten — sie nennen sie Eigennutz, Selbstsucht, Gewinnstreben oder so ähnlich — ausschalten und durch andere Kräfte — sie sprechen vom Gewissen, von [651] Altruismus, von Gottesfurcht und von Nächstenliebe — ersetzen. Und sie glauben, dass das genügen würde, um das sinnvolle Zusammenwirken der Menschen in der arbeitsteiligen Wirtschaft zu sichern, so dass es der Eingriffe — Befehle und Verbote — einer Obrigkeit nicht bedürfe.

Der Irrtum dieser Lehre liegt darin, dass sie die Bedeutung verkennt, die den von ihr als unsittlich verdammten Kräften im Marktgetriebe zukommt. Nur weil die Marktwirtschaft vom Einzelnen in Bezug auf die Verwendung der Produktionsmittel nichts verlangt, was er nicht schon ohnehin im eigenen Interesse tun muss, weil sie ihn so nimmt, wie er ist, und weil seine «Selbstsucht» ausreicht, um ihn in das gesellschaftliche Zusammenwirken einzugliedern, bedarf es keiner Leitung seines Handelns durch Normen und durch Behörden, die die Durchführung der Normen überwachen. Wenn er darauf bedacht ist, seine eigene Wohlfahrt im Rahmen des Sondereigentums und des Marktverkehres wahrzunehmen, hat er schon alles getan, was die Gesellschaft von ihm verlangt. Wenn er seiner «Gewinnsucht» folgt, handelt er sozial.

Wenn man diese Ausrichtung des Einzelnen nach dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln, (nach «Eigennutz» und «Selbstsucht», wie die Moralkritiker meinen,) durch andere Beweggründe ersetzen will, dann nimmt man dem Getriebe der Marktwirtschaft den Sinn und damit die Wirkungsmöglichkeit. Damit, dass dem Einzelnen empfohlen wird, nun der Stimme des Gewissens zu gehorchen und «Gemeinnutz» an Stelle des Eigennutzes zu setzen, hat man noch keine sinnvolle Ordnung geschaffen, die die Marktwirtschaft ersetzen könnte. Es genügt nicht, zu empfehlen, nicht so billig als möglich zu kaufen und nicht so teuer als möglich zu verkaufen. Man muss schon weiter gehen und Normen aufstellen, die dem Einzelnen in seinem Handeln als Richtschnur dienen können.

Der Reformer denkt etwa: der Unternehmer ist hart und selbstsüchtig, wenn er, seine Überlegenheit ausnützend, billiger verkauft als sein minderleistungsfähiger Konkurrent und diesen damit aus der Unternehmerstellung verdrängt. Doch was soll der «altruistische» Unternehmer tun? Soll er überhaupt nicht billiger verkaufen als irgendeiner seiner Konkurrenten? Oder soll er doch unter gewissen Umständen berechtigt sein, einen von Konkurrenten verlangten Preis zu unterbieten?

Der Reformer denkt aber auch: der Unternehmer ist hart und selbstsüchtig, wenn er, die Marktlage ausnützend, nicht so billig verkaufen will, dass auch der Arme, dem der hohe Preis unerschwinglich ist, die Ware erstehen kann. Was soll der [652] «gute» Unternehmer tun? Soll er die Ware verschenken? Wenn er für sie überhaupt einen, wenn auch noch so geringen Preis fordert, dann wird es immer eine Nachfrage geben, die nicht zum Zuge kommt. Welche Kauflustigen darf der Unternehmer durch die Höhe seiner Preisforderung von der Erwerbung der Ware ausschließen?

Auf die Folgen, die ein Abweichen von den durch die Marktlage gegebenen Preisen nach sich zieht, brauchen wir nicht näher einzugehen. Wenn der Verkäufer den minderleistungsfähigen Konkurrenten nicht unterbieten darf, dann bleibt ein Teil zumindest seiner Produktion unverkauft, und wenn er, den Armen zuliebe, billiger verkaufen soll, dann wird der Vorrat nicht ausreichen, um alle, die den niedrigen Preis zu bieten bereit sind, zu befriedigen. Doch davon soll noch ausführlich in der Untersuchung der preispolitischen Eingriffe gesprochen werden. Hier haben wir nur zu erkennen, dass man doch dem Unternehmer nicht einfach sagen kann, er soll sich nicht der Marktlage anpassen. Man muss ihm schon sagen, was er tun soll. Man muss ihm sagen, wie weit er bei seinen Preisbewilligungen und Preisforderungen gehen soll, man muss ihm, wenn nicht mehr seine «Gewinnsucht» zu entscheiden hat, was und in welchen Mengen er erzeugen soll, bestimmte Weisungen erteilen, die er zu befolgen hat. Das heißt, man muss sein Handeln durch solche obrigkeitliche Weisungen leiten, die die Reformer durch die Berufung auf das Gewissen, die Moral und die Nächstenliebe überflüssig zu machen wähnen.

Man hat behauptet, dieses soziale Ideal des durch das Gewissen gebändigten Gewinnstrebens sei in der Vergangenheit verwirklicht gewesen. Nur das Überhandnehmen von Selbstsucht und Eigennutz wäre an dem Elend der Gegenwart schuld. Hätte die Moral ihre Herrschaft über das wirtschaftliche Handeln der Menschen nicht eingebüsst, hätte niemand ungerechte Forderungen erhoben, dann würden wir noch die Vorteile genießen, deren sich die Menschheit damals erfreuen durfte. Es komme darauf an, jene gute Zeit zurückzuführen, und dann dafür zu sorgen, dass sie nicht durch neuen Sündenfall verloren gehe.

In dem Bilde dieses in die Vergangenheit verlegten Utopien ist die Vorstellung «gerechter» Preise, Löhne und Zinssätze wesentlich. Da man wünscht, dass der Zustand, den man als Ideal ansieht, verewigt werden soll, verwirft man jede Preisgestaltung, die ihn verändern könnte, als ungerecht. Als ungerecht erscheinen dem ostelbischen Junker die hohen Löhne der Industriearbeiter, die die Landarbeiter zur «Landflucht» veranlassen, die billigen Lebensmittelpreise, die sein Einkommen schmälern, und die Zinssätze, die er aus seinem Betrieb nicht [653] herauszuwirtschaften versteht. Ungerecht sind in den Augen des Handwerkers die niedrigen Preise der Industrieprodukte und die hohen Löhne der Fabriksarbeiter. Jedem Minderleistungsfähigen erscheinen die Preise, Löhne und Zinssätze als gerecht, die seinem Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit geben könnten.

Der gerechte Preis, das ist in den Augen derer, die die Wirtschaft richten und nicht erkennen wollen, meist der alte Preis; der neue Preis, der den Fortbestand alter Unternehmungen gefährdet, ist in ihren Augen immer ein ungerechter Preis. Es gibt eben keinen anderen Maßstab, um einen Preis als gerecht oder ungerecht zu werten, als den, ihn im Hinblick auf einen Gesellschaftszustand zu beurteilen, den man für anstrebenswert hält. Wenn dieser Gesellschaftszustand nicht der der Marktwirtschaft sein soll, dann kann man ihn nicht einfach dadurch verwirklichen, dass man dem Einzelnen empfiehlt, in seinem Handeln gerecht zu sein. Dann muss man schon genauer bestimmen, was in jedem einzelnen Akt gerecht oder ungerecht ist, dann muss man Normen aufstellen, die alle denkbaren Fälle genau regeln, und einer Obrigkeit die Befugnis einräumen, diese Normen authentisch auszulegen, alles, was zu ihrer Ergänzung oder Abänderung notwendig werden könnte, zu verfügen und über ihre Beobachtung zu wachen. Ob diese Obrigkeit der weltliche Staat oder die theokratische Priesterschaft ist, ist dann ohne Belang.

Die Reformer wenden sich mit ihrer Aufforderung zur Abkehr vom Eigennutz an die Unternehmer und Eigentümer, mitunter auch noch an die Arbeiter. Doch in der Marktwirtschaft entscheiden die Verbraucher. An diese müsste die Mahnung gerichtet werden. Man müsste den Verbraucher dazu bringen, auf die bessere und billigere Ware zu verzichten, um den minderleistungsfähigen Erzeuger zu schonen. Der Verbraucher müsste die Ware boykottieren, deren Vertrieb den Fortbestand der Zustände, die im Hinblick auf ihren sittlichen Wert erhalten bleiben sollen, gefährden, und müsste sich im Einkauf Beschränkung auferlegen, um auch dem weniger kaufkräftigen Genossen den Einkauf zu ermöglichen. Wenn man das vom Verbraucher verlangt, muss man ihm genau sagen, wie, wo, was und zu welchem Preise er kaufen soll, und man muss Maßnahmen ergreifen, um den Verbraucher, der sich der Weisung nicht fügt, zum Gehorsam zu zwingen. Dann aber hat man doch das getan, was der Reformer vermeiden will: man hat die Wirtschaft durch Einzelweisungen geregelt, und man hat die Nichtbefolgung der Weisungen unter Strafsanktion gestellt.

[654]

IV. Die Obrigkeit.

Die Praxeologie darf das Bild der Obrigkeit nicht den Vorstellungen entnehmen, die Staatsvergottung und Kniefall vor der Gewalt geschaffen haben. Sie darf sich nicht beeinflussen lassen durch den Kultus der Staatsweisheit, den die Diener und Nutznießer des Staatsapparats betreiben, um ihrer eigenen Nichtigkeit durch Erhöhung der Wichtigkeit ihres Brotgebers Bedeutung und Ansehen zu verleihen.

Obrigkeit ist die Bezeichnung für den oder die Einzelnen, die den staatlichen Gewaltapparat in Händen haben. Das sind immer Menschen. Sie mögen weiser, klüger, selbstloser, weiterblickend sein als viele andere Menschen. Doch nichts bürgt dafür, dass sie die weisesten, klügsten, selbstlosesten und weitestblickenden Menschen sind. Sie mögen vielleicht weniger Schwächen und Fehler haben als manche andere Menschen; frei von Schwächen und Fehlern ist kein Mensch. Trotz Hegel und Lassalle muss man feststellen: der Staat ist nicht das Absolute, ist nicht Gott. Und trotz Sombart muss man feststellen: des Führers Wille ist nicht Gottes Wille.

Für die Aufgaben, die der praxeologischen Untersuchung der Probleme des Interventionismus gestellt sind, erübrigt sich das Eingehen auf den Streit über die sittlichen und intellektuellen Eigenschaften und Gaben der den Regierungsapparat bedienenden Menschen. Es handelt sich uns nicht um die müßige Frage, ob die Regierenden klüger und edler sind als die Regierten und ob sie besser wissen, was den Einzelnen frommt, als diese selbst es wissen. Es handelt sich uns auch nicht um die Frage, ob der Einzelne oder das Kollektivum, als dessen Sachwalter die Regierenden auftreten, als das Ziel des Handelns anzusehen sind, ob man die Interessen eines Ganzen denen der Einzelnen opfern soll oder umgekehrt. Die Frage, die uns hier allein zu beschäftigen hat, ist die, ob außer dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln noch eine dritte Organisationsform menschlicher Kooperation denkbar ist. Das Funktionieren dieser dritten Form haben wir praxeologisch zu untersuchen.

V. Die Obrigkeit und die Zielwahl.

Wir haben uns daher auch nicht mit den Eingriffen der Obrigkeit zu befassen, die direkt auf die Lenkung des Verbrauchs gerichtet sind und keinen anderen Erfolg erzielen als den, den sie anstreben. Jeder obrigkeitliche Eingriff in das [655] Getriebe des Marktes wird mittelbar auch die Gestaltung des Verbrauchs beeinflussen müssen. Wenn die Obrigkeit durch die Behinderung der Produktion die Daten des Marktes verschiebt, kann das nicht ohne Wirkung auf die Wertungen der Verbraucher bleiben. Doch wenn die Obrigkeit nur den Verbrauch lenken will und wenn die Wirkung ihrer Anordnung auf den Verbrauch genau der Absicht entspricht, die die Obrigkeit durch den Eingriff erreichen wollte, und keine weiteren Wirkungen auftreten, stellt der Eingriff der nationalökonomischen Betrachtung kein Problem. Dass die Obrigkeit Konsumpolitik treiben kann, ist unbestritten. Die Obrigkeit kann z. B. dem Verbraucher den Genuss bestimmter Speisen — etwa aus hygienischen oder aus religiösen Gründen — immer oder zeitweilig untersagen, sie kann ihm verbieten, bestimmte Genussmittel zu gebrauchen u.s.f. Die Obrigkeit wirft sich da zum Vormund des Einzelnen auf. Sie hält den Untertan für unfähig, sein eigenes Beste zu finden. Er soll durch ihr Eingreifen davor bewahrt werden, an Leib und Seele Schaden zu nehmen.

Die Frage, ob die Obrigkeit so vorgehen soll oder nicht, ist eine politische Frage. Wenn man der Auffassung ist, dass die Obrigkeit von Gott ist und die Berufung hat, dem Einzelnen gegenüber Vorsehung zu spielen, oder wenn man meint, dass die Obrigkeit die Interessen eines Kollektivums gegenüber den widerstreitenden Interessen der Einzelnen zu vertreten hat, wird man das Verhalten der Obrigkeit gerechtfertigt finden. Wenn die Obrigkeit klüger und weiser ist als der Untertan mit seinem beschränkten Verstand, wenn sie besser weiß, was das Glück des Einzelnen fördert als dieser selbst es zu wissen sich anmaßt, oder wenn die Obrigkeit den Beruf hat, das Wohl der Einzelnen dem des Ganzen aufzuopfern, dann darf sie es nicht verabsäumen, dem Handeln der Einzelnen die Ziele zu setzen.

Wer glaubt, dass die Bevormundung des Einzelnen durch die Obrigkeit auf das Gebiet der Hygiene beschränkt bleiben könnte, dass die Obrigkeit sich etwa damit begnügen wird, den Gebrauch von schädlichen Giften wie Opium, Morphium, allenfalls noch von Alkohol und Nikotin zu verbieten oder zu begrenzen, dass aber im Übrigen der Freiheit des Einzelnen kein Abbruch geschehen werde, täuscht sich wohl. Denn wenn einmal der Grundsatz, dass die Konsumwahl des Einzelnen von der Obrigkeit überwacht und eingeengt werden muss, anerkannt ist, hängt es von der Obrigkeit und von der sie beherrschenden öffentlichen Meinung ab, wie weit man geht. Dann kann man grundsätzlich nichts mehr gegen Bestrebungen einwenden, die alle Betätigung des Einzelnen der Fürsorge des Staates unterwerfen wollen. Wenn man seinen Leib davor bewahren will, [656] durch manche Genüsse Schaden zu nehmen, dann mag man auch seinen Geist vor schädlichen Lehren und Ansichten schützen und seine Seele durch Glaubens- und Gewissenszwang dem ewigen Heil zuführen. Wenn man dem Einzelnen die Freiheit der Konsumwahl nimmt, nimmt man ihm alle Freiheit.

Doch das sind Gesichtspunkte, die die Politik zu würdigen hat. Vom praxeologischen Standpunkt ist zu sagen: Wenn man die Konsumwahl des Einzelnen beschränkt, dann kann man ihm nie das Ausmaß von Befriedigung verschaffen, das ihm Freiheit der Konsumwahl geboten hätte. Denn er schätzt die Genüsse, deren Erlangung ihm durch das Eingreifen der Obrigkeit unmöglich gemacht wurde, höher als die Genüsse, die er sich durch die freigewordenen Mittel an ihrer Stelle verschaffen kann.

Wenn die Nationalökonomie sich mit den Problemen des Interventionismus befasst, dann hat sie nur die Maßnahmen im Auge, die zunächst die Mittel und nicht die Ziele des Handelns betreffen. Und sie hat keinen anderen Maßstab zur Beurteilung dieser Maßnahmen als den, ob sie mehr oder weniger geeignet sind, die Ziele, denen die Obrigkeit zustrebt, zu erreichen. Dass die Obrigkeit die Konsumwahl des Einzelnen zu beschränken und damit die Daten des Marktes zu verändern vermag, liegt außerhalb des der nationalökonomischen Erörterung Zugänglichen.

Wir befassen uns daher nicht mit den obrigkeitlichen Maßnahmen, die unmittelbar auf die Lenkung des Verbrauchs gerichtet sind und diesen Erfolg ganz erreichen, ohne dabei auch noch andere Wirkungen hervorzurufen. Wir betrachten das Handeln der Verbraucher auf dem Markte, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob es durch die Obrigkeit mehr oder weniger oder überhaupt nicht beeinflusst wurde. Wir nehmen die Wertungen und die Nachfrage der Verbraucher als Datum an und fragen nicht, ob die Verbraucher Gasmasken aus eigenem Antrieb kaufen oder weil die Behörden es ihnen aufgetragen haben, und ob sie weniger Alkohol kaufen, weil sie andere Genüsse vorziehen oder weil die Behörden die Trunkenheit bestrafen. Unsere Aufgabe ist, die Eingriffe der Obrigkeit zu untersuchen, die sich nicht an die Verbraucher, sondern an die Eigentümer von Produktionsmitteln und an die Unternehmer richten. Und wir fragen nicht, ob diese Eingriffe berechtigt sind und ob sie den Wünschen der Verbraucher entsprechen, sondern allein darnach, ob sie die Zwecke erreichen können, die die Obrigkeit durch sie erreichen will.

 


 

[657]

2. KAPITEL: DIE STEUERPOLITISCHEN EINGRIFFE

I. Die neutrale Steuer

Die Erhaltung des gesellschaftlichen Zwangs- und Unterdrückungsapparates erfordert einen Aufwand an Arbeit und an Sachgütern. Dieser Aufwand mag mitunter unter einfachen Verhältnissen bescheiden sein im Vergleich mit der Summe des Verbrauchsaufwandes aller Einzelnen. Je mehr Aufgaben vom Staate übernommen werden, desto höher steigen seine Ausgaben.

Wenn der Staat auch über Produktionsmittel verfügt, könnte ein Teil oder auch das Ganze des Aufwandes durch die Einkünfte aus seiner Unternehmertätigkeit gedeckt werden. In der Regel freilich führt die Betätigung des Staates als Unternehmer öfter zu Verlust als zu Gewinn. So bleibt für die Bedeckung der Staatsausgaben nur der Weg offen, die Staatsangehörigen zur Abgabe eines Teiles ihres Vermögens oder Einkommens zu zwingen.

Man könnte daran denken, die Abgaben so umzulegen, dass sie die Marktwirtschaft ungestört lassen. Das finanzwissenschaftliche Schrifttum, das in einer unübersehbaren Menge von Büchern und Aufsätzen die Bibliotheken füllt, und die finanzpolitische Praxis haben sich freilich mit dieser Aufgabe kaum befasst. Sie haben die «gerechte» Steuer gesucht, doch nicht die «neutrale» Steuer.

Die neutrale Steuer müsste so beschaffen sein, dass ihre Einhebung den Lauf der Dinge in der Marktwirtschaft nicht stärker beeinflusst, als es durch den Umstand erfordert wird, dass ein Teil der verfügbaren menschlichen Arbeit und der verfügbaren Sachgüter durch die Ausübung der staatlichen Aufgaben verbraucht wird. Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft fließen dem Staatsschatz ständig Beträge zu, die ständig für die Besoldung der Staatsdiener und für die Beschaffung des staatlichen Sachaufwandes ausgegeben werden. Der Staatsaufwand wird ganz aus dem Einkommen der Einzelnen bestritten und kann als Abzug von diesem Einkommen angesehen werden. Nehmen wir an, dass in dieser gleichmäßigen Wirtschaft das Einkommen aller gleich ist, so dass jedem einzelnen Wirt so viel Einkommenseinheiten zufließen, als er Angehörige zu versorgen hat, dann besteht zwischen einer Kopfsteuer und zwischen einer proportionalen Einkommensteuer [658] kein Unterschied. In beiden Fällen wird ein Teil des Einkommens für die Bestreitung des Staatsaufwandes beansprucht. In beiden Fällen sind damit die Steuerwirkungen erschöpft. Es ist, als ob jeder Einzelne eine Anzahl von Arbeitsstunden der Staatsdiener und einen Teil des staatlichen Sachaufwandes als seinen Aufwand bestreiten würde. Kopfsteuer und Einkommensteuer sind unter diesen Bedingungen neutrale Steuern.

Die Probleme der Besteuerung ergeben sich durch die aus der Marktwirtschaft nicht fortzudenkende Ungleichheit der Einkommen und der Vermögen. Das lässt auch verstehen, warum man das Problem der neutralen Steuer, soweit man ihm überhaupt Aufmerksamkeit gewidmet hat, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit behandelt hat.

Die Ungleichheit der Einkommen und der Vermögen bewirkt, dass Kopfsteuer und Einkommensteuer nicht mehr dasselbe bedeuten. Sie lässt dann weitere Fragen entstehen: Vermögens- oder Einkommensteuer, proportionale Steuer oder Steuer mit Abstufung der Steuersätze nach der Höhe des Einkommens oder Vermögens.

Bei Ungleichheit der Einkommen und Vermögen kann die Besteuerung nie neutral sein. In der Marktwirtschaft ist die neutrale Steuer ebenso undenkbar wie das neutrale Geld. Der Grund dieser Unvereinbarkeit ist freilich bei der Steuer und beim Gelde verschieden.

Wird der Staatsaufwand durch eine Kopfsteuer gedeckt, die jeden Einzelnen ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens und Vermögens gleich belastet, dann wird der Verbrauch der Bezieher niedrigeren Einkommens stärker zugunsten des öffentlichen Aufwands gedrosselt als der der Bezieher größeren Einkommens. Damit wird die Produktion der Gegenstände, die die Bezieher niedrigeren Einkommens verbrauchen würden, stärker gedrosselt als die der Artikel, die die wohlhabenderen Schichten verbrauchen. Anderseits wird der Kapitalbildung weniger Abbruch getan, als es durch eine stärkere Belastung der Wohlhabenderen der Fall wäre. Die Senkung der Grenzproduktivität des Kapitals wird weniger verlangsamt, der Aufwärtsbewegung der Löhne werden weniger Hemmnisse in den Weg gelegt.

Die Steuerpolitik nahezu aller Staaten hat es für richtig befunden, die kopfsteuerartig wirkenden Steuern zu Gunsten einer Besteuerung einzuschränken, die die höheren Einkommen und Vermögen mit weit höheren Steuersätzen belegt als die Träger niedrigeren Einkommens und Vermögens. Unter den Gedankengängen, die zu dieser Haltung geführt haben, hat im Anfang auch die Erwägung unklar mitgesprochen, dass man [659] einer möglichst neutralen Besteuerung den Vorzug zu geben habe vor einer weniger neutralen. Doch bald verdrängten andere Gesichtspunkte diese Auffassung. Die Steuer sollte zu einem Werkzeug bewusster Eingriffe in das Getriebe der Marktwirtschaft werden. Man gestaltete die Steuerpolitik zu einem Mittel interventionistischer Wirtschaftspolitik; man wollte gar nicht die Besteuerung so neutral als möglich anlegen, man wollte sie gerade als Mittel «aktiver» Sozialpolitik.

II. Die totale Steuer

Der gedankliche Gegenpol der neutralen Steuer ist die totale Steuer. Durch die totale Steuer soll alles Einkommen ganz fortgesteuert werden; dann soll jedem aus dem gemeinsamen Topf ein Einkommen, das er für sich verbrauchen darf, zugeteilt werden. Man kann die totale Steuer aber auch so denken, dass die Besteuerung jedem gleich den Teil seines Einkommens belässt, der ihm nach Absicht der Obrigkeit verbleiben soll, und dass jenen, deren Einkommen hinter dem zurückbleibt, was die Obrigkeit ihnen zuweisen will, aus den Steuerleistungen der Besteuerten die Ergänzung zugeteilt wird.

Der Gedanke der totalen Steuer kann ebensowenig bis zu Ende gedacht werden wie der der neutralen Steuer. Denn wenn den Unternehmern und den Eigentümern der Produktionsmittel aus der Unternehmertätigkeit und aus der Verfügung über Produktionsmittel kein besonderer Vorteil erwachsen kann, dann fehlt ihrem Handeln der Antrieb, der das Getriebe der Marktwirtschaft in Gang hält. Es ist für sie bedeutungslos, ob sie mit Gewinn oder Verlust arbeiten. Wenn sie ihr Einkommen abführen müssen, ihnen aber die Verfügung über das Kapital belassen wird, werden sie das Kapital aufzuzehren bereit sein. Die totale Steuer würde mithin einen Zustand schaffen, in dem keine Gewähr dafür gegeben ist, dass die Produktion sich den Wünschen der Verbraucher anpasst und dass sie so rationell als möglich geführt wird; sie würde einer Schichte, den Eigentümern der Produktionsmittel, die Möglichkeit geben, das Kapital aufzuzehren, und würde damit die Zukunft aller Glieder der Gesellschaft gefährden. Sie wäre ein sehr unzulängliches Mittel, den Sozialismus zu verwirklichen. Will man aber die totale Steuer nicht auf das Einkommen beschränken, will man sie auch das Vermögen fortsteuern lassen, dann ist sie keine Steuer mehr: sie ist dann gleichbedeutend mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel; ist die Besteuerung einmal durchgeführt, dann ist die Marktwirtschaft durch Sozialismus ersetzt.

[660]

Die totale Steuer kann mithin nur als ein Mittel zur Beseitigung der Marktwirtschaft und zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel angesehen werden. Vielen Sozialisten erscheint sie sogar als ein besonders geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Zieles. Man hat Pläne entwickelt, den Sozialismus durch eine totale Erbschaftssteuer oder durch vollständige Fortsteuerung der Bodenrente oder des «unverdienten», d.h. des nicht aus dem Ertrag von Arbeit fließenden Einkommens herbeizuführen. Die Prüfung der Brauchbarkeit dieser Vorschläge für die Erreichung des ihnen vorschwebenden Zwecks ist nicht unsere Aufgabe. Wir haben nur festzustellen, dass die totale Steuer über die Marktwirtschaft hinausführt, dass sie sinnvoll nur als ein Weg zur Sozialisierung betrachtet werden kann, mithin als ein Mittel zur Herbeiführung eines Gesellschaftszustandes, in dem das Sondereigentum an den Produktionsmitteln nicht mehr besteht.

III. Finanzpolitische und sozialpolitische Ziele der Besteuerung

Die Beschäftigung mit steuerpolitischen Problemen reicht in die Zeit zurück, da es noch keine Nationalökonomie gab. Man hat dann später die Ergebnisse der nationalökonomischen Forschung mit großem Eifer für die Erfassung der Wirkungen der Besteuerung zu verwenden gesucht. Man hat die Finanzwissenschaft als selbständiges Fach auszubauen getrachtet, und man hat sich bemüht, wissenschaftlich Grundsätze gerechter und zweckmäßiger Besteuerung zu finden.

Der Gang der Steuerpolitik ist jedoch in erster Linie von politischen und nicht von nationalökonomisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt worden. Die Erweiterung der Staatsaufgaben und die Entwicklung der modernen Formen der Kriegsbereitschaft haben die Staatsausgaben gewaltig ansteigen lassen. Zur Deckung dieses Bedarfs suchte man die Mittel dort zu holen, wo man sie finden konnte. Während die Gelehrten Bücher über richtige, gerechte und zweckmäßige Besteuerung schrieben, hielt sich die finanzpolitische Praxis nur an den einen Grundsatz, die Steuern dort umzulegen, wo man sie im Hinblick auf die politischen Verhältnisse umlegen durfte.

Man hat zunächst die Verbrauchsbesteuerung ausgebaut, weil sie in der Einhebung am einfachsten und bequemsten war. Als dann die Kritik, die die Verbrauchsbesteuerung als unsozial verwarf, weil sie die minderbemittelten Schichten stärker belastet als die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung, bei den [661] politischen Parteien Widerhall fand, wurde es immer schwerer, die Zustimmung der Volksvertretungen für den Ausbau der indirekten Abgaben zu finden. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wollte man in der progressiven Besteuerung der Einkommen und Vermögen das steuerpolitische Ideal erblicken. Man hat die Besteuerung des Einkommens, die Besteuerung des Ertrages von Unternehmungen, besonders von Aktiengesellschaften, die Erbschaftsbesteuerung und die Vermögensteuern so ausgebaut, dass in vielen Staaten die Kapitalbildung ernstlich behindert wurde. Man hat schließlich Steuern geschaffen, bei denen der fiskalische Zweck hinter der Absicht, die Produktion und die Verteilung zu beeinflussen, ganz zurücktreten musste. Die Steuerpolitik sollte die Entwicklung der Grossbetriebe hemmen, Unternehmungen, die sich im Wettbewerbe des Marktes nicht zu behaupten wussten, gegen die leistungsfähigeren Betriebe schützen und politisch unbeliebte Personengruppen benachteiligen. Die Durchführung der Steuergesetze, die dem Ermessen der Veranlagungsbehörden freies Spiel ließ, wurde zu einer Waffe politischer und wirtschaftspolitischer Willkür.

Die Besteuerung wurde so zu einem der wirksamsten Mittel interventionistischer Wirtschaftspolitik gestaltet. Mit ihrer Hilfe will man die Ergebnisse des Marktgetriebes korrigieren. Man will einigen nehmen, um dafür anderen geben zu können, oder um sie zumindest von der Heranziehung zur Steuerleistung verschonen zu können. Man will die Produktion, die Verteilung und den Verbrauch von den Wegen ablenken, die ihnen der unbehinderte Markt gewiesen hätte.

Die fiskalischen Ziele der Besteuerung vertragen sich schlecht mit den sozialpolitischen. Keine Steuer kann neutral sein, jede stellt im Getriebe des Marktes ein Datum dar, das die Ergebnisse des, Kräftespiels verschieben muss. Man hat mithin bei jeder steuerpolitischen Verfügung zwei Gesichtspunkte zu erwägen: die finanzpolitischen und die sozialpolitischen. Man muss sich entscheiden, ob die finanzpolitischen Vorteile der Steuer so groß sind, dass sie die sozialpolitischen Wirkungen, die sie auslöst, aufwiegen. Wenn man aber darauf ausgeht, durch die Steuer sozialpolitische Wirkungen zu erzielen, muss man den finanzpolitischen Ertrag der Steuer vernachlässigen.

Man nehme etwa die Getränkesteuern. Wenn man sie rein finanzpolitisch betrachtet, dann will man sie so umlegen, dass der Steuerertrag möglichst hoch werde. Es kann dabei nicht ohne Einschränkung des Getränkeverbrauchs abgehen, weil die durch die Steuer bewirkte Preiserhöhung den Verbrauch drosseln muss. Es gilt eben, durch Hin- und Herexperimentieren [662] tastend den Steuersatz ausfindig zu machen, bei dem der Steuerertrag den höchsten Wert ergibt. Wenn man aber der Steuer die Aufgabe zuweisen wollte, den Verbrauch alkoholischer Getränke so stark als möglich herabzumindern, dann erscheint der Steuerzweck umso besser erreicht, je höher der Steuersatz erstellt wird. Dann sinkt wohl der Verbrauch sehr stark, mit ihm aber auch der Ertrag der Steuer. Hat die Steuer ihren sozialpolitischen Zweck durch vollständige Beseitigung des Alkoholgenusses ganz erreicht, dann erfüllt sie überhaupt keinen fiskalischen Zweck mehr. Geradeso liegen die Dinge bei der Tabakbesteuerung, bei der Besteuerung von Glücksspielen und bei den Zöllen.

Bei der Besteuerung der Vermögen, gleichviel ob sie in Gestalt von direkten Vermögensabgaben, von Erbschafts- und Schenkungssteuern oder von Verkehrssteuern (z. B. Besteuerung der Errichtung von Unternehmungen, der Aufnahme und der Rückzahlung von Anleihen, des Umsatzes von Vermögensobjekten) erfolgt, ist der Gegensatz der finanzpolitischen und der sozialpolitischen Zwecke nicht minder offenkundig. Wenn die Vermögen fortgesteuert werden, dann schwindet die Grundlage künftiger Besteuerung. Die Vermögensbesteuerung erschöpft, wenn sie über ein bescheidenes Maß hinausgeht, die Quelle, aus der sie gespeist werden will. Auch hier verlangt der finanzpolitische Zweck Maßhalten, während der sozialpolitische die Steuer oft umso besser findet, je stärker sie das Vermögen fortsteuert.

Die beiden Zwecke der Besteuerung, der sozialpolitische und der finanzpolitische, lassen sich auf die Dauer nicht vereinen. Man muss zwischen ihnen wählen.

IV. Die drei Abarten der steuerpolitischen Eingriffe

Die Verfahren, die der Steuerpolitik zur sozialpolitischen Wirkung zur Verfügung stehen, können in drei Gruppen gegliedert werden:

1. Man kann durch Besteuerung die Erzeugung bestimmter Güter im allgemeinen oder ihre Erzeugung in bestimmten Erzeugungsweisen ganz unterdrücken oder beschränken. Damit wird auch der Verbrauch abgelenkt. Es ist ohne Belang, ob dieser Erfolg durch Auflegung von besonderen Steuern oder durch besondere Befreiung von allgemeinen Steuern erzielt wird. Man kann z. B. den Verbrauch von Kaffee durch eine Belastung des Kaffees einzuschränken suchen oder dadurch, dass man Ersatzgüter — etwa Feigenkaffee, Malzkaffee, Tee, Kakao, alkoholische Getränke — von der Belastung durch eine [663] allgemeine Verbrauchsabgabe oder Umsatzsteuer, die auch den Kaffee trifft, freilässt.

2. Man kann einen Teil der Vermögen und Einkommen enteignen.

3. Man kann die Vermögen und Einkommen ganz enteignen.

Das dritte Verfahren hat uns hier nicht zu beschäftigen, da es nichts anderes darstellt als ein Mittel, die Marktwirtschaft in die Planwirtschaft überzuleiten.

Das erste Verfahren ist in seinen Wirkungen von den Eingriffen nicht verschieden, die im nächsten Kapitel als produktionspolitische Eingriffe zu untersuchen sind.

Das zweite Verfahren entspricht den konfiskatorischen Eingriffen, von denen im 6. Kapitel zu handeln ist.

 


 

3. KAPITEL: DIE PRODUKTIONSPOLITISCHEN EINGRIFFE

I. Das Wesen des produktionspolitischen Eingriffs

Die produktionspolitischen Eingriffe sind Maßnahmen der Obrigkeit, die direkt und in erster Linie darauf abzielen, die Produktion (im weitesten Sinne des Wortes, so dass auch Handel und Transport mitverstanden werden) von den Wegen abzulenken, die sie in der unbehinderten Marktwirtschaft einschlagen würde. Jeder Eingriff lenkt die Produktion von den Wegen ab, die ihr der Markt weist; die Besonderheit der produktionspolitischen Eingriffe ist darin zu finden, dass sich diese Ablenkung der Produktion nicht als ungewollte, wenn auch notwendige Folge des Eingriffs ergibt, dass sie vielmehr gerade das ist, was die Obrigkeit durch den Eingriff erreichen will. Jeder Eingriff muss auch den Verbrauch von den Wegen ablenken, die er in der unbehinderten Marktwirtschaft eingeschlagen hätte. Der produktionspolitische Eingriff macht da keine Ausnahme. Doch die Ablenkung des Verbrauches ist nicht das Ziel, das ihm seine Urheber setzen. Sie wollen die Produktion beeinflussen; dass ihre Maßnahmen auch den Verbrauch umgestalten, erscheint ihnen als Nebenwirkung, die sie entweder gar nicht wünschen oder nur, weil unvermeidlich, mit in Kauf nehmen.

Im produktionspolitischen Eingriff verbietet die Obrigkeit die Erzeuung bestimmter Güter oder die Anwendung bestimmter Erzeuungserfahren, oder sie erschwert oder verteuert diese Erzeugung und diese Verfahren. Die Obrigkeit streicht aus den den Menschen zur Abstellung von Unbefriedigtsein [664] verfügbaren Mitteln einen Teil. Ihr Eingriff bewirkt, dass die Menschen in eine Lage versetzt werden, in der sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, ihre Arbeit und die ihnen zur Verfügung stehenden sachlichen Produktionsmittel nur in einer weniger ergiebigen Weise für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse gebrauchen dürfen. Er macht die Menschen ärmer.

Man mag die Sache drehen und wenden wie man will, man vermag an dieser Feststellung nichts zu ändern. Auf dem unbehinderten Markte sind Kräfte wirksam, die jedes Produktionsmittel in die Verwendung bringen, in der es für die Versorgung den höchsten Dienst zu leisten vermag. Wenn die Obrigkeit in das Getriebe eingreift, um eine andere Verwendung der Produktionsfaktoren zu erzwingen, dann kann sie die Versorgung nur verschlechtern, nicht verbessern.

Das ist für eine geschichtlich besonders wichtige Gruppe der produktionspolitischen Eingriffe durch die nationalökonomische Diskussion über die Wirkung der dem zwischenstaatlichen Güteraustausch gesetzten Hemmnisse in glänzender und unwiderlegbarer Weise nachgewiesen worden. Es ist wohl überflüssig, zu der Lehre der klassischen Nationalökonomie in dieser Hinsicht auch nur ein Wort hinzuzufügen.

II. Erfolg und Kosten des Eingriffs

Man mag der Ansicht sein, dass die Nachteile, die der produktionspolitische Eingriff durch die Verringerung der Ergiebigkeit der Erzeugung und durch die dadurch bewirkte Verschlechterung der Versorgung hervorruft, durch Vorteile auf anderem Gebiet aufgewogen werden. Die Obrigkeit kann etwa die Auffassung vertreten, dass die Erhaltung einer Gruppe von weniger leistungsfähigen Erzeugern so wichtig ist, dass die Verschlechterung der Versorgung der Verbraucher durchaus gerechtfertigt erscheint. Sie mag es für richtig halten, der Masse des Volkes das Brot zu verteuern, damit die Eigentümer von weniger fruchtbaren Grundstücken höhere Erträge erzielen. Sie mag es für ein Gebot hoher Staatsweisheit ansehen, die Anwendung bestimmter Maschinen zu untersagen, um die Betriebe. die diese Maschinen nicht besitzen, vor dem Wettbewerb der besser ausgestatteten Betriebe zu schützen. Sie mag durch das Verbot der Warenhäuser, der Filialgeschäfte und ähnlicher Betriebsformen des Handels dem Kleinhändler die Möglichkeit bieten, sich im Wettbewerb zu behaupten, obwohl dadurch die Interessen der Verbraucher geschädigt werden.

Wenn solche Maßnahmen in voller Erkenntnis ihrer Wirkungen ergriffen werden, wenn die Obrigkeit genau weiß, was [665] sie tut und welchen Erfolg sie erzielen wird, dann kann man ihr Vorgehen tadeln, wenn man ihre Ziele nicht billigt. Doch man kann das Vorgehen der Obrigkeit nicht zweckwidrig und sinnlos finden. Vom Standpunkt ihrer Ziele und Zwecke ist ihr Vorgehen zielbewusst und zweckmäßig. Sie will den Brotverbraucher belasten, um den Landwirt reicher zu machen; um das zu erreichen, hat sie im Schutzzoll oder im Einfuhrverbot für Getreide und Mehl den richtigen Weg gewählt.

Dass die Dinge in der Öffentlichkeit anders dargestellt werden, ist bekannt. Man hat es verstanden, der öffentlichen Meinung die Auffassung beizubringen, dass die Hemmnisse des zwischenstaatlichen Handels die Versorgung nicht verschlechtern, ja dass sie sie selbst verbessern. Man hat den Schutz des Handwerks gegen den Wettbewerb der Industrie, man hat den Schutz der Kleinhändler gegen den Wettbewerb der Warenhäuser und der Filialgeschäfte als Maßnahmen dargestellt, die im «allgemeinen» Interesse liegen und den Verbraucher gegen Ausbeutung schützen. Nur auf diese Weise konnte man die Zustimmung der Presse, der politischen Parteien und der Parlamente für eine Politik gewinnen, deren Um und Auf darin besteht, einzelnen Gruppen Privilegien und Sondervorteile auf Kosten der übrigen Mitglieder des Gemeinwesens einzuräumen.

III. Der Eingriff als Privileg.

Man hat die Politik der produktionspolitischen Eingriffe als Produzentenpolitik und die Politik, die den Gang des Marktgetriebes nicht behindern will, als Konsumentenpolitik bezeichnet. Es stehe der Obrigkeit nicht an, Politik im Dienste des nur die Früchte fremden Fleißes verzehrenden Konsumenten zu treiben; sie habe für den tätigen Mann, für den armen geplagten Produzenten einzutreten. Doch in der arbeitsteiligen Gesellschaft sind Produzenten und Konsumenten identisch. Es gibt keinen Konsumenten, dessen Einkommen nicht aus der Produktion fließen würde; der Konsument ist Unternehmer, Eigentümer von Produktionsmitteln oder Arbeiter oder er wird als Familienmitglied oder aus anderem Titel von Unternehmern, Eigentümern von Produktionsmitteln oder Arbeitern erhalten. Und jeder Produzent ist auch Verbraucher. Es ist unsinnig, von einer einzelnen Maßnahme oder von einer Politik zu behaupten, sie wahre die Interessen der Produzenten oder aller Produzenten gegenüber den Interessen der Verbraucher. [275]

[666]

Richtig ist allein das, dass nahezu [276] jeder produktionspolitische Eingriff einer beschränkten Gruppe von Personen Vorteil bringt, wenn er auch alle übrigen entweder schädigt oder, im günstigsten Fall, nicht berührt. Die Eingriffe können daher als Privilegien angesehen werden, als Sonder- und Vorrechte, die einzelnen Wirten auf Kosten der Übrigen verliehen werden.

Privilegien nützen dem Begünstigten und schädigen die übrigen Mitglieder des Gemeinwesens. Wenn die Privilegien nur einer beschränkten Anzahl von Personen zugute kommen, dann sind sie sinnvoll; sie nützen den Begünstigten auf Kosten der Nichtbegünstigten. Wenn aber alle gleichmäßig begünstigt werden, dann wird das Privilegienwesen sinnlos. Wenn die Schutzzölle nur einem Teil der Produzenten oder einzelnen Produzenten in verschiedenem Ausmaße zugute kommen, dann gibt es immerhin noch Privilegierte. Doch wenn alle Erzeuger gleichmäßig geschützt werden sollen, dann wird das System schlechthin unsinnig. Dann gewinnt keiner mehr, doch alle verlieren.

IV. Der produktionspolitische Eingriff als Aufwand

Man kann den einen oder den anderen produktionspolitischen Eingriff als gerechtfertigt ansehen, wenn man ihn nicht als Maßnahme der Produktions- und Versorgungspolitik, sondern als öffentlichen Aufwand ansieht. Wenn man aus Liebe zur Natur oder für wissenschaftliche Forschungszwecke ein Stück Land als Naturpark in unberührtem Zustand erhalten und es daher jeder Verwendung für Produktionszwecke entziehen will, wird man wohl auf allgemeine Zustimmung rechnen dürfen, wenn der Plan sich in einem Ausmaße hält, das die verfügbaren Mittel der öffentlichen Ausgabenwirtschaft tragbar erscheinen lassen. Man wird es dann vielleicht richtiger finden, die Last dieses Aufwandes nicht von den Eigentümern der Grundstücke tragen zu lassen, sondern sie dadurch auf alle Staatsbürger zu verteilen; dass man die Ländereien nicht enteignet, sondern ankauft. Doch das ist für unsere -Untersuchung nebensächlich. Entscheidend ist, dass man die Angelegenheit nicht vom Gesichtspunkte der Erzeugung, sondern von dem des Aufwands beurteilt.

Das allein ist nämlich die den produktionspolitischen Eingriffen angemessene Betrachtungsweise. Die produktionspolitischen [667] Eingriffe, die den Stand der Versorgung immer nur verschlechtern können, dürfen nicht als Maßnahmen der Produktionspolitik angesehen werden. Sie sind Verbrauch, doch nicht Erzeugung. Aus produktionspolitischen Eingriffen kann nie eine Wirtschaftspolitik, nie ein System der Erzeugung von Gütern und der Verbesserung des Versorgungsstandes hervorgehen. Darüber, ob es angezeigt ist., den ostelbischen Junker durch einen Getreidezoll gegen die Konkurrenz der auf besserem Boden arbeitenden kanadischen Farmer zu schützen, mag man verschiedener Auffassung sein. Doch wenn man die Frage bejaht, dann hat man nicht eine Maßnahme zur Förderung der Produktion und zur Verbesserung der Versorgung mit Brotfrüchten empfohlen, sondern eine Maßnahme zur Unterstützung der Besitzer von in Deutschland gelegenen Grundstücken auf Kosten der deutschen Getreideverbraucher. Auf einem System solcher Unterstützungsmassnahmen lässt sich nie ein Wirtschaftssystem aufbauen; solche Maßnahmen können nur aus den Mitteln, die auf anderem Wege beschafft werden, als Aufwand bestritten werden. Wenn Ludwig XIV. einem Günstling eine aus öffentlichen Mitteln dotierte Sinekure verlieh, war das nicht Wirtschaftspolitik, sondern Ausgabenpolitik. Dass die produktionspolitischen Eingriffe keine andere Beurteilung verdienen als solche fürstliche Freigebigkeit, wird durch die Technik ihrer Durchführung verschleiert. Doch das kann an ihrem Wesen nichts ändern.

