Eugen von Böhm-Bawerk, “Macht oder Ökonomisches Gesetz?” (1914)

Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914)  
[Created: 17 Aug., 2022]

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Eugen von Böhm-Bawerk, “Macht oder Ökonomisches Gesetz?”, Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Band 23 (1914), S. 205–271.

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See also an English translation by John Richard Mez published by the Mises Institute in 2010. [HTML] and [PDF].

 


 

Inhalt

 


 

[I.]

[205]

Die Bemühungen der ökonomischen Theorie waren seit jeher darauf gerichtet, Gesetze des ökonomischen Geschehens aufzufinden und auszusprechen. In der älteren Zeit, die unter dem Einfluß Rousseaus und seiner naturrechtlichen Doktrinen stand, liebte man es, für solche ökonomische Gesetze den Namen und den Charakter von Naturgesetzen in Anspruch zu nehmen. Buchstäblich genommen war dies natürlich anzufechten; man wollte aber wohl durch diese Bezeichnung zum Ausdruck bringen, daß ebenso, wie die Gesetze des rein natürlichen Geschehens sich unabhängig von Menschenwillen und Menschensatzung in unabänderlicher Folge vollziehen, es auch im ökonomischen Leben Gesetze gebe, gegen die der Menschenwille, und sei es auch der mächtige Staatswille, ohnmächtig bleibt; daß auch durch künstliche Eingriffe gesellschaftlicher Gewalten der Strom des wirtschaftlichen Geschehens sich nicht aus gewissen Bahnen herausdrängen lasse, in die ihn die Macht ökonomischer Gesetze gebieterisch zwinge. Als ein solches Gesetz galt unter anderem das Preisgesetz von Angebot und Nachfrage, das man unzählige Male triumphieren gesehen hatte, z. B. über Versuche der staatlichen Allgewalt, in Hungerjahren das Brot durch „naturwidrige“ Preistaxen billig zu machen oder einem schlechten Gelde die Kaufkraft des guten beizulegen. Und insofern in letzter Linie die Entlohnung der großen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital, und mit ihr die Verteilung der gesamten durch die nationale Produktion geschaffenen Gütermasse an die verschiedenen sozialen Klassen im Volk ebenfalls nur ein Anwendungsfall, und zwar der allerwichtigste konkrete Anwendungsfall der allgemeinen Preisgesetze [206] ist, zeigte sich die ganze hochwichtige Frage der Verteilung der Güter in das Dilemma verwoben, ob eine Allgewalt natürlicher ökonomischer Gesetze oder aber ein gewillkürter Einfluß gesellschaftlicher Gewalten sie regele und beherrsche.

Die damalige Epoche zögerte nicht, sich in diesem Dilemma mit unerschrockener Konsequenz für die Allgewalt der „Naturgesetze“ zu entscheiden. Das am meisten berühmt oder berüchtigt gewordene Probestück dieser Auffassung war die Lohnfondstheorie der klassischen und nachklassischen Ökonomie. In ihrem Sinne sollte über die Höhe des Arbeitslohnes durch einen naturnotwendigen Zusammenhang von geradezu mathematisch zwingender Kraft entschieden werden, der zwischen der in einer Volkswirtschaft vorhandenen, zu Lohnzahlungen disponiblen Kapitalsumme, dem sogenannten „Lohnfonds“, und der Zahl der vorhandenen Arbeiter bestehe. Alle Arbeiter zusammengenommen sollten nicht mehr und nicht weniger als den vorhandenen Lohnfonds bekommen können, und die Durchschnittshöhe des Arbeitslohnes sollte sich daher mit zwingender mathematischer Notwendigkeit aus der Division des Lohnfonds durch die Zahl der Arbeiter ergeben. Versuche einer künstlichen Beeinflussung könnten daran nichts ändern; auch Streiks nicht. Werde durch einen erfolgreichen Streik der Lohn einer Gruppe von Arbeitern künstlich emporgetrieben, so bleibe ein desto kleinerer Teil des Lohnfonds für die anderen Arbeiter übrig, deren Lohn dann um ebensoviel sinken müsse, als der Lohn der ersteren gestiegen sei: eine allgemeine oder durchschnittliche Emporhebung der Arbeitslöhne über das Ausmaß des „Lohnfonds“ sei ein Ding der Unmöglichkeit.

Spätere Zeiten haben von dieser und von der „Gesetzes“ Frage überhaupt eine andere Anschauung gewonnen und auf die geänderten Anschauungen auch andere, neue Formeln geprägt. Man unterschied nach dem Vorgang von Rodbertus und Adolf Wagner zwischen „rein ökonomischen“ und „historisch rechtlichen Kategorien“. Jene sollten das umfassen, was an den wirtschaftlichen Erscheinungen bleibend, allgemein gültig, unter allen denkbaren Rechtsordnungen wiederkehrend ist; diese stellen den historisch variablen Einschlag dar, den die wechselnden Rechtsordnungen, Gesetze und sonstigen sozialen Einrichtungen in das [207] Wirtschaftswesen hineinbringen. Und dieser „sozialen Kategorie“ — wie ein seither namentlich von Stolzmann [1] gern gebrauchter Ausdruck lautet — begann man jetzt einen entscheidenden oder wenigstens sehr weitgehenden Einfluß auf die Verteilungsgesetze zuzuschreiben.

Mit Recht oder mit Unrecht?

Gewiß nicht ganz ohne Grund. Aber wie weit soll dieser Einfluß reichen? Und wie und wo soll er sich gegen die von der anderen „Kategorie“ stammenden Einflüsse abgrenzen? Das sind Fragen, die bis heute ihrer genauen Lösung noch harren. Wie ich vor einigen Jahren bei einer anderen Gelegenheit schrieb : „Man müßte heutzutage ein Idiot sein, wenn man einen Einfluß der sozial geschaffenen Einrichtungen und Maßregeln auf die Güterverteilung leugnen wollte; es liegt auf der Hand, daß unter einer kommunistischen Rechtsordnung die Verteilung formell und materiell ganz anders verlaufen würde, ßls unter einer individualistischen, auf dem Prinzip des Privateigentums basierenden Rechtsordnung; und es zweifelt unter anderem auch kein Verständiger mehr daran, daß der Bestand der Arbeiterorganisationen mit dem Kampfmittel der Streiks auf die Gestaltung der Arbeitslöhne nicht ohne Einfluß ist. Aber es wird umgekehrt auch kein Verständiger der Meinung sein können, daß die „soziale Regelung“ omnipotent und allein entscheidend sei. Man hat genug oft erlebt, daß niedrige staatliche Preistaxen unvermögend sind, in Hungerjahren das Getreide billig zu machen; und wir erleben es alle Tage, daß Streiks ergebnislos verlaufen, wenn sie auf die Erreichung von Arbeitslöhnen abzielten, die, wie man sich auszudrücken pflegt, in der „ökonomischen Lage“ nicht begründet sind. Nicht das kann heute in Frage sein, ob die „natürlichen“ oder „rein ökonomischen Kategorien“ einerseits und die „sozialen Kategorien“ andrerseits überhaupt einen Einfluß auf die Verteilungsgesetze ausüben; denn daß alle beide dies tun, steht für jeden Verständigen von vornherein außer Frage. Sondern die Frage kann nur sein, wie viel Einfluß sie ausüben; oder, wie ich es schon vor Jahren einmal aus Anlaß eines älteren, „die soziale Kategorie“ betitelten Werkes Stolzmanns ausgedrückt habe: „Das [208] große, noch nicht befriedigend gelöste Problem ist, die Art und das Maß des von jeder der beiden Seiten kommenden Einflusses darzulegen; darzulegen, wieviel der eine neben dem anderen und eventuell gegen ihn vermag. Dieses Kapitel der Sozialökonomie ist noch nicht befriedigend geschrieben worden.“[2]

Ich möchte fast noch mehr sagen: es ist bis auf die jüngste Zeit noch gar nicht einmal ernsthaft versucht worden, dieses Kapitel zu schreiben. Von keiner der beiden großen Richtungen, die rivalisierend um den Ausbau unserer Wissenschaft sich bemühen. Von der theoretischen Richtung nicht, die heutzutage vornehmlich durch die weitverzweigte Schule der „Grenzwerttheoretiker“ repräsentiert wird; aber auch von der historischen und sozialpolitischen Schule nicht, die gegen die Theorien der alten Klassiker sowohl als der modernen Grenzwerttheoretiker ankämpfend den Einfluß der Macht in den Mittelpunkt der Verteilungslehre zu stellen liebt.

Die Grenzwertschule hat das hier bestehende Problem nicht ignoriert, aber bis jetzt auch nicht ex professo bearbeitet; sie hat gewissermaßen ihre Forschungen bis an den Rand jenes Problems geführt, an diesem Rande aber bis jetzt Halt gemacht. Sie hat nämlich bis jetzt sich vornehmlich damit befaßt, die Verteilungsgesetze unter der Voraussetzung des Waltens völlig — nicht bloß rechtlich, sondern auch faktisch — freier und vollwirksamer beiderseitiger Konkurrenz zu entwickeln; also unter einer Voraussetzung, welche die Übermacht eines Teiles — die man ja bei dem Schlagwort des Einflusses der „Macht“ doch wohl vornehmlich im Auge hatte — vorweg auszuschließen geeignet ist. Unter dieser und der weiteren vereinfachenden Voraussetzung des ausschließlichen Waltens rein wirtschaftlicher Motive gelangte die Grenzwerttheorie zu dem Ergebnis, daß jeder konkrete Produktionsfaktor im Verteilungsprozeß beiläufig soviel als Vergütung für seine Mitwirkung im Produktionsprozeß erlangt, als das Produkt oder der Froduktzuwachs ausmacht, den man nach den Regeln der Zurechnung eben dieser seiner Mitwirkung im Produktionsprozeß verdankt. Den kürzesten Ausdruck findet [209] dieser Gedanke in der bekannten Formel von der „Grenzproduktivität“ der Faktoren.

Hiemit hatte die Grenzwerttheorie aber nur einen unvollständigen Torso der gesamten Verteilungstheorie geliefert und war sich dessen auch wohl bewußt. Sie prätendierte nicht, mit jener Formel die verwickelte, vielgestaltige Wirklichkeit schon vollends zu erschöpfen; sie versäumte im Gegenteil nicht, in wiederholten ausdrücklichen Kundgebungen zu betonen, daß zu ihren bisherigen Untersuchungen noch eine zweite Reihe von Untersuchungen hinzutreten müsse, deren Aufgabe es eben sei, die Veränderungen zu erforschen, die das Hinzutreten anderer Voraussetzungen, insbesondere von Voraussetzungen „sozialer“ Provenienz, gegenüber jener einfachsten Formel hervorrufen muß. [3] Sie räumte nur jenem ersten Teile in ihrer eigenen Tätigkeit die zeitliche Priorität ein, weil sie dafür hielt, daß ihm auch die methodische Priorität gebührt; daß man vor allem wissen und verstehen muß, wie der Verteilungs oder allgemeiner der Preisbildungsprozeß ohne besondere[4] soziale Beeinflussung verlaufen würde, um überhaupt erst einen Ausgangs oder Vergleichspunkt zu gewinnen, an dem sich dann die Veränderungen ermessen lassen, welche der Hinzutritt anderer, spezieller Faktoren „sozialer“ Natur nach Art und Größe hervorbringen kann. Die Grenzwerttheorie arbeitete also vorerst einen allgemeinsten theoretischen Rahmen fürs Ganze — mit den allgemeinsten Lehren ihrer Wert und Preistheorie — und innerhalb desselben im Detail nur die Theorie der freien Konkurrenz aus und ließ vorerst dort eine Lücke, wo vorwiegend die Einflüsse der sozialen „Macht“ zu verfolgen und darzustellen gewesen wären.

[210]

Diese Lücke wurde immer als solche gefühlt; sie wird aber mit jedem neuen Dezennium fühlbarer, weil in unserer modernsten Wirtschaftsentwicklung der Einschlag sozialer Machtmittel in immer stärkerer Zunahme begriffen ist. Trusts, Kartelle, Pools, Monopole aller Art drängen sich von der einen, Arbeiterorganisationen mit den Machtmitteln der Streiks und Boykotts von der anderen Seite überall in die Preisbildung und Verteilung ein — der ebenfalls rapid anwachsenden künstlichen Beeinflussungen nicht zu gedenken, die von der staatlichen Volkswirtschaftspolitik ausgehen. Und während daher noch zur Zeit der klassischen Nationalökonomie die Theorie der freien Konkurrenz beanspruchen konnte, nicht nur die systematische Unterlage des Ganzen, sondern zugleich die Theorie des normalen Hauptfalles zu sein, ist heute die Masse und Wichtigkeit der Erscheinungen, deren Erklärung in der Theorie der freien Konkurrenz nicht mehr ihr Genügen finden kann, vielleicht schon über das Ausmaß dessen hinausgewachsen, was auch heute noch nach der Formel der freien Konkurrenz erklärt werden kann — obgleich dies immer noch ein sehr ansehnlicher, und vielleicht ein ansehnlicherer Teil des Ganzen ist, als man gewöhnlich meint.

Die von der Grenz Werttheorie gelassene Lücke[5] ist aber auch von. der anderen Seite, von der Seite derjenigen, die den Einfluß der „sozialen Kategorie“ in den Vordergrund der Erklärung stellten, nicht ausgefüllt worden. Und zwar deswegen nicht, weil diese die Tragweite der erklärenden Kraft ihrer Lieblingsformeln überschätzten. Man meinte, wenn man in erklärendem Tone aussprach, daß in diesem oder jenem Verhältnisse, z. B. bei Festsetzung der Arbeitslöhne, in letzter Linie die „Macht“ entscheide, hiemit der Erklärung schon einen Inhalt gegeben zu haben ; man meinte einen genügenden Erklärungsgrund sui generis genannt zu haben, der dort, wo er überhaupt zutreffe, die Wirksamkeit der rein ökonomischen Erklärungsgründe vertrete, bzw. ausschließe. Wo die „Macht“ herrsche, herrsche eben kein ökonomisches Gesetz, und [211] die Berufung auf die Macht war so nicht nur der Anfang, sondern auch schon das Ende der Erklärung, die man zu geben hatte. Sie wurde weit mehr von einer Leugnung oder Bekämpfung der von anderen theoretischen Richtungen entwickelten „ökonomischen Gesetze“ begleitet, als von einer sorgfältigen Untersuchung darüber, wo und wie die beiden „Kategorien“ ineinander arbeiten; wozu noch kam, daß eben auch die Schlagworte von den beiderlei „Kategorien“ bloße Schlagworte von recht vagem und dehnbarem Gedankeninhalt und daher keineswegs sehr geeignete Werkzeuge tüx die Führung klarer, scharfer Untersuchungen waren.

Als typischer Vertreter dieser Richtung kann heute etwa Stolzmann gelten. Vielleicht sind andere Vertreter ähnlicher Gedanken, wie Stammler oder Simmel, in weiteren Kreisen bekannt und einflußreich geworden. Aber Stolzmann hat den Vorzug, daß er sich emsig bemüht hat, die von Früheren — seit Rodbertus und Wagner — gegebenen Anregungen prinzipiell zu fassen und in Monographien systematisch auszugestalten, und dann auch noch den weiteren Vorzug, daß er sich mit den ökonomischen Theorien eingehender vertraut zeigt als manche von anderen Wissensgebieten ihren Ausgang nehmende Autoren: er ist so vielleicht der zur Diskussion der Prinzipienfrage bestlegitimierte Vertreter seines Typus. Stolzmann spricht nun als leitenden Gedanken seiner Verteilungstheorie aus, daß nicht, wie die Theorie des Grenznutzens lehre, die rein ökonomischen Verhältnisse der Zurechnung, also nicht das Maß des Beitrages der einzelnen Produktionsfaktoren zum Produktionsertrage, sondern die sozialen Machtverhältnisse über die Verteilung des Produktionsertrages zwischen Grundieigentümer, Kapitalisten und Arbeitern entscheiden. „Die Macht allein“ sei es, welche „die Größe des Anteils vorschreibe“. Nicht was die Produktionsfaktoren zum Produktionswerk beitragen, sondern was die Menschen, die als Eigentümer hinter den Produktionsfaktoren stehen, je nach den bestehenden sozialen Machtverhältnissen sich als Vergütung zu erzwingen wissen, entscheide über die Verteilung. Und mit solchen und ähnlichen Aussprüchen [6] geht eine ununterbrochene, auf eben diese prinzipiellen Gesichtspunkte gestützte Polemik gegen die [212] Grenz Werttheorie einher, weil diese in ihrer ökonomischen Erklärung der Verteilung angeblich keinen Spielraum für die Berücksichtigung des in Wahrheit ausschlaggebenden Machtfaktors lasse, sondern eine Rückfälligkeit in die alte rein „naturalistische“ Erklärungsweise, in die Theorie von den ewigen unwandelbaren Naturgesetzen zeige.[7]

Das war nun freilich auch kein richtiger Weg, um in die Feinheiten des gestellten Problems einzudringen und die bisher gelassene „Lücke“ in der Erklärung zu füllen — worin ja doch auch Stolzmann den Hauptzweck seines fast 800 Seiten umfassenden Buches erblickt.[8] Die „Macht allein“ über die Ergebnisse der Verteilung entscheiden zu lassen, war eine so offenbare Wiederholung der alten Einseitigkeit nach der entgegengesetzten Seite, daß Stolzmann sich mit dieser Formel selbst nicht ernsthaft beim Worte nehmen lassen konnte. Es war allzu deutlich, daß die „Macht“ doch nicht alles, und daß auch das „rein ökonomische“ einiges zu bedeuten hatte. Stolzmann sah sich daher dazu gedrängt, an ungezählten Stellen seines Werkes trotz jener Formel doch auch einen gewissen Einfluß der „rein ökonomischen“ Kategorie auf die Verteilung anzuerkennen. Aber er tat es in einer Weise, die auf alles eher als auf eine klare Auseinandersetzung des zwischen beiden Kategorien nach Art und Maß ihrer Wirkungsweise bestehenden Verhältnisses abzielte. Offenbar war nämlich neben der jetzt ausgesprochenen Anerkennung, [213] daß nicht nur (also doch auch!) „die natürliche Wirkung“ des Effekts der Produktionsfaktoren, sondern neben ihr „auch“ die sozialen Machtverhältnisse das Verteilungsresultat beeinflussen [9], die erste Formel, daß die Macht allein über die Verteilung entscheide, nicht mehr zu halten. Aber Stolzmann will trotzdem beide Formeln halten. Er widerruft nicht die extreme Formel des „nur“ oder „allein“, sondern er balanciert dialektisch zwischen dem „nur“ und dem „auch“ hin und her, wobei er das „nur“, die alleinige Hervorhebung der Macht, dadurch dialektisch möglich zu machen sucht, daß er die Wirkungsweise der sozialen Kategorie aus seinem Sprachschatze jedesmal mit sehr bestimmten und starken, die Wirkensweise der natürlichen Kategorie aber nur mit vagen und abgeschwächten Prädikaten bedenkt: diese soll stets nur eine „Bedingung“, eine „Voraussetzung“, ein „Rahmen“, eine Schranke für das „Mögliche“ sein, jener, der sozialen Kategorie, allein komme es zu, zu „bestimmen“, zu „entscheiden“, den „Grund“ für das „Wirkliche“ abzugeben.[10] Und auf den logischen Widerspruch zwischen dem „auch“ und „nur“ aufmerksam gemacht, glaubt Stolzmann ohne Skrupel replizieren zu dürfen, es sei „beides richtig, je nach dem Standpunkte der jeweiligen Betrachtung“. Beide Kategorien äußern in der Wirklichkeit ihre Macht; aber wenn er „von ihrem grundsätzlichen systematischen Verhältnis zu einander rede, dann sei die soziale Kategorie entscheidend, und ganz besonders für die Größe der Abfindungen“. [11] Ich glaube, nicht ich allein werde den Eindruck haben, daß hier eine Wolke von Worten um einen nichts weniger als deutlichen und einwandfreien Kern gehüllt wird, und daß wir eine wirkliche Lösung des hochwichtigen Problems trotz Stolzmanns 800 Seiten erst noch zu suchen haben, und zwar wohl auf anderen Wegen als dem einer hin und herbiegenden Dialektik.

Stellen wir erst noch fest, um was es sich bei diesem bisher so stiefmütterlich behandelten Problem für die ökonomischen Wissenschaften eigentlich handelt: es handelt sich tatsächlich um nicht mehr und nicht weniger als um die wissenschaftliche Fundierung [214] jeder rationellen Volkswirtschaftspolitik. Denn es liegt auf der Hand, daß ein künstliches Eingreifen in die volkswirtschaftlichen Prozesse von vornherein nur dann einen Sinn hat, wenn man die Vorfrage, ob die Macht gegenüber den „natürlichen Gesetzen“ des ökonomischen Geschehens überhaupt etwas vermag, bejahend zu beantworten im stände ist; und es liegt nicht minder auf der Hand, daß man die Ziele und Grenzen eines solchen Eingreifens nur dann rationell abzustecken und die Durchführungsmittel nur dann rationell auszuwählen im stände sein wird, wenn man sich über das, was ich oben als den Inhalt unseres Problems bezeichnete, nämlich über das Maß und die Art des Einflusses, der der „Macht“ gegenüber dem „natürlich-ökonomischen“ Geschehen beschieden sein kann, klare und zutreffende Anschauungen zu bilden vermag.[12] Man muß hier sehen, wenn man nicht tappen will; und ich glaube, daß ein solches Sehen nicht dadurch vermittelt oder ersetzt wird, daß man für die miteinander in Rivalität tretenden kausalen Einflüsse nur die sprachlichen Ausdrücke variiert und den einen ein bedingendes, den anderen ein bestimmendes Beeinflussen zuschreibt.

