GEORG SIMMEL,
Philosophie des Geldes (1907, 1930)

[Created: 14 April, 2024]
[Updated: 14 April, 2024]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Georg Simmel, Philosophie des Geldes. Fünfte, unveränderte Auflage (München und Leipzig: Duncker & Humboldt, 1930). 1st ed. 1900; 2nd revised edition 1907; 5th edition of 1930 reproduced the 2nd ed. but modernised the spelling and repaginated the book.

Editor's Introduction

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Inhaltsverzeichnis

  • Vorrede.S. V—IX
  • Analytischer Teil.
    • Erstes Kapitel: Wert und Geld S. 3—100
      • I. Wirklichkeit und Wert als gegeneinander selbständige Kategorien, durch die unsere Vorstellungsinhalte zu Weltbildern werden. Die psychologische Tatsache des objektiven Wertes. Das Objektive in der Praxis als Normierung oder Gewähr für die Totalität des Subjektiven. Der wirtschaftliche Wert als Objektivation subjektiver Werte, vermöge der Distanzierung zwischen dem unmittelbar geniefsenden Subjekt und dem Gegenstand. Analogie: der ästhetische Wert. Die Wirtschaft als Distanzierung (durch Mühen, Verzicht, Opfer) und gleichzeitige Überwindung derselben. S. 3—29
      • II. Der Tausch als Veranlassung für die Enthebung des Gegenstandes aus seiner blofs subjektiven Wertbedeutung: in ihm drücken die Dinge ihren Wert durch einander aus. Der Wert des Gegenstandes dadurch objektiviert, dafs für ihn ein anderer hingegeben wird. Der Tausch als Lebensform und als Bedingung des wirtschaftlichen Wertes, als primäre wirtschaftliche Tatsache. Reduktion der Brauchbarkeits- und Seltenheitstheorie. Der sozial fixierte Preis als Vorstufe des sachlich regulierten. S. 30—61
      • III. Einordnung des wirtschaftlichen Wertes in ein relativistisches Weltbild. Beispielsweise Skizzierung des letzteren in erkenntnistheoretischer Hinsicht: der Aufbau der Beweise ins Unendliche und ihr Umbiegen zu gegenseitiger Legitimierung. Die Objektivität der Wahrheit wie die des Wertes als Relation subjektiver Elemente. Das Geld als der verselbständigte Ausdruck der Tauschrelation , durch die die begehrten Objekte zu wirtschaftlichen werden, der Ersetzbarkeit der Dinge. Erläuterung dieses Wesens des Geldes an seiner Wertbeständigkeit, seiner Entwicklung, seiner Objektivität. Das Geld als eine Substanziierung der allgemeinen Seinsform, nach der die Dinge ihre Bedeutung an einander, in ihrer Gegenseitigkeit, finden. S. 62—100
    • Zweites Kapitel: Der Substanzwert des Geldes. S. 101-196
      • I. Ein Eigenwert des Geldes für seine Funktion, Werte zu messen, scheinbar erforderlich. Widerlegung durch Verwandlung der unmittelbaren Äquivalenz zwischen der einzelnen Ware und der einzelnen Geldsumme in die Gleichheit zweier Proportionen: zwischen jener und dem momentan wirksamen Gesamtwarenquantum einerseits, und dieser und dem momentan wirksamen Gesamtgeldquantum andrerseits. Unbewufstheit der Nenner dieser Brüche. Logische Möglichkeit einer von allem Substanzwert unabhängigen Geldfunktion. Ursprüngliche Erfordertheit wertvollen Geldes. Entwicklung der Äquivalenzvorstellungen über dieses Stadium hinaus und auf den reinen Symbolcharakter des Geldes zu. S. 101-128
      • II. Der Verzicht auf die nicht - geldmäfsigen Verwendungen der Geldsubstanz. Erster Grund gegen das Zeichengeld: die Geld-Waren-Relationen, die den Eigenwert des Geldes überflüssig machen würden, nicht genau erkennbar; sein Eigenwert als Ergänzung dieser Unzulänglichkeit. Zweiter Gegengrund: die unbegrenzte Vermehrbarkeit der Geldzeichen; die relativistische Gleichgültigkeit gegen die absolute Höhe des Geldquantums und ihre Irrungen. Die unvollendbare Entwicklung des Geldes von seiner substanziellen zur relativistischen Bedeutung als Fall eines allgemeinen Verhaltens; die Wirklichkeit als gegenseitige Einschränkung reiner Begriffe. S. 129-150
      • III. Geschichtliche Entwicklung des Geldes von der Substanz zur Funktion; soziologische Bedingtheit derselben. Die sozialen Wechselwirkungen und ihre Kristallisierung zu Sondergebilden; das gemeinsame Verhältnis von Käufern und Verkäufern zu der sozialen Einheit als soziologische Voraussetzung des Geld Verkehrs. Gröfse und Kleinheit, Lockerheit und Konzentriertheit des Wirtschaftskreises in ihrer Bedeutung für den Substanzcharakter des Geldes. Der Übergang zum Funktionscharakter an seinen Einzeldiensten entwickelt: Verkehrserleichterung, Beständigkeit des Wert- mafses, Mobilisierung und Kondensierung der Werte. Sinkende Substanzbedeutung und steigende Wertbedeutung des Geldes. S. 151-196
    • Drittes Kapitel: Das Geld in den Zweckreihen. S. 197-294
      • I. Das Zweckhandeln als bewufste Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt. Die Länge der teleologischen Reihen. Das Werkzeug als das potenzierte Mittel, das Geld als das reinste Beispiel des Werkzeugs. Die Wertsteigerung des Geldes durch die Unbegrenztheit seiner Verwendungsmöglichkeiten. Das Superadditum des Reichtums. Unterschied des gleichen Geldquantums als Teil eines grofsen und eines kleinen Besitzes; die konsumtive Preisbegrenzung. Das Geld vermöge seines reinen Mittelscharakters als Domäne der Persönlichkeiten, die dem sozialen Kreise unverbunden sind. S. 197—228
      • II. Das psychologische Auswachsen der Mittel zu Zwecken; das Geld als extremstes Beispiel. Die Abhängigkeit seines Zweckcharakters von den kulturellen Tendenzen der Epochen. Psychologische Folgen der teleologischen Stellung des Geldes: Geldgier, Geiz, Verschwendung, asketische Armut, moderner Zynismus, Blasiertheit. S. 229—266
      • III. Die Quantität des Geldes als seine Qualität. Die subjektiven Unterschiede der Risikoquoten. Allgemeine Erscheinung qualitativ ungleichmäfsiger Folgen von quantitativ ahgeänderten Ursachen. Die Schwelle des ökonomischen Bewufstseins. Die Unterschiedsempfindlichkeit in Hinsicht wirtschaftlicher Reize. Die Verhältnisse zwischen äufseren Reizen und Gefühlsfolgen auf dem Gebiet des Geldes. Bedeutung der personalen Einheit des Besitzers. Das sachliche und das kulturelle Verhältnis von Form und Quantum, von Quantität und Qualität der Dinge und die Bedeutung des Geldes für dasselbe. S. 267—294
  • Synthetischer Teil.
    • Viertes Kapitel: Die individuelle Freiheit. S. 297—386
      • I. Die mit Verpflichtungen zusammenbestehende Freiheit danach abgestuft, ob jene sich auf die Persönlichkeit oder auf die Arbeitsprodukte erstrecken; die Geldverpflichtung als die Form, mit der die äufserste Freiheit vereinbar ist. Einstellung in das Problem der Maximisierung der Werte durch den Besitzwechsel, Kulturelle Steigerung der Personenzahl, von der man abhängt, unter gleichzeitigem Sinken der Bindungen an individuell bestimmte Personen. Das Geld als der Träger der unpersönlichen Beziehungen zwischen Personen und dadurch der individuellen Freiheit. S. 297—321
      • II. Der Besitz als Tun. Gegenseitige Abhängigkeit zwischen Haben und Sein. Gelöstheit derselben vermittels des Geldbesitzes. ’ Unfreiheit als Verflechtung psychischer Reihen ineinander: am geringsten bei Verflechtung je einer mit dem Allgemeinsten der anderen Reihe. Anwendung auf die Bindung durch das ökonomische Interesse. Freiheit als Ausprägung des Ich an den Dingen, als Besitz. Unbedingte und bedingte Nachgiebigkeit des Geldbesitzes gegenüber dem Ich. S. 322—356
      • III. Differenzierung von Person und Besitz: räumliche Distanzierung und technische Objektivierung durch das Geld. Die Trennung der Gesamtpersönlichkeit von ihren einzelnen Leistungen und deren Folgen für die Leistungsäquivalente. Verselbständigung des Individuums der Gruppe gegenüber und neue Assoziationsformen vermöge des Geldes; der Zweckverband. Allgemeine Beziehungen zwischen der Geldwirtschaft und dem Prinzip des Individualismus. S. 357-386
    • Fünftes Kapitel: Das Geldäquivalent personaler Werte. S. 387-479
      • I. Das Wergeld. Der Übergang von der utilitarischen zu der objektiven und der absoluten Wertung des Menschen. Die Geldstrafe und die Kulturstufen. Das Vorschreiten der Differenzierung des Menschen und der Indifferenz des Geldes als Ursache ihrer wachsenden Inadäquatheit. Die Kaufehe und der Wert der Frau. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und die Mitgift. Die typische Beziehung zwischen Geld und Prostitution, ihre Entwicklung analog der der Mordsühne. Die Geldheirat. Die Bestechung. Das Vornehmheitsideal und das Geld. S. 387-437
      • II. Die Umwandlung von Rechten spezifischen Inhalts in Geldforderungen. Die Erzwingbarkeit. Die Umsetzung von Sachwerten in Geldwert: der negative Sinn der Freiheit und die Entwurzelung der Persönlichkeit. Die Wertdifferenz zwischen persönlicher Leistung und Geldäquivalent. S. 438-455
      • III. Das Arbeitsgeld und seine Begründung. Die Gratisleistung des Geistes. Die Höhenunterschiede der Arbeit als Quantitätsunterschiede. Die Muskelarbeit als Arbeitseinheit. Der Wert physischer Leistung auf den der psychischen Leistung reduzierbar. Die Nützlichkeitsunterschiede der Arbeit als Gegengrund gegen das Arbeitsgeld; dadurch geförderte Einsicht in die Bedeutung des Geldes. S. 456-479
    • Sechstes Kapitel: Der Stil des Lebens. S. 480-585
      • I. Durch die Geldwirtschaft vermitteltes Übergewicht der intellektuellen über die Gefühlsfunktionen; Charakterlosigkeit und Objektivität des Lebensstiles. Die Doppelrolle des Intellekts wie des Geldes; ihrem Inhalte nach überpersönlich, ihrer Funktion nach individualistisch und egoistisch; Beziehung zu dem Rationalismus des Rechtes und der Logik. Das rechnende Wesen der Neuzeit. S. 480501
      • II. Der Begriff der Kultur. Steigerung der Kultur der Dinge, Zurückbleiben der Kultur der Personen. Die Vergegen- ständlichung des Geistes. Die Arbeitsteilung als Ursache für das Auseinandertreten der subjektiven und der objektiven Kultur. Gelegentliches Übergewicht der ersteren. Beziehung des Geldes zu den Trägern dieser Gegenbewegungen. S. 502-538
      • III. Die Änderungen der Distanz zwischen dem Ich und den Dingen als Ausdruck für die Stilverschiedenheiten des Lebens. Moderne Tendenzen auf Distanz-Vergröfserung und -Verkleinerung. Rolle des Geldes in diesem Doppelprozefs. Der Kredit. Die Herrschaft der Technik. — Die Rhythmik oder Symmetrie der Lebensinhalte und ihr Gegenteil. Das Nacheinander und das Nebeneinander beider Tendenzen, die Entwicklungen des Geldes als Analogie und als Träger derselben. — Das Tempo des Lebens, seine Veränderungen und die des Geldbestandes. Die Konzentration des Geldverkehrs. Die Mobilisierung der Werte. Beharrung und Bewegung als Kategorien des Weltverständnisses, ihre Synthese in dem Relativitätscharakter des Seins, das Geld als historisches Symbol desselben. S. 534—585

 


 

[V]

Vorrede

Jede Forschungsprovinz hat zwei Grenzen, an denen die Denkbewegung aus der exakten in die philosophische Form übergeht. Die Voraussetzungen des Erkennens überhaupt, wie die Axiome jedes Sondergebietes verlegen ihre Darstellung und Prüfung aus diesem letzteren hinaus in eine prinzipiellere Wissenschaft, deren im Unendlichen liegendes Ziel ist: voraussetzungslos zu denken – ein Ziel, das die Einzelwissenschaften sich versagen, weil sie keinen Schritt ohne Beweis, also ohne Voraussetzungen sachlicher und methodischer Natur, tun. Indem die Philosophie diese Voraussetzungen darstellt und untersucht, kann sie solche doch auch für sich nicht völlig aufheben; nur ist es hier der jeweils letzte Punkt des Erkennens, an dem ein Machtspruch und der Appell an das Unbeweisbare in uns einsetzt, und der freilich vermöge des Fortschritts der Beweisbarkeiten nie definitiv festliegt. Zeichnet der Beginn des philosophischen Gebietes hier gleichsam die untere Grenze des exakten, so liegt dessen obere da, wo die immer fragmentarischen Inhalte des positiven Wissens sich durch abschließende Begriffe zu einem Weltbild, zu ergänzen und auf die Ganzheit des Lebens zu beziehen verlangen. Wenn die Geschichte der Wissenschaften wirklich die philosophische Erkenntnisart als die primitive zeigt, als einen bloßen Überschlag über die Erscheinungen in allgemeinen Begriffen – so ist dieses vorläufige Verfahren doch noch manchen Fragen gegenüber unentbehrlich, nämlich denjenigen, besonders den Wertungen und allgemeinsten Zusammenhängendes geistigen Lebens angehörigen, auf die uns bis jetzt weder eine exakte Antwort noch ein Verzicht möglich ist. Ja, vielleicht würde selbst die vollendete Empirie die Philosophie als eine Deutung, Färbung und individuell auswählende Betonung des Wirklichen gerade so wenig ablösen, wie die Vollendung der mechanischen Reproduktion der Erscheinungen die bildende Kunst überflüssig machen würde.

Aus dieser Ortsbestimmung der Philosophie im allgemeinen [VI] fließen, die Rechte, die sie an den einzelnen Gegenständen besitzt. Wenn es eine Philosophie des Geldes geben soll, so kann sie nur diesseits und jenseits der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde liegen: sie kann einerseits die Voraussetzungen darstellen, die, in der seelischen Verfassung, in den sozialen. Beziehungen, in der logischen Struktur der Wirklichkeiten und der Werte gelegen, dem Geld seinen Sinn und seine praktische Stellung anweisen. Das ist nicht die Frage nach der Entstehung des Geldes: denn diese gehört in die Geschichte, nicht in die Philosophie. Und so hoch wir den Gewinn achten, den das Verständnis einer Erscheinung aus ihrem historischen Werden zieht, so ruht der inhaltliche Sinn und Bedeutung der gewordenen doch oft auf Zusammenhängen begrifflicher, psychologischer, ethischer Natur, die nicht zeitlich, sondern rein sachlich sind, die von den geschichtlichen Mächten wohl realisiert werden, aber sich in der Zufälligkeit derselben nicht erschöpfen. Die Bedeutsamkeit, die Würde, der Gehalt des Rechts etwa oder der Religion oder der Erkenntnis steht ganz jenseits der Frage nach den Wegen ihrer historischen Verwirklichung. Der erste Teil dieses Buches wird so das Geld aus denjenigen Bedingungen entwickeln, die sein Wesen und den Sinn seines Daseins tragen.

Die geschichtliche Erscheinung des Geldes, deren Idee und Struktur ich so aus den Wertgefühlen, der Praxis den Dingen gegenüber und den Gegenseitigkeitsverhältnissen der Menschen als ihren Voraussetzungen zu entfalten suche, verfolgt nun der zweite, synthetische Teil in ihren Wirkungen auf die innere Welt: auf das Lebensgefühl der Individuen, auf die Verkettung ihrer Schicksale, auf die allgemeine Kultur. Hier handelt es sich also einerseits um Zusammenhänge, die ihrem Wesen nach exakt und im einzelnen erforschbar wären, aber es bei dem augenblicklichen Stande des Wissens nicht sind und deshalb nur nach dem philosophischen Typus: im allgemeinen Überschlag, in der Vertretung der Einzelvorgänge durch die Verhältnisse abstrakter Begriffe, zu behandeln sind; andrerseits um seelische Verursachungen, die für alle Zeiten Sache hypothetischer Deutung und einer künstlerischen, von individueller Färbung nie ganz lösbaren Nachbildung sein werden. Diese Verzweigung des Geldprinzips mit den Entwicklungen und Wertungen des Innenlebens steht also ebensoweit hinter der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde, wie das Problemgebiet des ersten Teiles vor ihr gestanden hatte. Der eine soll das Wesen des Geldes aus den Bedingungen und Verhältnissen des allgemeinen Lebens verstehen lassen, der andere umgekehrt Wesen Und Gestaltung des letzteren aus der Wirksamkeit des Geldes.