Die Frage, ob solcher Aufwand berechtigt ist oder nicht, hat mit der nationalökonomischen Würdigung nichts zu tun. (Auch die Könige des ancien régime teilten ihre Gnaden nicht immer nur an Unwürdige aus.) Es gibt zweifellos Fälle, in denen produktionspolitische Maßnahmen vielen oder allen als durchaus gerechtfertigt erscheinen werden.

Doch alle produktionspolitischen Eingriffe sind Aufwand; sie schmälern den für die Versorgung mit anderen Gütern verfügbaren Vorrat von Produktionsmitteln. Es wäre daher sinnlos, der unbehinderten Marktwirtschaft die durch produktionspolitische Eingriffe regulierte Marktwirtschaft als ein besonderes System der Ordnung der menschlichen Zusammenarbeit gegenüberzustellen. Man hat die produktionspolitischen Eingriffe als eine Art des Aufbrauches, nicht als eine Art der Erzeugung von Gütern anzusehen.

Doch wenn man die produktionspolitischen Eingriffe als das betrachtet, was sie sind, und sich von den törichten Rechtfertigungsversuchen, die in ihnen «Förderung der Wohlfahrt» oder gar «Förderung der Produktion» erblicken wollen, nicht blenden lässt, dann entdeckt man, dass die Absicht, die man mit [668] diesen Eingriffen verfolgt, sich oft billiger durch unverhüllte Subventionierung aus öffentlichen Mitteln erreichen lässt. Wenn man die Unternehmer nicht hindert, die Produktion so zu gestalten, dass sie den höchsten Ertrag bringt, der mit den verfügbaren Mitteln erreicht werden kann, wird man die Ergiebigkeit der Wirtschaft nicht schmälern und wird aus dem größeren Reichtum leichter den Aufwand zur Unterstützung derer abschöpfen können, die man beschenken will.

 


 

4. KAPITEL : DIE PREISPOLITISCHEN EINGRIFFE

I. Die Alternative: Macht oder ökonomisches Gesetz

Die preispolitischen Eingriffe gehen darauf aus, die Preise von Gütern und Dienstleistungen und die Zinssätze anders festzusetzen, als der unbehinderte Markt sie bilden würde. Die Obrigkeit oder die von ihr mit der Preisregulierung ausdrücklich oder stillschweigend betraute Personengruppe setzt Preise fest, die entweder als Höchstmass oder als Mindestmass der Preise zu gelten haben, und verbietet jede Übertretung ihres Gebots. Der obrigkeitliche Gewalt- und Unterdrückungsapparat wacht über die Durchführung.

Die Absicht, die diesen Eingriffen in die Preisbildung des Marktes zugrundeliegt, ist entweder Begünstigung des Verkäufers — beim Mindestpreis — oder Begünstigung des Käufers — beim Höchstpreis. Der Mindestpreis soll es dem Verkäufer ermöglichen, für die Ware, die er absetzen will, bessere Preise zu erreichen, der Höchstpreis soll es dem Käufer ermöglichen, die Ware, die er begehrt, billiger zu erwerben. Es hängt von der politischen Lage ab, welche Gruppen die Obrigkeit gerade begünstigen will. Man hat bald Höchstpreise, bald Mindestpreise für Waren verschiedener Art festgelegt, man hat bald Höchstsätze, bald wieder Mindestsätze für Löhne und Dienstvergütungen jeder Art verfügt. Nur für den Darlehenszins hat man stets nur Höchstsätze, nie Mindestsätze bestimmen wollen; die politische Lage hat es immer so gefügt.

Die Geschichte der Lehre von den Preis-, Lohn- und Zinssatzungen ist die Geschichte der Entstehung der nationalökonomischen Wissenschaft. Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch haben die Obrigkeiten immer wieder den Versuch unternommen, die Preisbildung des Marktes durch den Einsatz ihres Gewaltapparates zu beeinflussen. Sie haben die strengsten Strafen [669] über die verhängt, die ihren Befehlen den Gehorsam versagten. Ungezählte Menschenopfer sind in diesem Kampfe gebracht worden. Auf keinem Gebiete hat sich der Eifer der Büttel und Schergen stärker betätigt als auf diesem, und nirgends konnte die Verfolgungswut der Obrigkeiten auf enthusiastischere Unterstützung durch die Massen rechnen. Dennoch sind alle diese Versuche fehlgeschlagen. Die Erklärung, die das philosophische, theologische, politische und historische Schrifttum für dieses Versagen gab, deckte sich ganz mit der Auffassung der Obrigkeiten und der breiten Volksschichten. Die Menschen wären eben von Natur aus selbstsüchtig und böse, und die Obrigkeit sei zu schwach oder zu milde gewesen. Was nottue, sei eine harte und rücksichtslose Obrigkeit.

Die Erkenntnis des wahren Sachverhalts begann auf einem engen Teilgebiete zu dämmern. Unter den Preissatzungen spielten eine besondere Rolle die Bemühungen der Obrigkeiten, Münzen von geringerem Gehalt solchen mit höherem Gehalt gleichzustellen und zwischen den Edelmetallen Gold und Silber und dann später auch zwischen dem metallischen Sachgeld und dem Kreditgeld ein festes Austauschverhältnis zu schaffen. In der Untersuchung der Gründe, die alle diese Versuche scheitern ließen, gelangte man frühzeitig zu jener Einsicht, die in dem nach Sir Thomas Gresham benannten Greshamschen Gesetz formuliert wurde. Es war noch ein weiter Weg zu durchmessen, bis die englischen und schottischen Denker des 18. Jahrhunderts die große Entdeckung machten, dass der Markt einer Gesetzlichkeit folge, die alle Markterscheinungen in einer notwendigen Verbundenheit umfasst.

Die Entdeckung der Gesetzmäßigkeit im Ablauf der katallaktischen Vorgänge ist eine der Grosstaten der Geistesgeschichte. Sie legte den Grundstein zur Ausbildung des Gedankenbaus der liberalen Gesellschaftspolitik, sie schuf den Liberalismus und damit die moderne Kultur- und Wirtschaftsentwicklung, sie ermöglichte das, was man als die technischen Errungenschaften unseres Zeitalters bezeichnet. Für uns ist sie von Bedeutung als der Ausgangspunkt systematischer praxeologischer Wissenschaft, der Nationalökonomie.

Für die vorwissenschaftliche Auffassung gibt es im menschlichen Handeln ein Gut und ein Böse, ein Gerecht und ein Ungerecht. Das Handeln der Menschen kann an ehernen Geboten einer heteronomen Moral gemessen und gewertet werden. Es ist frei in dem Sinne, dass in ihm keine eigene Notwendigkeit waltet. Der Mensch soll sittlich handeln; wenn er anders handelt, dann mag ihn Gott im Jenseits oder auch schon im Diesseits strafen. Eine andere als diese Reaktion ruft Handeln nicht [670] hervor. Dem Wirken der Obrigkeit ist mithin auf Erden keine Grenze gezogen, solange sie nicht einer stärkeren Gewalt begegnet. Die souveräne Obrigkeit ist in ihrem Handeln frei, sofern sie nicht den räumlichen Bereich überschreitet, in dem sie souverän ist. Sie kann alles erreichen, was sie erreichen will. Es gibt Naturgesetze, die sie nicht ändern kann; doch in der Sphäre des Gesellschaftlichen sind ihrem Handeln keine Schranken gesetzt.

Die Nationalökonomie beginnt mit der Erkenntnis, dass der Souveränität der Gewalthaber noch eine andere Grenze gezogen ist. Sie blickt über den Staat und seinen Zwangsapparat hinaus und entdeckt die menschliche Gesellschaft als Gebilde menschlicher Kooperation. Sie entdeckt, dass diesem Gebilde eine Gesetzlichkeit innewohnt, die die Staatsgewalt nicht zu durchbrechen vermag. Sie erkennt, dass das Getriebe des Marktes die Preise gestaltet und dass der Markt durch die Preisgestaltung die gesellschaftliche Kooperation steuert. Die Preise erscheinen nun nicht mehr als das Ergebnis willkürlichen Verhaltens der Marktparteien, nicht mehr als abhängig von der größeren oder geringeren Gerechtigkeit der Marktparteien, sondern als notwendiges und eindeutiges Ergebnis des Spiels der auf dem Markte wirkenden Kräfte. Einem bestimmten Stande der Daten erscheint eine bestimmte Gestaltung der Preise zugeordnet. Es ist nicht möglich, diese Preise — die «natürlichen» Preise — zu ändern, wenn keine Datenverschiebung vorausgegangen ist. Jede Abweichung vom natürlichen Preise löst Kräfte aus, die den Preis wieder auf den natürlichen Stand zurückführen.

Mit dieser Auffassung ist die Vorstellung, dass die Obrigkeit durch Befehle, Verbote und Strafen die Preisgestaltung einfach so lenken könne, wie es ihr beliebt, nicht vereinbar. Wenn die Preise wechselseitig bedingt sind, wenn sie ein Element in dem Getriebe darstellen, das die gesellschaftliche Kooperation bewirkt und das Handeln der einzelnen Wirte der Versorgung aller Glieder der Gesellschaft dienstbar macht, dann kann eine willkürliche, d.i. nicht durch Verschiebung der Daten hervorgerufene Änderung der Preise nicht ohne Folgen auf den Gang der wirtschaftlichen Kooperation bleiben. Dass die Obrigkeit, wenn sie stark und hart ist, Preissatzungen erlassen und sich an den Ungehorsamen grausam rächen kann, ist nicht zu bestreiten. Doch es wird ihr nicht gelingen, mit der Preissatzung die Absichten zu verwirklichen, die sie im Äuge hat. Ihr Eingriff ist auf dem Markte ein Datum, das sich marktmäßig auswirkt. Ob diese Wirkungen der Obrigkeit gefallen, ob sie nicht eher einen Zustand schaffen, der sie noch [671] weniger befriedigt als der, den sie vorgefunden hat, ist höchst zweifelhaft. Sicher ist, dass das, was sie durch den Eingriff anstrebt, auf diesem Wege nicht erreicht werden kann. Der Eingriff ist mithin, vom Standpunkte der ihn setzenden Obrigkeit gesehen, nicht nur nutzlos und unzweckmäßig, sondern auch zweckwidrig, schädlich und daher unsinnig.

Wenn man die Schlüssigkeit dieser Folgerungen bestreiten will, dann bestreitet man die Möglichkeit nationalökonomischer Erkenntnis überhaupt, dann spricht man der Nationalökonomie die Existenzberechtigung ab. Dann ist alles das, was über nationalökonomische Dinge geschrieben wurde, sinnlos. Denn wenn die Preise durch die Obrigkeit festgesetzt werden können, ohne dass der Eingriff der Obrigkeit eine Reaktion des Marktes auslöst, die der Absicht der Obrigkeit zuwiderläuft, dann ist es ein vergebliches Bemühen, ihre Bildung aus den Marktfaktoren heraus zu erklären. Der Sinn solcher Erklärung liegt doch in der Annahme, dass der jeweiligen Lage des Marktes eine bestimmte Preisbildung entspricht und dass auf dem Markte Kräfte wirksam sind, diesen — «natürlichen» — Stand der Preise wiederherzustellen, wenn er gestört wurde. Die Vertreter der historischen Schule denken in ihrer Verteidigung der preispolitischen Eingriffe folgerichtig. Denn in ihren Augen gibt es keine nationalökonomische Theorie, sie kennen nur Staats- und Polizeiwissenschaft, eine Zusammenstellung der behördlichen Verfügungen und Maßnahmen. Widerspruchsvoll ist dagegen die Auffassung derer, die einerseits die Probleme des Marktes katallaktisch untersuchen, anderseits aber doch die Zweckwidrigkeit preispolitischer Eingriffe nicht zugeben wollen.

Die Alternative lautet: Macht [277] oder ökonomisches Gesetz. Die Preise werden entweder durch die Willkür der Marktparteien bestimmt und können dann durch die Befehle der den Gewalt- und Zwangsapparat handhabenden Obrigkeit so gelenkt werden, wie es die Obrigkeit will, oder aber die Preise werden durch die Marktfaktoren, die man unter den Bezeichnungen Angebot und Nachfrage zusammenzufassen pflegt, bestimmt, und der Eingriff der Obrigkeit wirkt sich auf dem Markte als Datum aus. Eine Vermittlung zwischen den beiden Auffassungen kann es nicht geben.

[672]

II. Die Reaktion des Marktes auf preispolitische Eingriffe

Der preispolitische Eingriff legt das Getriebe des Marktes still, er zerstört den Markt. Er nimmt damit der Marktwirtschaft die Steuerung und macht sie sinnlos.

Der Preisstand des Marktes ist dadurch ausgezeichnet, dass er Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht hält. Nachfrage und Angebot decken sich nicht etwa nur im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft. Der einfache Ruhezustand der elementaren Preislehre entspricht vollkommen dem, was täglich und stündlich auf dem Markte eintritt. Wenn die Obrigkeit den Preis anders festlegen will als der Markt, dann kann sich dieses Gleichgewicht nicht einstellen. Dann gibt es — beim Höchstpreis Kauflustige, die nicht zum Zuge kommen, obwohl sie bereit sind, den von der Behörde festgesetzten Preis oder auch mehr zu zahlen. Dann gibt es beim Mindestpreis — Verkauflustige, die keinen Käufer finden, obwohl sie bereit wären, zu dem von der Obrigkeit. bestimmten oder zu einem niedrigeren Preise zu verkaufen. Der Preis kann nicht mehr die Verkauflustigen und Kauflustigen, die noch zum Zuge kommen, von denen sondern, die nicht mehr zum Zuge kommen. Ein anderes Ausleseprinzip muss nun Geltung finden. Es mögen die zum Zuge kommen, die zuerst am Platze waren, oder die, denen irgendwelche besondere Umstände (etwa persönliche Beziehungen) eine Vorzugsstellung einräumen. Es kann auch sein, dass die Obrigkeit die Verteilung selbst in die Hand nimmt. Jedenfalls ist der Markt nicht mehr imstande, die Aufteilung der verfügbaren Güterbestände auf den Verbrauch zu besorgen. Sollen nicht chaotische Zustände einreißen, soll nicht der Zufall oder die Faust über die Aufteilung entscheiden, dann muss die Obrigkeit durch Rationierung diese Aufgabe übernehmen.

Doch der Markt ist nicht bloß mit der Aufteilung eines gegebenen Vorrats von genussreifen Gütern auf die Nachfrage befasst. Seine vornehmste Aufgabe ist die Steuerung der Produktion. Er leitet die Produktionsmittel in jene Verwendung, in der sie dem dringendsten Bedarf dienen. Wenn nun die Preissatzung, die den Preis unter dem ideellen Marktpreis festlegen will, die Preise einzelner Güter erster Ordnung allein erfasst, ohne zugleich die Preise der komplementären Produktionsmittel entsprechend festzulegen, dann werden die nicht absolut spezifischen Produktionsmittel in größerem Ausmaß zur Erzeugung der von der Preissatzung nicht betroffenen Konsumgüter herangezogen werden. Die Produktion wird damit von den Gütern, die von der Preissatzung erfasst wurden, auf andere — vom Standpunkt der Verbraucher weniger wichtige — [673] Güter abgelenkt. Wenn es die Absicht der den Höchstpreis begrenzenden Obrigkeit war, den Verbrauchern die Beschaffung des von der Preissatzung betroffenen Gutes zu erleichtern, dann hat ihre Maßnahme versagt. Seine Produktion wird entweder eingeschränkt werden oder ganz aufhören. Auch die gleichzeitige Preisbindung der komplementären Güter kann da keine Abhilfe schaffen, es sei denn, dass alle komplementären Güter absolut spezifischen Charakter haben, so dass sie nur zur Erzeugung dieses einen Gutes verwendet werden können. Da zumindest der Arbeit dieser Charakter nicht zukommt, kann dieser Fall außer Betracht bleiben. Wenn die Obrigkeit es nicht ruhig hinnehmen will, dass das Ergebnis ihrer Maßnahme zur Verbilligung eines Gutes das ist, dass das Anbot dieses Gutes sinkt oder ganz aufhört, kann sie sich nicht mit Eingriffen begnügen, die allein die Preise aller zu seiner Herstellung erforderlichen Güter und -Dienstleistungen betreffen. Sie muss verhindern, dass Kapital, Arbeit und Unternehmungslust sich von diesem Produktionszweig abwenden, sie muss die Preise aller Güter und Dienstleistungen und die Höhe des Zinsfusses festlegen und muss verfügen, was und wie erzeugt und zu welchen Preisen und an wen verkauft werden soll.

Der isolierte preispolitische Eingriff in das Getriebe der Marktwirtschaft verfehlt den Zweck, den seine Urheber durch ihn erreichen wollen; er ist — im Sinne seiner Urheber — nicht nur zwecklos, sondern zweckwidrig, weil er das «Übel», das durch ihn bekämpft werden soll, noch steigert. Ehe die Preistaxe erlassen wurde, war die Ware — nach der Meinung der Obrigkeit — zu teuer; nun verschwindet sie vom Markte. Das aber hat die Obrigkeit, die die Ware dem Verbraucher billiger zugänglich machen wollte, nicht beabsichtigt. Im Gegenteil, von ihrem Standpunkt muss der Mangel, die Unmöglichkeit, die Ware zu beschaffen, als das größere Übel erscheinen; sie wollte doch die Versorgung des Verbrauches verbessern, nicht verschlechtern. Man kann somit von dem isolierten preispolitischen Eingriff sagen, dass er zweckwidrig ist, und von einem System der Wirtschaftspolitik, das mit solchen Eingriffen arbeiten will, dass es widerspruchsvoll und unsinnig ist.

Will die Obrigkeit die Dinge nicht dadurch wieder ins Geleise bringen, dass sie von ihrem isolierten Eingriff absteht, indem sie die Preistaxen wieder beseitigt, dann muss sie dem ersten Schritt weitere folgen lassen. Zum Befehl, keinen höheren Preis als den vorgeschriebenen zu fordern, müssen weitere Befehle hinzugefügt werden: der Befehl, die vorhandenen Vorräte zu verkaufen, und Weisungen, an wen und in welchen Mengen verkauft werden darf; Preistaxen für die komplementären [674] Güter, [278] Lohntarife und Arbeitszwang für die Arbeiter, Zinstaxen, schließlich Produktionszwang und Weisungen über die Wahl der Anlagemöglichkeiten für die Eigentümer der Produktionsmittel, für die Kapitalisten. Diese Vorschriften dürfen nicht auf einen oder einige wenige Produktionszweige beschränkt bleiben, sie müssen alle Zweige der Produktion umfassen. Sie müssen die Preise aller Güter und jeglichen Arbeitslohn, das Handeln aller Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer und Arbeiter regeln. Damit aber wird die Leitung der ganzen Produktion und Verteilung an die Obrigkeit übertragen. Aus der Marktwirtschaft ist sozialistische Gemeinwirtschaft geworden.

Es gibt nur zwei Gebiete, auf denen preispolitische Eingriffe in einem genau abgesteckten Spielraum zweckmäßig verwendet werden können.

Die Preistaxe führt zur Einschränkung der Erzeugung, weil sie es den Grenzproduzenten nicht länger erlaubt, ohne Verlust zu arbeiten. Die nicht spezifischen Produktionsmittel werden anderen Produktionszweigen zugeführt. Die absolut spezifischen Produktionsmittel, die unter dem Marktpreis so weit zur Produktion herangezogen wurden, als es die Möglichkeit der anderweitigen Verwendung der komplementären nichtspezifischen Produktionsmittel angezeigt erscheinen ließ, werden nun in geringerem Masse zur Produktion verwendet; ein Teil davon bleibt unbenutzt liegen. Wenn aber die Menge der absolut spezifischen Produktionsmittel so knapp ist, dass sie unter der Herrschaft des Marktpreises der Produkte ganz ausgenützt werden, gibt es einen Spielraum für behördliche Eingriffe zur Senkung des Preises. Die Preisbegrenzung führt nicht zur Einschränkung der Produktion, solange sie die absolute Rente des Grenzproduzenten nicht ganz zum Verschwinden gebracht hat. Ein Eingriff, der diese Grenze nicht überschreitet, vermindert nicht das Angebot. Doch da er die Nachfrage erhöht, lässt er eine Unstimmigkeit zwischen Nachfrage und Angebot entstehen, die zum Chaos führen muss, wenn die Obrigkeit nicht selbst die Verfügung über die Zuweisung des Produkts an die Kauflustigen in die Hand nimmt.

Die Obrigkeit mag etwa für im Zentrum von städtischen [675] Ansiedlungen gelegene Wohn- oder Geschäftsräume Höchstmietpreise festsetzen. Wenn sie darin nicht so weit geht, dass den Eigentümern der Grundstücke deren landwirtschaftliche Verwertung vorteilhafter erscheint, wird sie das Angebot auf dem Wohnungs- und Geschäftsraummarkte nicht vermindern. [279] Doch die Nachfrage zu den von der Obrigkeit festgelegten Preisen übersteigt den verfügbaren Mietraum. Wie die Obrigkeit den beschränkten Raum auf die, die bereit sind, den obrigkeitlich festgelegten Mietzins zu zahlen, aufteilt, ist belanglos. Bei jeder Art der Aufteilung ist das Ergebnis, dass ein Ertrag den Grundeigentümern genommen und den Mietern gegeben wurde. Die Obrigkeit hat einige Wirte verkürzt, andere bereichert.

Der zweite Fall ist der der Monopolpreise. Die Preistaxe kann Monopolpreisen gegenüber Erfolg haben, wenn sie den Preis nicht unter den Stand herabdrücken will, den der Wettbewerbspreis auf dem unbehinderten Markte einnehmen würde. Eine Weltobrigkeit könnte gegenüber Monopolpreisen, die von einem Weltkartell der Quecksilberproduzenten verlangt werden, Preistaxen zweckmäßig durchsetzen, die den Quecksilberpreis his zu dem Stande herabdrücken, den er bei Wettbewerb mehrerer Erzeuger einnehmen würde. Natürlich gilt dasselbe auch von den institutionell bedingten Monopolen. Wenn ein Eingriff der Obrigkeit die Voraussetzungen für die Bildung von Monopolpreisen geschaffen hat, dann kann er durch eine Gegenmaßnahme diese Voraussetzung auch wieder beseitigen. Wenn einem Erfinder durch die Verleihung eines Patents die Möglichkeit, Monopolpreise zu erlangen, gegeben wurde, dann kann die Obrigkeit das Privileg, das sie verliehen hat, auch in der Weise wieder entziehen, dass sie für den patentierten Artikel Preise festlegt, die sonst nur bei Wettbewerb möglich wären. So konnte zur Zeit der Zünfte, die Monopolpreise anstrebten, die Preistaxe wirksam werden; so kann sie heute gegenüber Kartellen, deren Bildung der Schutzzoll ermöglicht, wirksam werden.

Obrigkeiten lieben es, den Erfolg ihrer Handlungen optimistisch zu beurteilen. Wenn die Preissatzung das Ergebnis hat, dass nun Ware schlechterer Art an Stelle von Ware besserer Art gesetzt wird, ist die Obrigkeit gern bereit, den Unterschied in der Beschaffenheit der Ware nicht zu beachten und sich dem Wahne hinzugeben, ihr Einschreiten habe den gewünschten Erfolg erzielt. Mitunter mag sich auch vorübergehend ein kleiner, wenn auch teuer erkaufter Erfolg einstellen. Es mögen die Erzeuger der durch die Preissatzung betroffenen Ware es [676] vorziehen, eine Zeit hindurch Verluste zu tragen, als andere Gefahren zu laufen; sie fürchten etwa, dass ihre Betriebe durch die aufgewiegelte Menge geplündert werden, ohne dass die Obrigkeit zu ihrem Schutze einschreitet. In solchen Fällen führt die preispolitische Maßnahme zu Kapitalaufzehrung und damit weiter zu Verschlechterung der Versorgung.

Den praktisch bedeutsamsten Fall preispolitischer Eingriffe stellen heute die gewerkschaftlichen Mindestlöhne dar. In manchen Staaten wurden Mindestlöhne unmittelbar durch Maßnahmen der Obrigkeit festgelegt. Die Obrigkeiten anderer Staaten greifen nur mittelbar in die Lohngestaltung ein, indem sie es dulden, dass die Gewerkschaften und die von ihnen geleiteten Arbeitnehmer Gewalt gegen die Unternehmungen und gegen die Arbeitswilligen anwenden, die gegen ihre Lohntarife verstoßen. Die Lohntaxe bewirkt ständige Arbeitslosigkeit eines sehr beträchtlichen Teiles der Arbeiterschaft, und da pflegt die Obrigkeit wieder durch die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung einzugreifen.

Die Erörterungen der jüngsten Jahre über die Ursachen der als Dauerund Massenerscheinung auftretenden Arbeitslosigkeit bilden ein unerfreuliches Kapitel in der Geschichte der Nationalökonomie. Man hat sich nicht gescheut, die alte Legende der Maschinenstürmer als Lehre von der «technologischen Arbeitslosigkeit» vorzutragen, und man hat allen Ernstes die Forderung vertreten, man möge allen technischen Fortschritt überhaupt verbieten oder es zumindest der Obrigkeit anheimstellen, ob man ihn dulden soll oder nicht.

Besonderen Beifall hat die «Kaufkrafttheorie» gefunden. Die Löhne müssen hochgehalten werden, d.h. auf einem höheren Stand als jenem, der sich auf dem unbehinderten Markte bilden würde, damit die Produkte Käufer finden. Sinkt der Lohn auf den der Marktlage entsprechenden Stand und fällt damit die Kaufkraft jener Arbeiter, die nicht von der Arbeitslosigkeit betroffen waren, dann werden neue Absatzschwierigkeiten entstehen, die die Arbeitslosigkeit verschärfen. Manche wollen dabei zugeben, dass durch die Einstellung der Arbeitslosen die Summe des Einkommens und der Kaufkraft aller Arbeiter zusammengenommen unverändert bleiben oder selbst steigen könne, wenn der Marktlohn die Höhe der Arbeitslosenunterstützung entsprechend übersteigt. Doch da dann — durch die früher Arbeitslosen — auch mehr erzeugt werden wird, könne es nichtsdestoweniger zu Absatzstockung und damit wieder zu Arbeitslosigkeit kommen.

Der Fehler dieser Gedankengänge ist offenkundig; es ist der Irrtum, der allen Unterkonsumtionstheorien zugrundeliegt. [677] Das Gesamteinkommen und die Gesamtausgaben — für konsumtive und produktive Zwecke zusammengenommen — decken sich immer. Auch die naivste und unhaltbarste Ausbeutungstheorie kann niemals zu einer Erklärung der Absatzstockung gelangen. Die Ausbeuter müssen ihren «Mehrwert», ihren «Ausbeutungsgewinn», irgendwie verwenden. Sie können ihn nicht aus der Welt schaffen. Sie können entweder verzehren oder kapitalisieren; in jedem der beiden Fälle werden sie Käufer auf dem Markte.

Eine andere Spielart der Kaufkraftlegende meint, man könnte durch Eingriffe in die Lohngestaltung das «arbeitslose» Einkommen der Unternehmer und Eigentümer zum Verschwinden bringen, wenn man die Unternehmer zwingt, alle Arbeiter zu beschäftigen und zu den Tarifsätzen zu entlohnen, und wenn zugleich die Preise der Produkte durch Preissatzung begrenzt werden. Dass das möglich ist, ist freilich nicht zu bestreiten. Doch eine andere Frage ist es, ob die Obrigkeit damit das erreichen kann, was sie anstrebt. Wenn man den Unternehmern und den Eigentümern der Produktionsmittel das Einkommen, das sie aus der Unternehmungstätigkeit und der Anlage ihres Kapitals in der Produktion beziehen könnten, nimmt, ihnen aber dabei die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel belässt, dann werden sie das Kapital aufzehren. Will die Obrigkeit das hintanhalten, dann bleibt ihr wieder nichts anderes übrig als entweder von ihren Eingriffen abzustehen oder durch Enteignung der Eigentümer die Marktwirtschaft in sozialistische Gemeinwirtschaft überzuleiten.

Die preispolitischen Eingriffe sind somit, von den beiden erwähnten Ausnahmefällen abgesehen, nicht geeignet, der Obrigkeit die Möglichkeit zu geben, die Marktwirtschaft in die Wege zu leiten, die sie ihr weisen will. Das Marktgetriebe erweist sich stärker als die Gewalt der Obrigkeit. Es lässt der Obrigkeit keine andere Wahl als die: entweder das Gesetz des Marktes hinzunehmen, wie es ist, oder den Versuch zu machen, den Markt und die Marktwirtschaft durch eine marktfreie Wirtschaft zu ersetzen.

Einige Worte über die Ursachen des Unterganges der antiken Kultur

Die Einsicht in das Wesen und die Wirkungen der preispolitischen Eingriffe erschließt das Verständnis für die ökonomischen Ursachen eines großen geschichtlichen Vorganges, des Unterganges der antiken Kultur.

Man mag verschiedener Meinung darüber sein, ob es berechtigt ist, von antikem Kapitalismus zu sprechen. Unbestritten ist aber, dass das römische Imperium im Jahrhundert der Antonine, der «guten» Kaiser, eine hohe Stufeder Entwicklung der Arbeitsteilung und des Handels erreicht hatte. Einige Großstädte, eine beträchtliche Anzahl von Mittelstädten und zahlreiche kleine Städte waren der Sitz einer verfeinerten Kultur geworden. Die Bevölkerung dieser Zentren deckte ihren Bedarf an Lebensmitteln und Rohstoffen durch die Zufuhr vom Lande, wo Groß- und Mittelbetriebe Überschüsse eigener Erzeugung abgaben, um dafür gewerbliche Erzeugnisse einzutauschen. Die Auflösung dieser Wirtschaftsverfassung, nicht das Eindringen der Barbaren ließ das römische Imperium und mit ihm die antike Kultur zerfallen. Die Angriffe von Außen nützten nur eine Gelegenheit aus, die die innere Schwäche des Reiches bot. Militärisch waren die einfallenden Heere im vierten und fünften Jahrhundert nicht gefährlicher als die, denen die Römer in früheren Jahrhunderten mit Erfolg entgegengetreten waren. Doch die Eindringlinge hatten es nicht mehr mit dem alten Reich zu tun. Sie stießen gegen eine Welt vor, die in ihrer wirtschaftlichen Struktur schon mittelalterlich war.

Die Freiheit, die das römische Reich dem Handel gewährte, war nie vollkommen gewesen und war in Bezug auf den Handel mit Getreide und einigen anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs noch stärker beschränkt gewesen als im Verkehr mit den übrigen Kaufgütern. Die Überschreitung der herkömmlichen Preissätze galt im Handel mit Getreide als besonders sittenwidrig und wurde durch die städtischen Marktbehörden hintangehalten. So vermochte sich ein leistungsfähiger privater Getreidehandel kaum zu entwickeln. Die Verstaatlichung der Getreideversorgung, die die Politik der annona darstellte, suchte die Lücke auszufüllen, die der Staat durch die Unterbindung des Getreidemarktes geschaffen hatte. Sie tat ihren Dienst recht schlecht. Die Getreideversorgung blieb im Römerreich immer ein schwieriges Problem. In den Städten herrschte Getreideknappheit, und die Getreideerzeuger klagten über die Unrentabilität ihrer Betriebe. [280] Die Anpassung der Erzeugung an den Bedarf wurde durch die Preispolitik der Obrigkeit verhindert.

Die Katastrophe setzte mit den Münzverschlechterungen ein, die in den politischen Wirren des dritten und vierten Jahrhunderts zum regelmäßigen Auskunftsmittel der geldbedürftigen Kaiser wurden. Bei dem System der obrigkeitlich vorgeschriebenen Preissatzungen musste die Geldentwertung zur Lahmlegung des Verkehrs und damit zur Sprengung der Wirtschaftsverfassung führen. Je schärfer die Behörden durchzugreifen suchten, je strenger sie über die Einhaltung der von ihnen festgelegten Höchstpreissätze wachten, desto trostloser wurde die Lage der auf den Kauf von Lebensmitteln angewiesenen städtischen Bevölkerung. Der Handel mit Getreide und anderen wichtigen Bedarfsgegenständen hörte vollkommen auf. Um nicht zu verhungern, verließen die Leute die Städte und trachteten darnach, sich auf dem Lande anzusiedeln und selbst ihren Bedarf an Getreide, Öl, Wein und anderen Agrarprodukten zu decken. Gleichzeitig schritten die Großgrundbesitzer einerseits an die Auflösung der Großbetriebe, anderseits an die Ausgestaltung der gewerblichen Produktion im Anschluss an ihre Meierhöfe. Denn der Grossbetrieb im Getreidebau hatte mit dem Verlust der Absatzmöglichkeiten vollends seine Berechtigung verloren; der Grundbesitzer, der in der Stadt nicht mehr verkaufte, konnte beim städtischen Gewerbe auch nicht einkaufen und musste trachten, in [679] bescheidener Eigenerzeugung dafür Ersatz zu finden. Er konnte nicht daran denken, die unrentable Sklavenarbeit durch freie Arbeit zu ersetzen, weil für den Großbetrieb überhaupt kein Raum mehr gelassen wurde. Die Sklaven und die aus den Städten flüchtenden Freien wurden zu Kolonen, die auf ihren Höfen möglichst autark zu leben suchten. Gewerbe und Handel schrumpften ein.

Die Kaiser suchten vergebens diesem Auflösungsprozess durch Zwangsmassnahmen Einhalt zu tun. Vergebens erließen sie Gesetze gegen den Städter, der «relicta civitate rus habitare maluerit». [281] Die Zwangswirtschaft, mit der sie dem Übel zu begegnen suchten, versagte. Die Liturgien beschleunigten nur die Rückbildung der Arbeitsteilung. Die Gesetze über die Pflichten der Reeder, der navicularii , konnten den Verfall des Seeverkehrs ebensowenig aufhalten wie die Gesetze über die Getreidewirtschaft den Zusammenbruch der städtischen Getreideversorgung.

Die antike Kultur ist daran zugrunde gegangen, dass sie es nicht vermocht hat, Sittenkodex und Rechtssystem den Erfordernissen der auf dem Marktverkehr beruhenden Wirtschaftsverfassung anzupassen. Eine Gesellschaftsordnung muss untergehen, wenn die Handlungen, die ihren regelmäßigen Ablauf bilden, von den geltenden Moralauffassungen als unsittlich verworfen, von der Rechtsordnung als rechtswidrig erklärt und von den Behörden und Gerichten als Verbrechen verfolgt werden. Das römische Reich versank, weil ihm der Geist des Liberalismus fehlte. Das Führerprinzip in der politischen Verfassung, der Interventionismus in der Wirtschaftsverfassung haben auch hier auflösend gewirkt, wie sie immer und überall auflösend wirken müssen.

 


 

5. KAPITEL: DIE WÄHRUNGS- UND BANKPOLITISCHEN EINGRIFFE

I. Interventionistische Währungspolitik

Tauschmittel und Geld gehen aus dem Marktverkehr hervor; sie werden durch die Übung der am Marktverkehr teilnehmenden Wirte geschaffen. Die Obrigkeit hat sich mit ihnen nicht anders zu befassen als mit allen anderen Objekten des Austausches: wenn zu entscheiden ist, ob die Nichterfüllung der in einem Tauschgeschäft übernommenen Verpflichtung seitens einer beteiligten Partei die Anwendung der obrigkeitlichen Zwangsgewalt zum Schutze des Eigentums rechtfertigt. Wenn beide Teile im Tausch die ihnen obliegende Verpflichtung sofort erfüllen und Leistung und Gegenleistung Zug um Zug erfolgen, entsteht in der Regel kein Anlass für die Betätigung der richterlichen Gewalt. Wenn aber Leistung und Gegenleistung [680] zeitlich getrennt sind, ist es möglich, dass der eine Teil vertragswidrig die Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtung verweigert. Die Gerichte haben dann zu entscheiden, worin die vertragsmäßig übernommene Verpflichtung des im Erfüllungsverzuge befindlichen Vertragsteiles besteht. Handelt es sich um die Verpflichtung zu Geldleistungen, dann haben sie zu entscheiden, was als Geld anzusehen ist.

Man hat zur politischen und moralischen Rechtfertigung der währungspolitischen Eingriffe die Lehre aufgestellt, dass die Obrigkeit das Geld schaffe und dass das Geld «ein Geschöpf der Rechtsordnung» sei. Das Geld wird jedoch vom Marktverkehr geschaffen und nicht von der Obrigkeit. Die Gepflogenheit der auf dem Markte tauschenden Wirte macht ein wirtschaftliches Gut zum Tauschmittel und zum Geldgut. Wenn der Richter feststellt, was die Parteien im -Auge hatten, wenn sie eine Geldleistung vereinbart haben, geht er grundsätzlich nicht anders vor, als wenn er feststellt, was sie gemeint haben, wenn sie die Lieferung einer Milchkuh vereinbart haben.

Man hat die Souveränität des Staates auf dem Gebiete des Geldwesens aus dem Umstande herleiten wollen, dass die Obrigkeiten sich seit altersher mit der technischen Herstellung der Geldstücke befassen. Doch diese Staatstätigkeit hatte ursprünglich keinen andern Charakter als die behördliche Aichung der Maße und Gewichte. Der Stempel des Staates bestätigte Feingehalt und Gewicht des Metallstückes, dem er aufgeprägt wurde. Als die Obrigkeiten anfingen, das Münzrecht fiskalisch auszunützen, indem sie die Münzen mit geringerem Gehalt ausbrachten, als die Marktparteien zu erwarten berechtigt waren, taten sie es heimlich. Sobald der Markt hinter die Schliche kam, bewertete er die neue Münze, ihrem geringeren Metallgehalte entsprechend, niedriger als die alte von besserem Schrot und Korn. Als die Obrigkeit, um dieser unterschiedlichen Behandlung entgegenzutreten, zu Preissatzungen griff und dabei das minderhaltige Geld dem höherhaltigen gleichsetzte, erlitt sie einen Misserfolg wie mit allen preispolitischen Eingriffen. Die Anpassung der Preise an die neue Gestaltung des Geldwertes ließ sich nicht verhindern, und das neue «schlechte» Geld verdrängte das alte «gute» Geld aus dem Verkehr.

Die Geschichte der obrigkeitlichen Betätigung auf dem Gebiete des Geldwesens ist jedoch nicht nur eine Geschichte missglückter preispolitischer Eingriffe zur Sicherung heimlicher fiskalischer Ausnützung des ausschließlichen Prägerechts, das die Obrigkeiten sich beigelegt hatten. Es hat Regierungen gegeben, die die Tätigkeit der Münzstätten und die Gesetzgebung über Geld nur in den Dienst der Aufrechterhaltung [681] ungehinderten Marktverkehrs stellen wollten. Auch diese Regierungen haben oft aus Unkenntnis und nationalökonomischem Dilettantismus — Maßnahmen ergriffen, die sich objektiv als preispolitische Eingriffe darstellten, wenn sie auch nicht als solche gedacht waren. Da die Regierungen zwei Edelmetalle im Gelddienst vorfanden, glaubten sie, es sei ihre Aufgabe, die beiden in ein festes Austauschverhältnis zu bringen, um ein einheitliches Geldsystem aufzurichten. Die Versuche, eine Doppelwährung zu schaffen, wurden immer wieder erneuert und schlugen immer wieder fehl; aus der Doppelwährung wurde die Alternativwährung. Schließlich ließen die Regierungen von ihren fruchtlosen Bemühungen ab und gaben sich mit der einfachen Währung zufrieden.

Die moderne Währungsgeschichte hat aber auch von zweckmäßig angelegten obrigkeitlichen Maßnahmen zu berichten, die von keiner anderen Absicht getragen waren als von der, dem Markte ein brauchbares Geldwesen einzurichten. Die liberale Politik des 19. Jahrhunderts fand das Münzwesen als staatliches Regal vor und behielt es als solches bei. Doch sie beschränkte sich nicht einfach darauf, das Prägen und Umprägen der Münzen zu besorgen. Einige Staaten haben den Übergang von der Silberzur Goldwährung durch Beschaffung der erforderlichen Goldmengen durchgeführt, und andere Staaten haben zum Ersatz des Kreditgeldes, das ihre Geldpolitik früherer Zeit zum Landesgeld gemacht hatte, ähnliche Operationen unternommen. Die Währungspolitik des 19. Jahrhunderts hat ein Beispiel dafür geliefert, wie geschickte Politik die Probleme zu lösen vermag, die ihr der Interventionismus vergangener Epochen als Erbe hinterlassen hat.

Als das Ziel der Währungspolitik des liberalen Zeitalters erschien die einheitliche Goldwährung. Die klassische oder orthodoxe Goldwährung, wie man sie heute tadelnd zu nennen beliebt, sollte die Schwankungen der interregionalen Wechselkurse in engste Grenzen bannen und so den internationalen Handel von allen störenden Einflüssen währungspolitischer Natur befreien. Jede Ausnützung des Geldwesens zur Gewinnung handelspolitischer «Vorteile» im Verkehr mit dem Auslande, zur Verschiebung der Besitzstandverhältnisse zwischen den Staatsbürgern und zur Füllung der Staatskassen wurde als unzulässig angesehen. Gutes Geld hat dem Verkehr zu dienen, hat den Umsatz der Güter und Dienste zu erleichtern, soll niemand schaden und niemand Sondervorteile verschaffen. Diese Auffassung war allmählich zum Dogma geworden, an dem umso hartnäckiger festgehalten wurde, als man — irrtümlich — geneigt war, im Goldgeld eine Verwirklichung des unerreichbaren [682] und widerspruchsvollen Ideals «wertbeständigen» und «neutralen» Geldes zu erblicken.

Mit dem Vordringen des Interventionismus musste sich auch in diesen Auffassungen ein tiefgreifender Wandel vollziehen. Der währungs- und bankpolitische Interventionismus will den Markt durch zielbewusste Gestaltung der Kaufkraft des Geldes beeinflussen. Die Goldwährung macht die Gestaltung der Kaufkraft des Geldes von der Rentabilität der Goldgewinnung abhängig und schaltet damit den Einfluss der Währungsolitik der Einzelstaaten aus. Der währungspolitische Interventionismus vermag in der Welt des politischen Separatismus, in der viele Staaten sich als souverän betrachten und jeder Staat ohne Rücksicht auf die übrigen Staaten handelt, die Goldwährung nicht zu beseitigen und das Gold nicht aus dem Gelddienst zu verdrängen. Doch er kann durch Ausnützung des Münzregals, durch Monopolisierung der Notenausgabe und durch eine Reihe von weiteren Zwangsmassnahmen ein besonderes, auf das Staatsgebiet beschränktes Geldwesen schaffen, dessen Wertgestaltung dem Einfluss der Obrigkeit unterworfen ist.

II. Die Schuldenabbürdung

Der einfachste und älteste währungspolitische Eingriff ist die Münzverschlechterung zum Zweck der Seisachthie. Dem wertvolleren (kaufkräftigeren) Geld wird durch eine Verfügung der Obrigkeit ein minder wertvolles Geld gleichgestellt; Schulden, die in Einheiten höherwertigen Geldes aushaften, dürfen durch die Hingabe der gleichen Anzahl von Einheiten des minderwertigen Geldes getilgt werden. Die Schuldner werden auf Kosten der Gläubiger bereichert. Doch zugleich wird für die Zukunft die Aufnahme von Darlehen erschwert und verteuert. Denn zu dem Nettozins und den übrigen Elementen, die der Bruttozins sonst enthält, tritt eine besondere Risikoprämie, die der Einschätzung entspricht, die für die Wiederholung solcher Maßnahmen bei Darlehensnehmern und Darlehensgebern besteht. Wenn die Seisachthie den schon Verschuldeten nützt, so schadet sie allen denjenigen, die sich neu verschulden wollen.