Ich will darum im folgenden versuchen, einige Fragen aufzuwerfen und zu ihrer Beantwortung anzuregen, von denen mir scheint, daß der Weg zur Klarheit notwendig durch sie hindurchführen muß. Es wollen in jeder Hinsicht nur sehr bescheidene Anregungen sein, die ich hier zu bieten habe. Denn einerseits bin ich mir wohl bewußt, daß der volle systematische Ausbau weit mehr als das hier Gebotene erfordern würde. Und andrerseits liegt die Sache so, daß ich auch für den Zweck der Anregung überwiegend Dinge zu sagen haben werde, welche nicht im mindesten auf Neuheit oder Originalität Anspruch machen können. Es sind zumeist in der Luft liegende, jedermann geläufige Trivialitäten, an die ich anzuknüpfen haben werde: ich werde sie nufl in einem gewissen Zusammenhang aufzuweisen und in gewisse Konsequenzen zu verfolgen haben, die aber ebenfalls so nahe, liegen, daß sie sich beinahe von selbst ergeben und nur dessen [215] harren, endlich einmal auch mit voller Ausdrücklichkeit und Absichtlichkeit ausgesprochen zu werden.

II.

Da ich keine offenen Türen einrennen will, frage ich gar nicht erst, ob, sondern sehe es nach dem einmütigen Urteil aller Sachkundigen unserer Tage bereits als ausgemacht an, daß die Macht ein einflußreicher Faktor der Preisbildung überhaupt und der Verteilung insbesondere ist. Ich richte daher unsere erste Frage darauf, ob der Einfluß der Macht sich innerhalb oder aber gegen die ökonomischen Preisgesetze geltend macht; ob er dort, wo er auftritt, die Formeln der theoretischen Preisgesetze durchkreuzt und stört, oder aber sie erfüllt. Es ist dies eine analoge Frage, wie man sie auch auf dem Gebiete der Produktion der Güter einstmals zu stellen gehabt hat: ist die unbezweifelt bestehende Macht der Menschen, durch künstliche Eingriffe die Entstehung von Gütern fördernd zu beeinflussen, eine Macht, die sich außerhalb oder gar gegen die Gesetze des natürlichen Geschehens geltend macht, oder aber eine Macht, die nur innerhalb der Naturgesetze, im Gehorsam gegen diese und durch die Erfüllung der naturgesetzlichen Bedingungen der Güterentstehung sich zur Geltung bringen kann?

Bekanntlich ist man bezüglich dieser letzteren Frage vollständig einmütig darüber, daß alle „Macht des Menschen über die Natur“ nur innerhalb der Naturgesetze und durch strikte Erfüllung der von diesen gestellten Bedingungen ausgeübt werden kann. Und ich glaube, daß sich, sowie die Frage nur einmal ausdrücklich und deutlich genug gestellt wird, eine gleiche Einmütigkeit in gleicher Richtung auch in unserer Frage gar nicht schwer erzielen lassen wird: auch in den Preis und Verteilungsfragen wirkt die „Macht“ offenbar nicht außerhalb oder gegen, sondern innerhalb und durch Erfüllung der ökonomischen Preisgesetze. Suchen wir dies zunächst an ein paar aller Welt geläufigen Beispielen zu illustrieren, in denen die „Macht“-Einflüsse besonders drastisch hervortreten.

Zunächst an Fällen des Wuchers. Was verschafft dem Wucherer jene „Macht“ über den Bewucherten, die die bekannten [216] ausbeutend hohen Wucherpreise zur Erscheinung bringt? Es sind dies keine anderen als eben diejenigen Momente, welche auch die angeblich „rein ökonomische“ Theorie des Grenznutzens in der von ihr entwickelten Preisformel an die Hand gibt. Es ist dies das dringende Bedürfnis des Bewucherten, das ohne das Wuchergeschäft ganz ohne Deckung bliebe, so daß von der durch das Wuchergeschäft zu erkaufenden Deckung die Befriedigung allerwichtigster Bedürfnisse abhängt, womit in weiterer Folge der durch den abhängigen Nutzen bestimmte subjektive Wert und mit ihm die obere Grenze des möglichen Preises in die Höhe gerückt wird. Und da. dem Bewucherten andrerseits auch keine Konkurrenz von Anbietenden zu Hilfe kommt, deren Mitbewerbung der Wucherer nur durch Unterbieten aus dem Felde schlagen könnte, so fehlt es auch an jenen tiefer liegenden, den Preis gleichfalls nach oben einengenden Grenzlinien, die im Falle der Konkurrenz die Wertschätzungen der aus dem Felde zu schlagenden Wettbewerber im Angebot abgeben [13]; und der Wucherer erlangt so die „Macht“, durch zähe Unnachgiebigkeit seinen Preis bis knapp an die äußerste Obergrenze zu rücken, welche die hochgespannte subjektive Wertschätzung des bedürftigen Bewerbers bezeichnet.

Oder der typische Fall jedes Monopols. Jeder Inhaber eines vollständigen Monopols hat bekanntlich die „Macht“, den Preis seines monopolisierten Artikels in einer ihm beliebigen Höhe anzusetzen. Er verdankt diese „Macht“ wiederum der Existenz von Schichten einer Nachfrage von hoher und höchster Intensität, dem Dasein von Leuten, bei denen sich dringender Bedarf und hohe Kaufkraft zu entsprechender Intensität der Nachfrage kombinieren, in Verbindung mit dem soeben erläuterten Umstand, daß die Abwesenheit zu unterbietender Konkurrenten keinerlei tiefer liegende Marken setzt, welche die volle Ausnützung der intensivsten Kaufbereitschaft, falls sie dem Monopolisten beliebt, hindern würden. Aber der Umstand, daß die Monopolistenmacht in eben diesen ökonomischen Umständen wurzelt, setzt derselben auch gewisse wohlbekannte und oft erörterte Grenzen: der Monopolist kann den Preis doch nie höher stellen, als äußerstenfalls bis knapp an die Wertschätzung der obersten, intensivsten Nachfrageschicht, [217] und, was noch wichtiger ist, er muß immer die mit der gewählten Preishöhe verknüpfte Eingrenzung der absetzbaren Menge in den Kauf nehmen. Er kann sich mit anderen Worten doch nie dem ökonomischen Gesetz entziehen, daß der Preis an dem Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage, dort, wo gleiche Quantitäten angeboten und nachgefragt sind, sich feststellt. Er hat dadurch, daß er sein eigenes Angebot nach Umfang und Intensität willkürlich bestimmen kann, es in der Hand, ob er jenen Schnittpunkt an einem tiefen oder an einem hohen Punkt der möglichen Preisskala aufsuchen will; aber je höher dieser Punkt, desto schmaler wird die Front der in der Nachfrage Ausharrenden, desto geringer die zu diesem Preise absetzbare Menge. Der Monopolist hat so nie eine schrankenlose Macht, sondern immer nur innerhalb der Preisgesetze eine — freilich auch so noch genug vorteilhafte — Wahl zwischen verschiedenen „ökonomisch möglichen“ Preislagen. Er kann und mag diejenige wählen, bei der ihm die Kombination zwischen der Höhe des Einzelgewinnes per Stück und der Zahl der bei dem betreffenden Preise absetzbaren Stücke den größten Gesamtgewinn verheißt; aber diese seine „Macht“ kann er nicht anders als in Erfüllung der Preisgesetze ausüben, indem er eben durch sein eigenes Verhalten die preisgesetzlichen Bedingungen einer bestimmten Preislage und Absatzmenge schafft — nicht aber gegen die Preisgesetze.

Und ebenso wie in diesen typischen Beispielsfällen steht es wohl ausnahmslos auch in jedem anderen Fall der Ausnützung einer sogenannten „ökonomischen Macht“: denn nur von dieser und nicht etwa von physischer Gewalt und unmittelbarem Zwang kann in unserem ganzen Problem die Rede sein. Straßenraub oder Erpressung, Waffengewalt oder Knechtung zum Sklaven gehören natürlich auf ein ganz anderes Blatt. Der Druck der ökonomischen Macht aber führt kein Moment in die Preisbestimmung ein, welches nicht der Art und auch der Größe nach schon in der abstrakt-theoretischen Preisformel seinen Platz gehabt hätte. Was daraus für unser Problem zu folgern ist, werde ich einen Augenblick später entwickeln. Vorerst sei noch auf einen wichtigen Unterschied hingewiesen, der in diesem Punkt zwischen den Einflüssen der ökonomischen „Macht“ und dem Einfluß außerwirtschaftlicher Motive besteht.

[218]

Die Wirkung der letzteren durchkreuzt oder stört nämlich das ökonomische Preisgesetz, die Wirkung der Macht aber erfüllt es. Wo außerwirtschaftliche Motive, wie Großmut, Humanität, Klassen oder Rassenhaß, nationale Zu oder Abneigung, Eitelkeit, Ehrsucht und dergleichen in die Preisbildung oder Verteilung einspielen, können sie Preise zum Vorschein bringen, die von den nach der preisgesetzlichen Formel zu erwartenden Preisen abweichen, ja vielleicht sogar dieser Formel direkt widersprechen. Wer von dem außerwirtschaftlichen Nebenmotiv geleitet wird, aus Freundschaft oder Humanität den anderen Vertragsteil zu beschenken, mag als Käufer sogar einen Preis bewilligen, der die eigene Wertschätzung übersteigt, als Verkäufer mit einem Preis vorliebnehmen, der hinter der eigenen Wertschätzung der Ware zurückbleibt; oder wer aus Patriotismus oder Nationalitätenhaß nur bei einem Konnationalen kaufen will, mag Preise bewilligen, die höher liegen als Konkurrenzanbote, die aus einem fremden Lager kommen. Diese störende, der Gesetzesformel widerstreitende Wirkung der außerwirtschaftlichen Motive hängt damit zusammen, daß, wie sattsam bekannt und schon oft erörtert, die ökonomischen Preisgesetze nur insoweit Geltung erlangen und beanspruchen können, als die Voraussetzungen, von denen sie ausgehen, in der Wirklichkeit gegeben, und zwar rein, ohne entgegenwirkende Störungsursachen, gegeben sind; analog, wie z. B. die physikalischen Gesetze des freien Falles nur unter der Hypothese der alleinigen Wirkung der Gravitationskraft, also z. B. im luftleeren Räume zu ganz reiner und voller Wirkung kommen, während das Dazwischentreten von Störungsursachen, wie dichte Widerstandsmedien oder der Auftrieb, der von der Gasfüllung des Luftballons ausgeübt wird, zu Bewegungserscheinungen und Bewegungsgrößen führt, welche von der Formel des freien Falles abweichen oder ihr sogar widersprechen. Im Unterschied davon vollziehen sich die preisbestimmenden Einflüsse, die von der ökonomischen Macht oder ökonomischen Übermacht ausgehen, innerhalb und gemäß der von der reinen ökonomischen Theorie aufgestellten Formel: sie begründen keinen Störungs-, sonde einen Anwendungsfall der ökonomischen Preisformel.

Daraus folgt zweierlei, was für unser Problem von Interesse ist. Es folgt erstens, daß wir für die Geltung der ökonomischen [219] Preis und Verteilungsgesetze wegen der Existenz sozialer Machteinflüsse einen Vorbehalt weder machen müssen, noch auch machen dürfen. Wir haben es nicht nötig, bezüglich ihrer ebenso wie rücksichtlich der außerwirtschaftlichen Einflüsse uns auf den resignierenden Standpunkt zu stellen, daß unsere Gesetze nur soweit gelten können, als jene Einflüsse sich nicht einmischen; daß sie nur für eine vorgestellte Welt gelten, in der solche Einflüsse fehlen, nicht aber für die Welt der Wirklichkeit, in der die sozialen Machtverhältnisse eine täglich stärker hervortretende Rolle spielen. Wir dürfen uns aber auch gar nicht auf diesen resignierenden Standpunkt stellen, der einerseits den Wert unserer theoretischen Gesetze, andrerseits aber auch die Anforderungen an ihre Stich und Hiebfestigkeit sehr vermindern, der uns immer die bequeme Ausflucht eröffnen würde, zu sagen, dies und das brauchen unsere ökonomischen Gesetze gar nicht zu erklären. Und dies führt auf die andere, zweite Konsequenz: Wer die Einflüsse der sozialen Macht in der Erklärung der Preisbildung zur gebührenden Geltung bringen will, darf die mit sogenannten „rein ökonomischen“ Momenten operierenden Gesetzesformeln nicht beiseite schieben, sondern muß sie vielmehr anerkennen und ausbilden. Er darf ihnen nicht, wie dies Stolzmann gegenüber der Preis und Verteilungslehre der Grenznutzentheorie tut, in die Schuhe schieben, daß in diesen Formeln nur das Walten rein „natürlicher Faktoren“ berücksichtigt sei, und daß man daher von ihnen abgehen, sie verwerfen müsse, um auch die Wirkungen sozialer Einflüsse gebührend berücksichtigen zu können; sondern man muß sich im Gegenteil auf ihren Boden stellen und sie nur durch eine sorgfältig durchgeführte Kasuistik auch nach denjenigen Richtungen hin ausdrücklich ausbilden, in welchen die konkreten sozialen Machteinflüsse wirksam werden, deren Wirkungen auf die Preisbildung und Güterverteilung man als belangreich verfolgen will. Nicht Leugnung, sondern kasuistische Fortbildung der vermeintlich rein ökonomischen Verteilungsgesetze muß die Losung sein.

Daß die ökonomische Macht auf die Verteilungs Verhältnisse nicht anders als durch das Medium der Kategorien vom „Grenznutzen“ und „subjektiven Wert“ hindurch wirken kann, ist eigentlich eine gar nicht fernab liegende Erkenntnis, die ab und zu [220] auch schon ausdrücklich ausgesprochen wurde. So z. B. unlängst von Schumpeter, wenn er gegen einen sich auf die Machtverhältnisse berufenden vagen Leitsatz von Lexis' Verteilungstheorie sich mit den Worten wendet: „Der Hinweis auf die verhältnismäßige ökonomische Macht endlich leistet an sich nichts. Fragt man nämlich, worin die ökonomische Macht besteht, so kann die Antwort nur lauten: in dem Besitz bestimmter Güter. Und nur aus der wirtschaftlichen Rolle dieser Güter und der auf ihr beruhenden Wertbildung kann eine wirkliche Erklärung fließen. [14]

Und eigentlich wird der entscheidende Ausgangspunkt sogar von Stolzmann selbst anerkannt, wenn er einmal sagt, daß „nicht nur ein großer Teil, sondern die ganze wirtschaftliche Macht der Arbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer sich aus der natürlichen Wirksamkeit der von ihnen hergegebenen Produktivfaktoren ableitet“.[15] Er kommt nur leider von den geradlinigen Konsequenzen dieses Ausgangspunktes durch einen eigenartigen logischen Seitensprung wieder ab. Er glaubt nämlich, trotz dieses Ausspruches den Grenzwerttheoretikern abstreiten zu dürfen, daß jene „Wirksamkeit auch das Wesen und das Maß des Wertes bestimme“ und daß die im Verteilungsprozeß festgestellten Abfindungen „von der ökonomischen Wirksamkeit des betreffenden Produktionsfaktors herzuleiten“ seien [16]; vielmehr werde Wert und Abfindungsquote durch die sozialen Machtverhältnisse von der Leistung des Produktionsfaktors für die technische Herstellung der Produkte ab und einem anderen Maße zugedrängt[17] Aber soll oder kann denn die „Leistung der Produktionsfaktoren für die technische Herstellung der Produkte“, von der Stolzmann in diesem zweiten Satze spricht, im mindesten etwas anderes bedeuten als eben jene „natürliche Wirksamkeit“ [221] derselben, von der er in seinem ersten Ausspruch „die ganze wirtschaftliche Macht“ hergeleitet hat? Und wenn die beiden Wortfügungen genau dasselbe bedeuten — und offenbar auch bedeuten müssen — ist es dann nicht eine seltsame Logik, wenn Stolzmann den entscheidenden Einfluß auf die Höhe der Verteilungsquoten in einem Atem der natürlichen Wirksamkeit der Produktionsfaktoren abspricht und einem erklärten reinen Derivat derselben zuspricht? Ist das nicht gerade so, als wenn jemand sagen würde, es sei nicht wahr, daß die Geschwindigkeit eines Schraubendampfers von der Stärke seiner Maschine im Verhältnis zu den zu überwindenden Widerständen, der Größe der fortzubewegenden Last und dergleichen abhänge; denn sie hänge vielmehr von der Zahl der Umdrehungen der Schiffsschraube ab, die aber allerdings selbst wieder „ganz“ von der Stärke der Schiffsmaschine im Verhältnis zu den zu überwindenden Widerständen abhänge?>

Und auch jene Formel wird der Sache nicht gerecht, die Stolzmann an wiederholten anderen Stellen seiner Schriften auf das Verhältnis zwischen natürlicher und sozialer Kategorie geprägt hat: daß die natürlichen Faktoren als „Bedingungen“ oder „Voraussetzungen“ wirken, die nur die Grenzen des Möglichen bezeichnen, während innerhalb dieser Grenzen und Voraussetzungen die sozialen Faktoren wirklich „bestimmen“ und „entscheiden“.[18] Zwar die Wirkung der ökonomischen Faktoren ist tatsächlich zunächst eine wesentlich nur eingrenzende : die subjektiven Wertschätzungen der Marktparteien bezeichnen wirklich zunächst nur Ober und Untergrenzen für die mögliche Preisbildung. Aber einerseits verstärkt sich auch das „Eingrenzen“ zum „Bestimmen“, wenn und wo die nach unten und oben eingrenzenden Marken so zahlreich und so dicht aneinander gelagert sind, daß sie den Spielraum für die Entscheidung auf eine ganz schmale Zone oder geradezu auf einen bestimmten Punkt einengen, wie dies z. B. im Falle einer lebhaften und dabei atomisierten beiderseitigen Konkurrenz der Fall zu sein pflegt.

Und andrerseits wird dort, wo die ökonomischen Grenzmarken einen Spielraum lassen, durch die „Macht“ eben auch noch nicht [222] „entschieden“, sondern ebenfalls nur „eingegrenzt“. Wer dem Bedürftigen konkurrenzlos gegenübersteht, mag die „Macht“ haben, den Preis auf irgend einem Punkte des mutmaßlich sehr weiten Spielraumes festzustellen, der zwischen dem Wert des dringend benötigten Gutes für den Bedürftigen als Obergrenze und dem Wert desselben Gutes für den nicht bedürftigen Verkäufer als Untergrenze liegt. Aber auf welchem Punkte dieser ausgedehnten Skala der Preis sich dann tatsächlich feststellt, darüber entscheidet die Machtstellung ebenfalls noch nicht für sich allein: denn bei identischer „Macht“ wird der Menschenfreund dem Bedürftigen einen ganz anderen Preis stellen als der Wucherer; oder es mag auch ein verschiedener Grad von Geschick in der Führung der Verhandlungen, im Durchblicken der Position des anderen, von Zähigkeit, Geduld, von Rücksichtslosigkeit gegen die öffentliche Meinung, von Trotz oder Furcht auch bei gleichem Grad der objektiven „Macht“ den Preis auf eine recht verschiedene Stufe der Preisskala rücken. Wo aber etwa die „verhältnismäßige Macht“ beider Parteien den Ausschlag schon auf einen ganz bestimmten Punkt der Preisskala lenkt, da ist es zuverlässig doch wieder nichts anderes als das Zusammentreffen einer Mehrheit von eingrenzenden Einflüssen gewesen, die von beiden Seiten her den Spielraum so einengen, daß das Preisniveau dadurch bereits „bestimmt“ erscheint. Es ist ja auch gar nicht anders zu erwarten: denn wenn, wie oben gezeigt, die „ökonomische Macht“ überhaupt nur durch die Bestimmgründe der theoretischen Preisformel hindurch wirken kann, und wenn diese Bestimmgründe wieder nur durch vervielfältigte, einengende Eingrenzung „bestimmen“ können, dann versteht es sich geradezu von selbst, daß auch die Macht nicht anders als durch Eingrenzung bestimmen, nicht aber eine zum „Eingrenzen“ in einem grundsätzlichen Gegensatz stehende, spezifisch „bestimmende“ Wirkung ausüben kann! Aus dem Gesagten wird aber endlich auch ersichtlich, daß und warum wir bei der Behandlung dieser Fragen nicht mit den alten Schlagworten von „rein ökonomischen“ und „historisch rechtlichen“ Kategorien, wie Rodbertus sagte, oder von „natürJl liehen“ und „sozialen Kategorien“, wie Stolzmann zu sagen liebt, das Auslangen finden können. Diese Schlagworte haben zu ihrer Zeit immerhin ihre Schuldigkeit getan. Sie haben, im [223] Groben wenigstens, auf Unterschiede aufmerksam gemacht, auf die man sicherlich auch Acht haben muß, und sie haben insbesondere der älteren Einseitigkeit, die auch im ökonomischen Leben überall nur „reine Naturgesetze“ walten sah, ein wohlverdientes Ende bereiten geholfen. Aber sie spielen in der theoretischen Erklärung der Preis- und Verteilungsphänomene doch nicht diejenige Rolle, die ihre Urheber ihnen zuschreiben. Sie legen überhaupt keine glatte, scharfe Teilungslinie durch die sozialwirtschaftlichen Phänomene, weil sich in diesen immer und überall beides zusammenmischt. Irgend ein „historischrechtlicher“ oder „sozialer“ Einschlag ist in jedem sozialwirtschaftlichen Phänome so allgegenwärtig, daß für eine entgegengesetzte „reine“ Kategorie einfach gar nichts übrig bleibt. Es gibt buchstäblich keinen Preis und keine Verteilung — außer durch Straßenraub und dergleichen — ohne historisch-rechtlichen Einschlag. Es muß ja doch in jeder zivilisierten Gesellschaft irgend eine Rechtsordnung geben, die in Anwendung tritt, wo zwei Gesellschaftsglieder zueinander in Beziehung treten, und die darum auch, wie immer sie beschaffen sein mag, Inhalt und Form jener Berührung irgendwie beeinflußt. Man sagt daher entweder zu wenig oder zu viel, wenn man die Verteilungserscheinungen für die „soziale Kategorie“ — im Gegensatz zur „natürlichen“ — reklamiert. Es ist entweder eine leere Banalität, die für jede Volks oder sozialwirtschaftliche Erscheinung ohne Ausnahme schon nach dem Begriffe derselben zutreffen muß : — auch schon z. B. „tauschen“ kann ja natürlich nie ein Robinson mit sich selbst, sondern nur ein Gesellschaftsglied mit einem anderen Gesellschaftsglied, falls beide nach der Rechtsordnung an den zu vertauschenden Gütern Eigentum haben können — ; oder aber, die Behauptung schießt über das Ziel, wenn sie mehr als jene banale Selbstverständlichkeit besagen will. So schießt z. B. Rodbertus über das Ziel, wenn er den Kapitalzins in dem bekannten nachdrücklichen Sinn als die spezifische Frucht der bestehenden konkreten Gestalt der Rechtsordnung hinstellt und eine „rein ökonomische“ Fundierung desselben leugnet; und so schießt auch Stolzmann über das Ziel, wenn er die soziale Kategorie allein über die Verteilung „entscheiden“ läßt, und wenn er eine Verteilungstheorie, die auch die ökonomischen Grundlagen der [224] sozialen Macht zu ihrem Recht kommen läßt, wie die Zurechnungstheorie der Grenzwertschule, irrig beschuldigt, sie wolle reine Naturgesetze der Verteilung lehren. Die genauere Analyse der „sozialen Macht“ führt vielmehr notgedrungen quer über den Teilungsstrich zwischen „sozialer“ und „natürlicher Kategorie“ hinüber; sie hat hüben und drüben desselben zu schaffen. Die „soziale Macht“ ist nicht ein Destillat, in dem sich die Einflüsse der „sozialen Kategorie“ völlig rein widerspiegeln würden; und die von Stolzmann als extrem naturalistisch gescholtenen Darlegungen der Grenzwerttheorie wieder sind ebensowenig ein unvermischtes Destillat aus Einflüssen der natürlichen oder rein ökonomischen Kategorie allein; sie haben vielmehr überall den Einfluß der „Daten' einer gegebenen oder vorausgesetzten Rechtsordnung in sich mit aufgenommen. Sie sind darum auch fähig, bei gehöriger Ausarbeitung den ganzen Einfluß der sozialen Macht zum Ausdruck zu bringen — und es bleibt dabei doch wahr, daß die Preise durch die auf dem Grenznutzen basierenden subjektiven Wertschätzungen begrenzt und mittels dieser Begrenzung auch mehr oder weniger genau bestimmt werden; und es bleibt ebenso^ wahr, daß der Wert der Produktivgüter auf nichts anderem als auf dem Wert der aus ihnen entspringenden Produkte beruht und in letzter Linie also auch der Wert der Produktionsfaktoreal auf der ihnen nach Maßgabe ihrer Mitwirkung zur Produktioi zuzurechnenden Quote des Produktes.

