Ludwig von Mises, “Interventionismus” (1926)

(Ludwig von Mises (1881-1973)  

 

This is part of a collection of works by Ludwig von Mises.

Source

Ludwig von Mises, “Interventionismus” Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bd. 56, 1926.

This essay was originally published in Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 56. Bd., 1926, and republished in a collection in 1929 and then again in 1976 with an introduction by Friedrich Hayek:

  • Ludwig von Mises, Kritik des Interventionismus: Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsideologie der Gegenwart (Jena: Gustav Fischer, 1929).
  • Ludwig von Mises, Kritik des Interventionismus: Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsideologie der Gegenwart . Verstaatlichung des Kredits? Mit einer Einführung zur Neuauflage von F. A. Hayek (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1976).
  • There is and English translation of the 1976 German new edition. A Critique of Interventionism. Translated by Hans F. Sennholz. Revised English translation of the 1976 German new edition. Translated by Hans F. Sennholz. (Irvington-on-Hudson, N.Y.: Foundation for Economic Education, 1996). Republished by the Ludwig von Mises Institute, 2011. “Interventionism”, pp. 1-31. Online here.

The electronic version of the text comes from the Mises Institut in Austria and has been checked against the 1976 edition and we have used the pagination of that edition. The footnotes have been placed inline.

 


 

Table of Contents

 

 


 

I. Der Interventionismus als Wirtschaftssystem.

Seit die Bolschewiken ihren Versuch, das sozialistische Gesellschaftsideal mit einem Schlag in Rußland zu verwirklichen, aufgegeben haben und an die Stelle ihrer ursprünglichen Politik die »neue Wirtschaftspolitik«, die »Nep«, haben treten lassen, ist in der ganzen Welt nur noch ein System praktischer Wirtschaftspolitik am Werke: das System des Interventionismus. Ein Teil der Anhänger und Befürworter des Interventionismus hält ihn nur für ein vorläufiges System der Wirtschaftspolitik, das nach einer bestimmten – längeren oder kürzeren – Zeit einem anderen, und zwar dem Sozialismus irgendeiner Spielart, Platz machen soll; hierher gehören alle marxistischen Sozialisten, einschließlich der Bolschewiken, aber auch die konservativen Sozialisten der verschiedenen Richtungen. Andere wieder sind der Meinung, daß wir uns im Interventionismus mit einem auf die Dauer berechneten System zu tun haben. Diese Verschiedenheit in der Beurteilung der zeitlichen Geltung der interventionistischen Politik hat aber für die Gegenwart nur akademische Bedeutung. Denn alle seine Anhänger und Befürworter sind doch darin einig, daß er für die nächsten Jahrzehnte und vielleicht auch Menschenalter die richtige Politik sei. Sie sehen mithin im Interventionismus eine Wirtschaftspolitik, die zumindest eine gewisse Zeit hindurch zu bestehen vermag. Der Interventionismus will das Sondereigentum an den Produktionsmitteln beibehalten, dabei jedoch das Handeln der Eigentümer der Produktionsmittel durch obrigkeitliche Gebote, vor allem aber durch obrigkeitliche Verbote, regulieren. Wenn diese obrigkeitliche Leitung des Handelns der Eigentümer der Produktionsmittel und der mit Zustimmung der Eigentümer über sie verfügenden Unternehmer so weit geht, daß alle wesentlichen Verfügungen auf Grund obrigkeitlicher Weisung vorgenommen werden, so daß nicht mehr das Gewinnstreben der Grundeigentümer, Kapitalisten und Unternehmer, sondern die Staatsräson darüber entscheidet, was und wie produziert wird, dann haben wir Sozialismus vor uns, mag auch der Name des Sondereigentums erhalten bleiben. Sehr richtig sagt Spann von einem so [1] eingerichteten Gemeinwesen, daß es dort zwar »formell Privateigentum, der Sache nach aber nur Gemeineigentum gibt« [FN1: Vgl. Spann, Der wahre Staat, Leipzig 1921, S. 249.] . Gemeineigentum an den Produktionsmitteln ist aber nichts anderes als Sozialismus, als Kommunismus.

Doch der Interventionismus will eben, und das gerade kennzeichnet ihn, nicht so weit gehen. Er will das Sondereigentum an den Produktionsmitteln nicht aufheben, sondern nur einschränken. Er erklärt einerseits, daß das uneingeschränkte Sondereigentum an den Produktionsmitteln der Gesellschaft schädlich sei, aber er hält anderseits das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, den Sozialismus, entweder überhaupt oder doch wenigstens für den Augenblick für undurchführbar. Und so will er etwas Drittes schaffen: einen Gesellschaftszustand, der in der Mitte zwischen Sondereigentum an den Produktionsmitteln auf der einen Seite und gesellschaftlichem Eigentum an den Produktionsmitteln auf der anderen Seite liegt. Damit sollen die »Auswüchse« und Schäden des Kapitalismus vermieden werden und doch die Vorteile freier Initiative und Regsamkeit gewahrt bleiben, die der Sozialismus nicht gewähren kann.

Das, was die Vorkämpfer dieses Systems eines durch den Staat und andere Faktoren der gesellschaftlichen Organisation geleiteten, regulierten und kontrollierten Sondereigentums hier verlangen, ist von den politischen Machthabern und von den Massen stets angestrebt worden. Als es noch keine Wissenschaft der Nationalökonomie gab, als man noch nicht entdeckt hatte, daß die Preise nicht willkürlich »gemacht« werden, daß sie vielmehr durch die Lage des Marktes innerhalb sehr enger Grenzen festgelegt sind, suchte man durch behördliche Befehle den Gang der Wirtschaft zu regeln. Erst das System der klassischen Nationalökonomie zeigte, daß alle derartigen Eingriffe in das Getriebe des Marktes niemals den Erfolg erzielen können, den die Obrigkeit mit ihnen zu erreichen beabsichtigt. Der alte Liberalismus, die auf den Lehren der klassischen Nationalökonomie aufgebaute Wirtschaftspolitik, lehnt daher alle diese Eingriffe grundsätzlich ab. Laissez faire et laissez passer! Aber auch der marxistische Sozialismus hat dem Interventionismus gegenüber keine andere Haltung eingenommen als die Liberalen. Er hat sich bemüht, die Widersinnigkeit aller interventionistischen Vorschläge, die er verächtlich mit dem Ausdruck »kleinbürgerlich« belegte, darzutun. Die Ideologie; die heute die Welt [2] beherrscht, empfiehlt aber gerade das vom Liberalismus und vom älteren Marxismus abgelehnte System der Wirtschaftspolitik.

II. Das Wesen der »Eingriffe«.

Das Problem des Interventionismus darf nicht mit dem des Sozialismus vermengt werden. Nicht darum handelt es sich hier, ob ein sozialistisches Gemeinwesen in irgendeiner Form denkbar und durchführbar ist. Die Beantwortung der Frage, ob die menschliche Gesellschaft auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln aufgebaut werden kann oder nicht, ist eine besondere Aufgabe, die uns hier nicht beschäftigen soll. Das Problem, das wir vor Augen haben, ist das: Welche Wirkungen haben obrigkeitliche und andere Machteingriffe in einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebauten Gesellschaftsordnung? Können derartige Eingriffe den Erfolg erzielen, den sie anstreben?

Hier kommt es natürlich auf eine genaue Umschreibung des Begriffes »Eingriff« an.

1. Maßnahmen, die zum Zwecke der Aufrechterhaltung und Sicherung des Sondereigentums an den Produktionsmitteln getroffen werden, sind keine Eingriffe in unserem Sinne. Das ist so selbstverständlich, daß man es eigentlich gar nicht besonders hervorheben müßte. Wenn es doch nicht ganz überflüssig ist, so ist daran der Umstand schuld, daß man unser Problem häufig mit dem Problem des Anarchismus zu vermengen pflegt. Man argumentiert folgendermaßen: Wenn Tätigkeit des Staates zum Schutze des Sondereigentums als notwendig angesehen wird, dann sei nicht abzusehen, warum nicht auch darüber hinausgehendes Eingreifen des Staates zulässig sein sollte. Der Anarchist, der jede wie immer geartete Staatstätigkeit ablehnt, denke folgerichtig. Wer aber in richtiger Erkenntnis der Undurchführbarkeit des Anarchismus staatliche Organisation mit einem Zwangsapparat für notwendig hält, um die gesellschaftliche Kooperation der Individuen zu sichern, sei inkonsequent, wenn er diese Staatstätigkeit auf ein enges Gebiet beschränken will. Es ist klar, daß dieser Gedankengang ganz und gar verfehlt ist. Wir erörtern ja gai [FN-: abc] nicht die Frage, ob man im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen ohne den organisierten Zwangsapparat, den man Staat oder Regierung nennt, auszukommen vermag oder nicht. Was wir untersuchen, ist allein das, ob es – vom Syndikalismus abgesehen – nur zwei denkbare Möglichkeiten für die Organisation der arbeitsteiligen Gesellschaft gibt: nämlich entweder Gemeineigentum oder Sondereigentum an [3] den Produktionsmitteln, oder ob es zwischen diesen – wie der Interventionismus annimmt – noch ein drittes System: das des durch obrigkeitliche Eingriffe regulierten Sondereigentums geben kann. Übrigens ist die Frage, ob staatliche Organisation notwendig sei oder nicht, von der Frage, auf welchen Gebieten und in welcher Weise sich die Staatsgewalt zu betätigen habe, scharf zu sondern. So wenig aus der Tatsache, daß der staatliche Zwangsapparat im gesellschaftlichen Leben nicht entbehrt werden kann, gefolgert werden darf, daß nun auch Gewissenszwang, Bücherzensur und ähnliche Maßnahmen ersprießlich seien, so wenig kann auch gefolgert werden, daß bestimmte Maßnahmen wirtschaftspolitischer Natur notwendig, nützlich oder auch nur möglich seien.

Zur Aufrechterhaltung des Sondereigentums an den Produktionsmitteln gehören aber die zum Schutze des Wettbewerbes getroffenen Verfügungen keineswegs. Ein weitverbreiteter Irrtum sieht in der Konkurrenz zwischen mehreren Erzeugern desselben Artikels das Wesentliche der dem Ideal des Liberalismus entsprechenden Wirtschaftsordnung. Doch das Wesen des Liberalismus liegt im Sondereigentum, nicht in der – übrigens mißverstandenen – Konzeption des freien Wettbewerbes. Nicht daß es viele Grammophonfabriken gibt, sondern daß die Produktionsmittel der Grammophonerzeugung nicht im Eigentum der Gesellschaft, sondern in dem Privater stehen, ist das Entscheidende. Teils von diesem Mißverstehen, teils von einer durch naturrechtliche Theorien beeinflußten Auslegung des Freiheitsbegriffes ausgehend, hat man versucht, die Entwicklung zum Großbetrieb durch Gesetze gegen Kartelle und Trusts aufzuhalten. Es ist nicht hier der Ort, über die Ersprießlichkeit solcher Politik zu urteilen. Nur das ist festzustellen: Nichts kann für die Erkenntnis der volkswirtschaftlichen Funktion einer konkreten Maßnahme weniger wichtig sein als ihre Rechtfertigung oder Verwerfung durch irgendeine juristische Theorie. Die Rechtswissenschaft, die Staatslehre und die wissenschaftliche Disziplin der Politik können uns nichts sagen, was als Grundlage zur Entscheidung über das Für und Wider einer bestimmten Politik verwertet werden könnte. Und ganz bedeutungslos ist es, ob dies oder jenes den Bestimmungen irgendeines Gesetzes oder irgendeiner Verfassungsurkunde entspricht, mag diese auch so ehrwürdig und berühmt sein wie die Konstitution der Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn menschliche Satzung sich als zweckwidrig erweist, dann muß sie geändert werden; niemals kann man es daher in der Erörterung der Zweckmäßigkeit einer Politik als Argument gelten lassen, daß sie gesetz-, rechtsoder verfassungswidrig [4] sei. Auch das ist übrigens so selbstverständlich, daß man es gar nicht erst erwähnen müßte, wenn es nicht immer wieder in Vergessenheit geraten würde. Wie man einst versucht hat, die deutsche Sozialpolitik aus dem Wesen des preußischen Staates und des »sozialen Königtums« abzuleiten, so sucht man in den Vereinigten Staaten in der wirtschaftspolitischen Diskussion wit Argumenten zu arbeiten, die aus der Verfassung oder aus der Auslegung der Begriffe Freiheit und Demokratie geholt sind. Eine sehr beachtenswerte Theorie des Interventionismus, die Lehre von Professor Commons, die auch praktisch größte Bedeutung hat, weil sie die Philosophie der La Folette-Partei und der Politik von Wisconsin darstellt, ist zu einem guten Teil auf diesen Gedankengängen aufgebaut. Die Autorität der amerikanischen Verfassung ist auf das Gebiet der Union beschränkt. Die Geltung der Ideale Demokratie, Freiheit und Gleichheit ist örtlich unbegrenzt, und überall sehen wir, wie in ihrem Namen die Forderung bald nach Beseitigung, bald nach »Einschränkung« des Sondereigentums erhoben wird. Alles dies ist für die Behandlung unseres Problems ohne jede Bedeutung und muß daher hier außer acht gelassen werden.

2. Sozialisierung eines Teiles der Produktionsmittel ist kein Eingriff in unserem Sinne. Der Begriff des Eingriffs hat zur Voraussetzung, daß das Sondereigentum der Einzelnen nicht aufgehoben wird, daß es vielmehr nicht nur dem Namen, sondern auch der Sache nach bestehen bleibt. Verstaatlichung einer Eisenbahnlinie ist kein Eingriff, wohl aber ist ein Eingriff ein Befehl, der einer Eisenbahnunternehmung vorschreibt, niedrigere Frachtsätze einzuheben als sie einheben würde, wenn sie frei schalten könnte.