[VII]

Keine Zeile dieser Untersuchungen ist nationalökonomisch gemeint. Das will besagen, daß die Erscheinungen von Wertung und Kauf, von Tausch und Tauschmittel, von Produktionsformen und Vermögenswerten, die die Nationalökonomie von einem Standpunkte aus betrachtet, hier von einem anderen aus betrachtet werden. Nur daß ihre, der Nationalökonomie zugewandte Seite die praktisch interessierendste, die am gründlichsten durchgearbeitete, die am exaktesten darstellbare ist – nur dies hat das scheinbare Recht begründet, sie als »nationalökonomische Tatsachen« schlechthin anzusehen. Aber wie die Erscheinung eines Religionsstifters keineswegs nur eine religiöse ist, sondern auch unter den Kategorien der Psychologie, vielleicht sogar der Pathologie, der allgemeinen Geschichte, der Soziologie untersucht werden kann; wie ein Gedicht nicht nur eine literaturgeschichtliche Tatsache ist, sondern auch eine ästhetische, eine philologische, eine biographische; wie überhaupt der Standpunkt einer Wissenschaft, die immer eine arbeitsteilige ist, niemals die Ganzheit einer Realität erschöpft – so ist, daß zwei Menschen ihre Produkte gegeneinander vertauschen, keineswegs nur eine nationalökonomische Tatsache; denn eine solche, d.h. eine, deren Inhalt mit ihrem nationalökonomischen Bilde erschöpft wäre, gibt es überhaupt nicht. Jener Tausch vielmehr kann ganz ebenso legitim als eine psychologische, als eine sittengeschichtliche, ja als eine ästhetische Tatsache behandelt werden. Und selbst als nationalökonomische betrachtet, ist sie damit nicht am Ende einer Sackgasse angekommen, sondern selbst in dieser Formung wird sie der Gegenstand der philosophischen Betrachtung, die ihre Voraussetzungen in nicht-wirtschaftlichen Begriffen und Tatsachen und ihre Folgen für nicht-wirtschaftliche Werte und Zusammenhänge prüft.

In diesem Problemkreis ist das Geld nur Mittel, Material oder Beispiel für die Darstellung der Beziehungen, die zwischen den äußerlichsten, realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Geschichte bestehen. Der Sinn und Zweck des Ganzen ist nur der: von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richtlinie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen zu ziehen. Der abstrakte philosophische Systembau hält sich in einer solchen Distanz von den Einzelerscheinungen, insbesondere des praktischen Daseins, daß er ihre Erlösung aus der Isolierung und Ungeistigkeit, ja Widrigkeit des ersten Anblicks eigentlich nur postuliert. Hier aber soll sie an einem Beispiel vollbracht werden, an einem solchen, das, wie das Geld, nicht nur die Gleichgültigkeit rein wirtschaftlicher Technik zeigt, sondern sozusagen [VIII] die Indifferenz selbst ist, insofern seine ganze Zweckbedeutung nicht in ihm selbst, sondern nur in seiner Umsetzung in andere Werte liegt. Indem hier also der Gegensatz zwischen dem scheinbar Äußerlichsten und Wesenlosen und der inneren Substanz des Lebens sich aufs äußerste spannt, muß er sich aufs wirkungsvollste versöhnen, wenn diese Einzelheit sich nicht nur in den ganzen Umfang der geistigen Welt, tragend und getragen, verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungsformen derselben offenbart. Die Einheit dieser Untersuchungen liegt also nicht in einer Behauptung über einen singulären Inhalt des Wissens und deren allmählich erwachsendem Beweise, sondern in der darzutuenden Möglichkeit, an jeder Einzelheit des Lebens die Ganzheit seines Sinnes zu finden. – Der ungeheure Vorteil der Kunst gegenüber der Philosophie ist, daß sie sich jedesmal ein einzelnes, engumschriebenes Problem setzt: einen Menschen, eine Landschaft, eine Stimmung – und nun jede Erweiterung desselben zum Allgemeinen, jede Hinzufügung großer Züge des Weltfühlens, wie eine Bereicherung, Geschenk, gleichsam wie eine unverdiente Beglückung empfinden läßt. Dagegen pflegt die Philosophie, deren Problem sogleich die Gesamtheit des Daseins ist, der Größe dieses gegenüber sich zu verengen und weniger zu geben, als sie verpflichtet scheint. Hier ist nun umgekehrt versucht, das Problem begrenzt und klein zu nehmen, um ihm durch seine Erweiterung und Hinausführung zur Totalität und zum Allgemeinsten gerecht zu werden.

In methodischer Hinsicht kann man diese Grundabsicht so ausdrücken: dem historischen Materialismus ein Stockwerk unterzubauen, derart, daß der Einbeziehung des wirtschaftlichen Lebens in die Ursachen der geistigen Kultur ihr Erklärungswert gewahrt wird, aber eben jene wirtschaftlichen Formen selbst als das Ergebnis tieferer Wertungen und Strömungen, psychologischer, ja, metaphysischer Voraussetzungen erkannt werden. Für die Praxis des Erkennens muß sich dies in endloser Gegenseitigkeit entwickeln: an jede Deutung eines ideellen Gebildes durch ein ökonomisches muß sich die Forderung schließen, dieses seinerseits aus ideelleren Tiefen zu begreifen, während für diese wiederum der allgemeine ökonomische Unterbau zu finden ist, und so fort ins unbegrenzte. In solcher Alternierung und Verschlingung der begrifflich entgegengesetzten Erkenntnisprinzipien wird die Einheit der Dinge, unserem Erkennen ungreifbar scheinend und doch dessen Zusammenhang begründend, für uns praktisch und lebendig.

Die hiermit bezeichneten Absichten und Methoden dürften kein prinzipielles Recht beanspruchen, wenn sie nicht einer inhaltlichen [IX] Mannigfaltigkeit philosophischer Grundüberzeugungen dienen könnten. Die Anknüpfung der Einzelheiten und Oberflächlichkeiten des Lebens an seine tiefsten und wesentlichsten Bewegungen und ihre Deutung nach seinem Gesamtsinne kann sich auf dem Boden des Idealismus wie des Realismus, der verstandesmäßigen wie der willensmäßigen, einer absolutistischen wie einer relativistischen Interpretation des Seins vollziehen. Daß die folgenden Untersuchungen sich auf einem dieser Weltbilder, das ich für den angemessensten Ausdruck der gegenwärtigen Wissensinhalte und Gefühlsrichtungen halte, unter entschiedenem Ausschluß des entgegengesetzten aufbauen, mag ihnen im schlimmsten Fall die Rolle eines bloßen Schulbeispiels lassen, das, wenn es sachlich unzutreffend ist, seine methodische Bedeutung als Form künftiger Richtigkeiten erst recht hervortreten läßt.

 


 

Die Änderungen in der zweiten Auflage betreffen nirgends die wesentlichen Motive. Wohl aber habe ich versucht, durch neue Beispiele und Erörterungen, vor allem durch Vertiefung der Fundamente, eine erhöhte Chance für die Verständlichkeit und die Annehmbarkeit dieser Motive zu gewinnen.

 


 

Analytischer Teil

[3]

Erstes Kapitel.
Wert und Geld.

I.

Die Ordnung der Dinge, in die sie sich als natürliche Wirklichkeiten einstellen, ruht auf der Voraussetzung, daß alle Mannigfaltigkeit ihrer Eigenschaften von einer Einheit des Wesens getragen werde: die Gleichheit vor dem Naturgesetz, die beharrenden Summen der Stoffe und der Energien, die Umsetzbarkeit der verschiedenartigsten Erscheinungen ineinander versöhnen die Abstände des ersten Anblicks in eine durchgängige Verwandtschaft, in eine Gleichberechtigtheit aller. Allein bei näherem Hinsehen bedeutet dieser Begriff doch nur, daß die Erzeugnisse des Naturmechanismus als solche jenseits der Frage nach einem Rechte stehen: ihre unverbrüchliche Bestimmtheit gibt keiner Betonung Raum, von der ihrem Sein und Sosein noch Bestätigung oder Abzug kommen könnte. Mit dieser gleichgültigen Notwendigkeit, die das naturwissenschaftliche Bild der Dinge ausmacht, geben wir uns dennoch ihnen gegenüber nicht zufrieden. Sondern, unbekümmert um ihre Ordnung in jener Reihe, verleihen wir ihrem inneren Bilde eine andere, in der die Allgleichheit völlig durchbrochen ist, in der die höchste Erhebung des einen Punktes neben dem entschiedensten Herabdrücken des anderen steht, und deren tiefstes Wesen nicht die Einheit, sondern der Unterschied ist: die Rangierung nach Werten. Daß Gegenstände, Gedanken, Geschehnisse wertvoll sind, das ist aus ihrem bloß natürlichen Dasein und Inhalt niemals abzulesen; und ihre Ordnung, den Werten gemäß vollzogen, weicht von der natürlichen aufs weiteste ab. Unzählige Male vernichtet die Natur das, was vom Gesichtspunkt seines Wertes aus eine längste Dauer fordern könnte, und konserviert das Wertloseste, ja dasjenige, was dem Wertvollen den Existenzraum benimmt. Damit ist nicht etwa eine prinzipielle Gegnerschaft und durchgängiges Sich-Ausschließen beider Reihen gemeint; denn dies [4] würde immerhin eine Beziehung der einen zur anderen bedeuten, und zwar eine teuflische Welt ergeben, aber eine vom Gesichtspunkte des Wertes, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, bestimmte. Vielmehr, das Verhältnis zwischen beiden ist absolute Zufälligkeit. Mit derselben Gleichgültigkeit, mit der uns die Natur die Gegenstände unserer Wertschätzungen einmal darbietet, versagt sie sie uns ein anderes Mal; so daß gerade die gelegentliche Harmonie beider Reihen, die Realisierung der aus der Wertreihe stammenden Forderungen durch die Wirklichkeitsreihe, die ganze Prinziplosigkeit ihres Verhältnisses nicht minder offenbart als der entgegengesetzte Fall. Derselbe Lebensinhalt mag uns sowohl als wirklich wie als wertvoll bewußt werden; aber die inneren. Schicksale, die er in dem einen und in dem anderen Falle erlebt, hallen völlig verschiedenen Sinn. Man könnte die Reihen des natürlichen Geschehens mit lückenloser Vollständigkeit beschreiben, ohne daß der Wert der Dinge darin vorkäme – gerade wie die Skala unserer Wertungen ihren Sinn unabhängig davon bewahrt, wie oft und ob überhaupt ihr Inhalt auch in der Wirklichkeit vorkommt. Zu dem sozusagen fertigen, in seiner Wirklichkeit allseitig bestimmten, objektiven Sein tritt nun erst die Wertung hinzu, als Licht und Schatten, die nicht aus ihm selbst, sondern nur von anderswoher stammen können. Es muß aber das Mißverständnis ferngehalten werden, als sollte damit die Bildung der Wertvorstellung, als psychologische Tatsache, dem naturgesetzlichen Werden entrückt sein. Ein übermenschlicher Geist, der das Weltgeschehen mit absoluter Vollständigkeit nach Naturgesetzen begriffe, würde unter den Tatsachen desselben auch die vorfinden, daß die Menschen Wertvorstellungen haben. Aber diese würden für ihn, der bloß theoretisch erkennt, keinen Sinn und keine Gültigkeit über ihre psychologische Existenz hinaus besitzen. Was hier der Natur als mechanischer Kausalität abgesprochen wird, ist nur die sachliche, inhaltliche Bedeutung der Wertvorstellung, während das seelische Geschehen, das jenen Inhalt zu unserer Bewußtseinstatsache macht, ohne weiteres in die Natur hineingehört. Die Wertung, als ein wirklicher psychologischer Vorgang, ist ein Stück der natürlichen Welt; das aber, was wir mit ihr meinen, ihr begrifflicher Sinn, ist etwas dieser Welt unabhängig Gegenüberstehendes, und so wenig ein Stück ihrer, daß es vielmehr die ganze Welt ist, von einem besonderen Gesichtspunkt angesehen. Man macht sich selten klar, daß unser ganzes Leben, seiner Bewußtseinsseite nach, in Wertgefühlen und Wertabwägungen verläuft und überhaupt nur dadurch Sinn und Bedeutung bekommt, daß die mechanisch abrollenden Elemente der Wirklichkeit über ihren Sachgehalt hinaus unendlich mannigfaltige Maße und Arten von [5] Wert für uns besitzen. In jedem Augenblick, in dem unsere Seele kein bloßer interesseloser Spiegel der Wirklichkeit ist – was sie vielleicht niemals ist, da selbst das objektive Erkennen nur aus einer Wertung seiner hervorgehen kann – lebt sie in der Welt der Werte, die die Inhalte der Wirklichkeit in eine völlig autonome Ordnung faßt.

Damit bildet der Wert gewissermaßen das Gegenstück zu dem Sein und ist nun gerade als umfassende Form und Kategorie des Weltbildes mit ihm vielfach vergleichbar. Kant hat hervorgehoben, das Sein sei keine Eigenschaft der Dinge; denn wenn ich von einem Objekte, das bisher nur in meinen Gedanken bestand, sage: es existiere, so gewinnt es dadurch keine neue Eigenschaft; denn sonst würde ja nicht eben dasselbe Ding, das ich vorhin dachte, sondern ein anderes existieren. So wächst einem Dinge auch dadurch, daß ich es wertvoll nenne, durchaus keine neue Eigenschaft zu; denn wegen der Eigenschaften, die es besitzt, wird es ja gerade erst gewertet: genau sein schon allseitig bestimmtes Sein wird in die Sphäre des Wertes erhoben. Dies wird von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres Denkens getragen. Wir sind fähig, die Inhalte des Weltbildes zu denken, unter völligem Absehen von ihrer realen Existenz oder Nichtexistenz. Die Komplexe von Eigenschaften, die wir Dinge nennen, samt allen Gesetzen ihres Zusammenhanges und ihrer Entwicklung, können wir in ihrer rein sachlichen, logischen Bedeutung vorstellen und, ganz unabhängig davon, fragen: ob, wo, wie oft alle diese Begriffe oder inneren Anschauungen verwirklicht sind. Wie dieser inhaltliche Sinn und Bestimmtheit der Objekte nicht von der Frage berührt wird, ob sie sich im Sein wiederfinden, ebensowenig von der anderen, ob sie eine Stelle und welche in der Skala der Werte einnehmen. Wenn es aber einerseits zu einer Theorie, andrerseits zu einer Praxis für uns kommen soll, so müssen wir die Denkinhalte nach diesem beiden fragen, und in beiderlei Hinsicht kann sich keiner einer Antwort entziehen. Von jedem vielmehr muß ein unzweideutiges Sein oder Nichtsein aussagbar sein, und jeder muß für uns auf der Stufenleiter der Werte – von dem höchsten durch die Gleichgültigkeit hindurch zu den negativen Werten – eine ganz bestimmte Stelle haben; denn die Gleichgültigkeit ist ein Ablehnen der Wertung, das sehr positiven Wesens sein kann, in ihrem Hintergrund steht immer die Möglichkeit des Interesses, von der nur gerade kein Gebrauch gemacht wird. Die prinzipielle Bedeutung dieser Forderung, die die gesamte Konstitution unseres Weltbildes bedingt, wird natürlich gar nicht dadurch alteriert, daß unsere Erkenntnismittel sehr oft zu der Entscheidung über die Realität der Begriffe nicht ausreichen und ebenso oft Umfang und Sicherheit [6] unserer Gefühle nicht zu einer Wertrangierung der Dinge, insbesondere nicht zu einer beständigen oder allgemein gültigen. Der Welt der bloßen Begriffe, der sachlichen Qualitäten und Bestimmungen stehen die großen Kategorien des Seins und des Wertes gegenüber, allumfassende Formen, die ihr Material aus jener Welt der reinen Inhalte entnehmen. Beiden ist der Charakter der Fundamentalität gemeinsam, d.h. die Unmöglichkeit, aufeinander oder auf einfachere Elemente zurückgeführt zu werden. Deshalb ist unmittelbar das Sein irgendwelchen Dinges nie logisch erweisbar; vielmehr, das Sein ist eine ursprüngliche Form unseres Vorstellens, die empfunden, erlebt, geglaubt, aber nicht dem, der sie noch nicht kennte, deduziert werden kann. Hat sie erst einmal einen einzelnen Inhalt ergriffen, durch eine jenseits des Logischen liegende Tat, so nehmen die logischen Zusammenhänge sie auf und tragen sie, soweit sie selbst reichen. So können wir freilich in der Regelsagen, weshalb wir eine bestimmte Wirklichkeit annehmen: weil wir nämlich eine andere bereits angenommen haben, deren Bestimmtheiten mit jener inhaltlich verbunden sind. Die Wirklichkeit der ersten jedoch ist nur durch eine gleiche Zurückschiebung auf eine noch fundamentalere zu erweisen. Dieser Regreß aber muß ein letztes Glied haben, dessen Sein nur durch das unmittelbare Gefühl einer Überzeugung, Bejahung, Anerkennung oder richtiger: als ein solches Gefühl gegeben ist. Genau so verhält sich der Wert den Objekten gegenüber. Alle Beweise für den Wert eines solchen bedeuten nur die Nötigung, den für irgendein Objekt bereits vorausgesetzten und jetzt augenblicklich fraglosen Wert auch einem anderen, jetzt fraglichen Objekt zuzuerkennen. Auf welche Motive hin wir dies tun, ist später festzustellen; hier nur, daß, was wir durch Wertbeweise einsehen, immer nur die Überleitung eines bestehenden Wertes auf neue Objekte ist, dagegen weder das Wesen des Wertes selbst noch der Grund, weshalb er ursprünglich an denjenigen Gegenstand geheftet wurde, der ihn nachher auf andere ausstrahlt.