„Soziale Macht“ und „soziale Kategorie“ sind daher keine Synonyma. In den letzteren Ausdruck sowie in sein Widerspiel der „natürlichen“ oder „rein ökonomischen“ Kategorie sind aber schon so viele Unklarheiten und Mißverständnisse hineingegossen worden, daß ich im Interesse einer klaren Auseinandersetzung; am liebsten auf ihren Gebrauch völlig verzichten möchte. Wo, ich mich — in dieser sowie in vorangegangenen Schriften — ; bisher ihrer bediente, geschah es nicht so sehr, weil sie Bestand teile meines eigenen Wortschatzes gewesen wären, als vielmehr deshalb, weil ich einer eingebürgerten Terminologie nicht gut ausweichen konnte und weil ich, um mich verständlich zu machen, zunächst sozusagen die Sprache derjenigen reden mußte, mit deren Meinung ich mich auseinanderzusetzen hatte; ich habe aber auch [225] schon bei früheren Gelegenheiten es an Vorbehalten in dieser Richtung nicht fehlen lassen.[19]

Und nun will ich einige Gedanken darüber vorzulegen versuchen, in welcher Richtung die bisherige ökonomische Theorie einen Ausbau erheischt, um auch die Einflüsse der Macht in ihre Erklärung geordnet einzufügen.

III.

Ich glaube, das was ich zu sagen habe, am besten an der Betrachtung eines konkreten typischen Falles entwickeln zu können, der die Merkmale einer Entscheidung durch soziale Macht in besonders drastischer und sinnfälliger Weise an sich trägt: es ist der Fall der Entscheidung eines Lohnkampfes durch Streik.

Nach der Schulformel, die die nach der modernen Theorie des Grenznutzens orientierte Lohntheorie für die Lohnhöhe bei beiderseitiger freier und vollwirksamer Konkurrenz entwickelt, sollte die Lohnhöhe bestimmt werden durch die „Grenzproduktivität der Arbeit“; das will sagen, durch den Wert des Produktes, welches der „letzte“, entbehrlichste Arbeiter der Branche seinem Unternehmer noch einbringt. Der Lohn würde nicht mehr ausmachen können, weil sonst der Unternehmer aus der Anstellung des „letzten“ Arbeiters keinen Vorteil, sondern Verlust hätte und daher vorziehen würde, seine Arbeiterzahl um einen Kopf zu verringern; der Lohn würde aber unter der Voraussetzung einer vollwirksamen beiderseitigen Konkurrenz auch nicht wesentlich niedriger sein können, weil sonst auch noch die Anstellung des letzten Arbeiters mit einem merklichen Extragewinn verknüpft wäre, und, insolange dies der Fall ist, ein Antrieb zu einer noch weiteren Ausdehnung der Unternehmungen, zur Anstellung noch weiterer Arbeiter gegeben wäre, welcher Antrieb bei vollwirksamer Konkurrenz der Unternehmer auch ausgenützt würde und nicht verfehlen könnte, die bestehende Marge zwischen dem Wert [226] des Grenzproduktes und dem Arbeitslohn von zwei Seiten her aufzuzehren: durch eine Erhöhung des Arbeitslohnes infolge der Nachfrage nach mehr Arbeitern, und durch eine leise Senkung des Wertes des Produktzuwachses durch gesteigertes Angebot der in noch größerer Menge produzierten Ware. Diese Momente würden, ganz rein und störungslos ausgeprägt, die Lohnhöhe nicht nur „einengen“, sondern wegen der Nähe der eingrenzenden Schranken geradezu bestimmen; z. B. mit dem Betrag von 5 K 50 h für den Arbeitstag fixieren.

Nun sei aber die Konkurrenz nicht auf beiden Seiten vollwirksam, sondern, wie wir zunächst annehmen wollen, auf der Seite der Unternehmer eingeengt oder ausgeschlossen; entweder dadurch, daß in einem weiten Distrikt eine einzige Unternehmung derselben Branche besteht, die daher eine Art natürlichen Monopols gegenüber den in dieser Branche Arbeit suchenden Arbeitern besitzt, oder durch eine Koalition der Unternehmer derselben Branche, die sich darauf einigen, den Arbeitern keinen höheren Lohn als z. B. 4 K 50 h zu bezahlen. In beiden Fällen wird sicher das Einspielen der Macht, beziehungsweise Übermacht der Unternehmer dazu führen können, den Arbeitslohn bei sonst völlig gleicher Sachlage unter 5 K 50 h, z. B. auf 4 K 50 h festzustellen.

Wie paßt diese Tatsache in das Erklärungsschema der Grenzwerttheorie? — Das ist unschwer zu zeigen und ist wohl auch in der verhältnismäßig gut ausgearbeiteten Theorie der Monopolpreise schon des öfteren gezeigt worden. Ich will die bekannten Momente nur sorgfältig sammeln und übersichtlich zusammenzustellen versuchen.

Es liegt der Fall eines „Einkaufmonopols“ vor. Der weiteste Spielraum, innerhalb dessen der Monopolpreis festgesetzt werden kann, liegt zwischen dem Werte der zu kaufenden Arbeit für den in Monopolstellung befindlichen Unternehmer als Obergrenze, und dem Werte der unverkauften Arbeit für den Arbeiter selbst als Untergrenze. Die Obergrenze wird durch den Wert des Produktes bestimmt, das der Arbeiter erzeugt; und zwar durch den Wert des Produktes des letzten Arbeiters, da der Unternehmer auch an dem letzten von ihm angestellten Arbeiter nicht verlieren will und der Lohn für gleiche Arbeit nicht ungleich ausgemessen werden kann. [227] Nach unserer Beispielsannahme liegt diese obere Marke des möglichen Lohnes bei 5 K 50 h.

Über die Untergrenze ist mehr zu sagen. Die äußerste Untergrenze wird durch den Vorteil bezeichnet, der dem Arbeiter verbleibt, wenn er seine Arbeit überhaupt nicht verkauft. Also zunächst durch den Gebrauchswert, der Arbeit für ihn selbst, falls er seine Arbeitskraft auf eigene Rechnung ausnützt. Das mag in dünn bevölkerten Kolonialländern mit Überfluß an unbebautem Boden, wo jeder nach Belieben Farmer werden kann, eine ganz respektable Größe sein. In dicht bevölkerten „alten“ Ländern steht dagegen diese Marke äußerst tief, weil ohne Kapitalbesitz, der dem Lohnarbeiter zumeist fehlt, eine Verwertung der Arbeit in selbständiger Unternehmerstellung fast nicht möglich ist. Bei Arbeitern, die noch etwas zuzusetzen haben, mag der Vorteil des Nichtverkaufes der Arbeit mindestens noch in der Vermeidung der Anstrengung und Arbeitsplage, im Genüsse der Ruhe und Muße liegen: wer überhaupt noch zu leben hat, mag kalkulieren, welches Lohnminimum ihm die Arbeitsplage aufwiegt. Für denjenigen, der nichts zuzusetzen hat, ist aber der Grenznutzen des zu erwerbenden Lohnes so überaus hoch, daß auch schon ein äußerst niedriger Lohn das Übergewicht über den Genuß der Ruhe erlangen wird. Nehmen wir, um mit konkreten Beispielsziffern operieren zu können, an, die auf den Gebrauchswert der Arbeit und den Genuß der Ruhe, auf gestützte äußerste Untergrenze stehe außerordentlich niedrig, z. B. auf 1 K 50 h. Sie wird mutmaßlich noch erheblich tiefer hegen als das Existenzminimum, welches zwar aus bekannten Gründen auf die Dauer, aber keineswegs im Augenblicke und in jedem einzelnen Falle eine Untergrenze der möglichen Lohnhöhe bezeichnet.

Aber es können sich auch noch andere eingrenzende Zwischenmarken einschalten. Wir haben durch unsere Beispielsannahme zwar jede Konkurrenz der Unternehmer in dem betreffenden speziellen Produktionszweige ausgeschlossen — die, wenn sie stattgefunden hätte, den Lohn bis an die Obergrenze von 5 K 50 h hätte hinaufdrängen müssen — aber es bleibt noch eine Art Konkurrenz der Unternehmer aller übrigen Beschäftigungszweige. Das will sagen, es bleibt für die Arbeiter unseres Produktionszweiges die Möglichkeit, einem allzuniedrigen Lohnsatz, der ihnen [228] in ihrem eigenen Berufszweig unter dem Drucke des Unternehmermonopols angeboten würde, sich durch Übertritt in andere Berufe zu entziehen. Freilich unter Nebenumständen, die den Vorteil dieser Auskunft empfindlich einengen. Wer aus dem Beruf, in dem er geübt und für den er ausgebildet war, in einen anderen produktiven Beruf übertritt, für den ihm diese Voraussetzungen fehlen, wird in dem letzteren voraussichtlich eine weniger ergiebige Arbeit leisten: die in dem neuen Berufe nach seiner Produktivität mögliche Obergrenze des Lohnes wird deshalb unter der analogen Obergrenze im alten Berufe, also unter 5 K 50 h liegen. Und zwar verschieden tief für die verschiedenen einzelnen Arbeiter, die in andere Berufe übertreten; verschieden je nach der individuell größeren oder kleineren Anpassungsfähigkeit oder Anstelligkeit sowie nach der zufällig vorhandenen annähernden Vorbildung für einen anderen Zweig geschulter Arbeit. Am empfindlichsten wird die Differenz für jenen — wahrscheinlich ansehnlichsten — Bruchteil der Arbeiter sein, der mangels der Vorbedingungen zum Eintritt in einen anderen arbeitsteilig ge'schulten Beruf unter Deklassierung vom „geschulten“ zum „ungeöchulten“ Arbeiter einen schlecht gelohnten Zweig gemeiner oder gemeinster Arbeit aufsuchen müßte. Eine noch weitere leise Verschiebung der neuen Obergrenze nach unten könnte auch noch darin ihren Grund finden, daß in den neuen Berufszweigen durch den Zutritt einer neuen, zusätzlichen Zahl von Arbeitern auch das Niveau des „letzten“ Arbeiters und seiner „Grenzproduktivität“ um etwas nach abwärts verrückt werden könnte.

Unter dem Einfluß aller dieser Umstände hätten wir ung nun vorzustellen, daß sich für die verschiedenen Arbeiter eine Reihe individuell gestufter Untergrenzen einschalten würde, unter die sie ihren Lohnsatz auch unter monopolistischem Druck der Unternehmer nicht hinabdrücken lassen würden. Setzen wir Beispielswerte für diese gestuften Untergrenzen ein. Nehmen wir an, das Existenzminimum — welches nach dem Gesagten allerdings nicht im Momente, sondern nur auf die Dauer als Unteargrenze wirken könnte — stünde auf 3 K; der in gemeinster Lohnarbeit erhältliche Lohnsatz betrüge ganz nahe daran 3 K 10 h; der Lohnsatz anderer, je einer immer kleineren Gruppe von Arbeitern zugänglicher Berufe betrüge in aufsteigender Reihe 3 K [229] 50 h, 3 K 80 h, iE, 4: K 20 h, 4: K 50 h, 4: K 80 h bis 5 K, wobei dieser obere Endpunkt der Reihe aber jedenfalls noch unter dem Grenzprodukte des Stammberufes, also unter 5 K 60 h läge.

Welche Einwirkungen oder Eingrenzungen ergeben sich aus diesem Tatbestande für die monopolistische Lohnfestsetzung innerhalb der weitesten Urzone zwischen 1 X 50 h und 5 K 50 h?

Nehmen wir vorläufig an, die in Monopolstellung befindlichen Unternehmer machen von ihrer Machtstellung im Sinne einer rücksichtslos, aber rationell egoistischen Monopolistenpolitik Gebrauch, unbeirrt durch irgend welche Gefühle des Altruismus, unbeirrt durch Rücksichten auf die öffentliche Meinung, aber auch unbeeinflußt durch irgend eine Sorge, daß die Arbeiter sich durch Gegenkoalition oder Streik zur Wehr setzen könnten; die Monopolisten seien einer atomisierten wirksamen Konkurrenz der Arbeiter untereinander völlig sicher. Unter diesen Umständen wird die Lohnhöhe entschieden werden nach der schon früher in einem anderen Zusammenhang erwähnten allgemeinen Formel der klug egoistischen Monopolpolitik: an demjenigen Punkte, der bei klug egoistischer Erwägung aller Umstände die größte Gewinnsumme unter Beachtung der unvermeidlichen Tatsache verspricht, daß mit der Preishöhe die Menge der Ware, an der ein Profit erzielt werden kann, sich verschiebt. Nur daß beim Einkaufsmonopol hier alles umgekehrt steht wie beim Verkaufsmonopol. Ganz konkret dargestellt: Je niedriger die Unternehmermonopolisten den Lohnsatz stellen, desto weniger Arbeiter werden sie zu diesem Lohnsatz erhalten, und an einer desto geringeren Zahl von Arbeitern können sie daher den vergrößerten Gewinnsatz einstreichen, der sich aus der Differenz des gedrückten niedrigeren Lohnsatzes gegenüber dem Wert des Grenzproduktes von 5 K 50 h ergibt — welcher letztere Wert sich unter Umständen bei einem verringerten Umfang der Produktion durch Preissteigerung der Ware noch erhöhen könnte, wogegen freilich auch wieder Gegentendenzen der Erhöhung der Kosten bei Restringierung der Betriebsausdehnung, Erhöhung der Zentralregiequote und dergleichen sich einstellen können. Bei Höherstellung des Lohnes — der aber doch noch unter dem Grenzprodukt von 5 K 50 h stünde — vermindert sich der Gewinnsatz per Arbeiter, aber dafür wird wieder die Zahl der Arbeiter, an denen dieser Gewinn gemacht werden [230] kann, schwächer oder gar nicht vermindert. Aus diesen Erwägungen wäre es äußerst unwahrscheinlich, daß die UnternehmermonopoUsten einen unter dem Existenzminimum von 3 K befindlichen Lohnsatz, z. B. einen Satz von 1 K 80 h oder von 2 Ä in ihrem wohlverstandenen Interesse finden könnten; nicht so sehr deshalb, weil dieser Lohnsatz keine Aussicht auf Dauer hätte, sondern weil derselbe auch noch unter dem Lohn der gemeinsten Arbeit stünde und daher schon im Augenblick den Verlust des größten Teiles der Arbeiter an die in unserem Beispiel mit 3 K 10 h gelohnten Zweige ungelernter Arbeit gewärtigen ließe. Diese Gefahr verringert sich stufenweise für jedes höher gegriffene Lohnniveau und verschwindet fast völlig an jenem Punkte, für den nur ganz ausnahmsweise und für wenige Arbeiter noch die Möglichkeit bestünde, höhere Lohnsätze in anderen ihnen aus zufälligen individuellen Gründen zugänglichen Zweigen geschulter Arbeit zu erlangen. Bei einem Lohnsatz von z. B. A K 50 h würde unter der Tatsachenannahme unseres Beispiels diese Gefahr schon fast völlig geschwunden sein, und es könnte daher ein erfolgreicher Versuch der Unternehmermonopolisten gemacht werden, an diesem Punkt den Lohnsatz zu fixieren ohne Gefahr einer irgendwie wesentlichen durch Arbeitermangel aufgezwungenen Betriebseinschränkung. Im Sinne einer „genügsamen“ Ausnützung der Monopolstellung dürften noch zwei weitere Erwägungen bei dem klug egoistischen Monopolisten ins Gewicht fallen. Erstens, daß ein tief unter dem Lohnsatz anderer geschulter Produktionszweige stehender Lohnsatz zwar nicht so sehr im Moment, aber doch auf die Dauer mit Arbeitermangel bedroht, indem dann zwar die im Berufe bereits eingewöhnten Arbeiter sich durch die Übergangsschwierigkeiten vom Berufswechsel abhalten ließen, aber der Nachwuchs ausbliebe; zweitens, daß ein allzu großer Gewinnsatz per Kopf des Arbeiters eine allzu “Starke Belastungsprobe der Unternehmerkoalition bilden, und teils den Bruch der Koalition durch ausdehnungslustige Genossen, teils die Gründung neuer, außerhalb der Koalition stehender Unternehmungen und damit das Auftauchen einer die Warenpreise nach abwärts und die Lohnsätze nach aufwärts treibenden Konkurrenz hervorrufen könnte — wie denn überhaupt die Furcht vor Outsiderkonkurrenz vielleicht noch das wirksamste Sicherheitsventil gegen allzu skrupellose [231] und die Allgemeinheit bedrückende Ausnützung der Monopolstellungen bildet.

Ich brauche kaum nochmals zu betonen, daß, falls unter diesen Umständen der Lohnsatz durch die „Macht“ der Unternehmermonopolisten auf 4l E 60 h statt auf 5 K 50 h festgestellt wird, es von Anfang bis zu Ende die in der Preisformel der Grenzwerttheorie entwickelten Momente sind, deren Erwägung und Berücksichtigung durch die Marktparteien den Preis, indem sie nach unten und oben „eingrenzen“, jenem Satze zuführt. Wenn dabei vielleicht nicht, wie bei durchsichtiger beiderseitiger Massenkonkurrenz, ein ganz bestimmter Preissatz, sondern nur eine breitere Preiszone bezeichnet wird, indem z. B. die Entscheidung der Monopolisten ebenso gut auf 4 K 20 h oder 4 K 80 h als auf 4c K 50 h fallen könnte, so erklärt sich dies daraus, daß eine Reihe der für den Monopolistenkalkül maßgebenden tatsächlichen Momente den Monopolisten eben nicht genau bekannt sind, sondern nur schätzungsweise veranschlagt werden können, wie z. B. die Zahl der bei einer bestimmten Lohnhöhe abfallenden Arbeiter, der Grad der Wahrscheinlichkeit des Auftauchens einer OutsiderKonkurrenz und dergleichen. Das Bestreben der Monopolisten würde sicher dahin gehen, den Optimum p unkt der Lohnhöhe herauszugreifen, aber wegen der Unsicherheit vieler Prämissen für die Berechnung dieses Optimumpunktes ergibt sich ein mehr oder weniger breiter Spielraum für die schätzungsweise Bestimmung seiner Lage — so wie ja auch bei Konkurrenzpreisen, falls die Preisverhandlungen auf dem Markte mit verdeckten Karten geführt werden, von weniger kundigen und geschickten Marktparteien Irrtümer in der Beurteilung der undurchsichtigen Marktlage begangen werden und die vorkommenden Preisabschlüsse sich über eine ganze Zone um den idealen „Marktpreis“ herum zerstreuen können.

Wenden wir uns jetzt der anderen, zugleich interessanteren und schwierigeren Komplikation zu: dem „Machteinfluß“, der aus der Arbeiterkoalition und dem Gebrauche ihres Machtmittels Streik entspringt.

