Carl Menger, Die IrrthÜmer des Historismus in der Deutschen NationalÖkonomie (1884)

Carl Menger (1841-1921)  

 

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Carl Menger, Die Irrthümer des Historismus in der Deutschen Nationalökonomie. (Wien: Alfred Hölder, K. K. Hof- und Universitäts-Buchhändler, 1884).

HTML edited from DTA: Deutsches Textarchiv <http://www.deutschestextarchiv.de/menger_historismus_1884>, abgerufen am 18.01.2021.

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Table of Contents

INHALT.

Vorwort III

Erster Brief. Einleitung: Aeussere Veranlassung dieser Briefe. Ueber den Nutzen, welcher für die wissenschaftliche Discussion selbst aus den Kritiken flacher, in den behandelten Materien nicht genügend orientirter Beurtheiler gezogen werden könne 1

Zweiter Brief. Fortsetzung: Ueber Entstellungen auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Kritik und wie denselben zu begegnen sei? 6

Dritter Brief. Ueber die verschiedenen Richtungen des Er kenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft 12

Vierter Brief. Dass die politische Oekonomie und die Ge schichte der Volkswirthschaft streng zu unterscheidende Wissenschaften seien 20

Fünfter Brief. Warum Schmoller diese Grenzen zu ver wischen trachte? 26

Sechster Brief. Die Ueberschätzung historischer Studien auf dem Gebiete der politischen Oekonomie. Ihre Ursachen und ihre Nachtheile 29

Siebenter Brief. Ueber die Meinung, dass die Wirthschafts geschichte vollends erforscht werden müsse, ehe an die Reform der politischen Oekonomie geschritten werden könne 34

Achter Brief. Ueber die Meinung, dass die Wirthschafts geschichte die ausschliessliche empirische Grundlage der For schung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie seei 42

Neunter Brief. Dass ein nach bestimmten wissenschaftlichen Kategorien geordnetes historisch-statistisches Material mit der politischen Oekonomie nicht verwechselt werden dürfe 47

Zehnter Brief. Ueber die Meinung Schmoller’s von den Aufgaben der praktischen Wirthschafts-Wissenschaften 51

Elfter Brief. Ueber die Idee Schmoller’s, die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft zu theoretischen erheben zu wollen 56

Zwölfter Brief. Wie Schmoller sich diese Erhebung vor stellt? 60

Dreizehnter Brief. Noch eine Ansicht Schmoller’s über den nämlichen Gegenstand 64

Vierzehnter Brief. Zur Charakteristik der Kampfesweise Schmoller’s 71

Fünfzehnter Brief. Fortsetzung 78

Sechzehnter Brief. Schlusswort 86

 

 


 

Text

[III]

Vorwort.

Die Unklarheit der „historischen Schule deutscher Volkswirthe“ über die Ziele und die Methoden der Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie, ein Gebrechen, welches bereits beemder ersten Begrün dung dieser Schule in unverkennbarer Weise zu Tage trat, ist auch durch den Verlauf einer nahezu fünf Decennien andauernden Entwicklung nicht beseitigt worden.

Die „historische Schule“ war von allem Anfange an nicht das Ergebniss der Vertiefung in die Probleme unserer eigenen Wissenschaft; nicht, wie die histo rische Jurisprudenz, ist sie aus dem scientifischen Be dürfnisse der in die Probleme ihrer Wissenschaft sich vertiefenden Fachgelehrten hervorgegangen. Sie be deutete seit ihrem ersten Beginne ein Hineintragen historischen Wissens in unsere theoretisch-praktische Disciplin. Aeussere Umstände haben sie hervorgerufen; [IV] nicht Bearbeiter unserer Wissenschaft, — Historiker haben sie ursprünglich begründet. Von aussen gleich sam ist die historische Methode in unsere Wissenschaft getragen worden.

Von diesen Mängeln des Ursprunges hat die historische Schule sich nie wieder zu befreien ver mocht. Die äusserliche Verbindung gediegenen histo rischen Wissens mit einem sorgfältigen aber führer losen Eklekticismus auf dem Gebiete unserer Wissen schaft bildet den Ausgangspunkt, zugleich aber auch den Höhepunkt ihrer Entwicklung. Mancherleemmit grossem Ernste unternommene Versuche, die Geschichte und die politische Oekonomie in eine innigere, orga nische Verbindung zu bringen, sind den obigen Be strebungen gefolgt, aber die von den historischen Volkswirthen in Aussicht gestellte Erhebung unserer Wissenschaft aus ihrem zurückgebliebenen Zustande ist nicht erreicht worden; ja sie scheint heute fast ferner gerückt, als in den Tagen, da Hermann und Rau lehrten.

Dass die obigen, zum Theile mit nicht gewöhn licher Begabung unternommenen Reformversuche nicht zu dem angestrebten Ziele geführt haben, war kein Werk des Zufalls; sie mussten an dem Irrthume scheitern, welcher in der Geschichte den Ausgangs punkt, in der Verbindung derselben mit der politischen Oekonomie den Angelpunkt der beabsichtigten Reform erkannte. Die irrthümliche Hypothese, dass die Ver bindung historischen Wissens mit der politischen [V] Oekonomie an sich eine Reform dieser letzteren bedeute, das falsche Dogma des Historismus auf dem Gebiete unserer Wissenschaft, konnte von vornherein nicht die Grund lage einer Erfolg versprechenden Umgestaltung dieser letzteren sein.

Die Reform einer Wissenschaft vermag nur aus ihr selbst, nur aus den Tiefen ihrer eigenen Ideen kreise hervorzugehen; sie kann nur das Werk der in die eigensten Probleme ihrer Disciplin sich vertiefen den Forscher sein. Die politische Oekonomie wird nicht durch Historiker, durch Mathematiker, oder durch Physiologen, nie auch durch solche, die blindlings den Spuren derselben folgen, aus ihrer gegenwärtigen Ver sunkenheit emporgehoben werden. Die Reform der politischen Oekonomie vermag nur von uns selbst aus zugehen, von uns Fachgenossen, die wir im Dienste dieser Wissenschaft stehen.

Was andere Wissenschaften und ihre Vertreter uns zu bieten, für uns zu leisten vermögen, ist die fortschreitende Vertiefung in ihre eigenen Probleme, die Vervollkommnung der Resultate ihrer eigenen Forschung. Sorgfältig und dankbar wollen wir diese letzteren benützen, so weit sie für die Entwickelung unserer Wissenschaft von Bedeutung sind, die Ergeb nisse der Geschichtsforschung eben so wohl, als jene der Statistik, der Psychologie, der Logik, der tech nischen Wissenschaften. Die reformatorische Ein mischung anderer Disciplinen, das Hineintragen der politischen Oekonomie fremder Gesichtspunkte und [VI] Methoden in diese letztere, werden wir in Hinkunft aber entschlossen abzuwehren haben, soll die deutsche Natio nalökonomie nach einer weiteren halbhundertjährigen Periode nicht neuen Enttäuschungen entgegensehen.

Was die nächste und wichtigste auf dem Ge biete der politischen Oekonomie in Deutschland zu lösende Aufgabe ist, scheint durch den gegenwärtigen Zustand dieser Disciplin klar vorgezeichnet zu sein. Wie fremde Eroberer haben die Historiker den Boden unserer Wissenschaft betreten, um uns ihre Sprache und ihre Gewohnheiten — ihre Terminologie und ihre Methodik — aufzudrängen, jede ihrer Eigenart nicht entsprechende Richtung der Forschung unduldsam zu bekämpfen. Diesem Zustande muss ein Ende bereitet werden. Es gilt die aus der Natur unserer Wissen schaft sich ergebenden Probleme und Erkenntnisswege wieder zu Ehren zu bringen, diese Disciplin von ihrer historisirenden Tendenz, von den Einseitigkeiten des Historismus zu befreien. Hat die politische Oekonomie in Deutschland nur erst wieder sich selbst, ihren Be griff und ihre Methoden gefunden, bewahrt sie sich überdies den Geist der Universalität, welcher die Er gebnisse fremder Forschung, auch jene anderer Wissens gebiete, ganz insbesondere aber der Geschichte und der Statistik, den eigenen Zwecken dienstbar macht: dann darf uns um die weitere Entwickelung dieser Wissenschaft nicht bange sein.

Dem obigen Zwecke sind auch die nachfolgenden methodologischen Briefe gewidmet. Sie sollen ein [VII] wissenschaftlich ganz besonders versumpftes, mit den äusser sten Mitteln der Unduldsamkeit und Unziemlichkeit vertheidigtes Gebiet des Historismus in der deutschen Nationalökonomie, den jüngsten Auswuchs des letzteren, unter das Licht der Kritik stellen, unqualificirbaren, zum mindesten in solcher Form durch nichts provo cirten Angriffen die gebührende Antwort bringen.

Ich bin auch in dieser hauptsächlich der Abwehr gewidmeten kleinen Schrift der nahe liegenden Ver suchung ausgewichen, die eigentliche Methodik der exacten Forschung auf dem Gebiete der theoretischen Nationalökonomie zu behandeln. Ich habe in den „Untersuchungen über die Methode der Socialwissen schaften“ den Nachweis der von der historischen Schule eifrig bestrittenen Berechtigung der obigen Richtung des theoretischen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu erbringen gesucht, die ein gehende Darstellung der bezüglichen Erkenntnisswege indess einer besonderen Schrift vorbehalten.[FN: *) A. a. O. S. 43.] Die vor läufigen Bemerkungen hierüber sind nichtsdestoweniger zum Gegenstande lebhafter Discussion unter den Beurtheilern meiner methodologischen Untersuchungen geworden: ein erfreuliches Zeichen des auf dem Ge biete der deutschen Nationalökonomie, trotz des Vorherrschens der historischen Schule, vorhandenen Interesses für den obigen wichtigen Zweig der theo retischen Forschung. Ich werde nunmehr die Erfüllung [VIII] meiner Zusage zu beschleunigen suchen, da nur durch vollständige Klarheit über die Ziele und die Erkennt nisswege der exacten Nationalökonomie der Einseitig keit unserer historischen Volkswirthe in ausschlag gebender Weise begegnet zu werden vermag. Ich werde hierbeemauch Gelegenheit finden, die sachkundigen Bemerkungen zu berücksichtigen, welche von E. v. Böhm, Emil Sax, W. Lexis, H. Dietzel und Anderen einzelnen Theilen meiner Ausführungen ent gegengesetzt worden sind.

Wien, im Januar 1884.

Der Verfasser.

 

[1]

Erster Brief.

Sie schreiben mir, mein Freund, dass die ebenso unüberlegte als herausfordernde Kritik, welche meine „Untersuchungen über die Methode“ [FN: *) C. Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere. Leipzig, beemDuncker & Humblot, 1883.] in dem Berliner Jahrbuche für Gesetzgebung Seitens des Heraus gebers gefunden haben [FN: *), G. Schmoller, „Zur Methodologie der Staats- und Socialwissenschaften“ im Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwal tung und Volkswirthschaft im deutschen Reiche. Leipzig beem Duncker & Humblot, 1883, pag. 239—258.]am besten mit jenem Still schweigen zu übergehen sei, welches die wirksamste Antwort auf Angriffe der obigen Art bilde.

Wer mein Buch auch nur flüchtig gelesen habe, werde von selbst entnehmen, inwieweit die Angriffe Schmoller’s auf Sachkunde und Unbefangenheit beruhen, und sich darnach sein Urtheil bilden. Aber auch beemjenen, welche meine „Untersuchungen“ nicht kennen, würde seine Kritik der richtigen Würdigung begegnen; rühre sie doch von einem Manne her, dessen wissenschaftliche Erudition, trotz seiner unablässigen Hinweise auf die historischen und philosophischen [2] Studien, denen er sich hingebe, auf die Vorlesungen über Methodik „zu welchen er sich eben rüste“ u. dgl. m., in ernsten Gelehrtenkreisen bereits seit langem nach Gebühr gewürdigt werde. Recensionen von jener Art, wie sie Schmoller seit Jahren ohne genügende Orientirung, voll Invectiven und offenbar ohne das geringste Gefühl der Verantwortlichkeit der Oeffent keit übergebe, seien beemjenen sachkundigen Lesern, welche wir beemwissenschaftlichen Publicationen doch zunächst im Auge haben, unschädlich, jede Erwiderung auf dieselben unter der Würde eines ernsten Ge lehrten.

Erlauben Sie mir, mein Freund, in der obigen Rücksicht denn doch in etwas anderer Meinung zu sein. Zwar darüber, ob dergleichen Kritiken für die Autoren der recensirten Werke schädlich oder unschäd lich seien, möchte ich in keine Discussion treten. Fassen sie dieselben für den Autor immerhin als un schädlich, ja geradezu als erheiternde Zwischenfälle des Gelehrtenlebens auf. Daraus scheint mir indess noch keineswegs zu folgen, dass man dieselben gänzlich un beachtet lassen solle. Was für den Autor einer Schrift nicht schädlich ist, kann unter Umständen der von ihm vertretenen Sache abträglich sein; und wäre selbst dies nicht der Fall, warum sollten wir es verschmähen, das, was einer uns am Herzen liegenden Sache unschädlich ist, im Dienste derselben zu verwerthen? Kritiken sach kundiger Autoren nützen uns, indem sie uns berichtigen und belehren und dadurch die wissenschaftliche Dis cussion vertiefen. Warum sollten Kritiken von der Art jener, die Schmoller veröffentlicht, nur unschäd lich sein und nicht auch einen Nutzen gewähren, wenn gleich, wie selbstverständlich, einen solchen ganz anderer Art?

[3]

Ein jedes Werk hat ein gewisses geistiges Niveau, unter welches der Autor nur mit Widerstreben herab steigt. In mathematischen Schriften wird nicht jede Formel aufgelöst, in juristischen Werken die Kenntniss des positiven Rechtes, in wissenschaftlichen Schriften überhaupt leicht mancherleemFertigkeit und Wissen vorausgesetzt. Hierin liegen indess von jedem ein sichtigen Autor peinlich genug empfundene Schranken für das Verständniss und die Verbreitung seiner Ideen. Flache, von unkundigen Kritikern gegen uns gerichtete Angriffe bieten uns nun aber die erwünschte Gelegen heit, jene Schranken zu erweitern, und zwar in um so wirksamer Weise, je näher unser Beurtheiler in den behandelten Fragen dem hierin minder orientirten Lese publikum steht und je rücksichtsloser derselbe gegen uns aufzutreten vermeint.

In Recensionen dieser Art werden gegen die Er gebnisse unserer Forschung Einwände erhoben, die dem Autor wohl selbst vorgeschwebt, welche er indess, um ihrer für den Sachkundigen augenfälligen Unrichtigkeit willen, zu beantworten unterlassen hat. Werden die selben indess von einem Kritiker, und zwar, wie dies zumeist der Fall zu sein pflegt, mit nicht geringem Nachdrucke vorgetragen, so sind wir in der Lage, uns mit ihrer Widerlegung befassen zu können, ohne doch der Achtung, welche wir den Lesern gelehrter Schriften schuldig sind, allzu nahe zu treten. Einwendungen und Angriffe der obigen Kategorie bieten uns solcher Art die Gelegenheit, unsere Ideen bis zu einem Grade der Gemeinverständlichkeit zu erheben, welcher in wissen schaftlichen Schriften sonst nicht gebräuchlich und für das eigentlich gelehrte Publikum auch überflüssig ist, in Rücksicht auf einen Theil des Leserkreises wissen schaftlicher Werke indess nicht jedes Nutzens entbehrt.

[4]

Aber noch einen anderen, ungleich grösseren Dienst erweisen uns Kritiken von jener Art, von welchen ich hier spreche. Es werden in denselben Einwände er hoben, welche so fern ab von den Gedankenkreisen ernster Gelehrter liegen, dass Niemand, welcher in der Sache einigermassen orientirt ist, am wenigsten der Autor eines Werkes selbst auf dieselben zu verfallen vermöchte, welche indess durch eine merkwürdige Zu sammenstimmung der Geister in den Köpfen aller ober flächlichen und mit den behandelten Materien nicht genügend vertrauten Leser wissenschaftlicher Werke zu entstehen pflegen.

Durch Kritiken dieser Art gelangen wir in dankenswerthester Weise zur Kenntniss der gröbsten Missverständnisse, welchen unsere Schriften in gewissen Leserkreisen ausgesetzt sind und erlangen auf diese Art die erwünschte Gelegenheit, denselben wirksam zu begegnen. Kritiken von jener Kategorie, von welchen ich hier spreche, spielen in der wissenschaftlichen Dis cussion solcherart gleichsam die Rolle jener gewissen Figur in der italienischen Komödie, welche durch ihre halb missverständlichen, halb bösartigen Einwürfe die Entwicklung der Handlung zu hemmen scheint, sie jedoch in eben so wirksamer als erheiternder Weise fördert.

Freilich, dass ein Schriftsteller von bekannterem Namen, und in mehr als einer Rücksicht anerkennens werthem Verdienste, dem auf die Verbreitung seiner Ideen bedachten Autor eines Werkes dadurch hilfreich beispringt, dass er in der wissenschaftlichen Discussion eine Rolle so secundärer Natur übernimmt, ist nicht eben häufig; geradezu ein Glücksfall, wenn unser Gegner durch die äusseren Machtmittel, die er in seinen Händen vereinigt, und durch die Art, in welcher er [5] sich derselben bedient, ein von den Kleinen und Furcht samen gepriesener, von den Stärkeren klug be schwiegener Gelehrter ist; denn mit dem Interesse an der Förderung unserer wissenschaftlichen Bestre bungen verbindet sich dann jenes an der Säuberung der Literatur von dem Einflusse eines flachen, für die hohen Aufgaben wissenschaftlicher Kritik nicht be rufenen Recensententhums.

Und diese von dem Herausgeber der Berliner Jahrbücher in so unbeabsichtigter Weise mir darge botene Gelegenheit zur Beseitigung einer Reihe von Missverständnissen und Irrthümern über die grund legenden Probleme unserer Wissenschaft, vielleicht auch zur Behebung mancher anderer „historisch ge wordener“ Hindernisse einer sachgemässen wissen schaftlichen Discussion auf dem Gebiete der National ökonomie in Deutschland, sollte ich so völlig unbenützt an mir vorübergehen lassen?

[6]

Zweiter Brief.

Sie machen in freundlicher Besorgniss mich darauf aufmerksam, dass ein Streit mit Schmoller nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch noch eine ganz andere Seite habe. Es gebe keinen zweiten Gelehrten in Deutschland, kaum irgendwo, welcher so rücksichtslos in der Wahl der Mittel sei, wenn es, einen Gegner zu bekämpfen, gelte. Ich möge auf jede mögliche und un mögliche Entstellung meiner Worte gefasst sein, und dass Schmoller Meister einer ebenso persönlichen als vulgären Schreibweise seem— nebenbeemgesagt, die einzige Meisterschaft, welche diesem Manne in Rück sicht auf sein Deutsch nachgerühmt werden könne — davon hätte ich selbst geradezu erschreckende Proben erhalten.