Gibt es erst einmal einen Wert, so sind die Wege seiner Verwirklichung, ist seine Weiterentwicklung verstandesmäßig zu begreifen, denn nun folgt sie – mindestens abschnittsweise – der Struktur der Wirklichkeitsinhalte. Daß es ihn aber gibt, ist ein Urphänomen. Alle Deduktionen des Wertes machen nur die Bedingungen kenntlich, auf die hin er sich, schließlich ganz unvermittelt, einstellt, ohne doch aus ihnen hergestellt zu werden – wie alle theoretischen Beweise nur die Bedingungen bereiten können, auf die hin jenes Gefühl der Bejahung oder des Daseins eintritt. So wenig man zu sagen wüßte, was denn das Sein eigentlich sei, so wenig kann [7] man diese Frage dem Wert gegenüber beantworten. Und gerade indem sie so das formal gleiche Verhältnis, zu den Dingen haben, sind sie einander so fremd wie bei Spinoza das Denken und die Ausdehnung: weil diese beiden ebendasselbe, die absolute Substanz, ausdrücken, jedes aber auf seine Weise und für sich vollständig, kann nie eines in das andere übergreifen. Sie berühren sich nirgends, weil sie die Begriffe der Dinge nach völlig Verschiedenem fragen. Aber mit diesem berührungslosen Nebeneinander von Wirklichkeit und Wert ist die Welt keineswegs in eine sterile Zweiheit zerrissen, bei der sich das Einheitsbedürfnis des Geistes niemals beruhigen würde – selbst wenn es sein Schicksal und die Formel seines Suchens wäre, sich von der Vielheit zur Einheit und von der Einheit zur Vielheit abschlußlos zu bewegen. Oberhalb von Wert und Wirklichkeit liegt, was ihnen gemeinsam ist: die Inhalte, das, was Plato schließlich mit den »Ideen« gemeint hat, das Bezeichenbare, Qualitative, in Begriffe zu Fassende an der Wirklichkeit und in unseren Wertungen, das, was gleichmäßig in die eine wie in die andere Ordnung eintreten kann. Unterhalb aber dieser beiden liegt das, dem sie beide gemeinsam sind: die Seele, die das eine wie das andere in ihre geheimnisvolle Einheit aufnimmt oder aus ihr erzeugt. Die Wirklichkeit und der Wert sind gleichsam zwei verschiedene Sprachen, in denen die logisch zusammenhängenden, in ideeller Einheit gültigen Inhalte der Welt, das, was man ihr »Was« genannt hat, sich der einheitlichen Seele verständlich machen – oder auch die Sprachen, in denen die Seele das reine, an sich noch jenseits dieses Gegensatzes stehende Bild dieser Inhalte ausdrücken kann. Und vielleicht werden diese beiden Zusammenfassungen ihrer, die erkennende und die wertende, noch einmal von einer metaphysischen Einheit umfaßt, für die die Sprache kein Wort hat, es sei denn in religiösen Symbolen. Vielleicht gibt es einen Weltgrund, von dem aus gesehen die Fremdheiten und Divergenzen, die wir zwischen der Wirklichkeit und dem Wert empfinden, nicht mehr bestehen, wo beide Reihen sich als eine einzige enthüllen – sei es, daß diese Einheit überhaupt von jenen Kategorien nicht berührt wird, in erhabener Indifferenz über ihnen steht, sei es, daß sie eine durchweg harmonische, an allen Punkten gleichartige Verflechtung beider bedeutet, die nur von unserer Auffassungsweise wie von einem fehlerhaften Sehapparat auseinandergezogen, zu Bruchstücken und Gegenrichtungen verzerrt wird.

Den Charakter des Wertes nun, wie er sich zuvor in seinem Kontrast gegen die Wirklichkeit herausstellte, pflegt man als seine Subjektivität zu bezeichnen. Indem ein und derselbe Gegenstand in einer Seele den höchsten, in einer anderen den niedrigsten Grad des Wertes [8] besitzen kann, und umgekehrt die allseitige und äußerste Verschiedenheit der Objekte sich mit der Gleichheit ihres Wertes verträgt, so scheint als Grund der Wertung nur das Subjekt mit seinen normalen oder ausnahmsweisen, dauernden oder wechselnden Stimmungen und Reaktionsweisen übrigzubleiben. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diese Subjektivität nichts mit jener zu tun hat, der man die Gesamtheit der Welt, da sie »meine Vorstellung« ist, anheimgegeben hat. Denn die Subjektivität, die vom Werte ausgesagt wird, stellt ihn in den Gegensatz zu den fertigen, gegebenen Objekten, völlig gleichgültig dagegen, auf welche Weise diese selbst zustande gekommen sind. Anders ausgedrückt: das Subjekt, das alle Objekte umfaßt, ist ein anderes als dasjenige, das sich ihnen gegenüberstellt, die Subjektivität, die der Wert mit allen Objekten teilt, kommt dabei gar nicht in Frage. Auch kann seine Subjektivität nicht den Sinn der Willkür haben: all jene Unabhängigkeit vom Wirklichen bedeutet nicht, daß der Wille ihn mit ungebundener oder launenhafter Freiheit da und dorthin verteilen könnte. Das Bewußtsein findet ihn vielmehr als eine Tatsache vor, an der es unmittelbar so wenig ändern kann wie an den Wirklichkeiten. Nach Ausschluß dieser Bedeutungen bleibt der Subjektivität des Wertes zunächst nur die negative: daß der Wert nicht in demselben Sinne an den Objekten selbst haftet wie die Farbe oder die Temperatur; denn diese, obgleich von unseren Sinnesbeschaffenheiten bestimmt, werden doch von einem Gefühle unmittelbarer Abhängigkeit von dem Objekt begleitet – einem Gefühle, auf das uns dem Werte gegenüber die eingesehene Gleichgültigkeit zwischen der Wirklichkeits- und der Wertreihe leicht verzichten lehrt. Allein wesentlicher und fruchtbarer als diese Bestimmung sind diejenigen Fälle, in denen die psychologischen Tatsachen sie dennoch zu dementieren scheinen.

In welchem empirischen oder transzendentalen Sinne man auch von »Dingen« im Unterschied vom Subjekte sprechen möge – eine »Eigenschaft« ihrer ist der Wert in keinem Fall, sondern ein im Subjekt verbleibendes Urteil über sie. Allein weder der tiefere Sinn und Inhalt des Wertbegriffs, noch seine Bedeutung innerhalb des individuellen Seelenlebens, noch die praktisch-sozialen, an ihn geknüpften Ereignisse und Gestaltungen sind mit seiner Zuweisung an das »Subjekt« irgend zulänglich begriffen. Die Wege zu diesem Begreifen liegen in einer Schicht, von der aus gesehen jene Subjektivität als etwas bloß Vorläufiges und eigentlich nicht sehr Wesentliches erscheint.

Die Scheidung zwischen Subjekt und Objekt ist keine so radikale, wie die durchaus legitimierte Aufteilung ebenso der praktischen wie der [9] wissenschaftlichen Welt über diese Kategorien glauben macht. Das seelische Leben beginnt vielmehr mit einem Indifferenzzustand, in dem das Ich und seine Objekte noch ungeschieden ruhen, in dem Eindrücke oder Vorstellungen das Bewußtsein erfüllen, ohne daß der Träger dieser Inhalte sich von diesen selbst schon getrennt hätte. Daß in dem aktuell bestimmten, momentan wirklichen Zustand ein Subjekt, das ihn hat, von dem Inhalt, den er hat, zu unterscheiden ist, das ist erst ein sekundäres Bewußtsein, eine nachträgliche Zerlegung. Die Entwicklung führt offenbar pari passu dahin, daß der Mensch zu sich selbst Ich sagt, und daß er für sich seiende Objekte außerhalb dieses Ich anerkennt. Wenn die Metaphysik manchmal meint, daß das transzendente Wesen des Seins absolut einheitlich wäre, jenseits des Gegensatzes Subjekt-Objekt, so findet dies sein psychologisches Pendant an dem einfachen, primitiven Erfülltsein mit einem Vorstellungsinhalt, wie es an dem Kinde, das noch nicht von sich als Ich spricht, und in rudimentärer Art vielleicht das ganze Leben hindurch zu beobachten ist. Diese Einheit, aus der sich die Kategorien Subjekt und Objekt erst aneinander und durch einen noch zu erörternden Prozeß entwickeln, erscheint uns nur deshalb als eine subjektive, weil wir an sie mit dem erst nachher ausgebildeten Begriff der Objektivität herantreten, und weil wir für derartige Einheiten keinen rechten Ausdruck haben, sondern sie nach einem der einseitigen Elemente zu benennen pflegen, als deren Zusammenwirken sie in der nachträglichen Analyse erscheinen. So hat man behauptet, alles Handeln wäre seinem absoluten Wesen nach schlechthin egoistisch, während der Egoismus doch erst innerhalb des Handelns und im Gegensatz zu dem ihm korrelativen Altruismus einen verständlichen Inhalt hat; so hat der Pantheismus die Allheit des Seins Gott genannt, von dem man doch einen positiven Begriff nur in seinem Sichabheben von allem Empirischen gewinnen kann. Diese evolutionistische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt wiederholt sich schließlich im größten Maßstab: die Geisteswelt des klassischen Altertums unterscheidet sich von der Neuzeit im wesentlichen dadurch, daß erst die letztere es auf der einen Seite zu der völligen Tiefe und Schärfe des Ichbegriffes gebracht hat – wie er sich zu der dem Altertum unbekannten Bedeutung des Freiheitsproblems aufgegipfelt hat –, auf der anderen zu der Selbständigkeit und Stärke des Objektbegriffes, wie er in der Vorstellung der undurchbrechlichen Naturgesetzlichkeit ausgedrückt ist. Das Altertum war dem Indifferenzzustande, in dem Inhalte schlechthin, ohne zerlegende Projizierung auf Subjekt und Objekt vorgestellt werden, noch nicht so weit entrückt wie die späteren Epochen.

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Diese auseinanderzweigende Entwicklung scheint auf ihren beiden Seiten von demselben, aber wie in verschiedenen Schichten wirkenden Motiv getragen zu sein. Denn das Bewußtsein, ein Subjekt zu sein, ist selbst schon eine Objektivierung. Hier liegt das Urphänomen der Persönlichkeitsform des Geistes; daß wir uns selbst betrachten, kennen, beurteilen können, wie irgendeinen »Gegenstand«, daß wir das als Einheit empfundene Ich dennoch in ein vorstellendes Ich-Subjekt und ein vorgestelltes Ich-Objekt zerlegen, ohne daß es darum seine Einheit verliert, ja, an diesem inneren Gegenspiel sich seiner Einheit eigentlich erst bewußt werdend – das ist die fundamentale Leistung unseres Geistes, die seine gesamte Gestaltung bestimmt. Das gegenseitige Sichfordern von Subjekt und Objekt ist hier wie in einen Punkt zusammengerückt, es hat das Subjekt selbst ergriffen, dem sonst die ganze Welt als Objekt gegenübersteht. So hat der Mensch, sobald er sich seiner selbst bewußt wird, zu sich selbst Ich sagt, die grundlegende Form seines Verhältnisses zur Welt, seiner Aufnahme der Welt realisiert. Vor ihr aber, sowohl dem Sinne nach, wie der seelischen Entwicklung nach, liegt das einfache Vorstellen eines Inhalts, das nicht nach Subjekt und Objekt fragt, das noch nicht zwischen sie aufgeteilt ist. Und von der anderen Seite her gesehen: dieser Inhalt selbst, als logisches, begriffliches Gebilde, steht nicht weniger jenseits der Entscheidung zwischen subjektiver und objektiver Realität. Wir können jeden beliebigen Gegenstand rein seinen Bestimmungen und ihrem Zusammenhange nach denken, ohne im geringsten danach zu fragen, ob dieser ideelle Komplex von Qualitäten auch als objektive Existenz gegeben sei oder sein könne. Freilich, indem ein solcher reiner Sachgehalt gedacht wird, ist er eine Vorstellung und insofern ein subjektives Gebilde. Allein das Subjektive ist hier nur der dynamische Akt des Vorstellens, die Funktion, die jenen Inhalt aufnimmt; er selbst wird gerade als etwas von diesem Vorgestelltwerden Unabhängiges gedacht. Unser Geist hat die merkwürdige Fähigkeit, Inhalte als von ihrem Gedachtwerden unabhängig zu denken – eine primäre, keiner weiteren Reduktion fähige Eigenschaft seiner; solche Inhalte haben ihre begrifflichen oder sachlichen Bestimmtheiten und Zusammenhänge, die zwar vorgestellt werden können, aber darin nicht aufgehen, sondern gelten, gleichviel, ob sie von meinem Vorstellen aufgenommen werden oder nicht – gleichviel auch, ob sie von der objektiven Realität aufgenommen werden oder nicht: der Inhalt eines Vorstellens fällt mit dem Vorstellen des Inhalts nicht zusammen. So wenig jenes primitive, undifferenzierte Vorstellen, das schlechthin nur im Bewußtwerden eines Inhaltes besteht, als subjektiv bezeichnet werden darf, weil es in den Gegensatz: [11] Subjekt-Objekt überhaupt noch nicht eingetaucht ist, so wenig ist dieser reine Inhalt der Dinge oder Vorstellungen etwas Objektives, sondern von dieser differentiellen Form ebenso frei wie von ihrem Gegensatz und erst bereit, sich in der einen oder der anderen darzustellen. Subjekt und Objekt werden in demselben Akte geboren, logisch, indem der rein begriffliche, ideelle Sachgehalt einmal als Inhalt des Vorstellens, ein anderes Mal als Inhalt der objektiven Wirklichkeit gegeben wird – psychologisch, indem das noch ichlose, Person und Sache im Indifferenzzustande enthaltende Vorstellen in sich auseinandertritt und zwischen dem Ich und seinem Gegenstand eine Distanz entsteht, durch die jedes von beiden erst sein vom anderen sich abhebendes Wesen erhält.