Das Gegenstück der Seisachthie, die Erhöhung der Schuldverpflichtungen durch eine währungspolitische Änderung, ist zwar viel seltener geübt worden; sie ist der Währungsgeschichte immerhin nicht fremd geblieben. Doch sie war niemals als Maßnahme zu Gunsten der Gläubiger und zu Lasten der Schuldner geplant und beabsichtigt. Die Mehrbelastung der Schuldner und die Bereicherung der Gläubiger ergab sich nur als unbeabsichtigte Folge einer währungspolitischen [683] Maßnahme, die man aus anderen Gründen für notwendig erachtete; man nahm die Benachteiligung der Schuldner in Kauf, weil man sie für unvermeidbar hielt oder weil man dachte, dass die Parteien schon beim Abschluss des Vertrages die künftige Aufwertung der Schuldsumme vorausgesehen und in den Vertragsbedingungen berücksichtigt hätten. Man hat in England nach den napoleonischen Kriegen und dann wieder nach dem Weltkrieg die entwertete Währung auf die Goldparität der Vorkriegszeit zurückgeführt, weil man die andere Alternative — die Stabilisierung der Währung auf dem der augenblicklichen Goldagiogestaltung entsprechenden Stande — für eine Art Staatsbankerott und für ungerechtfertigte Schädigung aller jener hielt, die aus der Zeit des höheren Geldwerts stammende Forderungen hatten. Das Geldwesen war nun einmal durch die Inflation zerrüttet und die Grundlage aller Kreditgeschäfte war erschüttert; man sah in der Wiederherstellung des alten Geldwertes den besten Ausweg aus einer verfahrenen Lage. Dass man damit das alte Unrecht nicht immer gutmachte, weil die, deren Forderungen in der Zwischenzeit in entwertetem Geld zurückgezahlt worden waren, und die, die ihre Forderungen mittlerweile abgetreten hatten, keine Entschädigung erhielten, und dass man neues Unrecht durch Aufwertung der in schlechterem Geld abgeschlossenen Darlehen schuf, wurde nicht beachtet. Es wäre nicht zutreffend, da von einem Eingriff zu Gunsten der Gläubiger und zu Lasten der Schuldner zu sprechen. Was geschah, war ein Versuch, die Folgen eines vorangegangenen Eingriffs zu beheben und eine für schlecht erachtete Währungspolitik zu liquidieren. Man wusste nicht, wie man das beabsichtigte Ziel ohne die Benachteiligung der Schuldner erreichen könnte, und so glaubte man, diese mit in Kauf nehmen zu müssen.

Die Seisachthie ist stets als einmalige Maßnahme gedacht, vertreten und durchgeführt worden. Man erklärt, dass eine außerordentliche Lage, die durch Ereignisse geschaffen wurde, die sich nicht wiederholen werden, einen Notstand gebracht habe, dem man nur mit einem sonst zu verpönenden Mittel entgegentreten kann. Einmal und nie wieder, sagt man. Es ist leicht zu verstehen, warum die Befürworter und Urheber einer Seisachthie so sprechen müssen. Wenn die Aufhebung eines Teiles der Schuldverpflichtungen zur Regel werden sollte, käme das auf vollständige Vernichtung des Kreditverkehrs hinaus. Die Kreditgeschäfte beruhen auf der Erwartung, dass Eingriffe dieser Art unterbleiben werden.

Die Seisachthie kann daher nicht als eine Maßnahme betrachtet werden, die ein Stück eines auf dauernde Lenkung [684] und Beeinflussung der Marktwirtschaft gerichteten Interventionssystems bilden könnte. Sie ist ein Hammerschlag, der zertrümmert und nichts kann als zertrümmern. Lässt man es bei einem einzigen Schlag bewenden, so mag sich das geschädigte Kreditsystem allmählich wieder erholen; schlägt man immerfort zu, dann stiftet man nur Zerstörung.

Ein verfeinertes, doch weniger scharfes, darum aber auch weniger wirkungsvolles System der Seisachthie stellt der Inflationismus dar, wenn man ihn nur im Hinblick auf die Schuldverpflichtungen betrachtet. Das fortschreitende Sinken der Kaufkraft der Geldeinheit bedeutet zugleich fortschreitende Entwertung der Ansprüche der Gläubiger. Doch auch diese Maßnahme hat nur begrenzte Wirkung. Die durch die Inflation ausgelöste Aufwärtsbewegung der Preise wird zunächst im kurzfristigen Kreditverkehr durch das Auftreten einer positiven Preisprämie zum Teil kompensiert. Der Abschluss langfristiger Kreditverträge, die auf eine inflationistischen Eingriffen ausgesetzte Währung lauten sollen, erweist sich in der Regel sehr bald als unmöglich. Auch die Schuldentlastung durch inflationistische Maßnahmen wirkt sich im Sinne ihrer Urheber nur auf die aus früherer Zeit stammenden Verträge aus. Sie wirkt auch auf die fernere Kreditgewährung, doch nicht im Sinne der Absichten ihrer Urheber, sondern im entgegengesetzten Sinne.

Die Bewegungen der Kaufkraft des Geldes haben, wie schon früher gezeigt wurde, tiefgreifende Wirkung auf den Inhalt aller Schuldverträge. Doch das bedeutet durchaus nicht, dass die Obrigkeit es in der Hand hätte, durch Einflussnahme auf die Wertbildung des Geldes den Kreditverkehr nach ihren Absichten zu gestalten. Das dem obrigkeitlichen Einfluss ausgesetzte, in seiner rechtlichen Geldfunktion auf das Staatsgebiet beschränkte Kreditgeld wird von den Wirten, gerade weil es nur lokales und nationales Geld ist, mit anderen Augen betrachtet als das vom Staate unabhängige Sachgeld. Man vergleicht seine Wertgestaltung mit der des internationalen Sachgeldes, und trägt dem Sinken seines Wertes gegenüber dem Sachgeld durch die Bildung einer positiven Preisprämie Rechnung, die die Bemühungen der Obrigkeit, den Kredit durch ihre Eingriffe zu verbilligen, vereitelt.

Welches Ende fortgesetzter Inflationismus und fortgesetzte Kreditexpansion schließlich nehmen müssen, wurde schon gezeigt. [282]

[685]

III. Die Abwertung

Im Konjunkturaufschwung, der 1929 den Abschluss fand, haben die Gewerkschaften nahezu überall Löhne durchzusetzen gewusst, die über dem Lohnsatz lagen, der sich — in den relativ unterbevölkerten Ländern selbst bei Aufrechterhaltung der Wanderungssperre — auf dem im Übrigen unbehinderten Arbeitsmarkte gebildet hätte. Diese Löhne mussten Arbeitslosigkeit als Dauer- und Massenerscheinung schaffen. Als dann die Krise einsetzte und die Preise zu sinken begannen, wussten die Gewerkschaften, die von den Regierungen immer stärker unterstützt wurden auch in jenen Ländern, in denen die Staatsgewalt nicht überhaupt in den Händen der von den Gewerkschaften abhängigen politischen Parteien lag, es zu erreichen, dass die Löhne langsamer und in geringerem Ausmaße sanken als die Preise. Das Ergebnis war wachsende Arbeitslosigkeit. Die Last der Arbeitslosenunterstützung wurde untragbar. Mochten auch die Wortführer der Gewerkschaften sich noch so sehr bemühen, die Politik der künstlichen Hochhaltung der Löhne zu verteidigen, sie konnten die Erkenntnis der Verkettung der Erscheinungen auf die Dauer nicht verhindern.

Es ist begreiflich, dass die Gewerkschaftsführer vor allem darauf bedacht waren, um das öffentliche Eingeständnis des Zusammenbruchs ihrer Politik herumzukommen. Sie mussten das Versagen der gewerkschaftlichen Prinzipien verschleiern, um ihre eigene Stellung nicht zu gefährden. So verfielen sie denn auf den Ausweg, nicht die Anpassung der Löhne an die Lage des Marktes vorzuschlagen, sondern die Anpassung der Warenpreise an den Stand der Löhne. Die Geldlöhne sollten unverändert bleiben, doch die Preise entsprechend steigen. Dann würde das einzelne Gewerkschaftsmitglied zunächst gar nicht merken, dass sich eine Veränderung vollzogen hat. Die Reallöhne würden erst schrittweise durch das allmähliche Steigen der Warenpreise der Marktlage angepasst werden. So entstanden jene Abwertungspläne, die man als Angleichung des inländischen Preisniveaus an das internationale Preisniveau zu empfehlen suchte. In der Tat handelte es sich um eine Anpassung der Löhne an den Stand der Preise der Genussgüter.

Die Ziele der Abwertung waren:

a) Erhaltung des Standes der Nominallöhne oder selbst Schaffung günstigerer Bedingungen für eine weitere Steigerung der Nominallöhne, bei gleichzeitigem Sinken der Reallöhne.

b) Steigen der Warenpreise oder zumindest Verhinderung ihres weiteren Rückgangs.

[686]

c) Entlastung der Schuldner.

d) Förderung der Ausfuhr und Erschwerung der Einfuhr.

e) Förderung des Fremdenverkehrs und Erschwerung der Auslandreisen der Inländer.

Doch diese Zielsetzung wurde nicht offen eingestanden. Man hat nicht zugeben wollen, dass die Abwertung den Reallohn senken muss, und schon gar nicht, dass diese Lohnsenkung das vornehmste Ziel der Maßnahme war. Man hat es vorgezogen, von Kostensenkung zu sprechen, wo doch die «Kosten» auf diesem Wege nicht anders ermäßigt werden konnten als durch Senkung des Reallohnes und durch die — in erster Linie gleichfalls die Massen belastende — Herabsetzung der Schuldverpflichtngen. Man hat von Förderung des Exports und des Fremdenverkehres gesprochen, die doch nur durch diese Kostensenkung zu erzielen war. Man ist sogar soweit gegangen, auf der einen Seite als Ziel der Abwertungspolitik Redeflation, d.i. Steigen der Preise zu bezeichnen, gleichzeitig aber auf der andern Seite den Verbrauchern zu versprechen, dass man mit allen zu Gebote stehenden Mitteln des Interventionismus Preissteigerungen verhindern werde. Kurz, man hat das getan, was alle schwachen Regierungen in ihrem preispolitischen Interventionismus stets getan haben: man hat gleichzeitig den Verbrauchern niedrige Preise und den Erzeugern hohe Preise, den Arbeitnehmern hohe Löhne und den Unternehmern Kostensenkung, die auch die Lohnsenkung stillschweigend einschließen sollte, den öffentlichen Angestellten hohe Bezüge und den Steuerzahlern Abgabensenkung versprochen. Die Abwertung entsprang eben nicht einem Entwurf zielbewusster Interventionspolitik, sondern der politischen Schwäche der Obrigkeit. Sie war eine Kapitulation des Staates vor der Macht der Gewerkschaften und — in manchen Ländern — auch vor der Macht der Verbände der Landwirte, die sich eines Teils ihrer Schulden entledigen und höhere Preise für ihre Erzeugnisse erhalten wollten.

Als Maßnahme einer auf ständige Beeinflussung des Marktes gerichteten Politik kann die Abwertung schon darum nicht in Betracht kommen, weil ihre Wirkung zeitlich begrenzt ist, und weil die Wiederholung das Mittel abnützt und die betroffene Währung zerstört.

Die vermeintlichen Vorteile, die die Abwertung in Außenhandel und Fremdenverkehr bringt, beruhen darauf, dass die Anpassung der inländischen Produktionskosten an die durch die Abwertung geschaffene Lage eine gewisse Zeit braucht. Ist einmal die Anpassung voll erreicht, dann hat die als günstig erachtete Wirkung ihr Ende gefunden. Die Schuldenabwertung [687] ist zwar endgültig. Doch diese hat nichts anderes zu bedeuten als eine Verschiebung des Besitzstandes zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Wenn die Gläubiger nun ihren Aufwand einschränken müssen, so können ihn die Schuldner um den gleichen Betrag erhöhen; dem Ausland gegenüber tritt im Endergebnis keine Änderung ein. [283] Die Senkung der Reallöhne darf man aber kaum als endgültig ansehen. Wenn die Macht der Gewerkschaften ungebrochen bleibt, dann werden sie neue Lohnsteigerungen zu erzielen wissen.

Wenn man erst den Grundsatz anerkannt hat, dass die Abwertung derGeldeinheit ein brauchbares Mittel der Wirtschaftspolitik sei, dann ist nicht einzusehen, warum man sich dieses Mittels nur einmal und nie wieder bedienen soll. Man mag zugeben, dass der währungspolitische Eingriff nur als ultima ratio unter außerordentlichen Umständen angewendet werden soll. Doch darüber, ob diese Not- und Zwangslage begeben sei oder nicht, werden immer Obrigkeit und öffentliche Meinung zu entscheiden haben, die bereit sein werden, die gegenwärtige Not höher einzuschätzen als alle Nöte der Vergangenheit, und keinesfalls von der Durchführung einer Maßnahme, die ihnen für den Augenblick Erleichterung zu bringen scheint, zurückschrecken werden, um ihre Anwendung in späterer Zeit nicht unmöglich zu machen oder nicht zu erschweren. Wie soll das dann enden? Kann man erwarten, dass man auf das bequeme Mittel der Abwertung verzichten wird, ehe man die Währung ganz zerstört hat und dadurch — wider Willen — die Rückkehr zu einem Geldwesen angebahnt hat, dessen Wertgestaltung den Eingriffen der Obrigkeit entzogen ist? Man kann in der Abwertung ein Mittel erblicken, das man einmal, zweimal, vielleicht auch dreimal anwenden kann. Dann aber gerät man auf die schiefe Ebene der fortschreitenden Inflation, die zum Zusammenbruch des Geldsystems führt.

Die seit 1931 erfolgten Abwertungen haben die Goldwährung keineswegs beseitigt und auch dem Golde nichts von seiner Stellung als Weltgeld genommen.

Es gibt freilich auch heute Länder, deren Währungsverfassung auf dem Gebrauche eines nationalen Kredit- oder Zeichengeldes aufgebaut ist. Doch das hat es in den letzten 150 Jahren immer gegeben. Soweit diese Länder am internationalen Handel teilnehmen, müssen sie sich des Goldes als des einzigen heute auf dem Weltmarkte gebräuchlichen Geldes bedienen. Wenn [688] Italiener oder Deutsche im Auslande einkaufen, müssen sie in Gold zahlen. Die zahlungstechnischen Vorgänge vermögen diesen Tatbestand zu verschleiern, doch nicht zu beseitigen.

Die Länder, die man heute als die «demokratischen Staaten» zu bezeichnen pflegt, halten jedoch an der Goldwährung (nicht auch am Goldumlauf) im inländischen Verkehr fest. Sie haben, nach einigem Schwanken und Herumexperimentieren, ihrem Inlandsgeld wieder den Charakter von Umlaufsmitteln gegeben. Das Pfund Sterling, der Dollar, der französische Franc und andere nationale Geldeinheiten stellen heute jederzeit fällige, vollkommen sichere Forderungen auf einen Goldbetrag dar. Was die Währungsverfassung von heute von der «klassischen» oder «orthodoxen» Goldwährung unterscheidet, ist, abgesehen von der Zurückziehung des Goldes aus der Kassenhaltung der einzelnen Wirte, allein das, dass die Höhe dieses Goldbetrags nicht durch die Gesetze festgelegt ist; es wird vielmehr der Regierung überlassen, diesen Goldbetrag festzusetzen. Die Gestaltung des Goldwertes der nationalen Geldeinheit ist somit in die Hand der Regierung gegeben; sie entscheidet und kann von der Entscheidung, die sie einmal getroffen hat, später auch wieder abgehen. Da die Kaufkraft der Geldeinheit im Inlande den Bewegungen ihres Goldwertes, wenn auch in einem zeitlichen Abstand, nachfolgt, ist der Regierung mittelbar auch auf die Gestaltung der Inlandspreise ein Einfluss gewahrt.

Man darf dieses Währungssystem nicht vom verfassungsrechtlichen Standpunkt betrachten, wenn man seine nationalökonomische Bedeutung begreifen will. Es ist unwesentlich, dass in manchen Staaten, z. B. in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Verfügungsrecht der Regierung durch Gesetz nach unten hin eine Grenze gezogen wird, wogegen in anderen Staaten die der Regierung erteilte Vollmacht unbegrenzt ist. Denn wie immer auch die verfassungsrechtliche Ordnung beschaffen sein mag, keine Regierung könnte zu einer neuen Abwertung schreiten, wenn sie nicht der Zustimmung der öffentlichen Meinung gewiss ist. Wenn aber die öffentliche Meinung von der Ersprießlichkeit der Abwertung überzeugt ist, wird abgewertet werden, ob nun dafür ein Gesetz erforderlich ist oder ob schon eine Verfügung der Verwaltungsbehörde hinreicht. Dass man es unterlassen hat, die neue Goldparität der nationalen Währungseinheit in einem Gesetz festzulegen, ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass man künftige Abwertungen erleichtern wollte. Die Vorgänge in England 1931, in den Vereinigten Staaten 1933 und in den Ländern des [689] Goldblocks 1936 haben gezeigt, dass der Apparat demokratischer Staaten sehr schnell zu arbeiten fähig ist, wenn die öffentliche Meinung die Abwertung verlangt. Keinerlei verfassungsrechtliche Schranken vermögen die Durchführung einer volkstümlichen Maßnahme zu verzögern oder gar zu hemmen.

Das, was man durch die Unterlassung der gesetzlichen Bestimmung einer neuen Goldparität erreichen wollte, ist freilich nationalökonomisch auch als Abwertung zu kennzeichnen. Doch im Unterschied von den großen Abwertungen handelt es sich da um solche kleinen Umfanges.

Nationale Kreditausweitung, die über das Maß der in den übrigen Ländern vorgenommenen Kreditausweitung hinausgeht, führt zu einem Abziehen von Guthaben der Ausländer, zu Übertragung von Guthaben der Inländer ins Ausland, zu erhöhter Einfuhr und zu Sinken der Ausfuhr, kurz zum external drain. Will die Zentralnotenbank ihre Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten, dann muss sie zu Restriktionsmassnahmen greifen und die Kreditausweitung wieder rückgängig machen oder auf das Ausmaß, das sie im Ausland erreicht hat, zurückschrauben. Restriktionsmassnahmen sind höchst unbeliebt. Wurden sie durch einen external drain hervorgerufen, dann verlangt die öffentliche Meinung nach einer Reform der Bankgesetzgebung, um den inländischen Geldmarkt, wie man zu sagen pflegt, von den Einflüssen des Auslandes unabhängig zu machen. Man meint, dass nur die Goldwährung der Zentralnotenbank die Möglichkeit nehme, durch Kreditausweitung den Zinsfuss nach Belieben herabzudrücken und die Preise und Löhne hinaufzutreiben. Man begreift nicht, dass auch die Loslösung von der Goldwährung und die Herstellung einer nationalen Kreditgeld- oder Zeichengeldwährung nicht die Bedingungen schaffen könnten, die es ermöglichen würden, ungestraft Kreditausweitung zu treiben. Man gibt sich den Illusionen des naivsten Inflationismus hin, ohne sich im geringsten um das zu kümmern, was die Nationalökonomie lehrt, und ohne die Erfahrungen zu beachten, die man seit zweihundert Jahren immer wieder mit Kreditausweitung und Inflation gemacht hat.

Die Alternative lautet nicht etwa: niedriger Zinsfuss oder Aufrechthaltung der Stabilität der internationalen Bewertung der nationalen Geldeinheit. Auch ein Land, das sich eines nationalen Zeichengeldes bedient und sich vom Weltverkehr und von jeder Beziehung zum Ausland vollkommen getrennt hat, könnte nicht Kreditausweitung treiben, ohne jene Folgen auszulösen, die mit jeder Kreditausweitung verbunden sind. Nicht die Goldwährung und nicht die internationale Verflechtung der [690] Handelsbeziehungen und der Geldmärkte stehen dem Erfolg einer Politik «billigen» Geldes im Wege. Der Zins ist keine monetäre Erscheinung, er kann durch monetäre und kreditpolitische Maßnahmen weder beseitigt noch dauernd ermäßigt werden. Wenn man es versucht, ihn vorübergehend zu ermäßigen, kann die Anpassung der Marktlage an die durch den Stand der Wertungen der einzelnen Wirte und der Versorgung mit Produktionsmitteln gegebenen Verhältnisse nicht ausbleiben, und diese Anpassung löst Erscheinungen aus, die man als Krise und Depression zu bezeichnen pflegt.

Wenn man Kreditausweitung, die über das Maß der in den übrigen am Weltverkehr teilnehmenden Ländern gleichzeitig vorsichgehenden hinausgeht, unterlässt, kann es der Zentralnotenbank oder dem Währungsstabilisierungsfonds nicht schwerfallen, durch Einlösung der nationalen Umlaufsmittel in der der Parität entsprechenden Höhe die Festigkeit der internationalen Bewertung der nationalen Geldeinheit zu sichern. Hat man im Inland eine über jenes Maß hinausgehende Kreditausweitung vorgenommen und steht man daher einem external drain gegenüber, der die Gold- und Devisenbestände schrumpfen lässt, dann muss man den Abfluss von Gold und Devisen durch Restriktionsmassnahmen zu hemmen suchen.

Dort, wo die Festsetzung der Parität und die Abänderung der einmal festgesetzten Parität der Regierung überlassen wurde, kann die Regierung den Abfluss von Gold und Devisen zunächst dadurch zu unterbinden versuchen, dass sie die Parität herabsetzt. Hat sie früher für die nationale Währungseinheit den Betrag von p Einheiten von Gold oder Devisen abgegeben, so gibt sie fortan etwa nur noch 0,99 p Einheiten ab. Man pflegt dann von «Schwäche» des Pfund, des Franken oder des Hollandgulden zu sprechen. Die Ausdrucksweise führt irre. Die Währung ist nicht schwach geworden; die Regierung hat eine Abwertung kleinen Ausmaßes vorgenommen.

Es kann vorkommen, dass der Abfluss von Gold und Devisen durch das Abheben der Guthaben, die man als hot money bezeichnet, und ihr Verbringen ins Ausland hervorgerufen wurde. In diesem Falle ist die Maßnahme, die die Regierung durch die kleine Senkung der Parität vorgenommen hat, sinn- und zweckwidrig. Wenn die, die ihre Guthaben ins Ausland schaffen wollen, eine neue große Abwertung befürchten, die den Goldwert der Geldeinheit um 10-50% herabsetzen wird, oder wenn sie glauben, dass eine in dieser Größenordnung liegende Goldwertverringerung der Währungseinheit im Gefolge politischer Veränderungen, die die Regierung zur Inflation treiben, auftreten wird, dann werden sie sich durch einekleine Erhöhung des Preises für Gold und Devisen nicht davon abhalten lassen, ihre Absicht durchzuführen. [284]

Erfolgt der Abzug von Gold und Devisen durch die Zinsfussarbitrage, dann kann man das Abströmen durch die Verteuerung des Preises, zu dem Gold und Devisen von der Zentralbank oder vom Währungsausgleichsfonds abgegeben werden, mitunter verhindern. Schon eine geringe Verteuerung der Valutenkurse mag hinreichen, um das geplante Geschäft unrentabel erscheinen zu lassen. Man glaubt daher, dass man eine Verteuerung des Darlehenszinses auf dem inländischen Geldmarkte, die bei starrem Festhalten an der einmal gewählten Parität unausweichlich wäre, vermeiden könnte. In der Tat kann es sich dabei nur um eine kurzfristige Hinausschiebung des Zeitpunktes handeln, in dem die Zinserhöhung eintreten muss. Doch nicht einmal das darf die Regierung als Erfolg ihrer Politik ansehen. Die Verteuerung der Zinsfussarbitrage äußert ihre Wirkung nach beiden Seiten hin. Wenn später einmal die Dinge so liegen sollten, dass die Zinsfussarbitrageure Gold und Devisen ins Land bringen würden, wenn sie sicher wären, dass von der einmal festgesetzten Parität nicht mehr abgegangen werden wird, wird sie die Erinnerung an das, was die Regierung zur Bekämpfung des Goldabzuges vorzukehren pflegt, davon abhalten. Die Befürchtung, bei der Rückübertragung der einzubringenden Gelder durch eine Erhöhung des Abgabepreises für Gold und Devisen geschädigt zu werden, wird ihnen das Geschäft unrentabel erscheinen lassen. Die Politik der veränderlichen Gold- und Devisenpreise, diese Politik der kleinen Abwertungen, kann bewirken, dass die Spanne zwischen dem inländischen Darlehenszins und dem ausländischen erweitert wird, doch diese Erweiterung wirkt sich nach beiden Seiten hin aus; sie gleicht manche Schwankungen auf dem inländischen Geldmarkte aus, doch sie verbilligt den Zinsfuss nicht mehr und nicht stärker als sie ihn auf der andern Seite wieder verteuert; seine durchschnittliche Höhe bleibt unverändert.

Um die Parität der inländischen Umlaufsmittel dem ausländischen Gelde und dem Golde gegenüber aufrechtzuerhalten, gibt es nur ein Mittel: die prompte Einlösung. Es ist dabei ohne Belang, ob die Einlösung auf Grund eines dem Eigentümer der Umlaufsmittel durch Gesetze zuerkannten förmlichen Anspruchs erfolgt, oder ob sie ohne solche Verankerung in den Gesetzen tatsächlich vorgenommen wird. Das Handeln entscheidet, nicht die Rechtslage. Es ist weiter ohne Belang, ob der Einlösungsfonds im Licht der Öffentlichkeit arbeitet wie die [692] Zentralnotenbanken der orthodoxen Goldwährung, denen es vorgeschrieben war, den Stand ihrer Reserven mehrmals im Monat zu verlautbaren, oder ob seine Gebarung Geheimnis einiger Eingeweihter bleibt. Die Währungsausgleichsfonds, die in den letzten Jahren geschaffen wurden, haben keine Aufgaben zu erfüllen, die von denen der Reserven der Notenbanken verschieden wären. Sie sollen für die Aufrechthaltung des Geldsurrogatcharakters der Umlaufsmittel sorgen, und sie können das nur in der Weise tun, dass sie die Umlaufsmittel prompt einlösen.

Der Rückkehr zum klassischen oder orthodoxen System der Goldwährung stehen nicht, wie man zu behaupten pflegt, Veränderungen in der Struktur der Wirtschaft entgegen. Es ist nicht wahr, dass die Entwicklung der Wirtschaft bewirkt habe, dass der Mechanismus der Goldwährung nicht mehr spielen könne. Die Regierungen wollen nicht zur Goldwährung mit einer durch Gesetze festgelegten Goldparität der Umlaufsmittel zurückkehren, weil sie nicht darauf verzichten wollen, große oder kleine Abwertungen vorzunehmen, um sich über die Verlegenheiten, in die sie die produktionspolitischen und preispolitischen Eingriffe bringen, auf kurze Zeit hinwegzuhelfen.

IV. Die Kreditausweitung.

Man darf die Kreditausweitung durch die Schaffung und Inverkehrsetzung von Umlaufsmitteln nicht ausschließlich als Ergebnis zielbewusster Eingriffe der Obrigkeit in die Gestaltung des Zinsfusses betrachten. Die Umlaufsmittel sind nicht aus wirtschaftspolitischen Bestrebungen entstanden. Als die Bankiers, die über anvertraute Gelder Empfangsbestätigungen ausgestellt hatten, die im Verkehr als Geldsurrogate verwendet wurden, dazu übergingen, einen Teil der verwahrten Gelder auszuleihen, hatten sie nichts anderes im Auge als ihren eigenen Vorteil. Sie hielten es für unbedenklich, nicht den ganzen Gegenwert der ausgegebenen Empfangsbestätigungen in barem Geld in ihrer Kasse bereit zu halten. Sie dachten, dass sie ihre Verpflichtung, die ausgegebenen Noten jederzeit ohne Verzug in Geld einzulösen, auch dann würden voll und pünktlich erfüllen können, wenn sie einen Teil der empfangenen Einlagen ausgeliehen hätten. Die Banknote ist in der rein geschäftlichkaufmännischen Sphäre zum Umlaufsmittel geworden. An der Wiege der Kreditausweitung stand der Bankier und nicht die Obrigkeit.

Die Kreditausweitung der Bankiers beschränkte sich nicht auf die Ausgabe von nicht voll durch Geld gedeckten Banknoten. Auch der Gegenwert von Einlagen, über die jederzeit [693] durch Scheck oder Anweisung verfügt werden konnte, wurde nicht anderes behandelt als der Gegenwert der Einlagen, die die Grundlage der Notenausgabe bildeten.

Sehr früh schon wurde die Ausgabe von Umlaufsmitteln zu einem Werkzeug einer Politik gemacht, die geradewegs auf Kreditausweitung gerichtet war. Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts hat sich dann zwar bemüht, die Kreditausweitung möglichst zu beschränken. In der Peel'schen Bankakte von 1844 und in Gesetzen anderer Staaten ist der, freilich nicht zweckmäßig angelegte und darum gescheiterte Versuch gemacht worden, die Ausgabe von Umlaufsmitteln ganz zu unterdrücken und damit die Gefahr der Kreditausweitung zu bannen. Der Versuch misslang, weil er sich nur auf die in Notenform ausgegebenen Umlaufsmittel bezogen hat und die in Kassenführungsguthaben verkörperten Umlaufsmittel außer Acht ließ. Er war von vornherein verfehlt angelegt, weil er die Privilegierung der die Noten ausgebenden Bank beibehielt; wirksam hätte man der Wiederkehr der Kreditausweitung nur durch volle Freiheit des Bankgeschäftes entgegentreten können. Doch außerhalb Englands bildeten die Gegner der Kreditausweitung immer nur eine einflusslose Minderheit. Die Mehrheit sah in den Zentralbanken Einrichtungen, deren wichtigste Aufgabe die Erleichterung der Kreditbeschaffung durch Niedrighalten des Diskontsatzes sei. Man begann sehr bald von den wirtschaftspolitischen Grundsätzen der Currency-School auch in jenen Staaten abzurücken, die ihre Notenbankgesetzgebung an den Gedanken dieser Schule orientiert hatten. Der Verfall des nationalökonomischen Denkens, den der Historismus gezeitigt hatte, tat ein Übriges. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging man immer unverhüllter darauf los, billiges Geld, d.h. niedrigen Zinsfuss durch bankpolitische Maßnahmen zu schaffen. [285]

Wie Kreditausweitung wirkt und unter allen Umständen wirken muss, zeigt die Konjunkturtheorie. Auch diejenigen Nationalökonomen, die sich noch immer dagegen sträuben, in der Zirkulationskredittheorie die Erklärung des Konjunkturwechsels zu sehen, haben nie den Versuch gemacht, die Schlüssigkeit ihrer Darlegungen über die Folgen von Kreditausweitung in Frage zu stellen. Sie können auch ihre von der Zirkulationskredittheorie abweichenden Konjunktur- und Krisentheorien nicht anders verteidigen, als indem sie die Annahme machen, dass der Aufschwung von Kreditausweitung begleitet wird; [694] sie müssen zugeben, dass der Aufschwung ohne gleichzeitige Kreditausweitung nicht vorsichgehen könnte und dass das Ende der Kreditausweitung auch den Umschlag der Konjunktur herbeiführt. Die Gegner der Zirkulationskredittheorie beschränken sich eigentlich nur noch auf die Behauptung, dass der Aufstieg der Konjunktur nicht durch Kreditausweitung ausgelöst werde sondern durch andere Umstände, und dass die Kreditausweitung, ohne die der Aufstieg nicht möglich wäre, nicht einer bewusst auf die Senkung des Zinsfusses und die Erleichterung der Inangriffnahme zusätzlicher Geschäfte gerichteten Politik entspringe, sondern irgendwie, gewissermaßen ohne Zutun der Banken und der Obrigkeit, durch den ihrer Meinung nach zum Aufstieg führenden Tatbestand ausgelöst werde.

Man hat die Behauptung aufgestellt, dass die Kreditausweitung durch das Steigen des Gleichgewichtszinses ausgelöst werde, indem die Banken ihren Zinssatz nicht entsprechend dem Steigen des Gleichgewichtszinses erhöhen. [286] Auch dieser Einwand geht an dem Kern der Zirkulationskredittheorie vorbei. Ob die Kreditausweitung damit eingeleitet wird, dass die Banken die Bedingungen, zu denen sie Kredit gewähren, erleichtern, oder dadurch, dass sie von einer durch die Marktlage erforderten Verschärfung dieser Bedingungen absehen, ist nebensächlich. Entscheidend ist, dass es zur Kreditausweitung kommt, weil es Anstalten gibt, die es als ihre Aufgabe ansehen, die Gestaltung des Darlehenszinses durch zusätzliche Gewährung von Zirkulationskredit zu beeinflussen. [287]

Wer der Meinung ist, dass die Kreditausweitung ein notwendiger Faktor in dem Ablauf ist, der den Gang der Wirtschaft in den Aufschwung treibt, auf den die Krise und die Depression folgen müssen, müsste jedenfalls der Auffassung beipflichten, dass das sicherste Mittel zur Erzielung krisenfesten Wirtschaftsganges in der Hemmung der Kreditausweitung zu finden wäre. Doch obwohl allgemein Übereinstimmung darüber besteht, dass man Mittel zu ergreifen hätte, um die [695] Wellenbewegung der Konjunktur soweit als möglich in einen glatten Ablauf zu verwandeln, will man von Maßnahmen zur Unterdrückung der Kreditausweitung überhaupt nichts hören. Man sieht es als Aufgabe der Konjunkturpolitik an, den durch die Kreditausweitung ausgelösten Aufschwung zu verewigen und den Zusammenbruch zu verhindern. Vorschläge zur Unterdrückung der Kreditausweitung werden abgelehnt, weil sie, sagt man, die Depression verewigen würden. Nichts kann die Lehre, die die Konjunkturschwankungen durch Interventionen zu Gunsten «billigen» Geldes erklärt, besser bestätigen als die Hartnäckigkeit, mit der man sich sträubt, von der Kreditausweitung zu lassen. [288]

Man müsste geradezu für alle Tatsachen der jüngsten Wirtschaftsgeschichte blind sein, wenn man bestreiten wollte, dass allgemein Maßnahmen zur Senkung des Darlehenszinses als wünschenswert angesehen werden und dass man in der Kreditausweitung das sicherste Mittel zur Erreichung dieses Zieles erblickt. Die Goldwährung wird vor allem darum bekämpft, weil man in ihr ein Hindernis gegen eine auf Senkung des Zinssatzes gerichtete nationale Politik sieht; man will nicht durch Rücksichten auf die Erhaltung der Währungsparität genötigt werden, Kreditausweitung zu unterlassen, wenn sie nicht von der ganzen Welt in gleichem Ausmaße mitgemacht wird. Niemand wird bestreiten können, dass die Währungsund Bankpolitik Großbritanniens, der Vereinigten Staaten, Frankreichs und des Deutschen Reichs auch gegenwärtig immer wieder zur Kreditausweitung Zuflucht nimmt. Aus allen politischen Lagern ertönt der Ruf nach «billigem» Geld.

Der typische Verlauf der Kreditpolitik im Konjunkturzyklus ist ganz durch diese Vorliebe für «billiges Geld» gekennzeichnet. Hat die Kreditausweitung einmal eingesetzt, dann herrscht allgemein Befriedigung über den guten Geschäftsgang. Die Unternehmer glauben, dass nun endlich die Zeit ungestörten Aufschwungs aller Geschäfte gekommen sei und dass die Prosperität ewig anhalten werde. Die Arbeiter freuen sich der hohen Löhne, die Kapitalisten sehen mit Genugtuung die Aktienkurse steigen und sind kurzsichtig genug, in dem durch das Anwachsen der positiven Preisprämie bewirkten Ansteigen des Bruttozinses eine Erhöhung des Nettozinses zu erblicken. Die öffentliche Meinung findet nur an der Börsenhausse etwas auszusetzen und verlangt «qualitative Kreditkontrolle», um den Segen des Aufschwungs ganz auf die Löhne zu lenken und die [696] Börsengewinne zu beschneiden. Die Stimme derer, die warnend auf den unvermeidlichen Rückschlag hinweisen, wird nicht gehört. Dass die Kreditausweitung nicht jedesmal solange fortgesetzt wird, bis sie durch die Katastrophenhausse zum Zusammenbruch führt, ist nicht solchen Warnungen zuzuschreiben. Die Selbständigkeit des Vorgehens der Banken der verschiedenen Staaten führt dazu, dass die Expansion nicht gleichmäßig fortschreitet. Manche Staaten sind weiter gegangen als die anderen. Wenn sie sich nicht ganz jeder Rücksichtnahme auf die Gestaltung der Valutenkurse entschlagen wollen, müssen sie bremsen. Sie lösen damit die Panik aus, die den Aufschwung beendet und den Abstieg der Konjunktur einleitet. Der Umschwung in einem Land führt sehr bald auch in den übrigen Ländern zum Wechsel der Bankpolitik und zur Krise.

Sobald der erste Schrecken überwunden ist, tritt sogleich wieder die Forderung auf, durch neue Kreditausweitung dem Niedergang der Preise und der allgemeinen Entmutigung entgegenzutreten. Dass diese Wünsche nicht gleich erfüllt werden, ist psychologisch zu erklären. Die bösen Erfahrungen, die mit der Kreditausweitung gemacht wurden, sind noch zu frisch; die Unternehmer sind so ängstlich geworden, dass sie selbst das reichliche Anbot sehr billigen Kredits nicht veranlassen würde, ihre Zurückhaltung aufzugeben. Der Anpassungsprozess der Wirtschaft muss zunächst seinen Lauf nehmen. Es muss geraume Zeit verstreichen, ehe die Wirte wieder bereit sind, sich in neue Unternehmungen zu wagen. Früher können die Banken nicht ankurbeln.

Dieser typische Ablauf des Konjunkturwechsels ist mitunter durch das Dazwischentreten außerordentlicher, meist politischer Ereignisse beeinflusst worden. Doch im Grossen und Ganzen konnte man seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in England und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa und im Norden Amerikas von einem ziemlich regelmäßigen Wechsel von Aufschwung und Niedergang der Konjunktur sprechen. Ob die Voraussetzungen, die diese Gestaltung herbeigeführt haben, noch weiter bestehen, kann bezweifelt werden. Die Lehren der Zirkulationskredittheorie sind heute auch außerhalb des Kreises der Nationalökonomen so bekannt geworden, dass der naive Optimismus, der die Unternehmer in den Aufschwungsperioden zu erfüllen pflegte, einer skeptischeren Auffassung gewichen ist. Es mag sein, dass die Wirte auf die Kreditausweitung in Hinkunft anders reagieren werden als in der Vergangenheit; es mag sein, dass sie es scheuen werden, die angebotenen Krediterleichterungen zu Geschäftserweiterungen zu benützen, weil sie an das unvermeidliche Ende der [697] guten Konjunkturlage denken. Manche Anzeichen sprechen dafür, dass ein solcher Wandel sich vorbereitet. Doch es ist zu früh, darüber eine bestimmte Aussage zu machen.

V. Devisenbewirtschaftung und Clearingverträge

Wenn eine Regierung dem nationalen Kredit- oder Zeichengeld zwangsweise einen höheren Wert beilegen will als der Markt, werden die Wirkungen ausgelöst, die das Greshamsche Gesetz beschreibt. Dann entsteht das, was man als Devisenmangel zu bezeichnen pflegt. Die Ausdrucksweise ist irreführend. Wer für eine Ware weniger bietet als den Marktpreis, kommt nicht zum Zuge; das gilt für die Devisen, d.h. für das Auslandsgeld, geradeso wie für alle Waren.

Es gehört zum Wesen des wirtschaftlichen Gutes, dass es nicht so reichlich zur Verfügung steht, dass für jede beabsichtigte Verwendung genug davon vorhanden ist. Ein Gut, von dem man in diesem Sinne sagen könnte, dass kein Mangel daran ist, wäre ein freies Gut. Da Geld notwendigerweise ein wirtschaftliches Gut sein muss, ist Geld, an dem kein Mangel bestünde, undenkbar. Doch wenn die Regierungen, die Inflation treiben und dabei an der Fiktion festhalten, dass sie die Kaufkraft der nationalen Geldeinheit nicht gesenkt haben, über Devisenmangel klagen, haben sie einen andern Tatbestand im Auge. Würde die Regierung, die nun einmal durch Inflation das Landesgeld so vermehrt hat, dass es gegenüber dem Sachgeld und dem ausländischen Geld im Preise und gegenüber den Waren in der Kaufkraft sinkt, den Dingen freien Lauf lassen, dann würden Sachgeld und Auslandsgeld nicht «mangeln». Wer bereit ist, den Marktpreis aufzuwenden, wird für Landesgeld jeden gewünschten Betrag an Sachgeld oder Auslandsgeld erhalten können. Wer Waren kauft, wird den Marktpreis in dem Betrag zu erlegen haben, der den Austauschverhältnissen des Marktes entspricht; er wird entweder Sachgeld (oder Auslandsgeld) oder den ihm nach dem Marktkurs entsprechenden Betrag an Landesgeld zahlen müssen.

Doch die Obrigkeit will das nicht dulden. Sie ist doch souverän und glaubt daher allmächtig zu sein. Sie kann Strafgesetze erlassen, sie hat Richter und Polizisten, Galgen und Gefängnisse zur Hand und vermag jeden, der sich gegen sie auflehnt, zu zerschmettern. Sie befiehlt daher, die Preise dürfen nicht steigen. Auf der einen Seite druckt die Regierung zusätzliches Geld, tritt damit auf den Markt und schafft so zusätzliche Nachfrage nach Waren; auf der anderen Seite befiehlt [698] sie, die Preise dürfen nicht steigen. Regierungen glauben eben alles zu können.

Von den Bestrebungen, durch Preistaxen die Preise der Waren und Dienstleistungen festzulegen, wurde schon gesprochen. Jetzt haben wir unser Augenmerk den Bemühungen zuzuwenden, die Preisbildung des Auslandsgeldes, der Devisen, durch Preistaxen zu beeinflussen.

Die Obrigkeit macht für das Steigen der Devisenkurse die ungünstige Zahlungsbilanz und die Spekulation verantwortlich. Da sie nicht gewillt ist, die Preistaxe für Devisen aufzuheben, ergreift sie Maßnahmen zur Herabsetzung der Nachfrage. Devisen soll nur der kaufen dürfen, der sie für einen von der Regierung als legitim anerkannten Zweck benötigt. Waren, deren Einfuhr die Behörden als überflüssig ansehen, sollen nicht mehr eingeführt werden; Schulden an das Ausland sollen nicht mehr verzinst oder zurückgezahlt. werden; Inländer sollen nicht mehr ins Ausland reisen. Die Regierung sieht nicht, dass ihre Bemühungen zur «Verbesserung» der Zahlungsbilanz fruchtlos bleiben müssen. Wenn weniger eingeführt wird, wird auch weniger ausgeführt werden. Die Inländer, die weniger Geld für Auslandsreisen, ausländische Waren und für Verzinsung und Rückzahlung ausländischer Kredite aufwenden, werden die unverwendeten Geldbeträge zunächst nicht zur Vergrößerung der Kassenhaltung verwenden. Sie werden sie im Inland ausgeben und dadurch die Preise auf den Inlandsmärkten hinauftreiben. Weil die Preise steigen, weil die Inländer im Inland mehr kaufen, wird weniger ausgeführt. Die Preise steigen nicht nur, weil die Einfuhr (in Inlandsgeld) teurer wurde; sie steigen, weil die Geldmenge vermehrt wurde und weil die Inländer eine stärkere Nachfrage nach Waren entfalten.

Durch die Verstaatlichung des Devisenhandels glaubt die Regierung ihre Absichten durchsetzen zu können. Wer — etwa durch Exportgeschäfte - in den Besitz von Devisen gelangt, muss sie der Obrigkeit abliefern und wird nur mit dem Betrag an Inlandsgeld entschädigt, der dem von der Regierung festgelegten, hinter dem Marktpreise zurückbleibenden Preis der Devisen entspricht. Wird dieser Grundsatz wirklich durchgeführt, dann müsste die Ausfuhr vollkommen aufhören. Da die Regierung diesen Erfolg nicht wünscht, muss sie schließlich nachgeben. Sie gewährt dem Ausfuhrhandel Subventionen, die die Verluste, die der Exporteur durch die Verpflichtung zur Abgabe der Devisen erleidet, ausgleichen sollen.

Auf der andern Seite verkauft die Regierung die Devisen an die Wirte, die sie für legitime, d.h. von der Regierung als berechtigt. angesehene Zwecke gebrauchen wollen. Würde die [699] Regierung, der von ihr festgehaltenen Fiktion gemäss, für diese Devisen nur den offiziellen Preis verlangen, käme das einer Subventionierung der Einfuhrhändler (nicht etwa des Einfuhrhandels) gleich. Da auch dies nicht der Absicht der Regierung entspricht, sucht sie einen Ausgleich, etwa durch entsprechende Erhöhung der Einfuhrzölle oder durch Besteuerung der Gewinne oder Umsätze der Einfuhrhändler.