Behalten wir alle bisherigen Beispielsannahmen samt den dafür eingesetzten Beispielswerten bei: also einen Wert des Produktes des ' „letzten“ Arbeiters von 5K 50 h, Eigenwert der [232] unverkauften Arbeit für den Arbeitet selbst 1 K 50 h, Existenzminimum 3 K usf., und führen wir als neue Annahme nur ein, daß die Arbeiter des in Frage kommenden Beschäftigungszweiges sich nicht atomisierte Konkurrenz machen, sondern koaliert sind und ihrer gemeinsamen Lohnforderung auch durch Streik Nachdruck zu geben im stände und gewillt sind. Es besteht nun für mich gar kein Zweifel, daß dieses Einspielen der „Macht“ auf Seite der Arbeiter den Arbeitspreis wesentlich zu beeinflussen, ihn nicht nur über den bei einseitigem Monopol der Unternehmer in Frage kommenden Lohnsatz von i K 50 h, sondern auch über den bei beiderseitiger Konkurrenz zu erwartenden Lohnsatz von 5 K 50 h emporheben könnte. Letzteres ist besonders auffallend und bemerkenswert: denn der Wert des Grenzproduktes der Arbeit — also eben diese 5 K 50 h — galten uns bisher als die Obergrenze der überhaupt ökonomisch möglichen Preisbildung und es sieht daher zunächst so aus, als ob in diesem Falle die „Macht“ etwas gegen die in der Preisformel der Grenz Werttheorie entwickelten Bestimmgründe vermöchte, daß sie die ökonomische Preisformel nicht erfüllt, sondern stört.

Hier spielt nun der Unterschied von Grenznutzen und Gesamtnutzen, beziehungsweise die Tatsache erklärend ein, daß der (subjektive) Wert einer geschlossenen Gesamtheit von Gütern größer ist als der Grenznutzen der Gutseinheit, multipliziert mit der Zahl der in der Gesamtheit enthaltenen Gutseinheiten. Der grundlegende Gedanke für die Bewertung eines Gutes oder eines Güterkomplexes ist immer, wie viel an Nutzen von der Verfügung über das zu bewertende Objekt abhängt. Im bisher betrachteten Falle der atomisierten Konkurrenz der Arbeiter war das Objekt, um dessen Bewertung es sich dem Unternehmer handelte, immer die Arbeit eines einzelnen Arbeiters. Wenn der Unternehmer z. B. einen Arbeiterstand von 100 Arbeitern hatte, so handelte es sich bei der Lohnverhandlung mit jedem einzelnen der hundert Arbeiter darum, wieviel an Nutzen der Unternehmer durch die Anstellung dieses einen Arbeiters hinzugewinnen, wieviel er durch die Nichtanstellung dieses einen, „letzten“ Arbeiters verlieren würde; und da kamen wir mit vollem Recht auf den Grenznutzen der Arbeitseinheit, auf den Produktzuwachs, den die Arbeit des letzten von [233] 100 Arbeitern dem Gesamtprodukt der Unternehmung noch hinzufügt; und dies war die Größe 6 K 50 h.

Anders aber jetzt. Bei Streiks oder Streikdrohung der geschlossen vorgehenden sämtlichen 100 Arbeiter handelt es sich für den Unternehmer nicht darum, ob er mit 100 oder mit 99 Arbeitern den Betrieb führen soll — was für ihn auf die Produktdifferenz von 5 K 50 h hinausliefe — , sondern darum, ob er den Betrieb mit 100 Arbeitern oder aber gar nicht führen kann. Und davon hängt nicht 100 x 5 K 50 h, sondern jedenfalls mehr ab.

Mehr vor allem schon deshalb, weil die Arbeit ein sogenanntes komplementäres Gut ist; ein Gut, das man selbst nicht nutzen kann, ohne über die zugehörigen anderen komplementären Güter — die zu bearbeitenden Roh und Hilfsstoffe, die zugehörigen Werkzeuge, Maschinen und dergleichen — zu verfügen, und ohne das vice versa auch diese anderen komplementären Güter nicht genutzt werden können. Wenn nur ein Kopf von hundert Köpfen aus der kompletten Betriebsorganisation wegfällt, so wird die Ausnützung der komplementären Faktoren in der Regel nur wenig gestört werden : man wird eine einzige, und zwar die entbehrlichste Arbeitsfunktion ausfallen lassen, oder aber auch sie durch eine leichte Änderung in der Arbeitseinteilung so gut als möglich zu ersetzen suchen, so daß mit einem Kopf in der Tat nicht mehr als das Grenzprodukt eines Arbeitstages, unsere oft erwähnten 5 K 50 h, ausfallen. Bei einem Ausfall von zehn Köpfen wird die Störung schon empfindlicher sein. Man wird immer noch höchst wahrscheinlicherweise durch eine geänderte Disposition über die verbleibenden neunzig Arbeiter dafür sorgen können, daß jedenfalls die für den Weitergang des Ganzen wichtigsten Funktionen nicht ins Stocken geraten, daß also der Ausfall wieder auf die verhältnismäßig mindest empfindliche Stelle gewälzt wird: aber diese wird bei einem steigenden Ausfall am komplementären Gut Arbeit sukzessive empfindlicher werden. Wenn der Ausfall des ersten aus hundert Arbeitern nur mit einer Produktminderung von 5 K 50 h verbunden war, wird der Ausfall des zweiten vielleicht zu einer Produktminderung von 5 K 55 h, der des dritten zu einem Produktausfall von 5 K 60 h, der des zehnten vielleicht schon zu einem Ausfall von 6 K führen. Und wenn — was im Falle des Streiks ohne Ersatzmöglichkeit durch Streikbrecher zutrifft — alle [234] hundert Köpfe wegfallen, geht nicht nur das spezifische Arbeitsprodukt dieser hundert Köpfe, sondern auch das Produkt der jetzt nicht mehr ausnützbaren komplementären Produktivgüter, der jetzt stillstehenden Maschinen, der totliegenden und vielleicht sogar verderbenden Rohstoffvorräte u. dgl. verloren. Der Ausfall an Produktwert steigt unverhältnismäßig und weit über das hundertfache des Grenzproduktes des „letzten“ Arbeiters.

Wiederum mit starken Unterschieden je nach der konkreten Beschaffenheit des Falles. Wenn die stillstehende Werkseinrichtung und das der Bearbeitung vergeblich harrende umlaufende Kapital durch den Stillstand keinerlei sonstigen Schaden erleidet, besteht die Vergrößerung des Schadens lediglich in einem zeitlichen Aufschub der Erlangung des spezifischen Produktes der momentan mangels der komplementären Arbeit nicht ausnützbaren Kapitalgüter. Ihr Produkt wird ungeschmälert erlangt werden, aber erst in einem späteren Zeitpunkt nach Vorübergang der Betriebsstörung. Dieser Schaden beziffert sich im Minimum mit dem Zinssatz von dem tot liegenden Kapitale für die Zeit seines Totliegens. Er kann sich auf mehr belaufen, wenn der Zeitaufschub auch noch Nebennachteile wie z. B. die Versäumung einer günstigen Konjunktur nach sich zieht, wodurch die Vorräte sich zwar nicht physisch, aber geschäftlich entwerten u. dgl.

Der Schaden wächst aber noch weiter, wenn nach der spezifischen Beschaffenheit der brachgelegten Kapitalgüter nicht bloß ein zeitlicher Aufschub, sondern ein definitiver Ausfall an dem von ihnen zu erwartenden Produktionsnutzen eintritt. Wie z. B., wenn die nicht bearbeiteten Rohstoffe dem Verderb unterliegen — faulende Rübenvorräte einer stillstehenden Zuckerfabrik, verderbende Feldfrüchte, die wegen eines Streiks der Erntearbeiter nicht eingebracht werden können — oder unausgenützte lebendige Kraft definitiv verloren geht — die lebendige Kraft des Pferder materials eines Fuhrwerksbesitzers, die Wasserkräfte eines stillstehenden Elektrizitätswerkes — oder wenn der erzwungene völlige Stillstand auch die Erhaltung des stehenden Kapitals bedroht — Bergwerke, deren Wetter und Wasserführung nicht stillstehen darf, wenn nicht die ganze Werksanlage gefährdet werden soll.

Wie wirkt nun dies alles auf die Lohnbildung im Streikfall ein?

[235]

Machen wir uns vor allem klar, daß, wenn auch die Lohnverhandlungen formell um die Lohnhöhe per Kopf, für je einen Arbeiter, geführt werden, es sich materiell für den Unternehmer immer um die Erlangung oder Nichterlangung der gesamten Arbeitermasse aller hundert Arbeiter handelt. Er bekommt, je nachdem die Verhandlungen zur Einigung oder zum Bruch führen, entweder alle hundert Arbeiter oder keinen. Er wird darum korrekterweise seiner Erwägung, wie viel Lohn er äußerstenfalls bewilligen kann, den Wert, den die Gesamtheit aller hundert Arbeiter für ihn hat, zu Grunde legen; die Kopfquote ergibt sich erst sekundär durch Division des Gesamtwertes durch die Arbeiterzahl; sie ist für ihn überhaupt nur eine rechnerische, und keine Wertgröße; sie hat für ihn nicht die Bedeutung, den Wert der Arbeitseinheit zu repräsentieren.

Wie hoch ist nun jener Gesamtwert? Das lehrt uns die Theorie der Zurechnung. Der Wert jener Arbeitsmasse leitet sich ab vom Werte jener Produktmenge, deren Entstehung, beziehungsweise Erlangung der Verfügung über jene Arbeitsmasse zuzurechnen ist; und diese wieder ist identisch mit jener Produktmenge, deren Erlangung von der Verfügung über die Arbeitsmasse abhängt, um die der Unternehmer mit der Arbeitsmasse mehr, ohne sie weniger erhält. Hier kommt nun ein bemerkenswerter Zug der Zurechnungstheorie zur Geltung, über den ich unlängst an einem anderen Orte gegenüber abweichenden Meinungen eine ausführliche Auseinandersetzung zu geben hatte [20]: wenn nämlich durch den Wegfall der zu bewertenden Arbeitsquantität nicht nur der eigene Nutzen dieser Arbeit selbst, sondern auch der hiedurch vereitelte Nutzen anderer komplementärer Güter ausfiele, so ist auch dieser letztere, fremde Nutzen der Arbeit zuzurechnen, unbeschadet dessen, daß er je nach der Lage der Sache auch dem betreffenden komplementären Gute selbst, ohne das er ebenfalls nicht zu erlangen wäre, zugerechnet werden kann.

Die zu diesem Ergebnis führenden Gedankenstationen, die ich hier nur kurz und ohne genauere Begründung rekapitulieren will, sind die folgenden : Grundsätzlich leitet sich der Gesamtwert einer [236] vollständigen komplementären Gütergruppe von der Größe des (Grenz-) Nutzerfolges ab, den sie in ihrer Vereinigung zu stiften im Stande ist; also im Falle komplementärer Produktivgüter vom Werte ihres gemeinsamen Produktes.[21] Die Zuteilung dieses Gesamtwertes an die einzelnen Glieder der komplementären Gruppe geht nach der kasuistischen Verschiedenheit des Tatbestandes verschiedene Wege. Läßt keines der Glieder eine andere als die gemeinsame Benutzung zu und ist zugleich keines in seiner Mitwirkung zum gemeinsamen Nutzen ersetzlich, dann hat schon ein einzelnes Glied den vollen Gesamtwert der Gruppe, während die übrigen Glieder wertlos sind. Und zwar ist jedes der komplementären Glieder zu jeder der beiden Bewertungen gleichmäßig befähigt, und es entscheidet lediglich die Situation darüber, welches von ihnen als zur Komplettierung der Gruppe benötigtes Schlußstück „alles“, und welches als unbrauchbarer isolierter Splitter „nichts“ gilt.[22] In unserem Falle des drohenden Streiks sämtlicher hundert Arbeiter ist nun der Unternehmer durch den vollständigen Wegfall des komplementären Gutes Arbeit mit dem Ausfall des gemeinsamen Gesamtnutzens der aus Arbeit und Kapital bestehenden komplementären Gruppe — in der oben besprochenen Ausdehnung — bedroht, und darum muß er in dieser Situation der Arbeit auch jenen ganzen gemeinsamen Nutzen, einschließlich desjenigen Teiles, der in anderer Situation den komplementären Kapitalgütern zuzurechnen käme, zurechnen und ihn seiner subjektiven Bewertung der Arbeit zu Grunde legen.[23]

Infolge davon rückt die Obergrenze für die äußersten Falles zu bewilligende Lohnhöhe nach aufwärts. Sie erhöht sich für alle hundert Arbeiter zusammengenommen über das Hundertfache des Einzelwertes je eines Arbeitstages, also über 100 x 5 K 50 ä, hinaus mindestens um den Zins des totliegenden Kapitals und eventuell noch weiter um den definitiven Entgang an Nutzen [237] der verderbenden oder sich entwertenden komplementären Kapitalgüter; also beispielsweise in jenem Falle, in welchem bloßer Zeitaufschub oder Zinsenverlust in Frage kommt, über 550 K hinaus etwa bis auf 700 K per Tag, im Falle definitiven Nutzverlustes der komplementären Güter, je nach dem Grade, in dem dieser definitive Nutzverlust eintritt, vielleicht auf 1000 K, vielleicht aber auch auf 2000 K per Tag. Und das Maximum der ökonomisch möglichen Lohnhöhe für den einzelnen Arbeiter rückt damit über 5 K öOh hinauf auf 7, beziehungsweise 10 und 20 K. Das will sagen, bei jedem unter dieser Maximalhöhe zurückbleibenden Lohnsatz wird der Unternehmer, für den Moment wenigstens, immer noch besser fahren, als wenn er auf die Anstellung aller hundert Arbeiter verzichten würde. Dieses „besser fahren“ wird dabei vielleicht keinerlei positiven Gewinn für den Unternehmer, sondera nur einen geringeren Verlust als er ihm im anderen Falle drohea würde, bedeuten, ein „geringeres Übel“, welches, weil es das geringere ist, rationellerweise immer noch vor dem größeren zu wählen ist. — Jenes Hinausrücken des äußersten möglichen Lohnsatzes per Kopf auf 7, beziehungsweise 10 oder 20 K bedeutet dagegen, wie ich schon einmal oben angedeutet habe, aber gar nicht mit genug großem Nachdruck wiederholen kann, nicht die subjektive Wertschätzung des Unternehmers füt je einen Arbeitstag. Der Unternehmer würde ihn, wenn es sich um die AnStellung oder Nichtanstellung eines Arbeiters handeln würde, gewiß nicht zahlen wollen und dürfen. Er bedeutet den hundertsten Teil des Gesamtwertes der geschlossenen Einheit von 100 Arbeitskräften, was eine vollständig verschiedene Größe vom Einzelwert einer Arbeitskraft ist. [24]

Der Spielraum für die Preisverhandlungen zwischen Unternehmer und geschlossener Arbeiterschaft würde daher abgesteckt einerseits durch den Wert der unverkauften Arbeit für die Arbeiter selbst im Betrage von 1 K 60 h als äußerste Untergrenze, und andrerseits durch die Kopfquote des Gesamtwertes sämtlicher 100 Arbeitskräfte im Betrage von 10 E (um bei dieser von unseren drei alternativen Beispielsziffern zu bleiben) als äußerste Obergrenze. Da durch unsere Beispielsannahme direkte Konkurrenz [238] beiderseits ausgeschlossen ist, würden sich Unternehmer und Arbeiterschaft innerhalb dieser Grenzen .ähnlich gegenüberstehen, wie die beiden Gegenparteien im Falle des „isolierten Tausches“.[25] Es wäre bezüglich keines einzigen Punktes innerhalb der weiten Zone zwischen 1 K 50 h und 10 K undenkbar oder unmöglich, daß der Lohn sich gerade auf ihm festsetzen würde. Allerdings haben wir schon einige Umstände kennen gelernt, welche es zwar nicht als strikte ökonomisch unmöglich, wohl aber als recht unwahrscheinlich erscheinen lassen, daß die Lohnfeststellung in jenen allerniedrigsten Teil des Spielraumes fallen würde, der zwischen der absoluten Untergrenze und dem mit dem Existenzminimum annähernd zusammenfallenden Lohn der anderen gemeinsten Arbeitszweige liegt; und Gründe verwandter Natur machen es auch wenig wahrscheinlich, daß der Lohn ganz nahe an die absolute Obergrenze von 10 K gedrängt werden könnte. Daß er sich jedenfalls nicht für die Dauer so hoch halten könnte, werden wir später in einer besonderen, und, wie ich glaube, auch theoretisch besonders wichtigen Untersuchung zu zeigen suchen. Aber auch für den Moment wird er sich nicht leicht so hoch drängen lassen. Denn jeder die Leistung „des letzten Arbeiters“ erheblich übersteigende Lohn würde, weil für die Unternehmer schon verlustbringend, auf starken, und zwar mit seiner Höhe zunehmend starken Widerstand der Unternehmer stoßen; dieselben würden wohl vorziehen, es vor seiner Bewilligung auf den Ausfall der äußersten Kraftprobe ankommen zu lassen, die in der Durchführung des Streikkampfes liegt, während ein mittlerer, der Leistung des letzten Arbeiters nahekommender Lohnsatz von den Unternehmern vielleicht schon bewilligt würde, ohne die sicher schweren Opfer des durchgeführten Streikkampfes und dabei überdies noch seinen unsicheren Ausgang in den Kauf zu nehmen. Auch würden — was freilich schon etwas in das später zu untersuchende Moment der Dauer hinüberschlägt — die Arbeiter es kaum in ihrem wohlverstandenen Interesse finden können, den Lohn auf eine für den Unternehmer positiv verlustbringende Höhe zu drängen, weil ja dann eine durch Verluste erzwungene Einschränkung oder Auflassung des Betriebes, damit aber ihnen selbst der Verlust ihres Erwerbes droht.

[239]

Auf der anderen Seite wird bei der Gegenpartei die Belastungsprobe für die Streikorganisation eine desto stärkere, auf eine je extremere Höhe die Lohnforderungen gespannt werden. Die Gefahr des Streikbruches und auch die Gefahr der Werbung von Ersatzleuten aus anderen Berufszweigen wird desto größer, je günstiger die Bedingungen sind, die die Unternehmer noch unter der versagten Lohnforderung gewähren können: wenn die streikende Arbeiterschaft auf einem Lohn von 9 K unnachgiebig beharrt, bedeutet vielleicht schon ein Lohn von 7 E eine stark verlockende Prämie für Streikbrecher und Ersatzleute, die in anderen Berufen, die ähnliche Qualifikationen erheischen, nur einen der Leistung „des letzten Arbeiters“ entsprechenden Lohn von ö K 50 h finden könnten. Und mit der Gewinnung von Ersatzmannschaft ist die Streiksache definitiv verloren, während auch im anderen Falle der Ausgang für die Arbeiter noch keineswegs sicher ist.

Bekanntlich pflegt im Streikkampf diejenige Partei zu siegen, welche wirtschaftlich „den längeren Atem“ hat. In der Schulterminologie ausgedrückt: Für die Arbeiter bedeutet die Streikzeit Erwerblosigkeit. Für eine gewisse Zeit kann der Ausfall an Einkommen mit mehr oder weniger Entbehrungen suppliert werden durch eigens vorbereitete Ersparnisse, durch Unterstützungen aus der Streikkasse, in weiterer Folge durch Aufzehrung der vorhandenen Habe, Verkauf oder Verpfändung entbehrlicher Güterstücke, Kontrahierung von Schulden bis zur Erschöpfung des Kredits. Bei längerer Dauer des Streiks fließen diese Ersatzquellen immer spärlicher, bis sie endlich gänzlich versiegen. Schon während des Stadiums der allmählichen Abnahme wächst der Grenznutzen der immer kärglicher werdenden Deckungsmittel in die Höhe, immer wesentlichere Bedürfnisse verlieren ihre Deckung, immer wesentlichere Lebensinteressen werden durch den zunehmenden Mangel bedroht. Endlich kommt der Punkt, an dem an der Wiedererlangung eines Arbeitseinkommens, und sei es auch von mäßiger Höhe, geradezu die Lebensfristung hängt: an diesem Punkte zermürbt auch der hartnäckigste Widerstand der Streikenden — falls eben nicht der Widerstand der Gegenpartei, der Unternehmer, schon vorher zermürbt ist.

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Bei diesen wiederholt sich nun zwar ebenfalls der Zug, daß mit zunehmender Dauer des Streiks das Bedürfnis nach seiner Beilegung immer intensiver wird. Der stillstehende Betrieb liefert keine Einnahme, während ein Teil der geschäftlichen Ausgaben und jedenfalls die persönlichen Haushaltungsauslagen des Unternehmers fortdauern und Deckung heischen. Diese kann möglicherweise, falls der Unternehmer ein großes persönliches Vermögen besitzt, aus diesem fließen. Im entgegengesetzten Falle treten natürlich die Pressionswirkungen des Streiks viel rascher und energischer ein. Auf jeden Fall sind aber hiebei zwei sehr genau auseinander zu haltende Etappen der Streikwirkung zu unterscheiden. Der sukzessive eintretende und sich verschärfende Mangel an Deckungsmitteln kann in erster Linie die geschäftliche Position, die wirtschaftliche Existenz, in zweiter Linie, falls es selbst für die dringendsten Haushaltungsausgaben an jeder Deckung mangelt, auch die persönliche Existenz des Unternehmers bedrohen.