Nicht unter den Begriff des Eingriffs fallen Handlungen der Obrigkeit, die mit den Mitteln des Marktes arbeiten, d. h. solche, die Nachfrage oder Angebot durch Veränderung der Marktfaktoren zu beeinflussen suchen. Wenn die Obrigkeit Milch auf dem Markte kauft, um sie billig an arme Mütter zu verkaufen oder gar unentgeltlich zu verteilen, oder wenn sie Bildungsanstalten als Zuschußbetriebe führt, liegt kein Eingriff vor. (Über die Frage, ob der Weg, auf dem sich die Obrigkeit die Mittel zu diesem Vorgehen verschafft, als »Eingriff« anzusehen ist, wird noch gesprochen werden.) Dagegen wäre eine Vorschreibung von Höchstpreisen für Milch ein Eingriff.

Der Eingriff ist ein von einer gesellschaftlichen Gewalt ausgehender isolierter Befehl, der die Eigentümer der Produktionsmittel und die Unternehmer zwingt, die Produktionsmittel anders zu verwenden, als [5] sie es sonst tun würden. »Isolierter Befehl« bedeutet, daß der Befehl nicht Teil eines Systems von Befehlen bildet, das die ganze Produktion und Verteilung regelt und damit das Sondereigentum an den Produktionsmitteln beseitigt und an seine Stelle das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, den Sozialismus, setzt. Die Befehle, die wir im Auge haben, mögen sich noch so sehr häufen; solange sie nicht planmäßig darauf ausgehen, das Ganze der Wirtschaft zu lenken und an Stelle des Gewinnstrebens der Individuen allgemein den Gehorsam zur Triebfeder des Handelns zu machen, sind sie als isolierte Befehle anzusehen. Unter »Produktionsmittel« sind alle Güter höherer Ordnung, also alle noch nicht beim Konsumenten zum Gebrauch oder Verbrauch bereitliegenden Güter zu verstehen, so daß auch die bei den Händlern vorrätigen, im kaufmännischen Sinn als »gebrauchsreif« bezeichneten Waren inbegriffen sind.

Wir haben zwei Gruppen solcher Befehle zu unterscheiden: die einen hemmen oder erschweren unmittelbar die Produktion (im weitesten Sinne des Wortes, so daß darunter auch die Ortsveränderung von wirtschaftlichen Gütern zu verstehen ist), die andern suchen die Preise anders zu bestimmen, als der Markt sie bilden würde. Jene wollen wir die produktionspolitischen Eingriffe nennen; diese, die allgemein unter der Bezeichnung Preistaxen bekannt sind, wollen wir die preispolitischen Eingriffe nennen [FN1: Man könnte im Zweifel darüber sein, ob es nicht zweckmäßig wäre, noch eine dritte Gruppe zu unterscheiden: die steuerpolitischen Eingriffe, das sind die Eingriffe, die in der Enteignung eines Teiles des Vermögens oder Einkommens bestehen. Wenn wir dies nicht tun, dann mag man dies damit rechtfertigen, daß die Wirkungen dieser Eingriffe teils denen der produktionspolitischen Eingriffe gleichkommen, teils darin bestehen, daß die Verteilung des Produktionsert rages beeinflußt wird, ohne daß die Produktion selbst von ihren Bahnen abgelenkt wird.] .

III. Die produktionspolitischen Eingriffe.

Über die unmittelbare Wirkung der produktionspolitischen Eingriffe ist vom nationalökonomischen Standpunkt nicht viel zu sagen. Das, was die Obrigkeit oder die den Eingriff setzende Gewaltorganisation zunächst erreichen will, kann sie durch den Eingriff erreichen. Ob sie damit auch die ferneren Ziele erreicht, die sie mit dem Eingriff mittelbar erreichen will, ist eine andere Frage. Und besonders ist noch zu beurteilen, ob der Erfolg auch die Kosten wert ist, d. h. ob die den Eingriff setzende Stelle den Eingriff auch dann setzen würde, wenn sie genau wüßte, was er kostet. Ein [6] Zoll z. B. ist gewiß durchführbar, und der unmittelbare und nächste Erfolg des Zolles mag dem entsprechen, was die Regierung durch ihn angestrebt hat. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß das, was die Regierung in letzter Linie mit ihm anstrebt, auch wirklich durch ihn erreicht werden kann. Hier setzt die Kritik der Nationalökonomen ein; die Theoretiker des Freihandels haben nicht zeigen wollen, daß Zölle nicht möglich oder daß sie schädlich sind, sondern das, daß sie Folgen haben, die nicht gewollt waren, und daß sie das, was sie nach Meinung ihrer Befürworter leisten sollen, nicht leisten und nicht leisten können. Von noch größerer Bedeutung aber ist die Feststellung der Freihandelsschule, daß der Zollschutz – und dasselbe gilt von allen produktionspolitischen Eingriffen – die Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit herabsetzt. Ob nun durch Zollschutz bewirkt wird, daß Getreide auf weniger fruchtbaren Äckern gebaut wird, während fruchtbarere brach liegen, oder ob durch Maßnahmen der gewerblichen Mittelstandspolitik (etwa Befähigungsnachweis für die Ausübung bestimmter Gewerbe wie in Österreich, oder steuerpolitische Bevorzugung der kleineren Betriebe) bewirkt wird, daß weniger leistungsfähige Betriebe auf Kosten der leistungsfähigeren gefördert werden, oder ob durch Beschränkung der Dauer der Arbeitszeit und der Vorwendung bestimmter Arbeiterkategorien (Frauen, Jugendliche) die Menge der zur Verfügung stehenden Arbeit vermindert wird, immer ist der Erfolg der, daß weniger mit dem gleichen Aufwand von Kapital und Arbeit erzeugt wird, als erzeugt worden wäre, wenn man den Eingriff unterlassen hätte, oder daß schon von Vornherein weniger Kapital und Arbeit für die Erzeugung zur Verfügung gestellt wird. Es mag sein, daß man auch in voller Kenntnis der Folgen den Eingriff vorgenommen hatte, weil man der Meinung ist, daß durch ihn andere – nicht rein wirtschaftliche – Ziele erreicht werden, die für wichtiger gehalten werden als der zu gewärtigende Ausfall an Produkten. Es ist freilich sehr zu bezweifeln, ob dieser Fall eintreten könnte. Denn alle produktionspolitischen Eingriffe werden entweder ausschließlich oder doch zum Teil durch Argumente befürwortet, die erweisen sollen, daß sie die Produktivität nicht hemmen, ja daß sie sie sogar heben. Selbst die gesetzlichen Maßnahmen zur Beschränkung der Arbeit der Frauen, der Jugendlichen und der Kinder wurden nur darum durchgeführt, weil man der Meinung war, daß durch sie allein den Unternehmern und Kapitalisten ein Nachteil zugefügt werde und daß den geschützten Arbeitergruppen Vorteil daraus erwachsen könne, weil sie nun weniger arbeiten müßten.

[7]

Man hat mit vollem Recht in der Kritik der Arbeiten der kathedersozialistischen Richtung darauf hingewiesen, daß es einen in letzter Hinsicht objektiven Begriff der Produktivität nicht geben könne, und daß alle Urteile über das Ziel des wirtschaftlichen Handelns subjektiv sind. Doch wenn wir davon sprechen, daß die produktionspolitischen Eingriffe die Produktivität der Arbeit herabsetzen, begeben wir uns noch gar nicht auf jenes Gebiet, auf dem die Verschiedenheit des subjektiven Werturteils Aussagen über die Ziele und über die Mittel des Handelns verbietet. Wenn durch die Bildung von möglichst autarken Wirtschaftsgebieten die internationale Arbeitsteilung unterbunden und die Ausnützung der Vorteile der spezialisierten Produktion im großen Maßstab und der Arbeit auf den besten Standorten unmöglich gemacht wird, dann wird ein Erfolg herbeigeführt, über dessen Unerwünschtheit die Meinungen der weitaus überwiegenden Anzahl der Erdenbewohner nicht geteilt sein dürften. Es mag, wie gesagt, manchen scheinen, daß die Vorteile, die die Autarkie bringt, die Nachteile, die mit ihr verbunden sind, übersteigen. Doch schon die Tatsache, daß man gewöhnlich in der Erörterung des Für und Wider solcher Maßnahmen entweder kühn behauptet, daß sie die Menge und Beschaffenheit der erzeugten Güter nicht vermindern, oder doch zumindest über diesen Punkt nicht mit voller Offenheit und Klarheit spricht, zeigt, daß man sich darüber nicht im Zweifel befindet, daß die Propaganda zugunsten dieser Maßnahmen wenig aussichtsreich wäre, wenn sie die volle Wahrheit über ihre Wirkungen zugeben würde.

Alle produktionspolitischen Eingriffe hemmen unmittelbar in irgendeiner Richtung die Produktion dadurch, daß sie aus dem Kreis der zur Verfügung stehenden Verwendungsmöglichkeiten für Güter höherer Ordnung (Boden, Kapital, Arbeit) bestimmte Verwendungsmöglichkeiten ausschalten. Es ist der Obrigkeit naturgemäß nicht gegeben, durch ein »Es werde« etwas zu schaffen, was nicht schon dagewesen ist. Nur der naive Inflationismus konnte glauben, daß der Staat durch ein »fiat money« die Menschheit reicher machen könnte. Die Obrigkeit kann nicht erschaffen, sie kann aber durch ihren Befehl Vorhandenes zwar nicht aus der Welt des Seins, doch aber aus der Welt des Erlaubten tilgen. Sie kann nicht reicher, aber sie kann ärmer machen.

Das liegt bei der Mehrzahl der produktionspolitischen Eingriffe so klar zutage, daß ihre Urheber es nur noch selten wagen, sich ihrer offen zu rühmen. Ganze Schriftstellergenerationen haben sich vergebens bemüht, den Nachweis zu erbringen, daß das Ergebnis dieser Eingriffe ein anderes sein könnte als das, die Menge und [8] Beschaffenheit des mit dem gleichen Aufwand Erzeugten zu vermindern. Es steht nicht dafür, sich mit den Argumenten, die etwa zugunsten des Schutzzolls vom rein wirtschaftlichen Standpunkte vorgebracht wurden, neuerdings auseinanderzusetzen. Alles was zugunsten von Schutzzöllen angeführt werden kann, ist nur das, daß die Opfer, die sie auferlegen, durch andere, nicht rein wirtschaftliche Vorteile aufgewogen werden könnten, z. B. daß es nationalpolitisch oder militärisch erwünscht sein könnte, sich vom Auslande mehr oder weniger abzuschließen [FN1: Zur Kritik dieser Behauptungen vgl. mein Buch: Nation, Staat und Wirtschaft, Wien 1919, S. 56 ff. (insbesondere auch im Hinblick auf die deutsche Politik seit dem Ende der 70er Jahre).] .

Daß der Erfolg der produktionspolitischen Eingriffe immer nur in der Herabsetzung der Ergiebigkeit der gesellschaftlichen Arbeit und mithin auch der Sozialdividende bestehen kann, ist so schwer zu verkennen, daß man es nicht wagt, sie als ein besonderes System der Wirtschaftspolitik zu verteidigen. Sie werden – wenigstens von der Mehrzahl ihrer Befürworter – heute nur noch zur Ergänzung der preispolitischen Eingriffe anempfohlen. Auf den preispolitischen, nicht auf den produktionspolitischen Eingriffen ruht das Schwergewicht des Systems des Interventionismus.

IV. Die preispolitischen Eingriffe.

Die preispolitischen Eingriffe gehen darauf aus, Preise von Gütern oder Dienstleistungen anders festzusetzen, als der unbehinderte Markt sie bilden würde.

Bei dem Preisstande, der sich auf dem unbehinderten Markte bildet oder, falls nicht die Obrigkeit die Freiheit der Preisbildung unterbunden hätte, bilden würde, werden die Produktionskosten durch den Erlös gedeckt. Wird von der Obrigkeit ein niedrigerer Preis anbefohlen, dann bleibt der Erlös hinter den Kosten zurück. Die Händler und Erzeuger werden daher, wenn es sich nicht um Waren handelt, die durch die Aufbewahrung eine schnelle Wertverminderung erleiden, vom Verkauf absehen, um die Ware für günstigere Zeiten aufzubewahren, etwa in der Erwartung, daß die obrigkeitliche Verfügung bald wieder rückgängig gemacht wird. Will die Obrigkeit nicht, daß der Erfolg ihrer Verfügung der sei, daß die betroffene Ware überhaupt aus dem Verkehr verschwindet, dann kann sie sich nicht darauf beschränken, den Preis festzusetzen; sie [9] muß gleichzeitig auch schon verfügen, daß alle vorhandenen Vorräte zum vorgeschriebenen Preis verkauft werden.

Aber auch das genügt nicht. Zu dem ideellen Marktpreis hätten Angebot und Nachfrage sich gedeckt. Nun da durch obrigkeitliche Verfügung der Preis niedriger festgelegt wurde, ist die Nachfrage gestiegen, während das Angebot unverändert blieb. Die vorhandenen Vorräte reichen nicht aus, um alle, die den vorgeschriebenen Preis aufzuwenden bereit sind, voll zu befriedigen. Ein Teil der Nachfrage wird unbefriedigt bleiben. Der Marktmechanismus, der sonst Nachfrage und Angebot durch Veränderung des Preisstandes zur Deckung bringt, spielt nicht mehr. Nun müssen Personen, die bereit wären, den von der Obrigkeit vorgeschriebenen Preis auszulegen, unverrichteter Dinge den Markt verlassen. Diejenigen, die früher am Platze waren oder irgendwelche persönliche Beziehungen zu den Verkäufern auszunützen verstehen, haben bereits den ganzen Vorrat erworben; die anderen haben das Nachsehen. Will die Obrigkeit diese Folge ihres Eingriffes, die doch ihren Absichten zuwiderläuft, vermeiden, dann muß sie zur Preistaxe und zum Verkaufszwang auch noch die Rationierung hinzufügen. Eine obrigkeitliche Vorschrift bestimmt, wieviel Ware an jeden einzelnen Bewerber zum vorgeschriebenen Preis abgegeben werden darf.