Bewirtschaftung der Devisen bedeutet Verstaatlichung des Außenhandels und aller Geschäfte mit dem Ausland. An der Kursgestaltung der Devisen ändert sie nichts. Ob die Regierung die Veröffentlichung der der Marktlage entsprechenden Gestaltung der Devisenkurse verbietet oder nicht, ist nebensächlich. Im Außenhandel kommen doch nur die dem Stande der Kaufkraft des Inlandsgelds entsprechenden Kurse zum Ausdruck.

Um diesen Tatbestand zu verschleiern, wollen die Regierungen das Geld aus dem Außenhandel verdrängen. Der Austausch von Waren und Diensten mit dem Ausland soll durch ein Clearing gehen, dessen Abrechnung man den fiktiven offiziellen Kurs zugrundelegt. [289] Doch die Geschäfte, die im Clearing abgerechnet werden, kommen auf Grundlage des Marktkurses zustande, nicht auf Grund des fiktiven Kurses.

Als Verstaatlichung des Außenhandels und aller anderen Geschäfte mit dem Ausland fügt die Devisenbewirtschaftung sich in die Politik der schrittweisen Umwandlung der Marktwirtschaft in Volkswirtschaft ein. Währungspolitisch ist sie sinn- und zweckwidrig. Die Absicht, die Gestaltung der Austauschverhältnisse zwischen dem Inlandsgeld und dem Auslandsgeld in einer von der Marktgestaltung abweichenden Höhe festzulegen, kann sie nie erreichen. [290]

 


 

[700]

6. KAPITEL: KONFISKATION UND REDISTRIBUTION

I. Die ausgleichende Gerechtigkeit in der Landwirtschaft

Den interventionistischen Maßnahmen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse die Produktion unberührt lassen. In den konfiskatorischen Eingriffen tritt diese Auffassung in der naivsten Gestalt zutage. Die Erträgnisse der Produktion werden als eine gegebene, von der Sozialordnung unabhängige Größe angesehen, deren Verteilung auf die Einzelnen nach den Grundsätzen ausgleichender Gerechtigkeit geregelt werden soll. Nicht wenige Befürworter solcher Verteilungspolitik gehen sogar so weit, dass sie annehmen, die von ihnen empfohlenen Maßnahmen würden die Ergiebigkeit der Arbeit noch steigern, da doch dann jeder Einzelne das Bewusstsein haben werde, für sich — und nicht für andere, für die Ausbeuter — zu arbeiten.

Die Aufgabe der nationalökonomischen Betrachtung ist es nun, zu zeigen, wie sich die Konfiskationen und Redistributionen auf dem Markte auswirken. Sie muss sich dabei von vornherein von der Vorstellung freihalten, als ob es in einer Gesellschaftsordnung, die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruht, einen Vorgang geben würde, den man als Verteilung bezeichnen dürfte. Verteilung findet dort statt, wo ein Vorrat in die Verfügung von Einzelnen oder von Gruppen gegeben wird, die vorher keine Verfügung über die ihnen zugewiesenen Anteile hatten. In der Marktwirtschaft ist jedes Produktionsmittel im Sondereigentum, und die Produkte werden in das Sondereigentum hinein erzeugt. Sie treten als im Sondereigentum befindliche Objekte bereits ins Dasein. Wenn man sie verteilen will, muss man sie vorerst enteignen, Enteignungen sind leicht durchzuführen. Man schließt daraus vorschnell, dass das Enteignen zur Grundlage eines auf Dauer berechneten Systems der Versorgung gemacht werden könnte.

Wenn die Wikinger einer Gemeinde selbstgenügsamer Bauern, die sie ausgeplündert hatten, den Rücken gewendet hatten, fingen die Überlebenden an, von Neuem zu arbeiten und zu bauen. Kehrten die Piraten dann nach Jahren wieder, so fanden sie neues Gut vor, das sie sich aneignen konnten. Die Marktwirtschaft aber beruht auf der Erwartung, dass nicht geplündert werden wird. Fehlt diese Bedingung, dann werden die [701] Eigentümer es vorziehen, ihr Kapital selbst aufzuzehren, statt es für die Enteigner aufzubewahren. Das ist der Widerspruch, der allen Systemen anhaftet, die Sondereigentum und Enteignung verbinden wollen.

Den Enteignungsplänen, die Sozialreformer primitiver Kulturen erdacht hatten, schwebte die Schaffung eines Gemeinwesens autarker Bauernwirtschaften vor. Jedem Hausvater soll ein Stück Ackerland, ein Haus und alles Gerät eigen sein, das der Betrieb erfordert. Auf eigenem Boden, mit eigenem Werkzeug arbeitend, von niemand als von Weib und Kindern unterstützt, soll jeder Wirt das schaffen, was ihm und den Seinen nottut. Keiner soll mehr, keiner weniger besitzen. Das ist das Bild des Gemeinwesens, das man durch die Enteignung derer, die mehr haben, verwirklichen will. In diesem Bild ist nicht einmal Raum für den gewerblichen Spezialisten einfachster Art, für den Dorfhandwerker; es erreicht seine Geschlossenheit und Widerspruchslosigkeit nur dann, wenn man Autarkie jedes Hofes im strengsten Sinne des Wortes voraussetzt.. Wenn man diese Utopie verwirklichen will, dann sind Enteignungsvorschläge nicht widersinnig. Die Zerstörung des Marktes und der Arbeitsteilung ist nicht unbeabsichtigte Folge, sondern Ziel und Ende der Reform. Doch wenn man von den Vorteilen der Arbeitsteilung nicht lassen will oder nicht lassen kann, dann ist alles, was mit diesen und ähnlichen Enteignungs- und Verteilungsvorschlägen zusammenhängt, bukolische Romantik.

In der Marktwirtschaft ist der Boden ein Produktionsmittel wie jedes andere. Vorschläge, die darauf abzielen, dem Produktionsmittel Boden und denen, die sich mit seiner land- und forstwirtschaftlichen Verwertung befassen, eine Sonderstellung einzuräumen, können im Rahmen der Marktwirtschaft nur als Pläne zur Gewährung von Privilegien für einen Teil der Gesellschaft auf Kosten der übrigen Bürger angesehen werden. Ob diese Begünstigten Latifundienbesitzer hochadeliger Herkunft, adelige Rittergutsbesitzer, Farmer oder Bauern sein sollen, mag politisch bedeutungsvoll sein. Vom Standpunkt der Einwirkung auf die Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit ist nur das wichtig, dass eine privilegierte Minderzahl auf Kosten der Übrigen bevorrechtet wird.

Der Ausdruck «Agrarsozialismus» ist zur Kennzeichnung einer Verfassung, die nichts als das Nebeneinander autarker Bauern dulden will, unzweckmäßig. Mit Sozialismus pflegt man die — geträumte und nicht zu verwirklichende — Gesellschaftsordnung zu bezeichnen, die auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruht. Hier aber ist von Gemeineigentum und der Produktion, die sich aus Gemeineigentum an den [702] Produktionsmitteln ergibt, nicht die Rede. Noch irreführender ist es, den Ausdruck «Agrarsozialismus» zu gebrauchen, wenn man die möglichst gleichmäßige Aufteilung der Äcker in einer Gesellschaft plant, die neben der Landwirtschaft auch noch andere Produktionszweige kennen soll. Das Programm eines solchen «Agrarsozialismus» bedeutet Schaffung einer Schicht privilegierter Landwirte zu Lasten der übrigen Gesellschaftsglieder. Wie man das politisch rechtfertigen will, ist unwesentlich. Die einen sehen in den Landwirten eine «rassisch» besonders wertvolle Klasse, die anderen eine wegen ihres Konservativismus oder ihrer religiösen Orthodoxie politisch erwünschte Schichte. Andere wieder glauben, dass das «Naturrecht» jedermann einen Anspruch auf ein Stück Land für den Anbau verleihe. Wieder andere meinen, dass für den Ackerbau, auf dem alles andere beruhe, weil er doch das dringendste Bedürfnis, das nach Nahrung, befriedigt, eine Sonderregelung nottue.

Die Durchführung dieses Agrarsozialismus würde bedeuten, dass durch die Erzeugung der Bodenfrüchte mehr Arbeit gebunden wird als unter den Verhältnissen unbehinderter Marktwirtschaft. Anderseits würde zwar weniger Kapital in der landwirtschaftlichen Produktion angelegt werden. Doch das würde keineswegs etwa dazu führen, dass die für gewerbliche Zwecke verfügbare Kapitalgütermenge größer wird. Da die nichtagrarische Bevölkerung für die Beschaffung von Nahrungsmitteln mehr aufzuwenden haben wird und da die gewerbliche Produktion weniger Arbeiter zur Verfügung haben wird, wird auch caeteris paribus der Umfang des Sparens niedriger sein.

Ob ein derartiges Nebeneinander zweier nach durchaus verschiedenen Grundsätzen aufgebauten Wirtschaftsgruppen, einer «agrarsozialistischen» Landwirtschaft und einer in allem, was nicht die landwirtschaftliche Erzeugung betrifft, marktwirtschaftlich unbehinderten Verarbeitungsindustrie, politisch durchführbar wäre, mag ungeprüft bleiben. Denn die Zweckwidrigkeit solcher Ordnung vom Standpunkte der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen landwirtschaftlicher Herkunft liegt auf der Hand. Wenn man die landwirtschaftliche Produktion als besonders wichtig ansieht, wie es wohl bei allen Befürwortern dieser Maßnahmen zutrifft, muss diese Unsinnigkeit besonders krass erscheinen.

Die periodisch wiederkehrende Enteignung allen Ackerlandes zum Zwecke seiner Neuverteilung hat in den Anfängen der Geschichte mancher Völker eine Rolle gespielt. Sie hat die Entwicklung der gewerblichen Erzeugung gehemmt und damit den verfügbaren Nahrungsspielraum verengt. In Gemeinwesen, deren Lebenshaltung ohne verarbeitende Industrie, [703] Verkehrsanstalten und Bergbau nicht aufrechtzuerhalten wäre, kann sie nichts anderes erzielen als Senkung der Ergiebigkeit der Arbeit.

II. Die Konfiskation durch Besteuerung

Man hat die Beseitigung oder sehr wesentliche Einschränkung des Erbrechts nicht nur als Mittel zur Überführung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in die sozialistische vorgeschlagen, sondern auch als Maßnahme ausgleichender Gerechtigkeit im Rahmen einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsordnung. In vielen Staaten hat man die Erbschaftssteuern in den letzten Jahrzehnten in solchem Masse verschärft, dass von großen Nachlässen den Erben nur der kleinere Teil belassen wird, der größere Teil aber an den Staat fällt. Da diese Steuerpolitik von der öffentlichen Meinung gebilligt und höchstens wegen ihrer zu weitgehenden Nachsicht gegenüber den Erben getadelt wird, ist wohl anzunehmen, dass man sie beibehalten und eher noch verschärf en wird.

Sondereigentum, das auf die Lebensdauer des Eigentümers beschränkt bleibt und mit dessen Tod an den Staat übergeht oder, wie man zur Rechtfertigung der Konfiskation zu sagen pflegt, «heimfällt», ist vom gesellschaftlichen Standpunkt eine sinnlose Einrichtung. Man kann es als staatliche Aufmunterung zur Kapitalaufzehrung betrachten.

Ein gleiches gilt, wenn auch vielleicht in geringerem Masse, von Beschränkungen der zulässigen Vermögensgröße. Beide Maßnahmen würden die erfolgreichsten Unternehmer veranlassen, sich vorzeitig aus der geschäftlichen Betätigung zurückzuziehen. Auch die Wegsteuerung der höheren Einkommen durch die Einkommensteuer ergibt ähnliche Folgen.

Alle diese Enteignungen entspringen der Auffassung, dass die Vermögen und die Gewinne von den Eigentümern und Unternehmern der Gesellschaft und den minderbemittelten Gesellschaftsmitgliedern entzogen wurden. Die Natur habe den Reichtum, den sie spendet, allen gegeben, und was menschliche Arbeit hervorgebracht habe, gebühre den Arbeitern. Die Ausbeuter hätten sich dieses Reichtums durch Gewalt oder List bemächtigt. Wenn man ihn ihnen wieder wegnehme, sei das nur gerecht. Auch die, zu deren Nachteil die ausgleichende Gerechtigkeit des Staates eingreife, müssten, wenn sie nicht ganz verstockt wären, die Berechtigung der «Repropriation» der Gesellschaft anerkennen. Doch alle Erwägungen dieser Art ändern nichts an dem Tatbestand, dass diese Maßnahmen die Kapitalaufzehrung fördern.

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III. Die Beschränkung des nicht aus Arbeit stammenden Ertrags

Die Gedankengänge, die dem Interventionismus zugrundeliegen, sehen im Unternehmergewinn und im Zinsbezug unrechtmäßige und unsittliche Bereicherung auf Kosten der ehrlichen, im Schweiße ihres Angesichts arbeitenden Volksgenossen. Sie halten es daher für gerecht, den besitzenden Schichten Opfer zu Gunsten der Allgemeinheit aufzuerlegen. Das unverdiente Einkommen der Ausbeuter soll entweder durch Steuern oder durch Herabsetzung der Warenpreise gekürzt werden. Müssen denn, fragt man, die Kapitalisten gerade 4 % oder gar 5 % an Zinsen beziehen? Könnten sie sich nicht mit weniger begnügen? Und könnten sich nicht die Grundbesitzer mit geringerer Bodenrente und die Unternehmer mit niedrigeren Gewinnen zufrieden geben?

Man versucht das Problem auf solche Weise vom Feld katallaktischer Erörterungen auf das moralische Gebiet zu verschieben. Man geht auf das, was die Nationalökonomie über die Wirkung der Eingriffe lehrt, nicht ein. Man stellt sich auf eine andere Ebene, auf die des Sittengesetzes. Man entwirft Pläne für den Neubau der Gesellschaft, ohne sich darum zu kümmern, ob sie auch verwirklicht werden können und ob ihre Verwirklichung Ergebnisse bringen würde, die den Absichten der Planmacher entsprechen. Denn man geht von der Annahme aus, dass der Mensch in der gesellschaftlichen Sphäre alles durchzuführen vermag, was er durchführen will. Man weigert sich zu erkennen, dass der handelnde Mensch nicht allmächtig ist, dass er sein Handeln und die gesellschaftliche Kooperation nicht nach Gutdünken einrichten kann. Auch im menschlichen Handeln waltet eine unentrinnbare Notwendigkeit, der man nicht entgehen kann. Man kann an den handelnden Menschen wohl Forderungen jeder Art stellen. Doch wenn der Mensch Forderungen entsprechen soll, die mit den Zielen, die auch der Moralkritiker dem Handeln setzt, unvereinbar sind, dann wird das Ergebnis nicht das sein, das die Moralisten erwarten.

Für die gesellschaftliche Kooperation der Menschen gibt es nur eine wirkungsfähige Ordnung: die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhende Marktwirtschaft. Wenn man diese Ordnung nicht vernichten und die Kultur nicht zerstören will, darf man nicht Maßnahmen und Verhaltungsweisen fordern, die ihr Wirken unmöglich machen.

Das Getriebe der Marktwirtschaft wird durch die Faktoren in Gang erhalten, die der Moralist als Profitsucht, Eigennutz und Mammonismus verdammen will. Weil jeder Einzelne sein [705] Unbefriedigtsein so weit abstellen will, als er es kann, weil jeder Einzelne auf seinen Vorteil bedacht ist und gewinnen und nicht verlieren will, arbeitet das Getriebe. Es ist ein Missgriff, wenn man aus dem ganzen Gefüge die Unternehmer, die Kapitalisten und die Bodeneigentümer herausgreift und nur an ihrem Verhalten Kritik übt.

Wenn man den Zins beseitigen oder ermäßigen will, müsste man sich an die Verbraucher wenden und sie auffordern, in Hinkunft Befriedigung in einem ferneren Abschnitt der Zukunft nicht niedriger zu werten als Befriedigung in einem näheren Abschnitt. Es ist nutzlos und zweckwidrig, den Zinsbezug zu verbieten oder an die Eigentümer der Produktionsmittel das Ansinnen zu stellen, auf ihn freiwillig zu verzichten. Man müsste den Verbrauchern sagen: Schätzet einen Apfel, der in hundert Jahren reifen wird, nicht niedriger als den reifen Apfel, den ihr sogleich verzehren könnt. Denn solange diese Wertungsverschiedenheit besteht, kann man den Urzins nicht «beseitigen», «aufheben» oder in seinem Ausmaß beschränken. Die verschiedene Wertung gegenwärtiger und künftiger Güter ist die Quelle des Urzinses, nicht die Habsucht der Kapitalisten. Man kann den Zinsbezug den Bezugsberechtigten nicht entziehen, wenn man nicht will, dass sie das Kapital aufzehren. Man kann den Zinsbezug nicht unter den durch die Höhe des Urzinses gegebenen Stand herabsetzen, wenn man nicht das Marktgetriebe in ein sinnloses Chaos verwandeln will.

Statt dem Unternehmer den Unternehmergewinn zu entziehen, müsste man die Verbraucher zwingen, nicht das zu kaufen, was sie am dringendsten benötigen, sondern das, was sie einstmals benötigt haben. Dann würde es keine Unternehmergewinne geben. Wenn man den Unternehmergewinn ganz oder teilweise konfisziert, stört man nur die Anpassung der Produktion an die Bedürfnisse der Verbraucher.

 


 

7. KAPITEL: STÄNDESTAAT UND SYNDIKALISMUS

I. Die neue ständische Idee

Wenn man vom Ständestaat und von der ständischen Ordnung der Wirtschaft spricht, verwendet man einen Ausdruck, der auf Einrichtungen der Vergangenheit hinweist. Doch was man im Auge hat, ist keineswegs die Wiederherstellung einer Ordnung, die einst bestanden hat und lange aufgehört hat zu [706] bestehen, und ist auch ebensowenig die Aufrichtung einer Ordnung, von der man zu unrecht glaubt, dass sie einst bestanden habe.

Vor dem Erfolge des Liberalismus, der das geschaffen hat, was man den modernen Rechtsstaat und die moderne Kultur und Gesellschaft nennt, war die menschliche Gesellschaft ständisch gegliedert. Die Einzelnen waren vor dem Gesetze nicht gleich; ihre Rechtsfähigkeit war abgestuft, und diese Unterschiede in der Rechtsfähigkeit waren erblich. Die Gesellschaftsgliederung war starr. Der Einzelne war durch seine Standeszugehörigkeit in der Bewegungsfreiheit gehemmt. Er war nicht berechtigt, sich seinen Platz im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsgemeinschaft selbst zu suchen; er hatte dort zu bleiben, wohin ihn die Geburt gestellt hatte. Wo das Stände- und Kastensystem voll ausgebildet war, war die Erblichkeit der Berufs- und Arbeitsstellung bis ans Ende durchgeführt. Anderswo gelang es doch wenigstens ab und zu einem begabten Einzelnen, die Schranken, die die Stände trennten, zu übersteigen und sich in einem höheren Stande einzunisten.

Wenn heute von berufständischer Gliederung und vom Neubau der Gesellschaft auf ständischer Grundlage gesprochen wird, hat man keineswegs etwa die Wiederherstellung der ständischen Gliederung der Gesellschaft mit erblichen Kasten im Auge. «Stand» und «ständisch», «corporazione» und «corporativo» sind Schlagworte, deren moderne Verwendung teils aus Unkenntnis der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, teils aus dem Bestreben nach Irreführung der Massen zu erklären ist, die aber durchaus nicht in dem Sinne der alten Standes- und Kastenordnungen gemeint sind. Man suchte ein Wirtschaftsprogramm, das weder liberalkapitalistisch, noch sozialistisch, noch interventionistisch sein sollte. Liberal-kapitalistisch durfte es nicht sein, weil man damit die Massen gewinnen wollte, denen die sozialistische Agitation unauslöschlichen Hass gegen Liberalismus und Kapitalismus eingeimpft hatte. Sozialistisch durfte es nicht sein, weil man auf die Unterstützung der Schichten, die die Enteignung fürchteten, nicht verzichten wollte. Doch auch zum Interventionismus durfte man sich nicht bekennen, da das Versagen der Interventionspolitik zu offenkundig war. So griff man denn in der Verlegenheit nach dem Schlagwort Ständestaat.

Weder in Italien noch in Portugal hat man bisher den Versuch unternommen, das Programm dieses Ständestaates und der ständischen Verfassung durchzuführen. In beiden Staaten wird die Diktatur der herrschenden Partei auf jedem Gebiet des öffentlichen Lebens streng gehandhabt. In Österreich hat [707] man zwar eine Verfassung geschaffen, der man die Bezeichnung «ständisch» beigelegt hat. Doch diese Verfassung ist toter Buchstabe geblieben. «Vorläufig» wurden alle Funktionäre, die öffentliche Aufgaben zu erfüllen hatten, von der Regierung ernannt, und dabei blieb es bis zum Ende der Selbständigkeit Österreichs. In Italien ist es nicht anders. Auch dort herrscht schroffster Absolutismus der Staatsgewalt. Jede Regung eines Widerstands, ja schon jede Äußerung einer von den Ansichten der Regierung abweichenden Meinung wird unterdrückt. Es gibt kein Gebiet des gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Lebens, auf dem sich eine von der Staatsführung unabhängige Betätigung entfalten könnte. Wo in Körperschaften gewählt wird, wird den Wählern keine Möglichkeit gegeben, ihre Stimme anderen als den von der Regierung aufgestellten Wahlbewerbern zu geben. Der Ständestaat ist hier nichts als eine Bezeichnung, die die Diktatur deckt: von dem künftigen Neuen, das das Wort und die Programme in Aussicht stellen, sind nicht einmal Umrisse zu erkennen.

Wenn man darangehen will, die Wirtschaft des «ständischen» Staates zu untersuchen, ist man darauf angewiesen, die Grundelemente seiner Verfassung aus den drei negativen Merkmalen und dem einzigen positiven Merkmal zu entwickeln, die seine literarischen und politischen Verfechter zur Bestimmung ihrer Programme angeben.

Die drei negativen Merkmale sind:

a) Der Ständestaat ist nicht liberal und nicht kapitalistisch. Er lehnt daher — wenn auch nicht im Worte, so doch in der Sache — das Sondereigentum an den Produktionsmitteln ab.

b) Der Ständestaat ist nicht sozialistisch. Er lehnt daher das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln ab.

c) Der Ständestaat will auch nicht interventionistisch sein; er lehnt daher die Eingriffe des Staates oder vom Staate geduldeter Zwangsgewalten in die Gestaltung der Preise, Löhne und Zinssätze ab. [291]

Das alles ist, daran muss man festhalten, vorläufig nur Programm für die weitere Zukunft, nicht auch schon Richtlinie für die gegenwärtige Politik. Die Wirtschaftspolitik des italienischen Staates schwankt wie die Wirtschaftspolitik aller anderen Staaten zwischen Sondereigentum, Gemeineigentum und Intervention. Sie verstaatlicht einzelne Betriebe und Produktionszweige und hält. die früher durchgeführten Verstaatlichungen [708] aufrecht, sie lässt in manchen Produktionszweigen das Sondereigentum weiterarbeiten, sie greift für andere Produktionszweige immer wieder zu Staatsinterventionen.

Anderseits ist auch das positive Merkmal der Wirtschaftsverfassung des Ständestaates vorderhand nur Programm für eine künftige Gestaltung, nicht auch schon Ziel für die Politik der Gegenwart. Dieses positive Merkmal besagt: Die einzelnen Produktionszweige und Produktionsgruppen werden als Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitern zwangsweise organisiert. Diese Gemeinschaft der Unternehmer und Arbeiter regelt alle Verhältnisse des Produktionszweiges und der Produktionsgruppe selbständig. Sie ist der Träger sowohl der wirtschaftlichen als auch der politischen Organisation des Gemeinwesens. [292] Sie ist der Stand, die Korporation, die Gilde. Auf ihr beruht das künftige Staatswesen. [293] Ihr Aufbau ist der Aufbau des neuen Staates, der die Welt von Kapitalismus und Liberalismus, von Sozialismus und Kommunismus, von Etatismus, Interventionismus und Bürokratismus befreien soll.

II. Die politische Verfassung des Ständestaats

Das politische Programm des italienischen Ständestaats ist ebenso wie das wirtschaftliche vor allem nach der negativen Seite hin erkennbar. Es lehnt Demokratie und Parlamentarismus radikal ab. Es entzieht dem Einzelnen jeden Rechtsanspruch. Nicht nur die subjektiven öffentlichen Rechte der Staatsbürger werden beseitigt, sondern auch die subjektiven Privatrechte. Das Eigentum des Einzelnen wird einem Obereigentum des Staates unterstellt, der Staat darf über den Einzelnen und über sein Eigentum im Interesse des Ganzen frei verfügen; der Staatsraison wird unumschränkter Spielraum eingeräumt.

Folgerichtig hat diesen Gedanken nur das nationalsozialistische Programm zu Ende geführt. Der charismatische Führer ist in seinen Befugnissen nicht beschränkt, sein Befehl ist höchstes Gesetz, und wer es wagt, sich ihm zu widersetzen, lehnt sich gegen die heilige Weltordnung auf. Das ist der theokratische Gedanke in seiner höchsten Ausbildung. Sein wunder Punkt liegt in der Frage der Anerkennung des begnadeten [709] Führers. Wenn über die Frage, wer Führer sein soll, keine Einigung erzielt werden kann, dann bleibt kein anderer Ausweg als die Entscheidung durch die Waffen. Führerprinzip und autoritäre Staatsführung sind nur die Umschreibung für einen Zustand, in dem jeder Einzelne und jede Gruppe, die sich stark genug fühlen, es versuchen, sich mit Gewalt der Herrschaft zu bemächtigen. Nie war das Führerprinzip besser verwirklicht als im römischen Reich des zweiten Jahrhunderts. An der Spitze des Reiches stand der beste und fähigste Mann und war darauf bedacht, seine Nachfolge dem zu übergeben, den er selbst für den besten und geeignetsten hielt. Doch auf Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel folgte die Prätorianerdiktatur und mit ihr der Bürgerkrieg und der schnelle Niedergang. Die Herrschaft des Besten wurde abgelöst durch die Herrschaft des von der Gunst der Legionen getragenen Haudegens, der vom ersten Tag seiner Regierung an sich gegen den Ehrgeiz und das Machtstreben anderer Truppenführer zu wehren hatte, bis er früher oder später unterlag. Man hat behauptet, das Versagen des Systems der Antonine sei allein darauf zurückzuführen, dass der letzte der guten Kaiser, Marc Aurel, vom Grundsatze seiner Vorgänger abgewichen sei, indem er die Herrschaft nicht wie jene durch Adoption dem geeignetesten Mann, sondern seinem leiblichen Sohn Commodus übertragen habe. Doch ein System, dessen Funktionieren durch einen Fehler eines einzelnen Mannes gestört werden kann, ist unbrauchbar, selbst wenn dieser Fehler weniger verzeihlich gewesen wäre als der eines Vaters, der den Wert seines Sohnes überschätzt. Das System musste in dem Augenblick versagen, in dem sich ein Mann fand, der bereit war, dem herrschenden Kaiser Charisma und Herrschaft zu bestreiten. Das römische Reich versank in Anarchie, weil es nicht verstanden hatte, die Kämpfe der Armeeführer um den Purpur durch ein friedliches System zu ersetzen.

Es ist kennzeichnend, dass keine der Diktaturen, die heute in Europa bestehen, die Frage der Nachfolge des Diktators offen behandelt hat. Nur negativ herrscht da Klarheit: der Diktator ist nicht auf demokratischem Wege zu bestellen, er wird nicht vom Volke gewählt.

Wenn und soweit die Parteien der Diktatur Wahlen, Abstimmungen und Parlamente offen verwerfen, bleiben sie ihrer Grundauffassung treu. Doch die Macht der demokratischen Ideen ist immerhin noch so groß, dass die Diktatur auf den Prestigegewinn, den sie durch Benützung der äußeren Formen des demokratischen Parlamentarismus zu erreichen vermag, nicht verzichten will. So bestehen dem Scheine nach im [710] Deutschen Reich und in Italien noch Parlamente, und selbst Russland hat eine scheinparlamentarische Einrichtung geschaffen.

Wenn man mitunter davon spricht, den Parlamentarismus durch ständische Vertretungskörper zu ersetzen, will man ebensowenig Rückkehr zu den ständischen Einrichtungen der Vergangenheit empfehlen, wie man durch die Berufsstände die ständische Gliederung der vorliberalen Zeit nachbilden will. Wenn man mit dem Schlagwort: «Ersatz des Parlamentarismus durch berufsständische Vertretung» überhaupt eine klare Vorstellung verbindet, ist es die einer Änderung des Wahlrechts und der Wahlordnung. Die Vertreter sollen nicht mehr aus Wahlen hervorgehen, an denen alle Staatsbürger ohne Unterschied ihrer Berufstätigkeit teilnehmen; man will Pluralwahlrecht und Kuriensystem an Stelle der bestehenden Wahlrechte setzen.

Es wäre jedoch ein Irrtum, anzunehmen, dass die berufsständischen und korporativistischen Ideen immer mit der schroffsten Ablehnung von Parlamentarismus, Demokratie und Freiheit verbunden werden. Man kennt das ständische Reformprogramm heute meist nur aus den Äußerungen der italienischen und portugiesischen Staatsmänner, aus den Büchern der Schriftsteller dieser Völker und daneben auch noch aus den Schriften der Österreicher Spann und Messner sowie aus der katholischen Literatur, die sich auf die päpstliche Enzyklika Quadragesimo anno vom 15. Mai 1931 beruft. Da alle diese mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung auch die politische Verfassung des Liberalismus, die parlamentarische Demokratie, verwerfen, glaubt man, dass das System der berufsständischen Ordnung der Gesellschaft nur in dieser Verbindung vorgetragen werden könne. Man hat nicht beachtet, dass gerade die Vertreter des korporativistischen Gedankens, die ihn bis zu Ende gedacht haben, die englischen Gildensozialisten, keineswegs von jenem Hass gegen die parlamentarische Demokratie erfüllt waren, der die süd- und osteuropäischen Vertreter des Korporativismus kennzeichnet.

Es wäre vergebene Mühe, sich die Frage vorzulegen, ob die berufsständische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit einer bestimmten Gestalt politischer Verfassung notwendig verknüpft ist, und welcher Art diese Verfassung sein müsste. Zunächst muss geprüft werden, ob das Wirtschafts- und Gesellschaftsgefüge, das die Korporativisten aufrichten wollen, überhaupt durchführbar ist. Wenn diese Untersuchung, wie sich erweisen wird, zu dem Ergebnis führt, dass ein korporativistisches Gesellschaftsgefüge nicht arbeits- und lebensfähig wäre, dass der Korporativismus daher undurchführbar ist, wird die [711] Frage nach der der korporativistischen Wirtschaftsordnung entsprechenden politischen Verfassung gegenstandslos.

III. Die Wirtschaftsverfassung des Korporativismus

Man hat versucht, die politischen und wirtschaftspolitischen Ideologien mit nationalen Kennzeichen zu versehen. Man hat den westlichen Ideen die deutschen und die slavischen Ideen gegenübergestellt; man hat einen Unterschied zwischen germanischem und romanischem Gedankengut entdecken wollen; man hat, besonders in Russland und in Deutschland, neuerdings auch in Italien, von der Sendung des auserwählten Volkes gesprochen, das zur Weltherrschaft bestimmt sei und der Welt das Heil zu bringen habe. Im Hinblick auf solche Bestrebungen ist die Feststellung notwendig, dass alle politischen und wirtschaftspolitischen Ideen, die heute die Welt erfüllen, von Engländern, Schotten und Franzosen ausgebildet wurden. Weder Deutsche noch Russen haben zum Gedankenbau des Sozialismus auch nur ein Jota hinzugefügt; die Ideen des Sozialismus kamen nach Deutschland und Russland ebenso aus dem Westen wie die Ideen, die viele Deutsche und Russen heute als westliche Ideen verwerfen. Nicht anders steht es um das berufsständische und korporativistische Reformprogramm. Es entstammt dem englischen Gildensozialismus, und man muss die Schriften dieser heute schon vergessenen Bewegung zur Hand nehmen, wenn man sich über die Grundfragen des berufsständischen Wesens unterrichten will. Die italienischen, portugiesischen, österreichischen und katholischen Schriften, Parteiprogramme und sonstige Äußerungen über den berufsständischen und korporativen Aufbau bedienen sich einer unklaren Ausdrucksweise und vermeiden eindeutige Formulierungen und Präzisierungen; sie gleiten mit Redensarten über die entscheidenden Probleme hinweg. In den Schriften des englischen Gildensozialismus herrscht dagegen in der Darstellung des Programms größere Klarheit, und Sidney und Beatrice Webb haben das Ziel des Gildensozialismus scharf umrissen. [294]

In der korporativistischen Utopie wird der Markt ersetzt durch das Zusammenspiel der Korporationen, d.i. der als Körperschaften organisierten Gesamtheiten der in einem Produktionszweig tätigen Personen. Alles, was nur den Produktionszweig allein angeht, also gewissermaßen die inneren Angelegenheiten der einzelnen Korporationen, wird durch die Korporation selbst geordnet, ohne dass der Staat oder der [712] Korporation fremde Personen mitzureden hätten. [295] Die Beziehungen zwischen den Korporationen werden durch Verhandlungen von Korporation zu Korporation oder durch eine Gesamttagung der Korporationen geregelt. Der Staat, d.i. das aus allgemeinen Wahlen hervorgehende Parlament, greift überhaupt nicht ein oder nur dann, wenn die Korporationen zu keiner Vereinbarung gelangen.

Den englischen Gildensozialisten schwebte, als sie ihre Pläne entwarfen, das Bild der englischen Lokalverwaltung und ihres Verhältnisses zur Zentralverwaltung vor. Sie wollten Selbstverwaltung der einzelnen Industriezweige schaffen. So wie die einzelnen Provinzen und Städte ihre örtlichen Angelegenheiten selbst besorgen, so sollen auch die einzelnen Produktionszweige im Rahmen des gesellschaftlichen Ganzen die nur sie berührenden Angelegenheiten selbst erledigen.

Doch in der arbeitsteiligen Gesellschaft gibt es keine inneren Angelegenheiten einzelner Betriebe, Unternehmungen und Produktionszweige, die nur allein die Angehörigen dieser Betriebe, Unternehmungen und Produktionszweige berühren und die übrigen Bürger nichts angehen. Jedermann ist daran interessiert, dass in jedem einzelnen Betrieb, Unternehmen und Produktionszweig so wirtschaftlich gearbeitet werde, als es unter den gegebenen Verhältnissen möglich ist. Jede Vergeudung von Arbeit und Material trifft jeden Bürger. Man kann den Angehörigen eines Produktionszweiges nicht die Entscheidung über die Wahl der Erzeugungsverfahren und über die Beschaffenheit und die Menge der Erzeugnisse überlassen, weil diese Entscheidungen jedermann angehen und nicht bloß die Mitglieder des Berufsstandes, der Gilde oder der Korporation. Wenn der Unternehmer der kapitalistischen Wirtschaft in seinem Betrieb als Herr frei schalten und walten darf, bleibt er dem Gesetz des Marktes untertan; wenn er nicht Verluste erleiden will, dann muss er darauf bedacht sein, die Wünsche der Verbraucher so gut zu erfüllen, als es unter den gegebenen Verhältnissen geht. Der berufsständisch organisierte Produktionszweig, der keinen Wettbewerb zu fürchten hat, wäre aber nicht der Diener, sondern der Herr der Verbraucher, wenn er die vermeintlich nur ihn angehenden inneren Angelegenheiten nach Gutdünken regeln könnte.

Die Mehrzahl der Vertreter des berufsständischen Reformprogramms will die Unternehmer und Eigentümer der Produktionsmittel nicht ausschalten. Sie wollen die Korporation als [713] Gemeinschaft aller dem Produktionszweig angehörenden Einzelnen aufrichten. Die Auseinandersetzung zwischen den Unternehmern, den Eigentümern des im Produktionszweig angelegten Kapitals und den Arbeitern über die Verwendung der Bruttoerträgnisse und die Gestaltung der Einkommen der einzelnen Berufsangehörigen erscheint ihnen als eine der inneren Angelegenheiten, die ohne Zuziehung Außenstehender vom Berufsstand autonom zu regeln wäre. Wie dabei verfahren werden soll, wird freilich nicht gesagt. Wenn Unternehmer, Kapitalisten und Arbeiter innerhalb der Standesorganisation in besondere Kurien oder Gruppen zusammengefasst werden und die Verhandlungen zwischen den Kurien geführt werden, kann eine Einigung überhaupt nicht erzielt werden, wenn die Unternehmer und die Kapitalisten nicht gewillt sind, auf ihre Ansprüche freiwillig zu verzichten. Wird aber die Entscheidung unmittelbar oder (durch Wahl von Ausschüssen) mittelbar durch die Beschlüsse von Vollversammlungen getroffen, in denen jeder Einzelne die gleiche Stimmbefugnis hat, dann werden die zahlreicheren Arbeiter die Unternehmer und die Kapitalisten überstimmen und über ihre Ansprüche zur Tagesordnung übergehen. Die berufsständische Ordnung würde damit auch der Form nach zum Syndikalismus.

Ebenso wird es mit der Abstufung der Löhne sein. Wenn darüber durch Abstimmung entschieden werden soll, bei der jedem Berufsangehörigen gleiche Stimmbefugnis zukommt, wird das Ergebnis wohl Gleichheit der Löhne ohne Rücksicht auf die Art der Arbeitsleistung sein.

Um zu verteilen und zu entlohnen, muss der Stand zuvor durch Verkauf seiner Erzeugnisse verdient haben. Jeder einzelne Berufsstand steht auf dem Markte als alleiniger Erzeuger der Güter da, die in seinen Erzeugungsbereich fallen. Er hat keinen Wettbewerb von Erzeugern der gleichen Waren zu fürchten, da er allein berechtigt ist, die Erzeugung durchzuführen. Wir haben mithin eine Gesellschaft von Monopolisten vor uns. Das bedeutet nun freilich nicht, dass alle Korporationen in der Lage wären, Monopolpreise zu erzielen. Doch viele Produktionszweige könnten Monopolpreise erzielen und dabei Monopolgewinne verschiedener Höhe erwerben. Die korporativistische Gliederung der Gesellschaft wird daher einzelnen Produktionszweigen und ihren Angehörigen besondere Vorteile bringen. Es wird Produktionszweige gehen, die durch Einschränkung der Erzeugung den Gesamterlös ihres Zweiges so stark zu erhöhen vermögen, dass sie den Anteil ihrer Angehörigen an dem Gesamtverbrauch des Wirtschaftsgefüges relativ zu steigern vermögen. Manche Produktionszweige [714] werden dabei vielleicht sogar ungeachtet des Sinkens der Gesamtproduktionsergebnisse zu absoluter Erhöhung des Verbrauchs ihrer Angehörigen zu gelangen vermögen.

Damit ist die Sinnwidrigkeit des Systems schon genügend gekennzeichnet. Die einzelnen Korporationen haben keine Veranlassung, die Produktion so wirtschaftlich als möglich zu gestalten. Sie haben ein Interesse daran, die Erzeugungsmenge so herabzusetzen, dass sie Monopolpreise zu erzielen vermögen, wobei es ganz von der Gestaltung der Nachfragekurve abhängt, ob die Angehörigen einer oder der anderen Korporation besser oder schlechter fahren. Die Korporationen werden umso günstiger gestellt sein, je dringender der Bedarf nach ihren Erzeugnissen auftritt, und diese Dringlichkeit. des Bedarfs wird es manchen von ihnen ermöglichen, die Erzeugungsmenge einzuschränken und dabei doch den Reinertrag zu steigern. Das ganze System würde in letzter Linie zu schrankenloser Despotie der im strengen Sinne des Wortes lebenswichtigen Produktionszweige führen.

Es ist wohl undenkbar, dass einmal ernstlich versucht werden sollte, ein derartiges System durchzuführen. Alle Vorschläge zur korporativistischen Ordnung der Gesellschaft sehen ein Eingreifen des Staates zumindest für den Fall vor, dass zwischen den Korporationen eine Einigung über die Angelegenheiten, die mehrere von ihnen oder alle betreffen, nicht erzielt werden sollte. [296] Zu diesen Angelegenheiten muss man wohl die Gestaltung der Preise rechnen. Es ist nicht anzunehmen, dass darüber zwischen den Korporationen eine Einigung erzielt werden könnte. Wenn aber der Staat eingreifen soll, wenn er die Preise festsetzt, dann verliert das System seinen korporativistischen Charakter und wird entweder Sozialismus oder Interventionismus.

Doch die Preispolitik ist nicht der einzige Punkt, an dem die Undurchführbarkeit des berufsständischen Systems zutage tritt. Das System macht jede Veränderung im gesellschaftlichen Produktionsprozess urimöglich. Wenn der Bedarf sich geändert hat oder wenn neue Produktionsverfahren an die Stelle der alten treten sollen, müssen Kapital und Arbeit von einem Produktionszweig zu anderen verschoben werden. Das sind Fragen, die über den Rahmen einer einzelnen Korporation hinausgehen. Hier muss eine den Korporationen übergeordnete Stelle, die nur der Staat sein kann, eingreifen. Wenn aber der Staat über den [715] Umfang der von jeder einzelnen Korporation zu verwendenden Kapitalien und über die Anzahl der von ihr zu verwendenden Arbeiter entscheidet, dann führt eben der Staat und nicht die Korporationen.

IV. Syndikalismus

Die berufsständische oder korporativistische oder gildensozialistische Ordnung entpuppt sich mithin als Syndikalismus. Die in jedem einzelnen Produktionszweig tätigen Arbeiter sollen die Verfügung über die Produktionsmittel erhalten und die Produktion für eigene Rechnung führen. Es ist dabei unwesentlich, ob man dabei denen, die früher Unternehmer oder Kapitalisten waren, eine besondere Stellung in der neuen Ordnung zuweisen will oder nicht. Unternehmer und Kapitalisten in dem Sinne, in dem es in der Marktwirtschaft Unternehmer und Kapitalisten gibt, könnten sie in der neuen Ordnung nicht mehr sein. Sie können hier nur Bürger sein, die bei der Entscheidung über die Geschäftsführung und bei der Verteilung der Erträgnisse bevorzugt werden. Die gesellschaftliche Funktion, die sie in der Marktwirtschaft eingenommen haben, geht jedoch auf die Gesamtheit. der Korporationsmitglieder oder auf die Organe der Korporation über. Selbst wenn in der Korporation nur die ehemaligen Unternehmer und Kapitalisten zu reden hätten und selbst wenn der größte Teil der Erträgnisse ihnen zuzukommen hätte, bliebe das System syndikalistisch. Denn nicht das sind die praxeologischen Kennzeichen des Syndikalismus, dass jeder Syndikalist den gleichen Anteil am Ertrag erhält oder dass er an der Fassung der den Wirtschaftsbetrieb bestimmenden Beschlüsse mitwirkt, sondern das, dass die Einzelnen und die Produktionsmittel starr mit bestimmten Produktionszweigen verbunden sind, so dass kein Arbeiter und kein Produktionsmittel von einem Produktionszweig zu einem andern abwandern kann. Ob man im Schlagworte: «die Mühlen den Müllern, die Druckereien den Druckern» die Ausdrücke Müller und Drucker so fasst, dass sie auch die früheren Eigentümer der Mühlen und Druckereien einschließen oder nicht und ob man diesen ehemaligen Unternehmern und Eigentümern eine mehr oder weniger bevorrechtete Stellung zuweist, ist gleichgültig. Entscheidend ist, dass die Marktwirtschaft, in der die Eigentümer der Produktionsmittel und die Unternehmer, aber auch alle Arbeiter von den auf dem Markte zum Ausdruck gelangenden Begehrungen der Verbraucher abhängen, durch ein System ersetzt wird, in dem die Erzeugung nicht mehr von den Begehrungen der Verbraucher bestimmt wird, sondern von den Wünschen der Produzenten. Der Koch bestimmt, was und wie viel jeder [716] Einzelne essen darf, und wer das ihm vorgesetzte Essen zurückweisen wollte, müsste verhungern, weil niemand als der Koch das Recht hat, Speisen zuzubereiten. Ein derartiges System mag immerhin noch ein wenig Sinn bewahren, solange die Verhältnisse ungeändert bleiben und die Besetzung der einzelnen Produktionszweige mit Kapital und Arbeit der Lage des Marktes noch einigermaßen entspricht. Jeder Wechsel der Verhältnisse macht es sinnlos.