Zu diesem zweiten, intensivsten Grade der Streikwirkung, auf den auf der Arbeiterseite die Entwicklung ganz normalerweise hintreibt, wird es nun auf der Unternehmerseite überhaupt nur in den allerseltensten Ausnahmsfällen kommen. Im Falle eines großen persönlichen Vermögens der Unternehmer natürlich gar nicht; und auch bei wenig wohlhabenden Unternehmern nicht leicht, weil diese doch fast immer über eine um so viel größere Habe an Barmitteln, Hausrat u. dgl. und überdies auch über so viel Kredit verfügen werden, daß sie auch bei stockendem Erwerb wenigstens ihre dringendsten Existenzbedürfnisse für eine längere Zeit versorgen können, als es ihren Antagonisten im Streikkampf, den Arbeiterfamilien, möglich ist.

Viel früher kann es allerdings zur ersten, ebenfalls schon scharf genug wirkenden Etappe kommen : zur Etappe der geschäftlichen Gefährdung mit den Unterstufen von mäßigen Betriebsverlusten, von Einbußen am Vermögensstamm und von völligem Bankrott. Aber — und das hat uns hier zu interessieren — die Pressionskraft dieser Drohungen ist eine sehr ungleiche, je nach der Höhe der Lohnsätze, zu deren Durchsetzung die Arbeiter den Streik führen, und sie versagt völlig gegenüber Lohnforderungen von extremer, übermäßiger Höhe. Ist nämlich der geforderte [241] Lohnsatz so hoch, daß seine Bewilligung nicht nur zu einer Verringerung des Geschäftsgewinnes, sondern zu einem positiven Geschäftsverlust führen müßte, dann fügt ja dem Unternehmer die Nachgiebigkeit im Streikkampf schon eben dasselbe Übel zu, mit dem ihn die Arbeiter für den Fall der Unnachgiebigkeit und der Fortsetzung des Streiks bedrohen; und zwar fügt sie ihm dieses Übel sicher und dauernd zu, während die Unnachgiebigkeit vielleicht doch noch mit einer Niederlage der Arbeiter und mit der Aufstellung eines Lohnsatzes endigen könnte, der dem Unternehmer eine lohnende Fortsetzung seines Betriebes und die Wiedereinbringung der durch den Streik temporär erlittenen Verluste ermöglicht. Unter solchen Umständen hat es für den Unternehmer keinen Sinn, für das sichere Übel zu optieren; die bei der Fortsetzung des Streiks drohenden Verluste sind, weil vielleicht doch nur temporär, nicht das größere, sondern das kleinere Übel, und die Unternehmer werden daher im Widerstand verharren. Die Drohungen der ersten Etappe können also vollwirksam sein zu Gunsten der Durchsetzung eines den Geschäftsgewinn der Unternehmer nur schmälernden, bescheideneren Lohnsatzes, sie sind unwirksam zu Gunsten eines positiv verlustbringenden, ebenfalls zum geschäftlichen Ruin führenden extremen Lohnsatzes. Und auf dem Wege der Streikfortsetzung bis zur zweiten, die physische Existenz der Unternehmer bedrohenden Etappe werden nach dem oben Gesagten fast immer die Arbeiter früher den Atem verlieren.

Aus diesen und ähnlichen Gründen ist es, wie schon oben bemerkt, wenig wahrscheinlich, daß es auch im Streikfall zu einer Lohnfestsetzung in den extremsten, allerniedrigsten oder allerhöchsten Grenzpartien des weiten, für den Moment „ökonomisch möglichen“ Spielraumes kommen werde. In unserem Beispiele, in dem dieser Spielraum von 1 K 50 h bis 10 K reichte, würde also ein Lohn unter 3 K ebensowenig wahrscheinlich sein als z. B. ein Lohn von mehr als 8 K; undenkbar und schlechthin ökonomisch ausgeschlossen wären aber für den Moment — wie ich besonders betone — auch solche extreme Lohnhöhen nicht.

Das meiste soeben Gesagte operiert mit einleuchtenden, geradezu trivialen, aus den Erfahrungen des Streikwesens längst sattsam bekannten Tatsachen und Erwägungen. Ich habe diese [242] Trivialitäten nur gleichsam in einer auf die Theorie des Grenznutzens gestimmten Sprache wiedergegeben, um dasjenige anschaulich zu machen, worauf es für die in Erörterung stehende theoretische Prinzipienfrage ankommt: daß nämlich die jedem Praktiker so wohlbekannten „Machtwirkungen“ der Streiks nicht etwa ganz abseits oder gar gegen, sondern innerhalb und in Gemäßheit der Kräfte und Formeln der Theorie des Grenznutzens sich vollziehen, und daß jede genauere Analyse darüber, durch welche Zwischenmotive hindurch und bis zu welchen Grenzpunkten die „Macht“ den Verlauf der Sache überhaupt lenken kann, in die verfeinerte Kasuistik des Grenznutzens und der Zurechnungstheorie hineinführt, in welcher sie die endgültige Erklärung sowohl suchen muß, als auch findet.[26]

Eine andere weitaus interessantere Frage aber ist es, welchen durch Machtmittel erzwungenen Verteilungssätzen Dauer beschieden sein kann. Diese Frage ist vor allem schon deshalb die interessantere, weil sie die weitaus wichtigere ist. Auch die ephemerste und auf das kleinste Teilgebiet beschränkte Preisoder Lohnfestsetzung mag ja eine recht fühlbare Bedeutung für jenen Kreis von Individuen und für jene kurze Spanne Zeit haben, die durch die ephemere Bildung gerade berührt werden. Aber diese ephemeren Bildungen bedeuten wenig oder nichts für die ökonomischen Dauerschicksale der sozialen Klassen. Und so wie die Klassiker die dauernde Gestaltung der Preise für um so viel_ wichtiger und interessanter halten konnten als ihre momentane Fluktuationen, daß ein Ricardo von diesen kaum zu reden un nur die Theorie der Dauerpreise auszuarbeiten der Mühe wert [243] fand, so sind auch in der Verteilungstheorie die Dauerlinien von überragendem Interesse, nach welchen durch alle ephemeren und lokalen Zufälligkeiten hindurch die Anteile der verschiedenen Produktionsfaktoren und der sie repräsentierenden sozialen Klassen auseinanderzufallen tendieren. Auch das Ephemerste muß man zwar verstehen und erklären können — schon deshalb, weil ja die Gesetze, die das Ephemere hervorbringen, im letzten Grunde keine anderen sind als jene, auf welchen auch die Dauerwirkungen beruhen — aber es versteht sich von selbst, daß derjenige Teil der Erkenntnis, der nach Raum und Zeit die weitaus überwiegende Zahl der Einzelfälle berührt, uns ungleich wichtiger sein muß als die Erkenntnis rasch vorübergehender Ausnahmsbildungen. Aber auch noch aus einem zweiten Grunde scheint mir die Betrachtung der „Machtwirkungen“ aus dem Gesichtspunkte ihrer möglichen Dauer ein größeres Interesse zu verdienen : soweit meine Literaturkenntnis reicht, ist nämlich gerade diese wichtigste Seite der Sache bis jetzt noch gar nicht untersucht worden. Ist schon das Thema der Machtwirkungen überhaupt bis jetzt nur spärlich und in systematisch wenig befriedigender Weise behandelt worden, so fehlen prinzipielle Untersuchungen über die Bedingungen der Dauer solcher Machtwirkungen wohl völlig; und wir betreten hier gewissermaßen literarisches Neuland.

IV.

Ich will auch hier wieder an unseren konkreten Beispielsfall anknüpfen und an ihm die verschiedenen Möglichkeiten der Reihe nach erörtern. Was daran typisch und der Generalisierung fähig ist, wird leicht von selbst hervortreten und soll überdies am Schlüsse noch besonders herausgehoben und zusammengefaßt werden.

Für den Moment, sahen wir, war in unserem konkreten Beispiele jeder Lohnsatz zwischen 1 K 50 h und 10 K ökonomisch möglich, wenn es auch wahrscheinlich war, daß auch für den Moment der Lohn nicht gerade ganz nahe an der äußersten überhaupt möglichen Unter oder Obergrenze, sondern eher in einem mittleren Teile des Gesamtspielraumes sich festsetzen würde. Ziehen wir aber jetzt, um unsere Auseinandersetzung theoretisch [244] erschöpfend zu gestalten, auch diese extremen Möglichkeiten in unsere Erwägung mit ein und stellen wir für jede überhaupt denkbare Sprosse auf der Stufenleiter der Lohnhöhen die Frage ihrer Dauermöglichkeit.

1. Darüber, daß ein Lohn unterhalb des Existenzminimums — also in unserem Beispiele unter 3 K — keine Dauermöglichkeit besitzt, brauche ich wohl kein Wort zu verlieren. Es folgt dies aus den wohlbekannten, in anderen Zusammenhängen schon oft und umständlich erörterten Gründen, welche auf eine Verringerung des Angebotes an Arbeit als notwendige Folge einer zur Subsistenz der Arbeiterfamilien nicht mehr ausreichenden Lohnhöhe und auf eine nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage sich hiedurch erzwingende Erhöhung des Lohnsatzes hinweisen; mit den ebenfalls sattsam bekannten partikulären Ausnahmen zu Gunsten — oder richtiger gesagt zu Ungunsten — derjenigen speziellen Beschäftigungszweige, die als bloße Nebenbeschäftigungen von Leuten, die ihren Lebensunterhalt aus anderen Quellen ziehen, betrieben werden, oder die sonst aus irgend einem anderen speziellen Grunde ihren Mann nicht oder nicht ganz zu ernähren brauchen.

2. Ein Lohn unter dem Lohnsatz der allgemein zugäng liehen gemeinsten Arbeit — in unserem Beispiele ein Lohn unter 3 K 10 h — ist ebensowenig dauernd möglich. Auch dies braucht kaum genauer erläutert zu werden; schon deshalb nicht, weil alle zum folgenden Punkte 3 vorzubringenden Gründe offen sichtig hier ebenfalls, und zwar noch verstärkt wirken. Die seit Adam Smith wohlbekannten Ausnahmen für Berufe, die mit besonderen Annehmlichkeiten oder Ehren verknüpft sind, und ia denen daher aus diesem Grunde viele Leute mit einem geringeren materiellen Entgelt vorliebnehmen, als sie in anderen, minder angenehmen oder ehrenden Berufen erhalten könnten, bleibt natürlich auch hier aufrecht, hat aber für die allgemeine Ver-teilungstheorie keine Bedeutung.

3. Auch Lohnsätze, die zwar über dem Lohn der gemeinstem Arbeit, aber unter dem „Grenzprodukt des letzten Arbeiters“ stehen (in unserem Beispiele Lohnsätze zwischen 3 K 10 h und 5 K 50 h) werden, wenn durch momentane Macht Wirkungen aufgezwungen, schwerlich eine anhaltende Dauer [245] behaupten können. Zunächst sicher dann nicht, wenn die Machtwirkung auf irgend einen partikulären Kreis, z. B. auf die Arbeiter einer einzelnen Fabrik oder auf einen einzelnen Produktionszweig beschränkt war, während in anderen Beschäftigungszweigen, die einen gleichen oder ähnlichen Qualifikationsgrad erheischen, ein auf die „natürliche“ Höhe des Grenzproduktes gestimmter Lohnsatz (im Beispiele 5 K 50 h) herrscht. Denn wenn auch die persönlichen Schwierigkeiten, die mit einem Berufswechsel der schon eingeschulten Arbeitergeneration verbunden sind, eine plötzliche Massenflucht aus dem jetzt weniger lohnenden Produktionszweig in die anderen, besser lohnenden Produktionszweige hinüber verhindern sollten, so bleibt um so sicherer der langsam wirkende Einfluß in Kraft, der von der Berufswahl der heranwachsenden Generation ausgeht: diese wird naturgemäß die besser lohnenden Berufszweige aufsuchen und den abnorm schlecht lohnenden Berufszweig vermeiden, die natürlichen Abgänge im ursprünglichen Arbeiterstock werden sich hier nicht mehr ersetzen lassen und der allmählig eintretende Arbeitermangel wird die Unternehmer endlich dazu zwingen, den Arbeitern ihres Produktionszweiges denselben, höheren Lohnsatz zu bieten, der von ihnen in anderen gleichstehenden Produktionszweigen erlangt werden kann.

Schwieriger ist die Untersuchung und Entscheidung für den Fall einer universellen, durch alle Produktionszweige hindurchgehenden, auf Machtwirkung beruhenden Lohndrückung. Der tatsächliche Eintritt eines solchen Falles ist freilich von Haus aus viel weniger wahrscheinlich, da ja eine universelle Koalition der Unternehmer aller Branchen, von welcher allein eine solche universelle Machtwirkung ausgehen könnte, viel schwerer zusammenzubringen und noch schwerer dauernd zusammenzuhalten ist. Aber nehmen wir für den Zweck unserer theoretischen Untersuchung immerhin einen solchen Fall für einen bestimmten Zeitpunkt als gegeben an. Natürlich entfällt jetzt für die Arbeiter jede Möglichkeit einer Flucht in andere besser lohnende Produktionszweige und damit gerade das wirksamste Moment, das im Fall einer bloß partiellen Lohndrückung früher oder später die Wiedererhöhung des gedrückten Lohnes sichert. Aber dafür treten jetzt andere, wenn auch nur langsam wirkende Impulse auf Seite der Unternehmer auf. Der Bestand eines Lohnsatzes unter der [246] Grenzproduktivität der Arbeit bedeutet einen Extragewinn, der den Unternehmern zufließt; in erster Linie als erhöhter Unternehmergewinn, der aber bei längerer Dauer des Verhältnisses zum Teil als erhöhter Kapitalzins an die Kapitalisten wird abgegeben werden müssen, insofern ja dem Kapital während und vermöge des Bestandes jenes Verhältnisses entsprechend lukrative Anlagegelegenheiten offen stehen. Der Bestand erhöhter Unternehmergewinne wirkt nun an sich schon als Anreiz sowohl zur Ausdehnung der schon bestehenden Unternehmungen — welcher Anreiz allerdings durch die Gebundenheit der alten Unternehmer an die Koalitionsabmachungen vielleicht noch eine Weile im Zaume gehalten werden kann — als auch zur Begründung neuer, gegenüber der Koalition als Outsiders auftretender Unternehmungen, die das von ihnen benötigte Arbeitermateriale seiner bisherigen Beschäftigung natürlich nur durch die Gewährung eines etwas höheren Lohnes entziehen können. Außerdem verschiebt aber der erhöhte Kapitalzinsfuß auch die Rentabilitätsgrenze zwischen verschiedenen, stärker und schwächer kapitalistischen Produktionsmethoden zu Gunsten der letzteren. Gestiegener Kapitalzins und verbilligte Arbeit verkehrt in der Nachbarschaft der Rentabilitätsgrenze, dort nämlich, wo bei niedrigerem Zins und höherem Lohn eben noch ein knapper Vorteil zu Gunsten einer stärker kapitalistischen, z. B. maschinellen Produktion und zu Ungunsten der Handarbeit bestanden hatte, den knappen Vorteil in Nachteil, und macht eine rückläufige Änderung der Produktionsmethode, im Sinne einer stärkeren Verwendung unmittelbarer Arbeit und einer weniger intensiven Kapitalsanlage lukrativer.[27] Natürlich wird auch dieser Impuls nicht rasch wirken: schon bestehende Kapitalsanlagen dieser Art wird man nicht plötzlich außer Betrieb setzen, sondern ausbrauchen, aber man wird sie zum mindesten nicht mehr nachschaffen, sondern statt ihrer die nunmehr billigere Handarbeit vorziehen. Und dies wird wieder zur Quelle eines verstärkten Bedarfes nach Arbeitskräften werden, der nur durch Darbietung eines etwas höheren Lohnes — der den Vorteil der schwächer [247] kapitalistischen Methode nur natürlich nicht ganz aufzehren darf — befriedigt werden kann. Dieses Motiv wird innerhalb und außerhalb der Koalition wirken, und zwar bei den Produzenten verschiedener Zweige in sehr ungleichem Maße; bei solchen, die schon vorher nur sehr wenig stehendes Kapital und viel unmittelbare Arbeit in Anwendung hatten, fast gar nicht, und auch bei solchen nicht, bei denen zwar das stehende Kapital sehr überwiegt, aber aus technischen Gründen mit einem so großen Vorteil überwiegt, daß selbst merkliche Verschiebungen im Lohn und Zinssatz einen Umschlag zu Gunsten einer schwächer kapitalistischen Methode noch nicht in die Nähe rücken; dafür aber recht stark wieder bei einer dritten Gruppe von Produzenten, die infolge zufälliger technischer Verhältnisse mit einem verhältnismäßig großen Xeil ihrer Produktionsmittel gerade an der Schneide des Vorteiles stehen. Und diese starke individuelle Verschiedenheit wieder wird kaum ohne wichtige Folgen für den weiteren Verlauf der Sache bleiben können. Bei Koalitionen, die nur die Produzenten eines und desselben Produktionszweiges, mit verwandten technischen Produktionsbedingungen umfassen, wird zwar auch nicht völlige, aber wenigstens beiläufige Interessenharmonie herrschen, die ein einträchtiges Verbleiben in der allen gleichmäßig zum Vorteil gereichenden Koalition begünstigt. Wenn aber die Koalition Kreise umspannt, deren Interessen gerade auch im Koalitionspunkt selbst auseinandergehen, dann ist nach aller menschlichen Erfahrung bleibende Einmütigkeit nicht zu erwarten, zumal wenn durch das nicht zu hindernde Auftreten von Outsiders die siegverbürgende geschlossene Phalanx der Unternehmer doch schon durchbrochen ist. Wohl haben von der Niederhaltung der Löhne alle Unternehmer in irgend einem Maße einen Gewinn, aber dieser Gewinn verteilt sich auf verschiedene Gruppen je nach dem technischen Mischungsverhältnis von Kapital und Arbeit außerordentlich ungleich; und für Produktionsgruppen, in denen dieser Gewinn verhältnismäßig gering ist, mag er durch den von der Koalition auferlegten Verzicht auf Expansion und auf Einführung lukrativerer Produktionsmethoden weitaus überboten werden. Sieht man nun aber diese Vorteile, auf die man zu Gunsten der Koalition verzichten soll, skrupellos von Outsidern gepflückt und durch deren Konkurrenz dann doch auch für den eigenen Kreis stückweise [248] abbröckeln, dann ist der psychologische Moment gekommen, in welchem es auch innerhalb der Koalition zur Fahnenflucht kommt; in welchem jene Unternehmergruppen, die nach ihren Verhältnissen durch koalitionswidrige Expansion und Methodenänderung am meisten gewinnen können, es vorziehen, diesen Gewinn noch für sich zu erraffen, ehe die durch Outsiders bedrohte Konjunktur ganz entschwindet. Und das ist der Anfang vom Ende der Koalition, der Einbruch eines immer breiteren Stromes der Unternehmerkonkurrenz, mit dem Schlußerfolge, den Arbeitslohn vom Punkte des Machtdiktates wieder an den Konkurrenzpunkt zu rücken, das ist an das Niveau des „Grenzproduktes“.

Das sind deduktive Gedankengänge, die mehr oder weniger überzeugend wirken können. Aber es muß bemerkt werden, daß andere als deduktive Gedankengänge uns in diesen Fragen überhaupt nicht zu Gebote stehen. Es wird uns nie gegönnt sein, ganz zuverlässige direkte Erfahrungen zu sammeln oder erprobende Experimente anzustellen. Die supponierte, durch alle Produktionszweige hindurchgreifende Unternehmerkoalition hat es noch nie gegeben. Und wenn es sie irgend einmal gäbe und sie dann auch wirklich, wie dies ja alle labilen sozialen Gebilde tun, wiederum dahinschwände, so dürfte ich auch das noch immer nicht als eine glatte empirische Probe auf meine Deduktion ansehen. Man könnte auch dann noch streiten, ob der Zerfall just aus den in meiner Deduktion entwickelten Gründen oder nicht vielmehr wegen anderer, inzwischen neu eingetretener, eine Änderung erzwingender Momente erfolgt sei. Denn die Gründe, die in meinem Räsonnement als wirkend eingeführt werden, können ihrer Natur nach ihr Werk nur sehr langsam vollbringen; und durch so lang^ Zeit, als bis zur Durchsetzung ihrer Wirkung verstreichen müßte, bleiben wohl nie alle anderen Umstände ungeändert: ob dann der endlich eingetretene Ausschlag im Erfolg ein Ausschlag ist, den ihre langsame Minierarbeit auch innerhalb des alten Tatbestandes für sich allein hervorgebracht hätte, oder ob und zu welchem Teile er auf das' Konto der zwischenzeitigen tatsächlichen Neuerungen zu setzen ist, das wird sich auf rein empirischem Wege niemals ohne Zweifelsrest ausmachen lassen. Gerade weil wir aber in diesen^ Fragen auf Deduktionen als Erkenntnisquelle angewiesen sind und gerade weil uns überdies für diese ' Deduktionen die sonst zur [249] Verfügung stehende ergänzende Sicherung durch unmittelbare empirische Kontrolle fast völlig im Stich läßt, müssen wir endlich einmal damit beginnen, solche Deduktionen wirklich auszuarbeiten; und zwar natürlich auszuarbeiten auf der Grundlage und mit den Mitteln der ökonomischen Theorie, in die wir ja jede Analyse der „Machteinflüsse“ zurückleiten sahen, und zugleich mit jener äußersten Sorgfalt, Vorsicht und Umsicht, zu der die Anwendung der deduktiven Methode überhaupt, ganz insbesondere aber dort verpflichtet, wo die deduktiven Gedankenketten lang und vielgliedrig, und schrittweise kontrollierende empirische Gegenproben nicht möglich sind.[28] In diesem Sinne wollte ich hier und im folgenden vorläufig ein paar Skizzen — und zwar, wie ich ganz wohl weiß, nur rohe, unausgeführte Skizzen — solcher deduktiver Gedankengänge bieten, die zu einer künftigen genaueren Ausführung anregen und wenigstens beiläufig den Weg andeuten mögen, auf welchem nach meiner Meinung das uns in diesen Fragen überhaupt erreichbare Maß von Erkenntnis und Voraussicht zu gewinnen ist.