Doch sind die im Augenblick des Eingriffs der Obrigkeit schon vorhandenen Vorräte einmal aufgebraucht, dann ergibt sich ein ungleich schwierigeres Problem. Da die Erzeugung bei Verkauf zu dem von der Obrigkeit vorgeschriebenen Preis nicht mehr rentabel ist, wird sie eingeschränkt oder ganz eingestellt. Will die Obrigkeit die Erzeugung weiter fortsetzen lassen, dann muß sie die Produzenten verpflichten, zu erzeugen, sie muß zu diesem Zwecke auch die Preise der Rohstoffe und der Halbfabrikate und die Arbeitslöhne festlegen. Diese Verfügungen dürfen sich aber nicht nur auf den einen oder die wenigen Produktionszweige beschränken, die man regeln will, weil man ihre Produkte für besonders wichtig erachtet. Sie müssen alle Produktionszweige umfassen, sie müssen die Preise aller Güter und jeglichen Arbeitslohn, das Verhalten aller Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer und Arbeiter regeln. Würden sie einige Produktionszweige freilassen, so würden Kapital und Arbeit in sie abströmen und das Ziel, das die Obrigkeit mit ihrem ersten Eingriff erreichen wollte, würde verfehlt werden. Die Obrigkeit will doch, daß gerade der Produktionszweig, den sie wegen der Wichtigkeit, die sie seinen Erzeugnissen beilegt, mit der besonderen Regelung bedacht hat, auch reichlich besetzt werde. Es [10] läuft ihrer Absicht durchaus zuwider, daß man ihn – gerade infolge des Eingriffes – vernachlässigen sollte [FN1: Darüber; inwiefern Preistaxen gegenüber Monopolpreisen wirksam werden können, vgl. meinen Artikel »Theorie der Preistaxen« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, 4. Auflage, 6. Band, S. 1061 f. (weiter unten als letztes Stück dieser Sammlung). Um die Bedeutung, die den gegen Monopolpreise gerichteten Preistaxen in der Gegenwart zukommt, richtig zu beurteilen, darf man sich nicht an den volkstümlichen Sprachgebrauch halten, der überall »Monopole« sieht, sondern muß den streng nationalökonomischen Monopolbegriff zugrunde legen.] .

Das Ergebnis unserer Untersuchungen zeigt also deutlich: der isolierte preispolitische Eingriff in das Getriebe der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsordnung verfehlt den Zweck, den seine Urheber durch ihn erreichen wollen; er ist – im Sinne seiner Urheber – nicht nur zwecklos, sondern geradezu zweckwidrig, weil er das »Übel«, das durch ihn bekämpft werden soll, noch ganz gewaltig vermehrt. Ehe die Preistaxe erlassen wurde, war die Ware – nach der Meinung der Obrigkeit – zu teuer; nun verschwindet sie vom Markte. Das aber hat die Obrigkeit, die die Ware dem Verbraucher billiger zugänglich machen wollte, nicht beabsichtigt. Im Gegenteil: von ihrem Standpunkt muß der Mangel, die Unmöglichkeit, sich die Ware zu beschaffen, als das größere, als das weitaus größere Übel erscheinen. In diesem Sinne kann man von dem isolierten Eingriff sagen, daß er sinnund zweckwidrig ist, und von dem System der Wirtschaftspolitik, das mit solchen Eingriffen arbeiten will, daß es undurchführbar und undenkbar ist, daß es der wirtschaftlichen Logik widerspricht.

Will die Obrigkeit die Dinge nicht dadurch wieder ins Geleise bringen, daß sie von ihrem isolierten Eingriff absteht, indem sie die Preistaxen wieder aufhebt, dann muß sie dem ersten Schritt weitere folgen lassen. Zum Befehl, keinen höheren Preis als den vorgeschriebenen zu fordern, müssen nicht nur der Befehl, die Vorräte zu verkaufen, und die Rationierung hinzutreten, sondern auch Preistaxen für die Güter höherer Ordnung und Lohntarife und schließlich Arbeitszwang für Unternehmer und Arbeiter. Und diese Vorschriften dürfen sich nicht auf einen oder einige wenige Produktionszweige beschränken, sondern sie müssen alle Zweige der Produktion umfassen. Es gibt eben keine andere Wahl als die: entweder von isolierten Eingriffen in das Spiel des Marktes abzusehen oder aber die gesamte Leitung der Produktion und der Verteilung an die Obrigkeit zu übertragen. Entweder Kapitalismus oder Sozialismus; ein Mittelding gibt es nicht.

[11]

Nehmen wir noch ein Beispiel: den Mindestlohn, die Lohntaxe. Es ist dabei ohne Belang, ob die Obrigkeit selbst die Lohntaxe unmittelbar verfügt oder ob sie duldet, daß die Gewerkschaften unter Androhung oder Anwendung von physischem Zwang es dem Unternehmer unmöglich machen, Arbeiter einzustellen, die für einen niedrigeren Lohn arbeiten wollten [FN1: Man beachte, daß es sich hier nicht um das Problem handelt, ob durch den gewerkschaftlichen Zusammenschluß der Arbeiter eine dauernde und allgemeine Hebung des Lohnniveaus erreicht werden kann, sondern darum, welche Wirkungen die durch die Anwendung physischen Zwanges künstlich erreichte allgemeine Lohnerhöhung haben muß. Um die geldtheoretische Schwierigkeit, daß eine allgemeine Preissteigerung ohne Verschiebung des Verhältnisses zwischen Geldvorrat und Geldbedarf unmöglich ist, kommt man durch die Annahme herum, daß gleichlaufend mit der Erhöhung der Löhne eine entsprechende Verminderung des Geldbedarfes durch Herabsetzung der Kassenhaltung (z. B. im Gefolge einer Vermehrung der Lohnauszahlungstermine) vor sich geht.] . Mit den Löhnen müssen die Produktionskosten und damit auch die Preise steigen. Würden als Verbraucher (als Käufer der Endprodukte) nur Lohnempfänger in Betracht kommen, dann würden auf diesem Wege Erhöhungen des Reallohnes undenkbar sein. Was die Arbeiter als Lohnempfänger gewinnen, müßten sie als Konsumenten verlieren. Nun gibt es aber neben den Konsumenten, die Lohnempfänger sind, auch solche, deren Einkommen aus Besitz und aus Unternehmertätigkeit fließt. Deren Einkommen wird durch die Lohnerhöhung nicht erhöht; sie können die erhöhten Preise nicht bezahlen und müssen ihren Verbrauch einschränken. Der Rückgang des Absatzes führt zu Arbeiterentlassungen. Wäre der Zwang der Gewerkschaften nicht wirksam, dann müßte der Druck, den die Arbeitslosen auf den Markt ausüben, den künstlich in die Höhe getriebenen Lohn wieder auf den natürlichen Marktsatz herabdrücken. Nun aber gibt es diesen Ausweg nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit – in der unbehinderten kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine Friktionserscheinung, die immer wieder verschwindet – wird im Interventionismus zur ständigen Einrichtung.

Die Obrigkeit, die diesen Zustand ja nicht wollte, muß also wieder eingreifen. Sie zwingt die Unternehmer, entweder die entlassenen Arbeiter wieder einzustellen und zu dem vorgeschriebenen Satz zu entlohnen oder Abgaben zu leisten, von deren Ertrag an die Arbeitslosen Unterstützungen gezahlt werden. Durch diese Belastung wird das Einkommen der Besitzer und der Unternehmer aufgezehrt oder doch stark vermindert; es ist sogar nicht unberechtigt, anzunehmen, daß die Last von den Unternehmern und Besitzern [12] nicht mehr aus dem Einkommen getragen werden kann, sondern nur aus dem Vermögensstamm. Aber selbst wenn wir nur damit rechnen wollten, daß das nicht aus Lohnarbeit herrührende Einkommen durch diese Lasten erschöpft wird, ohne daß schon zu ihrer Bestreitung Kapital angegriffen werden müßte, erkennen wir, daß es zu Kapitalsaufzehrung kommen muß. Kapitalisten und Unternehmer wollen auch leben und konsumieren, wenn sie kein Einkommen erzielt haben; sie werden dann Kapital aufzehren. Es ist eben – in dem Sinne, von dem wir oben sprachen – zweckund sinnwidrig, den Unternehmern, Kapitalisten und Grundbesitzern das Einkommen zu nehmen und ihnen die Verfügung über die Produktionsmittel zu belassen; daß Kapitalsaufzehrung schließlich die Löhne wieder herabdrücken muß, ist klar. Will man die Lohnbildung des Marktes nicht hinnehmen, dann muß man das ganze System des Sondereigentums beseitigen; durch Lohntaxen kann man das Lohnniveau nur vorübergehend und nur um den Preis künftiger Lohnreduktionen heben.

Das Problem der Lohntaxen hat für die Gegenwart so ungeheure Bedeutung, daß wir es noch an einem zweiten Schema erörtern müssen, das die Verhältnisse des internationalen Güteraustausches berücksichtigt. Zwei Länder, Atlantis und Thule, stehen im wechselseitigen Güteraustausch. Atlantis liefert Industrieerzeugnisse, Thule Bodenfrüchte. Nun findet Thule – man verehrt dort List – es für notwendig, eine eigene Industrie durch Schutzzölle ins Leben zu rufen. Der Enderfolg der (durch den Schutzzoll künstlich bewirkten) Industrialisierung Thules muß der sein, daß nun weniger Industrieprodukte aus Atlantis bezogen, dagegen aber auch weniger Bodenerzeugnisse nach Atlantis geliefert werden. Beide Länder befriedigen ihre Bedürfnisse nun in höherem Maße unmittelbar durch die inländische Erzeugung, wobei freilich, weil nun unter weniger günstigen Bedingungen produziert wird, das Sozialprodukt kleiner ist als früher.

Zu diesem Endergebnis kommt es auf folgendem Wege: Auf die Zollbelastung ihrer Produkte in Thule antwortet die atlantische Industrie durch Herabsetzung der Löhne. Doch es ist nicht möglich, die ganze Zollbelastung durch Lohnreduktion wettzumachen. Denn in dem Augenblicke, in dem die Löhne zu sinken beginnen, wird für die Urproduktion die Erweiterung des Anbaus rentabel. Anderseits wird der Rückgang des Absatzes der thuleanischen Bodenerzeugnisse in Atlantis den Lohn in der Urproduktion in Thule senken und der Industrie Thules die Möglichkeit bieten, mit Hilfe der verbilligten Arbeitskraft der atlantischen Industrie Konkurrenz zu machen. Daß [13] neben dem Rückgange des Ertrages der in der Industrie von Atlantis investierten Kapitalien und der Grundrente in Thule – in beiden Ländern auch der Arbeitslohn sinken muß, leuchtet ohne weiteres ein. Dem Rückgang des Sozialprodukts entspricht die Schmälerung des Einkommens.

Nun aber ist Atlantis ein »sozialer« Staat. Die Gewerkschaften verhindern die Ermäßigung der Löhne. Die Produktionskosten der atlantischen Industrie bleiben daher so hoch, wie sie vor Einführung des Zolles in Thule waren. Doch da der Absatz in Thule zurückgeht, muß es in Atlantis zu Arbeiterentlassungen in der Industrie kommen. Das Abströmen der Entlassenen in die Landwirtschaft wird durch Arbeitslosenunterstützungen verhindert. So wird die Arbeitslosigkeit zu einer dauernden Einrichtung [FN1: Darüber, inwieweit durch den gewerkschaftlichen Zusammenschluß der Arbeiter der Lohn vorübergehend gehoben werden kann, vgl. meinen Aufsatz: Die allgemeine Teuerung im Lichte der theoretischen Nationalökonomie im XXXVII. Band dieses Archivs, S. 570 f. – Über die Ursachen der Arbeitslosigkeit vgl. C. A. Verrijn Stuart, Die heutige Arbeitslosigkeit im Lichte der Weltwirtschaftslage, Jena 1922, S. 1 ff.; Robbins, Wages, London 1926, S. 58 ff.] .

Englands ausländischer Kohlenabsatz ist zurückgegangen. Soweit die dadurch überzählig gewordenen Bergleute nicht abwandern dürfen, weil man sie in anderen Ländern nicht aufnehmen will, müssen sie in jene englischen Produktionszweige übergeleitet werden, die ihre Produktion erweitern, um den Ausfall, der durch den Rückgang der Ausfuhr in der Einfuhr entstehen muß, zu bedecken. Der Weg, auf dem es zu diesem Ergebnis kommt, ist die Lohnsenkung im Kohlenbergbau. Gewerkschaftliche Lohnbildung und Arbeitslosenunterstützung hemmen diesen unausweichlichen Prozeß wenn auch für Jahre, so doch nur vorübergehend. Denn endlich muß das Ergebnis der Rückbildung der internationalen Arbeitsteilung eine Senkung der Lebenshaltung der Massen sein, und diese Senkung wird um so größer sein, je mehr Kapital in der Zwischenzeit durch die »soziale« Intervention aufgezehrt wurde. Die Industrie Österreichs leidet darunter, daß in den Ländern, die ihr Absatzgebiet bilden, immerfort die Zölle erhöht und andere Hindernisse (z. B. durch die Devisenpolitik) der Einfuhr neu entgegengestellt werden. Sie kann auf Zollerhöhungen – wenn ihr nicht die Steuern ermäßigt werden – nur durch Herabsetzung der Löhne antworten. Alle anderen Produktionsfaktoren sind unbeweglich. Rohstoffe und Halbfabrikate müssen auf dem Weltmarkte eingekauft werden, Unternehmergewinn und Kapitalzins müssen – in Österreich ist ausländisches Kapital in stärkerem Maße investiert als österreichisches [14] Kapital im Auslande – den Verhältnissen des Weltmarktes entsprechen. Nur der Lohn ist national bedingt, weil Abwanderung der Arbeiter in größerem Umfang infolge der »sozialen« Politik des Auslandes – unmöglich ist. Nur der Lohn könnte daher sinken. Die Politik, die den Lohn künstlich hoch hält und Arbeitslosenunterstützungen gewährt, schafft nur Arbeitslosigkeit.

Es ist unsinnig, aus der Tatsache, daß die Löhne in den Vereinigten Staaten höher sind als in Europa, zu folgern, daß man die europäischen Löhne erhöhen muß. Würden die Einwanderungsbeschränkungen in den Vereinigten Staaten, in Australien usf. fallen, dann könnten europäische Arbeiter abwandern, wodurch dann allmählich eine internationale Angleichung des Lohnniveaus angebahnt werden könnte.