Der Syndikalismus mit seiner Forderung, das Eigentum an den Produktionsmitteln den in dem Produktionszweig tätigen Arbeitern zu überlassen, entspricht den Auffassungen vom Produktionsprozess, die die Arbeiter aus der Perspektive ihrer Stellung gewinnen. Sie sehen in der Werkstätte, in der sie täglich die gleichen Arbeiten verrichten, eine ständige Einrichtung; sie sehen nicht, dass Wirtschaften und Erzeugen sich immerfort wandeln. Sie wissen nicht, ob die Unternehmungen, in denen sie tätig sind, Ertrag abwerfen oder nicht. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die Angestellten von mit Verlust arbeitenden Eisenbahnen die Forderung erheben: die Eisenbahn den Eisenbahnern! Die Arbeiter glauben naiv, dass ihre Arbeit Ertrag schafft und dass die Unternehmer und Kapitalisten nur Drohnen sind. Man kann es psychologisch verstehen, wie die Gedankengänge der Syndikalisten entstehen konnten. Doch das syndikalistische Programm kann durch kein Verstehen dessen, was in den Köpfen seiner Befürworter vorgeht, lebens- und wirkungsfähig werden.

Das syndikalistische und das korporativistische Gesellschaftssystem beruhen auf der Annahme, dass der einmal erreichte Stand der Produktionsverfassung unverändert belassen werden kann. Nur wenn diese Voraussetzung zutrifft, kann man davon absehen, Kapital und Arbeiter von Produktionszweig zu Produktionszweig zu versetzen und damit Maßnahmen zu treffen, die eine den einzelnen Korporationen, Ständen und Syndikaten übergeordnete Stelle verfügen muss. Kein Nationalökonom hat es daher je versucht, die syndikalistische Idee als eine brauchbare Lösung des Problems menschlicher Kooperation zu bezeichnen. Der revolutionäre Syndikalismus Sorel's und der Anhänger der action directe hat mit dem syndikalistischen Gesellschaftsprogramm nichts zu tun. Dieser Syndikalismus war und ist politische Taktik im Dienste von auf die Aufrichtung des Sozialismus gerichteten Bestrebungen.

Der englische Gildensozialismus ist nach kurzer Blüte spurlos von der Bildfläche verschwunden. Seine Schöpfer haben ihn selbst aufgegeben, wohl weil sie die logischen Widersprüche des Systems erkannt haben. Der korporativistische und [717] berufsständische Gedanken spielt heute noch eine Rolle im Schrifttum und in den Äußerungen von Staatsmännern. Doch kein Staat hat den Versuch unternommen, ihn ins Werk zu setzen. Das Italien des Fascismus, das sich am lautesten zum Korporativismus bekennt, ist bestrebt, die Befehle der Regierung allen Wirtschaftsbetrieben gegenüber durchzusetzen.

Man liebt es, gewissen Einrichtungen korporativistischen oder berufsständischen Charakter zuzusprechen. Man nennt z. B. Körperschaften, die die Regierung beraten dürfen, oder Zwangskartelle, die die Regierungen schaffen und unter ihrer Aufsicht arbeiten lassen, korporativistische Einrichtungen. Doch auch das hat mit Korporativismus nichts gemein.

Man kann die Dinge drehen wie man will, man kommt auch mit der korporativistischen (ständestaatlichen) oder syndikalistischen Idee über die Alternative Marktwirtschaft oder Sozialismus nicht hinweg.

 


 

8. KAPITEL: DIE KRISE DES INTERVENTIONISMUS

I. Die Beweiskraft der Tatsachen

Die Nationalökonomen haben seit mehr als hundert Jahren die Folgen, die interventionistische Politik nach sich ziehen muss, genau vorausgesagt. Man hat sie darob verhöhnt und verspottet. Nun, da diese Folgen eingetreten sind, sagt man, die Nationalökonomie hätte ihr Unvermögen erwiesen.

In dem Kampf, den die öffentliche Meinung und die von der öffentlichen Meinung getragenen politischen Parteien und Regierungen allenthalben gegen die Nationalökonomie führen, mengen sich metaphysische Vorurteile mit dem romantischen Bestreben, die Welt anders zu sehen, als sie ist, und die Probleme, die die gegebene Welt dem Handeln der Menschen stellt, nicht zu lösen, sondern in Tagträumen wegzudenken.

Ein Vorurteil unserer Zeit ist die Übertragung der Methoden der naturwissenschaftlichen Forschung auf die, Probleme des menschlichen Handelns. Das Denken ist in Verruf gekommen. Nur die Erfahrung, nur die nackten Tatsachen, will man gelten lassen. Man sieht nicht, dass die Bedingungen, die der Erforschung der Probleme des menschlichen Handelns gegeben sind, von denen, die der Naturforschunggegeben sind, verschieden sind. Man huldigt einem methodologischen Monismus, [718] dessen Paradoxie offenkundig ist. Denn dass nur die Erfahrung allein den Weg zur Erkenntnis des Sozialen erschließen könne, wird nicht etwa aus Erfahrung geschlossen, die auf dem Gebiete der sozialen Forschung gemacht wurde, sondern aus der Erfahrung, die die Naturwissenschaft gemacht hat. Man verwirft die Ergebnisse der Praxeologie, die man logisch im Übrigen nicht anzufechten vermag, im Hinblick auf die Erfahrung, die die Naturwissenschaften geboten haben.

Mit dem Grundsätzlichen, das gegen diese Geisteshaltung spricht, haben sich andere Abschnitte dieses Buches befasst. Hier sei auf die Inhalte dieser Denkweise eingegangen, um sie immanent zu kritisieren.

Wenn man die Erfahrung gelten lassen will, müsste man doch wohl die Augen nicht vor der Tatsache verschließen dürfen, dass kein Volk, von dem wir wissen, eine höhere Stufe des Wohlstands ohne Sondereigentum an den Produktionsmitteln erreicht hat, und dass die Zurückdrängung des Interventionismus durch die liberale Politik seit dem 18. Jahrhundert zur gewaltigsten Steigerung des Wohlstandes geführt hat, die die Geschichte kennt. Die Bevölkerung vervielfachte sich und dennoch wuchs der Reichtum. Der einfache Mann aus dem Volke lebte am Ende dieser Periode nicht allzustark gehemmter Marktwirtschaft weitaus besser als die wenigen Begünstigten älterer Epochen. Das ist. eine harte Tatsache, die man nicht leugnen kann. Man kann freilich versuchen, ihre Beweiskraft zu schwächen oder zu bestreiten. Doch dann treibt man eben schon Theorie, dann muss man zu praxeologischen Sätzen greifen, die mit Erfahrung nichts mehr zu tun haben.

Man hat a priori aus dem Denken das Bild eines idealen, nicht in der Erfahrung nachweisbaren sozialistischen Gemeinwesens konstruiert, und man fordert nun, dass die Marktwirtschaft durch die Gemeinwirtschaft ersetzt werde. Kein Praxeologe wird die Zulässigkeit der gedanklichen Konstruktion solcher hypothetischer Gebilde bestreiten wollen. Doch die Praxeologie beansprucht für sich das Recht, ihrerseits an diesem und ähnlichen Gedankenbildern Kritik zu üben, um sie im Hinblick auf ihre Funktions-, Lebens- und Verwirklichungsmöglichkeiten zu untersuchen. Man kann eine apriorische Konstruktion, die ohne Bezugnahme auf die Erfahrung hingestellt wurde, nicht anders prüfen als wieder durch apriorisches Denken. Es war daher durchaus unlogisch, dass man gegen diese Kritik den Einwand erhoben hat, sie wäre nur apriorisch; man müsse die Erfahrung abwarten, die man mit sozialistischer Wirklichkeit machen werde. Da solche Erfahrung nur dann zur Bestätigung [719] oder Widerlegung der über die Unmöglichkeit sozialistischer Wirtschaftsrechnung entwickelten Theorie dienen könnte, wenn sie mit einem von der übrigen Welt streng abgesonderten oder mit einem die ganze Ökumene umfassenden sozialistischen Gemeinwesen gemacht werden könnte, bedeutet diese Forderung einen Freibrief für widerspruchsvolles Spekulieren und an ihm orientierte Politik. Dann darf wohl jedermann nach Belieben aprioristisch Gedankenbilder ersinnen und die Umgestaltung der Gesellschaft nach ihrem Muster fordern, doch es bleibt allen verwehrt, an diesen Schöpfungen des Geistes Kritik zu üben, ehe sie durchgeführt wurden.

Man versucht die Vortrefflichkeit der sozialistischen Wirtschaftsweise durch den Hinweis auf die in Russland gemachten Erfahrungen zu beweisen. Doch was die Erfahrung zeigt, ist allein das, dass die Massen des russischen Volkes viel schlechter leben als die Massen im kapitalistischen Westen. Ja, meint man, dass die Russen im Elend leben, habe andere Gründe. Nicht der Sozialismus sei daran schuld, sondern der Zarismus. Die Russen hätten früher noch schlechter gelebt, der Abstand zwischen ihrem Lebensstand und dem der Westvölker sei früher noch größer gewesen, die Fortschritte, die Russland gemacht habe, seien schneller als die der anderen Völker. Doch damit geht man über das, was die Erfahrung lehrt, bereits hinaus. Man beruft sich nicht mehr auf die Erfahrung; man sucht im Gegenteil die Lehren der Erfahrung durch den Hinweis auf andere Umstände und durch die Herausziehung von Theorien wegzudisputieren.

Kritisiert die Nationalökonomie den Interventionismus, dann beruft man sich auf die günstigen Erfahrungen, die man mit den Eingriffen gemacht haben will. Doch diese Erfahrungen beziehen sich auf die näheren, nicht auch auf die fernerliegenden Folgen. Dass in the short run die von den Eingriffen erwarteten Wirkungen bei manchen Arten von Eingriffen erzielt werden können, ist unbestritten. Die Auffassungen der Nationalökonomen weichen von denen der Interventionisten nur dort ab, wo es um die Wirkung in the long run geht, und in der Frage, ob nicht neben den beabsichtigten Wirkungen auch noch andere Wirkungen eintreten, die vom Standpunkte derer, die den Eingriff gesetzt haben, als unerwünscht zu bezeichnen sind. Darüber kann die Erfahrung wieder nichts sagen, weil die Beobachtung nie unter sonst gleichbleibenden Verhältnissen gemacht werden kann. So sehen wir denn, dass die Erfahrung verschieden gedeutet und ausgelegt wird und dass jeder Streit um die Deutung und Auslegung der Erfahrung sehr schnell [720] in die Erörterung von Sätzen der apriorischen Theorie einmündet. Eine Erfahrungstatsache, die man nur in einem Sinne deuten und auffassen könnte, konnte man, bisher wenigstens, auf dem Gebiete des menschlichen Handelns nicht aufweisen. [297]

II. Die Arbeitslosigkeit, das Schicksalsproblem der Zeit

Die Dauer- und Massenarbeitslosigkeit ist zum Schicksalsproblem der modernen Kultur geworden. Sie zerbricht das Werk, das der Liberalismus aufgerichtet hat.

Dass Millionen dauernd aus dem Erzeugungsprozess ausgeschaltet bleiben sollen, ist ein Zustand, der nicht lange ertragen werden kann. Der einzelne Arbeitslose will arbeiten. Er will erwerben, weil er die Vorteile, die der Lohn ihm bringt, höher schätzt als den für den Mittellosen recht problematischen Wert dauernder Muße. Dass er keine Arbeit finden kann, treibt ihn zur Verzweiflung. Aus den Arbeitslosen formen die Abenteurer, die die Diktatur anstreben, ihre Sturmtruppen.

Die öffentliche Meinung sieht in der Arbeitslosigkeit den Beweis für die Unzulänglichkeit der Marktwirtschaft. Der Kapitalismus, meint man, habe sein Unvermögen gezeigt, die Probleme der gesellschaftlichen Kooperation zu lösen. Die Arbeitslosigkeit erscheint als die unvermeidliche Folge von Antinomien der kapitalistischen Wirtschaft. Dass die Ursachen dieser Dauer- und Massenarbeitslosigkeit in der Lohnpolitik der Gewerkschaften und in der Unterstützung, die diese Lohnpolitik durch die Regierungen findet, zu suchen sind, bleibt der öffentlichen Meinung unbekannt. Die Stimme der Nationalökonomen dringt nicht ins Publikum.

Die Laien haben immer geglaubt, dass die Fortschritte der Technik Leute ums Brot bringen. Darum haben die alten Zünfte und Innungen jeden Neuerer zu Tode gehetzt, darum haben die Maschinenstürmer Maschinen zerstört. Heute können die Gegner des technischen Fortschritts sich auf die Wohlmeinung von Männern berufen, die man als berufene Vertreter der Wissenschaft ansieht. Denn in Büchern und Artikeln ohne Zahl wird gesagt, dass die technologische Arbeitslosigkeit, im kapitalistischen System zumindest, unvermeidbar sei. Als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit empfiehlt man Verkürzung der Arbeitszeit; da die Wochenlöhne dabei entweder [721] überhaupt nicht oder nicht in entsprechendem Masse gesenkt oder selbst erhöht werden sollen, bedeutet das in der Regel weitere Lohnerhöhung und damit Mehrung der Arbeitslosigkeit. Man empfiehlt öffentliche Arbeiten als Weg zur Arbeitsbeschaffung. Wenn jedoch die dafür benötigten Geldmittel durch Anleihen oder durch Steuern beschafft werden, dann wird an der Lage nichts geändert. Die für die Notstandsarbeiten verwendeten Beträge werden anderer Produktion entzogen, dem Zuwachs an Arbeitsgelegenheit entspricht eine Abnahme der Arbeitsgelegenheit in anderen Zweigen des Wirtschaftsgefüges.

Man greift dann schließlich zur Kreditausweitung und Inflation. Doch mit dem Steigen der Preise und dem Sinken der Reallöhne setzt die auf Lohnsteigerung gerichtete Politik der Gewerkschaften wieder stärker ein. Immerhin ist festzustellen, dass es durch die Abwertungen und durch verwandte inflationistische Maßnahmen in manchen Fällen gelungen ist, die Folgen der gewerkschaftlichen Lohnpolitik zu mildern und dem Fortschreiten der Arbeitslosigkeit vorübergehend Einhalt zu tun.

Gegenüber der Ohnmacht, mit der man in den Staaten, die man als demokratisch zu bezeichnen pflegt, dem Problem der Arbeitslosigkeit gegenübersteht, erscheint die Politik, die die Diktaturstaaten einschlagen, als außerordentlich erfolgreich. Die Arbeitslosigkeit schwindet, wenn man durch Einreihung der Arbeitslosen in das Heer und in andere militärische Verbände, in Arbeitslager und in Arbeitsgruppen die Zwangsarbeit einführt. Die Zwangsarbeiter müssen sich mit Löhnen begnügen, die weit unter denen der übrigen Arbeiter liegen. Allmählich sucht man dann einen Ausgleich der Lohnsätze zu erzielen, indem man den Lohn der Zwangsarbeiter erhöht, den der übrigen Arbeiter herabsetzt. Die politischen Siege der totalitären Staaten haben ihre vorzüglichste Quelle in den Erfolgen, die sie in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielen konnten.

Wenn es nicht gelingt, die Macht, die die gewerkschaftliche Lohntheorie heute genießt, zu brechen und durch die Wiederherstellung der Freiheit der Lohnbildung die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, dann werden auch die westeuropäischen Industriestaaten und die Vereinigten Staaten von Amerika bald die politische und wirtschaftspolitische Verfassung radikal ändern. Wenn man den lohnpolitischen Interventionismus nicht aufgibt, muss man das Experiment des totalen Staates auf sich nehmen. Wenn man die Marktwirtschaft nicht von den Hemmungen des Interventionismus befreien will, muss man zum Sozialismus gelangen. Ob man sich dabei mehr an das deutsche oder mehr an des russische Vorbild halten will, macht keinen Unterschied. [722] Der Sozialismus ist in keiner Gestalt lebens- und wirkungsfähig.

Der Interventionismus ist kein System gesellschaftlicher Kooperation, sondern eine Aneinanderreihung einzelner Maßnahmen, die den Ablauf der marktwirtschaftlichen Erscheinungen beeinflussen sollen. Er ist eine Häufung von Aushilfen, die in the short run und zu Gunsten einzelner Gruppen Erfolge erzielen können, die der Absicht der eingreifenden Obrigkeit entsprechen, die sich aber in the long run als zweckwidrig erweisen und im besten Falle einer Minderheit Vorteile auf Kosten der Mehrheit bringen können.

Man pflegt die Eingriffe als soziale oder sozialpolitische Maßnahmen zu bezeichnen. Ihrer Wirkung nach müsste man sie antisozial nennen. Denn sie können sich nie zu einem sinnvollen Ganzen formen. Sie bauen die Gesellschaft nicht auf; sie nehmen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit den Sinn. Das Ziel der Kooperation ist Behebung von Unbefriedigtsein; kein Eingriff aber vermag die Erreichung dieses Ziels zu fördern. Er verschlechtert die Bedürfnisbefriedigung entweder für alle oder zumindest für die große Mehrheit.

Man kann versuchen, die Volkstümlichkeit der einzelnen Eingriffe psychologisch zu verstehen und die überwältigenden Siege der interventionistischen Politik aus der Gestaltung der politischen Verfassung der modernen Staaten zu erklären. Man kann die Geschichte des modernen Interventionismus schreiben. Man kann schließlich auch die einzelnen Maßnahmen, deren sich die interventionistischen Obrigkeiten bedienen, enzyklopädisch in der Art darstellen, in der es einst für den älteren Interventionismus die Handbücher der Kameral- und Polizeiwissenschaft getan haben. Man kann es auch unternehmen, die einzelnen Eingriffe vom Standpunkte der Sonderinteressen einzelner Gruppen zu rechtfertigen. Doch all das kann die Feststellung, dass der Interventionismus als Ganzes sinnwidrig ist, nicht erschüttern.

Wenn man die Betrachtung auf die unmittelbaren Wirkungen einzelner Eingriffe beschränkt, vermag man freilich weder ihre weiteren mittelbaren Wirkungen noch die Folgen der interventionistischen Politik als Ganzes zu erkennen. Doch wer sozial denkt, d.h. die Dinge mit dem Blick auf das gesellschaftliche Gefüge und auf die Ziele, die die Menschen ihrem Handeln setzen, betrachtet, muss zum Urteil gelangen, dass der Interventionismus das, was er anstrebt, nicht erreichen kann, dass er vom Standpunkte derer, die ihn empfehlen, und derer, die die Eingriffe setzen, zweckwidrig ist.

 


 

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9. KAPITEL: KRIEGSWIRTSCHAFT

I. Der Krieg und die Marktwirtschaft

Die Marktwirtschaft ist friedliches Zusammenwirken von Menschen. Sie wird gesprengt, wenn die Bürger zu Kriegern werden und, statt Waren und Dienste zu tauschen, einander bekriegen.

Die Ausbildung der internationalen Arbeitsteilung erfolgte in der Erwartung, dass Kriege hinfort unterbleiben werden. Der liberalen Ideologie erschien das einfach selbstverständlich. In ihren Augen war die menschliche Geschichte ein Fortschreiten von Militarismus zu Industrialismus. Fürsten, meinte sie, wollen Kriege führen, um ihren Herrschaftsbereich auszudehnen; Soldaten wollen durch Beute reich werden. Die Bürger aber fragen nicht darnach, wo die politischen Grenzen verlaufen. Sie können durch Kriege nichts gewinnen; die Kosten der Kriegführung erscheinen ihnen als unnützer Aufwand. Die Verdrängung des fürstlichen Absolutismus durch Demokratie und Selbstbestimmungsrecht der Völker werde daher für alle Zeiten den Frieden sichern.

Heute herrschen andere Ideen in der Welt. Krieg ist das Losungswort.

Eine weitverbreitete Auffassung meint, dass die Vervollkommnung der Waffen- und Kriegstechnik den Krieg ad absurdum führen müsste. Man vergisst dabei, dass mit dem Fortschritt der Angriffstechnik auch die Abwehrtechnik fortschreitet. Die Waffen sind heute wirksamer, doch auch die Schutzmittel sind wirksamer geworden.

Die Menschenverluste sind im modernen Kriege weit größer als in den Kriegen der Vergangenheit. Man hat geglaubt, dass darin ein Argument zur Stützung der auf die allgemeine und dauernde Befriedung der Welt gerichteten Bestrebungen liege. Doch man vergisst, dass in den Augen derer, die den Krieg als das zweckmäßigste Mittel zur Mehrung ihres Reichtums ansehen, die Toten und Verstümmelten nicht zählen. Es leben, meinen sie, ohnehin zu viel Menschen auf der Erde.

Es sei doch entsetzlich, Menschen zu töten und zu verstümmeln, sagen die Philanthropen. Wenn man an den Jammer und an das Elend denke, das der Krieg mit sich bringe, müsste man sich zur Friedensliebe bekehren. Doch die Militaristen haben nichts als Verachtung für solche «schwächliche dekadente [724] Weichherzigkeit». Kriege habe es immer gegeben, Kriege werde es immer geben; die Natur habe den Menschen zum Kämpfer geschaffen, er verdorre und erschlaffe im «faulen» Frieden. Der Krieger, der Held, sei die Verkörperung edler Tugenden; nur das Leben des stets von Gefahren bedrohten Kämpfers sei wert, gelebt zu werden. Das Leben des Bürgers, der sich im Schweiße plagt, sei Verkümmern in Schmutz und Schachergeist. Dem Starken gehöre die Welt. Dass die Schwachen und Feigen den Frieden preisen, sei wohl zu verstehen. Denn sie leben und genießen nur, weil der Frieden die Tapferen hindere, sich ihres unrechtmäßig erworbenen Reichtums zu bemächtigen. Ihr Schutz liege allein in den Fetzen Papier, die man Rechtsordnung und Verträge nenne und die die Starken mit einer Handbewegung zerreißen können. Lange genug sei es den Schwachen gelungen, durch ihre Friedensschalmeien die Starken davon abzuhalten, sich das mit Gewalt zu nehmen, was das Naturgesetz ihnen zugesprochen hat. Nun aber wären die Helden zum Bewusstsein ihrer Kraft erwacht. Nichts werde sie mehr hindern, das Joch der falschen Ideologien abzuschütteln und das zu erbeuten, worauf sie Anspruch haben, weil sie stark sind.

Jene fortschreitende Entartung der Menschheit, die die Schwachen und Feigen als Entwicklung der Kultur bezeichnen, habe, meinen die Verkünder des neuen Heldentums, selbst den Krieg nicht verschont. Man habe den Krieg humanisieren wollen, man habe die Kriegführung an Regeln binden wollen, man habe die Kriege nicht mehr mit voller Kraft geführt und beendet. Man habe eine künstliche Scheidung zwischen Heer und Volk, zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten aufgerichtet, man habe den Krieg zu einer bloß das Heer berührenden Unternehmung erniedrigt, habe im Kriege und im Siege das Volk gewissermaßen neutralisiert, als unbeteiligt angesehen und daher geschont. Mit solchen Halbheiten müsse aufgeräumt werden. Man müsse den Krieg wieder in seine Rechte einsetzen. Der Krieg müsse wieder total werden. Nicht mehr Heere müssten in der Zukunft kämpfen, sondern Völker. Die Unterscheidung zwischen Heer und Volk, zwischen Kriegs- und Friedenszustand, zwischen dem Bereich der militärischen Kommandogewalt und bürgerlichem Leben und Freiheiten müsse verschwinden. Das Volk müsse wieder das werden, was es in den Tagen der Völkerwanderung war: eine dem Führer bedingungslos gehorchende Menge, die keine anderen Ziele kennt als den Krieg. Der Frieden habe nur eine Aufgabe: den kommenden Krieg vorzubereiten. Die Friedenswirtschaft dürfe kein anderes Ziel kennen als die Bereitstellung der Mittel für [725] den Krieg; sie müsse schon im Frieden Kriegswirtschaft sein. Gemeinnutz habe vor Eigennutz zu gehen, das heißt: kein Einzelner darf es sich herausnehmen anders zu handeln, als ihm im Interesse der Kriegsbereitschaft und der Kriegführung befohlen wurde.

Der totale Krieg des totalen Staates ist Krieg ohne Gnade und wird durch den totalen Sieg beendet. Man schließt mit den Überwundenen keine Verträge, man verhandelt nicht mit ihnen. Man rottet sie total und radikal aus. Nur die Sieger dürfen den Krieg überleben. Besiegte Völker haben von der Erdoberfläche zu verschwinden; sie haben keinen Anspruch auf «Raum».

II. Heereskrieg und totaler Krieg

Die Unterscheidung des totalen Krieges vom Heereskrieg ist für die Betrachtung der praxeologischen Probleme der Kriegführung grundlegend.

Der totale Krieg ist der Aufbruch der Horde zum Kriegs- und Raubzug. Der ganze Stamm, das ganze Volk bricht auf, niemand — auch kein Weib und kein Kind — bleibt zuhause, es sei denn, er hätte dort besondere Aufgaben zu erfüllen, die dem Kriegszwecke dienen. Die Mobilmachung ist total, und das Volk ist immer kriegsbereit. Jeder ist Krieger oder dient den Kriegern. Heer und Volk, Heer und Staat sind eins.

Im Heereskrieg kämpft ein Heer, während für die nicht in das Heer eingereihten Bürger das Leben so weitergeht wie sonst. Die Bürger tragen die Kosten der Kriegführung, sie bestreiten den Unterhalt und die Ausrüstung des Heeres, doch sie bleiben im Übrigen außerhalb der Kriegsereignisse. Es kann geschehen, dass die Kampfhandlungen ihre Häuser zerstören, ihre Grundstücke verwüsten und ihre bewegliche Habe vernichten; auch das gehört zu den Kriegskosten, die ihnen zu Last fallen. Es kann auch vorkommen, dass sie von den Kriegern — auch von denen der «eigenen» Armee — ausgeplündert werden und dabei ums Leben kommen. Doch das sind Begebenheiten, die mit der eigentlichen Kriegführung nichts zu tun haben, die die Operationen der Heerführer eher stören als fördern und von Befehlshabern, die ihre Truppen ganz in der Hand haben, nicht geduldet werden. Der kriegführende Staat, der die Armee aufgestellt und ausgerüstet hat und sie mit allem versorgt, dessen sie zur Kriegführung bedarf, sieht im Plündern der Soldaten eine unzulässige Ausschreitung. Er will das bürgerliche Leben ungestört seinen Gang nehmen lassen, weil er die Steuerkraft der Bürger schonen will; eroberte Landstriche rechnet er schon [726] zum eigenen Besitzstand. Die marktwirtschaftliche Ordnung soll auch im Kriege und gerade im Hinblick auf die Bedürfnisse der Kriegführung erhalten bleiben.

Unter diesen Umständen ist der Krieg dem Staate ein finanzielles Problem. Der Staat muss die Geldmittel aufbringen, die er zur Bestreitung der Kriegsausgaben benötigt. Hat er Geld zur Verfügung, dann vermag er alles zu kaufen, was die Kriegführung erfordert.

Ein kriegswirtschaftliches Problem, das über finanzielle Aufgaben hinausgeht, bietet dem Heereskrieg nur die belagerte Festung. In der von der Verbindung mit der übrigen Welt abgeschnittenen Stadt stehen nur beschränkte unvermehrbare Mengen an Nahrungsmitteln und an anderen für Unterhalt und Ausrüstung von Besatzung und Zivilbevölkerung erforderlichen Gütern zur Verfügung. Will man den Zeitpunkt, in dem die Festung durch Hunger zur Übergabe gezwungen wird, möglichst hinausschieben, dann muss man mit diesem Vorrat sparsam umgehen. Da auch der Hunger der Bürger die Besatzung in ihrer Widerstandskraft schwächen könnte, kümmert sich der Befehlshaber auch um deren Versorgung. Er verpflegt sie nicht etwa aus den für die Truppen bestimmten Vorräten. Er entfernt nur vor Beginn der Einschließung alle jene Bürger, die nicht so große Vorräte angesammelt haben, dass sie so lange durchhalten können wie die Besatzung; er nimmt dann die Vorräte der Zurückgebliebenen in Verwahrung und teilt an Truppen und Bürger schmale Rationen aus. In der belagerten Stadt entsteht die Kriegswirtschaft als Wirtschaftsgemeinschaft von Heer und Volk.

Doch die Verteidigung einer belagerten Stadt nimmt unter den Kriegshandlungen eine Sonderstellung ein. Sie ist, gerade wegen ihrer ökonomischen Eigenart, ein hoffnungsloses Unternehmen. Früher oder später muss die belagerte Feste unausbleiblich kapitulieren, wenn sie nicht vorher durch äußere Hilfe befreit wurde. Die Belagerten kämpfen um Zeitgewinn; sie wollen bis zum Entsatz durchhalten. Auf sich allein angewiesen müssen sie unterliegen. Festungsbesatzungen können nicht siegen, sie können, wenn ihnen nicht von außen Hilfe kommt, bestenfalls in Ehren untergehen.

Es hat auch im Feldkriege mitunter ähnliche Lagen gegeben. Doch erst die Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung hat Bedingungen geschaffen, die die materiellen Voraussetzungen der Kriegführung radikal umgestaltet haben.

Der erste Krieg, der unter neuen Bedingungen durchgekämpft wurde, war der amerikanische Bürgerkrieg. Die [727] Südstaaten waren durch die Blockade der Seeküste von der Verbindung mit der übrigen Welt abgeschnitten. Im Westen trennten sie viele tausend Kilometer unwegsamen Landes vom Ozean, im Süden grenzten sie an das unwegsame und an Hilfsmitteln noch ärmere Mexiko. Sie waren für die Deckung ihres Bedarfs an Kriegsmaterial und an Verkehrsmitteln auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Ihre Armeen hatten bald unter Unzulänglichkeit der Ausrüstung und der Hilfsmittel zu leiden. Die Nordstaaten, deren Heere schlechter geführt wurden, dankten ihren Enderfolg der Überlegenheit an Menschen und an Kriegsmaterial. Die hochentwickelte Industrie der Yankees hat über das fast industrielose Dixie-Land gesiegt.

Doch erst im Weltkrieg standen die Staaten vor den Problemen, die die internationale Arbeitsteilung der Kriegführung zu lösen aufgibt. Und erst das Auftreten von Regierungen, die im totalen Krieg die Welt erobern wollen, schuf das, was man das kriegswirtschaftliche Handeln nennt.

III. Die totale Mobilmachung

Im kriegswirtschaftlichen Handeln treffen zwei verschiedene Probleme zusammen, die man zu sondern hat. Die Totalität des Krieges heischt die Unterordnung alles Handelns unter die Zwecke der Kriegführung; der im totalen Krieg stehende totale Staat verlangt Kriegssozialismus. Der Krieg zerreißt die weltwirtschaftliche Verflechtung der marktwirtschaftlichen Beziehungen; der Krieg verlangt Autarkie.

Der erste Schritt, der vom Heereskrieg wieder zum totalen Krieg hinführte, war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Sie beseitigte die Unterscheidung zwischen Soldaten und Bürgern. Der Krieg sollte nicht länger eine Angelegenheit der Söldner sein; er sollte alle angehen, die die erforderlichen Körperkräfte besitzen. Das Schlagwort «Volk in Waffen» deutete freilich zunächst nur ein Programm an, das man aus finanziellen Gründen nicht vollständig durchführte. Nur ein Teil der wehrfähigen Mannschaft wurde militärisch ausgebildet und zum Kriegsdienste eingezogen. Doch man blieb auf dem einmal betretenen Wege nicht stehen und musste schließlich soweit kommen, dass durch die Mobilmachung des Heeres der Arbeit in der Heimat, die als Hinterland und als Etappe die Kombattanten zu ernähren und auszurüsten hat, die brauchbarsten Kräfte entzogen wurden. Man musste anfangen, zwischen abkömmlichen und unabkömmlichen Bürgern zu unterscheiden; die für die Versorgung des Heeres unabkömmlichen Männer [728] musste man auch im Krieg von der Einreihung in die Kampftruppen ausnehmen. Damit gelangte die Verfügung über die Verwendung der Arbeitskräfte in die Hand der militärischen Führung. Die allgemeine Wehrpflicht will jeden der kriegsdiensttauglich ist, zum Krieger machen; frei gehen nur die Kranken, die Schwachen, die Alten, die Weiber und die Kinder aus. Wenn man nun erkennt, dass ein Teil der Wehrtauglichen zu Arbeiten im Hinterland verwendet werden muss, die auch Ältere und Jüngere, Schwächlinge und Weiber leisten könnten, entfällt der Grund, der in der Dienstpflicht zwischen Kriegsdiensttauglichen und Untauglichen unterscheiden ließ. Die allgemeine Wehrpflicht führt dann zu allgemeiner Dienstpflicht aller arbeitsfähigen Staatsangehörigen. Der Oberbefehlshaber verfügt über das ganze Volk, er ersetzt die Arbeit der Wehrfähigen durch die Arbeit von nichtwehrfähigen Dienstpflichtigen und zieht so viel von den Wehrfähigen an die Front, als er ohne Gefährdung der Versorgung der Armee im Hinterland und in der Etappe entbehren kann. Der Oberbefehlshaber entscheidet damit, was und in welcher Weise produziert werden soll. Er muss dann auch darüber entscheiden, in welcher Weise die Produkte verwendet werden sollen. Die Mobilmachung ist total geworden; Volk und Staat sind in der Armee aufgegangen; der Kriegssozialismus hat die Marktwirtschaft ersetzt.

Es ist dabei ohne Belang, ob in diesem System des Kriegssozialismus denen, die früher Unternehmer waren, eine bevorzugte Stellung eingeräumt wird oder nicht. Sie mögen fortan Betriebsführer heißen und in den Heereswerkstätten gehobene Posten bekleiden, und sie mögen in der Verteilung des Rationen besser behandelt werden als die, die früher nur Angestellte und Arbeiter waren. Doch sie sind nicht mehr Unternehmer. Sie sind Beauftragte, denen befohlen wird, was und wie sie zu erzeugen haben, wo und zu welchem Preise sie Produktionsmittel zu erwerben haben, an wen und zu welchem Preis sie die Produkte zu verkaufen haben.

Es erschiene widersinnig, die totale Mobilmachung erst mit Kriegsbeginn durchzuführen. Da man im Frieden nichts anderes mehr sieht als einen Waffenstillstand, in dem man für den kommenden Krieg zu rüsten hat, muss man schon im Frieden die Kriegsorganisation der Hinterlandsarbeit genau so aufbauen, wie man das Heer schon im Frieden aufbaut. Der einzige Unterschied, der zwischen Krieg und Frieden in dieser Hinsicht noch besteht, ist der, dass im Frieden eine Anzahl von Männern, die im Krieg in der Kampflinie verwendet werden sollen, noch für Hinterlandsarbeit gebraucht werden. Der Übergang vom Friedenszustand zum Kriegszustand erfolgt dann durch das [729] Abziehen dieser Männer von ihrer Arbeit und durch ihr Einrücken in die Truppenverbände.

Die Offiziere, die dieses System durchgeführt haben oder durchführen wollen, sind des Glaubens, dass der Kriegssozialismus die militärische Leistungsfähigkeit im höchsten Masse verbürgt. Sie ahnen nicht, wie sehr die Ausschaltung der Unternehmerinitiative die Versorgung der Armee schwächt. Sie werden es erst auf den Schlachtfeldern lernen müssen.

Nicht die Völker, die total in den Krieg zu ziehen pflegten, haben die Welt erobert. Die Hunnen, Tataren, Ostgoten und Vandalen sind im Kampfe vernichtet worden. Der totale Aufbruch der Volksgemeinschaft in den totalen Krieg verbürgt keineswegs den totalen Sieg; er kann auch in die totale Niederlage führen.

Der wirksamste Schutz der Kulturvölker gegen die Angriffe der Barbaren liegt gerade in der Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Produktion. Im Weltkrieg waren die Erfolge, die die Zentralmächte im Osten gegen Russen, Rumänen und Serben erzielt haben, und die entscheidenden Erfolge der Westmächte im langwierigen Stellungskrieg in Frankreich vor allem Erfolge der industriellen Überlegenheit. Die öffentliche Meinung hat die Gewinne, die die Unternehmer bei der Lieferung von Kriegsmaterial erzielt haben, als anstößig empfunden. Es verletzte das sittliche Empfinden, dass Leute im Hinterland Gewinne einstecken durften, während in den Schützengräben andere Männer sterben mussten.

Wer den Krieg moralisch verwirft, weil ihm Töten und Verstümmeln von Menschen als unmenschlich erscheinen, muss trachten, die Ideologie, die zum Kriege führt, durch eine Ideologie zu ersetzen, die den Frieden dauernd erhält. Wenn aber ein friedliches Volk angegriffen wird und sich wehrt, dann gilt nur eines: den Abwehrkampf so wirksam als möglich zu gestalten. Man muss den Kriegern die besten Waffen und Schutzmittel in die Hand geben. Das kann man nur erreichen, wenn man das Getriebe der Marktwirtschaft nicht behindert. Die Armeelieferanten, die hohe Profite machten, haben die Armeen so gut versorgt und ausgerüstet, dass sie siegen konnten. Kein anderes System ist so leistungsfähig wie das marktwirtschaftliche. Dass man im 19. Jahrhundert aufhörte, die Waffen in staatlicher Regie zu erzeugen, war das Ergebnis von Erfahrungen, die man auf dem Schlachtfelde gemacht hatte. Die Kanonen, die aus den Werkstätten der «Kanonenkönige» hervorgingen, hatten die Produkte der königlichen Arsenale im wahren Sinne des Wortes aus dem Felde geschlagen. Niemals hat sich die Leistungsfähigkeit der Unternehmer besser bewährt [730] als im Weltkriege. Nur aus Ressentiment wurden die Gewinne der Unternehmer, die den Produktionsapparat in den Dienst der Kriegszwecke zu stellen wussten, bekämpft.

Wenn die kapitalistischen Völker darauf verzichten wollten, die Überlegenheit die ihnen ihr Wirtschaftssystem verleiht, in Kriegszeiten für Kriegszwecke auszunützen, würden sie ihre Widerstandsfähigkeit und ihre Siegesaussichten beträchtlich verringern. Dass die Begleitumstände des Krieges als ungerecht empfunden werden, ist wohl zu verstehen. Dass die Unternehmer an Kriegslieferungen reich werden, ist jedoch nur eine der vielen Unzukömmlichkeiten und Ungerechtigkeiten, die der Krieg schafft. Dass die Soldaten ihr Leben und ihre Gesundheit einsetzen müssen, dass sie unbedankt und unbekannt in der Front verbluten, während die weit vom Schuss in Sicherheit und Bequemlichkeit arbeitenden Heerführer und Generalstabsoffiziere Ruhm erwerben und ihr Fortkommen fördern, ist auch nicht «gerecht». Die Forderung nach Beseitigung der Kriegsgewinne ist nicht vernünftiger als die Forderung, den Feldherrn, seinen Stab, die Ärzte und die übrigen Funktionäre des Etappendienstes unter den Entbehrungen und Gefahren in der ersten Linie arbeiten zu lassen, denen der kämpfende Soldat ausgesetzt ist. Nicht die Kriegsgewinne der Unternehmer sind anstößig, der Krieg ist es.

Krieg und Marktwirtschaft sind eben letzten Endes unverträglich. Die Marktwirtschaft konnte sich nur entwickeln, weil der Industrialismus den Militarismus zurückgedrängt hatte und weil er den totalen Krieg der Horden zum Heereskrieg hatte «entarten» lassen. Der liberale Gedanken, der die Marktwirtschaft werden ließ, verlangt in folgerichtiger Weiterführung die Herstellung des ewigen Friedens. Wenn einzelne Völker diese Entwicklung stören, wenn sie gar von Neuem den Krieg total machen wollen, dann bleibt der übrigen Menschheit nichts übrig, als diese Rebellion radikal zu unterdrücken. Das kann aber nicht wirksamer geschehen als durch die Ausnützung der industriellen und technischen Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Systems.

IV. Kriegswirtschaftliche Autarkie

Das zweite Problem der Kriegswirtschaft entspringt der internationalen Arbeitsteilung.

Selbstgenügsame Wirte kennen, auch wenn sie einander befehden, diese Probleme nicht. Doch wenn der Schneider gegen den Bäcker kämpfen will, muss er trachten, sein Brot selbst zu erzeugen. Unterlässt er das, dann wird er früher Not leiden [731] als der Bäcker, der länger auf die neuen Kleider warten kann als der Schneider auf das frische Brot. Das kriegswirtschaftliche Problem ist daher für Schneider und Bäcker nicht von gleicher Art.

Das kriegswirtschaftliche Versorgungsproblem ist nicht in dem Sinne ein allgemeines und für jede Kriegführung identisches Problem wie das des Kriegssozialismus. Es hängt von der jeweiligen Gruppierung der kriegführenden Parteien ab. Auch auf der gegenwärtigen Stufe der Entwicklung der internationalen Arbeitsteilung würde ein Krieg zwischen Belgien und Holland den Kriegführenden keine Versorgungsschwierigkeiten bereiten, wenn die übrigen Staaten neutral bleiben.

Das Versorgungsproblem ist im Weltkrieg als Problem der Zentralmächte ein Hauptproblem der Weltpolitik geworden. Es ist auch heute ein Problem nur im Hinblick auf die militärischen Pläne des Deutschen Reiches und Italiens; es ist auch für die anderen Staaten nur durch die Konstellation gegeben, die die Absichten der deutschen und italienischen Autokraten geschaffen haben.

Die Beherrscher des deutschen Reichs streben nach Hegemonie. Sie wollen alle Widerstände, die sie finden, durch Waffengewalt niederwerfen und alle Völker Europas unter ihr Joch zwingen und ihrem Reich als Heloten einverleiben. Die geographische Lage des Reichs, die ihm die strategischen Vorteile der inneren Linie sichert, und die hohe Volkszahl, die die Aufstellung der gewaltigsten Armee der Welt ermöglicht hat, sind der Ausführung dieses Plans günstig. Die Mentalität der weitaus überwiegenden Zahl der Deutschen, die ganz im Banne der militaristischen Ideologie leben, und die Friedensliebe der Bürger der großen Kulturnationen des Westens sind es nicht minder. Doch die englische Flotte beherrscht die Zufahrt zu den deutschen Häfen. Sie kann Deutschland im Kriege von der Zufuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen abschneiden. Auf Unterstützung durch den italienischen Bundesgenossen, dessen Lage in dieser Hinsicht noch ungünstiger ist, darf Deutschland nicht rechnen. Das ist das deutsche und italienische Autarkieproblem. Es ist kein allgemeines Problem, es ist ein deutsches und italienisches Problem, und es konnte nur durch die Eroberungsabsichten dieser «dynamischen» Staaten zu einem Problem werden. Würde das deutsche Volk sich so friedlich in die Weltwirtschaftsgemeinschaft eingliedern wollen, wie andere Völker es tun und wie auch das deutsche Volk es vor 1914 getan hat, dann würde es keine Schwierigkeit finden, sich mit Rohstoffen und Lebensmitteln zu versorgen; sein Reichtum würde stetig wachsen, wie er vor 1914 stetig gewachsen ist. Doch die [732] Ideologie des Nationalsozialismus will von solch «schmachvoller Abhängigkeit» nichts wissen. Sie strebt nach Freiheit, und die Freiheit, die sie meint, ist Unterjochung der anderen.