Setzen wir unsere Betrachtung jetzt für die oberhalb des Niveaus des „Grenzproduktes“ liegenden Sprossen der Stufenleiter von Lohnhöhen fort, und zwar von oben beginnend, zunächst für die höchsten denkbaren Lohnstufen. Es ist

4. wohl ohne jede Auseinandersetzung klar, daß solche extreme Lohnhöhen der Dauer nicht fähig sind, welche, obwohl für den Augenblick gegenüber einer lange dauernden Betriebseinstellung noch immer das „kleinere Übel“ für den Unternehmer darstellend, diesem so große positive Kapitalverluste zufügen, daß ihre fortgesetzte Wiederholung zum geschäftlichen Zusammenbruche führen müßte. (Siehe oben Seite 241.)

5. Auch jene unmittelbar angrenzende Lohnstufe ist, wie ebenfalls ohneweiters einleuchtet, anhaltender Dauer nicht fähig, welche, ohne den Unternehmer mit unmittelbarem geschäftlichen Ruin zu bedrohen, ihm doch in irgend einem, wenn auch nur geringeren Grade positiven Kapitalverlust zufügt. Denn sehr lange fortgesetzt müßte selbstverständlicherweise auch ein geringer Kapitalverlust irgend einmal zum geschäftlichen Ruin führen — [250] also der Fall 5 in den Fall 4 einmünden ; aber ohne Zweifel werden in solchen Fällen die Unternehmer schon vorher vorziehen, ihren positiv verlustbringenden Betrieb — oder mindestens die verlustbringenden Teile desselben — abzuwickeln oder aufzugeben.

6. Das größte theoretische Interesse knüpft sich aber wohl an die nächstfolgende Stufe: Ist ein solcher Lohnsatz anhaltender Dauer fähig, welcher, ohne den Unternehmern einen positiven Verlust an ihrem Kapitalstamm zuzufügen, ihnen die Verzinsung ihres Geschäftskapitals wegnimmt oder schmälert?

Bringen wir zunächst eine Vorfrage ins Reine: ist es möglich, daß speziell der Kapitalgewinn der Unternehmer dauernd wegfällt oder geschmälert wird, während in anderen Bezirken der Volkswirtschaft, z. B. im Darlehensverkehr, in der Verzinsung der nicht produktiven Vermögensanlagen (Miethäuser!), im Kapitalisierungsfuß der Grundstücke u. dgl. Dasein und Höhe des Kapitalzinses ungeändert verbleibt?

Offenbar ist dies nicht möglich. Für Unternehmer, die mit fremdem Kapital arbeiten, würde die Differenz zwischen der höheren Zinsrate, die sie dann immer noch ihren Gläubigern zu bezahlen hätten, und der niedrigeren Zinsrate, die das Kapital ihnen selbst in ihrem Geschäfte einbrächte, einen positiven Verlust bedeuten, und das würde die ganze Sache in das Geleise des schon betrachteten Punktes 5 hinüberleiten. Aber auch für jene Unternehmer, die entweder ganz ausschließlich oder doch vorwiegend mit eigenem Kapital arbeiten, wäre das Verhältnis auf die Dauer nicht haltbar. Zwar würden die einmal fest investierten Kapitalien meist wohl auch mit der niedrigeren Verzinsung vorliebnehmen müssen, wenn und weil ihre Zurückziehung aus technischen Gründen gar nicht oder nicht ohne eine noch empfindlichere Entwertung des Kapitals selbst möglich wäre, aber es wird wenig Geneigtheit bestehen, die ausgebrauchten Kapitalien neuerdings zu ersetzen, wenn die produktive Investition den Kapitaleignern weniger Ertrag verspricht als dasselbe Kapital bei anderweitiger Anlage zu Grund oder Hauskäufen oder im Darlehensverkehr einbringen könnte. Und eben diese wohlbekannten und oft besprochenen Motive, die überhaupt auf eine beiläufige Nivellierung der Zinsrate in verschiedenen (nicht durch besondere Hindemisse gegeneinander abgemauerten !) Teilmärkten des Kapitalverkehres [251] hinzielen, würden jedenfalls auch einer einseitigen Herabminderung oder gar Austilgung der ursprünglichen Kapitalgewinne der Unternehmer im Wege stehen: diese müßte entweder auch auf die übrigen Verwendungszweige des Kapitales sich fortpflanzen können, oder selbst unterbleiben.

Es gewinnt daher die von uns zu untersuchende Frage folgende Gestalt : Ist ein solcher Lohnsatz anhaltender Dauer fähig, welcher, ohne den Kapitalstamm der Unternehmer anzutasten, der Volkswirtschaft den Kapitalzins wegnimmt oder wenigstens unter den bei völlig freier Konkurrenz sich ergebenden „natürlichen“ Zinssatz herabdrückt? Mit anderen Worten, kann eine durch Machtdruck erzwungene Lohnerhöhung auf die Dauer den Kapitalzins in der Volkswirtschaft absorbieren oder gegenüber seinem natürlichen Ausmaß schmälern?

Wir werden uns die recht schwierige Entscheidung dieser Frage einigermaßen erleichtern, wenn wir sie für jede der beiden darin enthaltenen Etappen, nämlich für die völlige und für die teilweise Absorption des Kapitalzinses, gesondert untersuchen.

Das völlige Verschwinden des Kapitalzinses aus der Volkswirtschaft halte ich — außer dem fast undenkbaren und jedenfalls hier nicht in Betracht kommenden Falle einer alle Grenzen des Begehrs übersteigenden Anhäufung von Kapital — für unmöglich. Auf der einen Seite würde der Wegfall der „Ersparungsprämie“, welche im Zinse liegt, jenen höchst bedeutenden Teil der kapitalbildenden Ersparung mit in Wegfall bringen, welcher nur um des Zinses willen gemacht wird. Allerdings wird dafür vielleicht der als „Notpfennig“ gedachte Teil der Ersparungen, der den erwerblosen Lebensabend versorgen soll, rationell etwas größer ausgemessen werden müssen, falls die Versorgung in Ermanglung jeder Zubuße von Zinsen ganz und gar aus zurückgelegtem Kapital allein bestritten werden soll. Aber in der Bilanz wird nach allgemeiner Ansicht doch wohl ein erheblicher Ausfall im Kapitalbestand resultieren, und die zu gewärtigende Verminderung des Kapitalangebotes würde jedenfalls einen starken Druck in entgegengesetzter Richtung, in der Richtung auf ein Wiederansteigen und nicht auf ein bleibendes Schwinden des Kapitalzinses üben.

Entscheidend müßten aber, selbst wenn das Angebot an Kapital gar keine Verminderung erführe, die Verhältnisse der [252] Nachfrage nach Kapital werden. Nehmen wir an, es wäre wirklich für einen Moment der Zins aus der Volkswirtschaft völlig verschwunden: das will sagen, gegenwärtige und künftige Güter würden ohne Agio auf gleichem Fuß gegeneinander vertauscht und Darlehen wären zinslos zu haben. Dann wäre die unausbleibliche Folge eine jede Grenze überschreitende Steigerung der Nachfrage nach gegenwärtigen Gütern. Das empirische Gesetz von der Mehrergiebigkeit der zeitraubenden, stärker kapitalistischen Produktionsumwege könnte nicht verfehlen, sich in der Richtung geltend zu machen, daß die Unternehmer wetteifernd ihre Produktionsperioden verlängern, sich auf die technisch ergiebigsten, aber dabei langwierigsten und zeitraubendsten Produktionsmethoden einrichten würden. Das automatisch wirkende Hindernis, das heute solchen maßlosen Ausdehnungen der Produktionsprozesse entgegenwirkt, bestünde ja nicht mehr: dieses Hindernis ist ja der Zins, welcher die Wahl längerer und längster Produktionsmethoden gewissermaßen selbstwirkend progressiv besteuert. Wenn aber die längere Produktionsmethode, von der progressiven Last des Zinses befreit, nicht mehr kostet als die kürzere und dabei mehr Produkt bringt als diese, so entsteht ein universeller Anreiz zu maßloser Ausdehnung der Produktionsperioden. Diese findet aber ihre physische Schranke in der jedenfalls begrenzten, wenn nicht durch die behinderte Ersparung sogar noch positiv verminderten Menge der Subsistenzvorräte, aus welchen die Subsistenz der Arbeiter während der vergrößerten Wartezeit, die die verlängerte Produktionsperiode auferlegt, zu bestreiten ist: mit der gegebenen (und zumal mit einer noch verminderten!) Menge von Subsistenzvorräten kann unmöglich die Subsistenz für dieselbe Zahl von Arbeitern für eine grenzenlos verlängerte Wartezeit bestritten werden.[29] Es muß und wird vielmehr die Entwicklung von zwei Seiten her in dre Schranken des Möglichen zurückgedrängt werden. Es wird zunächst die Dauer der Produktionsperioden, wenn auch verlängert, so doch auf ein mögliches Maß eingegrenzt werden durch eine Auslese, die innerhalb des schrankenlosen [253] Wettbewerbes zu Gunsten der gewinnbringendsten unter den zahllosen möglichen gewinnbringenden Produktionsverlängerungen getroffen wird ; und da diese Auslese natürlich nur zu Gunsten des zahlungsfähigsten Teiles der Nachfrage durch Bewilligung höherer Preise, das will in diesem Falle sagen, durch Bewilligung eines entsprechend hohen Aufgeldes auf die nachgefragten Subsistenzmittel bewirkt werden kann, so wird mit diesem Teile der notwendigen Entwicklung der durch unsere Hypothese für einen Augenblick aus der Volkswirtschaft verbannte Kapitalzins in sie wieder zurückkehren — so, wie ich es deutlicher und ausführlicher in meiner positiven Theorie des Kapitales geschildert habe.[30]

Aber es wird gleichzeitig noch etwas anderes eintreten. Durch die soeben geschilderte, mit einer Wiederentstehung des Kapitalzinses verbundene Auslese wird zwar einer Verlängerung der Produktionsperioden ins Grenzenlose ein Riegel vorgeschoben, nicht aber eine Verlängerung überhaupt gehindert. Im Gregenteil: die durch Bezahlung des höchsten Aufgeldes auf Gegenwartsgüter obsiegenden Unternehmer werden normalerweise geradezu gezwungen sein, längere als die ursprünglichen Produktionsperioden anzunehmen. Denn während sie ursprünglich, vor dem Eintritt der auf ihre Dauerfähigkeit zu untersuchenden Lohnerhöhung,, an Zins und Lohn zusammen nur so viel zu zahlen hatten, als sie jetzt an erhöhtem Lohn allein zu zahlen haben, müssen sie jetzt darüber hinaus auch noch den von neuem entstandenen Zins bezahlen. Dazu reicht aber das erzielte Produkt nur unter der Voraussetzung einer größeren als der bisherigen Ergiebigkeit, und diese kann, wenn wir nicht den Zufall neuer, die Ergiebigkeit erhöhender Erfindungen u. dgl. als deus ex maehina zu Hilfe rufen, sondern die Sache im Rahmen unserer ursprünglichen Annahmen zu Ende denken wollen, nur durch eine entsprechende Verlängerung der Produktionsperiode gewährleistet werden. Dann aber bleibt es eine Unmöglichkeit, daß aus dem vorhandenen, eher verringerten als vermehrten Subsistenzvorrat die Subsistenz von ebensoviel Arbeitern als bisher für die nunmehr verlängerte Produktionsperiode bestritten werden könnte. Es muß daher auch noch . nach einer zweiten Seite hin eine Eingrenzung erfolgen : [254] es muß auch noch die Zahl der angestellten Arbeiter restringiert werden, und zwar beiläufig in demselben Verhältnis, in dem die Dauer der Subsistenzvorschüsse sich verlängert hat. Diese physische Notwendigkeit wird sich ökonomisch durchsetzen durch das Interessenmotiv, daß bei hohem Lohn und niedrigem Zins eine stärker kapitalistische Produktionsmethode, das ist die Anstellung von weniger Arbeitern in länger dauernden Produktionsperioden rentabler ist.[31] Es wird sich daher, so lange der durch Machteinflüsse erzwungene höhere Lohnsatz sich erhält, ein provisorischer Gleichgewichtszustand von beiläufig folgender Beschaffenheit einstellen. Durch die allgemeine Annahme längerer Produktionsperioden wird die Ergiebigkeit per Kopf der beschäftigten Arbeit erhöht. Das hiedurch (und auch durch die Verringerung der Zahl der beschäftigten Arbeiter) erhöhte „Grenzprodukt“ der Arbeit stimmt sich jetzt mit dem erzwungenen höheren Lohn zusammen, welcher das „Grenzprodukt“ des vorangegangenen Zustandes übertroffen hatte. Der Kapitalzins, der sich wieder eingestellt hat, ist niedriger als zuvor. Die Unternehmer können bestehen, weil infolge der gesteigerten „Grenzproduktivität“ der Arbeit auch der letzte von ihnen angestellte Arbeiter ihnen noch den zu zahlenden höheren Lohn einträgt, und weil die Mehrergiebigkeit des ganzen verlängerten Produktionsprozesses ihnen auch über den gesteigerten Arbeitslohn hinaus noch genug übrig läßt, um den — in seiner Rate verringerten — Kapitalzins zu bezahlen. Aber dieser neue Gleichgewichtszustand ist nur mögHch geworden um den Preis der Beschäftigung einer geringeren Zahl von Arbeitern. Und dies ist der Punkt, von welchem aus nach aller menschlicher Voraussicht der momentane Gleichgewichtszustand wieder zum Umkippen gebracht werden muß.

Die koalierte Arbeiterschaft spaltet sich nämlich jetzt in zwei Teile: in einen zu hohem Lohnsatz beschäftigten und in einen völlig erwerblosen unbeschäftigten Teil. Der letztere wird gegenüber dem ersten desto ansehnlicher sein, je stärker die erzwungene [255] Lohnsteigerung war und je weiter daher die neu angenommene Produktionsperiode erstreckt werden mußte, um durch die mit der Erstreckung zunehmende Ergiebigkeit das neue Gleichgewicht zwischen Grenzprodukt und Lohnhöhe zu finden. Nun ist ein doppelter Verlauf der Sache möglich : entweder bleiben beide Teile der Arbeiterschaft in der Koalition beisammen, was wohl voraussetzt, daß die erwerblosen Genossen durch Beiträge der Erwerbenden erhalten werden. Sind diese Subsistenzbeiträge reichlich, dann zehren sie für die beschäftigten Arbeiter den Gewinn aus der Lohnsteigerung auf — zumal ja nicht übersehen werden darf, daß das Gesamtprodukt, das von einer verringerten Zahl von Arbeitern mit höchstens gleichbleibendem Kapital selbst bei einer verbesserten Methode erzielt werden kann, hinter dem bei Vollbeschäftigung von Kapital und Arbeit erzielbaren Produkt zurückbleiben muß. jEs hat also von der neuen künstlichen Ordnung der Dinge gegenüber der alten „natürlichen“ Ordnung niemand Vorteil, und viele einen Nachteil — ein Verhältnis, das der dauernden Erhaltung eines nur durch stärksten einmütigen Machtdruck aufrechtzuhaltenden Zustandes gewiß nicht günstig ist. Ist aber die Subsistenz der unbeschäftigten Arbeiter eine wesentlich kärglichere, dann wird dies wieder von den letzteren als fortdauernder Zustand nicht ertragen werden; es kommt zu Unzufriedenheit, Uneinigkeit und schließlich zum Zerfall. Die Malkontenten werden früher oder später Outsider, die den Unternehmern ihre Dienste im Wettbewerb anbieten; und der wiedererwachende Wettbewerb mit seinen Unterbietungen macht dem monopolistischen Lohndiktat der Arbeiterkoalition ein Ende und führt den Lohn wieder auf dasjenige Niveau zurück, welches bei Vollbeschäftigung aller Arbeiter ökonomisch möglich ist, das ist auf das „Grenzprodukt“ des in wieder verkürzter Produktionsperiode angestellten letzten Arbeiters.[32]

[256]

Versorgen endlich die beschäftigten Arbeiter die infolge der Lohnerhöhung beschäftigungslos gewordenen Kollegen gar nicht, dann setzt sich derselbe Prozeß natürlich noch viel rapider durch: die Masse der Brotlosen tritt viel rascher und drängender in unterbietenden Wettbewerb.

Vielleicht könnte man denken, daß auch noch ein Ausweg nach einer ganz anderen Seite hin möglich wäre: daß nämlich die koalierten Arbeiter nicht allein den höheren Lohn, sondern auch die Vollbeschäftigung aller Arbeiter zu diesem höheren Lohnsatz erzwingen. Allein selbst wenn die Arbeiter die Macht hätten, dies für den Moment zu erzwingen, so wäre dieser Zustand nicht der Dauer fähig. Er würde nämlich mit Notwendigkeit in einen der oben betrachteten Wechselfälle 4 oder 5 hineinführen. Denn durch die Nötigung, den Arbeitern einen Lohn zu bezahlen, der schon für sich allein um den ganzen Betrag des ursprünglich bestandenen Kapitalzinses höher ist, daneben aber doch noch einen, wenn auch in geringerer Höhe wiederentstandenen Kapitalzins ebenfalls zu bezahlen, wachsen die Auslagen der Unternehmer über das Produkt hinaus, die Bilanz ist Verlust und das Ende früher oder später freiwilliges Aufgeben der Unternehmung oder Bankrott.

Außerdem ist aber ein Zwang zur Anstellung aller jeweils existierenden Arbeiter nahezu undenkbar. Bestenfalls können auf dem Wege des Zwanges Entlassungen des alten Arbeiters tandes verhindert werden; aber schon viel schwerer wäre es, Neuanstellungen im Ausmaß der sich ergebenden natürlichen Abgänge zu erzwingen, und noch schwerer natürlich Neuanstellungen einer stets steigenden Zahl von Arbeitern entsprechend der fortdauernden Zunahme der Bevölkerung.

[257]

Ich glaube, daß aus allen diesen Erwägungen, die sich noch viel mehr ins Detail ausbauen ließen und dessen wohl auch noch sehr bedürftig sind, eine völlige Aufsaugung des Kapitalzinses in einer Volkswirtschaft durch künstlich erzwungene Lohnerhöhungen unmöglich ist. Ist aber vielleicht eine teilweise Aufsaugung des natürlichen Kapitalzinses dauernd möglich?

Ich glaube, daß wir keine Veranlassung haben, einen anderen als einen mit dem bisher geschilderten parallelen Verlauf der Dinge anzunehmen. Eine schwächere, auf Kosten des natürlichen Kapitalzinses gehende Lohnerhöhung wird der Art nach dieselben entgegenwirkenden Kräfte und Motive auslösen, nur in entsprechend schwächerem Grade. Eine bloße Verringerung des Zinsfußes wird zunächst die im Zinse liegende Ersparungsprämie nicht aufheben, sondern bloß herabsetzen — mit einer allerdings nicht sicher vorherzusagenden Wirkung auf das Quantum der ferneren Ersparungen.[33] Vielleicht wird die Masse der Ersparnisse herabgesetzt werden, vielleicht auch nicht. Dies ändert indes insofern nichts an dem Gesamtgang der Dinge, als ich ja auch in der vorangegangenen Teiluntersuchung der auf Seiten des Kapitalangebotes eintretenden Verminderung absichtlich mehr nur in Parenthese gedachte, ohne ihr den ausschlaggebenden Einfluß zuzuschreiben. Der letztere liegt vielmehr bei der Nachfrage nach Kapital. Und auf dieser Seite der Sache ist es unvermeidlich, daß jede Erhöhung des Arbeitslohnes über das bisherige Grenzprodukt, die mit einer Verminderung der Kapitalzinsrate verbunden ist, Impulse in der Richtung einer Verlängerung der Produktionsmethoden und Verringerung der Zahl der angestellten Arbeiter auslöst. Es muß, wenn die Unternehmer nicht positive Verluste erleiden sollen, was auf die Dauer nicht angeht, die Deckung des erhöhten Lohnes durch eine erhöhte Grenzproduktivität der Arbeit bewirkt werden, wozu — falls nicht zufällige verbessernde Erfindungen sich einstellen, die wir aber als bloßen Zufall nicht in Rechnung stellen dürfen — eine Verlängerung der Produktionsumwege die Handhabe bietet, die aber unter sonst gleichen Umständen nur unter gleichzeitiger Verminderung der Zahl der angestellten Arbeiter erfolgen kann. Und die erzwungene Erwerblosigkeit eines Teiles der Arbeiter birgt wieder den Keim des Zer falles der Arbeiterkoalition in sich. Alles dies in verringerter Intensität, entsprechend der vorausgesetzten geringeren Intensität des ersten Anstoßes, der von der Koalition erzwungenen Lohnerhöhung. Geringere Intensität der kontinuierlich gegen die Beharrung des momentan gesetzten Zustandes wirkenden Kräfte bedeutet aber nicht ein anderes, sondern nur ein späteres Ergebnis ihrer Wirkung. Es kann nicht bedeuten, daß ein Zustand, der die physische Möglichkeit zwar nur um ein weniges, aber doch überschreiten würde, jemals dauernd möglich werden könnte, und es kann auch nicht bedeuten, daß die Aussperrung einer kleineren Zahl von Arbeitern für diese gar keinen Impuls zum Wettbewerb um Anstellung bilden würde. Wohl aber bedeutet es, daß der eines vollkommen dauernden Beharrens nicht fähige Zustand sictt gegen den Andrang schwächer wirkender Gegenkräfte durch längere Zeit behaupten kann; daß z. B. geringe aus der momentanen Sachlage hervorgehende positive Geschäftsverluste der Unternehmer von diesen länger ertragen werden können, ehe es zum Bankrott oder zur freiwilligen Aufgabe der Unternehmung kommt; oder daß eine kleine Zahl beschäftigungsloser Arbeiter länger aus der Gewerkschaftskasse souteniert oder durch moralischen Druck von einem koalitions widrigen Unterbieten zurückgehalten werden kann.