Die Arbeitslosigkeit von Hunderttausenden und Millionen als Dauererscheinung auf der einen Seite und die Kapitalaufzehrung auf der andern Seite sind die Folgen des Interventionismus: der künstlichen Hochhaltung der Löhne durch die Gewerkschaften und der Arbeitslosenunterstützung.

V. Destruktion als Ergebnis der Interventionspolitik.

Nur wenn man die Wirkung der dargestellten Eingriffe in den Ablauf der Wirtschaftsvorgänge einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung erkannt hat, kann man die Geschichte der letzten Jahrzehnte verstehen. Denn diese Eingriffe stellen seit der Überwindung des Liberalismus das Um und Auf der Politik in allen Staaten Europas und Amerikas dar.

Der nationalökonomisch nicht gebildete Beurteiler der Ereignisse sieht nur, daß die »Interessenten« doch immer wieder Auswege finden, um den Vorschriften der Gesetze zu entgehen. Daß das System schlecht funktioniert, schreibt er ausschließlich dem Umstande zu, daß die Gesetze nicht weit genug gehen und daß ihre Durchführung durch Korruption behindert wird. Gerade der Mißerfolg der Interventionspolitik bestärkt ihn in der Überzeugung, daß das Sondereigentum durch strenge Gesetze kontrolliert werden müsse. Die Korruption der mit der Ausführung der Staatsaufsicht betrauten Organe erschüttert nicht sein blindes Vertrauen in die Unfehlbarkeit und Makellosigkeit des Staates; sie erfüllt ihn nur mit moralischem Abscheu gegenüber den Unternehmern und Kapitalisten.

Die Übertretung der Gesetze ist aber nicht, wie von den Etatisten naiv gelehrt wird, ein in der schwer ausrottbaren menschlichen [15] Schwäche gelegener Übelstand, den man nur auszumerzen braucht, um das Paradies auf Erden zu schaffen. Würden die interventionistischen Gesetze wirklich beachtet werden, dann müßten sie sich in der kürzesten Zeit ad absurdum führen. Alle Räder würden stillstehen, weil der starke Arm des Staates ihnen zu nahe gekommen ist.

In den Augen unserer Zeitgenossen erscheint die Sache etwa so: Die Landwirte und die Milchhändler haben sich verschworen, um den Milchpreis zu erhöhen. Da kommt – das Allgemeininteresse gegen die Sonderinteressen, die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte gegen die privatwirtschaftlichen ausspielend – der Wohltäter Staat, um Abhilfe zu schaffen. Er sprengt das »Milchkartell«, er setzt Höchstpreise für Milch fest und verfolgt strafgerichtlich die Übertreter der erlassenen Vorschriften. Daß die Milch dadurch nicht so wohlfeil wurde, als man es als Verbraucher wünschen würde, ist nur darauf zurückzuführen, daß die Gesetze nicht scharf genug sind und daß man sie nicht mit der erforderlichen Strenge durchführt. Es sei eben nicht leicht, gegen das die Allgemeinheit schädigende Profitstreben der Interessenten anzukämpfen. Die Gesetze müßten noch schärfer werden und rücksichtslos und ohne Erbarmen gehandhabt werden.

In Wahrheit verhalten sich die Dinge ganz anders. Würden die Preissatzungen wirklich durchgeführt werden, dann würden die Milchproduktion und die Zufuhr der Milch in die Städte stocken. Es stünde nicht mehr, sondern weniger Milch oder überhaupt keine Milch mehr zur Verfügung. Nur weil die Vorschriften umgangen werden, gibt es noch Milch für den Verbraucher. Wenn man die ganz unzulängliche und verkehrte etatistische Gegenüberstellung von volkswirtschaftlichem und privatwirtschaftlichem Interesse schon gelten lassen wollte, müßte man sagen: der Milchhändler, der dem Gesetz entgegenhandelt, dient dem Gemeinwohl, der Beamte, der die Preistaxe durchführen will, gefährdet es.

Selbstverständlich leitet den Geschäftsmann, der die Gesetze und Verordnungen der Obrigkeit übertritt, um ungeachtet der vom Staate aufgerichteten Hindernisse doch zu produzieren, nicht die Rücksicht auf das Gemeinwohl, das die Vorkämpfer des Interventionismus immerfort im Munde führen, sondern die Absicht, Gewinne zu erzielen, oder zumindest das Bestreben, die Verluste zu vermeiden, die ihm aus der Beachtung der Vorschriften erwachsen würden. Die öffentliche Meinung, die sich ob der Niedrigkeit solcher Gesinnung und der Verwerflichkeit solchen Tuns entrüstet, begreift es nicht, daß ohne diese systematische Mißachtung der obrigkeitlichen Gebote und Verbote die Undurchführbarkeit der Interventionspolitik [16] bald zu einer Katastrophe treiben müßte. Sie erwartet alles Heil von der strengen Beachtung der vom Staate »zum Schutze der Schwachen« erlassenen Verfügungen und tadelt die Obrigkeit nur, weil sie nicht stark genug sei, um alles Erforderliche zu verfügen, und weil sie die Durchführung der Normen nicht fähigeren und unbestechlicheren Personen übertrage. Die grundsätzlichen Probleme des Interventionismus werden überhaupt nicht erörtert. Wer auch nur schüchtern das »ob« der Beschränkung der Verfügungsgewalt der Kapitalisten und Unternehmer zu bezweifeln wagt, wird als Söldling im Dienste von der Gesamtheit schädlichen Sonderinteressen geächtet oder im günstigsten Falle mit stillschweigender Verachtung gestraft. Selbst in der Erörterung des »wie« des Interventionismus muß, wer nicht sein Ansehen und vor allem seine Karriere gefährden will, sehr vorsichtig sein. Nur allzu leicht kann man in den Verdacht geraten, dem »Kapital« zu dienen; wer in der Diskussion nationalökonomische Argumente gebraucht, wird diesem Verdacht nie entgehen können.

Wenn die öffentliche Meinung im interventionistischen Staatswesen überall Korruption wittert, ist sie freilich nicht im Unrecht. Die Bestechlichkeit der Politiker, der Parlamentarier und der Beamten ist ja das Fundament, das allein das System zu tragen vermag; ohne sie müßte es zusammenbrechen und entweder durch Sozialismus oder durch Kapitalismus ersetzt werden. Für den Liberalismus galten die Gesetze als die besten, die dem Ermessen der mit ihrer Durchführung betrauten Organe den engsten Spielraum boten, um Willkür und Mißbrauch möglichst auszuschließen. Der moderne Staat sucht die diskretionäre Gewalt seiner Organe zu stärken. Alles soll dem freien Ermessen der Beamten überlassen werden.

Die Rückwirkung der Korruption auf die öffentliche Moral kann hier nicht dargestellt werden. Selbstverständlich haben weder die Bestechenden noch die Bestochenen eine Vorstellung davon, daß ihr Handeln der Erhaltung des von der ganzen öffentlichen Meinung und auch von ihnen selbst als richtig angesehenen Systems gilt. Sie verletzen die Gesetze und haben dabei das Bewußtsein, das Gemeinwohl zu schädigen. Und weil sie nun allmählich die Gewohnheit annehmen, sich gegen Strafgesetze und gegen Moralvorschriften zu vergehen, verlieren sie schließlich ganz das Vermögen, zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse zu unterscheiden. Wenn kaum irgendeine Ware erzeugt oder umgesetzt wirden kann, ohne daß man irgendwelchen Vorschriften zuwiderhandelt, dann hält man es schließlich für eine leidige Begleiterscheinung [17] des »Lebens«, gegen Gesetz und Moral zu sündigen, und verspottet als »Theoretiker« die, die es anders haben wollen. Der Kaufmann, der damit begonnen hatte, Devisenvorschriften, Einund Ausfuhrverbote, Höchstpreissatzungen u. dgl. zu übertreten, gelangte bald dazu, auch seine Vertragspartner zu betrügen. Der Verfall der Geschäftsmoral, den man als »Inflationsfolge« bezeichnet, ist die notwendige Begleiterscheinung der zur Inflationszeit erlassenen, Handel und Wandel »regulierenden« Vorschriften gewesen.

Man hört mitunter die Behauptung vertreten, daß das System des Interventionismus durch die Laxheit der Durchführung ganz erträglich geworden sei. Selbst die preispolitischen Eingriffe würden von der Volkswirtschaft nicht mehr als allzugroße Störung empfunden, wenn die Unternehmer es sich durch Geld und gute Worte »richten« könnten. Es sei zwar nicht zu bestreiten, daß es ohne diese Eingriffe besser wäre, doch man müsse eben der öffentlichen Meinung entgegenkommen. Der Interventionismus sei ein Tribut, den man der Demokratie bringen müsse, um das System des Kapitalismus lebensfähig zu erhalten.

Diese Argumentation ist vom Standpunkte des marxistischsozialistisch oder staatssozialistisch denkenden Unternehmers und Kapitalisten verständlich. Ihm erscheint das Sondereigentum an den Produktionsmitteln als eine die Interessen der Gesamtheit schädigende Einrichtung zugunsten der Bodenbesitzer, Kapitalisten und Unternehmer. Die Aufrechthaltung des Sondereigentums liegt ausschließlich im Sonderinteresse der besitzenden Klassen.

Wenn nun diese Klassen das allein ihnen nützliche, die Gesamtheit und alle anderen Klassen schädigende Institut durch einige Zugeständnisse zu retten vermögen, die ihnen keine allzu großen Opfer auferlegen, dann wäre es töricht von ihnen, starrsinnig die Zugeständnisse zu verweigern und damit den Fortbestand der Gesellschaftsordnung, die ihnen allein Vorteile bringt, zu gefährden. Wer diesen Standpunkt der Vertreter »bürgerlicher« Interessen nicht teilt, wird jene Argumentation nicht gelten lassen können. Es ist nicht einzusehen, warum man die Produktivität der volkswirtschaftlichen Arbeit durch irgendwelche verkehrte Maßnahmen vermindern soll. Hält man das Sondereigentum an den Produktionsmitteln für eine Einrichtung zugunsten eines Teiles und zum Schaden des andern Teiles der Gesellschaft, dann schaffe man es ab. Wenn man aber erkannt hat, daß es allen nützt, und daß die arbeitteilende menschliche Gesellschaft anders gar nicht organisiert werden könnte, dann muß man es so aufrechterhalten, daß es seine [18] Funktion auch möglichst gut erfüllen kann. Von der Verwirrung aller Moralbegriffe, die entstehen muß, wenn Gesetz und Sittenkodex etwas verwerfen oder doch wenigstens als anrüchig erscheinen lassen, was man als Grundlage des gesellschaftlichen Lebens erhalten muß, sei gar nicht gesprochen. Doch welchen Zweck sollte es haben, etwas in der Erwartung zu verbieten, daß das Verbot doch in der Mehrzahl der Fälle umgangen werden wird?

Die, die den Interventionismus mit solchen Argumenten verteidigen, geben sich auch einer schweren Täuschung über das Ausmaß der Produktivitätsminderung hin, das aus den Eingriffen des Staates erwächst. Es ist richtig, daß die Anpassungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft über viele Hindernisse, die der Betätigung des Unternehmers in den Weg gelegt wurden, gesiegt hat. Wir sehen täglich, daß es Unternehmern gelingt, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die Gesetz und Verwaltung ihnen bereiten, die Beschickung des Marktes mit Gütern und Diensten in Ausmaß und Beschaffenheit zu heben. Doch wir können nicht berechnen, um wie viel besser wir heute ohne größeren Arbeitsaufwand versorgt wären, wenn nicht das Um und Auf der Staatstätigkeit die Verschlechterung der Versorgung zum – freilich in letzter Linie nicht gewollten – Ziel hätte. Man denke doch an die Folgen aller handelspolitischen Eingriffe, über deren produktivitätsmindernde Wirkung doch wohl die Anschauungen nicht geteilt sein können. Man denke daran, wie die fortschreitende Rationalisierung der Betriebsführung durch den Kampf gegen die Kartelle und Trusts behindert wurde. Man denke an die Folgen der preispolitischen Eingriffe. Man denke daran, wie die künstliche Hochhaltung der Löhne durch den Koalitionszwang und die Verweigerung des Schutzes der Arbeitswilligen auf der einen Seite und durch die Arbeitslosenunterstützung auf der andern Seite und schließlich die Aufhebung der Freizügigkeit im zwischenstaatlichen Verkehr das Feiern von Millionen Arbeitern geradezu zu einer ständigen Erscheinung gemacht haben.

Die große Krise, unter der die Weltwirtschaft seit der Beendigung des Krieges leidet, wird von Etatisten und Sozialisten als Krise des Kapitalismus bezeichnet. In Wahrheit aber ist es die Krise des Interventionismus.

Im statischen Zustand der Wirtschaft kann es zwar brachliegenden Boden, aber nicht unverwendetes Kapital oder unbeschäftigte Arbeitskräfte geben. Bei dem Lohnsatz, der sich auf dem unbehinderten Markte bildet, finden alle Arbeiter Beschäftigung. Werden caeteris paribus irgendwo Arbeiter freigesetzt, z. B. durch Einführung neuer arbeitssparender Verfahren, dann muß dies auf die [19] Lohnhöhe drücken; zu dem neuen, niedrigeren Lohnsatz finden dann aber wieder alle Arbeiter Verwendung. Arbeitslosigkeit ist in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung stets nur eine Übergangsund Reibungserscheinung. Die verschiedenen Umstände, die der freien Beweglichkeit der Arbeit im Wege stehen, können die Angleichung des Lohnsatzes für gleichartige Arbeit von Ort zu Ort und von Land zu Land erschweren; sie können auch bewirken, daß der Unterschied in der Entlohnung von Arbeit verschiedener Qualität nicht in der Weise ausgedrückt wird, wie es sonst der Fall wäre. Niemals aber können sie – bei Freiheit der Betätigung der Unternehmer und Kapitalisten – dazu führen, daß Arbeitslosigkeit größeren Umfang oder längere Dauer annehmen kann. Arbeitsuchende finden immer Arbeit, wenn sie ihre Lohnforderung den Verhältnissen des Marktes anpassen.