Sie haben Recht, mein Freund, wenn Sie eine wissenschaftliche Discussion mit Schmoller für keine bloss scientifische Angelegenheit ansehen; ist doch dieser Mann nur all zu bekannt wegen seiner ausge sprochenen Neigung zur Missdeutung fremder Meinun gen und ebenso bekannt, als Vertreter der Unziem lichkeit auf dem Gebiete wissenschaftlicher Polemik. [FN: *) Schmoller lässt es in der Recension meiner Schrift nicht beemKraftausdrücken, wie „weltflüchtige stubengelehrte Naivetät“, „scholastische Denkübungen“, „Scheuklappen wissenschaftlicher Arbeitsleistung“, „abstracte Schemen“, „geistige Schwindsucht“ u. dgl. m., bewenden, sondern gibt mir, offenbar um die Wucht dieser Argumente zu verstärken, sogar zu verstehen, dass ich, um meiner methodischen An sichten willen, aus jedem Kreise exacter Forscher „sofort hinausgeworfen“ werden würde. Die betreffende Stelle seiner Kritik, welche den Beweis liefert, dass Schmoller nicht ohne Nutzen für seine Schreibweise sich die ersten Sporen seiner wissenschaftlichen Laufbahn in Handwerker vereinen erworben hat (vgl. Schmoller: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe S. VI), lautet wörtlich: „Der Chemiker darf wagen, von den physikalischen Eigenschaften eines chemischen Gegenstandes zu abstrahiren, aber, wenn er die atmosphärische Luft untersuchte und nach dem Grund satze Menger’scher Isolirung sagte: ich ziehe dabeem nur den Stickstoff in Betracht, weil er vorherrscht, so würde man ihn sofort aus dem Laboratorium hinaus werfen.“ Wer auch nur die Elemente der Logik kennt, weiss, dass man unter dem Isolirungsverfahren nur die Isolirung von den einer Erscheinung accidentiellen Momenten ver steht, und wer mein Buch gelesen hat, weiss, dass ich nirgends auch nur die entfernteste Veranlassung zu der unsinnigen Meinung gebe, dass unter dem Isolirungsverfahren die Iso lirung von den einer Erscheinung essentiellen Momenten zu verstehen sei. Die Bemerkung Schmoller’s ist demnach nicht nur eine unziemliche, ja geradezu an Rohheit streifende, sondern zugleich eine vollständig deplacirte. Ich wage diese Bemerkung, selbst auf die Gefahr hin, dass Schmoller, in einem Momente des Vergessens, dass er gegenwärtig Mit glied einer der illustersten Gelehrtencorporationen sei, etwa plötzlich seine Aermel emporzustreifen und seine entsetzlichen Argumente „sofort“ — vorzutragen die Miene machen könnte. Dass die Entstellung fremder Ansichten und die äusserste Unziemlichkeit der Ausdrucksweise übrigens von Schmoller nicht nur gegen mich, sondern geradezu gewohnheitsmässig geübt wird, darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Schon vor nahezu zehn Jahren sah sich Prof. Treitschke genöthigt, in einem offenen Briefe an Schmoller („Der Socialismus“ und seine Gönner. Berlin 1875, S. 102 ff.) unter Anführung zahlreicher Belegstellen darauf hinzuweisen, dass die Polemik Schmoller’s „mit persönlichen Ausfällen reichlich geziert sei“ und ihn (Treitschke) nöthige, gegen seine Neigung und Gewohnheit auch seiner Erwiderung einige persönliche Bemerkungen vorauszuschicken“. — Bemerkungen, welche darin gipfeln, „dass Schmoller fast allen seinen Gegnern Worte zuschleudert, welche die Ver ständigung nicht fördern“. Was die Wahrheitsliebe Schmoller’s betrifft, so äusserst sich Treitschke gegen denselben folgendermassen: „Ich müsste wie Sie, zehn Bogen füllen, wollte ich nachweisen, wie Sie meine Be hauptungen hier übertreiben, dort in das Gegentheil ver wandeln, bald das Bedingte als ein Unbedingtes hinstellen, bald mir gar meine eigenen Gedanken zürnend entgegenhalten, als ob ich sie bestritten hätte, und durch solche dialektische Künste schliesslich ein Bild zu Stande bringen, in dem ich keinen Zug von meiner wirklichen Meinung wieder erkenne.“ Der Ruhm, den Gipfelpunkt der missbräuchlichen Schreib weise Schmoller’s zu bilden, dürfte indess jedenfalls seiner Kritik meiner „Untersuchungen“ zufallen.] [7] Wahrlich, nicht ohne ein gewisses Zögern trete ich an die Bekämpfung dieser Seite seiner gegen mich [8] gerichteten Angriffe. Doch es gibt Zustände, gegenüber welchen zu schweigen Verrath an der eigenen Sache wäre. Nur zu gerne überliesse ich das unerquickliche Geschäft, das ich hier zu besorgen habe, einem Andern, fände sich beemder Art der Kritik, welche Schmoller auf dem Gebiete unserer Wissenschaft übt, nur so leicht dieser Andere. Gerade das, was Sie mir als Grund dafür anführen, gegenüber den Angriffen Schmoller’s zu schweigen, muss für mich ein Motiv mehr sein, meine Stimme gegen denselben zu erheben.

„Unverdiente Lobsprüche — sagt Lessing — kann man Jedem gönnen ..... Nur wenn ein so pre cario .... berühmt gewordener Mann sich mit dem stillen [9] Besitze seiner unverdienten Ehren [FN: *) Lessing gebraucht hier einen anderen Ausdruck.] nicht begnügen will, wenn das Irrlicht [FN: *) Lessing gebraucht hier einen anderen Ausdruck.], das man hat zum Meteor aufsteigen lassen, nunmehr auch lieber sengen und brennen möchte, wenigstens überall um sich her giftige Dämpfe ver breitet; wer kann sich des Unwillens enthalten? und welcher Gelehrte, dessen Umstände es erlauben, ist nicht verbunden, seinen Unwillen öffentlich zu be zeugen?“

Nun denn, meine Umstände erlauben es mir, den Missverständnissen, den Entstellungen und Unziemlich keiten Schmoller’s auf dem Gebiete der national ökonomischen Kritik entgegenzutreten.

Nur bitte ich Sie, mein Freund, hierin ja keinen Beweis auch nur des geringsten Heroismus zu erkennen; denn einerseits bin ich der Meinung, dass meine „welt flüchtige stubengelehrte Naivetät“ immer noch einem auch noch so weltlichen und ungelehrten Streberthum auf dem Gebiete der Wissenschaft gewachsen sei, und andererseits glaube ich auch noch manchen anderen Grund zu haben, meinen Gegner nicht all’ zu sehr fürchten zu müssen. Männer wie Schmoller vermögen nur in Folge geradezu desolater Zustände einer Wissen schaft an die Oberfläche zu gelangen. Nur wenn die Häupter wissenschaftlicher Richtungen ihrer Sache nicht ganz sicher sind, tiefe Zweifel an ihren grund legenden Ansichten sie bekümmern, und dieselben in mehr als einer Beziehung der Nachsicht untergeordneter Geister bedürfen, vermögen diese letzteren gegen die Vertreter anderer Meinungen einen halb widerwärtigen, halb lächerlichen Terrorismus zu organisiren, wie er gegenwärtig in einem Theile unserer fachwissenschaft lichen Zeitschriften geübt wird. Indess ich verlange [10] nicht die Nachsicht dieser Männer, ja ich habe nichts unterlassen, um selbst den Schein zu vermeiden, als ob ich die Nachsicht eines Schmoller wünschte. Welchen Grund könnte ich also haben, ihn zu fürchten?

Etwa, dass er mir Irrthümer nachweise? Ich wünschte diese Gefahr bestände, bestände im reich lichsten Masse; wie dankbar wollte ich ihm für jede Belehrung sein, wäre eine solche beemSchriftstellern seiner Art nur auch zu finden, beemeinem Schriftsteller, welchem ich Seite für Seite Missverständnisse nach weise, welche — doch ich möchte nicht in den Ton meines Gegners verfallen.

Oder soll ich davor zurückschrecken, dass Schmoller meine Ansichten entstellen, missdeuten werde? Ich gestehe, dass dergleichen einem Autor nicht eben zum Vergnügen gereicht. An erit, quemvelle recuset os populemmeruisse? Wie leicht wird durch solche „Berichterstattung“ dem Autor ein Theil des loyalen Erfolges ehrlicher Arbeit entzogen? Wie leicht? Ja wohl! Indess doch nur dann, wenn wir den Helden dieses Treibens das Feld überlassen und unser gutes Recht auf eine objektive Berichterstattung nicht gel tend machen.

Was ist der Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift, dass wir schweigend die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Forschung von ihm entstellen lassen sollten? Was anderes ist er, als ein Mann, der im Dienste der Wahrheit und der wissenschaftlichen Be dürfnisse des Leserkreises seiner Zeitschrift steht, ein Mann, welcher in dem Programme ehrliche und un befangene Berichterstattung zugesichert hat und gegen seine Pflicht handelt, wenn er, anstatt dieser seiner Zusicherung nachzukommen, die Wahrheit entstellt. Und gegen einen solchen sollte es kein Mittel der [11] Abwehr geben? Kein Mittel der Abwehr gegen den Missbrauch wissenschaftlicher Organe, deren Existenz die Gelehrtenwelt, und nur diese, durch ihre geistige und materielle Unterstützung ermöglicht?

Das Mittel ist ebenso einfach als wirksam. Es gilt, Entstellungen der Ergebnisse unserer wissenschaft lichen Untersuchungen nicht ruhig hinzunehmen, son dern dieselben zu constatiren. Thun wir dies in einer Reihe von Fällen, so wird das Lesepublikum sich ge wöhnen, nicht blindlings mehr der Berichterstattung gewisser Recensenten zu vertrauen, sondern zum min desten beembesonders auffälligen Behauptungen sich selbst die Ueberzeugung von der Stichhältigkeit der selben zu verschaffen suchen. Damit ist aber mit einem Schlage die Macht jener Männer gebrochen, welche an die Stelle objektiver Berichterstattung die Entstellung fremder Meinungen setzen. Thue nur jeder im obigen Sinne seine Pflicht und wir werden die Schmoller bald nicht mehr zu fürchten haben. Ja sie werden sich bald genöthigt sehen, entweder die kritische Feder niederzulegen, oder aber beemder Berichterstattung in Hinkunft in besonders gewissenhafter Weise zu Werke zu gehen. Ist nämlich einmal das Misstrauen gegen dergleichen Kritiker erwacht, dann bleibt ihnen, schon im eigenen Interesse, nichts übrig, als ganz be sonders gewissenhafte Berichte zu erstatten. Welche grausamere Strafe dieser Männer lässt sich aber denken, als wenn wir sie nöthigen, objektive Kritik zu üben?

[12]

Dritter Brief.

Sowohl der Geschichtsschreiber und Statistiker, als auch der Socialtheoretiker beschäftigen sich mit Gesellschaftserscheinungen; wodurch unterscheidet sich ihre wissenschaftliche Thätigkeit? Wodurch unter scheiden sich die historischen von den theoretischen Socialwissenschaften? Diese für die Wissenschaftslehre an sich bedeutungsvolle Frage hatte für mich eine be sondere Wichtigkeit gewonnen. In der neuern national ökonomischen Literatur Deutschlands waren, neben manchen andern Irrthümern, von welchen ich weiter unten zu handeln gedenke, Ansichten zu Tage getreten, welche auf dem Gebiete der Volkswirthschaft jede strengere Trennung von Geschichtsschreibung und Statistik einerseits und der Theorie andererseits ver missen liessen. Es war eine Schule von Volkswirthen entstanden, welche sich um die Geschichte und die Statistik der Volkswirthschaft von Niemand bereit williger, als von mir, anerkannte Verdienste erworben hatte, welche die obigen Wissenschaften und die theo retische Nationalökonomie indess vielfach mit einander verwechselte, ja, in Folge der Auffassung der letzteren als eine historische Wissenschaft, die selbstständige Bedeutung derselben geradezu in Frage stellte. [FN: *) Vgl. hiezu H. Dietzel: Ueber das Verhältniss der Volkswirthschaftslehre zur Socialwirthschaftslehre. Berlin 1882. S. 4 ff., 7 ff.]

[13]

Dieser für die Entwicklung der Theorie der Volkswirthschaft verderblich gewordenen Einseitigkeit entgegenzutreten, hatte ich mir zur Aufgabe gestellt. Nicht als ob ich den Nutzen und die Bedeutung historischer und statistischer Forschungen auf dem Gebiete der Volkswirthschaft an sich, oder als Hilfs wissenschaften der theoretischen Volkswirthschaftslehre jemals verkannt oder auch nur unterschätzt hätte; im Gegentheile, ich habe die Wichtigkeit dieser Richtungen des Erkenntnissstrebens auf nationalökonomischem Gebiete mit nicht misszuverstehender Rückhaltlosigkeit anerkannt. Was ich an den Bestrebungen jener grossen Gruppe deutscher Fachgenossen, welche unter dem Collectivnamen der historischen Schule deutscher Nationalökonomen eine so hervorragende Stellung in der neueren volkswirthschaftlichen Literatur Deutsch lands einnehmen, zu bemängeln fand, war die Einseitig keit, mit welcher dieselben ihre geistige Kraft zum Theile nur historischen und statistischen Studien, also der Bearbeitung von Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie, zuwenden, die einer Reform dringend be dürftige Theorie unserer Wissenschaft jedoch auf das Bedauerlichste vernachlässigen, zum Theile sogar der theoretischen Forschung auf dem Gebiete der Volks wirthschaft mit missverständlicher Geringschätzung entgegentreten, als wäre die historische Forschung allein berechtigt auf dem Gebiete der Volkswirthschaft.

Die historische Schule deutscher Volkswirthe gab auch in einer anderen verwandten Rücksicht zu mancherleemBedenken Anlass. Hervorragende Vertreter derselben liessen jede strengere Trennung der theoreti schen und praktischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft vermissen; nicht nur in den meisten neueren Lehrgebäuden unserer Wissenschaft, also in der Praxis [14] der Darstellung, auch in den grundlegenden methodi schen Erörterungen wurden nur zu oft die Grenzen der beiden obigen fundamental verschiedenen Richtungen der Forschung verkannt, ja diese Verirrung als ein epochemachender Fortschritt unserer Wissenschaft gekennzeichnet.

Noch in einer dritten Beziehung glaubte ich in den methodischen Grundsätzen der historischen Schule einen Irrthum zu erkennen. Selbst diejenigen Anhänger dieser Schule, welche die selbstständige Bedeutung der theoretischen Volkswirthschaftslehre nicht schlechtweg leugnen, also neben historisch-statistischen Studien und socialpolitischen Forschungen die Berechtigung einer Wissenschaft von den „Gesetzen“ der Volkswirthschaft zugestehen, selbst diese Anhänger der historischen Schule deutscher Volkswirthe schienen mir von grober Einseitigkeit in ihrer Auffassung der theoretischen Volkswirthschaftslehre nicht völlig freemzu sein, indem sie nicht allen dem Gebiete der Volkswirthschaft adäquaten, sondern nur gewissen mit historisch statistischen Studien in engerer Beziehung stehenden Richtungen der theoretischen Forschung (der Philoso phie der Wirthschaftsgeschichte u. s. f.) die Berechtigung zuerkannten [FN: *) Vgl. hiezu die sachgemässen Ausführungen von H. Dietzel a. a. O. S. 31 ff.], allen übrigen aber, darunter solchen von der fundamentalsten Bedeutung, mit unbegründeter Geringschätzung entgegentraten. [FN: **) „Beide Richtungen (die historische und die organische), besonders aber die historische, gewannen in Deutschland rasch Boden und heutzutage dominiren sie die deutsche Wissenschaft fast ganz. Die Art, in der sie ihre Herrschaft ausüben, ist, was man nicht läugnen kann, wenig duldsam. Jede von der herrschenden einigermassen abweichende Richtung der Forschung wird als „abstract“, „unhistorisch“ oder „atomistisch“ verurtheilt oder ignorirt.“ E. v. Böhm-Bawerk in der „Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegen wart“. Wien 1883, XI. B., S. 209.]

[15]

Die historische Schule deutscher Volkswirthe schien mir solcher Art den Begriff der politischen Oekonomie und ihrer Theile, das Verständniss des Verhältnisses dieser letzteren zu einander und zu ihren Hilfswissenschaften, vor Allem aber die Uebersicht über die verschiedenen berechtigten Richtungen der theore tischen Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaft — kurz den Einblick in das System der Aufgaben ver loren zu haben, deren Lösung der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaft ob liegt. Ein Theil ihrer Vertreter beschäftigte sich aus schliesslich mit der Geschichte und der Statistik der Volkswirthschaft, also mit Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie, während er doch, seemes nun mittelbar oder unmittelbar, an dem Ausbaue der letzteren zu arbeiten wähnte, ein anderer mit der Lösung prakti scher, zumal socialpolitischer Probleme, in der Meinung, die Theorie der Volkswirthschaft umzugestalten, noch ein anderer endlich erschöpfte seine geistige Kraft in der Verfolgung gewisser mit historisch-statistischen Studien in engster Beziehung stehenden besonderen Richtungen der theoretischen Forschung, jede andere Richtung des theoretischen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft als Missverständniss der wahren Ziele nationalökonomischer Forschung zu rückweisend.

Diese Verirrungen eines namhaften Theiles der deutschen Volkswirthe zu bekämpfen, erschien mir aber um so wichtiger, als die denselben zu Grunde liegende Verkennung wichtiger Aufgaben der politischen [16] Oekonomie in hohem Masse verderblich auf die Entwick lung unserer ganz vorzugsweise in ihrem theoretischen Theile reformbedürftigen Wissenschaft einwirken musste. Ich glaubte wahrzunehmen, dass in Deutschland die theoretische Forschung auf dem Gebiete der Volks wirthschaft in Folge der obigen Irrthümer, d. i. seit der Begründung der historischen Schule, überhaupt unterschätzt werde, in manchen Zweigen geradezu ausser Uebung gekommen sei, zum grossen Nachtheile unserer Wissenschaft.