Und dies wieder kann auch noch etwas anderes bedeuten. Ich habe schon bei einer früheren Gelegenheit bemerkt, daß etwas längere Zeiträume wohl niemals unter sonst völlig ungeänderten Verhältnissen verstreichen. Wenn ein wirtschaftlicher Entwicklungsprozeß längere Dauer in Anspruch nimmt, mischt sich in seinen Verlauf fast immer auch der Einfluß von Änderungen ein, die inzwischen aus irgendwelchen zufälligen oder unabhängigen Ursachen, gewissermaßen spontan, auch sonst in der Sachlage eingetreten sind. Während einer Reihe von mehreren oder gar von vielen Jahren bleibt nie die Produktionstechnik und noch weniger die wirtschaftliche Konjunktur stille stehen. Die letztere kann aufwärts oder abwärts gehen, die erstere schreitet fast mit Sicherheit vorwärts. Und ist die Frist eine recht lange, so können sogar in den grundlegendsten „Daten“ der Volkswirtschaft, wie in der Bevölkerungszahl und in ihrem Verhältnis zum Kapitalstock, [259] merkliche Änderungen sich fühlbar machen. Und noch etwas kann geschehen. Es können unter anderem auch gerade von denjenigen Anstößen, deren regelmäßige Folgewirkungen wir beobachten und kontrollieren wollen, sozusagen halbzufällige Impulse auf die Änderung anderer äußerer Daten ausgeübt werden; das will sagen, solche Impulse, die einen Erfolg in Bezug auf die Änderung äußerer technischer Daten zwar nicht haben müssen, wohl aber haben können, so daß diese Erfolge zwar nicht als sicher vorauszusehende Zwischenglieder der ganzen deduktiven Entwicklungskette eingestellt werden dürfen, aber als möglich doch nicht völlig außer acht zu lassen sind. In unserem Falle kann z. B. die gedrückte Lage, in die die Unternehmer durch eine ihnen aufgezwungene Lohnerhöhung geraten, einen energischen und vielleicht auch erfolgreichen Anreiz zur Ersinnung und Durchführung von technischen Produktionsverbesserungen üben — ähnlich, wie man bekanntlich dem bedrängenden Wetteifer der freien Konkurrenz einen mächtigen Anreiz zur Erzielung von Fortschritten in der Produktion nachrühmt; oder es kann die nachhaltige Erhöhung des Lebensfußes, deren sich die arbeitenden Klassen infolge der erstrittenen Lohnerhöhung erfreuen, denkbarerweise den schon öfters beobachteten zurückhaltenden Einfluß auf die Bevölkerungsvermehrung nehmen, den wir bei den wohlhabenden Klassen regelmäßig zu sehen gewohnt sind, u. dgl. mehr.

Tritt nun irgend ein solches zufälliges oder halbzufälliges Ereignis ein, welches direkt oder indirekt die Grenzproduktivität der Arbeit hebt, 'dann kann es auch geschehen, daß die anfänglich die Grenzproduktivität übersteigende Lohnerhöhung von der nachträglich sich ebenfalls erhöhenden Grenzproduktivität wieder ein-' geholt und dadurch eines dauernden Beharrens fähig wird. Dies wird desto leichter und häufiger geschehen können, je weniger exzessiv die erzwungene Lohnerhöhung schon ursprünglich war, das ist je weniger sie über die damals herrschende Grenzproduktivität der Arbeit hinausging. Mit Sicherheit ist freilich auch bei geringen Lohnerhöhungen auf diesen Ausgang nicht zu rechnen; denn die zufälligen und halbzufälligen Ereignungen dieser Art können ja doch auch ausbleiben oder sogar den entgegengesetzten Gang nehmen; die Konjunktur kann schlechter werden, die Bevölkerung gegenüber dem Kapitalvorrat rapid [260] wachsen und dergleichen mehr — in welchen Fällen die Wiedersenkung des erhöhten Lohnes unter dem Einspielen der früher geschilderten Zwischenmotive um so sicherer erfolgen müßte.

Die Fälle aber, in welchen eine nachträglich eintretende Änderung im „wirtschaftlichen Milieu“ einer anfangs übermäßigen erzwungenen Lohnsteigerung die Möglichkeit der Dauer verleiht, können leicht die theoretische Beurteilung verwirren. Sie scheinen empirische Proben dafür abzugeben, daß durch Machtdiktat nicht nur mit momentaner, sondern auch mit Dauerwirkung Löhne über das durch die Grenzproduktivität angezeigte Niveau emporgehoben werden können. Genau besehen liefern sie aber natürlich diese Probe nicht. Die ursprüngliche Emporhebung war die Wirkung des Machtdiktates; aber das dauernde Beharren ist nicht seine, sondern die Wirkung dritter Umstände, die unabhängig vom Machtdiktat oder mindestens ohne notwendigen Zusammenhang mit diesem die Grenzproduktivität der Arbeit und mit ihr das mögliche Dauerniveau des Arbeitslohnes emporgehoben haben. Ich werde auf diesen Punkt unten, bei der Zusammenfassung der aus unserer Untersuchung entspringenden Ergebnisse, noch einmal zurückzukommen haben.

Zuvor aber muß der Vollständigkeit halber noch eines siebenten möglichen Wechselfalles gedacht werden, dessen geringe praktische Wichtigkeit freilich außer Verhältnis zu seiner rech bedeutenden theoretischen Schwierigkeit steht. In der Stufenleite der möglichen Lohnsätze schaltet sich nämlich zwischen jen^ Lohnhöhe, die schon einen Teil des Kapitalzinses absorbiert, un jene, die glatt mit der Grenzproduktivität der Arbeit zusammentriff als denkbar auch noch eine Sprosse ein, welche zwar die GrenzProduktivität der Arbeit übertrifft, aber mit dem Plus doch noc nicht in den Ertragsanteil des Kapitales schneidet, sondern sie noch innerhalb des Gesamtertrages der angewendeten Arbeit häl Wenn nämlich mit einem in seiner Größe — wenn auch nichi in seiner technischen Zusammensetzung — gegebenen Kapitalstocl eine wachsende Zahl von Arbeitern kooperiert, so fügt jeder ferne] hinzutretende Arbeiter zum gemeinsamen Produkt einen geringerer: Ertragszuwachs hinzu. [34] Der jeweils letzte der angestellten [261] Gesamtzahl fügt dann das „Grenzprodukt“, jeder vorangehende um etwas mehr zum Gesamtprodukt hinzu; und darum verdient der Unternehmer, falls der Lohn gerade dem Grenzprodukt gleichkommt, am letzten angestellten Arbeiter nichts, an jedem zuvor angestellten Arbeiter aber — abgesehen von dem dem mitwirkenden Kapital zuzurechnenden Anteil — stufenweise mehr. Steigt nun der Lohn über das Grenzprodukt, so erleidet der Unternehmer zwar an dem oder den letztangestellten Arbeitern einen Verlust; dieser kann aber bis zu einer gewissen Grenze noch wettgemacht werden durch den an den zuvor angestellten Arbeitern gemachten Gewinn. Insolange dies zutrifft, oder, anders gefaßt, insolange die gesamte Lohnsumme nicht mehr beansprucht, als in dem gesamten, von allen Arbeitern zusammen erzeugten Produktzuwachs seine Deckung findet, braucht der Anteil des Kapitals noch nicht geschmälert werden. [35] Die das Grenzprodukt übertreffende Lohnquote geht dann auf Kosten eines bisher vom Unternehmer bezogenen echten „Unternehmergewinnes“.

Im Sinne unserer Untersuchung haben wir nunmehr die Frage zu stellen, ob eine solche, lediglich den Unternehmergewinn antastende oder erschöpfende Lohnsteigerung, wenn durch Machtdiktat momentan erzwungen, die Möglichkeit dauernden Beharrens für sich hat? Diese Frage ist wohl noch schwieriger deduktiv zu beantworten, als bei den früheren Gliedern unserer Untersuchung, und empirisch gar nicht zu erproben.

An Impulsen, die einem Beharren auf der jetzt in Rede stehenden Lohnstaffel entgegenstehen, wird es auch hier nicht fehlen ; dieselben werden jedoch klein und äußerst langsam wirkend sein. Die Unternehmer nämlich, die an ihrem letztangestellton Arbeiter verlieren, werden bestrebt sein, bei passender Gelegenheit ihren Betrieb so zu reorganisieren, daß sie ihre Arbeiterzahl um die verlustbringenden Köpfe reduzieren. Hindernisse gegen diese Reorganisation können von Seite der Arbeiterschaft [262] vorliegen, welche Arbeiterentlassungen nicht dulden will — dies verzögert das Abstoßen Überzähliger bis zum Eintreten natürlicher Lücken, die nicht mehr ausgefüllt werden; und ferner erfordert die bestmögliche Organisation des Betriebes mit einer verringerten Arbeiterzahl zugleich eine Umformung der technischen Kapitalausrüstung; diese kann ebenfalls, wenn Extraverluste durch plötzliche Abstoßung noch brauchbarer Kapitalstücke vermieden werden wollen, nur allmählich nach Maßgabe der natürlichen Abnützung der alten Kapitalstücke erfolgen. Während der langen Verzögerungen aber, die so von zwei Seiten dem Wirken der ohnedies nur geringfügigen Impulse sich entgegenstellen, können und werden wahrscheinlich längst allerlei Änderungen in der Gesamtlage sich ergeben, die mit viel größerer Kraft an der Auf oder Abwärtsbewegung des Lohnes tätig sind, und die jene geringfügigon Impulse entweder als kaum beachtete Verstärkung in sich aufnehmen oder umgekehrt als Gegenkraft weit mehr als wettmachen : die kleinen Wellen, die von jenen Impulsen ausgehen könnten, verrinnen unverfolgbar und unkontrollierbar in dem viel höher gehenden Gewoge neu gesetzter wirtschaftlicher Tatsachen. Eine Erprobung am Erfolg ist schlechterdings nicht möglich.

Zumal endlich die Lohnverschiebungen, die lediglich an jenem eigentlichen Unternehmergewinn zehren, ohne auf irgend einen anderen Faktor überzugreifen, überhaupt wohl nur minimal sein können. Denn eine in der ganzen Branche oder vollends in der ganzen nationalen Produktion erzwungene Lohnerhöhung tritt großen und kleinen, starken und schwachen Unternehmern gegenüber; und eine Lohnerhöhung, die auch bei den schwächsten, mit dem geringsten Unternehmergewinn arbeitenden Elementen des Unternehmertums noch in diesem geringsten Unternehmergewinn soll ihre volle Deckung finden können, kann kaum das Maß des Merklichen erreichen. Sowie sie dieses aber überschritte, müßte sie mindestens bei einem Teil der Unternehmer schon auf den Kapitalgewinn oder vollends auf das Geschäftskapital selbst übergreifen, womit die Sache in das Geleise eines der früher betrachteten Wechselfälle übergelenkt würde. Eine geschlossene theoretische Untersuchung mag darum auch an diesem 7. Falle nicht ohne den Versuch einer genaueren Ergründung vorübergehen — die ihr übrigens noch größere als die von mir absichtlich [263] nur ganz flüchtig skizzierten Schwierigkeiten in den Weg legen wird — ; aber das weitaus größte praktische und darum auch theoretische Interesse hängt nicht an diesem, sondern an dem vorausgegangenen 6. Fall: an der Frage, ob durch künstliche Machteinflüsse dauernd der Anteil der Arbeit auf Kosten des Anteiles des Kapitals emporgehoben werden kann oder nicht.

Wie der Leser gesehen hat, vermochte ich diese Frage nicht bejahend zu beantworten. Ich weiß ganz gut, daß ich gerade mit diesem Stück meines Meinungsbekenntnisses auf die stärkste Neigung zum Widerspruch und auf den Vorwurf eines Rückfalles in die alte überwundene Lehre von der Herrschaft „reiner Naturgesetze“ im Wirtschaftsleben stoßen werde. Ich weiß auch, daß viele eine lebendige empirische Widerlegung meiner Ansicht in der nicht zu leugnenden Tatsache werden erblicken wollen, daß während der letzten Dezennien zahllose Streiks zu einer nicht wieder rückgängig gemachten Verbesserung der ökonomischen Lage der Arbeiter geführt haben, und daß fast allgemein und überall die Lage der organisierten Arbeiter, die den Hebel der „Macht“ für sich in Bewegung zu setzen vermögen und verstehen, eine günstigere ist als die der nicht organisierten Arbeiter.

Ich glaube indes beiden Einwürfen entgegentreten zu können. Es kommt mir gewiß nicht in den Sinn, die Vorstellung von im Wirtschaftsleben waltenden „reinen Naturgesetzen“ wieder beleben und mit ihr gegen den Glauben an eine Wirksamkeit von Machteinflüssen ankämpfen zu wollen. Im Gegenteile, ich glaube an eine Wirksamkeit, und zwar auch an eine bedeutungsvolle und tiefgreifende Wirksamkeit der Machteinflüsse; ich glaube nur nicht an ihre Omnipotenz; und da ferner ihre genauere Analyse mich darüber belehrt hat, daß diese ökonomischen Machteinflüsse selbst durch wirtschaftliche Interessenmotive hindurch wirken, darf ich die Augen nicht dagegen verschließen, daß die durch Machteinflüsse geschaffenen Situationen unter Umständen auch ihrerseits wieder Interessenmotive auslösen können, die dem unveränderten Beharren bei jenen Situationen entgegenstreben. Wenn durch das Interessenmotiv der Wahl des „kleineren Übels“ der Unternehmer dazu bestimmt worden ist, in eine ihm abgeheischte Lohnerhöhung zu willigen, so treibt ein analoges Interessenmotiv ihn nunmehr an, die Kombination von Produktionsfaktoren, [264] mittels welcher er seine Produkte herstellen kann und will, zu revidieren. Wenn aber der Produktionsfaktor Arbeit infolge der erzwungenen Lohnerhöhung im Verhältnis zu den anderen Produktionsfaktoren kostbarer geworden ist als zuvor, so ist es fast undenkbar, daß dasselbe Mischungsverhältnis der Produktionsfaktoren, das vorher bei einem anderen Preisstand derselben das ökonomisch rationellste gewesen war, es auch jetzt noch geblieben sein könnte; und indem der Unternehmer, dem zwar in Bezug auf den Preis der Arbeit, aber nicht in Bezug auf die gesamte technische Einrichtung seiner Produktion die Hände gebunden sind, die nunmehr billigste Kombination der Produktionsfaktoren wählt, wird er eine andere als die bisherige Kombination wählen müssen, und zwar eine solche, die an dem nunmehr verteuerten Produktionsfaktor spart — geradeso wie man z. B. bei der Teuerung des Naturfaktors von extensiven zu intensiveren Produktionssystemen übergeht — ; und wenn endlich dieses Sparen am verteuerten Produktionsfaktor Arbeit weiterwirkend zu den von mir oben geschilderten Verschiebungen im Begehr nach Arbeit führt, die schließlich den anfangs aufgezwungenen Lohnsatz unhaltbar machen, dann hat nicht „Natur“ gegen „Macht“, sondern nur ein der neuen Sachlage entsprungenes Interessenmotiv über ein in einer anderen, entschwundenen Sachlage wirksam gewesenes Interessenmotiv gesiegt, oder noch richtiger ausgedrückt, dasselbe Interessenmotiv der Wahl des verhältnismäßig besten Ausweges ; hat in einer veränderten Sachlage seinen Ausschlag eben auch wiederum in geänderter Richtung gegeben. Das ist kein Glaube an „ökonomische Naturgesetze“, sondern das ist einfach die Abwehr der kurzsichtigen Vorstellung, daß nach einer tiefgreifenden Verschiebung im Preisniveau der Produktionsfaktoren der Zug i der wirtschaftlichen Interessen genau das gleiche Grefälle in genau der gleichen Richtung werde bewahren können wie zuvor, oder daß man etwa gegenüber einem fatumartig hinzunehmenden Machtdiktat überhaupt darauf verzichten werde, in Hinkunft einem Zug der Interessen zu folgen !

Ich wiederhole mit Nachdruck, ich erkenne eine positive Wirksamkeit von Machtverhältnissen auf die Verteilung grundsätzlich durchaus und auch praktisch in sehr erheblichem Umfang an, wobei es, um auch dies noch zu erwähnen, keinen Unterschied [265] macht, ob die auf Machtmittel gestützten künstlichen Eingriffe auf monopolartigen Organisationen einer der Marktparteien, oder aber auf einem direkten Gebot der Staatsgewalt beruhen. Ich habe den letzteren Fall in meiner obigen Skizze nur deshalb nicht besonders erwähnt und behandelt, weil er sich mir mehr nur durch die Natur des äußeren Anlasses als in der Art seiner Wirkung von dem viel häufigeren Fall der Parteigewalt zu unterscheiden scheint. Ich glaube z. B., daß die Feststellung eines gesetzlichen Minimallohnes in ihren Wirkungen ganz ähnlich zu beurteilen ist, wie das Lohndiktat einer stramm organisierten Arbeiterschaft.

Um aber gar keinen Raum zu Mißverständnissen zu lassen, will ich die Ergebnisse meiner Untersuchung nochmals ausdrücklich zusammenfassen. Durch künstliche Machtmittel können jedenfalls temporär energische und tiefgreifende, auch sehr tiefgreifende Wirkurtgen erzielt werden. Unter Umständen kann diesen Wirkungen aber auch bleibende Dauer beschieden sein: vor allem dann, wenn durch sie nur eine entgegengesetzte künstliche Machtwirkung zu brechen war, die vorher die Verteilungslinie nach der entgegengesetzten Richtung von ihrer „natürlichen“ Lage abgebogen hatte; also wenn z. B. im Streik die Erhöhung des Arbeitslohnes, den vorher die Unternehmer durch Ausnützung ihrer monopolartigen Machtstellung unter der Höhe des Grenzproduktes zurückgehalten hatten, bis auf die Höhe des Grenzproduktes erzwungen wird. Ferner dann, wenn der nachfolgende Gang der spontanen wirtschaftlichen Entwicklung die anfangs künstlich erzwungene Verteilungslinie nachträglich zur „natürlichen“ macht: dann bedeutet der künstliche Eingriff gewissermaßen die zeitliche Vorausnahme eines Ergebnisses, das ohne ihn ebenfalls, aber später gekommen wäre. Endlich dann, wenn bei dem durch den momentanen Erfolg der Machtwirkung bedrängten Teil durch eben diese Bedrängnis Anstrengungen und Erfolge ausgelöst werden, die die wirtschaftliche Lage so glücklich verschieben, daß der anfangs bedrückende Verteilungsschlüssel für die glücklich verbesserte Lage wieder zum „natürlichen“ wird. Dieser Fall, der freilich nie die Regel bilden und auf dessen Eintritt gewiß nicht mit Zuversicht gerechnet werden kann, stellt die für den Erfolg von Machtdiktaten denkbar günstigste, weitreichendste Kombination [266] dar: denn in diesem Falle — und wohl nur in diesem Falle — kann in einem gewissen Sinne mit Recht gesagt werden, daß nicht nur der erste Eintritt, sondern auch die bleibende Dauer einer über die natürliche Verteilungslinie emporgehobenen Verteilungsquote durch den Machtanstoß — wenigstens indirekt — verursacht war.

Außerhalb der hier aufgezählten Spezialfälle kann dagegen, wie ich glaube, ein künstlicher Eingriff seiner Wirkung keine Dauer verleihen gegen die leise und langsam, aber unablässig und durch diese Unablässigkeit schließlich siegreich wirkenden Gegenkräfte „rein wirtschaftlicher Natur“, die durch den künstlichen Anstoß und die durch ihn gesetzte neue Sachlage ausgelöst werden.

Und noch eines kann, wie ich genügend anschaulich gemacht zu haben hoffe, auch das gebieterischeste Machtdiktat nicht: es kann nicht gegen, sondern nur innerhalb der ökonomischen Wert-, Preis und Verteilungsgesetze wirken, sie nicht airfhebend, sondern bestätigend und erfüllend. Und dies ist vielleicht zugleich das wichtigste und das sicherste Ergebnis der hier skizzierten Gedanken.

Wie steht es aber endlich demgegenüber mit dem zweiten von mir vorausgesehenen Einwurf, mit der vermeintlichen empirischen Gegenprobe, die die Erfahrungen mit dem Streikwesen und den Lohnbewegungen während der letzten Generationen zu liefern scheinen ?

Richtig ausgelegt liefern sie diese Gegenprobe eben nicht. Wo nämlich wirklich Dauerwirkungen von Streikerfolgen ausgegangen sind, lag wohl jedesmal der eine oder der andere Umstand vor, dessen Hinzutreten auch nach meiner Auffassung die Dauerwirkung zu begründen vermochte.