Das Ergebnis des Weltkrieges und der destruktionistischen Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte wäre, wenn man die Lohnbildung des Marktes nicht gestört hätte, ein Niedergleiten der Löhne gewesen, aber keineswegs Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit, deren Umfang und Dauer heute als Beweis für das Versagen des Kapitalismus angeführt werden, ist die Folge des Umstandes, daß die Löhne durch die Gewerkschaften und durch die Arbeitslosenunterstützung über dem Stande erhalten werden, den sie auf dem unbehinderten Markte einnehmen würden. Würden keine Arbeitslosenunterstützungen gezahlt werden und würden die Gewerkschaften nicht die Macht haben, ein Unterbieten der von ihnen geforderten Löhne durch arbeitswillige Nichtmitglieder zu verhindern, dann würde der Druck des Angebotes den Lohn auf jenen Stand bringen, bei dem alle Hände Verwendung finden. Man mag diese Folge der antiliberalen und antikapitalistischen Politik mehrerer Jahrzehnte bedauern, aber man kann es nicht ändern. Nur durch Einschränkung des Konsums und durch Arbeit können die verlorenen Kapitalien wieder ersetzt werden, und nur durch Bildung von neuem Kapital kann die Grenzproduktivität der Arbeit und damit der Lohnsatz gehoben werden.

Man kann das Übel nicht damit bekämpfen, daß man an die Arbeitslosen Unterstützungen ausbezahlt. Auf diesem Wege schiebt man die letzten Endes unvermeidliche Anpassung des Lohnes an die gesunkene Grenzproduktivität der Arbeit nur hinaus. Und da die Unterstützungen in der Regel aus dem Kapital und nicht aus dem Einkommen herstammen, wird immer mehr Kapital aufgezehrt und so die künftige Grenzproduktivität der Arbeit herabgesetzt.

[20]

Man darf sich freilich nicht vorstellen, daß selbst eine sofortige Beseitigung der das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaftsordnung behindernden Schranken mit einem Schlage die Folgen jahrzehntelanger Interventionspolitik auslöschen könnte. Ungeheure Mengen von Produktivgütern sind vernichtet worden, noch größere sind durch die Zollpolitik und andere merkantilistische Maßnahmen in Verwendungen festgelegt worden, in denen sie überhaupt nicht oder nur mit geringem Erfolg genutzt werden können. Die Ausschaltung großer und fruchtbarster Teile der Welt (wie Rußland und Sibirien) aus der internationalen Tauschgesellschaft zwingt zu unproduktiver Umstellung in jedem Zweige von Urproduktion und Verarbeitung. Jahre würden selbst unter den günstigsten Umständen vergehen, bis es möglich wäre, die Spuren der verkehrten Politik der letzten Jahrzehnte zu tilgen. Aber: es gibt keinen andern Weg zu steigendem Wohlstand für alle.

VI. Die Doktrin des Interventionismus.

Dem vorwissenschaftlichen Denken erschien die menschliche, auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebaute Gesellschaft als von Natur aus chaotisch. Ordnung könne in sie nur gebracht werden durch von außen herkommende Gebote der Moral und des Rechts. Nur wenn Käufer und Verkäufer sich an Gerechtigkeit und Billigkeit halten, kann die Gesellschaft bestehen. Um zu verhindern, daß durch willkürliches Abgehen vom »gerechten Preis« Unheil entstehe, habe die Obrigkeit einzugreifen. Diese Auffassung beherrscht alle Äußerungen über Dinge des gesellschaftlichen Lebens bis ins 18. Jahrhundert; sie tritt zum letztenmal in aller Naivität in den Schriften der Merkantilisten zutage.

Das 18. Jahrhundert macht dann eine – in manchen älteren Schriften über Geld und Preise schon vorbereitete – Entdeckung, die mit einem Schlage an die Stelle der Sammlung von Sittensprüchen, der kompendienartigen Zusammenstellung von Polizeimaßregeln und aphoristischer Bemerkungen über ihren Erfolg oder Mißerfolg eine Wissenschaft vom Ökonomischen treten läßt. Man erkennt, daß die Preise nicht willkürlich bestimmt werden, sondern durch die Lage des Marktes innerhalb so enger Schranken festgelegt sind, daß man für alle praktischen Probleme von ihrer eindeutigen Bestimmtheit reden kann. Man erkennt, daß die Unternehmer und die Besitzer der Produktionsmittel durch das Gesetz des Marktes in den Dienst der Verbraucher gestellt werden, und daß in ihrem Tun und Lassen nicht Willkür, sondern notwendige Anpassung an gegebene Verhältnisse [21] waltet. Diese Tatsachen allein sind es, die eine Wissenschaft der Nationalökonomie und ein System der Katallaktik möglich machen. Wo die älteren Schriftsteller nur Willkür und Zufall sehen, sah man nun Notwendigkeit und Einheit. So konnte man an Stelle der Erörterung von Polizeivorschriften Wissenschaft und System treten lassen.

Der klassischen Nationalökonomie fehlt noch die klare Erkenntnis, daß das Sondereigentum an den Produktionsmitteln allein imstande sei, die Grundlage einer arbeitsteiligen Gesellschaft abzugeben, und daß das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln undurchführbar ist. Sie hat, indem sie, vom Merkantilismus beeinflußt, Produktivität und Rentabilität gegenübergestellt, den Weg betreten, auf dem es zur Erörterung der Frage kommen mußte, ob denn nicht die sozialistische Gesellschaftsordnung der kapitalistischen vorzuziehen sei. Aber sie hat klar erkannt, daß es – vom Syndikalismus, an den sie nicht dachte, abgesehen – nur die Alternative Kapitalismus oder Sozialismus gibt, und daß die »Eingriffe« in das Spiel der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln aufgebauten Wirtschaftsordnung, die die Stimme des Volkes fordert und die Regierungen gerne verfügen, das Ziel verfehlen.

Die antiliberalen Schriftsteller führen immer wieder aus, daß die Ideen der klassischen Nationalökonomie den »Interessen« der «Bourgeoisie« gedient hätten und daß sie deswegen einerseits selbst Erfolg erzielt, anderseits dem Bürgertum zu seinen Erfolgen verholfen hätten. Nun kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß nur die vom Liberalismus geschaffene Freiheit den Raum für die unerhörte Entwicklung der Produktivkräfte geboten hat, die die letzten Menschenalter gezeitigt haben. Doch wer glaubt, daß der Sieg des Liberalismus irgendwie durch seine Stellung zu den »Eingriffen« erleichtert worden sei, befindet sich in einem schweren Irrtum. Gegen den Liberalismus standen die Interessen aller durch das System der obrigkeitlichen Vielgeschäftigkeit Geschützten, Bevorzugten und Bevorrechteten. Daß der Liberalismus sich trotzdem durchsetzen konnte, war seinem geistigen Siege zuzuschreiben, der die Verteidiger der Privilegien matt setzte. Daß die durch die Privilegien Geschädigten sich für ihre Abschaffung einsetzten, war nichts Neues. Neu war bloß, daß der Angriff auf das System, das Privilegien zuließ, Erfolg hatte, und das war ausschließlich dem geistigen Sieg des Liberalismus zu danken.

Der Liberalismus hatte mit der Nationalökonomie gesiegt und durch sie. Keine andere wirtschaftspolitische Ideologie läßt sich mit der Wissenschaft der Katallaktik irgendwie vereinbaren. Man hat in [22] England in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Versuch unternommen, an der Hand der Nationalökonomie zu zeigen, daß die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht befriedigend funktioniere und daß sie ungerecht sei; Marx hat dann daraus seinen »wissenschaftlichen« Sozialismus gemacht. Aber selbst wenn es diesen Literaten gelungen wäre, zu beweisen, was sie der kapitalistischen Wirtschaft vorwerfen, so hätten sie erst den weiteren Beweis zu erbringen gehabt, daß eine andere Gesellschaftsordnung – etwa die sozialistische – besser wäre als der Kapitalismus. Das aber haben sie nicht nur nicht getan; sie haben nicht einmal den Beweis zu erbringen vermocht, daß eine auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhende Gesellschaftsordnung durchführbar wäre. Damit, daß man – wie der Marxismus – jede Erörterung der Probleme einer sozialistischen Gesellschaft als »utopisch« abtut und ächtet, hat man das Problem selbstverständlich nicht gelöst.

Von der »Gerechtigkeit« einer gesellschaftlichen Einrichtung oder einer Gesellschaftsordnung zu sprechen, ist überhaupt mit den Mitteln der Wissenschaft nicht möglich. Man mag immerhin nach Belieben dies oder jenes als »ungerecht« und »unsittlich« ansehen; kann man an Stelle des Verurteilten nichts anderes setzen, dann lohnt es nicht, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.

Aber das alles geht uns hier nichts an. Für uns ist allein das von Bedeutung: Nie ist es gelungen, zu zeigen, daß – den Syndikalismus wollen wir außer acht lassen – zwischen oder neben der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung und der auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden noch eine dritte Gesellschaftsordnung denkbar und möglich sei. Das zwischen beiden vermittelnde System des durch obrigkeitliche Maßnahmen beschränkten, geleiteten und regulierten Eigentums einzelner ist in sich selbst widerspruchsvoll und sinnwidrig; jeder Versuch, es ernstlich durchzuführen, muß zu einer Krise führen, aus der dann entweder Sozialismus oder Kapitalismus allein den Ausweg geben können.

Das ist ein Ergebnis der nationalökonomischen Wissenschaft, an dem nicht gerüttelt werden kann und an dem auch niemand zu rütteln versucht hat. Wer jene dritte Gesellschaftsordnung des regulierten Privateigentums empfehlen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis auf dem Gebiete des Ökonomischen rundweg zu bestreiten, wie es die historische Schule in Deutschland getan hat und wie es die Institutionalisten in den Vereinigten Staaten heute tun. An die Stelle der [23] Nationalökonomie, die feierlich abgeschafft und verboten wird, tritt die Staatsund Polizeiwissenschaft, die registriert, was die Obrigkeit verfügt hat, und Vorschläge darüber macht, was noch zu verfügen wäre. Man knüpft mit vollem Bewußtsein an die Merkantilisten, oder gar an die kanonistische Lehre vom gerechten Preis an und wirft die ganze Arbeit der Nationalökonomie zum alten Eisen.

Die deutsche historische Schule und die vielen Anhänger, die sie außerhalb Deutschlands gefunden hat, haben nie das Bedürfnis empfunden, sich grundsätzlich mit den Problemen der Katallaktik auseinanderzusetzen. Ihnen genügten vollauf die Argumente, die Schmoller und einige seiner Jünger, z. B. Hasbach, im berühmten Methodenstreite vorgebracht hatten. Nur drei Männer haben in den Jahrzehnten, die zwischen dem preußischen Verfassungskonflikt und der Weimarer Verfassung liegen, die Problematik des Prinzips der Sozialreform empfunden: Philippovich, Stolzmann und Max Weber. Von diesen drei hat aber nur Philippovich von dem Wesen und dem Inhalt der theoretischen Nationalökonomie Kenntnis gehabt. In seinem System stehen Katallaktik und Interventionismus unvermittelt nebeneinander, keine Brücke führt von jener zu diesem und für die Lösung des großen Problems wird nichts versucht. Sto 1 zmann sucht das, was Schmoller und Brentano nur ungenügend angedeutet haben, grundsätzlich durchzuführen. Daß sein Unternehmen mißlingen mußte, war notwendig; peinlich ist nur die Feststellung, daß der einzige Vertreter der Schule, der an das Problem wirklich herangetreten ist, von dem, was die von ihm befehdete Richtung wollte, kaum eine Ahnung hatte. Max Weber blieb auf halbem Wege stehen, weil er mit ganz andern Dingen beschäftigt – der theoretischen Nationalökonomie fern stand; vielleicht wäre er weiter gekommen, wenn ihn nicht ein allzufrüher Tod hingerafft hätte.

Seit mehreren Jahren spricht man von einem Wiedererwachen des Interesses für die theoretische Nationalökonomie an den deutschen Hochschulen. Man hat dabei eine Reihe von Schriftstellern im Auge, die wie Liefmann, Oppenheimer, Gottl u. a. m. in heftigster Weise gegen das System der modernen subjektivistischen Nationalökonomie, von dem sie nur die »Österreicher« kennen, losziehen. Es ist hier nicht der Platz, über die Frage der Berechtigung dieser Angriffe zu sprechen. Uns interessiert nur die Wirkung, die sie auf die Erörterung der Möglichkeit jenes Systems eines durch obrigkeitliche Eingriffe regulierten Sondereigentums ausüben. Indem jeder einzelne von diesen Schriftstellern alles, was die theoretische Nationalökonomie – Physiokraten, Klassiker, Moderne – [24] bisher geleistet hat, als ganz verfehlt abtut, dabei besonders die Arbeit der modernen Nationalökonomen, vor allem der »Österreicher«, als unbegreifliche Verirrung des menschlichen Geistes hinstellt und daraufhin ein, wie er meint, originales System der theoretischen Nationalökonomie mit dem Anspruch vorträgt, damit alle Zweifel zu beheben und alle Probleme endgültig zu lösen, wird beim Publikum der Anschein erweckt, daß auf dem Gebiete dieser Wissenschaft schlechterdings alles unsicher und problematisch sei und daß es theoretische Nationalökonomie nur als individuelle Ansicht einzelner Gelehrter gebe. Man konnte über dem Aufsehen, das die Bücher dieser Schriftsteller im deutschen Sprachgebiet erweckten, verkennen, daß es eine Wissenschaft der theoretischen Nationalökonomie gibt, deren System – von Abweichungen in Einzelheiten und ganz besonders auch in der Ausdrucksweise abgesehen – sich bei allen Freunden der Wissenschaft gleichen Ansehens erfreut, und dem, im Grunde genommen, trotz aller Kritik und aller Vorbehalte auch diese Schriftsteller selbst in den entscheidenden Fragen zustimmen. Und weil man dies nicht erfaßte, konnte man nicht die Notwendigkeit begreifen, das herrschende System der Wirtschaftspolitik an der Hand der nationalökonomischen Erkenntnisse zu prüfen.