Der Weg den ich zur Bekämpfung der obigen Einseitigkeiten und Irrthümer der historischen Schule einzuschlagen hatte, konnte für mich kein zweifelhafter sein. Der Irrthum der in Rede stehenden Gruppe deutscher Volkswirthe liegt in ihren Anschauungen über die Natur der politischen Oekonomie und ihrer Theile, über das Verhältniss dieser letzteren zu einander und zu gewissen Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie, endlich in ihren einseitigen Lehrmeinungen über die Natur des theoretischen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. So schwierig und umfassend auch die Untersuchung sich gestalten mochte: es musste die Natur der obigen Disciplinen und ihre Stellung im Kreise der Wissenschaften über haupt klargestellt werden, ehe ich die für die Ent wicklung der politischen Oekonomie verderblichen Irr thümer der historischen Schule zu widerlegen vermochte.

Es hiesse nun einen namhaften Theil meiner Erörterungen über diesen Gegenstand in einer über den Rahmen dieser Schrift hinausreichenden Weise wiederholen, wollte ich die obigen für die Forschung auf dem Gebiete der Socialwissenschaften überhaupt und der politischen Oekonomie insbesondere, grund legenden Fragen, an dieser Stelle neuerdings eingehend [17] behandeln. Was ich hier beabsichtige, ist, den An griffen zu begegnen, welche meine „Untersuchungen“ Seitens einiger namhafter Vertreter der historischen Schule deutscher Volkswirthe gefunden haben. Nur die letzten Ergebnisse meiner Forschung, und selbst diese nur insoweit, als sie Gegenstand der wissen schaftlichen Discussion geworden sind, mögen hier, in wenige Worte zusammengefasst, ihre Stelle finden.

Es sind die Thaten, Schicksale, Institutionen be stimmter Staaten und Völker, welche der Geschichts schreiber und Statistiker, der erstere unter dem Gesichtspunkte der Entwickelung, der letztere unter jenem der Zuständlichkeit zu erforschen und darzustellen haben; der Theoretiker auf dem Gebiete der Staats und Socialerscheinungen hat dagegen die Aufgabe, uns — nicht die concreten Erscheinungen und die concreten Entwickelungen, sondern — die „Erscheinungsformen“ und die „Gesetze“ der bezüglichen Menscheitsphäno mene zum Bewusstsein zu bringen; der Forscher auf dem Gebiete der praktischen Staats- und Social wissenschaften aber soll uns die „Grundsätze“ zum zweckmässigen Eingreifen in die staatlichen und gesell schaftlichen Zustände lehren, die Grundsätze, nach welchen gewisse Absichten, z. B. die Pflege der Volks wirthschaft, die Verwaltung des Staatshaushaltes u. s. f. am zweckmässigsten verwirklicht werden können.

In diesem Sinne sagte ich, dass der Geschichts schreiber und Statistiker die concreten Er scheinungen des Menschenlebens und ihre concreten Beziehungen in Raum und Zeit (der erstere unter dem Gesichtspunkte der Entwickelung, der letztere unter jenem der Zuständlichkeit!), der Theoretiker die Erscheinungsformen des Menschenlebens und die Ge setze der Erscheinungen des letzteren (die Typen und [18] die typischen Relationen der Menschheitserscheinungen), der Bearbeiter der praktischen Staats- und Social wissenschaften aber die Grundsätze zum zweckmässigen Handeln auf dem Gebiete der Staats- und der Gesell schaftserscheinungen zu erforschen und darzustellen habe.

Ich blieb beemdieser Classification und ihrer An wendung auf die Wirthschaftswissenschaften nicht stehen. Die hauptsächlichen Irrthümer der historischen Schule der deutschen Volkswirthe betreffen ihre Auf fassung vom Wesen der theoretischen Nationalökonomie, ihre einseitige Hinneigung zu einzelnen mit histo rischen Studien eng verbundenen Richtungen der theore tischen Forschung. Hatte ich mir die Aufgabe gestellt, in seinen Grundzügen zunächst das ganze System der Probleme darzulegen, welche der menschliche Geist auf dem Gebiete der Socialforschung überhaupt und der politischen Oekonomie insbesondere zu lösen hat, so trat an mich nunmehr die engere Aufgabe heran, das System der berechtigten Richtungen der theore tischen Forschung auf dem Gebiete der Volkswirth schaft festzustellen. In diesem Sinne habe ich ausge führt, dass es zweemHauptrichtungen der theoretischen Forschung gebe. Beide haben den Zweck, die Er scheinungsformen und die Gesetze der volkswirthschaft lichen Phänomene festzustellen. Die erstere (die empirische) soll die Erscheinungsformen der realen Phänomene der Volkswirthschaft „in ihrer vollen empi rischen Wirklichkeit“ und die zu beobachtenden Regel mässigkeiten in der Aufeinanderfolge und der Coëxistenz, (die „empirischen Gesetze“) der volkswirthschaftlichen Erscheinungen feststellen, während der anderen (der exacten Richtung der theoretischen Forschung), in einer den exacten Naturwissenschaften analogen, wenn [19] auch keineswegs identischen Weise, die Aufgabe zu fällt, die realen Erscheinungen der Volkswirthschaft auf ihre einfachsten streng typischen Elemente zurück zuführen und uns, auf der Grundlage des Isolirungs verfahrens, die (exacten) Gesetze darzulegen, nach welchen sich complicirtere Erscheinungen der Volks wirthschaft aus den obigen Elementen entwickeln, um uns auf diesem Wege, zwar nicht das Verständniss der socialen Erscheinungen in „ihrer vollen empi rischen Wirklichkeit“, wohl aber jenes der wirthschaftlichen Seite derselben zu verschaffen.

Dem Nachweise der von der historischen Schule deutscher Nationalökonomen eifrig bestrittenen Be rechtigung dieser letzteren Richtung des theoretischen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirth schaft habe ich aber meine besondere Sorgfalt zuge wandt.

Nun weiss ich sehr wohl, dass durch die Zu sammenfassung der Ergebnisse eines Theiles meiner Untersuchungen in so wenige Worte ich meinen Lesern nur ein höchst unvollkommenes Bild derselben zu bieten vermag. Liegt doch der hauptsächliche Werth wissen schaftlicher Ergebnisse in der genetischen Entwicklung und der methodischen Begründung derselben. Indess selbst die schematische Form, in welcher ich dieselben hier wiedergebe, wird, wie ich glaube, genügen, um meine Leser über den Werth der Angriffe zu orientiren, welche meine „Untersuchungen über die Methode der Forschung“ seitens eines Theiles der national-ökono mischen Kritik Deutschlands erfahren haben.

[20]

Vierter Brief.

Der Gegensatz zwischen den historischen und den theoretischen Socialwissenschaften, wie ich ihn in meinem letzten Briefe gekennzeichnet und in meinen „Untersuchungen über die Methode der Socialwissen schaften“ eines Weiteren ausgeführt habe [FN: *) S. 3 ff. und 252 ff.], wird von Schmoller nicht bestritten, sondern in seiner Weise anerkannt. Er gibt zu [FN: **) Jahrbuch a. a. O. S. 241.], dass die Scheidung der Er kenntnissrichtungen, von denen ich ausgehe — be rechtigt? — nein! — dieser Ausdruck fehlt offenbar in dem eigenthümlichen Recensenten-Argot Schmol ler’s — sondern „von einer gewissen Berechtigung sei“. „Aber dieser Gegensatz dürfe nicht als eine unüberbrückbare Kluft aufgefasst werden.“ „Die Wissenschaft vom Individuellen“ — Schmoller möchte „lieber sagen“, die descriptive Wissenschaft [FN: ***) Ich, für meine Person, möchte dies keineswegs „lieber sagen“. Die Botanik, die Zoologie, die Petrographie u. s. f. sind doch sicherlich keine Wissenschaften vom Individuellen und doch descriptive Wissenschaften. Ich habe nicht ohne triftigen Grund die alte Terminologie, welche die obigen Disciplinen zur „historia naturalis“, zu den „historischen Wissenschaften“ in ganz anderem, als dem modernen Verstande des Wortes zählt, verlassen und die historischen Wissenschaften im heutigen Sinne als die „Wissen schaften vom Individuellen“ bezeichnet. Schmoller miss versteht mich hier, wie an zahlreichen anderen Stellen, indem er mich zu berichtigen vermeint.] — „liefere die Vorarbeiten für die [21] allgemeine Theorie; diese Vorarbeiten seien um so voll endeter, als die Erscheinungen nach allen wesentlichen Merkmalen, Veränderungen, Ursachen und Folgen be schrieben seien. Die vollendete Beschreibung setze aber wieder eine vollendete Classification der Erscheinungen, eine vollendete Begriffsbildung, eine richtige Einreihung des Einzelnen unter die beobachteten Typen, eine völlige Uebersicht über die möglichen Ursachen voraus. Jede vollendete Beschreibung also seemein Beitrag zur Feststellung des generellen Wesens der be treffenden Wissenschaft.“

„Des generellen Wesens der betreffenden Wissen schaft!“ Was soll das heissen? Was ist „das generelle Wesen einer Wissenschaft“? Meint Schmoller viel leicht die Erkenntniss des Generellen, (der Erscheinungs formen!) auf irgend einem Gebiete der Forschung? Doch ich will ihm mit dergleichen Fragen nicht allzu lästig werden. Indess, was will überhaupt die obige Dar legung mit ihrer seltsamen Terminologie?

Wenn Schmoller in den obigen Ausführungen sagen wollte, dass historische Studien für den Theore tiker, und umgekehrt die Kenntniss der Theorie der Volkswirthschaft für den Historiker von Wichtigkeit seien und deshalb jeder Fortschritt auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung der Theorie, und umgekehrt [22] jeder Fortschritt der letzteren der Geschichtsschreibung zu Gute komme, so hat er Recht, vollkommen Recht, und es konnte nur die Frage entstehen, weshalb es Schmoller, eine so selbstverständliche Wahrheit in eine so unverständliche Sprache zu hüllen, beliebt? Schmoller wird doch nicht etwa seinen Lesern zu muthen, den obigen Satz, und wäre er in eine noch seltsamere Sprache gekleidet, für eine neue, erst noch zu beweisende Wahrheit zu nehmen, oder ihnen glauben machen wollen, dass mir dergleichen unbe kannt sei?

Ich habe (in meinen „Untersuchungen“) darauf hingewiesen, dass die theoretische Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaft in der Geschichte der letzteren eine höchst werthvolle empirische Grundlage finde, habe hervorgehoben [FN: *) A. a. O. S. 123.], dass eine höher ent wickelte Theorie der Wirthschaftserscheinungen ohne das Studium der Geschichte der Volkswirthschaft nicht denkbar sei, auch für die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft (die Volkswirthschaftspolitik und die Finanzwissenschaft) die Bedeutung des Ge schichtsstudiums in nicht misszuverstehender Weise betont. [FN: **) A. a. O. S. 187.] Ich habe ausdrücklich die historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft als Hilfs wissenschaften der politischen Oekonomie, und umge kehrt diese letztere als eine Hilfswissenschaft der ersteren bezeichnet. [FN: ***) Ebend. S. 18.]

Was will also Schmoller mit den obigen im Tone der Belehrung vorgetragenen Bemerkungen?

Was will er damit in einer Kritik meines Buches? [23] Doch wohl nur seinen Lesern die Meinung beibringen, dass mir die Trivialitäten, welche er in einer halb unverständlichen Sprache vorträgt, unbekannt seien? Er will mich über Dinge belehren, von denen ich um des Humors willen, welcher in gewissen Prätensionen der historischen Nationalökonomen liegt, nachgewiesen habe [FN: *) Ebend. S. 187.], dass sie seit Platon und Aristoteles von den Schriftstellern über „praktische Philosophie“ wieder holt wurden und wiederholt werden!

Indess selbst wenn die obigen Bemerkungen originell wären, wenn nicht die Patina von zweemJahr tausenden auf ihnen läge, was haben sie mit der Frage nach den Grenzen zwischen Geschichtsschreibung und Theorie auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu thun? Dass die Geschichte der Volkswirthschaft und nicht nur diese, sondern auch zahlreiche andere Disciplinen als Hilfswissenschaften der theoretischen National ökonomie bezeichnet werden können und jeder Fort schritt derselben demnach der theoretischen National ökonomie zu Gute komme, ja dass alle Wissenschaften in einem gewissen Zusammenhange stehen, wer wird dies leugnen, wer hat dies je geleugnet? Nur ein ganz unkundiger Beurtheiler vermöchte indess daraus den Schluss zu ziehen, dass zwischen den ein zelnen Wissenschaften überhaupt keine festen Grenzen bestehen und dass insbesondere die historischen Wissenschaften von der Volkswirth schaft und die theoretische Nationalökonomie miteinan der verwechselt werden dürfen. Und nur dagegen, gegen die Irrthümer, in welche unsere historischen National ökonomen in dieser Rücksicht verfallen sind, habe ich mich gewendet. [FN: **) Ebend. S. 11 ff.]

[24]

Keine unüberbrückbare Kluft trennt die Geschichte von der Theorie der Volkswirthschaft, so wenig als die Anatomie von der Physiologie, die Mathematik von der Physik und der Chemie; zwischen der theoretischen Nationalökonomie und der Geschichte der Volkswirth schaft, ja zwischen den Wissenschaften überhaupt besteht selbstverständlich keine so unüberbrückbare Kluft, wie etwa zwischen der transcendentalen Philosophie und einer dänischen Dogge; indess doch in jedem Falle eine ganzbestimmte Grenze, wie eine solche zwischen Wissenschaften eben zu bestehen vermag. Der Physio log verfolgt andere wissenschaftliche Ziele als der Anatom, auch wenn er sich für seine Zwecke mit den Ergebnissen der Anatomie beschäftigt, der Physiker andere Ziele als der Mathematiker, auch wenn er sich der Ergebnisse der Mathematik für seine Zwecke be dient, und das Ziel, welches sich der Bearbeiter der Theorie der Volkswirthschaft setzt, ist ein durchaus verschiedenes von jenem des Historikers auf dem Gebiete der Volkswirthschaft, auch wenn er für seinen Zweck historische Studien betreibt. „Es sind concrete Thaten, Schicksale, Institutionen etc. bestimmter Völker und Staaten, es sind concrete Culturentwicklungen und Zustände, deren Erforschung die Aufgabe der Geschichte, beziehungsweise der (historischen!) Statistik bildet, während die theoretischen Socialwissenschaften uns die Erscheinungsformen der socialen Phänomene und die Gesetze ihrer Aufeinanderfolge, Coëxistenz u. s. f. darzulegen die Aufgabe haben.“ [FN: *) „Untersuchungen“ S. 12 ff.]

Hier, in Rücksicht auf die Aufgaben und die Ziele der Forschung, bestehen jene strengen Grenzen zwischen den obigen Wissenschaften, welche nicht [25] verwischt werden dürfen, ohne der Verwirrung und dem flachsten Dilettantismus Thür und Thor zu öffnen. Was ich der historischen Schule deutscher National ökonomen zum Vorwurfe mache, ist nicht, dass sie die Geschichte der Volkswirthschaft als Hilfswissen schaft der politischen Oekonomie betreibt, sondern, dass ein Theil ihrer Anhänger über histori schen Studien die politische Oekonomie selbst aus dem Auge verloren hat.

[26]

Fünfter Brief.

Sie fragen mich, mein Freund, warum denn Schmoller eigentlich den selbstverständlichen Satz, dass die historischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft (die Geschichte und die Statistik der letztern) lediglich im Verhältnisse von Hilfswissenschaften zu der politischen Oekonomie stehen, nicht rückhaltlos zugebe, sein Bestreben vielmehr dahin gehe, die Grenzen zwischen den beiden obigen Wissensgebieten nach Möglichkeit zu verwirren? Die Erklärung hierfür, oder um mich der edlen Ausdrucksweise Schmoller’s zu bedienen, die Erklärung für seine Abneigung „gegen die Scheuleder wissenschaftlicher Arbeitstheilung“ liegt ziemlich nahe. Kein Vernünftiger leugnet die Wichtigkeit historischer Studien für die Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie. Niemand leugnet auch den Nutzen, welchen die Geschichte der Volkswirthschaft an sich für das Verständniss der volkswirthschaftlichen Erscheinungen hat. Indess dies vermag dem Herausgeber des Berliner Jahrbuches nicht zu genügen. Er will seine historisch-statistische Klein malereemweiter betreiben, und doch die Prätension nicht [27] aufgeben, für einen Bearbeiter der politischen Oekonomie und speciell der Theorie der Volkswirthschaft zu gelten, und deshalb sein Widerwille gegen die „Scheuleder wissenschaftlicher Arbeitstheilung“, in Wahrheit aber gegen jede sachgemässe Bestimmung der Grenzen zwischen Geschichte und Theorie der Volkswirthschaft, deshalb auch die von ihm zäh festgehaltene Meinung, dass die Geschichte der Volkswirthschaft der descriptive Theil der politischen Oekonomie sei[FN: *) Jahrbuch a. a. O. S. 241.], während sie doch überhaupt kein Theil der politischen Oekonomie, sondern eine Hilfswissenschaft der letzteren ist. Um über diese allerdings schwer überbrückbare Kluft zu gelangen, stellt er die Theorie von der keineswegs unüber brückbaren Kluft zwischen der Geschichtsschreibung und der Theorie auf dem Gebiete der Volkswirthschaft auf. „Der Gegensatz zwischen den obigen Wissenschaften darf nicht als eine unüberbrückbare Kluft aufgefasst werden.“ Die Frage nach den Grenzen zwischen den historischen und theoretischen Wissenschaften ist damit erledigt! so recht im Geiste Schmoller’s erledigt!

Bienheureux les Ecrivains — möchte ich hier mit Balzac ausrufen — que se contentent si facilement. Damit Schmoller seine historisch-statistische Mikro graphie ruhig fortsetzen könne, sollen historisch ge wordene, allgemein anerkannte wissenschaftliche Classifi cationen umgeworfen worden, damit er auch fürder hin sich seinen Strassburger historischen Spaziergängen ungestört widmen könne und doch für einen Bearbeiter der politischen Oekonomie gelte, sollen alle wissen schaftlichen Kategorien auf den Kopf gestellt werden! Wahrhaftig! das wäre der Mühe werth! Und darum noch einmal: Wer die Ergebnisse der Geschichtsforschung [28] für die Zwecke der Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie verwerthet, ist allerdings ein politischer Oekonom, wer aber die Geschichte der Volks wirthschaft selbst erforscht, ist in dieser seiner Function ein Geschichtsschreiber der Volkswirthschaft, ein wissen schaftlicher Historiker, nebenbeemgesagt, natürlich nur dann, wenn er mit den Quellen und der Technik der Geschichtsforschung genügend vertraut ist. So ist es, und so wird es hoffentlich bleiben, wenn auch darüber klar würde, dass Schmoller die Aufgabe der politi schen Oekonomie aus dem Grunde verkannt habe.

[29]

Sechster Brief.