Dieser Prozeß nun, der schließlich unser intellektuelles Weltbild zustande bringt, vollzieht sich auch innerhalb der willensmäßigen Praxis. Auch hier umfaßt die Scheidung in das begehrende, genießende, wertende Subjekt und das als Wert beurteilte Objekt weder die ganzen seelischen Zustände noch die gesamte sachliche Systematik des praktischen Gebietes. Insoweit der Mensch irgendeinen Gegenstand nur genießt, liegt ein in sich völlig einheitlicher Aktus vor. Wir haben in solchem Augenblick eine Empfindung, die weder ein Bewußtsein eines uns gegenüberstehenden Objektes als solchen, noch ein Bewußtsein eines Ich enthält, das von seinem momentanen Zustande gesondert wäre. Hier begegnen sich Erscheinungen der tiefsten und der höchsten Art. Der rohe Trieb, insbesondere der von unpersönlich-genereller Natur, will sich an einem Gegenstande nur selbst los werden, es kommt ihm nur auf seine Befriedigung an, gleichviel, wodurch sie gewonnen sei; das Bewußtsein wird ausschließlich von dem Genuß erfüllt, ohne sich seinem Träger auf der einen Seite, seinem Gegenstand auf der anderen mit getrennten Akzentuierungen zuzuwenden. Andrerseits zeigt der ganz gesteigerte ästhetische Genuß dieselbe Form. Auch hier »vergessen wir uns selbst«, aber wir empfinden auch das Kunstwerk nicht mehr als etwas uns Gegenüberstehendes, weil die Seele völlig mit ihm verschmolzen ist, es ebenso in sich eingezogen, wie sie sich ihm hingegeben hat. Hier wie dort wird der psychologische Zustand von dem Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt noch nicht oder nicht mehr berührt, aus seiner unbefangenen Einheit löst erst ein neu einsetzender Bewußtseinsprozeß jene Kategorien aus und betrachtet nun erst den reinen Inhaltsgenuß einerseits als den Zustand eines dem Objekt gegenüberstehenden Subjekts, andrerseits als die Wirkung eines von dem Subjekt unabhängigen Objekts. Diese Spannung, die die naiv-praktische Einheit von Subjekt und Objekt auseinandertreibt und beides – eines [12] am anderen – erst für das Bewußtsein erzeugt, wird zunächst durch die bloße Tatsache des Begehrens hergestellt. Indem wir begehren, was wir noch nicht haben und genießen, tritt dessen Inhalt uns gegenüber. In dem ausgebildeten empirischen Leben steht zwar der fertige Gegenstand vor uns und wird daraufhin erst begehrt – schon, weil außer den Ereignissen des Wollens viele andere, theoretische und gefühlsmäßige, zu der Objektwerdung der seelischen Inhalte wirken; allein innerhalb der praktischen Welt für sich allein, auf ihre innere Ordnung und ihre Begreiflichkeit hin angesehen, sind die Entstehung des Objekts als solchen und sein Begehrtwerden durch das Subjekt Korrelatbegriffe, sind die beiden Seiten des Differenzierungsprozesses, der die unmittelbare Einheit des Genußprozesses spaltet. Man hat behauptet, daß unsere Vorstellung von objektiver Realität: aus dem Widerstand entspränge, den wir, insbesondere vermittelst des Tastsinnes, seitens der Dinge erfahren. Dies ist ohne weiteres auf das praktische Problem zu übertragen. Wir begehren die Dinge erst jenseits ihrer unbedingten Hingabe an unseren Gebrauch und Genuß, d.h. indem sie eben diesem irgendeinen Widerstand entgegensetzen; der Inhalt wird Gegenstand, sobald er uns entgegensteht, und zwar nicht nur in seiner empfundenen Undurchdringlichkeit, sondern in der Distanz des Nochnichtgenießens, deren subjektive Seite das Begehren ist. Wie Kant einmal sagt: die Möglichkeit der Erfahrung ist die Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung – weil Erfahrungen machen heißt: daß unser Bewußtsein die Sinnesempfindungen zu Gegenständen bildet – so ist die Möglichkeit des Begehrens die Möglichkeit der Gegenstände des Begehrens. Das so zustande gekommene Objekt, charakterisiert durch den Abstand vom Subjekt, den dessen Begehrung ebenso feststellt wie zu überwinden sucht – heißt uns ein Wert. Der Augenblick des Genusses selbst, in dem Subjekt und Objekt ihre Gegensätze verlöschen, konsumiert gleichsam den Wert; er entsteht erst wieder in der Trennung vom Subjekt, als Gegenüber, als Objekt. Die trivialen Erfahrungen: daß wir viele Besitztümer erst dann recht als Werte schätzen, wenn wir sie verloren haben; daß die bloße Versagtheit eines begehrten Dinges es oft mit einem Werte ausstattet, dem sein erlangter Genuß nur in sehr geringem Maße entspricht; daß die Entferntheit von den Gegenständen unserer Genüsse – in jedem unmittelbaren und übertragenen Sinne der Entfernung – sie in verklärtem Lichte und gesteigerten Reizen zeigt – alles dies sind Abkömmlinge, Modifikationen, – Mischungsformen der grundlegenden Tatsache, daß der Wert nicht in der ungebrochenen Einheit des Genußmomentes entspringt, sondern indem dessen Inhalt sich als Objekt [13] von dem Subjekt löst und ihm als jetzt erst Begehrtes gegenübertritt, das zu gewinnen es der Überwindung von Abständen, Hemmnissen, Schwierigkeiten bedarf. Um die obige Analogie wieder aufzunehmen: im letzten Grunde vielleicht drängten sich nicht die Realitäten durch die Widerstände, die sie uns leisten, in unser Bewußtsein, sondern diejenigen Vorstellungen, an welche Widerstandsempfindungen und Hemmungsgefühle geknüpft wären, hießen uns die objektiv realen, von uns unabhängig außerhalb unser befindlichen. So ist es nicht deshalb schwierig, die Dinge zu erlangen, weil sie wertvoll sind, sondern wir nennen diejenigen wertvoll, die unserer Begehrung, sie zu erlangen, Hemmnisse entgegensetzen. Indem dies Begehren sich gleichsam an ihnen bricht oder zur Stauung kommt, erwächst ihnen eine Bedeutsamkeit, zu deren Anerkennung der ungehemmte Wille sich niemals veranlaßt gesehen hätte.

Der Wert, der so gleichzeitig mit dem begehrenden Ich und als sein Korrelat in einem und demselben Differenzierungsprozeß auftritt, untersteht darüber hinaus einer weiteren Kategorie; es ist dieselbe, die auch für das auf dem Wege des theoretischen Vorstellens gewonnene Objekt galt. Dort hatte sich ergeben, daß die Inhalte, die einerseits in der objektiven Welt realisiert sind, andrerseits als subjektive Vorstellungen in uns leben, jenseits dieser beiden eine eigentümliche ideelle Dignität besitzen. Der Begriff des Dreiecks oder der des Organismus, die Kausalität oder das Gravitationsgesetz haben einen logischen Sinn, eine Gültigkeit ihrer inneren Struktur, mit der sie zwar ihre Verwirklichungen im Räume und im Bewußtsein bestimmen, die aber, auch wenn es zu solchen niemals käme, unter die nicht weiter auflösbare Kategorie des Gültigen oder Bedeutsamen gehören und sich von fantastischen oder widerspruchsvollen Begriffsgebilden unbedingt unterscheiden würden, denen sie doch in bezug auf physische oder psychische Nichtrealität völlig gleichstünden. Analog nun, mit den durch die Gebietsänderung bedingten Modifikationen, verhält sich der Wert, der den Objekten des subjektiven Begehrens zuwächst. Wie wir gewisse Sätze als wahr vorstellen, mit dem begleitenden Bewußtsein, daß ihre Wahrheit von diesem Vorgestelltwerden unabhängig ist – so empfinden wir Dingen, Menschen, Ereignissen gegenüber, daß sie nicht nur von uns als wertvoll empfunden werden, sondern wertvoll wären, auch wenn niemand sie schätzte. Das einfachste Beispiel ist der Wert, den wir der Gesinnung der Menschen zusprechen, der sittlichen, vornehmen, kraftvollen, schönen. Ob solche inneren Beschaffenheiten sich je in Taten äußern, die die Anerkennung ihres Wertes ermöglichen oder erzwingen, ja, ob ihr Träger selbst mit dem Gefühl eigenen Wertes [14] über sie reflektiert, erscheint uns nicht nur für die Tatsache ihres Wertes gleichgültig, sondern diese Gleichgültigkeit gegen ihr Anerkannt- und Bewußtwerden macht gerade die bezeichnende Färbung dieser Werte aus. Und weiter: die intellektuelle Energie und die Tatsache, daß sie die geheimsten Kräfte und Ordnungen der Natur in das Licht des Bewußtseins hebt; die Gewalt und der Rhythmus der Gefühle, die in dem engen Raum der individuellen Seele doch aller Außenwelt mit unendlicher Bedeutsamkeit überlegen sind, selbst wenn die pessimistische Behauptung von dem Übermaß des Leidens richtig ist; daß jenseits des Menschen die Natur überhaupt sich in der Zuverlässigkeit fester Normen bewegt, daß die Vielheit ihrer Gestaltungen dennoch einer tiefen Einheit des Ganzen Raum gibt, daß ihr Mechanismus sich weder der Deutung nach Ideen entzieht, noch sich weigert, Schönheit und Anmut zu erzeugen – auf alles dies hin stellen wir vor: die Welt sei eben wertvoll, gleichviel, ob diese Werte von einem Bewußtsein empfunden werden oder nicht. Und dies geht hinunter bis zu dem ökonomischen Wertquantum, das wir einem Objekt des Tauschverkehrs zusprechen, auch wenn niemand etwa den entsprechenden Preis zu bewilligen bereit ist, ja, wenn es überhaupt unbegehrt und unverkäuflich bleibt. Auch nach dieser Richtung hin macht sich die fundamentale Fähigkeit des Geistes geltend: sich den Inhalten, die er in sich vorstellt, zugleich gegenüberzustellen, sie vorzustellen, als wären sie von diesem Vorgestelltwerden unabhängig. Gewiß ist jeder Wert, den wir fühlen, insoweit eben ein Gefühl: allein, was wir mit diesem Gefühl meinen, ist ein an und für sich bedeutsamer Inhalt, der von dem Gefühl zwar psychologisch realisiert wird, aber mit ihm nicht identisch ist und sich mit ihm nicht erschöpft. Ersichtlich stellt sich diese Kategorie jenseits der Streitfrage nach der Subjektivität oder Objektivität des Wertes, weil sie die Korrelativität zum Subjekt ablehnt, ohne die ein »Objekt« nicht möglich ist; sie ist vielmehr ein Drittes, Ideelles, das zwar in jene Zweiheit eingeht, aber nicht in ihr aufgeht. Entsprechend dem praktischen Charakter ihres Gebietes, hat sie eine besondere Beziehungsform zum Subjekt zur Verfügung, das der Reserviertheit des nur abstrakt »gültigen« Inhaltes unserer theoretischen Vorstellungen abgeht. Diese Form ist als Forderung oder Anspruch zu bezeichnen. Der Wert, der an irgendeinem Dinge, einer Person, einem Verhältnis, einem Geschehnis haftet, verlangt es, anerkannt zu werden. Dieses Verlangen ist natürlich als Ereignis nur in uns, den Subjekten, anzutreffen; allein, indem wir ihm nachkommen, empfinden wir, daß wir damit nicht einfach einer von uns selbst an uns selbst gestellten Forderung genügen – ebensowenig freilich eine Bestimmtheit des [15] Objekts nachzeichnen. Die Bedeutung irgendeines körperhaften Symbols, uns zu religiösen Gefühlen zu erregen; die sittliche Forderung einer bestimmten Lebenslage, sie zu revolutionieren oder bestehen zu lassen, sie weiterzuentwickeln oder zurückzubilden; die pflichtartige Empfindung, großen Ereignissen gegenüber nicht gleichgültig zu bleiben, sondern unsere Innerlichkeit auf sie reagieren zu lassen; das Recht des Anschaulichen, nicht einfach hingenommen, sondern in die Zusammenhänge ästhetischer Würdigung eingestellt zu werden – alles dies sind Ansprüche, die zwar ausschließlich innerhalb des Ich empfunden oder verwirklicht werden, ohne in den Objekten selbst ein Gegenbild oder sachlichen Ansatzpunkt zu finden, die aber, als Ansprüche, in dem Ich so wenig unterzubringen sind wie in den Gegenständen, die sie betreffen. Von der natürlichen Sachlichkeit aus gesehen, mag solcher Anspruch als subjektiv erscheinen, von dem Subjekte aus als etwas Objektives; in Wirklichkeit ist es eine dritte, aus jenen nicht zusammensetzbare Kategorie, gleichsam etwas zwischen uns und den Dingen. Ich sagte, daß der Wert der Dinge zu jenen Inhaltsgebilden gehörte, die wir, indem wir sie vorstellen, zugleich als etwas innerhalb dieses Vorgestelltwerdens dennoch Selbständiges empfinden, als etwas von der Funktion, durch die es in uns lebt. Gelöstes; dieses »Vorstellen« ist nun in dem Falle, wo ein Wert seinen Inhalt bildet, genauer angesehen, eben eine Empfindung von Anspruch, jene »Funktion« ist eine Forderung, die als solche nicht außerhalb unser existiert, aber ihrem Inhalt nach dennoch aus einem ideellen Reiche stammt, das nicht in uns liegt, das auch nicht den Objekten der Wertschätzung als eine Qualität ihrer anhaftet; es besteht vielmehr in der Bedeutung, die sie durch ihre Stellung in den Ordnungen jenes ideellen Reiches für uns als Subjekte besitzen. Dieser Wert, den wir als von seinem Anerkanntwerden unabhängig denken, ist eine metaphysische Kategorie; als solche steht er ebenso jenseits des Dualismus von Subjekt und Objekt, wie das unmittelbare Genießen diesseits desselben gestanden hatte. Das letztere ist die konkrete Einheit, auf die jene differentiellen Kategorien noch nicht angewendet sind, das erstere die abstrakte oder ideelle Einheit, in deren fürsichseiender Bedeutung er wieder verschwunden ist – wie in dem allbefassenden Bewußtseinszusammenhang, den Fichte das Ich nennt, der Gegensatz des empirischen Ich und des empirischen Nicht-Ich verschwunden ist. Wie der Genuß in dem Moment der völligen Verschmelzung der Funktion mit ihrem Inhalt nicht als subjektiv zu bezeichnen ist, weil kein gegenüberstehendes Objekt den Subjektsbegriff rechtfertigt, so ist dieser für sich seiende, an sich geltende Wert nichts Objektives, weil er gerade [16] von dem Subjekt, das ihn denkt, unabhängig gedacht wird, innerhalb des Subjekts zwar als Forderung des Anerkanntwerdens auftritt, aber auch durch die Nichterfüllung dieser Forderung nichts von seinem Wesen einbüßt.

Für die Wertempfindungen, in denen die tägliche Lebenspraxis verläuft, kommt diese metaphysische Sublimierung des Begriffes nicht in Betracht. Hier handelt es sich nur um den im Bewußtsein von, Subjekten lebendigen Wert und um diejenige Objektivität, die in diesem psychologischen Wertungsprozeß als sein Gegenstand entsteht. Ich zeigte vorhin, daß dieser Prozeß der Wertbildung sich mit dem Aufwachsen eines Abstandes zwischen dem Genießenden und der Ursache seines Genusses vollzieht. Und indem die Größe dieses Abstandes variiert – gemessen nicht von dem Genuß her, in dem er verschwunden ist, sondern von der Begehrung her, die mit ihm entsteht, und die er zu überwinden sucht – entspringen nun erst jene Unterschiedenheiten der Wertbetonung, die man als subjektive und objektive auseinanderhalten kann. Mindestens für jene Objekte, auf deren Schätzung die Wirtschaft beruht, ist der Wert zwar das Korrelat des Begehrens – wie die Welt des Seins meine Vorstellung ist, so ist die Welt des Wertes meine Begehrung –; allein trotz der logisch-physi schen Notwendigkeit, daß jeder Begehrungstrieb seine Befriedigung von einem Gegenstand erwarte, richtet er sich in vielen Fällen seiner psychologischen Struktur nach doch auf diese Befriedigung allein, so daß der Gegenstand selbst ganz gleichgültig ist, wenn er nur den Trieb stillt. Wenn der Mann sich an jedem beliebigen Weibe ohne individuelle Auswahl genügen läßt, wenn er alles ißt, was er nur kauen und verdauen kann; wenn er auf jeder Lagerstätte schläft, wenn sich seine Kulturbedürfnisse noch aus dem einfachsten, von der Natur ohne weiteres dargebotenen Material befriedigen lassen – so ist das praktische Bewußtsein noch ein völlig subjektives, es wird ausschließlich von dem eignen Zustand des Subjektes, dessen Erregungen und Beruhigungen, erfüllt, und das Interesse an den Dingen beschränkt sich darauf, daß sie unmittelbare Ursachen dieser Wirkungen sind. Das naive Projektionsbedürfnis des primitiven Menschen, sein nach außen gerichtetes, die Innerlichkeit selbstverständlich hinnehmendes Leben verdeckt dies zwar. Allein der bewußte Wunsch darf nicht immer als zureichender Index des wirklich wirksamen Wertempfindens gelten. Eine leichtbegreifliche Zweckmäßigkeit in der Dirigierung unserer praktischen Kräfte stellt uns oft genug den Gegenstand als wertvoll dar, während, was uns eigentlich erregt, nicht er in seiner sachlichen Bedeutung, sondern die subjektive Bedürfnisbefriedigung ist, die er uns schaffen soll. [17] Von diesem Zustand aus – der natürlich nicht immer als der zeitlich erste, sondern als der einfachste, fundamentale, gleichsam systematisch erste zu gelten hat – wird das Bewußtsein auf zwei Wegen, die sich aber wieder vereinigen, auf das Objekt selbst hingeleitet. Sobald nämlich das gleiche Bedürfnis eine Anzahl von Befriedigungsmöglichkeiten, ja vielleicht alle bis auf eine einzige zurückweist, wo also nicht nur Befriedigung überhaupt, sondern Befriedigung durch einen bestimmten Gegenstand gewünscht wird, da ist die prinzipielle Wendung vom Subjekt weg auf das Objekt angebahnt. Man könnte freilich einwerfen: es handle sich doch in jedem Falle nur um die subjektive Triebbefriedigung; nur sei im letzteren Falle der Trieb selbst schon von sich aus so differenziert, daß nur ein genau bestimmtes Objekt ihn befriedigen kann; auch hier also werde der Gegenstand nur als Ursache der Empfindung, nicht aber an sich selbst geschätzt. Dieser Einwand würde allerdings den fraglichen Unterschied annullieren, wenn die Differenzierung des Triebes diesen wirklich auf ein einziges ihm genügendes Objekt so ausschließlich zuspitzte, daß die Befriedigung durch andere überhaupt ausgeschlossen wäre. Allein dies ist ein sehr seltener Ausnahmefall. Die breitere Basis, von der aus sich auch die differenziertesten Triebe entwickeln, die ursprüngliche Allgemeinheit des Bedürfnisses, das eben nur ein Getriebenwerden, aber noch keine Einzelbestimmtheit des Zieles enthält, pflegt auch weiterhin der Untergrund zu bleiben, an dem die Verengerungen der Befriedigungswünsche sich erst ihrer individuellen Besonderheit bewußt werden. Indem die Verfeinerung des Subjekts den Kreis der Objekte, die seinen Bedürfnissen genügen, einschränkt, hebt es die Gegenstände seines Begehrens in einen scharfen Gegensatz zu allen anderen, die das Bedürfnis an sich auch stillen würden, trotzdem aber jetzt nicht mehr gesucht werden. Dieser Unterschied zwischen den Objekten lenkt, nach bekannten psychologischen Erfahrungen, das Bewußtsein in besonders hohem Maße auf sie und läßt sie in diesem als Gegenstände von selbständiger Bedeutsamkeit auftreten. In diesem Stadium erscheint das Bedürfnis von dem Gegenstande determiniert, das praktische Empfinden wird in dem Maße, in dem der Trieb sich nicht mehr auf jede, obgleich mögliche, Befriedigung stürzt, mehr und mehr von seinem terminus ad quem statt von seinem terminus a quo gelenkt; so daß der Raum sich vergrößert, den das Objekt als solches im Bewußtsein einnimmt. Das hängt auch noch folgendermaßen zusammen. Insoweit der Mensch von seinen Trieben vergewaltigt wird, bildet die Welt für ihn eigentlich eine unterschiedslose Masse; denn da sie ihm nur das an sich irrelevante Mittel der Triebbefriedigung bedeutet, diese Wirkung [18] zudem auch aus vielerlei Ursachen hervorgehen kann, so knüpft sich so lange an den Gegenstand in seinem selbständigen Wesen kein Interesse. Daß wir aber ein ganz besonderes, einziges Objekt bedürfen, hebt die Tatsache, daß wir überhaupt eines Objektes bedürfen, in schärferes Bewußtsein. Aber dieses Bewußtsein ist gewissermaßen ein mehr theoretisches, das die blinde Energie des nur auf sein eigenes Verlöschen losgehenden Triebes herabsetzt.