Dazu kam überdies noch die Wirkung des Streites über die Zulässigkeit des Werturteils in der Wissenschaft. In den Händen der historischen Schule war die Universitätsdisziplin der Staatswissenschaften zu einer Kunstlehre für den Staatsmann und Politiker geworden. In den Hörsälen und in den Lehrbüchern wurden wirtschaftspolitische Forderungen erhoben und als »Wissenschaft« verkündet. Die »Wissenschaft« verdammte den Kapitalismus als unsittlich und ungerecht, lehnte die vom marxistischen Sozialismus vorgeschlagene Lösung als zu »radikal« ab und empfahl entweder Staatssozialismus oder eben das System des durch obrigkeitliche Eingriffe regulierten Sondereigentums. Nationalökonomie war nicht mehr eine Sache des Wissens und des Könnens, sondern der guten Gesinnung. Diese Verquickung von Universitätslehre und Politik begann man besonders seit dem Beginn des zweiten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts als anstößig zu empfinden. Die Mißachtung, in die die offiziellen Vertreter der Wissenschaft beim Publikum dadurch gekommen waren, daß sie es als ihre Aufgabe ansahen, den parteipolitischen Programmen ihrer Freunde die Weihe der »Wissenschaft« zu geben, und das Ärgernis, daß jede Partei sich auf das für sie sprechende Urteil der »Wissenschaft«, d. h. der in ihrem Gefolge einherschreitenden Inhaber von Lehrstühlen, zu berufen für [25] berechtigt hielt, konnten nicht länger ohne Widerspruch ertragen werden. Als nun Max Weber und einige seiner Freunde die Forderung aufstellten, die »Wissenschaft« habe darauf zu verzichten, Werturteile auszusprechen, und die Katheder dürften nicht länger zur Propaganda für wirtschaftspolitische Ideen mißbraucht werden, fanden sie fast allgemeine Zustimmung.

Unter denen, die Max Weber zustimmten oder zumindest nicht zu widersprechen wagten, befanden sich auch manche, deren ganze Vergangenheit dem Grundsatze der Objektivität widersprach und deren literarische Leistung nichts anderes als die Paraphrase bestimmter wirtschaftspolitischer Programme darstellte. Sie verstanden freilich die »Freiheit vom Werturteils in besonderer Weise. Ludwig Pohle und Adolf Weber hatten das Grundproblem des Interventionismus durch Untersuchung der lohnpolitischen Wirksamkeit der Arbeitervereine zur Erörterung gestellt. Die Anhänger der herrschenden BrentanoWebbschen Gewerkvereinsdoktrin waren nicht imstande, diesen Ausführungen irgend etwas Stichhaltiges zu entgegnen. Aus der Verlegenheit, in die sie dadurch geraten waren, schien sie das neue Postulat »werturteilsfreie Wissenschaft« zu befreien. Sie konnten über alles, was ihnen nicht paßte, hochmütig mit der Bemerkung zur Tagesordnung übergehen, daß es mit der Würde der Wissenschaft nicht vereinbar sei, sich in das Gezänk der Parteien einzumengen. So wurde der Grundsatz der Wertfreiheit, den Max Weber im besten Glauben zur Wiederaufnahme wissenschaftlicher Behandlung der Probleme des Gesellschaftslebens vertreten hatte, dazu verwendet, um die Doktrinen der historisch-realistisch-sozialpolitischen Schule gegen die Kritik der theoretischen Nationalökonomie zu schützen.

Man verkennt – vielleicht nicht ohne Absicht – immer wieder den Unterschied, der zwischen der Untersuchung nationalökonomischer Probleme und der Aufstellung wirtschaftspolitischer Postulate besteht. Wenn man z. B. die Wirkung von Preistaxen untersucht, feststellt, daß man durch die Anordnung eines unter dem Preise, der sich auf dem unbeeinflußten Markte bilden würde, liegenden Höchstpreises das Angebot caeteris paribus vermindert, und daraus folgert, daß die Preistaxe den Zweck, den die Obrigkeit mit ihr erreichen will, verfehlt, daß sie daher als Teuerungspolitik sinnwidrig ist, so heißt das nicht, Werturteile setzen. Auch wenn der Physiologe feststellt, daß der Genuß von Blausäure das menschliche Leben zerstört und daß daher ein »Ernährungssystem«, das Blausäure verwendet, sinnwidrig ist, so liegt darin kein Werturteil. Ob man ernähren oder töten will oder soll, das wird von der Physiologie [26] nicht beantwortet; sie stellt nur fest, was aufbaut und was zerstört, was der Ernährer und was der Mörder tun muß, um seinem Sinne gemäß zu handeln. Wenn ich sage, daß Preistaxen sinnwidrig sind, so ist damit gemeint: sie erreichen nicht den Zweck, den man durch sie gewöhnlich erreichen will. Wenn etwa ein Bolschewik sagen wollte: »Gerade darum, weil ihre Wirkungen nur in der Unterbindung des Funktionierens des Marktmechanismus bestehen, gerade weil sie die menschliche Gesellschaft in ein »sinnloses« Chaos verwandeln, wünsche ich sie, um so schneller zu meinem Ideal des Kommunismus zu gelangen«, so kann man ihm vom Standpunkte der Theorie der Preistaxen so wenig etwas entgegnen wie vom Standpunkte der Physiologie einem Manne, der mit Blausäure töten will. Wenn in ähnlicher Weise die Sinnwidrigkeit des Syndikalismus und die Undurchführbarkeit des Sozialismus gezeigt wird, so hat das mit Werturteilen nicht das mindeste zu tun.

Es heißt der Nationalökonomie den Boden entziehen, wenn man alle diese Untersuchungen als unzulässig bezeichnet. Wir sehen heute, wie viele junge Kräfte, die sich unter anderen Umständen mit nationalökonomischen Problemen befaßt hätten, sich in Arbeiten erschöpfen, die ihrer Veranlagung nicht entsprechen und daher der Wissenschaft nur wenig förderlich sind, weil sie, in den geschilderten Irrtümern befangen, es scheuen, sich den wissenschaftlich belangreichen Aufgaben zu widmen.

VII. Das historische und das praktische Argument für den Interventionismus.

Durch die Kritik der Nationalökonomie in die Enge getrieben, berufen sich die Vertreter der historisch-realistischen Schule schließlich auf die »Tatsachen«. Es könne nicht bestritten werden, daß alle die Eingriffe, die die Theorie als sinnwidrig erklärt, vorgenommen wurden und noch vorgenommen werden. Man könne nicht annehmen, daß ihre angebliche Zweckwidrigkeit von der Praxis nicht bemerkt worden wäre. Daß sich die interventionistischen Normen durch Jahrhunderte hindurch erhalten hätten, daß die Welt seit dem Verschwinden des Liberalismus wieder mit Interventionismus regiert werde, sei Beweis genug, daß das System durchführbar und erfolgreich und keineswegs sinnwidrig sei. Die reiche Literatur, in der die historisch-realistische Schule die Geschichte der [27] Wirtschaftspolitik dargestellt hat, bestätige vollauf die Doktrinen des Interventionismus [FN1: Vgl. ZwiedineckSüdenhorst, Macht oder ökonomisches Gesetz (Schmollers Jahrbuch, 49. Jahrgang), S. 278 ff.] .

Die Tatsache, daß bestimmte Maßnahmen ergriffen und immer wieder von Neuem ergriffen wurden, beweist nichts dafür, daß sie nicht sinnwidrig wären. Sie beweist nur, daß die, von denen sie ausgingen, ihre Sinnwidrigkeit nicht erkannt haben; das aber soll gar nicht bestritten werden. Es ist nämlich nicht so leicht, die Bedeutung einer wirtschaftspolitischen Maßregel zu erfassen, wie es die »Empiriker« glauben. Ohne Einblick in den Zusammenhang des Ablaufs der ganzen Wirtschaft, d. h. ohne umfassende Theorie geht es überhaupt nicht. Die Verfasser von wirtschaftsgeschichtlichen, wirtschaftsbeschreibenden, wirtschaftspolitischen und wirtschaftsstatistischen Arbeiten gehen gewöhnlich viel zu leichtfertig vor. Ohne die erforderlichen Kenntnisse auf dem Gebiete der Theorie wagen sie sich an Aufgaben, zu deren Behandlung sie ganz ungenügend geschult sind. Was nicht schon den Verfassern ihres Quellenmaterials aufgefallen ist, pflegt in der Regel auch ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen. Wenn sie eine wirtschaftspolitische Verfügung besprechen, sind sie selten geneigt, mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen, ob und wie sie ausgeführt wurde, ob die beabsichtigte Wirkung auch erreicht wurde, und ob sie, falls sie eintrat, der besprochenen Maßnahme oder andern Ursachen zuzuschreiben ist. Die Fähigkeit, die weiter reichenden – vom Standpunkte ihrer Urheber erwünschten oder unerwünschten – Wirkungen zu erkennen, geht ihnen schon vollends ab. Daß aus der großen Menge dieser Arbeiten ein Teil der geldgeschichtlichen sich durch höhere Qualität heraushebt, hat seinen Grund in dem Umstand, daß ihre Verfasser mit einem gewissen Stock geldtheoretischer Kenntnisse (Greshamsches Gesetz, Quantitätstheorie) ausgerüstet und daher ihren Aufgaben besser gewachsen waren als der Durchschnitt.

Das Wichtigste, das ein Bearbeiter wirtschaftlicher »Tatsachen« mitbringen muß, ist vollkommene Beherrschung der nationalökonomischen Theorie. Seine Aufgabe ist es dann, das Material, das sich ihm bietet, an der Hand der Theorie zu deuten. Gelingt ihm dies nicht oder nicht in einer ihn voll befriedigenden Weise, dann hat er den kritischen Punkt genau aufzuzeigen und das der theoretischen Erklärung hier erwachsende Problem zu formulieren. Andere mögen versuchen, die Aufgabe zu lösen, an der er gescheitert ist. Denn das, um was es sich hier handelt, ist ein Versagen des Bearbeiters, nicht [28] ein Versagen der Theorie. Mit einer Theorie kann man alles erklären. Theorien versagen nicht an einzelnen Problemen, sondern an der Unzulänglichkeit ihres Ganzen. Und wer eine Theorie durch eine andere ersetzen will, muß sie entweder in das gegebene System einfügen oder ein neues System aufstellen, in dem sie Platz findet. Es ist ganz und gar unwissenschaftlich, von einer »Tatsache«, die man gerade vor Augen hat, ausgehend, das Versagen der »Theorie« und des Systems zu verkünden. Das Genie, dem es gegeben ist, die Wissenschaft durch neue Erkenntnis zu fördern, kann aus der Beobachtung des kleinsten und für andere unscheinbarten Vorganges zur tiefsten Erkenntnis geführt werden; sein Geist entzündet sich an jedem Gegenstand. Aber der Neuerer verdrängt das Alte durch ein Neues, nicht durch bloße Verneinung; er ist immer Theoretiker mit einem auf das Ganze und auf das System gerichteten Blick.

Auf die tiefere erkenntnistheoretische Frage des Widerstreites der Systeme haben wir hier nicht einzugehen. Denn für uns steht ja nicht eine Vielheit sich bekämpfender Systeme zur Erörterung. Wir haben, wenn wir das Problem des Interventionismus untersuchen, in der Nationalökonomie auf der einen Seite das System der modernen Nationalökonomie und mit ihm ausnahmslos auch alle ältere nationalökonomische Theorie, und auf der andern Seite die Systemund Theorieleugner, mögen sie nun in der Bestreitung der Möglichkeit theoretischer Erkenntnis mehr oder weniger vorsichtige Ausdrücke verwenden. Ihnen hat man einfach zu antworten: Versuchet ein System theoretischer Erklärung aufzustellen, das euch mehr befriedigt als unseres: Dann wollen wir erst weiter reden.

Alles, was die Bekämpfer der theoretischen Nationalökonomie in ihren Arbeiten vorbringen, ist natürlich auch »Theorie«. Ja, sie schreiben heute selbst »Theorien der Volkswirtschaft« und halten Vorlesungen über »Theoretische Nationalökonomie«. Was ihr Beginnen aber als unzulänglich erscheinen läßt, ist der Umstand, daß sie es unterlassen, die einzelnen Sätze ihrer »Theorie« zu einem System, zu einer Gesamttheorie der Katallaktik zusammenzuschließen. Nur durch das System und im System wird ein theoretischer Satz zur Theorie. Es ist sehr leicht, über Lohn, Rente und Zins verschiedenes zu sagen. Von einer Theorie kann man aber nur dort sprechen, wo die einzelnen Aussagen zu einer Gesamterklärung aller Marktvorgänge verbunden werden.

Die Naturwissenschaften können im Experiment alle störenden Einflüsse ausschalten und die Folgen der Veränderung eines Faktors caeteris paribus beobachten. Läßt sich das Ergebnis des Versuchs nicht befriedigend in das gegebene System der Theorie [29] einordnen, dann mag daraus die Anregung zu einer Ausgestaltung des Systems oder gar zu seinem Ersatz durch ein neues erwachsen. Doch man würde jeden verlachen, der aus dem Ergebnis eines Versuchs folgern wollte, es könne keine theoretische Erkenntnis geben. Den Gesellschaftswissenschaften fehlt das Experiment. Sie können die Wirkung eines Faktors nie caeteris paribus beobachten. Und dennoch wagt man es; ohne weiteres aus irgendeiner »Tatsache« zu folgern, die Theorie oder gar alle Theorie sei widerlegt.

Was soll man gar sagen, wenn man allgemeine Sätze hört, wie die: »Englands industrielle Suprematie im 18. und I9. Jahrhundert war die Folge der merkantilistischen Politik der früheren Jahrhunderte«, oder: »Das Steigen des Reallohnes in den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten des 20. Jahrhunderts ist den Gewerkschaften zu danken«, oder: »Die Bodenspekulation verteuert die Mieten«. Diejenigen, die diese Sätze verkünden, glauben sie unmittelbar aus der Erfahrung gezogen zu haben. Das wäre, meint man, nicht graue Theorie, sondern Frucht vom grünen Baume des Lebens. Und hartnäckig sträubt man sich dagegen, dem Theoretiker Aufmerksamkeit zu schenken, wenn er die einzelnen Sätze »der praktischen Erfahrung« dadurch zu prüfen sucht, daß er sie bis ans Ende denkt und sie zu einem systematischen Gefüge zusammenzufassen sucht.