Hätte Schmoller die fundamentale Verschieden heit der historischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft einerseits und der politischen Oekonomie andererseits, und insbesondere jene Verschiedenheit, welche zwischen den historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft und der theoretischen Volkswirthschaftslehre besteht, ohne Umschweife zuge standen und nicht vielmehr eine offenliegende Wahrheit durch allerhand Ausflüchte zu verdunkeln versucht, so würde sich allerdings auch dann noch eine Differenz zwischen meinen Ansichten über das Verhältniss der Geschichte zu der politischen Oekonomie und den seinen herausgestellt haben.

Dass die Geschichte und die Statistik der Volks wirthschaft zur politischen Oekonomie überhaupt und zu dem theoretischen Theile der letzteren insbesondere lediglich im Verhältnisse von Hilfswissenschaften stehen, von diesen letztern streng zu unterscheidende Wissen schaften seien, darüber vermag unter einigermassen sach kundigen Beurtheilern allerdings kein vernünftiger Zweifel zu bestehen; ebensowenig aber auch darüber, [30] dass die historischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft, nicht nur an und für sich, sondern auch in der obigen Rücksicht, das ist als Hilfswissen schaften der politischen Oekonomie von Wichtigkeit seien. Es gibt keine Hilfswissenschaft, deren Nutzbar machung für die Zwecke der Forschung auf dem Ge biete jener Disciplin, zu welcher sie sich in dem hier in Rede stehenden Verhältnisse befindet, nicht von einer gewissen Bedeutung wäre. Dies liegt schon in der An erkennung derselben als Hilfswissenschaft der betreffenden Disciplin. So wenig Jemand den Charakter der historischen Wissenschaften von der Volkswirth schaft als Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie zu leugnen vermag, so wenig wird er die Bedeutung derselben für die Forschung auf dem Gebiete dieser letztern in Abrede stellen können.

Eine wesentlich andere Frage ist jedoch die jenige nach dem relativen Masse der Berechtigung einzelner Richtungen der Forschung auf einem be stimmten Gebiete der Erscheinungswelt. Kein Ver nünftiger wird bezweifeln, dass in dieser Rücksicht die Möglichkeit der Unterschätzung, aber auch eine solche der Uebertreibung vorhanden sei.

Nun weiss ich sehr wohl, dass unter allen Auf gaben, welche die wissenschaftliche Discussion darbietet, keine schwieriger ist, als die richtigen Grenzen wissen schaftlicher Bestrebungen festzustellen. Alle Wissen schaft ist ihrer Idee nach unendlich; jede, wenn auch noch so einseitige Uebertreibung einer wissenschaftlichen Richtung hat ihren Nutzen und deshalb, von einem gewissen Standpunkte, ihre Berechtigung. Niemand fällt es demnach auch bei, zu behaupten, dass selbst die einseitigste Hingabe der Ver treter unserer Wissenschaft an historische [31] Studien für die Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie jedes wie immer gearteten mittelbaren Nutzens entbehre. All’ dies steht, wie gesagt, für keinen in der wissen schaftlichen Forschung auch nur einigermassen Er fahrenen in Frage.

Was dagegen nicht minder feststeht, ist der Umstand, dass die Zahl der Bearbeiter einer Wissen schaft in jedem Volke und in jedem Zeitalter eine begrenzte ist, und der Unendlichkeit wissenschaftlicher Aufgaben keine gleich unendliche Fähigkeit zur Lösung derselben gegenübersteht. Jede einseitige Ueber treibung einzelner, wenn auch berechtigter Richtun gen der Forschung ist demnach mit einer ebenso ein seitigen Vernachlässigung anderer gleichbedeutend, und in diesem Sinne müsste die nahezu ausschliessliche Hingabe vieler deutscher Volkswirthe an historische Forschungen unter allen Umständen, d. i. selbst dann als eine verderbliche Einseitigkeit betrachtet werden, wenn die „Geschichte der Volkswirthschaft“ in der That ein Theil der „politischen Oekonomie“ wäre; die selbe müsste auch unter der obigen Voraussetzung als eine Einseitigkeit, und zwar als eine verderbliche Einseitigkeit bezeichnet werden, weil sie mit einer ebenso einseitigen Vernachlässigung der theoretischen Forschung auf dem Gebiete unserer Wissenschaft noth wendig parallel läuft, während doch eben die theore tische Nationalökonomie, um ihres zurückgebliebenen Zustandes willen, dringend der Reform bedarf.

Nun ist aber die Geschichte der Volkswirthschaft kein Theil, sondern eine Hilfswissenschaft der politischen Oekonomie — eine nützliche, eine unent behrliche Hilfswissenschaft, indess doch nur eine Hilfs wissenschaft, und die nahezu ausschliessliche Hingabe [32] der gelehrten deutschen Volkswirthe an die Bear beitung derselben demnach eine so klar in die Augen fallende Einseitigkeit, dass es unbegreiflich ist, wie hier auch nur ein Gegensatz der Meinungen zu ent stehen vermochte.

Glauben Sie, dass nach dem hier Gesagten noch irgend ein vernünftiger Zweifel über meine Stellung zu der obigen Frage möglich sei? Für denjenigen, dem es um die Wahrheit zu thun ist, sicherlich nicht.

Lassen wir, mein Freund, indem wir die Ein seitigkeiten der historischen Schule deutscher Volks wirthe bekämpfen, unsere Gegner deshalb immerhin über Verkennung ihrer Verdienste auf dem Gebiete der Geschichtsforschung, ja darüber klagen, dass uns die Bedeutung der letztern für unsere Wissen schaft nicht klar sei; kein irgendwie besonnener und unbefangener Beurtheiler wird indess fürderhin darüber im Zweifel sein können, dass Schmoller durch der gleichen Behauptungen nur den eigentlichen Gegenstand der Discussion zu umgehen sucht.

Was ich bekämpfe, ist die obige Einseitigkeit der historischen Schule; wofür ich eintrete, die Wiedereinsetzung aller berechtigten Rich tungen menschlichen Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Nicht ich trage die „Scheuleder wissenschaftlicher Arbeitstheilung“. [FN: *) Vgl. meine Untersuchungen S. XVIII. ff.]

„Wer unbefangen, insbesondere nicht als Ver „treter einer einseitigen Richtung engagirt, Menger’s „Darlegung auf sich wirken lässt, wird aus derselben „die volle Würdigung der wechselseitigen [33] „Bedingtheit aller Forschungsrichtungen „als Ausfluss der Veranlagung unseres „Geistes entnommen haben.“ [FN: *) E. Sax, Das Wesen und die Aufgaben der Nat.-Oek. Wien, 1884. S. 32.]

Wer dagegen eben so unbefangenen Geistes Schmoller’s literarischer Thätigkeit folgt, wird aus dem halben Dutzend Schriften, das er bisher über die Entwicklung der Strassburger Gewerbsverhältnisse veröffentlicht hat, sicherlich nichts weniger, als den Eindruck der Universalität, gewonnen haben.

[34]

Siebenter Brief.

Nicht der wieder und immer wieder betonte mittelbare Nutzen historischer Studien für die Forschung und die Lehre auf dem Gebiete der politischen Oeko nomie, sondern die Verwechslung von Theorie und Ge schichtsschreibung, die einseitige Hingabe eines nicht geringen Theiles der deutschen Vertreter unserer Wissen schaft an die Bearbeitung einer Hilfswissenschaft dieser letzteren, ist, was ich in meinen „Untersuchungen“ bekämpft habe.

Was ist der Grund dieser Einseitigkeit? Wieso, fragen Sie mich, ist der obige, für die Entwicklung der politischen Oekonomie überhaupt, und des theoretischen Theiles dieser letzteren insbesondere, so verderblich gewordene Irrthum entstanden?

Ich will hier nicht ausschliesslich von Schmoller und den geistesverwandten Genossen dieses Autors sprechen. Ueber die speciellen Ursachen des Historismus dieser Schriftsteller habe ich mich bereits geäussert. Indess die hier angedeuteten Verhältnisse sind denn doch nur zufällige; eine so weit verbreitete Erscheinung, wie der Historismus auf dem Gebiete der deutschen Nationalökonomie, [35] kann nur das Ergebniss viel universellerer Ursachen sein. Die einseitige Ueberschätzung geschicht licher Studien Seitens eines Theiles unserer deutschen Volkswirthe wurzelt denn auch in der That in einer Reihe von Irrthümern über das Wesen der politischen Oekonomie und über das Verhältniss historischer Studien zu dieser letzteren, in einer Reihe falscher Grund auffassungen, welche unter unseren historischen Volks wirthen vorherrschen und beemflüchtiger Betrachtung allerdings geeignet sind, dem einseitigen Historismus in unserer Wissenschaft den Schein der Berechtigung zu verleihen.

Ich möchte hier vor allem der unter den deutschen Nationalökonomen weit verbreiteten Meinung gedenken, dass der Weg zu einer Reform der Politischen Oeko nomie, zum mindesten der nächste zu unter nehmende Schritt zu einer solchen, die Er forschung der Wirthschaftsgeschichte sei.

„Es ist“, schreibt Schmoller [FN: *) Jahrbuch, a. a. O. S. 241 ff.], „keineswegs eine Vernachlässigung der Theorie, sondern der nothwendige Unterbau für sie, wenn in einer Wissenschaft zeitweise überwiegend descriptiv verfahren wird … Dass durch solche Arbeiten zeitweise ein Theil der Kräfte ab gehalten wird, an der Theorie fortzuarbeiten, liegt im Wesen wissenschaftlicher Arbeitstheilung.“

Dass die Geschichte und die Statistik wichtige Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie und in diesem Sinne ein „Unterbau“ der letzteren seien, habe ich, wie ich hoffe, in mehr als genügendem Masse bereits hervorgehoben. Aus der Bedeutung der Geschichte und Statistik als Hilfswissenschaften der politischen [36] Oekonomie, und würde diese Bedeutung auch in noch so einseitiger Weise übertrieben, ergeben sich indess doch keineswegs die von Schmoller gezogenen Con sequenzen. Sind die historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft wichtige, ja unentbehrliche Hilfs wissenschaften für die theoretische Nationalökonomie, so kann daraus vernünftigerweise doch nur der Schluss gezogen werden, dass die Forschung auf dem Gebiete dieser letzteren die Ergebnisse der Geschichts forschung und der Statistik zu sammeln und für ihre Zwecke zu benützen habe. Es würde daraus folgen, dass die Bearbeiter der politischen Oekonomie das von den Historikern und Statistikern erforschte historische und statistische Material auf das eifrigste und sorg fältigste für ihre Zwecke — für die Feststellung der „Gesetze“ der volkswirthschaftlichen Erscheinungen u. s. f. — zu sammeln und zu verwerthen haben.

Nie wurde von den Historikern aller Völker der Culturgeschichte und der Cultur-Statistik überhaupt, und der Geschichte und Statistik der wirthschaftlichen Seite des Volkslebens insbesondere, eine grössere Auf merksamkeit zugewandt, als in unseren Tagen; nie war noch der Umfang des von den Theoretikern auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu bewältigenden historisch statistischen Materials ein grösserer, nie die Sachlage, selbst für jene Zweige der volkswirthschaftlichen Theorie, welche sich vorwiegend auf die Ergebnisse der Geschichte und der Statistik stützen, eine so günstige, als in der Gegenwart. Wahrlich, an historisch-statistischem Material für die theoretische Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaft fehlt es in unseren Tagen den Socialphilosophen weniger, als je, und zwar selbst jenen, welche die obengedachten Zweige der volkswirthschaft lichen Theorie cultiviren.

[37]

Darum ist es den historischen Volkswirthen von der strengen Observanz Schmoller’s indess keineswegs zu thun. Nicht die Nutzbarmachung der Ergebnisse historischer Forschung für die politische Oekonomie, sondern die historische Forschung selbst, insbesondere die historisch-statistische Kleinmalereemauf dem Gebiete der Volkswirthschaft ist, was die Geister der obigen Gruppe von Gelehrten gefangen hält, ohne dass sie doch auf den Anspruch verzichten wollen, für Bearbeiter der politischen Oekonomie zu gelten. Sie wollen von ihrer historischen Mikrographie nicht lassen — da gegen wäre nichts einzuwenden; — sie wollen nichts destoweniger für Bearbeiter der politischen Oekonomie, nicht für solche einer Hilfswissenschaft dieser letztern gelten — selbst dazu könnte man schweigen; — sie wollen aber überhaupt, oder doch für ungezählte Menschenalter die ausschliessliche, bezw. die nahezu ausschliessliche Herrschaft der Wirthschaftsgeschichte auf dem Gebiete der politischen Oekonomie, — dagegen muss sich jeder Besonnene verwahren!

Um den obigen vollständig unhaltbaren Stand punkt mit dem Scheine einer gewissen Berechtigung zu umgeben, müssen die Geschichte und Statistik der Volkswirthschaft zum descriptiven „Theile“ der politischen Oekonomie gestempelt werden, während sie in Wahrheit gar keine Theile, sondern nur Hilfs wissenschaften der letztern sind; zu demselben Zwecke muss an der Idee festgehalten werden, dass, zum mindesten zunächst, nur, oder doch vorwiegend an diesem „descriptiven Theile“ zu arbeiten sei.

„In der Zukunft — meint Schmoller — wird für die Nationalökonomie eine neue Epoche kommen, aber nur durch Verwerthung des ganzen historisch descriptiven und statistischen Materiales, das jetzt [38] geschaffen wird“; inzwischen „seemes keine Vernachlässigung der Theorie, sondern der nothwendige Unterbau für sie, wenn in unserer Wissenschaft überwiegend de scriptiv verfahren werde.“ [FN: *) Jahrbuch, a. a. O. S. 241 ff.]

Mit Recht protestiren A. Wagner und H. Dietzel „gegen diesen Wechsel mit etwas langer Verfallszeit“ [FN: **) Vgl. Hildebrand’s Jahrbücher, herausg. von J. Conrad, 1884, N. F., VIII. S. 109.] und eben so richtig bemerkt hierzu E. Sax [FN: ***) E. Sax, a. a. O., S. 3.], „dass es ein durchaus schiefer Gedanke sei, unserer Zeit den Beruf zur Gewinnung einer befriedigenden Theorie der Volkswirthschaft auf so lange abzusprechen, bis erst eine unabsehbare Zahl von Forschungen auf dem Ge biete der Wirthschaftsgeschichte vollbracht sein werde“. Nur scheint es mir, dass Sax immer noch viel zu optimistisch sei, wenn er den hierzu erforderlichen Zeitraum nach Menschenaltern berechnen will. Sollte die Wirthschaftsgeschichte, ehe wieder an die Bearbeitung der theoretischen Nationalökonomie ge schritten werden könne, im Geiste der historischen Mikrographie Schmoller’s vollendet werden — man denke nur an die Fleischpreise von Elberfeld! von Pforzheim! von Mühlheim! von Hildesheim! von Ger mersheim! von Zwickau! u. s. f. — so würden hierzu nur Aeonen ausreichen. Wie die Astronomen zur Berechnung ihrer gewaltigen Entfernungen den Be griff von Lichtjahren in ihre Wissenschaft einführen mussten: so würden wir Volkswirthe zum Mindesten nach Lebensaltern der Sonnensysteme zu rechnen be ginnen müssen, um auch nur einen annäherungsweisen Begriff von den Zeiträumen zu erhalten, die nöthig wären, um eine vollständige historisch-statistische [39] Grundlage für die theoretische Forschung im Sinne Schmoller’s zu gewinnen.

Dabei wäre noch zu berücksichtigen, dass das zu erforschende historische Material in Folge des Um standes, dass die Wirthschaftsgeschichte nicht still steht, sich unablässig erneuert, ja mit Rücksicht auf den Aufschwung der wirthschaftlichen Seite des Volks lebens sich in gewissem Sinne in quadratischem Ver hältnisse vermehrt, während die echte Schmoller’sche Geschichtsschreibung derselben doch bestenfalls kaum in arithmetischer Progression zu folgen vermöchte, und solcherart der abenteuerliche Gedanke Schmoller’s nur noch abenteuerlicher erscheint.

Doch wenn wir von der besonderen Form Schmoller’scher Geschichtsschreibung auf dem Ge biete der Volkswirthschaft auch absehen, so bleibt noch immer so viel Naivetät in dem obigen Gedanken, dass es schwer wird, denselben ernst zu nehmen. Der Gedanke Schmoller’s ist so unqualificirbar, als jener eines Historikers oder Statistikers, welcher seinen Fach genossen den Rath ertheilen würde, für ungemessene Zeit räume die historischen und statistischen Studien ruhen zu lassen und inzwischen ausschliesslich, oder doch vor wiegend, auf dem Gebiete der Socialphilosophie zu dilettantiren — u. zw. aus dem Grunde, weil die theoreti schen Socialwissenschaften wichtige Hilfswissenschaf ten der Geschichtsforschung, die Ergebnisse derselben jedoch noch mangelhafte seien! Nach Schmoller müsste eigentlich der gegenwärtige zurückgebliebene Zustand der Wissenschaften von der Volkswirthschaft für die Historiker und Statistiker eine Aufforderung sein, sich mit der Theorie, und für die Theoretiker sich mit Geschichte und Statistik zu befassen! Natürlich! Nur nicht auf dem eigenen Gebiete der Forschung [40] arbeiten! Dies ist viel zu commun, nebenbeemgesagt, auch viel zu mühselig und schwierig, während das Dilettantiren auf fremden Gebieten, eben so vornehm — als leicht ist. Nichts in der Welt ist bequemer als dies „ut aliquid fecisse videatur“ auf dem Gebiete einer Wissenschaft.

Und selbst dagegen würde sich kaum Jemand wenden, würde Schmoller nur nicht mit der merk würdigen Prätension auftreten, seine historische Mikro graphie sei, ob nun überhaupt, oder doch zunächst, die hauptsächlich berechtigte Richtung der Forschung — nicht etwa auf dem Gebiete der historischen Wissen schaften von der Volkswirthschaft, — selbst darüber liesse sich noch streiten — sondern auf dem Gebiete der politischen Oekonomie!

Schmoller hat — ich weiss nicht, aus welchem Grunde — offenbar keine Ahnung davon, wie viel auf dem Gebiete der politischen Oekonomie, selbst auf der Grund lage unserer heutigen Hilfsmittel, zu thun, und um wie viel wichtiger es für unsere Wissenschaft ist, dass das von den Historikern und Statistikern erforschte Material für die Zwecke der Theorie und der praktischen Wissen schaften von der Volkswirthschaft verwerthet, als dass über irgend welche Specialissima der Volkswirthschaft, etwa über die Strassburger Fleischpreise oder gewisse Tuchmacherzünfte, (Seitens der Vertreter unserer Wissenschaft!) neues Material zu Tage gefördert werde.