Indem die differenzierende Zuspitzung des Bedürfnisses mit der Schwächung seiner elementaren Gewalt Hand in Hand geht, wird im Bewußtsein mehr Platz für das Objekt. Oder eben von der anderen Seite gesehen: weil die Verfeinerung und Spezialisierung des Bedürfnisses das Bewußtsein zu einer größeren Hingabe an das Objekt zwingt, wird dem solipsistischen Bedürfnis ein Quantum von Kraft entzogen. Allenthalben steht die Schwächung der Affekte, d.h. der unbedingten Hingabe des Ich an seinen momentanen Gefühlsinhalt, in Wechselbeziehung mit der Objektivation der Vorstellungen, mit der Heraussetzung derselben in eine uns gegenüberstehende Existenzform. So ist z.B. das Sichaussprechenkönnen eines der mächtigsten Dämpfungsmittel der Affekte. In dem Worte projiziert sich der innere Vorgang gleichsam nach außen, man hat ihn nun als ein wahrnehmbares Gebilde sich gegenüber und damit die Heftigkeit des Affektes abgeleitet. Die Beruhigung der Leidenschaften und die Vorstellung des Objektiven als solchen in seiner Existenz und Bedeutung sind nur zwei Seiten eines und desselben Grundprozesses. Die Wendung des innerlichen Interesses von dem bloßen Bedürfnis und seiner Befriedigung zum Objekt mittelst verengerter Möglichkeiten der letzteren ist ersichtlich ebensogut von der Seite des Objekts aus herzustellen und zu steigern – indem dasselbe die Befriedigung schwer, selten, nur auf Umwegen und durch besonderen Krafteinsatz erreichbar macht. Wenn wir nämlich selbst ein sehr differenziertes, nur auf ganz ausgewählte Objekte gerichtetes Begehren voraussetzen, so wird doch auch dieses seine Befriedigung noch relativ wie selbstverständlich hinnehmen, solange dieselbe sich ohne Schwierigkeit und Widerstand darbietet. Worauf es ankommt, um die Eigenbedeutung der Dinge zu erkennen, das ist doch die Distanz, die sich zwischen ihnen und unserem Aufnehmen bildet. Es ist nur einer der vielen Fälle, in denen man von den Dingen hinwegtreten, einen Raum zwischen uns und sie legen muß, um ein objektives Bild von ihnen zu bekommen. Sicher ist ein solches nicht weniger subjektiv-optisch bestimmt als das undeutliche oder verzerrte bei zu großem oder zu kleinem Abstand; allein aus inneren Zweckmäßigkeitsgründen des Erkennens gewinnt die Subjektivität gerade bei den Extremen der [19] Distanz spezifische Betonung. Ursprünglich besteht das Objekt nur in unserer Beziehung zu ihm, ist ganz in. diese eingeschmolzen und tritt uns erst in dem Maß gegenüber, in dem es sich dieser Beziehung nicht mehr ohne weiteres fügt. Auch zu dem eigentlichen Begehren der Dinge, das ihr Fürsichsein anerkennt, indem es dasselbe gerade zu überwinden sucht, kommt es erst da, wo Wunsch und Erfüllung nicht zusammenfallen. Die Möglichkeit des Genusses muß sich erst, als ein Zukunftsbild, von unserem augenblicklichen Zustand getrennt haben, damit wir die Dinge begehren, die nun in Distanz von uns stehen. Wie im Intellektuellen die ursprüngliche Einheit der Anschauung, die wir noch an Kindern beobachten, erst allmählich in das Bewußtsein des Ich und des ihm gegenüberstehenden Objektes auseinandergeht, so wird der naive Genuß erst dann einem Bewußtsein von der Bedeutung des Dinges, gleichsam einem Respekt vor ihm, Raum geben, wenn das Ding sich ihm entzieht. Auch hier tritt der Zusammenhang zwischen der Schwächung der Begehrungsaffekte und der beginnenden Objektivation der Werte hervor, indem das Herabsetzen der elementaren Heftigkeit des Wollens und Fühlens das Bewußtwerden des Ich begünstigt. Solange sich die Persönlichkeit noch ohne Reserve dem momentanen Affekt hingibt, von ihm ganz und gar erfüllt und hingenommen wird, kann sich das Ich noch nicht herausbilden; das Bewußtsein eines Ich vielmehr, das jenseits seiner einzelnen Erregungen steht, kann sich erst dann als das Beharrende in allem Wechsel dieser letzteren zeigen, wenn nicht jede derselben den ganzen Menschen mehr mitreißt; sie müssen vielmehr irgendeinen Teil seiner unergriffen lassen, der den Indifferenzpunkt ihrer Gegensätze bildet, so daß also erst eine gewisse Herabsetzung und Einschränkung ihrer ein Ich als den immer gleichen Träger ungleicher Inhalte entstehen läßt. Wie aber das Ich und das Objekt in allen möglichen Provinzen unserer Existenz Korrelatbegriffe sind, die in der ursprünglichen Form des Vorstellens noch ungeschieden liegen und sich aus ihr, das eine am anderen, erst herausdifferenzieren – so dürfte auch der selbständige Wert der Objekte sich erst an dem Gegensatz zu einem selbständig gewordenen Ich entfalten. Erst die Repulsionen, die wir von dem Objekt erfahren, die Schwierigkeiten seiner Erlangung, die Warte- und Arbeitszeit, die sich zwischen Wunsch und Erfüllung schieben, treiben das Ich und das Objekt auseinander, die in dem unmittelbaren Beieinander von Bedürfnis und Befriedigung unentwickelt und ohne gesonderte Betonung ruhen. Mag die hier wirkende Bestimmung des Objekts nun in seiner bloßen Seltenheit – relativ zu seiner Begehrtheit – oder in den positiven Aneignungsmühen bestehen, jedenfalls setzt es erst dadurch jene [20] Distanz zwischen ihm und uns, die schließlich gestattet, ihm einen Wert jenseits seines bloßen Genossenwerdens zuzuteilen.

So kann man sagen, daß der Wert eines Objekts zwar auf seinem Begehrtwerden beruht, aber auf einer Begehrung, die ihre absolute Triebhaftigkeit verloren hat. Ebensowenig aber darf das Objekt, wenn es ein wirtschaftlicher Wert bleiben soll, sein Wertquantum zu einer Höhe steigern, bei der es praktisch wie ein absolutes wirkt. Die Distanz zwischen dem Ich und dem Gegenstand seiner Begehrung kann eine so weite werden – sei es durch die sachlichen Schwierigkeiten der Beschaffung, sei es durch exorbitante Höhe des Preises, sei es durch Bedenken sittlicher oder anderer Art, die sich dem Streben nach ihm entgegenstellen –, daß es zu gar keinem realen Willensakt kommt, sondern das Begehren entweder erlischt oder zu einem schattenhaften Wünschen wird. Der Abstand zwischen Subjekt und Objekt, mit dessen Aufwachsen der Wert, mindestens in dem wirtschaftlichen Sinne, entsteht, hat also eine untere und eine obere Grenze, so daß die Formulierung, das Maß des Wertes sei gleich dem Maße des Widerstandes, der sich der Erlangung begehrter Dinge nach Natur-, Produktions- und sozialen Chancen entgegensetze – den Sachverhalt nicht trifft. Gewiß würde Eisen kein wirtschaftlicher Wert sein, wenn sich seiner Erlangung keine größeren Schwierigkeiten entgegensetzten, als etwa der Erlangung der Luft zum Atmen; aber andrerseits mußten diese Schwierigkeiten unter ein gewisses Maß sinken, damit man das Eisen überhaupt zu derjenigen Fülle von Werkzeugen verarbeiten konnte, die es wertvoll machte. Oder auch: man hat behauptet, die Werke eines fruchtbaren Malers würden, bei gleicher Kunstvollendung, weniger kostbar sein als die des minder produktiven; das ist erst oberhalb einer bestimmten Quantitätsgrenze richtig. Denn es bedarf gerade einer gewissen Fülle von Werken eines Malers, damit er überhaupt erst einmal denjenigen Ruhm erwerbe, der den Preis seiner Bilder hochhebt. So hat ferner in einigen Papierwährungsländern gerade die Seltenheit des Goldes es dahin gebracht, daß das niedere Volk überhaupt nicht mehr Gold nehmen mag, wenn es ihm zufällig geboten wird. Ja, gerade den Edelmetallen gegenüber, deren Eignung zur Geldsubstanz man auf ihre Seltenheit zu gründen pflegt, darf die Theorie nicht übersehen, daß diese Seltenheitsbedeutung erst oberhalb einer ziemlich erheblichen Häufigkeit einsetzen kann, ohne welche diese Metalle dem praktischen Geldbedürfnis gar nicht dienen und also den Wert, den sie als Geldstoffe besitzen, gar nicht erlangen könnten. Vielleicht läßt nur die praktische Habsucht, die über jedes gegebene Quantum von Gütern hinausbegehrt, und der deshalb jeder [21] Wert zu knapp erscheint, es verkennen, daß nicht Seltenheit, sondern ein gewisses Mittleres zwischen Seltenheit und Nichtseltenheit in den meisten Fällen die Bedingung des Wertes bildet. Das Seltenheitsmoment ist, wie eine leichte Überlegung zeigt, in die Bedeutung der Unterschiedsempfindlichkeit einzurangieren; das Häufigkeitsmoment in die Bedeutung der Gewöhnung. Wie nun das Leben allenthalben durch die Proportion dieser beiden Tatsachen: daß wir ebenso Unterschied und Wechsel seiner Inhalte, wie Gewöhnung an jeden derselben bedürfen – bestimmt wird, so stellt sich diese allgemeine Notwendigkeit hier in der speziellen Form dar, daß der Wert der Dinge einerseits einer Seltenheit, also eines Sichabhebens, einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, andrerseits aber einer gewissen Breite, Häufigkeit, Dauer, damit die Dinge überhaupt die Schwelle des Wertes überschreiten.

Ich will an einem Beispiel, das den ökonomischen Werten ganz fern liegt und gerade deshalb die prinzipielle Seite auch dieser zu verdeutlichen geeignet ist, die allgemeine Bedeutung der Distanzierung für die als objektiv vorgestellte Wertung darstellen: an der ästhetischen. Was wir jetzt die Freude an der Schönheit der Dinge nennen, ist relativ spät entwickelt. Denn wieviel unmittelbar sinnliches Genießen ihr einzelner Fall auch jetzt noch aufweise, so beruht doch das Spezifische ihrer gerade in dem Bewußtsein, die Sache zu würdigen und zu genießen und nicht nur einen Zustand sinnlichen oder übersinnlichen Angeregtseins, den sie uns etwa bereite. Jeder kultivierte Mann wird prinzipiell mit großer Sicherheit zwischen der ästhetischen und der sinnlichen Freude an Frauenschönheit unterscheiden, so wenig er vielleicht der einzelnen Erscheinung gegenüber diese Komponenten seines Gesamtgefühles mag gegeneinander abgrenzen können. In der einen Beziehung geben wir uns dem Objekt, in der anderen gibt sich der Gegenstand uns hin. Mag der ästhetische Wert, wie jeder andere, der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein sein, so ist es ihm doch eigentümlich, daß diese Projektion eine vollkommene ist, d.h. daß der Gefühlsinhalt sozusagen völlig in den Gegenstand hineingeht und als eine dem Subjekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit erscheint, als etwas, was der Gegenstand ist. Wie mag es nun historisch-psychologisch zu dieser objektiven, ästhetischen Freude an den Dingen gekommen sein, da doch der primitive Genuß ihrer, von dem jeder höhere ausgegangen sein muß, sich sicher nur an ihre subjektiv-unmittelbare Genießbarkeit und Nützlichkeit geknüpft hat? Vielleicht gibt uns eine ganz einfache Beobachtung den Schlüssel dazu. Wenn ein Objekt irgendwelcher Art uns große Freude oder [22] Förderung bereitet hat, so haben wir bei jedem späteren Anblick dieses Objekts ein Freudegefühl, und zwar auch dann, wenn jetzt von einem Benutzen oder Genießen desselben nicht mehr die Rede ist. Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch bestimmt ist, daß wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstande wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm verband, tritt jetzt das bloße Anschauen seiner als die Ursache der angenehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so daß sich unser Gefühl nur an seine Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgendeinem Sinne konsumierbar ist. Kurz, während uns der Gegenstand früher als Mittel für unsere praktischen oder eudämonistischen Zwecke wertvoll war, ist es jetzt sein bloßes Anschauungsbild, das uns Freude macht, indem wir ihm dabei reservierter, entfernter, ohne ihn zu berühren, gegenüberstehen. Hierin scheinen mir schon die entscheidenden Züge des Ästhetischen präformiert zu sein, wie sich sogleich unverkennbar zeigt, wenn man diese Umsetzung der Empfindungen von dem Individualpsychologischen in die Gattungsentwicklung hineinverfolgt. Man hat die Schönheit schon längst aus der Nützlichkeit ableiten wollen, ist aber in der Regel, weil man beides zu nahe aneinander ließ, in einer banausischen Vergröberung des Schönen stecken geblieben. Diese läßt sich vermeiden, wenn man die äußerlichen Zweckmäßigkeiten und sinnlich-eudämonistischen Unmittelbarkeiten nur weit genug in die Geschichte der Gattung zurückschiebt, derart, daß sich an das Bild dieser Dinge innerhalb unseres Organismus ein Instinkt- oder reflexartiges Lustgefühl geknüpft hat, das nun in dem Einzelnen, auf den diese physisch-psychische Verbindung vererbt ist, wirksam wird, auch ohne daß eine Nützlichkeit des Gegenstandes für ihn selbst ihm bewußt wäre oder bestünde. Auf die Kontroverse über die Vererbung derartig erworbener Verbindungen brauche ich nicht einzugehen, da es für unseren Zusammenhang genügt, daß die Erscheinungen so verlaufen, als ob erworbene Eigenschaften erziehbar wären. So wäre schön für uns zunächst einmal dasjenige, was sich als der Gattung nützlich erwiesen hat, und dessen Wahrnehmung uns deshalb Lust bereitet, ohne daß wir als Individuen ein konkretes Interesse an diesem Objekt hätten – was natürlich weder Uniformität noch Fesselung des individuellen Geschmacks an ein Durchschnitts- oder Gattungsniveau bedeutet. Jene Nachklänge der generellen Nützlichkeit werden von den ganzen Mannigfaltigkeiten der individuellen Seelen aufgenommen und zu völlig unpräjudizierten Besonderheiten weitergebildet – so daß man vielleicht sagen könnte, jene Lösung des Lustgefühles [23] von der Realität seiner ursprünglichen Veranlassung wäre schließlich zu einer Form unseres Bewußtseins geworden, unabhängig von den ersten Inhalten, die ihre Bildung veranlaßten, und bereit, jegliche andere in sich aufzunehmen, die die seelische Konstellation in sie hineinwachsen läßt. In Fällen, wo wir zu einer realistischen Lust noch Veranlassung haben, ist unser Gefühl dem Dinge gegenüber nicht das spezifisch ästhetische, sondern ein konkretes, das erst durch eine gewisse Distanzierung, Abstraktion, Sublimierung die Metamorphose zu jenem erfährt. Es ereignet sich hier nur das sehr Häufige, daß, nachdem einmal eine bestimmte Verbindung gestiftet ist, das verbindende Element in Wegfall kommt, weil seine Dienste nicht länger erforderlich sind. Die Verbindung zwischen gewissen nützlichen Objekten und Lustgefühlen ist in der Gattung durch einen vererbbaren oder sonst irgendwie tradierten Mechanismus so fest geworden, daß nun schon der bloße Anblick dieser Objekte, auch ohne daß wir ihre Nützlichkeit genössen, für uns zur Lust wird. Daraus erklärt sich das, was Kant die ästhetische Interesselosigkeit pennt, die Gleichgültigkeit gegen die reale Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine »Form«, d.h. seine Sichtbarkeit gegeben ist; daher jene Verklärung und Überirdischkeit des Schönen – diese ist durch die zeitliche Ferne der realen Motive bewirkt, aus denen wir jetzt ästhetisch empfinden; daher die Vorstellung, das Schöne sei etwas Typisches, Überindividuelles, Allgemeingültiges – denn die gattungsmäßige Entwicklung hat alles Spezifische, bloß Individuelle der einzelnen Motive und Erfahrungen längst aus diesen inneren Bewegungen hinweggeläutert; daher die häufige Unmöglichkeit, das ästhetische Urteil verstandesmäßig zu begründen, und der Gegensatz, in den es sich manchmal gerade zu dem setzt, was uns als Individuen nützlich oder angenehm ist. Diese ganze Entwicklung der Dinge nun von ihrem Nützlichkeitswert zu ihrem Schönheitswert ist ein Objektivationsprozeß. Indem ich das Ding schön nenne, ist seine Qualität und Bedeutung in ganz anderer Weise von den Dispositionen und Bedürfnissen des Subjekts unabhängig, als wenn es bloß nützlich ist. Solange die Dinge nur dies sind, sind sie fungibel, d.h. jedes andere, das denselben Erfolg hat, kann jedes ersetzen. Sobald sie schön sind, bekommen sie individuelles Fürsichsein, so daß der Wert, den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist. Wir brauchen die Genesis des Ästhetischen nicht aus diesen dürftigen Andeutungen in die Fülle ihrer Ausgestaltungen zu verfolgen, um zu erkennen: die Objektivierung des Wertes entsteht in dem Verhältnis der Distanz, die sich zwischen dem subjektiv- unmittelbaren Ursprung der Wertung des [24] Objekts und unserem momentanen Empfinden seiner bildet. Je weiter die Nützlichkeit für die Gattung, die zuerst an den Gegenstand ein Interesse und einen Wert knüpfen ließ, zeitlich zurückliegt und als solche vergessen ist, desto reiner ist die ästhetische Freude an der bloßen Form und Anschauung des Objekts, d.h. desto mehr steht es uns mit eigener Würde gegenüber, desto mehr geben wir ihm eine Bedeutung, die nicht in seinem zufälligen subjektiven Genossenwerden aufgeht, desto mehr macht die Beziehung, in der wir die Dinge nur als Mittel für uns werten, dem Gefühle ihres selbständigen Wertes Platz.

Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil die objektivierende Wirkung dessen, was ich die Distanzierung nenne, an einem zeitlichen Abstand besonders anschaulich wird. Der Vorgang ist natürlich ein intensiver und qualitativer, so daß die quantitative Bezeichnung durch eine Distanz eine bloß symbolische ist. Es kann deshalb der gleiche Effekt durch eine Reihe anderer Momente hervorgerufen werden, wie es sich tatsächlich schon gezeigt hat: durch die Seltenheit des Objekts, durch die Schwierigkeit der Erlangung, durch die Notwendigkeit des Verzichtes. Mag nun in diesen, für die Wirtschaft wesentlichen Fällen die Bedeutsamkeit der Dinge immer eine Bedeutsamkeit für uns und deshalb von unserer Anerkennung abhängig bleiben – die entscheidende Wendung ist doch, daß sie uns nach diesen Entwicklungen wie Macht zu Macht gegenüberstehen, eine Welt von Substanzen und Kräften, die durch ihre Eigenschaften bestimmen, ob und inwieweit sie unsere Begehrungen befriedigen, und die Kampf und Mühsal von uns fordern, ehe sie sich uns ergeben. Erst wenn die Frage des Verzichtes auftaucht – des Verzichtes auf eine Empfindung, auf die es doch schließlich ankommt – ist Veranlassung, das Bewußtsein auf den Gegenstand derselben zu richten. Der Zustand, den die Vorstellung des Paradieses stilisiert, und in dem Subjekt und Objekt, Begehrung und Erfüllung noch nicht auseinandergewachsen sind – ein Zustand nicht etwa einer historisch abgegrenzten Epoche, sondern ein allenthalben und in sehr mannigfachen Graden auftretender –, ist freilich zur Auflösung bestimmt, aber eben damit auch wieder zur Versöhnung: der Sinn jener Distanzierung ist, daß sie überwunden werde. Die Sehnsucht, Bemühung, Aufopferung, die sich zwischen uns und die Dinge schieben, sind es doch, die sie uns zuführen sollen. Distanzierung und Annäherung sind auch im Praktischen Wechselbegriffe, jedes das andere voraussetzend und beide die Seiten der Beziehung zu den Dingen bildend, die wir, subjektiv, unser Begehren, objektiv, ihren Wert nennen. Den genossenen Gegenstand freilich müssen wir von uns [25] entfernen, um ihn wieder zu begehren; dem fernen gegenüber aber ist dies Begehren die erste Stufe der Annäherung, die erste ideelle Beziehung zu ihm. Diese Doppelbedeutung des Begehrens: daß es nur bei einer Distanz gegen die Dinge entstehen kann, die es eben zu überwinden strebt, daß es aber doch irgendein Nahesein zwischen den Dingen und uns schon voraussetzt, damit die vorhandene Distanz überhaupt empfunden werde – hat Plato in dem schönen Worte ausgesprochen, daß die Liebe ein mittlerer Zustand zwischen Haben und Nichthaben sei. Die Notwendigkeit des Opfers, die Erfahrung, daß das Begehren nicht umsonst gestillt wird, ist nur die Verschärfung oder Potenzierung dieses Verhältnisses: sie bringt uns die Entfernung zwischen unserem gegenwärtigen Ich und dem Genuß der Dinge zum eindringlichsten Bewußtsein; aber eben dadurch, daß sie uns auf den Weg zu ihrer Überwindung führt. Diese innere Entwicklung zu dem gleichzeitigen Wachstum von Distanz und Annäherung tritt deutlich auch als historischer Differenzierungsprozeß auf. Die Kultur bewirkt eine Vergrößerung des Interessenkreises, d.h., daß die Peripherie, in der die Gegenstände des Interesses sich befinden, immer weiter von dem Zentrum, d.h. dem Ich, abrückt. Diese Entfernung ist aber nur durch eine gleichzeitige Annäherung möglich. Wenn für den modernen Menschen Objekte, Personen und Vorgänge, die hundert oder tausend Meilen von ihm entfernt sind, vitale Bedeutung besitzen, so müssen sie ihm zunächst näher gebracht sein als dem Naturmenschen, für den dergleichen überhaupt nicht existiert; daher stehen sie für diesen überhaupt noch jenseits der positiven Bestimmungen: Nähe und Entfernung. Beides pflegt sich erst in Wechselwirkung aus jenem Indifferenzzustand heraus zu entwickeln. Der moderne Mensch muß ganz anders arbeiten, ganz andere Bemühungsintensitäten hingeben als der Naturmensch, d.h. der Abstand zwischen ihm und den Gegenständen seines Wollens ist außerordentlich viel weiter, viel härtere Bedingungen stehen zwischen beiden; aber dafür ist das Quantum dessen, was er sich ideell, durch sein Begehren, und real, durch seine Arbeitsopfer, nahe bringt, ein unendlich viel größeres. Der Kulturprozeß – eben der, der die subjektiven Zustände des Triebes und Genießens in die Wertung der Objekte überführt – treibt die Elemente unseres Doppelverhältnisses von Nähe und Entfernung den Dingen gegenüber immer schärfer auseinander.

Die subjektiven Vorgänge des Triebes und des Genießens objektivieren sich im Werte, d.h. aus den objektiven Verhältnissen erwachsen uns Hemmnisse, Entbehrungen, Forderungen irgendwelcher »Preise«, durch die überhaupt erst die Ursache oder der Sachgehalt [26] von Trieb und Genuß von uns abrückt und damit in ein und demselben Akt uns zum eigentlichen »Objekt« und zum Wert wird. So ist die begrifflich-radikale Frage nach Subjektivität oder Objektivität des Wertes überhaupt falsch gestellt. Insbesondere wird ihre Entscheidung im Sinne der Subjektivität höchst mißverständlich darauf gegründet, daß kein Gegenstand es zu durchgängiger Allgemeinheit des Wertmaßes bringen kann, sondern dieses von Ort zu Ort, von Person zu Person, ja von Stunde zu Stunde wechselt. Hier liegt die Verwechslung zwischen Subjektivität und Individualität des Wertes vor. Daß ich zu genießen begehre oder genieße, ist freilich insofern etwas bloß Subjektives, als darin an und für sich keinerlei Bewußtseins- oder Interessenakzent für den Gegenstand als solchen enthalten ist. Nun aber tritt als ein ganz neuer Prozeß, der der Wertung ein: der Willens- und Gefühlsinhalt erhält die Form des Objekts. Dieses steht nun dem Subjekt mit einem Maße von Selbständigkeit gegenüber, sich ihm gewährend oder versagend, an seinen Gewinn Forderungen knüpfend, durch die ursprüngliche Willkür seiner Wahl in eine gesetzliche Ordnung gehoben, in der es durchaus notwendige Schicksale und Bedingtheiten erfährt. Daß die Inhalte, die diese Objektivitätsform annehmen, nicht für alle Subjekte dieselben sind, ist hierfür ganz irrelevant. Angenommen, die ganze Menschheit vollzöge die genau gleiche Wertung, so würde dieser damit keinerlei Maß von »Objektivität« über dasjenige hinauszuwachsen, das sie auch schon in einem ganz individuellen Falle besitzt; denn indem ein Inhalt überhaupt gewertet wird, statt bloß als Triebbefriedigung, als Genuß zu funktionieren, steht er in einer objektiven Distanz von uns, die durch die sachlichen Bestimmtheiten von Hemmnissen und notwendigen Kämpfen, von Gewinn und Verlust, von Abwägungen und Preisen festgelegt ist. Der Grund, aus dem immer wieder die schiefe Frage nach Objektivität oder Subjektivität des Wertes gestellt wird, ist der: daß wir in dem ausgebildeten empirischen Zustande eine unabsehliche Zahl von Objekten vorfinden, die aus rein vorstellungsmäßigen Ursachen zu solchen geworden sind. Steht aber erst einmal ein fertiges Objekt in unserem Bewußtsein, so scheint freilich der ihm zuwachsende Wert ausschließlich auf der Seite des Subjektes zu liegen; der erste Aspekt, von dem ich ausging, die Einstellung der Inhalte in die Reihen des Seins und des Wertes, scheint mit ihrer Aufteilung in Objektivität und Subjektivität einfach synonym zu sein. Allein man bedenkt dabei nicht, daß das Objekt des Willens als ein solches etwas anderes ist als das Objekt des Vorstellens. Mögen beide noch so sehr an der gleichen Stelle der Raum-, Zeit- und Qualitätsreihen stehen: der begehrte Gegenstand steht uns ganz anders gegenüber, [27] bedeutet uns etwas ganz anderes als der vorgestellte. Ich erinnere an die Analogie der Liebe. Der Mensch, den wir lieben, ist gar nicht dasselbe Gebilde wie derjenige, den wir erkenntnismäßig vorstellen. Damit meine ich nicht Verschiebungen oder Fälschungen, die etwa der Affekt in das Erkenntnisbild bringt. Denn dies verbleibt doch immer auf dem Gebiet der Vorstellung und innerhalb der intellektuellen Kategorien, wie sich auch ihr Inhalt modifiziere. Es ist aber eine vom Grund her andere Art, in der der geliebte Mensch für uns Objekt ist, als der intellektuell vorgestellte, er bedeutet, trotz aller logischen Identität für uns etwas anderes, ungefähr, wie der Marmor der Venus von Milo für den Kristallographen etwas anderes bedeutet als für den Ästhetiker. So kann ein Seinselement, gewissen Bestimmtheiten nach als »eines und dasselbe« rekognosziert, uns auf die ganz verschiedenen Weisen: des Vorstellens und des Begehrens, zum Objekt werden. Innerhalb jeder dieser Kategorien hat die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt andere Veranlassungen und andere Wirkungen, so daß es nur zu Verwirrungen führt, wenn man die praktische Beziehung zwischen dem Menschen und seinen Objekten vor diejenige Art der Alternative zwischen Subjektivität und Objektivität stellt, die nur auf dem Gebiet der intellektuellen Vorstellung gelten kann. Denn wenn der Wert eines Gegenstandes auch nicht in demselben Sinne objektiv ist wie seine Farbe oder seine Schwere, so ist er darum noch keineswegs in dem dieser Objektivität entsprechenden Sinne subjektiv; eine solche Subjektivität kommt vielmehr etwa einer Färbung zu, die durch Sinnestäuschung entspringt, oder irgendeiner Qualität des Dinges, die ein fehlerhafter Schluß ihm beilegt, oder einem Sein, dessen Realität uns ein Aberglaube suggeriert. Das praktische Verhältnis zu den Dingen dagegen erzeugt eine ganz andere Art von Objektivität: dadurch, daß die Umstände der Wirklichkeit den Inhalt des Begehrens und Genießens von diesem subjektiven Geschehen selbst abdrängen und damit für sie die eigentümliche Kategorie erzeugen, die wir ihren Wert nennen.

Innerhalb der Wirtschaft nun verläuft dieser Prozeß so, daß der Inhalt des Opfers oder Verzichtes, der sich zwischen den Menschen und den Gegenstand seines Begehrens stellt, zugleich der Gegenstand des Begehrens eines anderen ist: der erste muß auf einen Besitz oder Genuß verzichten, den der andere begehrt, um diesen zum Verzicht auf das von ihm Besessene, aber von jenem Begehrte zu bewegen. Ich werde zeigen, daß auch die Wirtschaft des isolierten Eigenproduzenten sich auf dieselbe Formel reduzieren läßt. Es verschlingen sich also zwei Wertbildungen ineinander, es muß ein Wert eingesetzt werden, um einen Wert zu gewinnen. Dadurch verläuft die [28] Erscheinung so, als ob die Dinge sich ihren Wert gegenseitig bestimmten. Denn indem sie gegeneinander ausgetauscht werden, gewinnt jeder die praktische Verwirklichung und das Maß seines Wertes an dem anderen. Dies ist die entschiedenste Folge und Ausdruck der Distanzierung der Gegenstände vom Subjekt. Solange sie diesem unmittelbar nahe sind, solange nicht Differenziertheit der Begehrungen, Seltenheit des Vorkommens, Schwierigkeiten und Widerstände der Erlangung sie von dem Subjekte fortschieben, sind sie ihm sozusagen Begehrung und Genuß, aber noch nicht Gegenstand von beidem. Der angedeutete Prozeß, mit dem sie dies werden, vollendet sich dadurch, daß der distanzierende und zugleich die Distanz überwindende Gegenstand eigens zu diesem Zwecke hergestellt wird. Damit wird die reinste wirtschaftliche Objektivität, die Lösung des Gegenstandes aus der subjektiven Beziehung zur Persönlichkeit gewonnen; und indem diese Herstellung für einen anderen geschieht, der die entsprechende für jenen vornimmt, treten die Gegenstände in gegenseitige objektive Relation. Die Form, die der Wert im Tausch annimmt, reiht ihn in jene beschriebene Kategorie jenseits des strengen Sinnes von Subjektivität und Objektivität ein; im Tausch wird der Wert übersubjektiv, überindividuell, ohne doch eine sachliche Qualität und Wirklichkeit an dem Dinge selbst zu werden: er tritt als die, gleichsam über die immanente Sachlichkeit des Dinges hinausreichende Forderung desselben auf, nur gegen einen entsprechenden Gegenwert fortgegeben, nur für einen solchen erworben zu werden. Das Ich, wenngleich die allgemeine Quelle der Werte überhaupt, tritt so weit von seinen Geschöpfen zurück, daß sie nun ihre Bedeutungen aneinander, ohne jedesmaliges Zurückbeziehen auf das Ich, messen können. Dieses rein sachliche Verhältnis der Werte untereinander, das sich im Tausche vollzieht und von ihm getragen wird, hat aber seinen Zweck ersichtlich in dem schließlichen subjektiven Genuß derselben, d.h. darin, daß eine größere Anzahl und Intensität derselben uns nahe gebracht wird, als es ohne diese Hingabe und objektive Ausgleichung des Tauschverkehrs möglich wäre. Wie man von dem göttlichen Prinzip gesagt hat, daß es, nachdem es die Elemente der Welt mit ihren Kräften versehen habe, zurückgetreten sei und sie dem gegenseitigen Spiele dieser Kräfte überlassen habe, so daß wir nun von einer objektiven, ihren eigenen Relationen und Gesetzen folgenden Welt sprechen können; wie aber die göttliche Macht dieses Aus-sich-heraussetzen des Weltprozesses als das geeignetste Mittel erwählt hat, ihre Zwecke mit der Welt am vollständigsten zu erreichen: so bekleiden wir innerhalb der Wirtschaft die Dinge mit einem Wertquantum wie mit einer eigenen [29] Qualität ihrer und überlassen sie dann den Austauschbewegungen, einem durch jene Quanten objektiv bestimmten Mechanismus, einer Gegenseitigkeit unpersönlicher Wertwirkungen – aus der sie vermehrt und intensiver genießbar in ihren Endzweck, der ihr Ausgangspunkt war: das Fühlen der Subjekte, zurückkehren. Hiermit ist die Richtung der Wertbildung begründet und begonnen, in der sich die Wirtschaft vollzieht, und deren Konsequenzen den Sinn des Geldes tragen. Ihrer Ausführung haben wir uns nun zuzuwenden.

[30]

II.