Alle Argumente, die die empirisch-realistische Schule vorzubringen gewußt hat, ersetzen nicht den Mangel eines geschlossenen theoretischen Systems.

VIII. Neue Schriften über Probleme des Interventionismus.

In Deutschland, dem klassischen Lande des Interventionismus, wurde die Notwendigkeit, sich ernstlich mit der Kritik auseinanderzusetzen, die die Nationalökonomie am Interventionismus geübt hatte, kaum empfunden. Der Interventionismus kam kampflos zur Herrschaft. Er durfte die von Engländern und Franzosen geschaffene Wissenschaft der Nationalökonomie, die schon List als den Interessen des deutschen Volkes abträglich gebrandmarkt hatte, unbeachtet lassen. Von den wenigen deutschen Nationalökonomen war Gossen ganz, Thünen nahezu unbekannt, Hermann und Mangold ohne tieferen Einfluß geblieben. Menger wurde dann im Methodenstreit »erledigt«. Um das, was seit dem Beginne der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts in der Nationalökonomie geschaffen wurde, kümmerte sich die offizielle Wissenschaft im Deutschen Reich nicht mehr. Alle Einwände, die gegen sie erhoben wurden, tat sie damit ab, daß sie sie als Vertretung der Sonderinteressen der Unternehmer [30] und Kapitalisten brandmarkte [FN1: Vgl. die zutreffende Charakterisierung dieses Verfahrens bei Pohle, Die gegenwärtige Krisis in der deutschen Volkswirtschaftslehre, 2. Ausgabe, Leipzig 1921, S. 115 ff.] . In den Vereinigten Staaten, auf die jetzt die Führung im Interventionismus überzugehen scheint, liegen die Dinge doch anders. In dem Lande, in dem J. B. Clark, Taussig, Fetter, Davenport, Young, Seligman wirken, geht es nicht an, sich wortlos über alles hinwegzusetzen, was die Nationalökonomie geleistet hat. Es war daher zu erwarten, daß in den Vereinigten Staaten der Versuch unternommen werden wird, die Durchführbarkeit und Sinnhaftigkeit des Interventionismus zu beweisen. John Maurice Clark, früher Professor der Universität von Chicago, seit Herbst r) 1926 wie früher sein großer Vater, John Bates Clark, Professor an der Columbia University in New York, hat sich dieser Arbeit unterzogen [FN2: Vgl. J . M. Clark, Social Control of Business. The University of Chicago Press 1926.] .

Es ist freilich sehr zu bedauern, daß in dem umfangreichen Werke nur ein einziges, leider nur wenige Seiten umfassendes Kapitel sich mit dem Grundprobleme des Interventionismus befaßt.

Clark unterscheidet zwei Arten der staatlichen (gesellschaftlichen) Regelung der wirtschaftlichen Handlungen: Regelung der nebensächlichen Dinge (those in which the state is dealing with matters which are incidental to the main transaction) und Regelung der wesentlichen Dinge (those in which the »heart of the contract« is at stake and the state presumes to fix the terms of the exchange and dictate the consideration in money or in goods, or to say that the exchange shall not take place at all) [FN3: Vgl. Clark, a. a. O., S. 450. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, bemerke ich ausdrücklich, daß diese Unterscheidung mit der gemeinrechtlichen Unterscheidung der essentialia, naturalia und accidentalia negotii nichts zu tun hat.] . Diese Unterscheidung deckt sich so ziemlich mit der von uns vorgenommenen, die die produktionspolitischen und die preispolitischen Eingriffe unterscheidet. Es ist ja klar, daß eine nationalökonomische Betrachtung des Interventionssystems gar nicht anders vorgehen kann.

Auch in der Beurteilung der Regelung der nebensächlichen Dinge der Geschäfte (control of matters incidental to the contract) gelangt Clark zu keinem andern Ergebnis als wir in der Beurteilung der produktionspolitischen Eingriffe. Auch er kann nicht umhin, festzustellen, daß sie nur produktionshemmend und produktionshindernd wirken können (such regulations impose some burdens on [31] industry) [FN1: Ebendort S. 451.] . Das ist alles, was uns an seinen Ausführungen interessiert. Die Erörterung des politischen Für und Wider solcher Eingriffe ist für unser Problem bedeutungslos.

In der Besprechung der Regelung der wesentlichen Dinge der Geschäfte (control of the »heart of the contract«), der unsere Kategorie der preispolitischen Eingriffe ungefähr entspricht, erwähnt Clark zunächst die amerikanischen Zinstaxen. Sie würden, meint er, durch Aufrechnung von Nebengebühren umgangen, die den Darlehensnehmer über den nominellen Zinssatz hinaus belasten. Für kleine Darlehen an Konsumenten habe sich ein illegaler Geschäftsverkehr entwickelt. Da anständige Leute solche Geschäfte nicht machen, seien sie die Domäne skrupelloser Elemente. Da solche Geschäfte das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen, würden enorme Zinssätze verlangt und gewährt, die weit das übersteigen, das verlangt und gewährt werden würde, wenn es keine Zinstaxen geben würde. Charges equivalent to several hundred per cent per year are the common thing. The law multiplies the evil of extortion tenfold [FN2: Ebendort S. 453 f.] .

Nichtsdestoweniger hält Clark Zinstaxen nicht für sinnwidrig. Man soll den Darlehensmarkt auch für diese Kategorie von Darlehen an kleine Leute zu Konsumzwecken zwar im übrigen frei gewähren lassen, aber durch Gesetz verbieten, höhere Zinsvergütung zu fordern, als der Marktlage entspricht. (The law… may render a great service in preventing the exaction of charges which are materially above the true market rate.) Der einfachste Weg zur Erreichung dieses Ziels sei to fix a legal rate for this class of loans which liberally covers all costs and necessary inducements, and to forbid all charges in excess of this rate [FN3: Ebendort S. 454.] .

Nun freilich, wenn die Zinstaxe die Zinssätze des Marktes als zulässig erklärt oder gar über sie freigebig hinausgeht, dann kann sie nicht schaden; sie ist nur unnütz und überflüssig. Bleibt sie aber hinter dem Satze, der sich auf dem unbehinderten Markte bilden würde, zurück, dann treten alle jene Folgen ein, die Clark selbst treffend in den angeführten Stellen gekennzeichnet hat. Was soll also die Zinstaxe? Darauf antwortet Clark: sie ist notwendig, um unfair discriminations zu verhindern [FN4: Ebendort S. 454.] .

[32]

Der Begriff der unfair discriminations (auch undue discriminations) stammt aus dem Gebiete der Monopole her [FN1: Vgl. aus der großen amerikanischen Literatur: Nash, The Economics of Public Utilities, New York 1925, S. 97, 371; Wherry, Public Utilities and the Law, New York 1925, S. 3 ff., 82 ff., 174. Vgl. auch Clark, a. a. O., S. 398 ff.] . Ist der Monopolist als Verkäufer in der Lage, die Kauflustigen ihrer Kaufkraft und Kauflust nach in Schichten zu sondern, denen er dieselbe Ware oder Leistung zu verschiedenen Bedingungen anbietet, dann fährt er besser als bei Erstellung eines einheitlichen Preises. Diese Voraussetzungen sind bei Verkehrsanstalten, Beleuchtungsund Kraftwerken und ähnlichen Betrieben in der Mehrzahl der Fälle gegeben. Die Frachttarife der Eisenbahnen stellen geradezu den klassischen Fall solcher Differenzierung dar. Sie »ungerechtfertigt« zu nennen, geht wohl nicht so ohne weiteres an, wie der Interventionist naiv und voll von Ressentiment gegen den Monopolisten annimmt. Doch wir haben uns um die Frage der ethischen Berechtigung eines Eingriffes nicht zu kümmern. Was wir vom Standpunkte der Wissenschaft allein festzustellen haben, ist das eine, daß dem Monopol gegenüber Raum für Eingriffe der Staatsgewalt gegeben ist.

Es gibt aber auch differentielle Behandlung verschiedener Käuferschichten gegen das Interesse des Monopolunternehmens. Das ist natürlich bewußt nur dort möglich, wo das Monopolunternehmen als Glied eines größeren Ganzen geführt wird, in dessen Rahmen es noch andern Zwecken dienstbar gemacht wird als dem der größten Rentabilität. Wir übergehen die Fälle, in denen es sich dabei um die Erreichung bestimmter nationalpolitischer, militärpolitischer oder sozialpolitischer Ziele u. dgl. m. durch Monopolisten handelt, die entweder selbst öffentliche Zwangsverbände sind oder unter ihrem Einflusse stehen. Beispiele wären etwa die Erstellung von Frachtsätzen nach handelspolitischen Gesichtspunkten oder die Differenzierung der Preise in Gemeindebetrieben nach dem Einkommen des Käufers. In diesen Fällen erfolgt die Differenzierung im Sinne der Interventionisten und wird von ihnen gebilligt. Für uns können nur jene Fälle von Bedeutung sein, in denen der Monopolist eine Differenzierung gegen das Rentabilitätsinteresse des Unternehmens durchführt, weil er auf die Interessen seines andern Unternehmens, die ihm wichtiger erscheinen, Rücksicht nimmt, oder weil er den Abnehmer aus persönlichen Gründen oder um ihn zu irgendeiner Handlung oder Unterlassung zu nötigen, ungünstiger stellen will. In den Vereinigten Staaten haben Eisenbahnunternehmungen[33] durch Einräumung von billigeren Frachtsätzen einzelne Verfrachter, die ihrer Leitung nahestanden, im Wettbewerb gefördert und ihre Konkurrenten dadurch nicht selten genötigt, ihre Betriebe aufzulassen oder um einen niedrigen Preis abzutreten. Man hat diese Vorfälle überaus abfällig beurteilt, weil sie die Konzentration der Unternehmungen und der Betriebe und die Bildung vom Monopolen befördert haben und die öffentliche Meinung in dem Verschwinden der Konkurrenz innerhalb jedes einzelnen Produktionszweiges ein Übel sehen wollte. Man verkannte eben, daß der Wettbewerb von seiten der Produzenten und Verkäufer sich nicht nur innerhalb der einzelnen Produktionszweige, sondern zwischen allen konsumverwandten Gütern – und konsumverwandt sind im weiteren Sinne alle Güter – abspielt und daß die Folgen der durch die wenigen echten Monopole – der Bergwerksproduktion und ähnlicher Zweige der Urproduktion – bewirkten Erhöhung des Preises vom Konkurrenzpreis auf den Monopolpreis durchaus nicht so unzweifelhaft für das Ganze nachteilig sind, wie die naive Monopolgegnerschaft anzunehmen bereit ist [FN1: Vgl. darüber meine Gemeinwirtschaft, Jena 1922, S. 382 f. und meinen Liberalismus, Jena 1927, S. 80 ff.] .

Doch in dem von Clark behandelten Fall des Darlehensmarktes für kleinere Kredite an Konsumenten, Kleinbauern, Kleinhändler und Handwerker ist von einer Monopolisierung nicht die Rede. Wie sollte es möglich sein, hier unfair discriminations zu machen? Wenn das Darlehen von einer Seite nicht zum Marktsatze gewährt wird, wendet sich der Kreditsuchende einfach an einen andern Geldgeber. Daß freilich jedermann – und ganz besonders in den Kreisen der Kreditbedürftigen dieser untersten Kategorie – leicht geneigt ist, seine eigene Bonität zu hoch einzuschätzen und die vom Kreditor geforderten Sätze als zu hoch zu bezeichnen, soll nicht bestritten werden.

Von den Zinstaxen geht Clark zur Besprechung der Mindestlohnsatzungen über. Eine »künstliche« Lohnerhöhung, meint er, führt zu Arbeitslosigkeit. Die Lohnsteigerung erhöhe nämlich die Produktionskosten und damit den Preis der Produkte, die dann vom Markt nicht mehr in der Menge, die zum niedrigeren Preis abgesetzt wurde, aufgenommen werden. So gebe es dann auf der einen Seite unbefriedigte Kauflustige, die die Waren billiger, als sie auf dem Markt nun zu haben sind, erstehen möchten, und auf der andern Seite Arbeitslose, die bereit wären, um einen niedrigeren Lohn, als der Tarif ihn festgelegt hat, zu arbeiten; schließlich fänden sich [34] Unternehmer, die diese potentielle Nachfrage und dieses potentielle Angebot zusammenzubringen bereit wären [FN1: Vgl. Clark, a. a. O., S. 454.] .

Soweit könnte man Clark wieder zustimmen. Doch nun kommt eine Behauptung, die durchaus fehl geht. Clark meint nämlich, auch die regulations affecting the incidental conditions of employment müßten dieselben Folgen nach sich ziehen, da auch sie die Produktionskosten steigern [FN2: Vgl. Clark, a. a. O., S. 455.] . Das ist eben nicht richtig. Wird die Lohnbildung auf dem Arbeitsmarkte frei gelassen, dann bedeuten Eingriffe, wie Kürzung der Arbeitszeit, Zwangsversicherung der Arbeiter auf Kosten der Unternehmer, Vorschriften über die Einrichtung der Betriebe, über Urlaub der Arbeiter bei Fortbezug des Lohnes u. dgl. m. keine Steigerung des Lohnes über den Marktsatz hinaus. Alle diese Lasten werden auf den Lohn überwälzt, werden vom Arbeiter getragen. Man konnte das übersehen, weil diese sozialpolitischen Eingriffe in erster Linie in einer Epoche steigender Reallöhne und sinkender Kaufkraft des Geldes zur Einführung gelangten, so daß die Nettolöhne, die an den Arbeiter bar ausgezahlt wurden, im Geldausdruck und im Naturalwert noch immer stiegen, trotzdem sie immer stärker durch Anrechnung solcher dem Unternehmer erwachsenden Spesen belastet wurden. In der Kalkulation des Unternehmers wird nicht bloß der Lohn des Arbeiters verrechnet, sondern alle aus der Verwendung eines Arbeiters entstehenden Kosten.