Glaubt übrigens Schmoller im Ernste, dass ein Theoretiker, welcher es mit seiner Aufgabe streng nimmt, sich um historische oder statistische Belehrung an die Ergebnisse seiner Forschung wenden werde? Ich will hier nicht davon sprechen, ob Schmoller’s wissenschaftliches Temperament der unbefangenen Ge schichtsforschung und objectiven Geschichtsdarstellung [41] besonders förderlich sei. Ja ich möchte seine historischen Arbeiten sogar in ihrer Art als recht schätzenswerth bezeichnen. Schmoller wird sich indess wohl selbst nicht dem Glauben hingeben, dass dieselben jene Bürg schaften der Verlässlichkeit gewähren, welche der Theoretiker von historischen und statistischen Arbeiten beansprucht, Bürgschaften, wie sie doch nur Historiker und Statistiker vom Fache zu bieten vermögen. Schmol ler’s historische und statistische Arbeiten sind jeden falls sehr wackere Leistungen; indess unser Lob des Autors könnte ein viel uneingeschränkteres sein, wenn diese Arbeiten von einem Handelskammer-Secretär, dem Redacteur einer Gewerbe-Zeitung, oder aber dem histo rischen Vereine irgend einer preussischen Provinzstadt herrühren würden. Historische und statistische Arbeiten von solcher Provenienz werden von den Theoretikern von vornherein mit jener Vorsicht benützt, welche den Bürgschaften ihrer Verlässlichkeit und der Sachkunde ihrer Urheber entspricht. Dass indess ein Professor der politischen Oekonomie auf Gebieten, deren Technik er nicht vollständig beherrscht, nahezu aus schliesslich dergleichen schätzenswerthe Arbeiten zu Tage fördert, ist jedenfalls eine ungewöhnliche Er scheinung; sie würde indess an das Lächerliche streifen, würde sich Schmoller, um der obigen Arbeiten willen, im Ernste für einen Geschichtsschreiber halten.

Wahrlich, das Beispiel Schmoller’s ist nicht so verlockend, dass irgend ein Vertreter der politischen Oekonomie hierdurch veranlasst werden könnte, das eigenste Gebiet wissenschaftlicher Forschung zu ver lassen, um sich dem Dilettantenthum auf dem Gebiete der Geschichtsschreibung zu widmen!

[42]

Achter Brief.

Ich würde glauben, die Einwürfe der historischen Schule gegen meinen Standpunkt in der Frage nach dem Verhältnisse der politischen Oekonomie zu den historischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft nicht zu erschöpfen, wenn ich nicht einer eigenthüm lichen Form des Historismus in unserer Wissenschaft gedächte, welche in nicht geringerem Masse, als die in meinem vorigen Schreiben gekennzeichnete, zur Ueber schätzung historischer Studien und zur einseitigen Hingabe der deutschen Volkswirthe an diese letzteren beigetragen hat: ich meine die unter den deutschen Volkswirthen weit verbreitete Ansicht, dass die Geschichte die ausschliessliche empirische Grundlage, sowohl der theoretischen Volks wirthschaftslehre, als auch der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft sei. Die Irrthümlichkeit dieser Ansicht, sowohl rück sichtlich der theoretischen Volkswirthschaftslehre, als auch der praktischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft, klar zu stellen, scheint mir aber um so wichtiger, als die in Rede stehende Lehrmeinung für die ganze Stellung der historischen Volkswirthe zu den Fragen der Methodik unserer Wissenschaft von ent scheidender Bedeutung ist.

[43]

Die Anhänger der obigen Meinung scheinen mir — um zunächst von dem Historismus in der theoretischen Nationalökonomie zu sprechen — vor Allem zu übersehen, dass neben der Geschichte auch die gemeine Lebenserfahrung (die Kenntniss der Motive, der Ziele, der den Erfolg bestimmenden Um stände und der Erfolge individualwirthschaftlicher Thätigkeit) eine nothwendige Grundlage der theoreti schen Volkswirthschaftslehre sei. Die complicirten Er scheinungen der Volkswirthschaft sind vorwiegend das Ergebniss des Contactes individualwirthschaftlicher Bestrebungen [FN: *) Untersuchungen, S. 232 ff.], das Verständniss dieser letzteren und ihrer Wechselbeziehungen ist somit die noth wendige Voraussetzung jenes der ersteren. Die Ge schichte der Volkswirthschaft bietet uns aber nicht die Kenntniss der individualwirthschaftlichen Vorgänge [FN: **) Die theoretische Volkswirthschaftslehre hat nicht nur das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang jener Erscheinungen der menschlichen Wirthschaft zu erforschen, welche, wie beispielsweise die Marktpreise, die Wechsel- und Effectencurse, die Geldwährung, die Banknoten, die Handels krisen u. s. f. Erscheinungen der „Volkswirthschaft“, die Resultante des Contactes der durch den Güterverkehr zu einer höheren Einheit verbundenen Individualwirthschaften, beziehungsweise der auf die Pflege dieses Organismus von Individualwirthschaften gerichteten staatlichen Thätigkeit sind (S. 233 ff. meiner Untersuchungen), sondern auch das Wesen der Singularerscheinungen der menschlichen Wirthschaft und ihren Zusammenhang mit den Erscheinungen der „Volkswirthschaft“ in dem obigen Verstande des Wortes. Die Volkswirthschaftslehre hat uns z. B. auch das Wesen „der individuellen Bedürfnisse“, das Wesen der „Güter“, ja selbst das Wesen solcher Wirthschafts Phänomene darzulegen, welche, wie z. B. der „Gebrauchswerth“, durchaus subjectiver Natur, lediglich im Individuum real sind. Wie vermöchte sie die Erkenntniss des Wesens dieser Erscheinungen und ihres Zusammenhanges mit den Phänomenen der „Volkswirthschaft“ ausschliesslich aus der Geschichte zu schöpfen? Die Meinung, die Geschichte seemdie ausschliessliche empirische Grundlage der Socialwissenschaften, ist eine in die Augen fallende Einseitigkeit. (Vgl. S. 121 ff. meiner Unter suchungen.)] [44] zumal ihrer psychologischen Motivirung, ja sie vermag uns, aus Gründen, deren ich an anderer Stelle in aus führlicher Weise gedacht habe, eine solche gar nicht zu gewähren.[FN: *) Ebend. S. 122.] Nur wer das Wesen der Geschichts schreibung völlig verkennt, vermag die Geschichte als die ausschliessliche empirische Grundlage der theoreti schen Nationalökonomie zu bezeichnen.

Noch viel weniger kann die Geschichte als die ausschliessliche empirische Grundlage der prakti schen Wissenschaften von der Volks wirthschaft bezeichnet werden; es ist vielmehr von selbst einleuchtend, dass eine auch noch so gründ liche Kenntniss der Vergangenheit der Völker an und für sich uns nicht zu befähigen vermöchte, die Grund sätze zum zweckmässigen Eingreifen in die Volks wirthschaft, zum zweckmässigen Handeln auf dem Ge biete dieser letztern festzustellen. Das wirthschaftliche Leben der Völker fördert unablässig neue Aufgaben der Volkswirthschaftspflege und der Finanzverwaltung zu Tage, deren Lösung doch nicht ausschliesslich auf Grundlage des Studiums der Vergangenheit, sondern lediglich auf der Grundlage einer weit über blos histo risches und statistisches Wissen hinausreichenden Er kenntniss der jeweiligen Exigenzen des Staatslebens, der wechselnden Auffassung von den Aufgaben staat licher Thätigkeit, des Standes der technischen [45] Wissenschaften u. s. f. gelöst zu werden vermag. Der Histo riker, „der rückwärts gekehrte Prophet“, kann nicht der allein Massgebende auf dem Gebiete der praktischen Wirthschafts-Wissenschaften sein. Der Historismus im obigen Sinne ist auch in Rücksicht auf die Volkswirth schaftspolitik und die Finanzwissenschaft eine augen fällige Einseitigkeit. Derselbe ist beemeiner einiger massen den Anforderungen des Lebens an die Wissen schaft entsprechenden Auffassung der Theorie der Volks wirthschaft und der praktischen Wirthschafts-Wissen schaften überhaupt ganz unhaltbar und nur aus den Irrthümern unserer historischen Volkswirthe über das Wesen und die Aufgaben der politischen Oekonomie erklärlich.

Wer in der theoretischen Volkswirth schaftslehre, gleich den hier in Rede stehenden Volkswirthen, eine „Wissenschaft von den Parallelismen der Wirthschaftsgeschichte“, wer in den praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft lediglich eine systematische Darstellung der von den hauptsächlichen Culturvölkern in der Vergangenheit angestrebten wirth schaftlichen Ziele, der zur Erreichung derselben in der Vergangenheit ergriffenen Massregeln und der hier erzielten Erfolge erkennt: vermag in der obigen Rück sicht allerdings in historischen Studien sein Genügen zu finden. Wer in den hier gekennzeichneten Bestre bungen unserer historischen Volkswirthe dagegen nur besondere, wenn auch in hohem Grade schätzbare Zweige der Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie, wer in der theoretischen Volkswirthschafts lehre: die Wissenschaft von den Erscheinungsformen und den Gesetzen der volkswirthschaftlichen Phäno mene; in den praktischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft: die Wissenschaften von den Grundsätzen [46] zur zweckmässigen Pflege der Volkswirthschaft, be ziehungsweise zur zweckmässigen Regelung des Staats haushaltes erkennt, wird die Geschichte und die Sta tistik der Volkswirthschaft zwar als wichtige Hilfs wissenschaften, niemals aber als die ausschliessliche empirische Grundlage der Forschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie zu bezeichnen vermögen.

Indem unsere historischen, zumal unsere neu historischen Volkswirthe sich nahezu ausschliesslich historischen Studien hingeben, verfallen sie demnach nicht nur in die Einseitigkeit, an Stelle jener Wissen schaft, deren Bearbeitung ihnen zunächst obliegt, eine Hilfswissenschaft derselben zu setzen, d. i. anstatt die „Gesetze der Volkswirthschaft“ und die „Grund sätze zum zweckmässigen Handeln auf dem Gebiete der Volkswirthschaft“ zu erforschen, empirisches Material zur Feststellung der obigen wissenschaftlichen Wahr heiten festzustellen; ihre Einseitigkeit ist vielmehr eine ungleich grössere. Sie beschäftigen sich nur mit Einer von den zahlreichen Hilfswissenschaften der politischen Oekonomie und zwar noch überdies mit einer solchen, welche uns nur einen Theil des zur Feststellung der Wahrheiten dieser letzteren nöthigen empirischen Materials darzubieten vermag, während sie doch die politische Oekonomie selbst zu bearbeiten wähnen.

Die obige Ansicht ist jener des Kärrners ver gleichbar, welcher für den Architekten gelten wollte, weil er einige Karren Steine und Sand zum Bauwerke geführt hatte.

[47]

Neunter Brief.

Glauben Sie übrigens ja nicht, mein Freund, dass die Meinung, die Geschichte seemdie ausschliessliche empirische Grundlage der politischen Oekonomie, der letzte Trumpf sei, welchen der Historismus in unserer Wissenschaft ausgespielt hat. Wie jede Einseitigkeit bis in ihre äusserste Consequenz verfolgt werden, sich gleichsam ausleben muss, um endlich als solche all gemein erkannt zu werden, so ist auch der Historismus auf dem Gebiete der politischen Oekonomie beemder obigen Auffassung nicht stehen geblieben. Hat doch ein Theil unserer historischen Volkswirthe die Idee theoretischer und praktischer Wissenschaften von der Volkswirthschaft überhaupt preisgegeben, um in histo rischen Darstellungen die einzig berechtigte Aufgabe der Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu erkennen. Indess selbst jene, welche an der Idee theoretischer und praktischer Wissenschaften auf dem obigen Gebiete von Erscheinungen mit grösserer oder geringerer Consequenz festhalten, haben es verstanden, den Historismus in der politischen Oekonomie noch einen Schritt über den vorhin gekennzeichneten Stand punkt zu führen.

[48]

Wer die Ergebnisse der historischen Forschung als die ausschliessliche empirische Grundlage der theo retischen Nationalökonomie und der praktischen Wissen schaften von der Volkswirthschaft auffasst, verkennt die Bedeutung aller übrigen empirischen, überdies aber jene der rationellen Grundlagen der theoretischen und praktischen Richtung des Erkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Er wird in den „Gesetzen der volkswirthschaftlichen Erscheinungen“ lediglich „Entwickelungsgesetze“, „Parallelismen der Wirth schaftsgeschichte“; in der theoretischen National ökonomie, nicht eine Wissenschaft von den „Gesetzen der volkswirthschaftlichen Erscheinungen“, sondern eine Wissenschaft dieser „Parallelismen der Wirthschafts geschichte“ erkennen; er wird durch die obige ein seitige Auffassung dazu geführt werden, die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft, nicht als Darstellungen der Grundsätze zum zweckmässigen, der Besonderheit der Verhältnisse angemesssenen Handeln auf dem Gebiete der Volkswirthschaft, sondern ledig lich als Darstellungen der Wirthschaftsgeschichte ent lehnter Erfahrungen über die Ziele, die Massregeln und Erfolge der Wirthschaftspolitik und der Finanzver waltung, zu betrachten u. dgl. m.

So einseitig sein Standpunkt in Folge der obigen Auffassungen aber auch sein mag, er wird doch, weder die Existenz von „Gesetzen“ der Erscheinungen, noch aber auch von „Grundsätzen zum zweckmässigen Han deln“ auf dem Gebiete der Volkswirthschaft überhaupt leugnen. Die Geschichte und die Statistik werden auch für ihn nur die empirische Grundlage sein, auf welcher die, wenn auch noch so einseitig aufgefassten Wahrheiten der theoretischen Nationalökonomie und der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft [49] erst noch erforscht werden müssen. Die theoretischen und praktischen Erkenntnisse werden, auch noch nach dieser Auffassung, ein von dem historisch-statistischen Material, auf dessen Grundlage sie gewonnen werden sollen, Verschiedenes sein.

Selbst diese Ansicht vom Wesen unserer Wissen schaft scheint dem einseitigen Historismus einer Reihe deutscher Volkswirthe indess nicht genügt zu haben. Dieselben stellen vielmehr als Postulat der Forschung den Grundsatz auf, dass auch in der politischen Oeko nomie, u. zw. sowohl in dem theoretischen als auch in den praktischen Theilen derselben, eigentlich „die Geschichte für sich selbst zu sprechen habe,“ an die Stelle von Gesetzen der volkswirthschaftlichen Erscheinungen und an die Stelle von Grund sätzen zur zweckmässigen Förderung der Volkswirthschaft, beziehungsweise zur zweckmässigen Einrichtung des Staatshaus haltes, ein nach gewissen Kategorien geordnetes historisch-statistisches Ma terial treten solle. Wenn Schmoller verlangt, dass die „Nationalökonomie wesentlich descriptiv verfahren, und dem Studirenden ein concretes individuelles Bild, aber geordnet nach Begriffen, Typen und Relationen etc., specialisirt bis zur Verfolgung in das Einzelne der Er scheinungen und Ursachen“ bieten solle [FN: *) Jahrbuch, a. a. O. S. 246.], so documentirt er sich hier lediglich als einen Vertreter dieser äusser sten, mit der Idee der politischen Oekonomie noch ver einbarlichen Form des Historismus, als Vertreter einer Ansicht, welche, an die Stelle der Theorie und der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft, „wesentlich“ ein nach gewissen wissenschaftlichen [50] Kategorien geordnetes historisch-statistisches Material setzen möchte, — ohne Zweifel so ziemlich der niedrigste Stand punkt, auf den eine Socialwissenschaft gestellt zu werden vermag.

Was war der Gang der Entwicklung in der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie?

Theorie! — Theorie verbrämt mit historisch-stati stischen Notizen und durchbrochen von historischen Excursen! — Blosse Notizen und historische Excurse mit dem Anspruche, für eine Theorie zu gelten!

Ein weiterer „Fortschritt“ in dieser Richtung ist allerdings schwer möglich.

[51]

Zehnter Brief.

Auch meine Ausführungen über das Verhält niss der theoretischen Nationalökonomie zu den praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft haben Schmoller’s Zustim mung nicht zu finden vermocht. Ich hatte die theore tische Nationalökonomie als die Wissenschaft gekenn zeichnet, welche das generelle Wesen (die Erscheinungs formen!) und den generellen Zusammenhang (die Regel mässigkeiten in der Coëxistenz und der Aufeinander folge — die Gesetze!) der volkswirthschaftlichen Phäno mene zu erforschen und darzustellen habe; die Volks wirthschaftspolitik und die Finanzwissenschaft aber als die Wissenschaften von den Grundsätzen, den Maximen, nach welchen, je nach der Besonderheit der Verhält nisse, die Volkswirthschaft am zweckmässigsten ge fördert, beziehungsweise der Staatshaushalt am zweck mässigsten eingerichtet werden könne.[FN: *) Untersuchungen, S. 9 und 245 ff.] Das Ver hältniss zwischen der ersteren und den beiden [52] letztgenannten Wissenschaften bezeichnete ich der näheren Erklärung willen aber als ein solches, wie etwa jenes der Anatomie und Physiologie zur Chirurgie und Therapie. [FN: *) A. a. O. S. 246.] Die theoretische Volkswirthschaftslehre seemin ähnlicher Weise die theoretische Grundlage der prak tischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft, wie die Anatomie und die Physiologie die theoretische Grund lage jener Wissenschaften, welche uns die Grundsätze und Vorgangsweisen zum zweckmässigen Eingreifen in den menschlichen Organismus lehren.

Ich glaubte nach dem Gesagten mich für Alle, für welche wissenschaftliche Werke überhaupt ge schrieben sind, verständlich genug ausgedrückt zu haben. Zum Ueberflusse fügte ich indess zu den obigen Ausführungen noch die Bemerkung hinzu, dass die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft selbst wieder praktischer Anwendung fähig seien, und die obigen Wissenschaften und die Praxis der Volkswirth schaftspolitiker und der Finanzmänner desshalb nicht verwechselt werden dürfen, zwischen welchen vielmehr der nämliche Unterschied bestehe, wie etwa zwischen der Chirurgie und der Therapie, (welche ja auch praktische Wissenschaften seien!) und der Praxis wissenschaft lich gebildeter Aerzte, oder wie zwischen der chemi schen und der mechanischen Technologie und der Thätig keit der praktischen Chemiker und Mechaniker. [FN: **) Ebend., S. 245 ff.]

Hören wir nun, was Schmoller gegen diese Ausführungen zu bemerken hat.