Die technische Form für den wirtschaftlichen Verkehr schafft ein Reich von Werten, das mehr oder weniger vollständig von seinem subjektiv-personalen Unterbau gelöst ist. So sehr der Einzelne kauft, weil er den Gegenstand schätzt und zu konsumieren wünscht, so drückt er dieses Begehren wirksam doch nur mit und an einem Gegenstande aus, den er für jenen in den Tausch gibt; damit wächst der subjektive Vorgang, in dessen Differenzierung und aufwachsender Spannung zwischen Funktion und Inhalt dieser zu einem »Wert« wird, zu einem sachlichen, überpersönlichen Verhältnis zwischen Gegenständen aus. Die Personen, die durch ihre Wünsche und Schätzungen zu dem Vollzuge bald dieses, bald jenes Tausches angeregt werden, realisieren damit für ihr Bewußtsein nur Wertverhältnisse, deren Inhalt schon in den Dingen selbst liegt: das Quantum des einen Objekts entspricht an Wert dem bestimmten Quantum des anderen Objekts, und diese Proportion steht als etwas objektiv Angemessenes und gleichsam Gesetzliches jenen persönlichen Motiven – von denen sie ausgeht, und in denen sie endet – ebenso gegenüber, wie wir es entsprechend an den objektiven Werten sittlicher und anderer Gebiete wahrnehmen. So würde sich wenigstens die Erscheinung einer vollkommen ausgebildeten Wirtschaft darbieten. In dieser zirkulieren die Gegenstände nach Normen und Maßen, die in jedem gegebenen Augenblick festgestellt sind, und mit denen sie dem Einzelnen als ein objektives Reich gegenüberstehen; er kann an diesem teilhaben oder nicht teilhaben, wenn er es aber will, so kann er es nur als Träger oder Ausführender dieser ihm jenseitigen Bestimmtheiten. Die Wirtschaft strebt einer – nirgends völlig unwirklichen und nirgends völlig verwirklichten – Ausbildungsstufe zu, in der sich die Dinge ihre Wertmaße wie durch einen selbsttätigen Mechanismus gegenseitig bestimmen – unbeschadet der Frage, wieviel subjektives Fühlen dieser Mechanismus als seine Vorbedingung oder als sein Material in sich auf genommen hat. Aber eben dadurch, daß für den Gegenstand ein anderer hingegeben wird, gewinnt sein Wert all die Sichtbarkeit und Greifbarkeit, der er überhaupt zugängig ist. Die [31] Gegenseitigkeit des Sichaufwiegens, vermöge deren jedes Objekt des Wirtschaftens seinen Wert in einem anderen Gegenstande ausdrückt, hebt beide aus ihrer bloßen Gefühlsbedeutung heraus: die Relativität der Wertbestimmung bedeutet ihre Objektivierung. Die Grundbeziehung zum Menschen, in dessen Gefühlsleben sich freilich alle Wertungsprozesse abspielen, ist hierbei vorausgesetzt, sie ist in die Dinge sozusagen hineingewachsen, und mit ihr ausgerüstet treten sie in jene gegenseitige Abwägung ein, die nicht die Folge ihres wirtschaftlichen Wertes, sondern schon dessen Träger oder Inhalt ist.

Die Tatsache des wirtschaftlichen Tausches also löst die Dinge von dem Eingeschmolzensein in die bloße Subjektivität der Subjekte und läßt sie, indem sie ihre wirtschaftliche Funktion in ihnen selbst investiert, sich gegenseitig bestimmen. Den praktisch wirksamen Wert verleiht dem Gegenstand nicht sein Begehrtwerden allein, sondern das Begehrtwerden eines anderen. Ihn charakterisiert nicht die Beziehung auf das empfindende Subjekt, sondern daß es zu dieser Beziehung erst um den Preis eines Opfers gelangt, während von. der anderen Seite gesehen dieses Opfer als zu genießender Wert, jener selbst aber als Opfer erscheint. Dadurch bekommen die Objekte eine Gegenseitigkeit des Sichaufwiegens, die den Wert in ganz besonderer Weise als eine ihnen selbst objektiv innewohnende Eigenschaft erscheinen läßt. Indem um den Gegenstand gehandelt wird – das bedeutet doch, daß das Opfer, das er darstellt, fixiert wird –, erscheint seine Bedeutung für beide Kontrahenten vielmehr wie etwas außerhalb dieser letzteren selbst Stehendes, als wenn der Einzelne ihn nur in seiner Beziehung zu sich selbst empfände; und wir werden nachher sehen, wie auch die isolierte Wirtschaft, indem sie den Wirtschaftenden den Anforderungen der Natur gegenüberstellt, ihm die gleiche Notwendigkeit des Opfers für den Gewinn des Objektes auferlegt, so daß auch hier das gleiche Verhältnis, das nur den einen Träger gewechselt hat, den Gegenstand mit derselben selbständigen, von seinen eigenen objektiven Bedingungen abhängigen Bedeutung ausstatten kann. Die Begehrung und das Gefühl des Subjektes steht freilich als die treibende Kraft hinter alledem, aber aus ihr an und für sich könnte diese Wertform nicht hervorgehen, die vielmehr nur dem Sichaufwiegen der Objekte untereinander zukommt. Die Wirtschaft leitet den Strom der Wertungen durch die Form des Tausches hindurch, gleichsam ein Zwischenreich schaffend zwischen den Begehrungen, aus denen alle Bewegung der Menschenwelt quillt, und der Befriedigung des Genusses, in der sie mündet. Das Spezifische der Wirtschaft als einer besonderen Verkehrs- und Verhaltungsform besteht – wenn man einen paradoxen Ausdruck nicht scheut – nicht [32] sowohl darin, daß sie Werte austauscht, als daß sie Werte austauscht. Freilich liegt die Bedeutung, die die Dinge in und mit dem Tausch gewinnen, nie ganz isoliert neben ihrer subjektiv-unmittelbaren, über die Beziehung ursprünglich entscheidenden; vielmehr gehört beides zusammen, wie Form und Inhalt zusammengehören. Allein der objektive und oft genug auch das Bewußtsein des Einzelnen beherrschende Vorgang abstrahiert sozusagen davon, daß es Werte sind, die sein Material bilden, und gewinnt sein eigenstes Wesen an der Gleichheit derselben – ungefähr, wie die Geometrie ihre Aufgaben nur an den Größenverhältnissen der Dinge findet, ohne die Substanzen einzubeziehen, an denen allein doch jene Verhältnisse real bestehen. Daß so nicht nur die Betrachtung der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft selbst sozusagen in einer realen Abstraktion aus der umfassenden Wirklichkeit der Wertungsvorgänge besteht, ist nicht so verwunderlich, wie es zuerst scheint, sobald man sich klarmacht, wie ausgedehnt das menschliche Tun innerhalb jeder seelischen Provinz mit Abstraktionen rechnet. Die Kräfte, Beziehungen, Qualitäten der Dinge – zu denen insoweit auch unser eigenes Wesen gehört – bilden objektiv ein einheitliches Ineinander, das erst von unseren hinzutretenden Interessen und um von uns bearbeitet zu werden, in eine Vielheit selbständiger Reihen oder Motive gespalten wird. So untersucht jede Wissenschaft Erscheinungen, die erst unter dem von ihr gestellten Gesichtspunkte eine in sich geschlossene Einheitlichkeit und reinliche Abgrenzung gegen die Probleme anderer Wissenschaften haben, während die Wirklichkeit sich um diese Grenzlinien nicht kümmert, sondern jeder Abschnitt der Welt ein Konglomerat von Aufgaben für die mannigfaltigsten Wissenschaften darstellt. Ebenso schneidet unsere Praxis aus der äußeren oder inneren Komplexität der Dinge einseitige Reihen heraus und schafft erst so die großen Interessensysteme der Kultur. Dasselbe tritt an Betätigungen des Gefühls hervor. Wo wir religiös oder sozial empfinden, wo wir melancholisch oder weltfreudig gestimmt sind, da sind es immer Abstraktionen aus dem Wirklichkeitsganzen, die uns als Gegenstände unseres Gefühls erfüllen – sei es, daß unsere Reaktionsfähigkeit aus den dargebotenen Eindrücken nur diejenigen ergreift, die unter diesen oder jenen gemeinsamen Interessenbegriff gehören; sei es, daß sie von sich aus jeden Gegenstand mit einer Färbung versieht, deren in dem Gegenstand selbst gelegene Berechtigung sich in dessen Ganzheit mit den Begründungen anderer Färbungen zu einer objektiv ungeschiedenen Einheit verwebt. So ist auch dies eine der Formeln, in die man das Verhältnis des Menschen zur Welt fassen kann: daß aus der absoluten Einheit und [33] dem Ineinanderverwachsensein der Dinge, in dem jedes das andere trägt und alle zu gleichen Rechten bestehen, unsere Praxis nicht weniger als unsere Theorie unablässig einzelne Elemente abstrahiert, um sie zu relativen Einheiten und Ganzheiten zusammenzuschließen. Wir haben, außer in ganz allgemeinen Gefühlen, keine Beziehung zu der Totalität des Seins: erst indem wir von den Bedürfnissen unseres Denkens und Handelns aus fortwährende Abstraktionen aus den Erscheinungen ziehen und diese mit der relativen Selbständigkeit eines bloß inneren Zusammenhanges ausstatten, die die Kontinuität der Weltbewegungen dem objektiven Sein jener verweigert, gewinnen wir ein in seinen Einzelheiten bestimmtes Verhältnis zur Welt. So ist das wirtschaftliche System allerdings auf eine Abstraktion gegründet, auf das Gegenseitigkeitsverhältnis des Tausches, die Balance zwischen Opfer und Gewinn, während es in dem wirklichen Prozeß, in dem es sich vollzieht, mit seinem Fundamente und seinem Ergebnis: den Begehrungen und den Genüssen, untrennbar verschmolzen ist. Aber diese Existenzform unterscheidet es nicht von den sonstigen Gebieten, in die wir die Gesamtheit der Erscheinungen zu dem Zwecken unserer Interessen zerlegen.

Das Entscheidende für die Objektivität des wirtschaftlichen Wertes, die das Wirtschaftsgebiet als selbständiges abgrenzt, ist das prinzipielle Hinausgehen seiner Gültigkeit über das Einzelsubjekt. Dadurch, daß für den Gegenstand ein anderer gegebenwerden muß, zeigt sich, daß derselbe nicht nur für mich, sondern auch an sich, d.h. auch für einen anderen etwas wert ist. An der wirtschaftlichen Form der Werte findet die Gleichung: Objektivität = Gültigkeit für Subjekte überhaupt – eine ihrer deutlichsten Rechtfertigungen. Durch die Äquivalenz, die überhaupt erst gelegentlich des Tausches ein Bewußtsein und Interesse erwirbt, wächst dem Wert der spezifische Charakterzug der Objektivität zu. Denn nun mag jedes der Elemente nur personaler Art oder nur subjektiv wertvoll sein – daß sie einander gleich sind, ist ein objektives, in keinem dieser Elemente für sich und doch nicht außerhalb beider liegendes Moment. Der Tausch setzt eine objektive Messung subjektiver Wertschätzungen voraus, aber nicht im Sinne zeitlichen Vorangehens, sondern so, daß beides in einem Akte besteht.

Man muß sich hier klarmachen, daß die Mehrzahl der Beziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann; er ist die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und Inhalt gewinnen will. Zunächst wird schon oft übersehen, wie vieles, das auf den ersten Blick eine bloß einseitig ausgeübte Wirkung ist, [34] tatsächlich Wechselwirkung einschließt: der Redner scheint der Versammlung, der Lehrer der Klasse, der Journalist seinem Publikum gegenüber der allein Führende und Beeinflussende zu sein; tatsächlich empfindet jeder in solcher Situation die bestimmende und lenkende Rückwirkung der scheinbar bloß passiven Masse; für politische Parteien gilt allenthalben das Wort: »ich bin ihr Führer, also muß ich ihnen folgen«; ja, ein hervorragender Hypnotiseur hat neulich betont, daß bei der hypnotischen Suggestion – offenbar doch dem entschiedensten Falle reiner Aktivität von der einen, unbedingter Beeinflußtheit von der anderen Seite – eine schwerbeschreibliche Wirkung des Hypnotisierten auf den Hypnotiseur stattfände, ohne die der Effekt nicht erreicht würde. Jede Wechselwirkung aber ist als ein Tausch zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe (auch wo sie mit andersartigen Gefühlen erwidert wird), jedes Spiel, jedes Sichanblicken. Und wenn der Unterschied zu bestehen scheint, daß man in der Wechselwirkung gibt, was man selbst nicht hat, im Tausch aber nur, was man hat – so hält dies doch nicht stand. Denn einmal, was man in der Wechselwirkung ausübt, kann immer nur die eigene Energie, die Hingabe eigener Substanz sein; und umgekehrt, der Tausch geschieht nicht um den Gegenstand, den der andere vorher hatte, sondern um den eigenen Gefühlsreflex, den der andere vorher nicht hatte; denn der Sinn des Tausches: daß die Wertsumme des Nachher größer sei als die des Vorher – bedeutet doch, daß jeder dem anderen mehr gibt, als er selbst besessen hat. Freilich ist Wechselwirkung der weitere. Tausch der engere Begriff; allein in menschlichen Verhältnissen tritt die erstere ganz überwiegend in Formen auf, die sie als Tausch anzusehen gestatten. Unser natürliches Schicksal, das jeden Tag aus einer Kontinuität von Gewinn und Verlust, Zufließen und Abströmen der Lebensinhalte zusammensetzt, wird im Tausch vergeistigt, indem nun das eine für das andere mit Bewußtsein gesetzt wird. Derselbe geistig-synthetische Prozeß, der überhaupt aus dem Nebeneinander der Dinge ein Mit- und Füreinander schafft; dasselbe Ich, das, die sinnlichen Gegebenheiten innerlich durchströmend, ihnen die Form seiner eigenen Einheit einbaut – hat mit dem Tausch jenen naturgegebenen Rhythmus unserer Existenz ergriffen und seine Elemente zu einer sinnvollen Verbundenheit organisiert. Und zwar wird gerade dem Tausch wirtschaftlicher Werte die Färbung des Opfers am wenigsten erspart bleiben. Wo wir Liebe um Liebe tauschen, wüßten wir mit der darin offenbarten inneren Energie sonst nichts anzufangen; indem wir sie hingeben, opfern wir – von äußeren Betätigungsfolgen abgesehen – keinerlei Nutzen auf; wenn wir in der Wechselrede geistige Inhalte mitteilen, [35] so nehmen diese darum nicht ab; wenn wir unserer Umgebung das Bild unserer Persönlichkeit darbieten, indem wir das der anderen in uns aufnehmen, so vermindert dieser Austausch unseren Besitz unser selbst in keiner Weise. Bei all diesen Tauschen geschieht die Wertvermehrung nicht durch Aufrechnung von Gewinn und Verlust, sondern der Beitrag jeder Partei steht entweder ganz jenseits dieses Gegensatzes, oder es ist an sich schon ein Gewinn, ihn nur hingeben zu dürfen, so daß wir die Erwiderung als ein, trotz unserer eigenen Gabe, unverdientes Geschenk empfinden; wogegen der wirtschaftliche Tausch – mag er Substanzen oder Arbeit oder in Substanzen investierte Arbeitskraft betreffen – immer das Opfer eines auch anderweitig nutzbaren Gutes bedeutet, so sehr auch im Endresultat die eudämonistische Mehrung überwiege.