Vor allem, glaube ich, fanden die einsetzenden Bestrebungen der Arbeiterorganisationen im weitesten Umfang einen Zustand vor, in welchem die Konkurrenz der Unternehmer zu Ungunsten der Arbeiterschaft gedrosselt gewesen war ; wo Unternehmerkoalitionen oder unorganisierte, aber faktische Übermacht der Unternehmer diesen ein Monopol oder doch eine dem Monopol sich annähernde, „monopoloide“ Stellung — wenn ich nicht irre, hat Wieser diesen Ausdruck geprägt — gegenüber den atomisierten Arbeitern verschaft hatte, und wo daher im Sinne unseres Schemas [267] durch Macht nur eine entgegengesetzte künstliche Machtwirkung zu beseitigen und für die Zukunft — ohne zeitliche Grenze — fernzuhalten war. Hierin liegt wohl ein plausibler Grund für die in der Tat zu beobachtende bessere Lage der organisierten gegenüber den nicht organisierten Arbeitern. Ein zweiter Grund mag sodann darin liegen, daß aus ebenfalls von mir dargestellten Gründen dort, wo eine Aufwärtsbewegung des Lohnes in der wirtschaftlichen Entwicklung sich vorbereitet, die organisierte Arbeiterschaft ihren Eintritt durch Machtwirkung künstlich verfrühen kann und dadurch der nichtorganisierten Arbeiterschaft stets um einen Schritt voraus bleibt. Und endlich wird man natürlich auch nicht übersehen dürfen, daß bisweilen bloß der Anschein einer Besserstellung der organisierten Arbeiterschaft vorliegt. Insofern nämlich die Zweige der geschulten und mehr oder weniger qualifizierten Arbeit sich viel häufiger und allgemeiner der Vorteile der Organisation erfreuen, als die gemeine und gemeinste Arbeit, fällt der Gegensatz zwischen organisierter und nicht organisierter Arbeit vielfach zugleich mit dem Gegensatz von qualifizierter oder mindestens geschulter und gemeiner Arbeit zusammen. Da aber die erstere schon nach allgemeinen Gesetzen die Anwartschaft auf einen höheren Lohnsatz hat als die letztere, so darf natürlich die zu beobachtende Überhöhung des Lohnsatzes der nicht organisierten gemeinen Arbeit durch jene der organisierten geschulten Arbeit auch nicht, oder mindestens nicht ohneweiters und nicht völlig auf das Konto der Machtwirkungen der Organisation gebucht werden.

Ferner standen und stehen wir in einer Zeit, in welcher, von kleineren ephemeren Schwankungen abgesehen, der große Zug der Entwicklung dem spontanen Eintritt von Lohnsteigerungen fortdauernd und in hohem Grade günstig war. Infolge davon kam es gar nicht zur reinen Probe, ob die im einzelnen Fall durch Streikwirkung künstlich emporgetriebenen Lohnsätze etwa durch jene leise und langsam wirkenden Gegenkräfte, auf deren „Minierarbeit“ ich in meiner Untersuchung hinwies, bei sonst unveränderter Sachlage wieder abgetragen worden wären. Sondern die Sachlage war über und über erfüllt von durchkreuzenden und ändernden dritten Einflüssen, die diesmal sicherlich in ihrer Bilanz der Emporhebung der Produktivität der Arbeit und der Steigerung ihres für [268] den Lohnsatz maßgebenden „Grenzproduktes“ günstig waren. Und so unterliegt ein Großteil der starken und dauernden Lohnbewegungen der letzten Generationen ungezwungen der in meinem Schema vorausgesehenen gemischten Erklärung : sie setzten ein als Zwangswirkungen von Arbeiterkoalitionen und Streiks; und sie konnten sich, ohne rückläufig zu werden, erhalten, weil der gewaltige Strom der Zeit immer neue fruchtbare technische Erfindungen, immer verbesserte Gelegenheiten, die menschliche Arbeit nutzbar zu machen, und, bei einer gar nicht geringen Zunahme der Bevölkerung, ein noch weit stärkeres Wachstum des Kapitales brachte.

Wie es aber geworden wäre oder wie es werden würde, wenn die Streiksiege statt in eine Glanzzeit des stürmischesten Fortschrittes — eines so stürmenden Fortschritts, daß viele durch ihn geblendete Enthusiasten alles Ernstes auch an den ehernen Grundlagen des Malthusschen Gesetzes zweifeln zu dürfen glauben! — in eine Periode des Stillstandes oder auch nur einer mäßigen, langsamen Vorwärtsbewegung gefallen wären, darüber haben wir keine Probe!

Und endlich gibt es auch hier einen, Bezirk, in dem bloß ein Anschein von dauernd verbliebenen Lohnsteigerungen vorliegt. So manche im Lauf dör Jahre im Streik erkämpfte Lohnaufbesserung ist zwar niemals formell wieder rückgängig gemacht, wohl aber reell der Arbeiterschaft wieder entwunden worden durch die Teuerung ihrer Lebensbedürfnisse. In welchem Maße eine eingetretene reelle Teuerung gewisser wichtiger Lebensbedürfnisse in Verbindung mit einer durch Geldentwertung verursachten allgemeinen nominellen Teuerung die errungenen Lohnsteigerungen ihres reellen Charakters entkleidet und in belanglose bloß nominelle Lohnsteigerungen umgewandelt habe, ist bekanntlich sehr bestritten. Ich persönlich pflichte keineswegs der zumal von sozialistischer Seite oft vertretenen Meinung bei, daß die in den letzten Dezennien errungenen Lohnsteigerungen sich auf diesem Wege wieder völlig verflüchtigt hätten. Ich glaube vielmehr, daß ein erheblicher Teil derselben reell und dauernd verblieben ist; aber eben doch nur ein Teil — und rücksichtlich des anderen Teiles hat sich ^ materiell eben jener Abtragungsprozeß durch still und geräuschlos [269] wirkende Gegenkräfte vollzogen, auf den ich in meiner Unter suchung hinwies; es ist in anderer Form dieselbe Sache.

Mag übrigens sein, daß meine Untersuchung, die ich selbst nicht im mindesten für erschöpfend halte, in gar manchem Punkt eine weitere Ergänzung, Vertiefung oder auch Berichtigung erheischt : das Wesentliche für mich ist, daß wir für die hier berührten Probleme heute jedenfalls eine neuerliche, von allen Vorurteilen einer vermeintlich bereits entschiedenen Sache befreite Untersuchung bedürfen. Der Prozeß zwischen natürlicher und sozialer Kategorie ist in unserer Wissenschaft bereits zweimal geführt und beide Male durch einen Fehlspruch entschieden worden. Das erste Mal in der klassischen Zeit einseitig zu Gunsten der Naturgesetze, dias zweite Mal in den modernen „sozialen“ Verteilungstheorien nicht minder einseitig zu Gunsten der sozialen Macht. Was not tut, ist, daß der alte Prozeß völlig von neuem wieder aufgenommen und unbefangen durchgeführt werde auf der Grundlage der ebenso trivialen als bisher ungenügend berücksichtigten Erkenntnis, daß die Einflüsse der sozialen Macht eben auch hindurchgehen und hindurchgehen müssen durch die Formeln und Gesetze der reinen ökonomischen Theorie.

Zur Vermeidung neuer Mißverständnisse endlich noch ein letztes Wort, das in diesem Zusammenhange nicht ungesagt bleiben darf. J. B. Clark, dem ich schon oft und auch in wichtigen Fragen polemisch entgegentreten mußte, in dem ich aber auch als Gegner einen der gedankenreichsten und gedankentiefsten Forscher unserer Wissenschaft verehre, hat einmal eine außerordentlich wichtige und zutreffende Unterscheidung unter einem ebenso glücklich als bezeichnend gewählten Namen gezogen, als er die „funktionelle“ von der „personellen Verteilung“ schied.[36] Die funktionelle Verteilung entscheidet darüber, nach welchem Schlüssel die einzelnen an der Produktion beteiligten Faktoren für die von ihnen beigetragenen produktiven Funktionen entlohnt werden — ohne Rücksicht auf die Person, welche die Funktion geleistet hat, und auch ohne Rücksicht darauf, ob eine konkrete Person viel oder wenig an solchen Funktionen beigesteuert hat. Die funktionelle Verteilung zeigt uns so die Zerfällung des ges/amten Nationalproduktes in die großen Kategorien von Arbeitslohn, Grundrente, [270] Kapitalrente und Unternehmergewinn. Die „personelle Verteilung“ weist uns dagegen die Größe der Portionen auf, welche die einzelnen Personen vom gesamten Nationalprodukt für sich erlangen, ohne Rücksicht darauf, für welche Funktionen sie dieselben erlangen, und insbesondere auch ohne Rücksicht, ob sie ihre Portion nur für eine einzige oder für mehrere oder viele gleichzeitig beigesteuerte Funktionen erhalten. Die funktionelle Verteilung zeigt uns hohen oder niedrigen Arbeitslohn, hohen oder niedrigen Zinsfuß u. dgl., die personelle Verteilung zeigt uns große und kleine Einkommen, wobei eine und dieselbe Einkommensgröße z. B. von 100.000 K ebensogut aus „Arbeitslohn“ eines hochbesoldeten Bankdirektors, oder aus Grundrente, oder aus hohen oder niedrigen Kapitalzinsen oder aus einem Gemisch aller funktionellen Einkommensarten zugleich entspringen, oder wobei ein dürftiges Einkommen von nur 1000 K ebensogut das Einkommen eines besitzlosen Arbeiters als das eines kleinen Kapitalisten oder Grundeigentümers sein kann. Die funktionelle Verteilung zeigt uns verhältnismäßig wenige und einfache ordnende Linien genereller Art, die personelle Verteilung zeigt ein überaus buntes Mosaik, wie es sich bildet aus dem Auftreffen jener einfachen generellen Verteilungsregeln auf eine unübersehbare Mannigfaltigkeit von „Daten“, welche aufweisen, welche Arten von Funktionen, in welchen Mengen und in welchen Qualitäten sie von jeder einzelnen anteilsberechtigten Person beigesteuert werden.

Das primäre Objekt jeder wissenschaftlichen Verteilungstheorie und damit auch dasjenige Objekt, welchem die hier geschilderten alten Streitfragen galten, ist nun die funktionelle Verteilung[37]; und demgemäß beziehen sich auch die Sätze, die ich oben über die Grenzen des Einflusses künstlicher Machtdiktate auf die Verteilung aufstellen zu dürfen glaubte, lediglich auf die funktionelle Verteilung. Für den Einfluß der Macht auf die personelle Verteilung sind die Grenzen ungleich weiter gesteckt — nach Intensität sowohl wie nach Dauer des Einflusses. Indem durch Macht auch die [271] „Daten“ bleibend verschoben werden können, in die die funktionellen Verteilungsregeln einspielen, sind auf dem Felde der personellen Verteilung Eingriffe möglich, deren Wirkung keinerlei zeitliche Grenzen gesteckt sind. Wenn die Regierung eines Landes durch Landzuweisungen aus Proletariern Grundeigentümer macht, mögen sie und ihre Nachkommen ohne jedes absehbare Ende ihr persönliches Einkommen durch Grundrente erhöht finden — ganz einerlei, wie in der funktionellen Verteilung die Scheidungslinie zwischen Grundrente und Arbeitslohn gezogen sein mag ; und wenn ein Sozialistenstaat Gemeineigentum an allen Produktionsinstrumenten einführt, das ist alles Kapital und allen Boden in Gesellschaftseigentum umwandelt, an dessen Erträgnis in irgend einer Form jedes Gesellschaftsglied seinen Anteil erhält, dann werden oder würden in alle Zukunft hinein, solange sich eben eine solche sozialistische Verfassung erhielte, alle personellen Quoten sich gleich oder ähnlich zusammensetzen aus dem Ertrag der eigenen Arbeit und einer gleichmäßigen Zubuße aus dem Ertrag des gesellschaftlichen Vermögensbesitzes — weit und dauernd verschieden von den heutigen Verhältnissen der „personellen Verteilung“.

 


 

Noten

[1] „Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre“, Berlin 1896; „Der Zweck in der Volkswirtschaft“, Berlin 1909.

[2] Ich zitiere hier aus meiner eingehenden Besprechung des Stolzmann'schen Werkes über den „Zweck in der Volkswirtschaft“ in der Nummer der „Neuen Freien Presse“ vom 2. Februar 1910.

[3] Ich darf mich z. B. auf meine erstmals schon im Jahre 1886 veröffentlichten Äußerungen über zwei einander ergänzende „Teile“ der Preistheorie beziehen, von welchen ich selbst nur den einen, „allgemeinen Teil“ zu bearbeiten mir bewußt war; siehe meine Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts, Conrads Jahrbücher N. F. Bd. XIII (1886), S. 486 ff.; femer jetzt auch meine Positive Theorie des Kapitales, 3. Aufl., S. 354 ff., und bezüglich der Voraussetzung der vollwirksamen freien Konkurrenz für die Aufstellung z. B. meiner Gesetze der Zinshöhe ebenda S. 594 („Tausch im vollen Wettbewerb“).

[4] Irgend ein Einschlag sozialer Einflüsse muß, wie unten noch genauer besprochen werden soll, immer vorhanden sein, weil ja doch immer irgend eine, wie immer beschaffene Rechtsordnung existieren muß.

[5] Einige erfreuliche Ansätze zur Ausfüllung der Lücke beginnen sich in der neuesten englischen und amerikanischen Literatur zu zeigen, insbesondere in einer sorgfältigen Durcharbeitung der Theorie der Monopolpreise. Aber diese Ansätze reichen nicht weit genug, um die durch die gegenwärtigen Zeilen zu bietenden Anregungen schon überflüssig zu machen — zumal yor einem deutschen Leserkreise.

[6] Siehe z. B. „Die soziale Kategorie“ (1896), S. 41, 338, 341 f., „Der Zweck in der Volkswirtschaft“ (1909), S. 235 f., 241, 283, 381, 415, 717, 765.

[7] Z. B. „Zweck“ Einleitung S. XXIV, S. 365, 673 ff., 774 f. — Aus der massenhaften auf denselben Grundton gestimmten ökonomischen Literatur unserer Tage seien noch stichprobenweise genannt und zitiert zwei jüngst (1913) erschienene Werke von Lexis (Allgemeine Volks wirtscnaftslehre, 2. Aufl.) und TuganBaranowsky (Soziale Theorie der Verteilung). Lexis stellt den allgemeinen Leitsatz auf, „daß der Anteil der Arbeiterklasse an dem jährlichen Ertrag der nationalen Produktion sich nach der verhältnismäßigen ökonomischen Macht bestimmt, mit der sie ihr Interesse dem Kapital gegenüber geltend zu machen vermag“ (S. 146); und Tugan-Baranowsky, der die Theorie des Grenznutzens als richtig anerkennt (S. 3 f. und 15), gibt der Sache die Wendung, daß er die Verteilungslehre aus der Wert und Preislehre, für die allerdings die Grenznutzentheorie die „einzig mögliche wissenschaftliche Basis“ bilde, aus „methodologischen Gründen“ ganz herausheben und grundsätztich auf die zwischen den sozialen Klassen herrschenden „Macht und Abhängigkeitsverhältnisse“ fondieren will (S. 6, 9 ff., 42 f., 65).

[8] Zweck in der Volkswirtschait. S. 666.

[9] Soziale Kategorie. S. 40 f.

[10] Z. B. Zweck S. 204 f., 300, 401, 415, 424, 441, 450, 717 und öfters.

[11] Zweck S. 55 f.

[12] Ganz richtig erkannt und ausgesprochen auch von Tugan-Baranowsky a. a. 0. S. 82 — bei freilich gänzlicher Verfehlung seines positiven Lösungsversuches!

[13] Siehe meine Positive Theorie des Kapitales, 3. Aufl., S. 378.

[14] Literaturbericht im Bd. 21 dieser Zeitschrift (1912). S. 284; ähnlich aud Oswalt gegen Lief mann in der Zeitschrift für Sozialwissenschaft. N. F. IV. Jaht gang. S. 390.

[15] Zweck in der Volkswirtschaft. S. 758.

[16] Zweck. S. 758 und 766.

[17] „Nicht was ein Faktor im Dienste der technischen Herstellung der dukte leistet, sondern was dem Menschen, in dessen Eigentum der Faktor Bteht,| fttr die Hergabe desselben als Ertragsdividende herausgegeben werden kann und muß, ist für den umfang jener Zurechnung entscheidend;“ Soz. Kat. S. 338.

[18] Siehe die oben S. 213, Note 10, zitierten Stellen, z. B. S. 424, 441, 450.

[19] Siehe z. B. meine „Positive Theorie“, 3. Aufl., S. 125, Note 2 und S. 129, Note 2. Meine ebenda S. 586 abgegebene positive Erklärung, daß der Kapitalzins eine ökonomische Kategorie sei, war ebenfalls der Rodbertus'schen Terminologie angepaßt und ist selbstverständlich mit allen denjenigen sachlichen Erläuterungen zu verstehen, die diesem Ausspruche in dem ganzen betreffenden Abschnitte (S. 579 ff.) beigegeben wurden.

[20] Positive Theorie des Kapitales, 3. Aufl., Exkurs VII betreffend die Theorie des Wertes der komplementären Güter (Theorie der Zurechnung) S. 173 ff.; besonders 185 ff. und 197 ff.

[21] Positive Theorie 3. Aufl., S. 277.

[22] A. a. 0., S. 278.

[23] Ich kann hier natürlich nicht im Vorübergehen die ganze schwierige und verwickelte Zurechnungstheorie mit allen ihren kasuistischen Details darlegen and muß daher diejenigen Leser, die sich auch für die genauere Begründung der oben vorgetragenen Ergebnisse interessieren, bitten, die ausführlichen Darlegungen in meiner Positiven Theorie, S, 276 ff. und in dem beigegebenen Exkurse VII zu Rate zu ziehen.

[24] Vgl. hierüber meine Poeitive Theorie 3. Aufl., S. 254 ff.

[25] Vgl. Positive Theorie, S. 360 f.

[26] Kenner der Theorie brauche ich kaum besonders darauf aufmerksam zi machen, daß das Gesagte auch mit denjenigen Partien, in welchen ich mit den Begriff des „Gesamtnutzens“ zu operieren hatte, sich durchaus dem Rahmen des sogenannten „Theorie des Grenznutzens“ einordnet. Denn letzteres ist nur e Name, der der modernen, zumal von der österreichischen Schule entwickelten Wert theorie nach einem allerdings besonders hervorstechenden Zuge derselben gegebei wurde, wobei aber dieselbe Werttheorie inhaltlich natürlich auch jene Fälle, ü welchen sich die Bewertung auf einen „Gesamtnutzen“ stützt, ebensowohl umfaöl und darlegt, als jene — allerdings viel zahlreicheren — Fälle, in welchen eia Bewertung buchstäblich nach einem „Grenznutzen“ stattfindet. Siehe hierüb z. B. meine Positive Theorie 3. Aufl., S. 254 ff., insbesondere auch die Noten auf S. 257 und 258.

[27] Daß und wie niedriger Zins und hoher Lohn zu einer Verlängerung, hoher Zins und niedriger Lohn zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Produktionsperiode drängt und anreizt, hahe ich in meiner Positiven Theorie des Kapitales 3. Aufl., S. 699 ff. dargestellt. Vgl. auch meinen Exkurs I, S. 47 ff.

[28] Vgl. hierüber mein Vorwort zur dritten Auflage der Positiven Theorie, S. XI ff.

[29] Ich sehe davon ab, daß ja durch die supponierte Erhöhung des Lohnes auch der Lebensfuß, auf dem die Arbeiter zu erhalten sind, sich erhöht: aber das mag sich mit dem niedrigeren Lebensfuß kompensieren, auf dem die „besitzenden Klassen“ sich nach Wegfall des Kapitalzinses einrichten müßten.

[30] Insbesondere S. 540 ff. (der 3. Aufl.).

[31] Vgl auch hierüber meine genauere Auseinandersetzung in der Positiven Theorie, besonders die tabellarischen Vergleiche auf S. 604 ff.; wozu nur zu bemerken ist, daß die dort vorausgesetzte völlig freie beiderseitige Konkurrenz durch unsere jetzigen Voraussetzungen mindestens auf der Arbeiterseite, die durch strammes Zusammenhalten Unterbietungen verbindert, ausgeschlossen ist.

[32] Ich weiß ganz gut, daß Verlängerungen und Wiederverkürzungen der Produktionsperiode, da sie ja die ganze Struktur zumal auch des' stehenden Kapitals ändern, sich nicht reibungslos im Handumdrehen durchführen lassen. Natürlich ist es aber auch sehr wenig wahrscheinlich, daß in der Wirklichkeit sich jemals die ganze Pendelschwingung bis zu dem Extrem des gänzlichen Verschwindens des Zinses und wieder zurück in die Nähe des ursprünglichen Ausgangspunktes im vollen Ausmaß vollziehen könnte. Viel wahrscheinlicher ist es vielmehr, daß diejenigen ökonomischen Kräfte, die nach Erreichung des Extrems das Wiederver lassen desselben und die Rückkehr gegen den Ausgangspunkt erzwingen würden, sich schon vorher der Erreichung des Extrems hemmend und hindernd in den Weg stellen und die ganze Hin und Herbewegung in viel engeren Schranken zurückhalten würden, womit natürlich auch die der jedesmaligen Preislage der Produktionsfaktoren anzupassenden Verschiebungen in der Technik des Produktionsprozesses viel weniger weit ausgreifend würden. Da ich aber, um keine metho« dische Lücke zn lassen, auch den extremen Fall untersuchen und zu diesem Endo als eingetreten voraussetzen mußte, mußte ich natürlich auch die daraus ent< springenden Qegenbewegungen in voller drastischer Stärke vor Augen führen.

[33] Siehe hierüber die sehr interessanten Ausführungen in Cassels „Nature and necessity of interest“; S. 144 ff.

[34] Nach einer — allerdings nicht unbestrittenen — Variante des Gesetze vom „abnehmenden Ertrage“.

[35] Ich bemerke, daß in diesem Gedankengange geflissentlich von denjenigen Ausfällen abstrahiert wird, die der Entfall eines Teiles oder aller Arbeiter durch die Störung der schon festgelegten Organisation bewirken würde. Ich setze gewissermaßen eine reibungslos umbildbare Organisation voraus, was ich oben mit den Worten andeutete, daß das mitwirkende Kapital zwar in seiner Größe, aber nicht in seiner technischen Zusammensetzung gegeben sei.

[36] Distribution of wealth. S. 5 ff.

[37] „. . . . The science of distribution does not directly determine what each person shall get. Personal sharing results from another kind of sharing: only the resolving of the total income of society into wages, interest and profits, as distinct kinds of income, falls directly and entirely within the field of economics.“ Clark, Distribution of wealth. S.5.