Derselbe schreibt wörtlich: „Gewiss wollen diese Disciplinen (die Volkswirthschaftspolitik und die Finanz wissenschaft), so wie sie gewöhnlich vorgetragen werden [53] und in älteren Lehrbüchern be- und misshandelt werden, zugleich praktische Anweisungen sein; die älteren theil weise noch gebrauchten Bücher waren nichts als social politische, verwaltungsrechtliche und finanzwissen schaftliche Receptsammlungen. Aber es ist ein Fort schritt der neueren Zeit, dass sie darüber hinaus ge kommen ist; gerade Roscher’s zweiter und dritter Band, Stein’s und Wagner’s Finanzwissenschaft repräsentiren die gelungensten Versuche diese Disci plinen (die Volkswirthschaftspolitik und die Finanz wissenschaft!) zum Range von theoretischen Wissenschaften zu erheben.“ [FN: *) Jahrbuch, a. a. O. S. 245.]

Schmoller hält es somit für einen Mangel der Volkswirthschaftspolitik und der Finanzwissen schaft, für eine Misshandlung dieser Wissenschaften, wenn sie, wie dies in älteren Lehrbüchern thatsächlich der Fall sei, „zugleich praktische Anweisungen sein wollen“? Was soll, mit Verlaub, eine praktische Wissen schaft [FN: **) Ich bezeichne die praktischen Wissenschaften an zahlreichen Stellen als sogenannte Kunstlehren und glaube mich demnach auch hier für Jedermann, der mich verstehen will, verständlich genug ausgedrückt zu haben.] denn überhaupt anders, als eine praktische Anweisung im obigen Sinne „sein wollen“? Es gibt keine praktische Wissenschaft, welche an sich etwas anderes, als eine praktische Anweisung in dem obigen Verstande des Wortes ist, und die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft machen hiervon selbstver ständlich keine Ausnahme. Sie sollen uns, nicht nur „zugleich“, sondern überhaupt die Grundsätze zum zweckmässigen der Verschiedenheit der Verhält nisse entsprechenden Handeln auf dem Gebiete der [54] Volkswirthschaft lehren. Worin soll also die Miss handlung der praktischen Wirthschaftswissenschaften in den „älteren Büchern“ bestehen? Nur in den Augen eines Gelehrten, in dessen Geiste eine vollständige Verwirrung über das Wesen der politischen Oekonomie und ihrer Theile herrscht, kann das Streben, die natür lichen und nächsten Aufgaben der praktischen Wissen schaften von der Volkswirthschaft zu lösen, als eine Misshandlung dieser Wissenschaften erscheinen.

Freilich! Schmoller vermag, wie aus seinen Erörterungen hervorgeht, die praktischen Wissenschaf ten im herrschenden Sinne des Wortes „der Haupt sache nach“ nur als Receptsammlungen zu denken; „die älteren theilweise noch gebrauchten Bücher wären, meint Schmoller, sogar nichts anderes, als social politische, verwaltungsrechtliche und finanzwissen schaftliche Receptsammlungen gewesen“.

Eine Wissenschaft, welche uns die Grundsätze, die Maximen, zum zweckmässigen der Verschieden heit der Verhältnisse entsprechenden Handeln lehrt, ist also eine praktische Anweisung im Sinne einer Receptsammlung? Schmoller kann eine Wissen schaft von den Grundsätzen zur zweckmässigen der Verschiedenheit örtlicher und zeitlicher Verhält nisse entsprechenden Pflege der Volkswirthschaft, oder von eben solchen Grundsätzen zur zweckmässigen Einrichtung des Staatshaushaltes, nur als eine volks wirthschaftliche Receptsammlung denken? Die Chirurgie und die Therapie sind praktische Wissenschaften, folglich Receptsammlungen? Die Technologie ist eine Receptsammlung?

Und die älteren theilweise noch gebrauchten Bücher über Volkswirthschaft und Finanzwissenschaft bis auf Roscher, Wagner und Stein waren nichts [55] als socialpolitische, verwaltungsrechtliche und finanz wissenschaftliche Receptsammlungen?

Wie profund muss die Einsicht eines Autors in das Wesen der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft und seine Kenntniss der bezüglichen Literatur sein, damit eine solche Auffassung möglich werde!

[56]

Eilfter Brief.

Damit die Volkswirthschaftspolitik und die Finanz wissenschaft fürderhin keine Receptsammlungen seien, verlangt Schmoller, „dass man diese Disciplinen zum Range von theoretischen Wissenschaften erhebe“, d. i. in seinem Sinne, zu theoretischen Wissen schaften umgestalte; ja „Roscher’s 2. und 3. Band, Stein’s und Wagner’s Finanzwissenschaft seien be reits gelungene Versuche, diese Disciplinen zum Range von theoretischen Wissenschaften zu erheben“.

Ich möchte vor allen meinen, dass sämmtliche Wissenschaften, ob sie nun theoretische oder praktische sind, den gleichen Rang aufweisen, die letzteren keinen geringeren, als die ersteren. Die Chirurgie und die The rapie, die mechanische und die chemische Technologie, die Volkswirthschaftspolitik und die Finanzwissenschaft stellen an den Forscherfleiss und das Genie ihrer Be arbeiter andere, indess sicherlich keine geringeren An forderungen, als die theoretischen Wissenschaften; sie stehen nur in der Phantasie Schmoller’s den ihnen entsprechenden theoretischen Wissenschaften „im Range“ nach. Ein Tschin der Wissenschaften im Sinne Schmoller’s [57] existirt überhaupt nicht; die praktischen Wissen schaften bedürfen der „Erhebung“ zu Theorien nicht.

Die Wissenschaften unterscheiden sich — was Schmoller zu übersehen scheint — nicht durch ihren „Rang“, sondern durch die Aufgaben, die sie zu lösen haben. Die theoretischen Wissenschaften haben das generelle Wesen (die Erscheinungsformen!) und die Regelmässigkeiten in der Coëxistenz und in der Auf einanderfolge (die Gesetze!) der Erscheinungen, die praktischen Wissenschaften dagegen die Grundsätze zum zweckmässigen Handeln, zum zweckmässigen Eingreifen in die Erscheinungen, zu erforschen und darzustellen. Hierin, in der Verschiedenheit der Aufgaben liegt der Unterschied zwischen den theoretischen und praktischen Wissenschaften und die Erhebung der letzteren zu den ersteren ist ein Gedanke ungefähr von der näm lichen Tiefe, als ob in der Baukunst die „Erhebung“ des Fundamentes zur Façade, oder gar des Capitäls einer Säule zum Piedestal derselben angestrebt, und als eine epochemachende Umwälzung auf dem Gebiete der Architektur hingestellt werden würde. So sinnlos es wäre, die Chirurgie und die Therapie zur Anatomie und Physiologie, die chemische und die mechanische Techno logie zur Chemie und Mechanik „erheben“ zu wollen, so wenig kann vernünftigerweise von einer Erhebung der praktischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft zu einer Theorie der volkswirthschaft lichen Erscheinungen die Rede sein.

Jede Wissenschaft kann allerdings in einem ge wissen Sinne erhoben, d. i. vervollkommnet werden, aber nicht etwa, wie Schmoller sich dies vorstellt, da durch, dass wir derselben ihrer Natur widersprechende, anderen Wissenschaften obliegende Aufgaben zuweisen, sondern, indem wir die jeder Wissenschaft [58] eigenthümlichen Aufgaben in so vollkommener Weise, als dies der Zustand menschlicher Erkenntniss jeweilig zulässt, zu lösen unternehmen. Dies gilt selbstver ständlich auch von den praktischen Wissenschaften. Auch diese sind unbegrenzter Vervollkommnung fähig, aber sicherlich nicht auf dem von Schmoller ge planten Wege, indem wir dieselben zu theoretischen Wissenschaften umgestalten. Damit die praktischen Wissenschaften keine Receptsammlungen seien, muss man dieselben, wie ich dies ausführlich dargelegt habe [FN: *) Untersuchungen, S. 257.], auf die theoretischen Wissenschaften begründen: die Chirurgie und die Therapie auf die Anatomie und die Physiologie, und zwar nicht nur auf diese, sondern, wie ich gezeigt habe, zugleich auf die Physik, die Mechanik, die Chemie u. s. f.; die mechanische und die chemische Technologie auf die Mechanik und die Chemie, indess nicht nur auf diese, sondern ebenso wohl auf die Physik, die Mathematik u. s. f.; und end lich die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft (die Volkswirthschaftspolitik und die Finanzwissenschaft!) in erster Reihe auf die theoretische Volkswirthschaftslehre, — indess nicht nur auf diese, sondern auf alle jene theoretischen Wissenschaften, deren Kenntniss zur Feststellung der Grundsätze zum zweckmässigen Handeln auf dem Ge biete der Volkswirthschaft erforderlich ist.

So beschaffene praktische Wissenschaften haben ihren „Rang“ im Kreise der Wissenschaften durch sich selbst — sie bedürfen nicht einer anderen, als der eben dargestellten „Erhebung“, am wenigsten der Schmoller’schen zu theoretischen Wissenschaften.

Schmoller gehört zu jenen Gelehrten, welche [59] eine unüberwindliche Abneigung gegen die Behandlung aller aus der Natur der einzelnen Wissenschaften sich ergebenden Probleme haben. Keine Wissenschaft ist ihm in dieser Rücksicht gut genug. Er möchte die Theorie der Volkswirthschaft zu einer historischen, die praktische Volkswirthschaftslehre zu einer theore tischen Wissenschaft erheben. Wäre er ein Historiker vom Fache, er würde die Geschichte zu einer „Natur wissenschaft“, wäre er ein Therapeutiker, er würde seine Disciplin zu einer „Physiologie“, betriebe er die Botanik, er würde dieselbe ohne Zweifel zu einer „Zoologie des Pflanzenreiches“ zu „erheben“ suchen.

Er ist das Prototyp der „problematischen Natur“ auf dem Gebiete der Wissenschaft.

[60]

Zwölfter Brief.

Sie werden, mein Freund, nach dem Gesagten, sicherlich nicht wenig neugierig sein, zu erfahren, wie Schmoller sich eigentlich die Erhebung der prak tischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft zum Range von theoretischen denkt. Lassen wir ihn selbst uns hierüber belehren. Derselbe schreibt wörtlich Folgendes:

„Die praktische Nationalökonomie „kann das Gewand der Kunstlehre voll „ständig abstreifen, wenn sie die specielle Ent „wicklung der deutschen, eventuell dieser und der „französisch-englischen Volkswirthschaft der letzten „Jahrhunderte nach der Seite der Agrar-, Gewerbe „und Handelspolitik, nach Ursachen und Folgen im „Einzelnen darlegt. Sie beschränkt sich dann darauf, „wesentlich descriptiv zu verfahren, ist aber so viel „leicht ein ebenso gutes oder besseres Erziehungs „oder Unterrichtsmittel für künftige Beamte, als wenn „sie blos Kunstlehre sein will, d. h. wenn sie „freihändlerische oder staatssocialistische „Rathschläge ertheilt.“ [FN: *) Jahrbuch, S. 245 ff.]

Beachten Sie, mein Freund, die köstliche Logik, [61] welche in dem Schlusssatze dieser Ausführungen liegt. Doch davon nur im Vorübergehen. Untersuchen wir die Modalitäten, unter welchen Schmoller, ein mo derner Apollo, der praktischen Nationalökonomie, sei nem Marsyas, zwar nicht die Haut, wohl aber „das Gewand der Kunstlehre“ „vollständig abstreifen will“.

Dass die Darstellung der speciellen Entwickelung der deutschen, und nicht nur „eventuell“, sondern jedenfalls auch der „englisch-französischen“, über dies aber doch wohl auch der italienischen, der spa nischen, der portugiesischen, der holländischen, der amerikanischen Volkswirthschaft u. s. f., und zwar eine alle „Seiten“ und Perioden derselben (nicht nur die von Schmoller erwähnten!) umfassende „Darstellung derselben nach Ursachen und Folgen im Einzelnen“, kurz und deutsch: „dass eine ihren Aufgaben entsprechende Wirthschafts-Geschichte der Culturvölker für den Staatsmann und selbst verständlich auch für den künftigen Beamten“, ein zweckmässiges Bildungsmittel sei: darüber ist man doch wohl schon vor Schmoller im Klaren gewesen. Der Nutzen der Geschichte der Wirthschaftspolitik der einzelnen Staaten und ihres Finanzwesens, gleich wie der Nutzen der Finanzstatistik steht für den Bearbeiter der praktischen Wirtschaftswissenschaften so sehr ausser jedem Zweifel, so sehr ausser jeder Discussion, dass Schmoller uns mit dergleichen endlich ver schonen sollte. Die Geschichte und die Statistik sind für den Forscher auf dem Gebiete der politischen Oe konomie nützlich — für den Theoretiker nützlich, für den Praktiker nützlich, für den Studirenden, für den künftigen Beamten, für jeden Menschen nützlich. Wie oft haben wir dies schon gehört?

Factum est jam tritum sermone proverbium!

[62]

In welcher Beziehung soll die obige Wahrheit indess zur Frage nach der „Erhebung“ der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft zu einer Theorie der letztern stehen?

Oder sollte Schmoller sich diese Erhebung etwa gar in der Weise denken, dass —? Nein! Es ist unmöglich. Und doch, Sie verweisen, mein Freund, mich auf seine eigenen Worte. — Sollte Schmoller etwa gar der Meinung sein, dass eine praktische Wissen schaft zu einer theoretischen „erhoben“ werden könne, indem man eine historische an ihre Stelle setzt, ihr die Aufgaben der Geschichtsforschung auf dem bezüglichen Wissensgebiete zuweist? Ein Säugethier soll zu einem Reptil erhoben werden, indem man einen Vogel an seine Stelle setzt?

Nein! mein Freund, solcher Denkevolutionen halte ich selbst Schmoller nicht für fähig, in dem Momente nicht für fähig, wo er sich „eben rüstet, nach längerer Unterbrechung seine Vorlesung über Methodo logie der Staatswissenschaften wieder zu halten.“ [FN: *) Jahrbuch, S. 239.] Nochmals nein! solcher Widersinn ist unmöglich, zumal in einem für die Staatswissenschaften so feierlichen Momente! Lesen wir noch einmal, ehe wir unseren Augen trauen.

„Die praktische Nationalökonomie kann das Gewand der Kunstlehre vollständig abstreifen, wenn sie die specielle Entwicklung der deutschen, eventuell dieser und der französisch englischen Volkswirtschaft der letzten Jahrhunderte nach der Seite der Agrar-, Gewerbe- und Handelspolitik nach Ursachen und Folgen im Einzelnen darlegt. Sie beschränkt sich dann darauf, wesentlich [63] descriptiv zu verfahren, ist aber so vielleicht ein eben so gutes oder besseres Erziehungsmittel für künftige Beamte, als wenn sie blos Kunstlehre sein will, d. h. wenn sie freihändlerische oder staatssocialistische Rathschläge ertheilt.“ — — —

Wenn auf dem Gebiete irgend einer andern praktischen Wissenschaft — nehmen wir des Bei spieles willen jenes der Chirurgie oder der Therapie — ein Schriftsteller den Gedanken fassen würde, diese Disciplinen, nicht etwa auf die Physiologie und Anatomie (also auf die entsprechenden theoretischen Wissen schaften!) zu begründen, sondern sie zu diesen letztern zu erheben, d. i. im Sinne Schmoller’s zu theore tischen Naturwissenschaften umzugestalten, so würden alle Fachgenossen desselben die sachkundigen Häupter bedenklich zu schütteln beginnen. Wenn der nämliche Autor aber die Chirurgie oder die Therapie gar in der Weise zur Physiologie oder Anatomie erheben wollte, dass er an ihre Stelle eine historische Wissenschaft, also etwa die Ethnographie oder die Anthropohistorie setzen wollte, so würde sich ihm sicherlich sofort die allgemeinste werkthätige Theilnahme seiner medicini schen Collegen zuwenden. Und doch hätte derselbe, im Grunde genommen, nur nicht das richtige Terrain für die Publication seiner Entdeckungen erwählt; hätte er den nämlichen Gedanken auf dem Gebiete der poli tischen Oekonomie ausgesprochen, so würde er den selben nicht nur als Ergebniss seiner unermüdlichen historischen und philosophischen Studien bezeichnen können, sondern vielleicht sogar gläubige Seelen finden, welche dergleichen für epochemachende Wahrheiten hinzunehmen bereit sein würden.

[64]

Dreizehnter Brief.

Sie werfen mir ein, dass Schmoller über die Art und Weise, wie die praktischen Wirthschaftswissen schaften das Gewand der Kunstlehre vollständig ab streifen und zu theoretischen Wissenschaften erhoben werden sollen, nicht nur der im vorigen Briefe erwähnten, sondern auch noch einer anderer Meinung sei, und es demnach unbillig wäre, derselben an dieser Stelle nicht zu gedenken. Sie haben Recht, und ich will, um keine Neugierde auf die Folter zu spannen, diese zweite Ansicht Schmoller’s hier sofort wiedergeben. Er schreibt knapp im Anschlusse an die in meinem vorigen Briefe citirte Stelle: „Sie (die praktische Nationalökonomie nämlich, welche das Gewand der Kunstlehre vollständig abgestreift hat), gibt dann (!?) dem Studirenden ein concretes individuelles Bild, aber geordnet nach den Begriffen, Typen, Relationen, die aus der allgemeinen Theorie der Nationalökonomie sich ergeben und specialisirt bis zur Verfolgung in das Einzelne der Erscheinungen und Ursachen, welche in dem generellen und darum abgeblassten Bilde der allgemeinen Nationalökonomie [65] entweder ganz fehlen oder zurücktreten. Und ganz dasselbe gilt von der Finanzwissenschaft.“ [FN: *) Jahrbuch, a. a. O. S. 241.]

Schmoller beliebe zu überlegen, dass er in diesem Satze seine Meinung plötzlich ändert. Um die praktischen Wissenschaften zu theoretischen zu erheben, will er von den erstern zwar, nach wie vor, sämmtliche Grundsätze zum zweckmässigen Ein greifen in die Erscheinungen der Volkswirthschaft, also dasjenige, was dieselben eben zu praktischen Wis senschaften macht, „abstreifen“; an diesem Gedanken hält er fest; er will indess, — wenn ich Schmoller richtig verstanden habe — an die Stelle der ihres „Gewandes als Kunstlehren“ völlig entkleideten prak tischen Wissenschaften, nicht mehr schlechthin die Wirthschaftsgeschichte, sondern geschichtlich-statisti sche Darstellungen über die einzelnen Gebiete der Volkswirthschaft, geordnet nach den Katego rien der „allgemeinen“ Nationalökonomie setzen.

Ich will den Grundsatz der Juristen: „Lex poste rior derogat priori“ auf die Ausführungen Schmol ler’s anwenden und annehmen, dass er, was auch sonst aus seinen Ausführungen hervorzugehen scheint, nicht seiner ersten, sondern seiner zweiten Meinung sei, und Sie fragen mich nun, was ich über die obige Art und Weise zu bemerken habe, in welcher Schmoller die praktischen Wissenschaften von der Volkswirth schaft zu theoretischen zu „erheben“ gedenkt?