Als das deutsche Heer 1914 ins Feld zog, rechneten seine Führer mit einem schellen Sieg. Doch der Sieg blieb aus, und schon im September wurde das deutsche Heer an der Marne entscheidend geschlagen. Die denkenden Offiziere der deutschen Stäbe haben die Tragweite dieser Niederlage sogleich erkannt; sie haben sich keinen Augenblick lang darüber getäuscht, dass der Krieg für Deutschland verloren war. Sie haben ihre Auffassung auch nicht geändert, als sich zu ihrer Verblüffung herausstellte, dass ihre Kriegstheorie, die den Angriff als die überlegene und immer erfolgreiche Methode ansah, falsch sei, und dass die Verteidigungslinie, die vom Meer bis zur Grenze der neutralen Schweiz reichte und daher nicht in der Flanke umfasst werden konnte, zähen Widerstand zu leisten vermochte. Wenn sie den Krieg fortsetzten, geschah es nicht, weil sie noch auf Sieg hofften. Sie haben weitergekämpft, weil sie die innerpolitischen Folgen eines Verständigungsfriedens fürchteten. Sie wollten nicht zugeben, dass sie den Krieg verloren haben, weil das der Herrschaft ihrer Kaste das Ende bereitet hätte. Der Krieg sollte fortgehen, bis das Volk seiner überdrüssig geworden sein wird, bis die Truppen sich weigern würden zu kämpfen. Dann konnte man die Kapitulation als Versagen des Volkes, nicht der Führer hinstellen. Die Niederlage an der Marne wurde verheimlicht, dem leichtgläubigen Volke wurden nur Siegesnachrichten vorgesetzt, die Erfolge an der Ostfront, auf dem Balkan und auf dem österreichisch-italienischen Kriegsschauplatz, die für den Ausgang des Krieges ohne Bedeutung waren, wurden durch eifrige Propaganda aufgebauscht. Millionen deutscher Krieger verbluteten in den von Falkenhayn und Ludendorff angeordneten hoffnungslosen Versuchen, die Kampfstellung der Franzosen und Engländer zu durchbrechen. Der Krieg blieb verloren. Doch der innerpolitische Plan gelang. Das deutsche Volk schrieb den Misserfolg nicht den Fürsten, den Junkern und den alldeutschen Politikern zur Last, sondern dem «Dolchstoss». Nur im Rahmen dieser Konzeption kann man die Gedanken verstehen, die die deutsche Kriegswirtschaft 19l4-1918 geleitet haben. Die offizielle Erklärung besagte, Deutschland gleiche einer belagerten Festung, es müssten daher die Vorräte an Lebensmitteln und Rohstoffen wie in einer Festung rationiert werden, um das Durchhalten zu ermöglichen. Doch die Offiziere, die diese Losung ausgaben, wussten sehr gut, dass eine belagerte Festung schließlich kapitulieren müsse, wenn nicht rechtzeitig [733] Entsatz kommt. Durchhalten hätte militärisch nur bedeuten können: bis zum Eintreffen des Entsatzheeres durchhalten. Doch auf auswärtige Hilfe war nicht zu hoffen. In der Tat bedeutete Durchhalten im Munde dieser Offiziere anderes. Man wollte durchhalten bis zum Tage, da Volk und Heer der aussichtslosen Blutopfer müde geworden sein würden. Die Bürger, die die Kriegswirtschaft im Hinterland einrichteten, waren guten Glaubens; sie nahmen die Versicherung der Heeresleitung, dass der Endsieg nicht ausbleiben könne, für Wahrheit. Doch die denkenden Offiziere waren nicht in diesem Irrtum befangen; sie verfolgten andere Ziele. Sie wollten dem deutschen Volk über die unvermeidbare Niederlage hinaus den Glauben an die Unbesiegbarkeit seines Heeres und seiner Flotte und an die Unfehlbarkeit der militärischen Führer erhalten.

Nun hat der Nationalsozialismus zu einem neuen Versuch der Bezwingung Europas ausgeholt. Wieder sind die Führer wie 1914 überzeugt, dass der Krieg sehr bald zu Gunsten Deutschlands entschieden sein wird. Die deutsche Armee ist an Zahl weit größer als die Armeen, die sich ihr in den ersten Monaten des Krieges entgegenstellen konnten, sie war bei Kriegsbeginn weit besser ausgerüstet, sie hat wieder den Vorteil der inneren Linie, ihre Mobilisierung konnte sich weit schneller vollziehen als die Mobilisierung der gegnerischen Kräfte, die Hinterlandswirtschaft war bereits vor Kriegsausbruch ganz in den Dienst der Kriegführung gestellt. Die Nerven der dekadenten Bürger des Westens werden, meinten die Optimisten unter den nationalsozialistischen Führern, dem ersten Schock nicht standhalten, sie werden schleunigst die Unterwerfung anbieten, um ihr Leben und einen Teil ihres Wohlstandes zu retten.

Um diesen Kriegsplan durchzuführen, bedurfte es keiner besonderen Vorsorge in Bezug auf Rohstoffe und Lebensmittel. Misslingt aber der erste Angriff und zieht der Krieg sich in die Länge, dann ist die Autarkiewirtschaft noch weniger aussichtsvoll, als sie im verflossenen Weltkrieg gewesen ist.

Der Gedanken, der der kriegswirtschaftlichen Rechtfertigung der Autarkiewirtschaft zugrundeliegt, ist widerspruchsvoll. Man will Deutschland (und Italien) von der Abhängigkeit von Lebensmittel- und Rohstoffeinfuhr befreien. Man will die inländische Erzeugung von Lebensmitteln steigern und die vom Ausland bezogenen Rohstoffe in der Herstellung von Waffen und anderem Kriegsgerät durch synthetische Stoffe inländischer Herkunft ersetzen.

Der Begriff des Ersatzes muss klar gefasst werden. Ein Ersatzstoff ist ein Stoff, der entweder teurer oder weniger brauchbar oder zugleich teurer und weniger brauchbar ist als [734] der geeignetste Stoff. Wenn es der Technologie gelingen sollte, Stoffe und Verfahren zu entdecken, die gegenüber den bisher als geeignet angesehenen den Vorzug haben, billiger oder besser oder gar sowohl billiger als auch besser zu sein, so wären das nicht Ersatzstoffe. Es wäre ein Fortschritt der Technologie. Papier ist kein Ersatzstoff für Pergament; es ist das für unsere Zwecke brauchbarste Schreibmaterial, auch wenn es in mancher Hinsicht weniger widerstandsfähig ist als Pergament. Kunstseide - der Name ist nicht glücklich gewählt — ist kein Ersatz für Seide; es ist ein Textilmaterial, das für verschiedene Zwecke als der brauchbarste Stoff erscheint. Wenn es den Chemikern gelingen sollte, ein Verfahren zu entdecken, mit dem man einen Stoff zu erzeugen imstande wäre, der Gummi an Brauchbarkeit übertrifft oder bei gleicher Brauchbarkeit billiger kommt, und wenn die für diese Erzeugung erforderlichen Rohstoffe in Deutschland ohne Beeinträchtigung anderer dringlicherer Bedarfsdeckung verfügbar wären, dann könnte das die deutsche Kriegswirtschaft entlasten. Doch das wäre dann kein Ersatzstoff; es wäre ein neuer Stoff, es wäre der brauchbarste Stoff zur Herstellung von Reifen und Gasmasken.

Ersatzstoffe sind weniger brauchbar oder teurer oder zugleich weniger brauchbar und teurer als die echten Stoffe. [298] Nun, meint der Kriegswirtschaftler, darauf kommt es nicht an. Man müsse nicht immer das Beste haben, und die Höhe der Erzeugungskosten spiele in kriegswirtschaftlichen Dingen keine Rolle. Das liberalistische Rentabilitätsprinzip verlange niedrige Erzeugungskosten; das heldische Denken kümmere sich nicht um solche mammonistische Ideen. Nur eines gelte: die Unabhängigkeit in der Versorgung mit Kriegsmaterial.

Der Irrtum, der dieser kriegswirtschaftlichen Auffassung zugrundeliegt, ist zweifach.

Zunächst ist es nicht richtig, dass es auf die Beschaffenheit des Ersatzstoffes nicht ankommt. Wenn Soldaten mit minderwertiger Bewaffnung und Ausrüstung zum Kampfe antreten und wenn sie schlechter ernährt werden als ihre Gegner, dann werden auch ihre Siegesaussichten gemindert. Ihre Kampfhandlungen werden weniger erfolgreich, ihre blutigen Verluste werden größer sein. Das Bewusstsein, einem besser bewaffneten, besser ausgerüsteten und besser genährten Gegner gegenüberzustehen, wird ihre Stimmung niederdrücken. Materiell [735] und seelisch beeinträchtigt die Ersatzwirtschaft die Kriegführung.

Es ist ebenso unrichtig, dass es auf die Kosten der Ersatzbeschaffung nicht ankomme. Höherer Kostenaufwand bedeutet, dass für die Herstellung des Ersatzstoffes mehr Arbeit und mehr sachliche Produktionsmittel aufgewendet werden, um einen Erfolg zu erlangen, den die Gegner mit geringerem Aufwand zu erzielen vermögen. Die Versorgung wird dadurch verschlechtert. Überdies werden mehr Männer der Kampffront entzogen. Auch für die Erzeugung der Ersatzstoffe braucht man irgendein Rohmaterial. Nur wenn diese anderen Rohstoffe im Inland so reichlich zur Verfügung stehen, dass man sie der Ersatzstoffproduktion ohne Beeinträchtigung dringlicherer Bedarfsdeckung zuzuführen vermag, kann die Ersatzstofferzeugung die Einfuhr aus dem Auslande herabmindern.

Die Autarkiepolitik ist mithin, wenn man sie vom kriegswirtschaftlichen Standpunkt betrachtet, ein unzulängliches Auskunftsmittel. Sie kann die Schwierigkeiten, die den Eroberungsplänen des Dritten Reiches aus seiner Unfähigkeit erwachsen, in einem Kriege gegen Frankreich und England die Zufuhr von manchen ausländischen Rohstoffen gegen feindliche Störung zu sichern, nicht beseitigen. Man mag fragen, ob sie die Nachteile, die dem deutschen Kriegsplan aus der militärgeographischen Lage erwachsen, nicht eher verschärft als mildert. Es wäre auch im Hinblick auf die deutschen Eroberungspläne zweckmäßiger gewesen, in der Friedenszeit, die nach nationalsozialistischer Auffassung nur der Vorbereitung des kommenden Eroberungszuges dient, am Freihandel festzuhalten. Dann hätte man durch Ausfuhr die erforderlichen fremden Rohstoffe kaufen und die Armee billiger mit Kriegsgerät versehen können, das brauchbarer ist als das aus Ersatzstoffen mit höherem Kostenaufwand erzeugte. Man hätte für den Kriegsbedarf durch die Anhäufung von Vorräten dieser Rohstoffe vorsorgen können. Vorräte können freilich das Durchhalten nur während einer begrenzten Zeit gestatten. Doch wenn der Krieg sich hinauszieht, wird man auch mit der Verwendung der Ersatzstoffe nicht endlos auszukommen vermögen. Je länger der Krieg währt, desto schwerer werden sich die Nachteile der Ersatzwirtschaft fühlbar machen und die Kriegführung behindern. [299]

Nicht Deutschlands militärgeographische Lage trieb zur Autarkiepolitik, sondern die Ideologie der deutschen Kriegspartei. Die Nationalsozialisten suchen ihre Kriegspläne durch [736] den Hinweis darauf zu rechtfertigen, dass die Verteilung der Rohstoffe und Lebensmittel ungerecht sei; die anderen Völker hätten bei der Teilung der Erde besser abgeschnitten als das deutsche Volk und weigern sich, von ihrem Überflusse dem deutschen Volk das abzutreten, worauf es nach Naturrecht Anspruch hätte. Dieser unerträgliche Zustand habe das deutsche Volk in Not gebracht und müsse daher durch Krieg beseitigt werden. Wenn das Reich Freihandelspolitik betrieben oder seinen Protektionismus auf das Ausmaß der Vorkriegszeit beschränkt hätte und wenn dann alle ausländischen Rohstoffe und Lebensmittel dem deutschen Verbraucher ebenso zur Verfügung gestanden wären wie die im Inland produzierten Güter, hätte man mit solchen Argumenten niemand überzeugen können. Die durch die Devisenzwangswirtschaft geschaffene Behinderung der Versorgung mit ausländischen Rohstoffen und Nahrungsmitteln war der Kriegspartei unentbehrlich, um die Kriegslust der Massen aufrechtzuhalten. Die Propaganda, die für die Ersatzmaterialien getrieben wird, soll die Bedenken jener beheben, die der Meinung sind, die Durchführung des hohenzollernschen Kriegsplans wäre an der Versorgungsfrage gescheitert, und fürchten, dass dem nationalsozialistischen Kriegsplan dasselbe Schicksal drohe. Betrachtet man die deutsche Autarkiepolitik vom militärischen Standpunkt, dann muss man feststellen: die militärischen Gesichtspunkte wurden den politischen geopfert; um den Krieg volkstümlich zu machen, verzichtete man auf ein Vorgehen, das besseren Erfolg auf dein. Schlachtfeld verspricht.

Die militärgeographische Lage Englands und Frankreichs, der beiden Mächte, gegen die die deutschen Angriffspläne in erster Linie gerichtet sind, ist von der des deutschen Reiches verschieden. Die deutschen Unterseeboote und Minensperren können ihnen den Bezug von Rohstoffen und Lebensmitteln wohl erschweren und verteuern, doch gewiss nicht vollkommen unterbinden. Es war für sie zweckmäßig, in Erwartung des unausweichlichen Krieges Vorräte dieser Einfuhrgüter anzusammeln, um die Versorgung in der Kriegszeit zu erleichtern. Doch dabei konnte man nicht stehen bleiben. Die Totalität des Krieges verlangte mehr und mehr. Auf der einen Seite will man die Preissteigerung der Einfuhrgüter verhindern, um die Entbehrungen des Krieges gleichmäßiger zu verteilen. Mit den Preistaxen betritt man aber den Weg, der, wie wir zeigen konnten, notwendigerweise Schritt für Schritt zur vollkommenen Übernahme der Leitung der Produktion und der Verteilung durch den Staat führen muss. Die Verfügung über die Produktionsmittel wird den einzelnen Wirten entzogen, der Kriegssozialismus [737] verdrängt die Marktwirtschaft. Auf der andern Seite führt die allgemeine Wehrpflicht zur Unterstellung der Verwendung aller Arbeitskräfte unter die Befehle der Kriegsleitung, also ebenfalls zu dem gleichen Ergebnis.

Die Dinge liegen nicht anders in jenen neutralen Staaten, die durch den Krieg in ihrer Zufuhr leiden und ihre Truppen in steter Kriegsbereitschaft versammelt halten müssen.

Der totale Krieg drängt nicht etwa zum Interventionismus, sondern zum Sozialismus. Er nimmt den einzelnen Eingriffen in das Getriebe der Marktwirtschaft nicht ihre Zweckwidrigkeit. Gerade weil diese Eingriffe sich vom Standpunkt der militärischen Befehlshaber, die sie unmittelbar oder mittelbar anordnen, als sinnwidrig erweisen, muss man ihnen weitere folgen lassen, bis man schließlich den Kriegssozialismus erreicht. Der totale Krieg ist mit der ungehemmten Marktwirtschaft unverträglich, die gehemmte Marktwirtschaft ist sinn- und zweckwidrig, so bleibt nur die Planwirtschaft des Sozialismus übrig. Doch auch der totale Krieg vermag dem sozialistischen Wirtschaftssystem nicht Wirkungsmöglichkeit zugeben; jeder Schritt, der zu ihm hinführt, schwächt das Kriegspotential.

V. Das Problem des letzten Krieges

Man verkennt das «kriegswirtschaftliche» Problem, wenn man es für ein Problem des Wirtschaftlichen im engeren Sinn hält Es handelt sich nicht etwa um die Anpassung des Produktionsprozesses an die Zwecke der Kriegführung, es handelt sich um die Entscheidung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Verbänden, die nach Art der primitiven Stämme aufgebaut sind.

Die Entwicklung, die von der primitiven Horde zur kapitalistischen Marktwirtschaft mit ihrer weltumspannenden Arbeitsteilung geführt hat, hat den totalen Krieg zum Heereskrieg umgestaltet. Sie konnte nur vorsichgehen, weil die Kriege, die die Fürsten und ihre Soldaten durchkämpften, das (im engeren Sinn) wirtschaftliche Treiben im Grossen und Ganzen nicht störten. In den Jahrzehnten, in denen die französischen Heere der Revolution und des Kaiserreiches mit allen europäischen Mächten kämpften, konnte die industrielle und landwirtschaftliche Produktion weitere Fortschritte auf dem Wege zur Arbeitsteilung machen. Man kann die Geschichte der meisten Unternehmungen der europäischen Staaten, die die Kriege zwischen 1815 und 1914 durchgekämpft haben, darstellen, ohne diese Kriege überhaupt nur zu erwähnen. Der amerikanische Bürgerkrieg hat die europäische Textilindustrie weit stärker [738] berührt als irgend ein europäischer Krieg des 19. Jahrhunderts die Industrie der kriegführenden Länder. Die Heereskriege waren eine Angelegenheit der Staatsmänner und der Soldaten; sie spielten sich gewissermaßen an der Peripherie des bürgerlichen Lebens ab. Die Bürger bedauerten die Höhe des Armeebudgets, doch sie arbeiteten ruhig an der Ausgestaltung der internationalen Arbeitsteilung weiter.

Die Rückkehr zur totalen Kriegführung hat dem Kriegsproblem eine neue Gestalt gegeben. Der totale Krieg verlangt den totalen Staat, der nichts anderes mehr darstellt als die Intendanzabteilung der totalen Armee, des Volkes in Waffen. Er zerstört nicht nur die internationale Arbeitsteilung. Er macht das bürgerliche Leben, wie es die Kultur geformt hat, unmöglich. Der Bürger verschwindet und wird durch den Soldaten ersetzt. Das Leben aller Menschen wird zu einem permanenten Dienst in einer stets marschbereiten Armee. Der Krieg und der Sieg werden zum einzigen Zweck aller gesellschaftlichen Kooperation. Die Armee wird zum herrschenden Faktor; der Einzelne wird nur nach dem beurteilt, was er im Kampfe leistet. [300] Der Industrialismus wird durch den Militarismus ersetzt. [301]

Die Menschheit könnte diesem Schicksal nicht etwa durch die Rückkehr zum Heereskrieg entrinnen. Die Geschichtsepoche der Heereskriege ist für immer vorbei. Manche Militärschriftsteller meinen, dass die Massenheere bald wieder durch kleine Heere von Berufssoldaten verdrängt werden dürften. Doch der Krieg würde seinen Totalitätscharakter nicht einbüssen, wenn in die eigentlichen Kampfhandlungen nur eine verhältnismäßige geringe Anzahl von Menschen eingreifen, die raffinierte Kriegsmaschinen bedienen. Hinter diesem Kriegsapparat würde das ganze Volk als Etappen- und Hinterlandsarbeiter stehen. Nicht die hohe Zahl der Frontkämpfer kennzeichnet den totalen Krieg. (Man darf annehmen, dass mit dem Fortschreiten der Kriegstechnik die Zahl der für die Versorgung und Ausrüstung der Kämpfer tätigen Arbeiter im Verhältnis zur Zahl der Kämpfer beständig steigen wird.) Der totale [739] Krieg ist durch seinen Charakter als Volkskrieg bestimmt. Das ganze Volk steht im Dienste eines einzigen Zweckes: des Sieges. Diesen Charakter kann der Krieg der Zukunft nicht verlieren, weil die Völker es nicht mehr dulden würden, dass ihr Los durch den Ausgang eines Kampfes zwischen kleinen Soldatengruppen entschieden wird. Der Heereskrieg war, darin muss man den Militaristen recht geben, eine Entartung des Krieges. Man konnte die Heereskriege durch Befriedung der Welt beseitigen. Man kann aber die politischen Voraussetzungen, die den Heereskrieg ermöglicht haben, nicht wiederherstellen. Es gibt nur noch die Alternative: ewiger Frieden oder totaler Krieg.

Die Losung, mit der die Vereinigten Staaten in den Weltkrieg eingetreten sind, trug dieser Lage der Dinge Rechnung. Präsident Wilson erklärte: Dieser Krieg muss der letzte Krieg sein, man muss für alle Zeiten die Mächte vernichten, die Kriege führen wollen, und man muss eine Weltordnung schaffen, die für die Zukunft friedliches Zusammenwirken der Völker gewährleistet. Doch der Frieden von Versailles und der Völkerbund haben diesen Frieden nicht geschaffen. Keine äußere Regelung wird ihn ;je bringen können. Nur die allgemeine Anerkennung der liberalen Ideologie kann die Welt befrieden.

Auch im neuen Kriege kann das Kriegsziel kein anderes sein als das, das Präsident Wilson dem Weltkrieg setzen wollte: die Aufrichtung einer Weltfriedensordnung. Der Krieg wird entweder durch Niederwerfung des Militarismus die Voraussetzungen für dauernden Frieden bringen oder das Ende der menschlichen Kultur bedeuten. Er wird entweder dazu führen, dass mit Friedensstörern in Hinkunft auch im zwischenstaatlichen Leben so verfahren werden wird, wie man seit Jahrhunderten innerhalb der Grenzen der Einzelstaaten mit ihnen verfährt, oder er wird zu einem Zustand unaufhörlicher Kämpfe zwischen Verbänden führen, die man nicht mehr als Kulturstaaten in dem Sinne wird bezeichnen dürfen, in dem man dieses Wort bisher verwendet hat.

Kein «kriegswirtschaftlicher» Gesichtspunkt vermag irgendetwas an dem zu ändern, was die Praxeologie über Marktwirtschaft, Sozialismus und Interventionismus zu sagen hat.

 




 

SCHLUSSWORT

[740]

I. Die Wissenschaft und das Leben

Man hat die Wissenschaft vom menschlichen Handeln ob ihrer Wertfreiheit getadelt. Das Leben, meint man, brauche Antwort auf die Frage, was zu tun sei. Wenn die Wissenschaft diese Frage nicht beantworten wolle oder könne, sei sie unfruchtbar und nutzlos. Doch der Einwand ist unhaltbar. Die Wissenschaft beantwortet alle Fragen, die das Leben stellt; sie schweigt nur, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob das Leben wert ist, gelebt zu werden.

Auch diese Frage ist aufgeworfen worden und wird immer von Neuem aufgeworfen. Seit Menschen denken und handeln, haben sie auch immer wieder die Frage gestellt: Was soll das alles? Wozu? Was ist der Sinn dieses Treibens und Schaffens, wenn am Ende doch für jeden unentrinnbar der Tod, die Auflösung in Nichts steht? Ist nicht alles eitel und vergebens? Kein Mensch, und sei er noch so erfüllt von der Lust zu wirken und das Leben zu genießen, entgeht den Stunden des Unmuts, in denen der Gedanke an die Vergänglichkeit seines Daseins ihn an dem Wert seines Schaffens zweifeln macht, und jeder Mensch, der lange genug gelebt hat, ermattet endlich und ersehnt den Tod als Bringer von Ruhe und Frieden. Alles menschliche Handeln wird vom Tode beschattet. Alles Leben schreitet dem Tode entgegen. Der Mensch baut, doch er muss die Bauten, die er aufgerichtet hat, verlassen; jeder Augenblick kann sein letzter werden. Vor jedem liegt eine unbekannte Zukunft, von der nur eines sicher ist, dass sie nämlich früher oder später, doch jedenfalls unvermeidlich in das Nichts führt.

Und dieses menschliche Handeln selbst, ist es nicht eitel? Nie kann es uns zu voller Befriedigung führen, nie kann es uns mehr bieten als einen kurzen Augenblick teilweiser Genugtuung. Hinter jedem gestillten Begehren tauchen neue Bedürfnisse auf, die nach Befriedigung verlangen. Die Kultur, meint man, mache uns ärmer, indem sie unsere Wünsche vervielfacht und [741] Begehren entzündet, nicht beruhigt. Das geschäftige Getriebe der arbeitenden und schaffenden Menschen, ihr Hasten, Drängen und Jagen sei sinnlos, denn es könne weder Glück noch Frieden bringen. Nicht durch Handeln und Wirken könne man zur inneren Befriedigung und Befriedung gelangen, sondern allein durch Verzicht und Entsagung. Der Weise müsse erkennen, dass es für die Armseligkeit des Menschen kein würdigeres Verhalten geben könne als die Flucht in die Beschaulichkeit eines nur leidenden Daseins.

Doch über alle solche Gedanken und Anwandlungen schreitet das Leben siegreich hinweg. Zu Leben und dann zu Sterben ist nun einmal unsere Natur. Doch zunächst leben wir, und das Leben, nicht der Tod zwingt uns heute in seinen Bann. Mag auch später kommen, was will, wir können uns hier und heute dem Leben und seinen Forderungen nicht entziehen; wir müssen, solange wir leben, dem Drange folgen, der uns treibt. Es ist uns eingeboren, dass wir nicht leiden wollen, dass wir unbefriedigt sind und nach Behebung des Unbefriedigtsein streben, dass wir das Glück suchen. In jedem Menschen wirkt ein geheimnisvolles, nicht weiter analysierbares Es, das ihn im Leben leitet und das Wesen des Lebendigen ausmacht. Ob wir dieses Es den Willen oder den Urtrieb nennen, tut nichts zur Sache. Es ist der Trieb der Triebe, der das Lebendige ins Leben und zum Leben treibt, der Glückseligkeitstrieb. Man kann ihn aus dem Leben nicht entfernen und vom Leben nicht trennen; er erlischt, wenn das Leben endet, doch nicht früher.

Im Dienste des Lebenstriebes steht auch die menschliche Vernunft. Das Leben zu fördern und zu erhalten, den Untergang des Lebens so weit es geht hinauszuschieben, ist ihre biologische Funktion. Denken und Handeln sind nicht wider die Natur, sie sind vielmehr die Natur des Menschen. Es ist das Geschick des Menschen, unbefriedigt zu sein und nach Befriedigung zu streben.

Kein Mensch will leiden. Leidfrei zu werden, zumindest Leid soweit zu bekämpfen, als es die Verhältnisse gestatten, ist ein Ziel, das sich jedermann setzt, weil es die menschliche Natur so will. Und diese unsere menschliche Natur findet in der menschlichen Vernunft ihren Kräftemittelpunkt. Vernunft im Kampfe gegen die Unbill des Daseins, das ist der Mensch.

Darum ist alles, was über den Vorrang irrationaler Elemente gesagt wird, leeres Gerede. In dem Kosmos, den unsere Vernunft nicht fassen kann, und den wir deswegen irrational zu nennen pflegen, lässt die Vernunft dem Menschen einen Spielraum, in dem er sein Unbefriedigtsein ein wenig zu [742] mindern vermag. Das ist das Handeln des Menschen. Man mag vielleicht im Recht sein, wenn man davon spricht, dass dem Menschen eine Sehnsucht nach der Ruhe und Selbstbescheidung innewohnt, die wir im Dasein der Pflanze zu finden glauben. Wir können es nicht wissen, denn wir vermögen uns in das Innere der Pflanzen nicht hineinzudenken. Doch der Mensch kann den Willen zum Handeln in sich nicht auslöschen, um Pflanze zu werden. Wenn er «des Treibens müde» wird, wenn er aufhört zu handeln, wird er nicht Pflanze. Er stirbt.

Es ist das Menschlichste am Menschen, dass ihn die Sehnsucht erfüllt, sich über das bloß Zoologische seiner Natur und seiner animalischen Triebe empor zu erheben. Millionen und Hunderte von Millionen Menschen suchen das Glück freilich nur im Materiellen und kennen keine anderen Genüsse als die, die durch äußere Mittel beschafft werden können. Den wahren Menschen befriedigt der äußere Wohlstand nicht; er strebt nach mehr und nach Anderem. Er will über das hinaus, was wir mit allem Getier gemein haben, ein Höheres, ein wahrhaft Menschliches finden.

Es war und ist ein tragisches Verhängnis, dass man dieses echt menschliche Streben nach Zielen, die über das Wohlbefinden des Leibes hinausgehen, in einem Widerstreit zum Streben nach Befriedigung der animalischen Triebe sehen wollte. Der, dem gutes Essen, Trinken, Wohnen und dergleichen nicht das Um und Auf der Wunscherfüllung bedeutet, begann das Materielle zu verachten und zu hassen. Man will in der Bereicherung des äußeren Lebens ein Hindernis für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit erblicken, und man will die Gesellschaftsordnung stürzen, um den Weg für ein Neues freizulegen, von dem man nur unklare und unzureichende Vorstellungen hat. Man spürt ein Unbehagen, das man durch Zertrümmerung der materiellen Kultur beheben will. Man verkennt dabei, dass dieses Sehnen nach Höherem und Besseren nur auftreten konnte, weil der Wohlstand die Muße gewährt, die es dem Geist gestattet, sich ihm hinzugeben. Das Materielle hindert nicht das Streben nach Ideellem; es schafft vielmehr die Bedingungen, unter denen dieses sich entfalten kann. Noch schwerer wiegt ein zweiter Irrtum. Man will die Menschen zwingen, ihre Zielsetzungen zu ändern, man will welch ein Widerspruch — ihnen durch Organisation, d.i. durch Zwang, freiere Ausbildung der Persönlichkeit gewissermaßen aufdrängen. Man will sie gegen ihren Willen beglücken.

Wer sein Leben dem Ideal eines höheren Menschentums gemäss einrichten will, hat seine Ziele entsprechend zu wählen. Nichts hindert in der Marktgesellschaft den Einzelnen, [743] sein Streben weniger auf das, was den Sinnen behagt, und mehr auf das, was das Gemüt erhebt, zu richten. Niemand darf die Gesellschaftsordnung dafür verantwortlich machen, dass er dem Animalischen seiner Natur mehr Recht einräumt als dem Menschlichen.

Es ist ein Wahn, zu glauben, dass man das, was man Materialismus nennt, anders überwinden könnte als dadurch, dass die Menschen lernen, ihre Ziele weniger materialistisch zu wählen.

II. Die Wissenschaft und die Politik

Wo es nicht um die Entscheidung über das letzte und höchste Gut geht, vermag die Nationalökonomie dem Handeln den Weg zu weisen. Die politischen Fragen kann nur das praxeologisch und insbesondere das nationalökonomisch orientierte Denken beantworten.

Solange die politische Bühne nichts anderes erfüllte als die Kämpfe von Fürsten und Bandenführern um den Besitz des staatlichen Gewaltapparates, stellte die Politik die grundlegenden Probleme menschlicher Kooperation nicht in Frage. Der glückliche Sieger bemächtigte sich der Herrschaft, doch er dachte nicht daran, die gesellschaftliche Ordnung umzustoßen und durch ein neues System zu ersetzen. Heute ist das anders. Politische Parteien wollen das Sondereigentum an den Produktionsmitteln, das die Grundlage aller bisherigen Kultur war, beseitigen; auch die, die nur von «Reform» der Wirtschaftsordnung und nicht von Aufhebung des Eigentums sprechen, meinen in Wirklichkeit Beseitigung des Sondereigentums an den Produktionsmitteln und der Marktwirtschaft. Das ist das politische Problem unserer Zeit. In diesem Sinne ist das Wort, dass alle Politik heute Wirtschaftspolitik ist, zu verstehen.

In dem Kampf, der für und wider die Erhaltung der Marktwirtschaft geführt wird, hat die Nationalökonomie das entscheidende Wort. Denn hier wird nicht um Werte, sondern um Mittel zur Verwirklichung der Werte gestritten. Wer Planwirtschaft oder Interventionismus empfiehlt, hat nicht Werte im Auge, sondern Mittel. Das Ziel, höchste Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit, ist allen wirtschaftspolitischen Parteien gemeinsam. Das, was die Parteien scheidet, ist die Wahl der Mittel, die zur Erreichung des Ziels eingesetzt werden sollen. Wenn die Sozialisten Sozialismus oder die Interventionisten Eingriffe der Obrigkeit in das Marktgetriebe empfehlen, gehen sie von nationalökonomischen Gedankengängen aus. [744] Sie glauben, dass die Marktwirtschaft das nicht zu leisten vermöge, was nach ihrer und aller anderen Menschen Auffassung ein Wirtschaftssystem leisten müsste, und dass das von ihnen empfohlene System besser geeignet oder allein geeignet sei, die angestrebten Ziele zu verwirklichen. Die Auseinandersetzung über die Probleme der Gesellschaftsordnung wurde und wird nie anders geführt als mit dem Gedankengut nationalökonomischer Theorien.

Man kann Nationalökonomie um der reinen Erkenntnis willen betreiben und sich dabei um die Anwendung der nationalökonomischen Lehren nicht kümmern. Doch man kann die Politik von nationalökonomischen Erwägungen nicht loslösen. Politik ist heute untrennbar mit Praxeologie und in der Regel auch mit Nationalökonomie verbunden. Kein Urteil über politische Fragen ist heute denkbar, das nicht nationalökonomisch orientiert wäre. Jedes Denken, das politischen Entscheidungen zu Grunde liegt., ist praxeologisches und nationalökonomisches Denken.

Dieser Tatbestand hat manchem Nationalökonomen die Unbefangenheit geraubt. Wer als Parteimann mit vorgefassten Meinungen und mit einem politischen Vorurteil, von dem er unter keinen Umständen lassen will, an die Probleme herantritt, ist auf Schritt und Tritt gehemmt. In den Naturwissenschaften ist parteipolitische Voreingenommenheit seltener; sie spielte dort einst eine größere Rolle, als die Forscher noch auf die Stützung der naturwissenschaftlichen Lehren des Pentateuch bedacht waren. [302] Der Fortschritt nationalökonomischer Theorie ist jedoch immer wieder aufgehalten worden durch die parteipolitische Befangenheit von nationalökonomischen Schriftstellern und durch die daraus den ernsten Denkern erwachsene Verpflichtung, die Irrtümer und Trugschlüsse der anderen zu widerlegen.

Noch schlimmer wird die Lage der Nationalökonomie durch die Bemühungen der politischen Parteien, die Wissenschaft zu beeinflussen. Auch die Naturforschung hatte einst unter dem Druck der Kirche schwer zu leiden. Doch wenn auch kein Nationalökonom das Schicksal Giordano Bruno's oder Galilei's zu erdulden hatte, ergeht es der Nationalökonomie heute ärger. Man verbrennt die unbotmäßigen Nationalökonomen nur darum nicht, weil man wirksamere Mittel zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung kennt. Gesellschaftliche [745] und wirtschaftliche Ächtung droht dem unabhängigen Geiste, das Entgegenkommen an die Wünsche der herrschenden Parteien wird aber reich belohnt. So ist die Luft, in der die Nationalökonomie zu wirken hat, geradezu vergiftet worden. [303]

Man muss auf diese Verhältnisse der Umwelt, in der sich die Nationalökonomie zu entfalten hat, Bedacht nehmen, wenn man den Sinn der beiden Postulate der Voraussetzungslosigkeit und der Wertfreiheit der Wissenschaft erfassen will. Man hat versucht, an dem Postulat der Voraussetzungslosigkeit erkenntnistheoretische Kritik zu üben, und hat sich dabei an den Ausdruck gehalten, ohne auf den Sinn zu achten, der dem Begriff in der Wissenschaftslehre der Nationalökonomie innewohnt. Man bemühte sich zu zeigen, dass das Denken nie im erkenntnistheoretischen Sinne voraussetzungslos sein kann, und man meinte, damit schon den Beweis für die These erbracht zu haben, dass Nationalökonomie von der Vertretung und Rechtfertigung von parteipolitischen Interessen nicht zu trennen sei. Die nationalökonomische Theorie der modernen subjektivistischen Schule wäre geradeso wie die der Klassiker «liberalistisch» befangen. Man sei der Verpflichtung, sich mit ihren Lehren auseinanderzusetzen, enthoben, wenn man die liberalistischen Vorurteile einmal abgestreift habe. Anderseits brauche man auch die nationalökonomische Kritik der antiliberalen Parteilehren und Parteiprogramme nicht mit geistigen Mitteln zu widerlegen; man könne sich damit begnügen, ihren liberalistischen Charakter zu enthüllen. So stellte man einen Freibrief allen Doktrinen aus, die, von unhaltbaren Annahmen ausgehend, in widerspruchsvoller Deduktion die unsinnigsten Parteiprogramme zu rechtfertigen und zu verherrlichen suchen. Man erhob den Marxismus zum wissenschaftlichen Sozialismus, man umkleidete die Apologie des Interventionismus mit prunkvollen Namen wie historische Schule, realistische und sozialpolitische Volkswirtschaftslehre, Institutionalismus u. dgl., man stellte der economia politica die economia corporativa entgegen, man lehrte deutschen Sozialismus. All das war von vorneherein gegen jede Kritik gesichert. Der Kritiker hatte immer Unrecht, weil er nicht den richtigen Standpunkt einnahm oder weil er den vergeblichen Versuch machte, standpunktlos im luftleeren Raume zu denken. Gegenüber der vermeintlichen Wurzellosigkeit dieses «nur abstrakten» Theoretisierens kehrte man stolz die eigene [746] Parteigebundenheit hervor; man rühmte sich dessen, dass man die Interessen der Arbeiterklasse, des Bauerntums, des Staates und des Volkes vertrete und die Weltfremdheit der Studierstube verachte.

Doch wer von der Nationalökonomie und den Nationalökonomen Voraussetzungslosigkeit verlangt, hat ganz anderes im Auge als Stellungnahme zu erkenntnistheoretischen Problemen. Nicht darum geht es, ob und in welchem Sinne man das Denken als voraussetzungslos ansehen dürfe, sondern allein um die Frage, ob der Nationalökonom an seine Arbeit mit dem Vorsatz herantreten dürfe, die Rechtfertigung für ein Parteiprogramm zu suchen und zu finden, oder ob er frei von jeder parteipolitischen Bindung forschen soll, um allenfalls aus den Ergebnissen seiner Forschung sich eine politische Meinung zu bilden. Niemand wird wohl heute heranwachsen, ohne von seiner Umgebung parteipolitische Einflüsse zu empfangen, und wenige nur treten an die Beschäftigung mit nationalökonomischen Problemen heran, die nicht leidenschaftliches Interesse für Politik erfüllt. Der Neuling, der die ersten Schritte macht, um in das nationalökonomische Denken einzudringen, geht in der Regel bereits mit politischer Voreingenommenheit ans Werk. Doch nie wird er irgendwelchen Nutzen aus der Beschäftigung mit nationalökonomischen Dingen ziehen, nie wird sich ihm der Sinn der Wissenschaft, ihrer Problemstellungen und ihrer Problemlösungen erschließen, wenn er nicht die cartesianische Forderung de omnibus dubitandum zum Leitstern seines Denkens macht. Das wissenschaftliche Denken unterscheidet sich vom Denken des Alltags nur dadurch, dass es von diesem Grundsatz ausgeht. Wer nicht entschlossen ist, alle liebgewordenen Vorstellungen und vorgefassten Meinungen preiszugeben, wenn sie der Kritik des Denkens nicht standhalten, wer von den politischen Auffassungen, die er vor der Zuwendung zur Wissenschaft erworben hat, nicht lassen will, vergeudet mit dem Studium nur Zeit und Mühe. Zu politischen Ideen und Doktrinen darf der Nationalökonom allenfalls auf Grund der Ergebnisse umfassender Denkarbeit gelangen; der Anfang wissenschaftlichen Denkens muss in der Abkehr von allen Bindungen an Programme und Parteien liegen.

Auch da ist es in der Praxeologie nicht anders, als es einst für Naturwissenschaften und Geschichte in Bezug auf ihr Verhältnis zu den herrschenden metaphysischen und religiösen Lehren stand. Wie die Naturforscher und die Historiker damit anfangen mussten, sich von den ],ehren der Bibel und der Dogmen zu befreien, so muss der Nationalökonom sich von den [747] Parteilehren lösen. Das allein und nichts anderes ist der Sinn der Forderung voraussetzungsloser Forschung.

Unter keinen Umständen kann die wissenschaftliche Untersuchung zur Setzung von Werten führen. Es ist heute nicht mehr nötig, noch besonders darauf' hinzuweisen, das es nicht die Aufgabe der Wissenschaft sein kann, zu werten und den Menschen zu sagen, welche letzten Ziele sie ihrem Handeln setzen sollen. Nur radikale Verkennung des Verhältnisses von Denken und Handeln und überhebliche Anmaßung eines Richteramtes, das sich berufen fühlt, alle menschlichen Dinge unfehlbar zu entscheiden, konnten die Idee einer ethischen Nationalökonomie eingeben. Das Denken der Wissenschaft kann sich immer nur mit den Mitteln, nicht aber auch mit den Zwecken befassen.

Man darf die beiden Forderungen der Voraussetzungslosigkeit und der Wertfreiheit nicht dahin missverstehen, dass die Wissenschaft und die Denker zwischen den Parteien zu vermitteln und etwa eine mittlere Linie zum Ausgleich der Parteigegensätze zu zeigen hätten. [304] Diesem Irrtum verdanken die verschiedenen interventionistischen Programme die Unterstützung, die ihnen «im Namen der Wissenschaft» zu teil wurde. Weil die Liberalen das Sondereigentum, die Sozialisten das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln empfehlen, gab man Interventionismus, denman als ein System pries, das «gleichweit» von den beiden «extremen» Forderungen entfernt wäre, als die billige Lösung der vermittelnden und die Gegensätze ausgleichenden Wissenschaft aus; derselbe Gedankengang ließ andere wieder die Gewinnbeteiligung der Arbeiter als Mittel zur sozialen Befriedung empfehlen. Es kann nicht bezweifelt werden, dass dieser Gesichtspunkt auch noch heute viele Nationalökonomen, mitunter unbewusst, beeinflusst: der Umstand, dass das kapitalistische System bekämpft wird, hindert sie, die Folgerungen aus ihren wissenschaftlichen Ergebnissen zu ziehen, die die Logik verlangt.

Der Gegensatz der Systeme gesellschaftlicher Kooperation darf nicht wie der Gegensatz zwischen den Parteien in einem Rechtsstreit um einen Geldbetrag angesehen werden. Hier gibt es kein mehr und kein weniger und keinen Ausgleich durch Halbierung der Streitsumme. Jedes System muss für sich gesondert nationalökonomisch betrachtet und in Bezug auf seine Bedeutung als Mittel zur Erreichung gesellschaftlicher [748] Zwecke geprüft werden. Interventionismus ist nicht, wie zähes Vorurteil meint, halb Kapitalismus, halb Sozialismus, ist auch nicht «gleichweit» von Sozialismus und Kapitalismus entfernt. Er ist ein besonderes System und muss so gesehen und vorurteilsfrei beurteilt werden.

Es wäre töricht, die Forderungen der Voraussetzungslosigkeit und der Wertfreiheit der Wissenschaft dahin umzudeuten, dass dem Nationalökonomen Stellungnahme zu den politischen Fragen verwehrt wird. Als der «wissenschaftliche» Sozialismus der Marxisten und der Interventionismus der Kathedersozialisten und der historischen Schule zusammengebrochen waren, haben die Anhänger dieser Schulen den von der nationalökonomischen Theorie immer festgehaltenen Grundsatz der Wertfreiheit, den sie bis dahin nicht genug verhöhnen konnten, als neue Lehre verkündet, um die Nationalökonomie mundtot zu machen. Für Max Weber war die Forderung der Wertfreiheit ein Schritt in seinem ehrlichen Ringen um Befreiung von den Vorurteilen, Irrtümern und Trugschlüssen, die man im Deutschland seiner Tage als Sozialwissenschaft ansah. Für die Marxisten, Etatisten und Syndikalisten der Kreise um Sombart, Schmoller, Wagner und Lujo Brentano war sie das Mittel zur Unschädlichmachung jeder nationalökonomischen Kritik an ihren politischen Forderungen, die sie durch Jahrzehnte hindurch als Postulate der reinen Wissenschaft ausgegeben hatten.

Niemand ist berufener, politische Urteile auszusprechen, als der Nationalökonom, der sich seine Meinung durch strenges Denken erarbeitet hat. Die Wurzel aller politischen Übel unserer Zeit liegt gerade darin, dass man auf diese Stimme nicht hören will.

Wenn der Nationalökonom liberal ist, d.h. in der Marktwirtschaft die einzige lebens- und wirkungsfähige Ordnung arbeitsteiliger gesellschafticher Zusammenarbeit erblickt, ist er es auf Grund der Ergebnisse, zu denen sein Denken geführt hat. Er ist liberal, weil er Nationalökonom ist. Die Nationalökonomie hat ihn zum Liberalismus geführt, nicht der Liberalismus zur Nationalökonomie.

Sein Standpunkt ist dann freilich in dem Sinne nicht mehr wertfrei, dass er an die Anerkennung der Werte gebunden ist, die sich die Menschen — alle handelnden Menschen ohne Rücksicht auf Klasse, Rasse, Geschichtsepoche und Parteistellung — in ihrem Handeln setzen. Doch diesen Wertgesichtspunkt lehnen auch die politischen Gegner des Liberalismus nicht ab. Nur wer dem Leben den Tod, der Wohlfahrt die Not und das Massenelend, dem friedlichen Zusammenwirken der Menschen [749] das Chaos des unaufhörlichen Krieges aller gegen alle vorzieht, verwirft ihn.

Dass die Nationalökonomie logisch unangreifbar ist, wird durch nichts besser bekräftigt als durch das, dass man sie nicht anders anzugreifen weiß als durch die Behauptung, dass die logische Struktur des Denkens, die zu ihr führt, nicht allgemeingültig für alle Menschen wäre.

Mit der Anerkennung des Grundsatzes der Wertfreiheit ist auch schon der Standpunkt festgelegt, den die Nationalökonomie gegenüber den Forderungen der Ethik einzunehmen hat.

Die utilitaristische Ethik kann nie in einen Gegensatz zur Nationalkonomie geraten. Wenn der Zweck das Kriterium ist, nach dem die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit einer Handlung zu beurteilen ist, dann begegnen Nationalökonomie und Sittengesetz einander. Ihre Wertskalen müssen identisch sein, weil eben dieselben Menschen zur gleichen Zeit einheitlich werten und handeln.