Wenn Clark dann weiter meint, Lohnerhöhungen wie andere Eingriffe zugunsten der Arbeiter may prove self-sustaining through raising the level of personal efficiency, through furnishing an added stimulus to the employer’s search for improved methods, and through hastening the elimination of the least efficient employers and transfering their business to those who will conduct it more efficiently [FN3: Ebendort.] , so hat das mit unserem Problem gar nichts mehr zu tun. All das kann man auch von einem Erdbeben oder von einer andern Elementarkatastrophe behaupten.

Clark ist zu gut geschult in der Theorie und zu scharfsinnig, um nicht zu merken, wie unhaltbar seine ganze Beweisführung ist. Er schließt sie daher mit den Worten, die Frage, ob ein bestimmter Eingriff eine »violation of economic law« wäre, sei im Grunde a question of degree; in letzter Linie komme in Betracht, wie groß die durch ihn bewirkten Veränderungen der Kosten oder Marktwerte [35] seien. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage sei kein thing of precision and inexorable rigidity. Oft habe eine kleine Veränderung der Produktionskosten (a small change in costs of production) überhaupt keinen Einfluß auf den Endpreis, wo z. B. der Preis in runden Beträgen festgelegt zu werden pflegt und die Händler kleine Veränderungen der Kosten oder der Großhandelspreise auf sich nehmen. Und dann folgt Clarks letztes Wort [FN-: abc] . Starke Lohnsteigerungen ziehen die geschilderten Folgen nach sich, bei kleinen mag es anders sein [FN1: A large increase in wage rates may be a »violation of economic law«, in the sense in which we are using the term, where a small increase would not be (ebendort S. 455).] .

Betrachten wir es genau, so gibt Clark damit alles zu, was diejenigen behaupten, die den Interventionismus als zweckund sinnwidrig bezeichnen. Daß die Folgen eines Eingriffes in ihrer Quantität von seiner Stärke abhängen, ist selbstverständlich und nie bestritten worden. Ein kleines Erdbeben zerstört weniger als ein großes, und ganz schwache Erdbeben hinterlassen überhaupt keine merklichen Spuren.

Es ist ganz und gar unwesentlich, daß Clark trotz alledem daran festhält, daß man solche Eingriffe vornehmen könne und sie befürwortet. Er muß zugeben, daß es dann notwendig sei, noch besondere Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Folgen zu beseitigen. Werden z. B. Preistaxen verfügt, so müsse man, um die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage zu beseitigen, rationieren. Und man müsse dafür sorgen, daß die Produktion, weil der gewöhnliche Antrieb geschwunden sei, should be directly stimulated [FN2: Ebendort S. 456.] . Hier bricht Clark seine Ausführungen leider ab. Hätte er sie weiter fortgesetzt, dann hätte er notwendigerweise zur Erkenntnis gelangen müssen, daß es nur zwei Alternativen gibt: entweder von allen Eingriffen abzusehen oder aber, wenn man davon nicht lassen will, zur Behebung der discrepancy between supply and demand which the public policy has created soweit in immer neuen Eingriffen fortzuschreiten, bis die gesamte Produktion und Verteilung der Leitung des geseilschaftlichen Zwangsapparates unterstellt wird, also bis zur Vergesellschaftung der Verfügung über die Produktionsmittel, bis zum Sozialismus.

Es ist eine ganz unbefriedigende Lösung, wenn Clark für den Fall der Mindestlohnsatzungen empfiehlt, die durch sie arbeitslos [36] Gewordenen durch öffentliche Arbeiten zu beschäftigen [FN1: Ebendort S. 456.] . Und wenn er auf energy, intelligence and loyalty hinweist, die alle Eingriffe erfordern, so ist das nichts als ein Ausdruck der Verlegenheit [FN2: Ebendort S. 457.]

Government, sagt Clark im vorletzten Satze des diesen grundsätzlichen Erörterungen gewidmeten Kapitels seines Buches, can do a great deal of good by merely seeing to it that everyone gets the benefit of the market rate, whatever that is, and thus preventing the ignorant from being exploited on account of their ignorance [FN3: Ebendort S. 459.] . Das stimmt ganz mit der Auffassung des Liberalismus überein: die Regierung soll nichts anderes tun als durch Schutz des Sondereigentums und Beseitigung aller seiner Auswirkung entgegenstehenden Hemmnisse verhindern, daß einzelnen oder ganzen Gruppen der freie Zutritt zum Markte verwehrt werde. Das ist nichts anderes, als eine Umschreibung des Grundsatzes: Laissez faire, laissez passer. Es ist ohne besondere Bedeutung, ob man, wie es Clark offenbar tut, zur Erreichung dieses Zweckes eine besondere Aufklärungsarbeit für erforderlich hält oder nicht. Unkenntnis der Marktlage allein kann nicht der Umstand sein, der Kauflustige oder Arbeitsuchende an der Ausnützung der Konjunktur behindert; wenn die Verkäufer und die Unternehmer in der Aufsuchung der Kunden und der Arbeitswilligen nicht gestört werden, wird ihr Wettbewerb die Preise ermäßigen und die Löhne erhöhen, bis der der Marktlage entsprechende Satz sich einstellt. Doch wie dem auch sei, es stünde mit dem liberalen Prinzip durchaus nicht in Widerspruch, wenn die Regierung für Veröffentlichung aller für die Marktpreisbildung belangreichen Angaben fortlaufend Sorge tragen wollte.

Das Ergebnis der Untersuchungen, die Clark unserem Problem gewidmet hat, steht mithin mit dem, was in den vorangehenden Abschnitten unserer Abhandlung ausgeführt wurde, nicht im Widerspruch. Trotz des Eifers, den Clark dem Nachweis gewidmet hat, daß die vielberufenen »Eingriffe« nicht zweckund sinnwidrig sind, ist es ihm nicht gelungen, mehr darzutun als das, daß die Eingriffe unter Umständen, nämlich dann, wenn sie quantitativ unbedeutend sind, auch nur unbedeutende Folgen nach sich ziehen, und daß quantitativ bedeutendere Eingriffe unerwünschte Folgen nach sich ziehen, denen man durch besondere Maßnahmen entgegenwirken müsse. Die Darstellung dieser besonderen Maßnahmen aber hat [37] Clark leider vorzeitig abgebrochen; hätte er sie, wie er es hätte tun müssen, bis ans Ende geführt, dann hätte auch seine Darlegung klar gezeigt, daß es keine andere Wahl geben kann, als entweder das Sondereigentum an den Produktionsmitteln frei gewähren lassen oder aber die Verfügung über die Produktionsmittel der organisierten Gesellschaft – ihrem Zwangsapparat, dem Staat – ganz zu übertragen, daß es also keine andere Alternative geben kann als die: Sozialismus oder Kapitalismus.

So kann denn auch das Werk von Clark, das der letzte und vollkommenste Ausdruck des amerikanischen Interventionismus ist, dort, wo es sich mit den grundsätzlichen Fragen des Interventionismus auseinandersetzt, zu keinem andern Ergebnis gelangen als zu dem, daß der Interventionismus ein in sich widerspruchsvolles und im Sinne seiner Urheber selbst zweckwidriges System ist, das sich folgerichtig nicht durchführen läßt und dessen Anwendung in jedem einzelnen Fall nichts anderes bewirken kann als Störungen im Ablaufe des Mechanismus der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnung.

Auch Richard Strig 1 , ein der »österreichischen« Schule angehöriger Nationalökonom, dem wir die jüngste deutsche Behandlung unserer Probleme verdanken, steht, wenn auch nicht so ausgesprochen wie Clark, mit seinen persönlichen Sympathien auf der Seite des Interventionismus. Aus jeder Zeile seiner Arbeit, die den Versuch unternimmt, die lohntheoretischen Probleme des Interventionismus systematisch zu untersuchen [FN1: Vgl. Strigl, Angewandte Lohntheorie, Untersuchungen über die wirtschaftlichen Grundlagen der Sozialpolitik. Leipzig und Wien 1926.] , spricht deutlich das Bestreben, der Sozialpolitik im allgemeinen und der gewerkschaftlichen Politik im besonderen so viel Gutes nachzurühmen als nur irgendwie möglich ist. Alles, was Strig 1 vorbringt, wird vorsichtig verklausuliert, so etwa wie in früheren Jahrhunderten Schriftsteller vorsichtig ihre Worte setzten, um nicht der Inquisition oder der Zensur zu verfallen [FN2: Besonders charakteristisch a. a. O., S. 71 ff.] . Aber alle Konzessionen, die sein Herz der interventionistischen Denkungsart macht, betreffen nur Nebendinge und die Einkleidung, in der sich die Lehre vorstellt. In der Sache selbst gelangt Strigl auf Grund scharfsinniger Untersuchung zu keinem andern Ergebnis als zu dem, das eine nationalökonomische Untersuchung des Interventionismus allein zeitigen kann. Man kann den Kern seiner Lehre aus dem Satze erkennen: »je mehr der Arbeiter leisten kann, desto mehr wird er, wenn diese Leistung von einer [38] Art ist, die in der Wirtschaft gebraucht wird, verdienen können, ganz gleich, ob der Lohn auf dem freien Markte sich bildet oder im Vertrage festgelegt wird« [FN1: A. a. O., S. 106.] . Es bereitet Strigl offensichtlich Kummer, daß dem so ist; aber er kann es nicht und will es nicht bestreiten.

Strig 1 legt das Hauptgewicht darauf, daß durch die künstliche Erhöhung des Lohnes Arbeitslosigkeit geschaffen wird [FN2: A. a. O., S. 65 ff., S. 116 f.] . Das ist unzweifelhaft richtig für den Fall, daß die Löhne nur in einzelnen Zweigen der Produktion oder nur in einzelnen Ländern erhöht werden oder daß die Erhöhung in den verschiedenen Branchen und Ländern ungleichmäßig erfolgt, oder daß von der Geldseite her der allgemeinen Preissteigerung entgegengewirkt wird. Der von Strig 1 untersuchte Fall ist unzweifelhaft für die Erkenntnis dessen, was heute vorgeht, wichtig. Doch für die grundsätzliche Erfassung der Probleme muß man auch noch eine andere Annahme zugrunde legen. Nur wenn man davon ausgeht, daß die Lohnsteigerung gleichmäßig und gleichzeitig in den verschiedenen Produktionszweigen und in den verschiedenen Ländern erfolgt und wenn man die geldtheoretischen Einwendungen durch zweckentsprechende Annahmen ausschaltet, wird das Ergebnis der Untersuchung jene allgemeine Gültigkeit besitzen, die wir benötigen, um den Interventionismus ganz zu verstehen.

Von den interventionistischen Maßnahmen wird im Deutschen Reiche und in Österreich heute kaum eine andere so sehr angegriffen wie der Achtstundentag. Man vertritt vielfach die Ansicht, daß es keinen andern Weg zur Behebung der wirtschaftlichen Notlage gebe als den, die gesetzliche Begrenzung des Arbeitstages mit 8 Stunden zu beseitigen; mehr und intensivere Arbeit wird gefordert. Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß mit der Verlängerung der Arbeitszeit und der Erhöhung der Arbeitsleistung keine Steigerung des Lohnes erfolgen oder daß zumindest die Lohnsteigerung hinter der Steigerung der Arbeitsleistung zurückbleiben soll, so daß die Arbeit billiger wird. Gleichzeitig wird Erleichterung der »sozialen Lasten« jeglicher Art – in Österreich auch Beseitigung der vom Unternehmer zu entrichtenden Lohnsummenabgabe (»Fürsorgeabgabe«) – gefordert, wobei ebenfalls stillschweigend vorausgesetzt wird, daß die Ersparnis dem Unternehmer verbleiben soll. In dieser indirekten Weise wird eine Verbilligung der Arbeitskraft angestrebt. Den Bemühungen, die unmittelbar eine [39] Lohnherabsetzung anstreben, kommt gegenwärtig nur geringe Bedeutung zu.

In der Erörterung der Probleme des Achtstundentages und der Arbeitsintensität in den sozialpolitischen Fachblättern und in der wirtschaftspolitischen Literatur kann man nun einen langsamen, aber doch stetigen Fortschritt zur Erfassung der nationalökonomischen Seite der Frage erkennen. Selbst Schriftsteller, die ihre Vorliebe für den Interventionismus nicht verhehlen, geben die Richtigkeit der wichtigsten gegen den Interventionismus vorgebrachten Argumente zu. Nur selten begegnet man noch jener Blindheit in der grundsätzlichen Beurteilung dieser Dinge, die das Schrifttum vor dem Kriege kennzeichnete.

Die Herrschaft der interventionistischen Schule ist freilich heute noch nicht gebrochen. Von Schmo 11 ers Staatssozialismus und Etatismus und von Marxens egalitärem Sozialismus und Kommunismus sind im politischen Leben der Völker heute nur noch die Namen übrig geblieben; das sozialistische Ideal selbst hat aufgehört, unmittelbare politische Wirkung zu üben; seine eigenen Anhänger – selbst die, die zu seiner Durchsetzung noch vor wenigen Jahren Ströme von Blut vergossen haben – haben es aufgegeben oder doch wenigstens vorläufig zurückgestellt. Doch der Interventionismus, den sowohl Schmo 11 er als auch Marx – jener als Gegner jeder »Theorie« ganz unbedenklich, dieser in unlösbarem Widerspruch zu allen seinen theoretischen Lehren mit schlechtem Gewissen – neben ihrem Sozialismus und in Widerspruch zu ihm vertreten haben, beherrscht heute die Geister.

Ob die politischen Voraussetzungen für eine Abkehr des deutschen Volkes und der andern führenden Völker von der interventionistischen Politik gegeben sind, soll hier nicht geprüft werden. Wer unbefangen die Dinge betrachtet, wird eher den Eindruck gewinnen, daß der Interventionismus noch im Vordringen begriffen ist; für England und die Vereinigten Staaten dürfte dies kaum zu bestreiten sein. Sicher aber ist, daß die Versuche, den Interventionismus vom Standpunkte der theoretischen Nationalökonomie – nicht vom Standpunkte irgendeines bestimmten Systems, sondern überhaupt vom Standpunkt eines beliebigen Systems – als sinnvoll erscheinen zu lassen, heute ebenso vergeblich sind, wie sie es stets waren. Von der Nationalökonomie führt kein Weg zum Interventionismus. Alle Erfolge des Interventionismus in der praktischen Politik waren »Siege über die Nationalökonomie«.

[40]