Mein den praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft in so hohem Masse, ja bis zur voll ständigen Negirung derselben als selbständige Wissen schaften abgeneigter Gegner wird mir nun wohl selbst [66] nicht mehr zumuthen, dass ich mich mit der obigen Auffassung ernstlich befasse. Gewisse Gedanken sind widerlegt, sobald ihr Sinn klargestellt, sobald sie der Phraseologie, in welche ihr Autor sie hüllt, entkleidet sind. Wer die Erhebung der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft zu theoretischen Wissen schaften damit beginnen will, dass er von denselben zunächst alle Grundsätze zum zweckmässigen Handeln auf dem Gebiete der Volkswirthschaft, also Alles, was die obigen Disciplinen eben zu dem macht, was sie sind, „abstreift“: mit dem ist so wenig zu rechten, als etwa mit einem Chirurgen, welcher einen Orga nismus durch Amputirung sämmtlicher Organe rege neriren wollte. „Streifen wir den praktischen Wissen schaften von der Volkswirthschaft alle Grundsätze zum zweckmässigen Handeln auf dem Gebiete der Volkswirthschaft“ ab, so bleibt dann ungefähr eben so viel übrig, als von einer Geschichte der Volkswirth schaft, von welcher wir alle „Darstellungen geschicht licher Entwicklungen“, als von einer theoretischen Nationalökonomie, von welcher wir alle „Gesetze der volkswirthschaftlichen Erscheinungen“ abstreifen wür den, — d. i. das bekannte Messer ohne Klinge und Stiel.

Doch nehmen wir an, Schmoller habe den obigen Satz im Bewusstsein der aus ihm sich ergeben den Consequenzen niedergeschrieben, nehmen wir an, das Nirwana auf dem Gebiete der praktischen Wissenschaften schwebe ihm thatsächlich als Ideal, oder doch als erste Etape beemseinem Streben nach Erhebung der praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft zu theoretischen vor: so entsteht dann sofort die Frage, wie er von dieser nega tiven Grundlage ausgehend, seine Aufgabe lösen will?

[67]

Es sollen — meint Schmoller — „unter die Begriffe, Typen, Relationen, die aus der allgemeinen Theorie der Nationalökonomie sich ergeben“ (!!!), ge wisse von ihm näher charakterisirte historische Darstellungen eingeordnet, resp. diese letzteren den bezüglichen Lehren der „allgemeinen“ National ökonomie hinzugefügt werden.

Allerdings könnte irgend Jemand so unbescheiden sein, zu fragen, wie denn eine theoretische Wissen schaft dadurch, dass man ihr historische Dar stellungen irgend welcher Art hinzufügt, zu einer praktischen Wissenschaft werden könne?

Quidquid non est simpliciter tale, illud non est cum addito tale.

In der Hinzufügung historischer Darstellungen zu einer theoretischen Wissenschaft könne — so werfen Sie ein — doch höchstens, wenn auch in noch so niederem Sinne, eine historische Behandlung dieser theoretischen Wissenschaft erkannt werden; es seemaber nicht abzusehen, wie auf diesem Wege prak tische Wissenschaften entstehen sollen, welche das Gewand der Kunstlehre völlig abgestreift haben und die zu theoretischen Wissenschaften erhoben worden sind?

Wie wenig Sie dem Gedankenfluge eines Schmol ler zu folgen vermögen! Hören Sie doch nur, was er weiter schreibt:

„Sie (die zu einer theoretischen Wissenschaft erhobene praktische Nationalökonomie!) gibt dann dem Studirenden ein concretes individuelles Bild, aber geordnet nach den Begriffen, Typen, Relationen, die aus der allgemeinen Theorie der Nationalökonomie sich ergeben, und specialisirt bis zur Verfolgung in das Einzelne der Erscheinungen und Ursachen, welche in dem generellen und darum abgeblassten Bilde der [68] allgemeinen Nationalökonomie entweder ganz fehlen oder zurücktreten.“

Verstehen Sie noch immer nicht?

Sie wenden ein, dass eine theoretische Wissen schaft und somit auch eine solche von der Volkswirth schaft uns weder ein concretes, noch ein abstractes Bild, sondern die Gesetze der Erscheinungen zu lehren habe, die Aufgabe, uns ein concretes Bild der Erscheinungen zu bieten, dagegen den historischen Wissenschaften zufalle. Wenn aber auch davon abge sehen werden würde, wie vermöchte jenes abgeblasste Bild der Erscheinungen, welches Schmoller als allgemeine Nationalökonomie bezeichnet, dadurch dass wir demselben historische Darstellungen irgend welcher Art hinzufügen, zu einer „praktischen Wissenschaft von der Volkswirthschaft“, und zwar noch dazu zu einer solchen zu werden, welche zu einer theoretischen „erhoben“ ist?!

Sie kommen, mein Freund, schon wieder mit dieser unerquicklichen Frage. Ja, Sie zweifeln, dass es in Deutschland eine zweite Wissenschaft gebe, wo dergleichen im vollen Ernste vorgebracht werden könnte, vorgebracht von dem Herausgeber einer wissen schaftlichen Fachzeitung. Es seien dies Ungeheuerlich keiten, welche geradezu einen tiefen Verfall des ab stracten Denkens auf dem Gebiete der politischen Oekonomie bekunden. Wohin, rufen Sie aus, seemes selbst mit den einfachsten, den fundamentalsten Be griffen der Wissenschaftslehre in der neuhistorischen Schule deutscher Volkswirthe gekommen, wenn der gleichen möglich sei? [FN: *) Es seemhier noch bemerkt, dass aus einzelnen Stellen von Schmoller’s Kritik (Vgl. S. 245) hervorgeht, dass er die zu theoretischen Wissenschaften erhobenen praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft in dem Verhältnisse speciellerer Theile einer allgemeinen theoretischen Nationalökonomie denkt. Schmoller übersieht hierbei, dass praktische Wissenschaften nie in diesem Verhältnisse zu theoretischen stehen können, vielmehr sowohl die theoreti schen, als auch die praktischen Wissenschaften allgemeine und specielle Theile haben. So wenig die chemische Technologie ein specieller oder „detaillirterer“ Theil der Chemie, die Therapie ein specieller Theil der Physiologie ist, so wenig vermag man die praktischen Wissenschaften von der Volks wirthschaft als specielle Theile einer allgemeinen National ökonomie zu bezeichnen. In Wahrheit hat vielmehr die Volkswirthschaftspolitik ebensowohl einen allgemeinen und einen speciellen Theil, wie die theoretische Nationalökonomie. Das Gleiche gilt von der Finanzwissenschaft. (Vgl. meine „Untersuchungen“ S. 247.)]

[69]

„Rarus.... ferme sensus communis in illa fortuna.“

So denken Sie.

Nun hören wir aber, was Schmoller selbst hierüber denkt: „Wer auf diesem Standpunkte steht — ruft er triumphirend aus — für den sind die methodologischen Unterschiede in der Behandlung der theoretischen und praktischen Nationalökonomie nur graduelle, keine fundamentalen, wie für Menger. Wer so denkt und lehrt, der kann es auch nicht für das schlimmste wissenschaftliche Verbrechen ansehen, die Methode der theoretischen und praktischen National ökonomie vermischt zu haben. [FN: *) „Der Streit, ob wir es (in der politischen Oekonomie) „mit einer „Science“ oder einer „Art“ zu thun haben, ist „dahin geschlichtet, dass Beides vorliege: eine reine Theorie „als Grundwissenschaft und eine Kunstlehre als angewandte „Wissenschaft, wenngleich freilich die methodologischen „Consequenzen, welche diese Verschiedenartigkeit der beiden „Theile des Gesammt-Wissensgebietes nach sich zieht, „erst neuerdings in Erinnerung gebracht werden mussten.“ E. Sax: Das Wesen und die Aufgaben der Nationalökonomie. 1884. S. 21 ff. Wenn Sax jedoch meint, dass über den obigen Punkt unter den Nationalökonomen kaum mehr eine Meinungsverschiedenheit bestehen könne, so dürfte die obige Stelle der Schmoller’schen Ausführungen ein Beweis für das Gegentheil sein.]

[70]

Scherz beemSeite, Schmoller hat Recht; denn wer auf diesem Standpunkte steht, so denkt und lehrt, dem ist in der That bereits alles Eins. Zwischen der Geschichte und Statistik der Volkswirthschaft einerseits, und der theoretischen Nationalökonomie andererseits, besteht dann keine unüberbrückbare Kluft mehr; die Volkswirthschaftspolitik und die Finanz wissenschaft haben das Gewand der Kunstlehre voll ständig abgestreift; dadurch dass man der theore tischen Nationalökonomie historische Darstellun gen hinzufügt, sind die praktischen Wissenschaften von der Volkswirthschaft zu theoretischen Wissen schaften erhoben worden, und figuriren als speciellere Theile jenes allgemeineren und darum abgeblassten „Bildes“, als welches die theoretische Nationalöko nomie sich uns fürderhin darstellt u. s. f., u. s. f.

Wer hierin nicht eine eben so tiefe als philo sophische Auffassung des Wesens der politischen Oekonomie, ihrer Theile und des Verhältnisses dieser letzteren zu einander und zu ihren Hilfswissenschaften erkennt, ist ein Unbescheidener, überdies ein philo sophisch nicht genügend Gebildeter, der für seine scientifische Ausbildung nichts Besseres zu thun ver mag, als sich zu den Füssen des Herausgebers des Berliner Jahrbuches zu setzen, um zu sehen und zu hören, wie dieser tiefsinnige Methodiker — „denkt und lehrt“.

[71]

Vierzehnter Brief.

Sie sagen, dass ich über meines Gegners mangel hafte Orientirung in den von ihm behandelten Fragen der Methodik und die Verwirrung seiner Begriffe geradezu Genugthuung zu empfinden scheine, während dieselben, in Verbindung mit dem äusseren Einflusse dieses Mannes auf dem Gebiete unserer Wissenschaft, doch zu den ernstesten Betrachtungen über den gegen wärtigen Zustand der deutschen Nationalökonomie herausfordern.

Ich weiss, mein Freund, dass es eine grosse Sünde ist, über das Lächerliche zu lachen; indess es ist so schwer gegenüber einem kahlen und hochmüthigen Gegner nicht in den Ton des Hohns zu verfallen. Und welcher andere Ton gebührt den Ausführungen eines Mannes, welcher ohne die geringste solide Orientirung in den Fragen wissenschaftlicher Methodik sich wie ein vollgiltiger Richter über den Werth oder Unwerth der Ergebnisse methodologischer Untersuchungen ge bärdet? Gibt es auf dem Gebiete der Wissenschaft eine zu ernster Betrachtung weniger geeignete Er scheinung, als die aufgeblähte Unwissenschaftlichkeit, welche über die Ergebnisse sorgfältiger wissenschaft licher Forschung strenges Gericht hält?

Discutiren Sie in ernstlicher Weise über die schwierigsten Fragen der Erkenntnisstheorie mit einem [72] Manne, in dessen Geiste jedes Streben nach Reform der theoretischen Nationalökonomie, ja jede Pflege dieser letztern sich als Manchesterthum spiegelt. Discutiren Sie, ohne in einen heiteren Ton zu verfallen, über die obigen Fragen mit einem Gelehrten, dessen ganzes einigermassen originelles Wissen auf dem Gebiete der theoretischen Nationalökonomie in einem Urschleime historisch-statistischen Materiales besteht, mit einem Gelehrten, welcher die einfachsten Begriffe der Wissen schaftslehre unablässig mit einander verwechselt! Und ein solcher Streit sollte mir Genugthuung verschaffen? Wären Schmoller’s Einwendungen gegen die Er gebnisse meiner methodologischen Untersuchungen mir nicht aus Gründen werthvoll, über welche ich mich in meinem ersten Briefe bereits ausgesprochen habe, wie gerne verzichtete ich auf die mir nichts weniger als erwünschte Discussion mit demselben und be schränkte mich darauf, die auffälligsten Entstellungen meiner Ansichten in seinem Jahrbuche, in ähnlicher Weise richtig zu stellen, wie ich dies gegenüber einem geistesverwandten Genossen desselben an anderer Stelle gethan habe.

Auch glauben Sie ja nicht, dass eine Discussion mit einem Gegner, wie Schmoller, müheloser, als mit einem in den behandelten Fragen noch so wohl orientirten Gelehrten sei. Wie leicht ist es einen solchen zu belehren, oder von ihm sich eines Besseren be lehren zu lassen? Wie leicht ist es, — im Verhältnisse — in dem consequenten Gedankengefüge eines sach kundigen Forschers einzelne Unrichtigkeiten, ja einzelne Inconsequenzen und Irrthümer zu entdecken, und durch Blosslegung und Berichtigung derselben zur Förderung der Wissenschaft beizutragen? Wie erfreulich überdies, auf diese Weise einem Autor für die Berichtigung [73] unserer eigenen Ansichten und für die Belehrung, die wir aus seinen Schriften geschöpft haben, den Dank zu erstatten, den wir ihm schulden? Das schwierigste und unerquicklichste auf dem Gebiete der Wissen schaft ist stets der kritische Contact mit einseitigen Ver tretern praktischer Parteibestrebungen, mit Männern, welche ihre Einseitigkeit und die schlechten Gewohn heiten des Parteikampfes auf die wissenschaftliche Dis cussion übertragen; um wie viel unerfreulicher, wenn solche Gegner gar mit dem Anspruche überlegener Wissenschaftlichkeit auftreten!

Wie in einer von sachkundiger Hand angelegten Fachbibliothek, und wäre dieselbe noch so reichhaltig, das Auge des Kenners leicht einzelne Lücken zu ent decken vermag, in einer willkürlich zusammengewürfel ten Büchereemdagegen vergeblich nach einem Ruhe punkte sucht und sich schliesslich abwendet, weil dergleichen eigentlich die ernste Beurtheilung nicht herausfordert: so auch, wo es sich um die Beur theilung des Wissens eines Schriftstellers handelt. Die Stärke des methodologischen Standpunktes Schmol ler’s liegt darin, dass derselbe unfassbar, unter jeder ernsten Kritik ist. Und da wollen Sie es mir verargen, wenn ich mich weder durch die historisch philosophischen Studien, von denen er uns unab lässig erzählt, noch auch durch seine Vorlesung über die Methodologie der Staatswissenschaften, zu welcher er sich eben „rüstet“, irre führen lasse und den Methodiker Schmoller nicht ernster nehme, als er es verdient?

Was würden Sie z. B. dazu sagen, wenn ich die Gedanken Schmoller’s über die eigentlichen metho dologischen Probleme unserer Wissenschaft hier eines Nähern beleuchten wollte?

[74]

Seine Gedanken über die inductive und die deductive Methode auf dem Gebiete unserer Wissenschaft?

Die Ergebnisse seiner tiefsinnigen Untersuchungen über das Wesen und die Bürgschaften dieser Erkennt nisswege überhaupt und in der politischen Oekonomie insbesondere?

An Ihrem Entsetzen merke ich, wie wenig Sie selbst den Methodiker Schmoller ernst nehmen. Doch seien Sie unbesorgt, Sie haben dies Aeusserste nicht zu befürchten. Wer über die Ziele der Forschung auf dem Gebiete der Nationalökonomie so vollständig im Dunkeln tappt, wie der Herausgeber des Berliner Jahrbuches, dessen Gedanken über die Erkenntnisswege auf dem Gebiete unserer Wissenschaft sind gesichert gegen jeden Angriff.

Nur einiger auf die von mir bereits behandelten erkenntnisstheoretischen Probleme Bezug nehmender Bemerkungen Schmoller’s möchte ich hier noch gedenken, weil sie für die Art und Weise, in welcher von ihm Kritik geübt wird, und für seine Kampfesweise überaus charakteristisch sind.

Ich hatte es als die Aufgabe der historischen Wissenschaften bezeichnet, das individuelle Wesen und den individuellen Zusammenhang der Menschheits erscheinungen (ihre individuellen Beziehungen in Raum und Zeit!) zu erforschen und darzustellen.

Hier ergab sich von selbst für mich die interessante und von den Bearbeitern der Methodik der historischen Wissenschaften auch bereits vielfach aufgeworfene Frage, in welcher Weise diese letzteren gegenüber der unübersehbaren Menge von Einzelerscheinungen des Menschenlebens ihre Aufgabe zu lösen vermögen?

Die Mehrzahl der Autoren ist rücksichtlich der obigen Frage der Meinung, dass der Historiker die [75] wichtigeren Menschheitserscheinungen mit Hintan setzung der minder wichtigen darzustellen [FN: *) Schon Plinius (cap. 5, 8, 9 und 10) schreibt, nicht ganz ohne Beziehung auf unsere Frage: Habet quidem oratio et historia multa communia, sed plura diversa in his ipsis, quae communia videntur. Narrat sane ipsa, narrat haec, sed aliter. Huic pleraque humilia et sordida et ex medio petita, illemomnia recondita, splendida, excelsa conxeniunt. Hanc saepius ossa, musculi, nervi, illam torem quidem et quasemjubae decent!] und sich hierbeemvon seinem Tacte leiten zu lassen habe, da es an einem eigentlichen Principe für die Wahl der „historischen“ Erscheinungen, im Gegensatze zu jenen, deren Darstellung nicht Sache des Geschichtsschreibers sei, fehle.

Ich glaubte nun, für die obige interessante Frage in der Weise eine Lösung gefunden zu haben, dass der Historiker nicht lediglich einen Theil der Menschheits erscheinungen zu erforschen habe, da dies ja dem Principe der Universalität der Wissenschaften widersprechen würde. Der Historiker habe vielmehr die Gesammt heit der Menschheitserscheinungen darzustellen, jedoch all’ dies unter dem Gesichtspunkte collectiver Betrach tung. Ich sagte: „Dass die historischen Wissenschaften nur unter der Voraussetzung collectiver Betrach tung der Menschheitsphänomene, und die historischen Wirthschaftswissenschaften insbesondere nur unter jener der collectiven Betrachtung der Wirtschaftsphänomene ihrer Aufgabe in universeller Weise zu entsprechen vermögen, ergibt sich mit Rücksicht auf die unüber sehbare Menge von Singularerscheinungen des Menschen lebens, beziehungsweise der menschlichen Wirthschaft und die Exigenzen der Technik wissenschaftlicher Darstellung von selbst. Die historischen Wissenschaften sind schon um ihrer universell-wissenschaftlichen [76] Aufgabe willen nothwendig Darstellungen der menschlichen Wirthschaft unter dem Ge sichtspunkte collectiver Betrachtung“.[FN: *) „Untersuchungen“, S. 253 ff.]