Doch auch wenn man mit den Forderungen einer heteronomen Ethik an die Nationalökonomie herantritt, kann sich nur ein scheinbarer Widerstreit ergeben. Wenn man eine sittliche Norm aufstellt oder zu vernehmen vermeint, deren Beachtung ohne Rücksicht auf die Folgen für den Einzelnen und für die Gesellschaft und ohne Bezugnahme auf sonstige menschliche Ziele und auf das, was Menschen als Glück ansehen, durchgesetzt werden soll, hat die Nationalökonomie nichts anderes zu tun, als auf die Folgen hinzuweisen. Sie hat zu zeigen, welche andere Ziele nicht erreicht werden können, wenn man der Stimme dieses Sittengebots gehorchen will. Sie hat zu zeigen, was es die Menschen kostet, diesem Befehl zu gehorchen. Die Entscheidung liegt dann in den Händen der handelnden Menschen. Sie haben zu wählen, nicht die Wissenschaft.

Das Denken und Forschen der Wissenschaft führt nie zu einem Abschluss und nie zu endgültigen Ergebnissen. Solange Menschen sein werden, werden sie nicht davon ablassen, Wahrheit zu suchen. Und immer wieder werden sie dafür neue Verfahren finden, die ihnen neue Wahrheiten erschließen werden.

Wissenschaft kann daher nie vollkommen sein. Wie wir das umgestaltet haben, was uns unsere Vorfahren vermacht haben, so werden auch nach uns Denker kommen, die in unserem Vermächtnis nichts anderes sehen werden als Bausteine zu einem Neubau, den sie aufrichten werden. Sie werden an unserer Leistung schonungslos Kritik üben und vielleicht mit Undank auf sie blicken. Doch diese Aussicht kann uns nicht schrecken. [750] Wer vom Geist der Wissenschaft erfüllt ist, begrüßt es, dass der Trieb zu denken und zu forschen den Menschen eingeboren ist und nie erlöschen wird.

Doch das muss mit allem Nachdruck gesagt werden: So unzulänglich auch unsere wie jede Wissenschaft heute sein mag, die Einwendungen, die man gegen Praxeologie und Nationalökonomie bisher vorzubringen wusste, haben sich als nichtig erwiesen. Sie konnten endgültig erledigt werden. Wenn es zu einem Umbruch der wissenschaftlichen Erkenntnis kommen sollte, dann wird er nicht an die Lehren der Gegner von heute anknüpfen.

III. Die Wissenschaft und die Zukunft

Die Nationalökonomie vermag die Folgen künftigen Handelns vorauszusagen. Doch, wie nicht neuerlich hervorgehoben werden muss, diesen Voraussagen fehlt die quantitative Bestimmtheit. Man irrte, als man dachte, man werde einmal das, was man nach einem der Chemie entlehnten Sprachgebrauch die qualitative Nationalökonomie nannte, durch eine quantitative Nationalökonomie ersetzen können. [305]

Die Voraussage, deren die Nationalökonomie fähig ist, bezieht sich auf die Wirkungen künftigen Handelns. Sie kann nichts darüber sagen, wie gehandelt werden wird. Über die Zukunft der Gesellschaft und der menschlichen Kultur und über den Gang der künftigen Ereignisse könnenwir durch praxeologische und nationalökonomische Erkenntnis nicht unterrichtet werden. Keine Wissenschaft kann die Frage beantworten, ob wir am Anfange neuer ungeahnter Kulturfortschritte stehen oder am Anfange eines Rückfalls in die Barbarei. Wissenschaftliche Voraussicht ist eben nicht Prophetie. Voraussagen ist nicht Wahrsagen.

Dieser Tatbestand mag manchen enttäuschen und ihn die Bedeutung der praxeologischen und nationalökonomischen Erkenntnis geringschätzen lassen. Doch der Mensch hat sich damit abzufinden, dass dem Denken und Forschen seines Geistes Schranken gezogen sind.

Was die Zukunft birgt, wird uns immer unbekannt bleiben. Es kann gar nicht anders sein. Denn wüssten wir im Voraus, was die Zukunft unabänderlich bringt, dann könnten wir nicht mehr handeln. Die Menschen wären dann entseelte Mechanismen, deren Ablauf ohne Mitwirkung menschlichen Wollens und [751] Wählens, Vorziehens und Zurückstellens vor sich ginge. Dass die Menschen handeln und dass sie die Zukunft nicht kennen, sind nicht zwei Tatbestände, sondern nur zwei verschiedene Darstellungen desselben Tatbestandes. Ob es eine übermenschliche Intelligenz gibt, die das Künftige bereits kennt, ist dabei ohne Belang.

In diesem Sinne, dass er zu handeln und somit zu wählen hat, ist der Mensch frei. Unfrei ist er aber nicht nur in dem Sinne, dass seine angeborenen Eigenschaften und die Einflüsse, die die Umwelt auf ihn ausübt, in einer unserem Geiste nur sehr lückenhaft und vage erkennbaren Weise sein Handeln bestimmen, und dass er sich den durch die Natur gegebenen Bedingungen seines Daseins anpassen muss, wenn sein Handeln erfolgreich werden soll. Er ist auch in dem Sinne unfrei, dass sein Handeln einer unentrinnbaren Verknüpfung von Mittel und Zweck unterliegt, deren Wesen uns die Praxeologie und insbesonders ihr bis heute am besten ausgebildetes Teilstück, die Nationalökonomie, kategorial und formal erkennen lassen.

In der Feststellung und Erforschung dieses Tatbestandes liegt der Beitrag, den die Nationalökonomie zum Aufbau der menschlichen Kultur geleistet hat. Es hängt von den Menschen ab, ob sie von dem Geistesgut, das sie in der Nationalökonomie besitzen, den zweckmäßigsten Gebrauch machen wollen, oder ob sie es unbeachtet und ungenutzt brachliegen lassen werden. Wenn sie aber darauf verzichten sollten, in ihrem Handeln den Ergebnissen des wissenschaftlichen Denkens Rechnung zu tragen, werden sie nicht die Nationalökonomie zertrümmern, sondern die Gesellschaft, die Kultur und das Menschentum.

 


 

Endnotes

[1] Der Ausdruck «Praxeologie» wurde zuerst von Espinas verwendet. Vgl. Espinas, Les origines de la Technologie (Revue philosophique, XV. Jahrgang, 30. Bd., S. 114 f.) und im gleichnamigen Buch Paris 1897, S. 7 f.

[2] Den Ausdruck «Catallactics or the Science of Exchanges» hat Whately eingeführt. Vgl. Whately, Introductory Lectures on Political Economy, London 1831, p. 6.

[3] Vgl. Marx , Brief an Bracke vom 5. Mai 1875, (Ausgabe von Kreibich, Reichenberg 1920, S. 17.)

[4] Vgl. Franz Brentano , Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis. 2. Auflage, Leipzig 1921, S. 94. Anm. 29.

[5] Man beachte dieses uns . Der Apriorismus, wie ihn die Praxeologie versteht, hat nichts gemein mit den Lehren, die eine absolute Wahrheit annehmen, die gelten soll, auch wenn niemand (kein Mensch) sie erkannt hat, und die vom menschlichen Denken unabhängig sein soll. Der Begriff der Wahrheit ist sinnvoll nur im Hinblick auf das menschliche Denkvermögen.

[6] Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft. (Werke, Inselausgabe, III. Bd., S. 36.)

[7] Eine Auseinandersetzung mit den modernen Lehren über den logischen Charakter der Geometrie hätte mit dem Gegenstand der obenstehenden Ausführungen, die das praxeologische Denken im Auge haben, nichts zu schaffen. Es ist sehr bedauerlich, dass Logik und Erkenntnistheorie sich bisher nur in unzureichender Weise mit den praxeologischen Kategorien befasst haben. Die Nichtberücksichtigung der praxeologischen Probleme gereicht auch dem vorzüglichen Buche Bougier's (Les Paralogismes du Rationalisme, Paris 1920) zum Schaden. Was der Logik und der Erkenntnistheorie heute vor allem nottut, ist Hinwendung zum Studium der praxeologischen Denkweise.

[8] Vgl. Meyerson, De l’explication dans les sciences, Paris 1927, S. 154.

[9] Vgl. Einstein, Geometrie und Erfahrung, Berlin 1921, S. 3.

[10] Vgl. Einstein, a. a. O., S. 3 f.

[11] Vgl. Felix Kaufmann, Methodenlehre der Sozialwissenschaften, Wien 1936, S. 54 ff., 200 ff.; On the Subject-Matter of Economic Science (Economica, Vol. XIII.) S. 381 ff.

[12] Hier, wo zum erstenmal in diesem Buch der Ausdruck Wesen gebraucht wird, sei daran erinnert, dass Wesen, der substantivisch gebrauchte mittelhochdeutsche Infinitiv des Hilfszeitworts, nichts anderes bedeutet als Sein. Wenn man von Wesen mitunter im Sinne «eigentliches, von dem dem diskursiven Denken erkennbaren Sein verschiedenes Wesen » spricht*,* so hat das mit dem Sprachgebrauch der an das diskursive Denken gebundenen Wissenschaft nichts zu tun.

[13] Vgl. Schütz , Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Wien 1932, S. 18, Anm. 2.

[14] Vgl. Englis , Begründung der Teleologie als Form des empirischen Erkennens, Brünn 1930, S. 15 ff.

[15] Über das Fremdpsychische vgl. Schütz, a. a. O., S. 106 ff.

[16] Vgl. Mauthner, Wörterbuch der Philosophie, 2. Aufl., Leipzig 1924, II. Bd. S. 196 ff.

[17] «L’inquiétude (uneasiness en anglais) est le principal pour ne pas dire le seul aiguillon qui incite l’industrie et l'activité des hommes.» Vgl. Leibniz, Nouveaux essais sur l’entendement humain, Livre deuxième, chapitre XX (Ausgabe Flammarion, S. 119.)

[18] Man beachte, dass die Unzufriedenheit auch in der Befürchtung liegen kann, man werde später einmal unbefriedigt sein, oder auch in dem Unbehagen, das das schon eingetretene oder für die Zukunft erwartete Unbefriedigtsein anderer Menschen, die dem Handelnden lieb sind, erweckt. Die Kritik, die am «egoistischen» Ausgangspunkt der Nationalökonomie geübt wurde, ist daher verfehlt.

[19] Vgl. meine Grundprobleme der Nationalökonomie, Jena 1933, S. 59 ff., 77 ff., 99 ff.; ferner Ernst Grünwald, Das Problem der Soziologie des Wissens, Wien 1934, S. 228 ff.

[20] Vgl. unten S. 100.

[21] Vgl. Windelband, Präludien, 8. Aufl., Tübingen 1922, 11. Bd., S. 136 ff.; Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, 3. Auflage, Tübingen 1915, S. 59 ff.; Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 2. Auflage, Tübingen 1913, S. 214 ff.

[22] Über den logischen Charakter der Geologie vgl. weiter unter S. 55 Anm.

[23] Vgl. Mach, Erkenntnis und Irrtum, 4. Auflage, Leipzig 1920, S. 202 f.

[24] Vgl. Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, a. a. O., S. 59 f.

[25] Für Bergson ist das Verstehen «une intuition», nämlich «la sympathie par laquelle on se transporte à l'intérieur d'un objet pour coïncider avec ce qu'il a d'unique, et par conséquent d'inexprimable». (Vgl. Bergson, La pensée et le mouvant, quatrième édition, Paris 1934, S. 205.)

[26] Es würde den Rahmen dieser Untersuchungen überschreiten, wollten wir versuchen nachzuweisen, dass auch die Psychologie, soweit sie nicht mit den Methoden der Physiologie arbeitende Naturwissenschaft ist, sondern auf das Verstehen ausgeht, als historische Wissenschaft anzusehen ist. Ob der Begriff Geisteswissenschaften mit dem der Geschichtswissenschaft im weitesten Sinne gleichzusetzen ist, ist eine terminologische Frage, die nicht zu wichtig genommen werden sollte. Entscheidend ist allein, dass alle diese Wissenschaften sich des Verstehens bedienen. — Entwicklungsgeschichte und Geologie (Erdgeschichte) dienen wie die Geschichte der Erforschung eines Einmaligen und Nichtwiederkehrenden. Sie bedienen sich jedoch ganz des Verfahrens der Naturwissenschaften und wüssten mit dem Verstehen nichts anzufangen. Man mag sie allenfalls Geschichte nennen; zu den Geisteswissenschaften zählen sie gewiss nicht. Wenn im Texte von Geschichte gesprochen wird, ist immer die verstehende Geschichte gemeint, die zu den Geisteswissenschaften zählt.

[27] Vgl. Langlois-Seignobos, Introduction aux Etudes Historiques, Troisième Edition, Paris 1905, S. 176 ff.; Rothacker, Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, München und Berlin 1927, S. 123 f.; ferner meine Grundprobleme der Nationalökonomie, a. a. O., S. 125 f.

[28] Vgl. Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, a.a.O., S. 31 ff.

[29] Und auf einer dritten Ebene wieder liegt der rechtliche Begriff «Unternehmer».

[30] Über den Begriff Unternehmer vgl. weiter unten S. 245 ff.

[31] Vgl. unten S. 225 ff.

[32] Vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. (Werke, Inselausgabe, Band 4., S. 548.)

[33] Niemand hat die Paradoxien des Anthropomorphismus klarer erfasst als der katholische Mystiker Angelus Silesius (Johannes Scheffer) in den Versen seines 1674 veröffentlichten Cherubinischen Wandersmannes.

[34] Vgl. z. B. Cassel , Theoretische Sozialökonomie, 5. Auflage, Leipzig 1932, S. 64 ff.

[35] Von den freien Gütern sagt Knight sehr richtig: “Such goods have no causal relation to conduct and no place in a science of conduct.” Vgl. Knight, Risk, Uncertainty and Profit, Boston 1921, S. 61.

[36] Man beachte, dass diese Ausführungen auch für die Verwendung der Begriffe Mittel und Zweck gelten. Man kann jedes Mittel als Zwischenziel ansehen, ohne der Richtigkeit des Gedankenganges Abbruch zu tun.

[37] Vgl. Feuerbach, Sämtliche Werke, neu herausgegeben von Bolin und Jodl, Stuttgart 1907, X. Bd., S. 231.

[38] In diesen Wahlakten spielt eine große Rolle der Umstand, dass der Befriedigung in einem näheren Abschnitt der Zukunft eine Befriedigung in einem späteren Abschnitt der Zukunft entgegengehalten wird. Über die Wertung in solcher Situation vgl. weiter unten S. 434 ff.

[39] Vgl. Kant , Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (Sämtliche Werke, Inselausgabe, I. Bd.), S. 227 f.

[40] Zur Kritik dieser Lehren vgl. meine Grundprobleme der Nationalökonomie, a. a. O., S. 80 ff.

[41] «L’antériorité logique n'est pas du tout une antériorité. ...Ce qui explique cette métaphore, c’est que notre pensée discursive se voit obligée d'admettre le conséquent après qu'elle a admis le principe; l’ordre intemporel de dépendance logique prescrit à la pensée l’ordre temporel de ses assertions discursives.» Vgl. Goblot , Traité de logique, Sixième édition, Paris 1937, S. 19.

[42] Vgl. Bergson , Matière et mémoire, 7ième édition. Paris 1911. S. 205.

[43] Vgl. Husserl , Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstsein (Jahrbuch für Philosophie und Phänomenologische Forschung, Bd. 9. Halle 1928). S. 391 ff.

[44] Vgl. Husserl , a.a.O., S. 391 ff.; Schütz, a. a. O., S. 45 ff.

[45] Vgl. Mauthner , Wörterbuch der Philosophie, a. a. O., III. Bd., S. 438 ff.

[46] «Ce que j’appelle mon présent, c’est mon attitude vis-à-vis de l'avenir immédiat, c'est mon action imminente.» Bergson , Matière et mémoire, a.a.O., S. 152.

[47] Vgl. Bergson , La pensée et le motivant, a. a. O., S. 190 ff.

[48] Vgl. Schütz , a.a.O., S. 59, 69.

[49] Vgl. Kaufmann , On the Subject-Matter and Method of Economic Science, a.a.O., S. 390.

[50] Vgl. Wicksteed , The Common Sense of Political Economy ed. by Robbins, London 1933, I. Bd., S. 32 ff.; Robbins , An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, Sec. Ed., London 1935, S. 91 ff.

[51] Auch Pläne können übrigens Widersprüche enthalten. Mitunter ist das aus Irrtum zu erklären. Mitunter aber mag der Widerspruch nur in den Augen dessen erscheinen, der die Absicht, die mit der Aufnahme unverträglicher Maßnahmen in den Plan verbunden war, nicht zu erkennen vermag. Wenn z. B. Regierungs- oder Parteiprogramme in einem Atem den Erzeugern hohe Preise und den Verbrauchern niedrige Preise versprechen, so mag dem demagogische Absicht zugrundeliegen, die ihren Dienst recht gut erfüllen kann. Dann ist wohl das Programm (der veröffentlichte Plan) nicht widerspruchsfrei, doch der seiner Aufstellung und Veröffentlichung zugrundeliegende Plan seiner Urheber, die mit der Aufnahme unverträglicher Dinge in das Programm einen bestimmten Zweck erreichen wollen, ist durchaus widerspruchsfrei.

[52] Vgl. Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871, S. 88 ff.; Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, 3. Aufl., 2. Abteilung, Innsbruck 1909, S. 237 ff.

[53] Klassen gibt es nicht in der Welt; Klassen unterscheidet nur das Denken, das in der Betrachtung der Welt Gleichartigkeit und Verschiedenheit wahrnimmt. Ob eine Klassifikation für das, was das Denken anstrebt, zweckmäßig ist, ist eine andere Frage als die Frage nach der Richtigkeit und logischen Zulässigkeit der Klassifikation.

[54] Vgl. Bernouilli, Versuch einer neuen Theorie der Wertbestimmung von Glücksfällen, übers. von Pringsheim, Leipzig 1896, S. 27 ff.

[55] Vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 372; vgl. auch ebendort S. 149.

[56] Vgl. weiter unten S. 301 ff.

[57] Vgl. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, a. a. O., II. Abt., S. 300 ff.

[58] Das hat auch Böhm-Bawerk im Fortgang seiner Ausführungen erkannt und klar ausgedrückt. Vgl. ebendort, S. 305.

[59] Vgl. weiter unten S. 109 ff.

[60] Anders ist es nur bei jenen sachlichen Naturgaben, für die die Bedingungen der absoluten Rente im Ricardo‘schen Sinne gegeben sind.

[61] Wenn Freizügigkeit der Arbeiter bestünde, wäre es törichte Verschwendung, unproduktiven Boden urbar zu machen, es sei denn, das neugewonnene Ackerland wäre so fruchtbar, dass es den zu seiner Urbarmachung erforderten Aufwand bezahlt macht.

[62] Der Aufwand, der auf die Herstellung eines Gutes verwendet wurde, ist ein historisches Faktum, das für die Schätzung des Gutes belanglos ist. Kein Gut wird geschätzt, weil man Kosten aufwenden musste, um es zu erlangen. Man hat Kosten auf seine Erlangung gewendet, weil man es höher geschätzt hat als den Aufwand.

[63] Wenn das Rudern reiner Sport ist, ist es Innenarbeit. Vgl. weiter unten S. 532 ff.

[64] Führer sind keine Bahnbrecher. Sie führen Wege, die die Bahnbrecher gebahnt haben. Der Bahnbrecher spurt den Weg durch Land, das bisher unbekannt und unwegsam war, ohne darauf zu achten, ob jemand diesen Weg auch gehen will. Der Führer führt die Geführten dorthin, wohin sie geführt werden wollen.

[65] Wer je Gelegenheit hatte, mit den gutgläubigen, ehrlichen und aufrichtigen unter den Führern der agrarischen Interessentenparteien (pressure groups) eines beliebigen Landes zu verkehren, weiß, dass dies in der Tat ihre Auffassung ist.

[66] Über Arbeitsteilung vgl. weiter unten S. 125 ff.

[67] Sehr deutlich sagt das Sombart (Deutscher Sozialismus, Charlottenburg 1934, S. 213): «Das Führerprinzip, zu dem wir uns bekennen, gipfelt in der Annahme eines obersten Führerwillens, der seine Weisungen nicht mehr wie der Unterführer vom Oberführer sondern nur von Gott erhalten kann, als dem Führer der Welt. Wer das Führerprinzip ganz erfasst und ernstlich bejaht, muss an eine fortgesetzte Offenbarung glauben. Ohne diesen Offenbarungsglauben schwebt das Führerprinzip in der Luft. Der Lenker des Staates hat also einen Auftrag von Gott, das bedeutet letzten Endes der Satz: Alle Obrigkeit ist von Gott ». &mdash Es wäre zu fragen, ob Sombart auch Ebert und Lenin als Beauftragte Gottes ansieht. Auch sie waren doch «Obrigkeit». Oder muss man zwischen wahren und falschen Führern unterscheiden? Dann aber hat man zu fragen: woran erkennt man den echten Führer?

[68] Die Gesellschaftslehre der Aufklärungszeit hat diese elementare Erfahrungstatsache der animalischen und geistigen Natur des Menschen keineswegs, wie ihr immer wieder vorgeworfen wird, verkannt. Sie hat ihr in ihrem System in der Lehre von der Arbeitsteilung eine tragende Rolle zugewiesen.

[69] Vgl. Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, Chap. VII, Anmerkung (Works, ed. by Mac Culloch, Second Edition, London 1852, S. 77).

[70] Vgl. weiter unten S. 314 ff.

[71] Über das Gesetz der komparativen Kosten vgl. Haberler, Der internationale Handel, Berlin 1933, S. 96 ff.; Viner , Studies in the Theory of International Trade, New York 1937, S. 437 ff.; Cabiati, La dottrina dei eosti comparati e i suoi eritiei (Rivista di Storia Economica, Anno IV., 1939).

[72] Hier ist mithin davon die Rede, dass Teile der Erdoberfläche für manche Produktionen gar nicht geeignet sind, während oben von der ungleichen Eignung für dieselbe Produktion gesprochen wurde.

[73] So geht die «Beziehungslehre» Wiese's vor. Vgl. Wiese, Allgemeine Soziologie, I. Teil, München 1924, S. 10 ff.

[74] Vgl. Sorel , Reflexions sur la violence, Troisième édition, Paris 1912, S. 269.

[75] Die zoologische Frage, ob dem Menschen der Vorzeit nicht als Pflanzenfresser die Raubtiernatur abzusprechen wäre, kann hier ausgeschaltet werden.

[76] Vgl. De Man, Zur Psychologie des Sozialismus, Neue Auflage, Jena 1927, S. 16 f.

[77] Vgl. meine Grundprobleme der Nationalökonomie, a. a. O., S. 174 ff.; meine Gemeinwirtschaft, a. a. O., S. 325 ff.

[78] So werden in den Vereinigten Staaten die Neger und die Abkömmlinge aus Verbindungen von Weißen und Negern nicht durch die Prüfung ihres Stammbaumes von den Weißen unterschieden, sondern durch die Feststellung von körperlichen Merkmalen.

[79] Vgl. Hitler, Rede auf dem Nürnberger Parteitag, 3. September 1933 (Frankfurter Zeitung, Morgenblatt vom 4. September 1933, S. 2).

[80] ebendort.

[81] Vgl. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst, III. Teil, Berlin 1907, S. 273.

[82] Sie befriedigt auch das Ressentiment der Juden. Der Jude führt seine Misserfolge nicht auf eigene Unzulänglichkeit zurück, sondern auf das, was man «Antisemitismus» nennt.

[83] Vgl. Menger, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, Leipzig 1883, S. 178. Vgl. weiter unten S. 365 ff.

[84] Wir haben dabei allein den praxeologischen Begriff Macht im Auge, der vom naturwissenschaftlich-technologischen Begriff Macht zu unterscheiden ist.

[85] Ein Strolch kann einen schwächeren Einzelnen vergewaltigen. Doch das hat mit dem Leben im gesellschaftlichen Verband nichts zu tun; es ist ein vereinzelter antisozialer Akt.

[86] Hier ist von der Aufrechterhaltung der Minderheitsherrschaft der Europäer in den außereuropäischen Gebieten die Rede und nicht etwa von einem Angriff der Asiaten auf die europäische Kultur in Europa und Amerika. Darüber vgl. weiter unten S. 611 f.

[87] Vgl. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1920, S. 36 ff.; Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 24 ff.

[88] Vgl. oben S. 55 f.

[89] Vgl. Gobineau, Essai sur l’inégalité des races humaines, erste Ausgabe, Paris 1853-1855.

[90] Vgl. Gumplowicz, Der Rassenkampf, erste Ausgabe, Innsbruck 1883; Grundriss der Soziologie, erste Ausgabe, Wien 1885.

[91] Vgl. Ratzenhofer, Soziologie, Leipzig 1907.

[92] Vgl. Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, erste Ausgabe, München 1899.

[93] Vgl. die Rede vom 3. September 1933, a. a. O.

[94] Vgl. Gumplowicz, Grundriss der Soziologie, 2. Auflage, Wien 1905, S. 195; ähnlich Hitler in der Rede vom 3. September 1933, a. a. O.

[95] Vgl. Gumplowicz , Grundriss der Soziologie, a. a. O., S. 235 f.

[96] Vgl. Guyau , La morale anglaise contemporaine, Deuxième édition, Paris 1885, S. 3.

[97] Vgl. Cassel , Theoretische Sozialökonomie, a. a. O., S. 331 f.

[98] Der Ausdruck «herrschaftlich» soll darauf hinweisen, dass für die Kooperation der Einzelnen das System angewendet wird, nach dem die Herrschaft im staatlichen Verband geübt wird. Man könnte statt «herrschaftlich» auch «sozialistisch» sagen. Dieser Ausdruck soll dann später überall verwendet werden, wo es sich um die Prüfung der Probleme handelt, die dem Handeln eines herrschaftlichen Verbandes gesetzt sind. Vgl. besonders Teil V.

[99] Vgl. vor allem Böhm-Bawerk, Kapital- und Kapitalzins, II. Abteilung, III. Buch.

[100] Vgl. Wieser, Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft (Grundriss der Sozialökonomik, I. Abteilung, Tübingen 1914), S. 137, 141 ff.

[101] Vgl. Wieser, a. a. O., S. 137.

[102] Vgl*. Wieser,* a. a. O., S. 223.

[103] Vgl. Wieser, a. a. O., S. 142.

[104] Vgl. Wieser, a. a. O., S. 163.

[105] Vgl. Wieser, Der natürliche Wert, Wien 1889, S. 24; Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft, a. a. O., S. 196 f.

[106] Vgl. Wieser, Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft, a. a. O., S. 215 f. — Zur Klarstellung des Sachverhaltes genügt der Hinweis auf die Irrtümer, die Wieser in der Behandlung dieses Grundproblems begangen hat. Es wäre überflüssig, im Einzelnen noch auf die vielen anderen Schriftsteller einzugehen, die demselben oder ähnlichen Irrtümern verfallen sind. Über Irving Fisher’s Versuch, zur Wertmessung zu gelangen, vgl. meine Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, a. a. O., S. 14 ff.

[107] Vgl. Wieser, Der natürliche Wert, a. a. O., S. 60, Anm. 3.

[108] Hier ist nicht von der mathematischen Wissenschaft die Rede, sondern von den Rechenmethoden, die die Praxis anwendet; diese blieben lange hinter dem zurück, was die zeitgenössische Wissenschaft als richtig ansah.

[109] Vgl. Bailey, A Critical Dissertation on the Nature, Measures and Causes of Values. London 1825. (Series of Reprints of Scarce Tracts in Economic and Political Science, Nr. 7, London School of Economics, 1931.)

[110] Über die allgemeine Bereitschaft des menschlichen Geistes, Starrheit und Unwandelbarkeit als das Essentielle und Wechsel, Veränderung und Bewegung als das Accidentielle zu betrachten, vgl. Bergson, La pensée et le mouvant, a. a. O., S. 85 ff.

[111] Vgl. Irving Fisher, The Money Illusion, New York 1928, S. 19 f.

[112] Vgl. darüber meine: Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, 2. Auflage, München und Leipzig 1924, S. 170 ff.; Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik, Jena 1928, S. 18 ff.

[113] Keine praktische Rechnung kann übrigens exakt sein. Exakt ist die Formel, nach der die Rechnung erfolgt, doch nicht die Rechnung, die von mehr oder weniger ungenauen Messungen ausgeht. — Die Nationalökonomie ist, wie schon (S. 20) gezeigt wurde, eine exakte Wissenschaft von wirklichen Dingen. Sobald jedoch in die Überlegungen Preisangaben eingeführt werden, verliert der Gedankengang die Exaktheit und wird zu nationalökonomisch orientierter Geschichtsbetrachtung, zur Wirtschaftsgeschichte.

[114] Echte Schuldentilgung durch Rückzahlung gab es nur in den liberalen Staaten des Westens, deren Bürger frei von allem etatistischen Aberglauben waren.

[115] Auch in den kaufmännischen Gesellschaften wirtschaften Einzelne, wenn auch nicht bloß ein Einzelner.

[116] Vgl. weiter unten S. 383 ff.

[117] Vgl. Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Erstes Buch, 10. Kapitel.

[118] Vgl. weiter unten S. 225 ff.

[119] Sehr schön hat Wicksteed seinem nationalökonomischen Hauptwerk als Motto das Goethe-Wort vorangestellt: «Ein jeder lebt’s, nur wenigen ist's bekannt».

[120] Vgl. darüber meine Grundprobleme der Nationalökonomie, a. a. O., S. 143 ff.

[121] Vgl. meine Grundprobleme der Nationalökonomie, a. a. O., S. 33, 137 ff., 156 ff.; Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, a. a. O., S. 4 ff.

[122] Die Lehre von der prästabilierten Harmonie innerhalb der ungehemmten Marktwirtschaft ist von der Lehre von der Harmonie der richtig verstandenen Interessen aller Wirte in der Marktwirtschaft, mit der sie verwandt ist, genau zu unterscheiden. Vgl. weiter unten S. 614 ff.

[123] Schon die ernährungsphysiologische Betrachtung wird diese Gesichtspunkte nicht als nebensächliche ansehen.

[124] Da wir es hier mit Theorie und nicht mit Geschichte zu tun haben, können wir darauf verzichten, alle Einwendungen, die man gegen die Verwendung des Begriffes «isolierter Wirt» vorbringt, einfach mit dem Hinweis auf die Rolle zu erledigen, die die geschlossene Hauswirtschaft in der Geschichte gespielt hat.

[125] Der Einfachheit halber nehmen wir hier an, dass alle Börsenumsätze eines Tages zu einem einheitlichen Kurs erfolgen.

[126] Die Klassiker sprachen vom natürlichen Preis; diese Ausdrucksweise erweckt jedoch irreführende Assoziationen.

[127] Vgl. Perroux, La pensée économique de Joseph Schumpeter, Paris 1935, S. 43 ff.

[128] Man kann das Gedankenbild der stationären Wirtschaft auch so konstruieren, dass die Bevölkerungszahl als unveränderlich angenommen wird. Das ist Frage der Zweckmäßigkeit und hängt demnach von der Aufgabe ab, die man im einzelnen Fall bearbeiten will.

[129] Darüber, dass man die Arbeit in einem beschränkten Sinn auch als nicht spezifisches Produktionsmittel betrachten darf, vgl. oben S. 103 ff.

[130] Vgl. J. B. Clark, The Distribution of Wealth, New York 1908, S. 5; Böhm-Bawerk, Gesammelte Schriften, her. v. F. X. Weiss, Wien 1924, S. 299.

[131] Für unseren Wirt sind diese Güter dann eben nicht Güter erster Ordnung, sondern Güter einer höheren Güterordnung.

[132] Vgl. Strigl , Kapital und Produktion, Wien 1934, S. 3.

[133] Frank A. Fetter legt der Kapitaldefinition den Kapitalbegriff des rechnenden Wirts zugrunde und fügt dann bei: „This is essentially an individual acquisitive, financial, investment, ownership concept . . . and developing with the spread of the financial calculus in business practise.“ (Vgl. Artikel Capital in Encyclopaedia of the Social Sciences, Vol. III., S. 190.)

[134] Man könnte als Kapitalgüter ebensogut auch alle Produktionsmittel (nicht nur die produzierten Produktionsmittel, die Zwischenprodukte, sondern auch die ursprünglichen naturgegebenen sachlichen Produktionsmittel) bezeichnen. Die Einschränkung dieses Ausdrucks zur Bezeichnung der produzierten Produktionsmittel erscheint jedoch zweckmäßiger. (Noch einmal sei dabei darauf hingewiesen, dass auch die in den Händen der Unternehmer und Kapitalisten befindlichen und ihren Erwerbszwecken dienenden genussreifen Güter als Zwischenprodukte und Produktionsmittel anzusehen sind.) Das Bedürfnis, durch Rechnung den Erfolg des Handelns zu ermitteln, war bei den produzierten Produktionsmitteln, die in der Verwendung und durch die Verwendung untergehen, dringender als bei dem für die Produktion verfügbaren Bestand an Boden. Die Kapitalrechnung der einzelnen Wirte zog daher anfangs den Wert des Bodens nicht in den Begriff des Kapitals ein; heute ist diese Einbeziehung Regel. Wenn die Nationalökonomie den Begriff der Kapitalgüter auf produzierte Produktionsmittel beschränkt, darf sie nicht vergessen, dass die Kapitalrechnung der Wirte auch den Boden miteinschließt. Doch auch die Wirte stellen in ihrem Sprachgebrauch mitunter dem Boden das Kapital gegenüber. Wenn ein Grundbesitzer davon spricht, dass ihm nicht genug Kapital zur Verfügung stehe, um seinen Grundbesitz so intensiv zu bewirtschaften, wie es die Lage des Marktes erfordern würde, oder wenn alle Grundbesitzer eines Landes oder die ihre Wirtschaft betrachtenden Nationalökonomen so sprechen, dann sehen sie davon ab, dass die einzelnen Grundbesitzer durch Veräußerung eines Teiles des Grundbesitzes die Geldmittel beschaffen könnten, die es ihnen gestatten würden, das Missverhältnis abzustellen. — Der Umfang des verfügbaren Bestandes an Kapitalgütern (produzierten Produktionsmitteln) und der verfügbaren Arbeitsmenge entscheidet über das Ausmaß, in dem der Boden zur Produktion herangezogen wird. Das lässt der Nationalökonomie den Sprachgebrauch, der den Ausdruck Kapitalgüter auf die produzierten Produktionsmittel einschränkt und den Boden nicht zum Kapital rechnet, zweckmäßig erscheinen.

[135] Vgl. Sombart, Artikel Kapitalismus im Handwörterbuch der Soziologie, her. v. Vierkandt, Stuttgart 1931, S. 258.

[136] Vgl. Frank A. Fetter, The Principles of Economics, Third Edition, New York 1913, S. 394, 410.

[137] Vgl. Baudin, Le mécanisme des prix, Paris 1940, S. 115 ff.

[138] Vgl. Spann, Der wahre Staat, Leipzig 1921, S. 249.

[139] Es charakterisiert die politische Voreingenommenheit vieler Nationalökonomen, dass sie dem Unternehmergewinn mehr Aufmerksamkeit zugewendet haben als dem Unternehmerverlust.

[140] Vgl. Mangoldt, Die Lehre vom Unternehmergewinn, Leipzig 1855, S. 82. — Dass aus 100 Liter stillen Weins nicht 100 Liter Schaumwein, sondern weniger werden, hat keine andere Bedeutung als der Umstand, dass aus 100 kg Zuckerrübe nicht 100 kg Zucker, sondern weniger werden.

[141] Vgl. Knight, Risk, Uncertainty and Profit, a.a.O., S. 211 ff.

[142] Vgl. S. 249 f.

[143] Vgl. Chamberlin, The Theory of Monopolistic Competition, Cambridge 1935, S. 123 ff.

[144] Selbst die Schweizer und die Italiener dachten so in Bezug auf Österreich, obwohl sie doch aus eigener Erfahrung hätten wissen können, dass man Kohlen auch aus dem Ausland einführen kann.

[145] Von der durch das Zeitmoment bewirkten Differenz zwischen dem Preis der komplementären Produktionsmittel und dem Produktpreis sehen wir zunächst ab.

[146] Vgl. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, II. Abteilung, Exkurs VII (3. Auflage, Innsbruck 1909, S. 173 ff.). — Man beachte doch, dass es vollkommen unsinnig ist, von einer Summe von Wertschätzungen (Summe von Werten) zu sprechen. Man darf sagen: die Wertschätzung, die einem Produkt beigelegt wird, ist, wenn vom Zeitmoment abgesehen wird, gleich der Wertschätzung, die den komplementären Produktionsmitteln zusammengenommen beigemessen wird; doch es wäre unsinnig zu sagen, dass sie gleich sei der Summe der Wertschätzungen, die den einzelnen Komplementärgütern beigemessen wird. Wertschätzungen (Werte) können nicht addiert werden. Man kann Geldpreise addieren, doch nicht Werte (Rangordnungen, Reihungen.) Man kann Werte auch nicht teilen und aufteilen. Werten kann nie etwas anderes als das Unterscheiden von wichtiger und minderwichtig. Erst durch die im Tausch gebildeten Austauschverhältnisse wird eine Grundlage für Rechnen geschaffen; für Rechnen mit Preisen, doch nicht mit Werten.

[147] Vgl. Hans Mayer, Die Wert- und Preisbildung der Produktionsmittel. (In Economia Politica Contemporanea, Supinofestschrift, Padova 1930), S. 29, Anm. 2.

[148] Wieser’s «einfache Wirtschaft».

[149] Gerade weil sich der Markt um die Ansprüche der vested interests nicht kümmert, fordern diese Interessenten Intervention der Obrigkeit.

[150] Richtiger wäre zu sagen: die Wirte, die beim Ausbot der Produktionsmittel mitbieten, nennen wir Unternehmer im Sinne unternehmenderer Wirt.

[151] Man kann vom absolut spezifischen Charakter zweier Produktivgüter auch dann sprechen, wenn sie in demselben Mischungsverhältnis verschiedene Verwendungen zulassen. Sie sind absolut spezifisch im Hinblick auf die Erzeugung eines Zwischenproduktes, von dem man verschiedenen Gebrauch machen kann; Der Preis dieses Zwischenproduktes kann auf sie nur kumulativ übertragen werden. Ob dieses Zwischenprodukt direkt sinnlich wahrnehmbar ist oder nur im Zusammenwirken der beiden Produktionsmittel besteht, ist dabei irrelevant.

[152] Der Gedankengang kann ohne Schwierigkeit auf den Fall übertragen werden, in dem die Abschreibung von dem um die früheren Abschreibungen verminderten Anschaffungswert erfolgt.

[153] Am deutlichsten wird dies in der Geldlehre durch Gegenüberstellung dessen, was die Verkehrsgleichungen sagen, und der Leistungen der erklärenden Geldtheorie. Vgl. weiter unten S. 358 f.

[154] Vgl. oben S. 261 f.

[155] Man darf nicht übersehen, dass der Wettbewerbspreis in den Überlegungen des Monopolisten keine Rolle spielt. Der Monopolist sucht den Preis, bei dem sein Gewinn so hoch als möglich ist. Nur der die Probleme betrachtende Nationalökonom vergleicht diesen Preis mit dem Preis, der bei Wettbewerb mehrerer selbständig vorgehender Verkäufer gebildet worden wäre.

[156] Vgl. Forchheimer, Theoretisches zum unvollständigen Monopole (Schmoller’s Jahrbuch, 1908, XXXII, S. 1-12); Leduc, La théorie des prix de monopole, Aix-en-Provence 1927, S. 337 ff.

[157] In diesen Aufwand wollen wir auch den Unternehmerlohn einrechnen, d.i. den Marktwert der aufgewendeten eigenen Arbeit des Unternehmers.

[158] Diesem Fall ist gleichzuhalten der Fall, in dem die Einrichtung eines neuen Betriebes, der den bestehenden Konkurrenz machen und ihr Monopol brechen könnte, unrentabel erscheint, weil die bestehenden Betriebe ausreichen, um beim Wettbewerbspreis den ganzen Bedarf zu decken. Das Hinzukommen eines neuen Betriebs würde nur dann rentabel erscheinen, wenn er günstigere Produktionsbedingungen finden kann als manche der schon bestehenden, die er aus dem Geschäft verdrängen müsste. Das ist im Zeitalter rasch fortschreitender Technik die Regel; der jüngste Betrieb ist den älteren in der Regel technisch überlegen.

[159] Es muss das nicht gerade in der Weise geschehen, dass die Regierung die unter günstigeren Verhältnissen arbeitenden Betriebe an der vollständigen Ausnützung ihrer Überlegenheit hindert. Es genügt oft schon, dass diese Betriebe sich selbst derartige Beschränkungen auferlegen, da sie fürchten müssen, sonst durch die Eingriffe der Regierung noch schärfer behindert zu werden.

[160] Ob, in welcher Weise und in welchem Umfang der goodwill übertragbar ist, ist in jedem einzelnen Fall questio facti.

[161] Auch die Auslagen für zusätzliche Werbung sind zusätzliche Kapitalinvestition.

[162] Auch die Kassenhaltung ist, selbst wenn sie über das übliche Ausmaß hinausgeht und daher als Hortung bezeichnet wird, in diesem Sinn Anlage. Unter den auf dem Markte gegebenen Verhältnissen hält der Wirt Kassenhaltung für die zweckmäßigste Anlage eines Teiles seiner Mittel.

[163] Unser Annahme gemäss ist a ohne b und b ohne a unverwendbar und daher wertlos. Wer ein a kauft, muss daher auch ein b kaufen und umgekehrt.

[164] Wenn alle Verbraucher so vorgehen würden, hätte schon der Wettbewerbspreis entsprechend steigen können.

[165] Wenn alle Verbraucher so vorgehen würden, wäre es für den Verkäufer ohne Belang, ob er zum Monopolpreis oder zum Wettbewerbspreis verkauft.

[166] Wenn alle Verbraucher so vorgehen würden, könnte es nicht zur Bildung von Monopolpreisen kommen, da die Verkäufer dabei schlechter fahren würden als beim Wettbewerbspreis. Nur wenn der Monopolist ein Wohltäter ist, der Verluste in Kauf nehmen will, um seine Mitbürger vom Genuss schädlicher Güter abzulenken, würde er auch in diesem Fall den Preis über den Wettbewerbspreis erhöhen.

[167] Vgl. Marshall , Handbuch der Volkswirtschaftslehre, übersetzt von Ephraim und Salz, Stuttgart 1905, S. 165 ff.

[168] In welchem Sinne die Arbeit, ungeachtet ihrer Qualitätsverschiedenheit, als nicht spezifisches Produktionsmittel angesehen werden darf, wurde bereits oben (S. 104 f.) gesagt.

[169] Vgl. oben S. 204 f.

[170] Nur der gesellschaftliche (zwischenmenschliche) Tausch kann indirekter (vermittelter) Tausch sein.

[171] Die Lehre von der Geldrechnung ist kein Teil der Theorie des indirekten Tausches; sie ist ein Stück der allgemeinen Katallaktik.

[172] Zur Geschichte und Terminologie des Problems vgl. Hayek, Prices and Production, Revised Edition, London 1935, S. 1 ff., 129 ff.

[173] Vgl. Cannan ; Money, Fourth Edition, London 1923, S. 71 ff.

[174] Vgl. darüber meine Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, a. a. O., S. 7 ff.

[175] Geld kann auf dem Transporte sein, kann in Schiffen, Eisenbahnzügen oder Flugzeugen auf dem Weg von einem Ort nach einem anderen sein. Doch es bleibt auch dann stets in der Verfügung irgendwelcher Wirte.

[176] Vgl. Carl Menger , Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871, S. 250 ff.; Grundsätze der Volkswirtschaftslehre 2. Auflage, Wien 1923, S. 241 ff.; Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, Leipzig 1883, S. 171 ff.

[177] Vgl. Menger, Untersuchungen, a. a. O., S. 178.

[178] Von dem Gelde, das nur dem Tauschmitteldienste gewidmet ist und das keine sonstigen Eigenschaften hat, um derentwillen es begehrt werden könnte, wird später unter X. zu sprechen sein.

[179] Ich habe diese Ableitung der Geldwertgestaltung zuerst 1912 in der ersten Auflage meiner Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel (a.a.O., 2. Aufl., S. 85 ff.) vorgetragen. Gegen meine Auffassung sind von mehreren Seiten Einwendungen erhoben worden. Manche davon, so vor allem die von B. M. Anderson in seinem zuerst 1917 veröffentlichten Buche vorgebrachten, müssen eingehend geprüft werden. (vgl. Anderson, The Value of Money, New York 1936, S. 100 ff.) Die Wichtigkeit des Problems lässt es angezeigt erscheinen, auch die Einwendungen von Ellis (German Monetary Theory, 19051933, Cambridge 1934, S. 77 ff.) nicht ohne Antwort zu lassen. Im Text werden alle vorgebrachten Kritiken dargelegt und widerlegt.