Und in einer Note zu den obigen Ausführungen sage ich:

„Hier ist zugleich auch die Grundlage für die Lösung des die Geschichtsforschung vielfach beschäf tigenden Problemes zu suchen, welche Erscheinungen des Menschenlebens aus der unübersehbaren Menge derselben hervorzuheben und darzustellen, Aufgabe der historischen Wissenschaften sei? Diese letzteren haben in Wahrheit die Aufgabe, die Individualerscheinungen des Menschenlebens unter dem Gesichtspunkte collec tiver Betrachtung darzustellen, die einzelne Erscheinung indessen nur insoweit, als sie für das collective Bild des Menschenlebens an sich von Bedeutung ist. Nur so vermögen dieselben ihrer specifischen Auf gabe in universeller Weise zu genügen.“

Auch das was man die künstlerische Auf gabe der Geschichtsschreibung nennt, findet in der obigen Auffassung vom Wesen der Geschichte und dem Verhältnisse derselben zu den Singularerschei nungen des Menschenlebens seine ausreichende Erklä rung. „Die eigenthümliche Kunst des Geschichts schreibers (auch jene des Statistikers!) — sage ich — besteht hauptsächlich in der Fähigkeit, uns die unüber sehbare Menge von Phänomenen des Menschenlebens unter dem Gesichtspunkte collectiver Darstellung zum Bewusstsein zu bringen, uns ein collectives Bild der Entwicklung, beziehungsweise des Zustandes der Mensch heitserscheinungen in ihrer Totalität zu bieten.“ [FN: **) Ebend., S. 255. Vgl. hierzu auch S. 86 u. 122 ff.]

[77]

Diese von mir aufgestellte Theorie scheint meinem Kritiker einigermassen gefallen zu haben; er ist so fern davon, sie zu bekämpfen, dass er dieselbe vielmehr rückhaltlos acceptirt. [FN: *) Jahrbuch, a. a. O. S. 247.] Indess in welcher für die Kampfesweise dieses Mannes kennzeichnenden Weise?

„Menger — schreibt derselbe — sieht nicht, dass alle wichtigeren volkswirthschaftlichen Erschei nungen räumlich und zeitlich so umfassend sind, dass sie nur einer collectivistischen Betrachtung, wie sie die Geschichte und die Statistik anstellen, zugäng lich sind. Das ist ihm verschlossen.“ Dazu fehle mir das Organ!

Da haben Sie den Schmoller! den ganzen Schmoller!

Dass ein Kritiker einen Autor von diesem selbst klar ausgesprochene Gedanken im Tone zürnender Ueberlegenheit entgegensetzt — Lessing sagt irgend wo: „den Autor mit seinem eigenen Fette beträufelt“ — ist eine Armseligkeit, welche beemeiner gewissen Kategorie von Recensenten nicht ganz ungewöhnlich ist; dass aber ein Kritiker Jemand die Kenntniss seiner eigenen Theorie bestreitet, ja ihm das Organ zum Verständniss derselben abspricht, ist eine Erscheinung, welche selbst beemdem heutigen de solaten Zustande eines Theiles der wissenschaftlichen Kritik auf dem Gebiete der politischen Oekonomie Deutschlands ihresgleichen sucht.

[78]

Fünfzehnter Brief.

Sie werfen mir ein, dass ein Vorgehen wie das in meinem vorigen Briefe geschilderte, nahezu unglaub lich sei, da doch nicht angenommen werden könne, dass ein auf seinen wissenschaftlichen Ruf einigermassen bedachter Gelehrter, um gegenüber einem wissenschaft lichen Gegner den Ton der Ueberlegenheit anschlagen zu können, also um eines geringfügigen und, mit Rück sicht auf die Möglichkeit einer Berichtigung, doch nur vorübergehenden Eitelkeitskitzels willen, zu so aben teuerlichen Mitteln greifen werde. Wie wenig Sie Schmoller kennen! Als ob derselbe seit mehr als einem Decennium nicht genau in der nämlichen Weise jeden wissenschaftlichen Gegner bekämpfte! Lesen Sie, mein Freund, die von mir citirten Stellen meines Werkes und die eben so genau citirten Stellen seiner Recension, verfolgen Sie seine sonstige kritische Thätigkeit, und Sie werden zu staunen aufhören.

Und doch vermöchte man selbst über solche und ähn liche Dinge hinwegzugehen, böten die Angriffe Schmol ler’s nicht eine noch viel bedenklichere Seite dar.

[79]

Dass Schmoller dort, wo er meine wissen schaftlichen Ansichten zum Gegenstande seiner Be sprechung macht, mich oft genug das Gegentheil von dem sagen lässt, was ich wirklich sage, dass er mir Dinge, die ich selbst behaupte, in belehrendem Tone entgegenhält, dass er das an mir tadelt, was er an Anderen lobt, und was dergleichen Kunstmittel Schmol ler’scher Kritik mehr sind, lasse ich hier unerörtert. So auffällig auch die Missverständnisse und die Miss deutungen meiner Ansichten sind, welchen ich in Schmoller’s Kritik begegne, und so nahe auch die Frage liegt, welche Berechtigung in der wissenschaft lichen Discussion so missverständliches und unüber legtes Geschreibe bestenfalls habe? — ich will daraus keinen Schluss auf die Wahrheitsliebe des Heraus gebers des Berliner Jahrbuches ziehen. Befangenheit in vorgefassten Meinungen, Flüchtigkeit der Lectüre, mangelhafte Orientirung in den behandelten Materien, die schlechten Gewohnheiten, welche sich regelmässig im Gefolge handwerksmässig betriebener Kritik ein zustellen pflegen, ein offenbar mehr für die niederen Formen des Parteikampfes, als für die wissenschaft liche Discussion prädestinirtes und geschultes Naturell: alle diese Umstände zusammengenommen gestatten beem einem Manne, wie Schmoller, selbst die auffälligsten Missdeutungen fremder Meinungen als blosse Irrthümer zu entschuldigen.

Anders dort, wo es sich um wahrheitswidrige Behauptungen handelt, beemwelchen jedes Missver ständniss durch die Natur der Sache von vorn herein ausgeschlossen ist, um wahrheitswidrige Behauptungen, welche lediglich den Zweck verfolgen, die richtige Würdigung eines Autors und der Ergebnisse seiner Forschungen beemden Fachgenossen zu verhindern. [80] Wahrheitswidrige Behauptungen dieser Art sind Cabalen und kein Tadel zu hart, kein Hohn zu bitter, wenn es gilt, dieselben zu brandmarken.

Schmoller macht mir den Vorwurf, dass ich „über W. Roscher’s und B. Hildebrand’s historische Arbeiten klage“,[FN: *) Ebendas. S. 242.] er sucht beemseinen Lesern den Eindruck hervorzurufen, dass ich Knies mit einigen wenigen Worten „abgethan“ habe [FN: **) Ebendas. S. 250.], er bezeichnet mich als einen Anhänger des Manchesterthums [FN: ***) Ebendas. S. S. 241 u. 250.], im putirt mir Sympathien für den Mysticismus des Savigny schen Volksgeistes [FN: †) Ebendas. S. 250.] u. dgl. m.

Alle diese Behauptungen sind vollständig aus der Luft gegriffen, Unterstellungen, für welche in meinem Werke nicht der entfernteste Anhaltspunkt vorhanden ist.

Ich soll über Hildebrand’s und Roscher’s historische Arbeiten geklagt haben? Die Wahrheit ist, dass ich über Hildebrand’s historische Arbeiten nirgends ein Wort gesprochen, Roscher’s „hervor ragende Verdienste um die Förderung des historischen Verständnisses einer Reihe wichtiger Erscheinungen der Volkswirtschaft“ aber auf der Seite 225 meiner „Untersuchungen“ ausdrücklich anerkannt habe.

Ich soll Knies in einigen von Schmoller angeführten Worten „abgethan“ haben? Die Wahrheit ist, dass ich auf der Seite 228 meiner „Untersuchungen“ Knies als den hervorragendsten Methodiker der historischen Schule deutscher Volks wirthe bezeichne. Ich widme der Kritik seiner [81] Lehren nicht die wenigen Worte, welche Schmoller anführt, sondern mehrere Druckseiten meiner Schrift, und gelange zu dem Ergebnisse, dass Knies den Ideenkreis der historischen Schule in Rücksicht auf die Methodik der politischen Oekonomie abschliesse; was nach ihm die Untersuchung über die methodischen Probleme der historischen Volkswirthschaftslehre zu Tage gefördert habe, beemdiesem Autor sich zum min desten bereits angedeutet finde.[FN: *) „Untersuchungen“, S. 230.]

Sie sehen mein Freund, welche Bewandtniss es mit der Behauptung Schmoller’s hat, dass ich Knies mit den von ihm angeführten Worten „abgethan“ habe. Sie ist ebenso wahrheitswidrig wie alle übrigen Unter stellungen Schmoller’s.

Sollten auch dies nur einfache Irrthümer sein?

Beachten Sie wohl, mein Freund, welche Ten denz gerade aus diesen so höchst persönlichen Unter stellungen hervorgeht!

Doch ich hätte fast zu erwähnen vergessen, dass ich Knies nicht nur als den hervorragendsten Metho diker der historischen Schule deutscher Volkswirthe und die Neuern in Rücksicht auf die Methodik dieser Schule nur als Epigonen desselben bezeichnete; ich habe unter diesen letzteren, und zwar wahrheitsgemäss an secundärer Stelle, auch Schmoller genannt; an secundärer Stelle ihn, den Herausgeber „seiner“ Jahrbücher! Ich Tollkühner habe ihm nicht nur den gewohnten Lobestribut verweigert, sondern geradezu die Rücksichten verletzt, welche ich seiner privilegirten Stellung schuldig war und damit offenbar gewisse Empfindlichkeiten rege gemacht. „Wenn’s ihn juckt, so kratze er sich“, hatte ich in richtiger [82] Würdigung dieses nationalökonomischen Rhadamanthus gedacht. Doch Schmoller möchte nicht empfindlich erscheinen und darum kratzt er den Roscher, kratzt er den Knies, kratzt er selbst den todten Hilde brand, — weil ihn die verletzte Eitelkeit juckt.

Erlassen Sie mir, mein Freund, mich gegen den Vorwurf Schmoller’s zu vertheidigen, dass ich ein Anhänger der Manchesterparteien [FN: *) Ein Anhänger der sogenannten Manchester Schule zu sein, ist freilich keine Unehre; es bedeutet nur das Fest halten an einer Reihe wissenschaftlicher Ueberzeugungen, von welchen jene, dass das freie Spiel der individuellen Interessen dem wirthschaftlichen Gemeinwohl am förderlichsten sei, wohl als die wichtigste bezeichnet werden kann. Geistig hoch über Schmoller stehende, von der edelsten Wahrheitsliebe geleitete Socialphilosophen haben sich als Anhänger des obigen Grundsatzes und der aus ihm resultirenden Maximen für die Wirthschaftspolitik bekannt. Wie gesagt, als ein Anhänger der sogenannten Manchester-Schule bezeichnet zu werden, ist nichts, was an sich den geringsten Vorwurf in sich schliessen würde. Anders in dem Munde eines so einseitigen Parteigängers der sogenannten socialpolitischen Richtung, wie Schmoller. Das Manchesterthum in seinem Munde ist das Stigma, durch welches er jeden anders Denkenden brandmarken möchte, ein Schmähwort, das er seinen Gegnern zuschleudert — wo immer es ihm an Argumenten gebricht. Mit Recht protestirt desshalb H. Dietzel (Hildebrand’s Jahrbücher, 1884. N. F. VIII. S. 110) dagegen, dass das Stigma des Manchesterthums gegen Jene geschleudert werde, welche sich mit der exacten Analyse der volkswirthschaft lichen Erscheinungen befassen. Das Manchesterthum hat meines Dafürhaltens mit der Frage nach der Berechtigung einer exacten Theorie der Volkswirthschaft ungefähr ebensoviel zu thun, als etwa eine Pulververschwörung mit der Frage nach der Berechtigung der theoretischen Chemie.] oder ein solcher [83] des „Mysticismus des Savigny’schen Volksgeistes“ sei. Beide Vorwürfe sind vollständig aus der Luft gegriffen. Wenn irgend etwas mit der in so vieler Rücksicht gehässigen Wirksamkeit Schmoller’s auf dem Ge biete unserer Wissenschaft versöhnt, so ist es der Umstand, dass er, und zwar mit nicht zu verkennender Hingebung, an der Seite verehrungswürdiger Männer gegen die socialen Uebelstände und für das Schicksal der Schwachen und Armen kämpft, ein Kampf, in welchem, so verschieden auch die Richtung meiner Forschungen ist, meine Sympathien doch ganz auf der Seite dieser Bestrebungen stehen. Ich möchte meine geringe Kraft der Erforschung jener Gesetze widmen, nach welchen das wirthschaftliche Leben der Menschen sich gestaltet; nichts liegt indess meiner Richtung ferner, als der Dienst im Interesse des Capitalismus. Keine Beschul digung Schmoller’s ist wahrheitswidriger, kein Vor wurf frivoler, als dass ich ein Anhänger der Manchesterpartei sei, es wäre denn, dass das Streben nach Fest stellung der Gesetze der Volkswirthschaft, oder der Hinweis auf die Nothwendigkeit ernster Bedachtnahme auf die bisherigen Errungenschaften der Civilisation beemallen wirtschaftspolitischen Reformen schon an sich den obigen Vorwurf begründen könnte — eine Idee, welche indess nur in einem ganz dissoluten Geiste zu entstehen vermöchte. [FN: *) Ich bekämpfe wohl an mehreren Stellen meiner „Untersuchungen“ die sogenannte „ethische“ Richtung in der politischen Oekonomie, trenne sie indess strenge von der „socialpolitischen“ Richtung der nationalökonomischen Forschung (S. 226, Not. 123).]

Was ferner den Vorwurf betrifft, dass ich ein Anhänger des „Mysticismus des Savigny’schen [84] Volksgeistes“ sei, so habe ich mich nicht nur nicht für, sondern ausdrücklich gegen diesen letzteren ausge sprochen. Ich schreibe (S. 208 meiner Untersuchungen) wörtlich: „Gegen diese Bestrebungen der Smith’schen Schule (gegen den einseitigen Pragmatismus) eröffnete sich unserer Wissenschaft ein unermessliches Gebiet fruchtbarer Thätigkeit im Sinne der Richtung Burke Savigny’s — nicht einer solchen, welche das organisch Gewordene als unantastbar, gleichsam als die höhere Weisheit in mensch lichen Dingen, gegen die reflectirte Ord nung der socialen Verhältnisse schlechthin festzuhalten die Aufgabe gehabt hätte. Das Ziel der hier in Rede stehenden Bestrebungen musste vielmehr das volle Verständniss der bestehenden socialen Einrichtungen überhaupt, und der auf organischem Wege entstandenen Institutionen insbesondere sein: die Festhaltung des bewährten gegen die einseitig rationalistische Neuerungssucht auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Es galt die Zersetzung der organisch gewordenen Volks wirthschaft durch einen zum Theile oberflächlichen Pragmatismus zu verhindern, einen Pragmatismus, der gegen die Absicht seiner Vertreter unausweichlich zum Socialismus führt.“

Ich glaube, dass ich hier die Bestrebungen des „Manchesterthums“ und des „Mysticismus“ auf dem Ge biete der Volkswirthschaft nicht vertheidige, sondern entsprechend meinem wissenschaftlichen Standpunkte in sachgemässer Weise bekämpfe, und doch schleudert mir Schmoller den Vorwurf des Mysticismus und des Manchesterthums entgegen — dies beliebte social politische Hepp! Hepp! das der Herausgeber des Berliner Jahrbuches jedesmal und an jeder noch so unpassenden [85] Stelle ertönen lässt, wenn ihm — die Argumente ausgehen.

Ich glaube mein Freund, dass wir nunmehr auch über die Unbefangenheit Schmoller’s in Sachen wissen schaftlicher Kritik im Klaren sind. Seine Neigung zu Missverständnissen ist wahrlich nicht die bedauerlichste Seite seiner kritischen Wirksamkeit auf dem Gebiete unserer Wissenschaft.

[86]

Sechzehnter Brief.

„Wir sind mit dem Buche fertig!“ — mit diesen triumphirenden Worten, aus welchen die edelste Genugthuung spricht, schliesst Schmoller die Kritik meines Werkes, eine Kritik, welche in Rücksicht auf Sachkenntniss und auf Objectivität des Urtheils, zum mindesten in der wissenschaftlichen Literatur, kaum ihres Gleichen haben dürfte.

Die Zukunft, und zwar, wie ich hoffe, eine nicht allzu ferne Zukunft, wird darüber entscheiden, ob Schmoller mit meinen methodologischen Unter suchungen, oder ich mit dem Methodiker Schmoller „fertig“ geworden. Fast scheint die bisherige Ent wickelung des durch meine Untersuchungen neu an geregten methodologischen Streites darauf hinzudeuten, dass der Herausgeber des Berliner Jahrbuches die toga picta und die tunica palmata in etwas voreiliger Weise angelegt, ja der historischen Schule, als deren brüllender Löwe er auftrat, einen bösen Dienst er wiesen habe.

Wie dem aber auch immer sein mag, Eines scheint mir schon heute festzustehen. Mag der Methodiker Schmoller in Hinkunft noch so löwenhaft im Spreesande [87] einherschreiten, die Mähne schütteln, die Pranke heben, erkenntnisstheoretisch gähnen; nur Kinder und Thoren werden fürderhin seine methodologischen Ge bärden noch ernst nehmen. Durch den weiten Riss in seiner gelehrten Maske wird aber mancher Wiss begierige, leider vielleicht auch mancher Neugierige blicken und die wahre Gestalt dieses Erkenntniss theoretikers mit Heiterkeit und Genugthuung betrachten.

Mich aber wird für meine geringe Mühe das Bewusstsein entschädigen, auf dem Gebiete der deut schen Nationalökonomie, in mehr als einer Rücksicht, ein gutes Werk gethan zu haben.

 

[88]

Verbesserungen.

Seite 1, Zeile 1 von unten lies: N. F. VII. Jahrg., III. Heft, pag. 239 etc.

Seite 3, Zeile 13 von oben lies statt „gelehrter“: scientifischer.

„ 3, „ 9 „ unten „ „ „wirksamer“: wirksamerer.

„ 7, „ 5 „ oben ist das Citat: Jahrbuch, a. a. O. S. 243 und

Seite 9, Zeile 1 von unten das Citat: Briefe antiq. Inh., 56. Brief ausgefallen.

Seite 19, Zeile 8 von oben lies: das theoretische Verständniss.

„ 22, „ 3 „ „ „ statt „konnte“: könnte.

„ 50, „ 5 „ „ ist nach „Was war“: in der obigen Rücksicht einzuschieben.

Seite 52, Zeile 14 von oben ist „zu“ zu streichen. „ 52, „ 15 „ „ lies statt „hinzu“: zu.