[180] Für diesen Vorgang gebraucht man auch die Bezeichnung: Enthortung.

[181] In den letzten Jahrhunderten war die Resultante freilich meist eine fortschreitende Aufwärtsbewegung der Preise.

[182] Vgl. darüber meine Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, a. a. O., S. 121 f.

[183] Vgl. oben S. 241 ff.

[184] Vgl. weiter unten Abschnitt IX.

[185] Das steht keineswegs in Widerspruch zu den Feststellungen über die Bedeutung des überkommenen Tauschwerts des Geldes für die Bildung des Tauschwerts (der Kaufkraft) von heute, wie dies irrtümlich von Greidanus (The Value of Money, London 1932, S. 112) behauptet wird. Die weiteren Ausführungen im Text reichen wohl aus, um das vollkommen klarzustellen. Greidanus irrt auch, wenn er meint, die Gleichsetzung des subjektiven Tauschwertes des Geldes mit dem Grenznutzen der übrigen wirtschaftlichen Güter, die man für Geld kaufen kann, bedeute, dass man «does not assign any services to money», weil man ihm «no value of its own» zuspreche. Dass ein wirtschaftliches Gut über den Bedarf für Gebrauch oder Verbrauch hinaus oder ein für sonstige Gebrauchsoder Verbrauchszwecke ungeeignetes Ding überhaupt nachgefragt, begehrt und somit für wertvoll erachtet wird, ist darauf zurückzuführen, dass man über einen bestimmten Vorrat davon um seines Tauschmitteldienstes willen verfügen will; weil Geld um seines Tauschmitteldienstes willen begehrt wird, erhält es spezifischen (auf dem Gelddienst beruhenden) Wert und Kaufkraft; die subjektive Bedeutung dieser Kaufkraft für den Einzelnen ist dann notwendigerweise gleich dem Grenznutzen der wirtschaftlichen Güter, gegen die man das Geld auf dem Markte umzusetzen vermag. Von der Anweisungstheorie, die Greidanus die Anrecht-Theorie nennt, ist das toto coelo verschieden.

[186] Die Ausdrücke Inflation und Deflation bezeichnen nicht praxeologische Begriffe. Sie sind aus der Vorstellung heraus gebildet worden, dass es «normales» Geld gebe, dem man Neutralität zuschreiben darf. Als Inflation und Deflation wollte man dann das «abnormale», das «schlechte» Geldwesen bezeichnen, bei dem Kaufkraftänderungen von der Geldseite her auftreten. Man kann die Ausdrücke Inflation und Deflation zur Erleichterung der Darstellung in wirtschaftsgeschichtlichen und wirtschaftspolitischen Erörterungen ohne Bedenken verwenden, wenn man damit von der Geldseite her wirkende starke Veränderungen der Kaufkraft bezeichnen will.

[187] Diesen Versuch hat Greidanus (a. a. O. S. 197 ff.) unternommen.

[188] Wird die Ausgabe von Teil- oder Scheidemünzen in engen Grenzen gehalten, dann ist jede Vorkehrung für den Umtausch überflüssig. Der Bedarf des Verkehrs nach Kleingeld sorgt schon für die jederzeitige Umwechslungsmöglichkeit.

[189] Es ist auch ohne Belang, ob die Geldsurrogate vom Gesetz als Zahlungsmittel (legal tender) erklärt wurden. Wenn sie ohnehin als Geldsurrogate angesehen und daher dem Gelde gleich geschätzt werden, hat die Verleihung der Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel nur die Bedeutung, dass sie Chikane im Verkehr unmöglich macht. Sind diese Stücke aber nicht Geldsurrogate, werden sie niedriger bewertet als Geld, dann hat die gesetzliche Zahlkraft die Wirkung einer behördlichen Preistaxe und löst das Spiel des Gresham'schen Gesetzes aus.

[190] Vgl. darüber meine Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, a. a. O. S. 352 ff.

[191] Für die Katallaktik ist der Begriff «normale Kreditausweitung» sinnlos. Jede Kreditausweitung wirkt auf die Gestaltung der Preise, Löhne und Zinssätze und löst den Prozess aus, den zu beschreiben die Aufgabe der Konjunkturtheorie ist.

[192] Auf diesen Umstand hat Vera C. Smith in ihrer verdienstvollen Untersuchung The Rationale of Central Banking, (London 1936, S. 157 ff.) nicht genügend Rücksicht genommen.

[193] Vgl. Cernuschi , Contre le billet de banque, Paris 1866, S. 55.

[194] Die Annahmepflicht zum vollen Nennwert ist für die Geldsurrogate vielfach schon lange vor Einstellung der Einlösung ausgesprochen worden. Solange die Geldsurrogate vom Markte nicht weniger hoch gewertet wurden als das Geld, war die Massnahme bedeutungslos. Sie erhalt ihre Tragweite erst durch die Entstehung eines Preisunterschiedes zwischen dem Sachgeld und dem Kreditgeld. 

[195] Z. B. täglich rückzahlbare Einlagen, über die nicht durch Scheck verfügt werden kann. 

[196] Vgl. die kritische Untersuchung von Marianne von Herzfeld, Die Geschichte als Funktion der Geldbewegung (Archiv fur Sozialwissenschaft, 56. Bd., S. 654-686) und die dort angeführten Schriften.

[197] Vgl. weiter unter S. 498 ff. 

[198] Über die Preisprämien vgl. weiter unten S. 493 f. 

[199] Vgl. Gregory, The Gold Standard and its Future, Third Edition, London 1934, S. 22 ff. 

[200] Warum man so vorgeht, wird aus den weiteren Ausführungen erhellen.

[201] Würde die Verlängerung der Nutzdauer nicht mindestens dem Mehraufwand entsprechen, dann würde es zweckmäßiger sein, den Aufwand auf die Herstellung einer größeren Anzahl von Stücken mit kürzerer Nutzdauer zu richten.

[202] Vgl. Böhm-Bawerk , Kapital und Kapitalzins, 3. Aufl., Innsbruck 1917, 2. Abteilung, S. 426.

[203] Vgl. Böhm-Bawerk , a. a. O., S. 453, Anm. 1.

[204] Vgl. Böhm-Bawerk , a. a. O., S. 441.

[205] Vgl. Böhm-Bawerk , a. a. O., S. 443 ff.

[206] Vgl. Fetter, The Principles of Economics, a.a.O., S. 144.

[207] Vgl. Cuhel , Zur Lehre von den Bedürfnissen, Innsbruck 1907, S. 304.

[208] Damit erweisen sich die von Knight (Capital, Time and the Interest Rate, in Economica, New Series, Vol. I., S. 271 ff.) vorgebrachten Einwände gegen die Agiotheorie als unstichhaltig.

[209] Vgl. Böhm-Bawerk, Kleinere Abhandlungen über Kapital und Zins (Der Gesammelten Schriften 2. Bd.) her. v. F. X. Weiss, Wien 1926. S. 169.

[210] Ohne die Geldrechnung könnte man auch nicht den Tatbestand feststellen, ob ein Verfahren, von der erforderlichen Produktionszeit abgesehen, höhere Mengenergiebigkeit verspricht als ein anderes. Denn die Aufwendungen, die Verfahren mit verschiedener Länge der Produktionszeit erfordern, können nur durch die Geldrechnung verglichen werden.

[211] Daher ist die in der Sprache sehr heftige, doch sachlich unbegründete Kritik, die Knight (Capital, Time and the Interest Rate, a.a.O., S. 262) am Böhm- Bawerk'schen Gedankengang übt, zurückzuweisen.

[212] Vgl. Jevons , The Theory of Political Economy, Third Edition, London 1888, S. 223 ff.

[213] Vgl. J. B. Clark, Essentials of Economic Theory, New York 1907, S. 133 ff.

[214] Auch der öffentliche Haushalt ist in diesem Sinne ein Wirt im Gefüge der Marktwirtschaft.

[215] Mittelbar erfolgt eine Beeinflussung wie in jedem Fall der Geldwertveränderuug durch Verschiebung der Eigentumsverhältnisse.

[216] Der Einfachheit halber sprechen wir von heutigen (gegenwärtigen) und künftigen Gütern und Bedürfnissen. Genauer müsste man sagen: Befriedigung in näherer und Befriedigung in fernerer Zukunft.

[217] Vgl. Hayek, The Mythology of Capital (The Quarterly Journal of Economics, Vol. I, 1936), S. 223 f.

[218] Vgl. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 2. Auflage, München 1926, S. 78

[219] Vgl. Robbins, On a Certain Ambiguity in the Conception of Stationary Equilibrium (The Economic Journal , Vol. XL, 1930) S. 211 ff.

[220] Vgl. Whately , Elements of Logic, Ninth Edition, London 1848, S. 354 ff.; Cannan , A History of the Theories of Production and Distribution in English Political Economy from 1776 to 1848, Third Edition, London 1924, S. 189 ff.

[221] Maßnahmen, die die Schuldverträge zu Gunsten der Gläubiger abändern, sind nie ins Werk gesetzt worden, weil die öffentliche Meinung immer und überall die Partei der Schuldner gegen die Gläubiger ergriffen hat. Nirgends tritt das Ressentiment gegen Besitz und erworbene Rechte deutlicher zutage als in dem altüberlieferten Brauche, den armen bedauernswerten Schuldner dem hartherzigen reichen Gläubiger gegenüberzustellen. Selbst Leute, da die Gläubiger in den breiten Massen als Sparkasseneinleger, Inhaber von Schuldverschreibungen und Versicherungsnehmer zu finden sind und die Schuldner der Großindustrie und dem Grundbesitz angehören, ist diese Vorstellung nicht überwunden, und die Sympathie des Gesetzgebers betätigt sich zu Gunsten der Schuldner wie in den Tagen Solons und der römischen Schuldgesetze. Dem Risiko des Gläubigers, durch Änderungen der Gesetzgebung benachteiligt zu werden, steht mithin keine entsprechende Gewinnchance gegenüber.

[222] Der Unterschied zwischen diesem Fall (Fall b) und der oben (auf S. 478) besprochenen Lage der Erwartung unmittelbar bevorstehenden Weltuntergangs (Fall a ) liegt darin, dass im Fall a der Urzins selbst über alles Maß wächst, weil künftige Güter jeden Wert verlieren, im Fall b aber der Urzins unverändert bleibt und nur die Risikoprämie über alles Maß hinauswächst.

[223] Vgl. Irvin gFishe r , The Rate of Interest, New York 1907, S. 77 ff.

[224] Vgl. Vito , Risparmio Forzato e Cicli Economici (in Cicli Economici, Contributi dell'Istituto di Scienze Economiche, Università Cattolica del Sacro Cuore, Milano 1937), S. 34 ff.

[225] Diesem Grenzfall entspricht die Lage der Dinge bei Kreditausweitung.

[226] Man hat nicht etwa «umlaufendes» Kapital in «fixes» Kapital verwandelt. Der einzelne Unternehmer mag sich sagen: Hätte ich das Geld, das ich zur Erweiterung meiner Fabrik ausgegeben habe, noch zur freien Verfügung, dann wäre ich in besserer Lage; ich müsste nicht neuen Kredit in Anspruch nehmen, um den Betrieb fortzuführen. Doch die Rohstoffe, Halbfabrikate und Lebensmittel fehlen nicht auf dem Markte; die Krise ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie in einem Umfange angeboten werden, der Absatz nur zu sinkenden Preisen ermöglicht.

[227] Über den Anstoß zur Wendung in der Bankpolitik vgl. S. 696.

[228] Dass die Restriktion in der Geschichte niemals die Rolle gespielt hat, die die Kreditausweitung im 19. und 20. Jahrhundert gespielt hat, ist der allgemeinen Unpopularität des Preisfalls und der allgemeinen Popularität aller Bestrebungen zur Senkung des Darlehenszinses zuzuschreiben.

[229] In den großen Inflationen der Nachkriegszeit kam für den Anpassungsprozess, der durch die Einstellung der weiteren Ausgabe zusätzlichen Geldes ausgelöst wurde, der Ausdruck Stabilisierungskrise auf.

[230] Vgl. Röpke, Crises and Cycles, London 1936, S. 119 ff.

[231] Vgl. Jenny Griziotti Kretschmann , Il Problema del Trend Secolare nelle Fluttuazioni dei Prezzi, Pavia 1935, S. 5 ff.

[232] Auch im Gleichgewichtszustand können Anlagen bestehen, die nicht oder nicht vollständig ausgenützt werden. Sie stören den Gleichgewichtsstand ebensowenig wie das Brachliegen des extramarginalen Bodens.

[233] Zu dem gleichen Schluss gelangt, wenn auch auf Grund eines anderen Gedankenganges, Hayek, Preise und Produktion, Wien 1931, S. 94 ff.

[234] Vgl. Haberler, Prosperity and Depression, New Edition, (League of Nations Publications, 1939, II. A. 4), S. 89 ff.

[235] Man beachte, dass die Sprache mit Spekulation sowohl die Überlegungen und die auf ihnen beruhenden Handlungen der Unternehmer als auch die das theoretische Feld nicht überschreitenden Überlegungen der Denker bezeichnet.

[236] Haberler nennt diese Lehren: Non-monetary Over-investment Theories. Vgl. a.a.O., S. 72 ff. — Darüber, dass das Wesen des Aufschwungs nicht Überinvestition, sondern Investition am unrechten Ort ist, vgl. oben S. 510 f.

[237] Das Erkennen sucht kein Ziel, das außerhalb und jenseits des Aktes des Erkennens liegt; nicht die — menschlichem Denken nie erreichbare — Erkenntnis, sondern das Erkennen, das Denken, befriedigt.

[238] Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises darauf, dass die Einreihung des Strebens nach reiner Bildung und des Strebens nach gottgefälligem Leben in eine Kategorie, der auch Sport und Spiel zugerechnet werden, keine abfällige Beurteilung enthält.

[239] Vgl. Engels, Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft, 7. Auflage, Stuttgart 1910, S. 317.

[240] Vgl. oben S. 103 ff.

[241] Vgl. Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Book I, Chapter VIII. (Ausgabe Basel 1791, I. Bd., S. 100.) Adam Smith hat jedoch an diesem Gedanken nicht festgehalten. Vgl. Hutt, The Theory of Collective Bargaining, London 1930, S. 24 f.

[242] Vgl. oben S. 341 ff.

[243] Die Notlage weiter Schichten in Asien und in Sowjetrussland ist institutionell bedingt; diese Not würde verschwinden, wenn die Behinderung des Marktmechanismus aufhören würde.

[244] Vgl. Marx , Das Kapital, I. Bd., 7. Auflage, Hamburg 1914, S. 133.

[245] Vgl. Marx ebendort S. 134.

[246] Von den Kosten der Umschulung sehen wir zunächst ab. Darüber vgl. weiter unten S. 564.

[247] Die übrigen Schwankungen der Leistungsgröße, insbesondere die geringere Leistung unmittelbar nach Wiederaufnahme der durch eine Pause unterbrochenen Arbeit spielen für den Markt kaum eine Rolle.

[248] Auf die Gestaltung der Lohnprämie können auch politische Verhältnisse (z. B. Unduldsamkeit) einen besonders starken Einfluss nehmen.

[249] Auch Mrs. Margaret Mitchell, die in ihrem erfolgreichen Roman Gone with the Wind (1936) die Sklaverei der Südstaaten idyllisch schildert, vermeidet es, auf die Lage der auf den Pflanzungen fronenden Sklaven näher einzugehen, und spricht nur von den Haussklaven, die auch in ihrer Darstellung als Aristokratie unter den Sklaven erscheinen.

[250] Vgl. Ciccotti , Le déclin de I'esclavage antique, Paris 1910, S. 292 ff., Salvioli , Le capitalisme dans le monde antique, Paris 1906, S. 141 ff.; Cairnes , The Slave Power, London 1862, S. 234.

[251] «A garbled marginality theory» nennt sie Fetter (Encyclopaedia of the Social Seiences, vol. XIII, p. 291).

[252] Vgl. Amonn, Ricardo als Begründer der theoretischen Nationalökonomie, Jena 1924, S. 54 ff.

[253] Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, dass zur Erzeugung von g kein anderes Produktionsmittel als d erfordert wird, dass d also auch als Genussgut verwendet werden kann. d und g sind dann identisch. d sei etwa ein Grundstück, das ohne jede Bearbeitung als Naturpark dient. Wenn nun a hinzutritt, wird es dieser Verwendung entzogen und einer als wichtiger erachteten zugeführt.

[254] Die juristische Sonderstellung der Bergbauberechtigung und des Jagdrechts ist für die katallaktische Betrachtung ohne Bedeutung.

[255] So liegt auch das Problem der Entropie jenseits des Bereiches, mit dem sich die Praxeologie befassen kann.

[256] Vgl. Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, a.a.O., S. 34.

[257] Von der Bodenbewertung ist die Bewertung der Meliorationen zu unterscheiden, d.i. die Bewertung der mit dem Boden verknüpften Anlagen, die seine Bebauung erleichtern und seine Ergiebigkeit erhöhen.

[258] Vgl. Strigl , Die ökonomischen Kategorien und die Organisation der Wirtschaft, Jena 1923, S. 18 ff.

[259] Vgl. oben S. 167.

[260] Vgl. dazu meine Grundprobleme der Nationalökonomie, a. a. O., S. 160 ff.

[261] Über die Rolle, die dieser Satz im merkantilistischen Denken spielte, vgl. Oncken, Geschichte der Nationalökonomie, I. Teil, Leipzig 1902, S. 152 f.

[262] Vgl. Louis-Napoléon Bonaparte, Extinction du Paupérisme, Edition populaire, Paris 1848, p. 6.

[263] So kennzeichnet Wells (The World of William Clissold, Book IV., § 10) die Auffassungen eines typischen Vertreters der englischen Aristokratie.

[264] Darüber, dass auch Malthus ihn so verwendet hat, vgl. Bonar, Malthus and his Work, London 1885, S. 53.

[265] Vgl. z. B. Sombart, Deutscher Sozialismus, a. a. O., S. 3.

[266] Gerade das — Verstaatlichung der Rüstungsindustrie — wird unter dem Einfluss sozialistischer Ideen und der marxistischen These, dass das «Rüstungskapital» allein zu Kriegen treibe, heute in vielen Ländern versucht.

[267] Heute spricht man nicht mehr von den «richtig verstandenen» Interessen, sondern von den Interessen „in the long run.“

[268] Vgl. Bentham, Principles of the Civil Code (Works, ed. by Bowring, Edinburgh 1843, Vol. I) p. 309.

[269] Der Begriff der Freiheit ist ein praxeologischer Begriff und kann sinnvoll nur auf gesellschaftliche Verhältnisse angewendet werden. In der Natur gibt es nichts, das mit diesem Begriff bezeichnet werden könnte. Daß der Einzelne in der Regel eigene Arbeit einsetzen muß, wenn er Unbefriedigtsein zu beheben sucht, ist eine der natürlichen Bedingungen menschlichen Daseins. Es wäre sinnlos, den Arbeiter als unfrei zu bezeichnen, weil er arbeiten muß, wenn er nicht Not leiden will.

[270] Vgl. Robbins , The „Inevitability” of Monopoly (The Economic Basis of Class Conflict and other Essays in Political Economy, London 1939, p. 45-80).

[271] Vgl. die Darstellung der vergeblichen Versuche des Völkerbunds, den Wirtschaftsfrieden herzustellen, bei Rappard , Le Nationalisme Economique et la Société des Nations, Paris 1938.

[272] Bestand bedeutet hier ein Verzeichnis, in dem der verfügbare Vorrat, nach Klassen gesondert, in mengenmäßiger Bestimmtheit angegeben ist. Jede einzelne Klasse darf nur Objekte umfassen, die in jeder Beziehung (also z. B. auch in Bezug auf ihre örtliche Lage) die gleiche Bedeutung für die Bedürfnisdeckung haben.

[273] Es wäre also zulässig T 1und T n gleichzusetzen, wenn man bereit ist, die ganz wirklichkeitsfremde Annahme eines Stillstandes der Technik zu machen.

[274] Vgl. darüber Pareto , Manuel d'Economie Politique, Deuxième Edition, Paris 1927, S.233 f.; Hayek, Collectivist Economic Planning, London 1935, S. 207-214.

[275] Vgl. auch oben S. 273 ff.

[276] Die Einschränkung durch «nahezu» soll nicht etwa bedeuten, dass es produktionspolitische Eingriffe gibt, die niemand schädigen: sie soll nur sagen, dass manche von ihnen niemand bevorzugen, weil sie alle in gleichem Maße schädigen.

[277] Man müsste richtiger statt von «Macht» von «Gewalt» sprechen. Doch es scheint unbedenklich, den von Böhm-Bawerk (Vgl. Gesammelte Schriften, a. a. O., S. 249 ff.) geprägten Ausdruck, der sich bereits eingebürgert hat; beizubehalten.

[278] Die direkte Festsetzung von Höchstpreisen für die sachlichen Produktionsmittel, die für den unmittelbaren Konsum nicht verwendbar sind, könnte entfallen; wenn die Preise aller Konsumgüter und persönlichen Dienste, die Zinshöhe und alle Lohnsätze festgelegt wurden und Arbeitszwang für alle Arbeiter und Produktionszwang für die Eigentümer von Produktionsmitteln, verfügt wurde, sind mittelbar auch schon die Preise der sachlichen Produktionsmittel bestimmt.

[279] Der Einfachheit halber sehen wir von der Rolle der Baukosten ab.

[280] Vgl. Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Roman Empire, Oxford 1926, S. 187.

[281] Vgl. l. un. C. X. 37.

[282] Vgl. oben S. 387 f., 396.

[283] Bestehen Auslandsforderungen oder Auslandsschulden, die auf Einheiten der Landeswährung lauten, dann treten durch die Abwertung die entsprechenden Verschiebungen ein.

[284] Vgl. oben S. 431 f.

[285] Vgl. Lavergne, Essor et décadence du Capitalisme, Paris 1938, S. 98 ff.; Baster , The Twilight of American Capitalism, London 1937, S. 81 f.

[286] Machlup (Börsenkredit, Industriekredit und Kapitalbildung, Wien 1937, S. 177) spricht da von «passivem Inflationismus».

[287] Wenn eine Bank den Kredit nicht durch zusätzliche Ausgabe von Umlaufsmitteln ausweiten kann, kann sie auch dann keinen Aufschwung auslösen, wenn sie mit ihrer Zinsforderung unter den Marktzins hinuntergeht. Sie würde den Schuldnern ein Geschenk machen, weiter nichts. Aus der Zirkulationskredittheorie hat der, der Maßnahmen gegen Krisen sucht, nicht etwa die Forderung abzuleiten, dass die Banken den Zinssatz nicht ermäßigen sollen, sondern die, dass sie keine zusätzlichen Zirkulationskredite gewähren sollen. Das hat Haberler (Prosperity and Depression, a.a.O., S, 65 f.) missverstanden und damit erweist sich seine Kritik als unhaltbar.

[288] Vgl. zur Kritik dieser Tendenzen Machlup , a. a. O., S. 209 ff.

[289] Die Staaten, die der Gestaltung der Devisenkurse durch den Markt kein Hindernis in den Weg legen, sind, wenn sie Gläubiger des Landes mit Devisenbewirtschaftung sind, zum Abschluss solcher Verträge bereit, um das Schuldnerland zu zwingen, wenigstens einen Teil der Zinsen und Amortisationsraten aus dem Ertrag der Ausfuhr zu decken. Sind sie nicht Gläubiger, dann schließen sie Clearingsverträge nur dann ab, wenn sie fürchten, sonst den Absatz auf den Märkten des Landes mit Devisenbewirtschaftung zu verlieren.

[290] Wenn die Devisenbewirtschaftung nicht die Absicht verfolgt, einen dem Marktpreis gegenüber niedrigeren Devisenkurs durchzusetzen, wenn demnach die Regierung in die Kursgestaltung nicht eingreifen will, die Devisenstelle ihre Käufe und Verkäufe zum Marktkurs durchführt und jeden Kauflustigen oder Verkauflustigen zum Marktpreis voll bedient, ist sie währungspolitisch neutral. Dann liegt kein währungspolitischer Eingriff vor, und es besteht keine Verschiedenheit zwischen einem von der Regierung festgelegten «offiziellen» und dem vom Markte gebildeten Kurs.

[291] Vgl. Lanzillo, Studi di Economia Applicata, Padova 1933, S. 131 ff.; Papi, Economia per piani ed economia corporativa, Città di Castello 1936, (Estratto dal Giornale degli Economisti), S. 18.

[292] Vgl. Napolitano , Le Corporazioni Fasciste come Nuovi Sentieri dell' Economia, (Biblioteca del Secolo Fascista, Serie I, Num. 2), S. 128 ff.

[293] Vgl. Pirou, Néo-Liberalisme, Néo-Corporatisme, Néo-Socialisme, Paris 1939, S. 77 ff.; Papi , Lezioni di Economia Generale e Corporativa, Vol. III., Padova 1934, S. 228.

[294] Vgl. Sidney and Beatrice Webb , A Constitution for the Socialist Commonwealth of Great-Britain, London 1920.

[295] Das nennen die Webb's : the right of self-determination for each vocation. (vgl. a.a.O., S. 277 ff.)

[296] Mussolini erklärte im Senate am 13. Januar 1934: «Solo in un secondo tempo, quando le categorie non abbiano trovato la via dell'accordo e dell'equilibrio, lo Stato potrà intervenire.» (Zitiert bei Papi, Lezioni, a.a.O., S. 225).

[297] „Very few facts are able to tell their own story, without comments to bring out their meaning.” (Mill, On Liberty, Third edition, London 1864, p. 39.)

[298] In diesem Sinne ist auch Weizen, soweit er im Reichsgebiet nur mit höherem Kostenaufwand als im Ausland produziert werden kann, als Ersatzstoff zu betrachten. Der katallaktische Begriff Ersatzstoff darf nicht etwa technologisch definiert werden.

[299] Vgl. mein: Nation, Staat und Wirtschaft, Wien 1919, S. 119 ff.; Possony , Die Wehrwirtschaft des totalen Krieges, Wien 1938, S. 126 ff.

[300] So beurteilt Charles Péguy die Philosophien nach dem Maß, in dem «elles se sont bien battues». Vgl. Benda . La trahison des clercs, Paris 1927, S. 292-295.

[301] Oberst Stoffel, der 1866-1870 französischer Militärattache in Berlin war, berichtete am 28. Februar 1870, man pflege in Berlin zu sagen: «La Prusse n’est pas un pays qui a une armée, c’est une armée qui possède un pays.» (Vgl. Stoffel, Rapports militaires écrits de Berlin 1866-1870, Quatrième édition, Paris 1872, S. 398). Das war damals Übertreibung; heute kennzeichnet es die Sachlage.

[302] Ein besonders bemerkenswertes Beispiel solcher Voreingenommenheit eines großen Geistes ist Goethe’s Stellung zur Farbenlehre; sie hatte keinerlei Bezug auf theologische Gesichtspunkte.

[303] Vgl. über die Gefahren, die politische Betätigung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit bringt, Hutt , Economists and the Public, London 1936, S. 229 ff.

[304] Vgl. dazu die Kritik Max Weber's in Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, a. a. O., S. 154 f.

[305] Vgl. oben S. 50 f., 62 f.

 


 

[752]

SACHREGISTER

Absatzfahigkeit 360 ff., 419 f.

Abwertung 685 ff.

Accelerationstheorie 530 f.

Agrarsozialismus 701 f.

Ammosen 233, 260 f.

Alternativwahrung 681

Anarchismus 199 ff.

Angebot 291

Anleihen, öffentliche 214 ff., 491

Antike Kultur, ihr Untergang 677 ff.

a priori 16, 41, 185, 718 f.

Arbeit 99 ff., 532 ff.

Arbeit der Sklaven 568 ff.

Arbeit der Tiere 568 f.

Arbeiterschutzgesetze, Wirkung der 560 ff.

Arbeit, Knappheit der 544

Arbeitsfreude 534 ff.

Arbeitsgenuss 108 f.

Arbeitsleid 41 f., 100 ff., 112, 532 ff., 537 f., 556 ff.

Arbeitslohn 540 ff.

Arbeitslosigkeit 107

Arbeitslosigkeit, irreguläre 548, 561, 676 f., 685, 720 f. Arbeitslosigkeit, marktmassige 546 ff.

Arbeitslosigkeit, «technologische » 107, 676 f., 720 f.

Arbeitsmarkt 565 ff.

Arbeitsqual 534 ff.

Arbeitsteilung 112, 125 ff.

Arbeitsteilung, Internationale 625 ff.

Auslese 271 ff.

Ausreifungszeit 434

Aussenarbeit 533 f.

Aussenhandel 280 ff., 607 f.

Autarkie 281 ff., 730 ff.

Bahnbrecher 109 ff.

Bankfreiheit 401 ff., 404 ff.

Banking-Theorie 400 f., 519 ff.

Banknoten, Einlosung der 399 f., 691 f.

Bedurfnis 71 f., 88 f.

Befriedung 622 ff.

Begreifen 51 ff.

Begriff, praxeologischer 56 ff.

Behaviourismus 27

Berufspramie 568

Besteuerung, Ziele der 660 ff.

Bevölkerungs-Gesetz, Malthus'sches 98, 609 ff.

Bevölkerung-Optimum 608

Bewertung 289

Bodenpreise 477, 583 f.

Bodenwirtschaft 577 ff.

Bruttozins 490

Clearingvertrage 432 f., 699

Currency-Theorie 398, 400 f., 402 f., 518 ff.

Darlehensmarkt 477, 496 ff.

Datum 585 ff.

Deflation 389 Anm.

Deflationspolitik 515 ff., 682 f.

Demokratie 152 f.

Demokratie des Marktes 260, 275 f., 336, 343 ff.

Devisenbewirtschaftung 697 ff.

Devisenkurse 412 ff.

Devisenmangel 697 ff.

Diktatur 152 f.

Diskontpolitik 418

Diskriminationspreise 346 ff.

Doppelwahrung 429 f., 681

Duopol 324

Dynamik 239 f., 244, 318

Eigennutz 232, 704 f.

Eingriffe 647 ff., 722

Einkommen 353, 445, 475 f.

Einreserve-System 422 f.

Erbrecht, seine Beschrankung 703

Erfahrung 16 ff., 20 ff., 41, 717 ff.

Erfahrung, innere 17 ff.

Ersatzstoffe 733 ff.

Ertrag 95 ff., 306 ff.

Ethik und Wirtschaft 749 f.

Eudämonismus 68 f.

[753]

Existenzminimum 551 ff., 609

external costs 599 ff.

external drain 400 f., 418, 519, 689 f.

external economies 599 ff., 619

Experiment 44 f., 228

Flucht in die Sachwerte 383 f., 396

Fortschritt 178 ff., 522 f.

Freiheit und Zwang 572, 617 f.

Freizeit, Gestaltung der 594

Fremdbegreifen 23 ff.

Frieden 624 ff., 723 f., 730, 738 f.

Führerprinzip 123, 708 ff.

Funktionell gegliederte Marktwirtschaft 245 ff.

Geburtenregelung 610 ff.

Gedankenbilder 227 ff.

Gegebene, das 586 f.

Geist 113 f.

Geistiges Eigentum 604 f., 619 f.

Geld 356 ff., 361 ff.

Geldbedarf 360 ff.

Geldmarkt 362, 496 f.

Geldpolitik 382 f.

Geldrechnung 197 ff., 217 ff., 252 f., 383 ff., 450 ff.

Geldsurrogate 392

Geldstand 361

Geld, seine Triebkraft 376 ff., 494 f.

Geld, sein Ursprung 360 ff.

Geldvorrat 360 ff.

Geldvorrat im engeren Sinn 408

Geldvorrat im weiteren Sinn 408

Geldzertifikate 392

Gemeinschaft 136 ff.

Gemeinwirtschaft 632 ff.

Geschichte 39, 42 ff.

Gesellschaft 115 ff., 180 ff.

Gewalt 167 f., 182 f., 589 ff.

Gewohnheit 36

Gildensozialismus 711 ff.

Gleichgewicht 238 ff.

Gleichmassige Wirtschaft 238 ff., 286

Goldwahrung 420 ff., 681, 692, 695

Grenznutzen 86 ff.

Greshamsches Gesetz 394 Anm., 409, 429 f., 669, 680, 697

Güter 66 ff.

Handeln 11 ff., 37 ff., 40 ff.

Harmonie der Interessen 230, 276, 614 ff.

Hedonismus 68 f.

Heereskrieg 725 ff.

Herrschaft 167 ff., 171 f.

Herrschaftlicher Verband 182 ff.

Historismus 4

homo oeconomicus 58 f., 231

hot money 422 f., 690 f.

Hortung 362

Ideelle, das 226 f., 742 ff.

Ideologie 4, 147 ff., 166 ff., 588 ff.

Ideologienlehre, Marxistische 155 ff.

Individualismus 31 f.

Individuum 47

Inflation 389 Anm.

Inflationismus 689

Inflationistische Geschichtsauffassung 423 ff., 499, 520 f.

Innenarbeit 532 ff.

Instinkt 29 f.

Institutionen 588

Interessenkonflikte 624 ff.

Interventionismus 646 ff., 720 ff.

Irrational 14 £, 82 f., 741 f.

Irrationalismus 5

Irrtum 594 ff.

Kapital 253 ff., 445 f.

Kapitalaufzehrung 451 f., 470, 483,

499 Kapitalbildung 451, 468 f.

Kapitalersatz 467, 579

Kapitalfehlleitung 480

Kapital, freies und gebundenes 459 ff.

Kapitalguter 255, 449 ff.

Kapitalismus 219, 255 ff., 624 ff.

Kapitalist 245 ff.

Kapitalmangel 455 ff.

Kapitalmarkt 496 f.

Kapitalrechnung 253 ff., 450 ff., 467

Kassenhaltung 361 ff., 387 ff., 390 ff., 406 ff., 524 f.

Katallaktik 3, 224 ff., 284

Katastrophenhausse 388, 396, 495, 512

Kaufkraft des Geldes 209 ff., 212, 368 ff., 379 ff., 386 ff.

Kaufkraftparitatentheorie 415

Kaufkrafttheorie des Lohnes 676 f.

Kausalitat 22 f., 26 f.

Knappheit 66, 479 f.

Konfiskation 700 ff.

Konjunkturabstieg 513 f., 517 f., 523 f.

Konjunkturaufschwung 503, 521 f.

Konjunktur, lange Wellen der 520

Konjunkturtheorien, nichtmonetäre 504, 529 ff., 693 f.

Konjunktur, Umschlagen der 512, 696

Konjunkturwechsel 404

[754]

Konjunkturwechsel, Zirkulatiouskredittheorie des 504, 518 ff., 529 f., 693 ff.

Konsequenz 82 f.

Konsumentenpolitik 273 ff.

Konvention 20

Korporativismus 705 ff.

Kosten 75, 301 ff.

Kosten, Gesetz der komparativen 129 ff.

Kreditausweitung 393 f., 506, 516, 520, 692 ff.

Kreditgeld 382, 389

Kreditkontrolle, qualitative 695 f.

Kredit, Verbilligung des 401 f.

Krieg 139 f., 624 f.

Krieg, der totale 725 ff.

Kriegsgewinne 729 f.

Kriegssozialismus 728 ff.

Kriegswirtschaft 723 ff.

Kundschaft 337 ff.

Leben und Wissenschaft 740 ff.

Lenkbarkeit der Kapitalgüter 459 ff.

Liberalismus 229, 624, 748

Lohnbildung 548 ff.

Lohngesetz, ehernes 552 f., 569, 609

Lohnprämie 567

long run 597 ff., 615, 621, 719

Macht 166 f., 588 ff.

Markt 251

Marktpreis 237, 287 f., 290 f.

Marktwirtschaft 228 ff., 232, 250 ff.

Marktwirtschaft, sozialistische Kritik der 616 ff.

Marktzins 489, 496

Marxismus 4, 155 ff.

Materielle, das 113, 226 f., 742 ff.

Mathematische Nationalökonomie 312 ff., 335 f., 358 ff., 641 ff.

Mehrergiebigkeit zeitraubender Verfahren 436, 477, 478 ff.

Methodenstreit 4

Mindestlohne 676

Mittel 66

Mobilmachung, totale 727 ff.

Monopol 262 ff.

Monopol der Arbeit 334 f.

Monopolpreise 260, 262 ff., 319 ff., 338, 343 ff., 619 ff.

Monopolpreise und Kostengestaltung 331 f.

Monopolpreise und Preistaxen 675

Monopol, unvollständiges 323 f.

Mordtrieb 141 ff.

Motive 225

Nachfrage 291

Nachfragemonopol 341 ff.

Nachfragemonopol der Arbeit 542 ff.

Nationalismus 153 f.

Nationalökonomie, Gegenstand der 224 ff.

Nationalökonomie, Klassische 58 f., 230 f., 352

Naturaltausch-Fiktion 189 f.

Neutralist des Geldes 190 f., 242, 357 ff., 375 ff., 492 f., 505, 529

Neutrallohn 567

Neutralzins 488 f.

Nutzdauer 435

Nutzen 86

Objektivität der Wissensehaft vom Handeln 16

Obrigkeit 646 ff.

Oligopol 324

open market policy 419

Ortsprämie 567 f.

Parallelwährung 428

Paritäten 412 ff.

Paritäten, bewegliche 688 ff.

Parteien, politische 150 ff.

Physikalismus 21, 24 ff., 45 f., 60

Politik und Nationalökonomie 743 ff.

Politik, Primat der 625

Polylogismus 4 ff., 155 ff.

Positivismus 4, 24 t, 44 ff., 60

Praxeologie 3, 40 ff.

Preis 75, 283 ff.

Preisbildung 283 ff., 350 ff.

Preis, endlicher 237, 288

Preise der Produktionsmittel 291 ff

Preise der Vergangenheit 198 ff., 287 f.

Preise, Zusammenhang und Verbundenheit 350 ff.

Preisniveau 357 f., 359 f., 373

Preisprämie 492 ff., 501 f.

Preisrevolution 373

Preisstatistik 287 ff.

Preistaxen 672 ff.

Preisunterschiede 286 1

Privilegien 172, 605, 665 f.

Produktion 111 ff.

Produktionsmittel 67

Produktionsmittel, Preise der 291 ff.

Produktionszeit 435, 449 ff., 452 ff.

[755]

Produktivität 230, 235

Produktivitätstheorien 478 ff.

Produzentenpolitik 273 ff., 665 f.

Profit 486

Psychoanalyse 12

Psychologie 12, 88 f.

Quantitätstheorie 364 f., 372 f.

Quantitative Nationalökonomie 50 f., 62 f., 750

Rassenanthropologischer Polylogismus 5, 157 ff.

Rassenbiologische Gesellschaftslehre 175 ff.

Rassenhass 138 f.

Realkapital 253 ff.

Reaktionszeit 597 ff.

Rechnen im Handeln 185 ff.

Recht 185, 622

Redeflationspolitik 524 f., 686

Relativismus 172 ff.

Rentabilität und Kriegswirtschaft 735

Renten 574 ff.

Rente, absolute und Höchspreise 674 f.

Restriktion 516 ff.

Rezepte 96, 113, 326, 604 f.

Risikokomponente im Bruttozins 489 ff.

Rohstoffmangel 731, 736

Romantik 219 f.

Rückwalzung von Grundsteuern 583

Ruhezustand, endlicher 237

Ruhezustand, einfacher 235 ff., 285, 672

Sachgeld 382, 389

Sachkredit 393

Scheingewinne und Scheinverluste 385,

499 Schuldenabbürdung 682 ff.

short run 597 ff., 621, 719

Sinn 44

Sittengesetz und Wirtschaft 649 ff.

Sondereigentum 599 ff., 621 ff.

Sozialismus 153,182 ff., 194 f., 230 1, 251 f.

Sozialismus, Herkunft des 230 f., 628 ff.

Sozialistische Kritik der Marktwirtschaft 616 f.

Sozialkapital 471 f.

Sparen 449, 468, 472 ff., 476 f., 481 ff.

Sparen, einfaches und kapitalistisches 481 ff.

Sparen, erzwungenes 498 ff., 506, 513, 522

Sparen und Investieren 472 ff.

Spekulation 201, 249 f., 531

Spiel 533

Staatsanleihen 216 f.

Stabilisierung 208 ff.

Ständestaat 705 ff.

Standort 582 f.

Statik 238 ff., 244

Statische Methode 239, 244

Stationäre Wirtschaft 243 f., 249 f.

Steuer, die neutrale 657 ff.

Steuer, die totale 659 f.

Subjektivismus 16, 172 ff.

Subjektivismus der Wissenschaft vom Handeln 15, 73

Subsistenzmittelfonds 448

Syndikalismus 715 ff.

Tatsachen, ihre Beweiskraft 717 ff.

Tausch 75, 180 ff.

Tauschgesellschaft 180 ff.

Tausch, indirekter 356 ff.

Tausch, innerer und gesellschaftlicher 180

Tauschmittel 356, 360 f.

Tauschmittel, sekundäre 419 ff.

Tautologie 19

Technokraten 464, 593

Teilbarkeit, beschrankte 302 ff.

Teleologie 26 ff.

Termingeschäft 249 f.

Theorie 42 ff.

Trieb 69 ff.

Typus (Idealtypus) 56 ff., 245 ff.

Überinvestition 509 ff., 525, 531 ff.

Übervolkerung, relative 568

Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes 358 f., 361

Umlaufsmittel 393, 692 f.

Umlaufsmittel, Grenzen der Ausgabe von 394 ff.

Unbefriedigtsein 30

Unbewusstes Verhalten 11 f.

Ungewissheit der Zukunft 201 f., 245 1, 265 ff., 297, 637 f.

Ungleichheit der Menschen 125 ff., 161 ff., 248 f.

Universalismus 32 f., 35

Unrentabilität 602 ff.

Unterkonsumtionstheorien 676 f.

[756]

Unternehmer 57, 245 ff., 258 ff.

Unternehmergewinn und -Verlust 240, 265 ff., 486 f., 606 f.

Unternehmerlohn 486

Unternehmerrisiko des Arbeiters 247 f., 563 ff.

Unternehmerrisiko des Kapitalisten und des Grundeigentümers 246 f., 271 f., 490 ff.

Urzins 474 ff., 483, 578 f.

Utilitarismus 68 f.

Verbraucher 258 ff., 273 ff.

Verbrauchslenkung durch die Obrigkeit 654 ff.

Vergesellschaftungsgesetz 126 ff.

Verifikation 21, 45

Verkehrsgleichung 358 f.

Vernunft 14, 145 ff., 741

Versicherung 267 f.

Verstehen 52 ff., 157

Verteilung 532, 700

Volksvermögen 204 f.

Volkswirtschaft 280 ff.

Voraussage 61 f., 587 f., 750 f.

Voraussetzungslösigkeit der Nationalökonomie 747 ff.

Vorsorgezeit 435 f., 452 ff., 458 f., 487

Vorziehen 13

Wahlen 13

Wahrungsausgleichsfonds 692

Wahrungspolitik 679 ff.

Wanderungsbeschrankungen 624 f.

Wartezeit 436 ff., 452 ff.

Weltanschauung 147 ff.

Werbekosten 280

Werbung 277 ff.

Werkzeit 434

Wertfreiheit der Wissenschaft 8, 14 ff., 740 ff.

Wertmessung 87 f., 191 ff., 206 ff.

Wertung 289

Werturteile 53

Wettbewerb 261 ff.

Wettbewerb, monopolistischer 322 f., 328 ff, 339 ff.

Wettbewerbspreis 263, 320

Wettbewerb, unvollstündiger 322 f., 328 ff., 339 ff.

Wichtigkeit 84 f.

Wirklichkeit 19, 20 ff., 585 f.

Wirt, isolierter 234

Wirtschaft, einfache 234 f.

Wirtschaft, gleichmässige 238 ff., 286

Wirtschaftliche, das ... im engeren Sinn 226

Wirtschaftliche Kriegsursachen 621 ff.

Wirtschaftsgeschichte 49 ff.

Wirtschaftsrechnung 195 ff.

Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen 194 f., 634 ff.

Wirtschaftsstatistik 50 f., 312 ff.

Wissenssoziologie 4, 155 ff., 195

Zahlungsbilanzen 409 ff.

Zeichengeld 382, 390

Zeit 76 ff., 237 ff., 318, 434 ff., 578 ff.

Zins 474 ff.

Zinsfussarbitrage 417 ff., 691

Zinshöhe, Beschrankung der 704 f.

Zirkulationskredit 393

Zölle 664 f.

Zurechnung 293 ff., 312 ff., 574 ff.

Zwangsarbeit 568 ff., 572, 721