Daß alle Wirtschaft Wechselwirkung, und zwar in dem spezifischen Sinne des aufopfernden Tausches ist, hat einem Einwand zu begegnen, den man gegen die Gleichsetzung des wirtschaftlichen Wertes überhaupt mit dem Tauschwert erhoben hat. Auch der ganz isolierte Wirt, so hat man gesagt – der also weder kaufe noch verkaufe – müsse doch seine Produkte und Produktionsmittel abschätzen, also einen von allem Tausche unabhängigen Wertbegriff bilden, wenn seine Aufwendungen und seine Ergebnisse im richtigen Verhältnis zueinander stehen sollen. Allein diese Tatsache beweist gerade, was sie widerlegen soll. Denn alle Abwägung, ob ein bestimmtes Produkt einen bestimmten Aufwand an Arbeit oder sonstigen Gütern rechtfertigt, ist für das wirtschaftende Subjekt genau dieselbe, wie die beim Tausche vor sich gehende Wertung dessen, was man hingibt, gegen das, was man erhält. Es wird nämlich gegenüber dem Begriffe des Tausches oft jene Denkunklarheit begangen, infolge deren man von einer Beziehung, einem Verhältnis so spricht, als wäre es etwas außerhalb der Elemente, zwischen denen es spielt. Es bedeutet doch nur einen Zustand oder eine Veränderung innerhalb jedes derselben, aber nichts, was zwischen denselben, im Sinne der räumlichen Besonderung eines zwischen zwei anderen befindlichen Objekts, existierte. Indem man die beiden Akte oder Zustandsänderungen, die in Wirklichkeit vor sich gehen, in den Begriff »Tausch« zusammenfaßt, liegt die Vorstellung verlockend nahe, als wäre mit dem Tausch etwas neben oder über demjenigen geschehen, was in dem einen und in dem anderen Kontrahenten geschieht – wie wenn die begriffliche Substantialisierung im Begriff des »Kusses«, den man ja auch »tauscht«, verführen wollte, den Kuß für etwas zu halten, was irgendwo außerhalb der beiden Lippenpaare, außerhalb ihrer Bewegungen und Empfindungen läge. Auf seinen unmittelbaren [36] Inhalt angesehen, ist der Tausch nur die kausal verknüpfte Zweimaligkeit der Tatsache, daß ein Subjekt jetzt etwas hat, was es vorher nicht hatte, und dafür etwas nicht hat, was es vorher hatte. Dann aber verhält sich jener isolierte Wirt, der gewisse Opfer zur Erzielung gewisser Früchte bringen muß, genau so, wie der Tauschende: nur daß sein Kontrahent nicht ein zweites wollendes Subjekt ist, sondern die natürliche Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Dinge, die unsere Begehrungen so wenig ohne ein Opfer unsrerseits zu erfüllen pflegt, wie ein anderer Mensch es tut. Seine Wertberechnungen, nach denen er seine Handlungen bestimmt, sind generell genau dieselben, wie beim Tausch. Für das wirtschaftende Subjekt als solches ist es sicherlich vollkommen gleichgültig, ob es in seinem Besitz befindliche Substanzen oder Arbeitskräfte in den Boden versenkt oder einem anderen Menschen hingibt, wenn nur das Resultat der Hingabe für ihn das gleiche ist. Dieser subjektive Prozeß von Opfer und Gewinn in der Einzelseele ist keineswegs nur etwas Sekundäres oder Nachgebildetes gegenüber dem interindividuellen Tausch, sondern umgekehrt: der Austausch zwischen Hingabe und Errungenschaft innerhalb des Individuums ist die grundlegende Voraussetzung und gleichsam die wesentliche Substanz jedes zweiseitigen Tausches. Dieser ist eine bloße Unterart jenes, nämlich diejenige, bei der die Hingabe durch die Forderung eines anderen Individuums veranlaßt ist, während sie, mit dem gleichen Erfolg für das Subjekt, von Dingen und ihrer technisch-natürlichen Beschaffenheit veranlaßt sein kann. Es ist außerordentlich wichtig, diese Reduktion des Wirtschaftsprozesses auf dasjenige, was wirklich, d.h. in der Seele jedes Wirtschaftenden, geschieht, zu vollziehen. Man darf sich dadurch, daß beim Tausch dieser Vorgang ein wechselseitiger, durch den gleichen Vorgang in einem anderen bedingter ist, nicht darüber täuschen lassen, daß die naturale und sozusagen solipsistische Wirtschaft auf dieselbe Grundform zurückgeht wie der zweiseitige Tausch: auf den Ausgleichungsprozeß zwischen zwei subjektiven Vorgängen innerhalb des Individuums; dieser wird an und für sich von der sekundären Frage nicht berührt, ob die Anregung zu ihm von der Natur der, Dinge oder der Natur des Menschen ausgeht, rein naturalwirtschaftlich oder tauschwirtschaftlich ist. Alle Wertgefühle also, die durch beschaffbare Objekte ausgelöst werden, sind im allgemeinen nur durch den Verzicht auf andere Werte zu erreichen, wie ein solcher Verzicht nicht nur in jener mittelbaren Arbeit für uns selbst, die als Arbeit für andere auftritt, sondern oft genug in der ganz unmittelbaren Arbeit für unsere eigenen Zwecke liegt. Hiermit wird besonders klar, daß der Tausch genau so produktiv und wertbildend [37] ist, wie die eigentlich so genannte Produktion. In beiden Fällen handelt es sich darum, Güter um den Preis anderer, die man hingibt, zu empfangen, und zwar derart, daß der Endzustand einen Überschuß von Befriedigungsgefühlen gegenüber dem Zustand vor der Aktion ergibt. Wir können weder Stoffe noch Kräfte neu schaffen, sondern nur die gegebenen so umlagern, daß möglichst viele in der Wirklichkeitsreihe stehende zugleich in die Wertreihe aufsteigen. Diese formale Verschiebung innerhalb des gegebenen Materials aber vollbringt der Tausch zwischen Menschen genau so wie der mit der Natur, den wir Produktion nennen, die also beide unter den gleichen Wertbegriff gehören: bei beiden handelt es sich darum, die leergewordene Stelle des Hingegebenen durch ein Objekt größeren Wertes auszufüllen, und erst in dieser Bewegung löst sich das vorher mit dem bedürfenden und genießenden Ich verschmolzene Objekt von diesem und wird zu einem Wert. Auf den tiefen Zusammenhang zwischen dem Wert und dem Tausch, der nicht nur diesen durch jenen, sondern auch jenen durch diesen bedingt sein läßt, weist schon die Gleichheit des Umfanges hin, in dem sie beide das praktische Leben fundamentieren. So sehr unser Leben durch den Mechanismus und die Sachlichkeit der Dinge bestimmt scheint, so können wir in Wirklichkeit keinen Schritt machen und keinen Gedanken denken, ohne daß unser Fühlen die Dinge mit Werten ausstattete und ihnen gemäß unser Tun dirigierte. Dieses Tun selbst aber vollzieht sich nach dem Schema des Tausches: von der niedrigsten Bedürfnisbefriedigung bis zum Erwerbe der höchsten intellektuellen und religiösen Güter muß immer ein Wert eingesetzt werden, um einen Wert zu gewinnen. Was hier Ausgangspunkt und was Folge ist, kann vielleicht nicht bestimmt werden. Denn entweder ist in den Fundamentalvorgängen beides nicht zu trennen, sondern bildet die Einheit des praktischen Lebens, die wir freilich, da wir sie als solche nicht unmittelbar ergreifen können, in jene Momente auseinanderlegen; oder zwischen beiden spielt ein unendlicher Prozeß, derart, daß zwar jeder Tausch auf einen Wert, dieser Wert aber seinerseits auf einen Tausch zurückgeht. Das Fruchtbarere und eigentlich Aufklärende aber ist, mindestens für unsere Betrachtung, der Weg vom Tausche zum Werte, da das Umgekehrte uns bekannter und selbstverständlicher erscheint. – Daß der Wert sich uns als Ergebnis eines Opferprozesses darbietet, das offenbart den unendlichen Reichtum, den unser Leben dieser Grundform verdankt. Das Streben nach möglichster Verkleinerung des Opfers und die schmerzliche Empfindung seiner lassen uns glauben, daß erst sein vollständiger Fortfall das Leben auf seine äußerste Werthöhe heben würde. Aber hierbei übersehen wir, daß [38] das Opfer keineswegs immer eine äußere Barriere ist, sondern die innere Bedingung des Zieles selbst und des Weges zu ihm. Die rätselhafte Einheit unseres praktischen Verhältnisses zu den Dingen zerlegen wir in Opfer und Gewinn, Hemmung und Erreichen, und indem das Leben in seinen differenzierten Stadien oft beides zeitlich trennt, vergessen wir, daß, wenn das Ziel sich uns ohne solche zu überwindende Hinderung verliehe, es gar nicht mehr ebendasselbe Ziel sein würde. Der Widerstand, den unsere Kraft zu vernichten hat, gibt ihr doch erst die Möglichkeit, sich zu bewähren; die Sünde, nach deren Überwindung die Seele zum Heile aufsteigt, sichert ihr erst jene »Freude im Himmel«, die dort an den von vornherein Gerechten nicht geknüpft wird; jede Synthese bedarf des gleichzeitig wirksamen analytischen Prinzips, das sie doch eben verneint (weil sie ohne dieses nicht die Synthese mehrerer Elemente, sondern ein absolutes Eins wäre), und ebenso jede Analyse einer Synthese, in deren Aufhebung sie besteht (denn sie fordert noch immer ein gewisses Zusammengehören, ohne das sie bloße Beziehungslosigkeit wäre: auch die bitterste Feindschaft ist noch mehr Zusammenhang als die einfache Gleichgültigkeit, die Gleichgültigkeit noch mehr als das bloße Nicht-von- einander-Wissen). Kurz, die hemmende Gegenbewegung, deren Beseitigung eben das Opfer bedeutet, ist oft (vielleicht, auf die elementaren Vorgänge hin angesehen, sogar immer) die positive Voraussetzung des Zieles selbst. Das Opfer gehört keineswegs, wie Oberflächlichkeit und Habgier vorspiegeln möchten, in die Kategorie des Nicht-sein-Sollenden. Es ist nicht nur die Bedingung einzelner Werte, sondern, innerhalb des Wirtschaftlichen, das uns hier angeht, die Bedingung des Wertes überhaupt; nicht nur der Preis, der für einzelne, bereits festgestellte Werte zu zahlen ist, sondern der, durch den allein es zu Werten kommen kann.

Der Tausch nun vollzieht sich in zwei Formen, die ich hier nur für den Arbeitswert andeuten will. Insoweit der Wunsch nach Muße oder einem bloßen sich selbst genügenden Spiel der Kräfte oder der Vermeidung der an sich lästigen Anstrengung besteht, ist jede Arbeit unbestreitbar eine Aufopferung. Allein neben diesen Antrieben liegt ein Quantum latenter Arbeitsenergie, mit dem wir entweder von ihm aus nichts anzufangen wüßten, oder das sich durch einen Trieb zu freiwilligem, weder durch Not noch durch ethische Motive hervorgerufenem Arbeiten zeigt. Um dieses Quantum Arbeitskraft, dessen Hingabe an und für sich keine Aufopferung ist, konkurrieren eine Mehrzahl von Anforderungen, für deren Gesamtheit es nicht zureicht. Bei jeder Verwendung der Kraft müssen also eine oder mehrere mögliche und wünschenswerte Verwendungen derselben aufgeopfert [39] werden. Könnten wir die Kraft, mit der wir die Arbeit A leisten, nicht auch nützlich auf die Arbeit B verwenden, so würde jene erstere uns gar kein Opfer kosten; dasselbe aber gilt auch für B, falls wir diese etwa statt A vollbrächten. Was also, unter eudämonistischer Minderung, hingegeben wird, ist nicht die Arbeit, sondern gerade die Nichtarbeit; wir zahlen für A nicht das Opfer der Arbeit – denn diese hinzugeben macht uns, wie wir hier voraussetzen, an sich keinerlei Beschwerde –, sondern den Verzicht auf B. Das Opfer also, das wir bei der Arbeit in den Tausch geben, ist einmal sozusagen ein absolutes, ein anderes Mal ein relatives: das Leiden, das wir auf uns nehmen, ist einmal ein unmittelbar mit der Arbeit verbundenes – wo sie uns Mühe und Plage ist –, ein anderes Mal ein indirektes, wo wir das eine Objekt nur unter Verzicht auf das andere, bei eudämonistischer Irrelevanz oder sogar positivem Werte der Arbeit selbst, erlangen können. Damit sind also auch die Fälle der gern geleisteten Arbeit auf die Form des entsagungsvollen Tausches zurückgeführt, durch den die Wirtschaft allenthalben charakterisiert wird.

Daß an den Gegenständen eine bestimmte Höhe des Wertes bestände, mit der sie in die Relation der Wirtschaft eintreten, indem jedes von den je zwei Objekten einer Transaktion für den einen Kontrahenten den erstrebten Gewinn, für den anderen das dargebrachte Opfer bedeutet – das gilt wohl für die ausgebildete Wirtschaft, aber nicht für die Grundprozesse, die sie erst bilden. Die logische Schwierigkeit: daß zwei Dinge doch erst dann gleichen Wert haben könnten, wenn zuerst jedes für sich einen Wert habe, – scheint sich freilich durch die Analogie zu erweisen, daß doch auch zwei Linien nur gleich lang sein könnten, wenn jede von ihnen schon vor der Vergleichung eine bestimmte Länge besäße. Allein sie besitzt diese, genau angesehen, wirklich erst in dem Augenblick der Vergleichung mit einer anderen. Denn die Bestimmung ihrer Länge – da sie doch nicht »lang« schlechthin ist – kann sie nicht durch sich selbst erhalten, sondern nur durch eine andere, an der sie sich mißt, und der sie eben damit den gleichen Dienst leistet, obgleich das Resultat der Messung nicht von diesem Aktus selbst, sondern von jeder, wie sie unabhängig von der anderen ist, abhängt. Erinnern wir uns der Kategorie, unter der uns das objektive Werturteil, das ich das metaphysische nannte, begreiflich wurde: eine in der Beziehung zwischen uns und den Dingen sich entwickelnde Aufforderung, ein bestimmtes Urteil zu vollziehen, dessen Inhalt indessen nicht in den Dingen selbst liegt. So verhält sich auch das Längenurteil: von den Dingen her ergeht an uns gleichsam der Anspruch, daß wir es mit einem bestimmten Inhalt vollziehen, aber dieser Inhalt ist [40] in den Dingen nicht vorgezeichnet, sondern nur durch einen Aktus innerhalb unser realisierbar. Daß sich die Länge überhaupt erst in dem Vergleichungsprozeß herstellt und also dem Einzelobjekt als solchem, von dem sie abhängt, vorenthalten ist, verbirgt sich uns nur deshalb leicht, weil wir aus den einzelnen relativen Längen den allgemeinen Begriff der Länge abstrahiert haben – bei dem also die Bestimmtheit, ohne die es keine konkrete Länge geben kann, gerade weggelassen ist – und nun, diesen Begriff in die Dinge hineinprojizierend, meinen: diese müßten doch zunächst einmal überhaupt Länge haben, ehe dieselbe durch Vergleichung singulär bestimmt werden könnte. Es tritt hinzu, daß aus den unzähligen, längenbildenden Vergleichungen feste Maßstäbe auskristallisiert sind, durch Vergleichung mit denen allen einzelnen Raumgebilden ihre Längen bestimmt werden, so daß diese nun, gleichsam die Verkörperungen jenes abstrakten Längenbegriffes, der Relativität entrückt scheinen, weil sich zwar alles an ihnen mißt, sie selbst aber nicht mehr gemessen werden – kein geringerer Irrtum, als wenn man zwar den fallenden Apfel von der Erde, die Erde aber nicht von dem Apfel angezogen glaubt. Endlich wird uns eine der einzelnen Linie für sich zukommende Länge dadurch vorgetäuscht, daß wir an ihren einzelnen Teilen schon die Mehrheit der Elemente haben, in deren Relation die Menge besteht. Denken wir uns, daß es in der ganzen Welt nur eine einzige Linie gäbe, so würde diese überhaupt nicht »lang« sein, da es ihr an der Korrelation mit einer anderen fehlte, – weshalb man denn auch anerkanntermaßen von der Welt als einem Ganzen keine Maßbestimmung aussagen kann, weil sie nichts außer sich hat, in Relation womit sie eine Größe haben könnte. In dieser Lage aber befindet sich tatsächlich jede Linie, solange sie ohne Vergleich mit anderen bzw. ohne Vergleich ihrer Teile untereinander betrachtet wird: sie ist weder kurz noch lang, sondern noch jenseits der ganzen Kategorie. Diese Analogie also, statt die Relativität des wirtschaftlichen Wertes zu widerlegen, verdeutlicht sie vielmehr.

Wenn wir die Wirtschaft als einen Spezialfall der allgemeinen Lebensform des Tausches, der Hingabe gegen einen Gewinn ansehen müssen, so werden wir schon von vornherein auch innerhalb ihrer das Vorkommnis vermuten: daß der Wert des Gewinnes nicht sozusagen fertig mitgebracht wird, sondern dem begehrten Objekt teilweise oder sogar ganz erst durch das Maß des dafür erforderlichen Opfers zuwächst. Diese ebenso häufigen wie für die Wertlehre wichtigen Fälle scheinen freilich einen inneren Widerspruch zu beherbergen: als ließen sie uns das Opfer eines Wertes für Dinge bringen, die uns an sich wertlos sind. Vernünftigerweise gebe doch niemand einen Wert [41] dahin, ohne einen mindestens gleich hohen dafür zu erhalten, und daß umgekehrt das Ziel seinen Wert erst durch den Preis, den wir dafür geben müssen, erhalte, könne nur in der verkehrten Welt vorkommen. Nun ist das für das unmittelbare Bewußtsein schon zutreffend, ja zutreffender, als jener populäre Standpunkt in anderen Fällen meint. Tatsächlich kann der Wert, den ein Subjekt für einen anderen aufgibt, für dieses Subjekt selbst, unter den tatsächlichen Umständen des Augenblicks, niemals größer sein als der, den es eintauscht. Aller entgegengesetzte Schein beruht auf der Verwechslung des wirklich vom Subjekt empfundenen Wertes mit demjenigen, der dem betreffenden Tauschgegenstand nach der sonstigen durchschnittlichen oder als objektiv erscheinenden Taxierung zukommt. So gibt jemand in Hungersnot ein Kleinod für ein Stück Brot fort, weil ihm das letztere unter den gegebenen Umständen mehr wert ist als das erstere. Bestimmte Umstände aber gehören immer dazu, um an ein Objekt ein Wertgefühl zu knüpfen, da jedes solche von dem ganzen vielgliedrigen, in stetem Fluß, Anpassung und Umbildung begriffenen Komplex unseres Fühlens getragen wird; ob diese Umstände einmalige oder relativ beständige sind, ist offenbar prinzipiell gleichgültig. Durch die Tatsache, daß der Hungernde das Kleinod fortgibt, beweist er unzweideutig, daß ihm das Brot mehr wert ist. Das also ist kein Zweifel, daß im Moment des Tausches, der Darbringung des Opfers, der Wert des eingetauschten Gegenstandes die Grenze bildet, bis zu der der Wert des weggegebenen höchstens steigen kann. Ganz unabhängig davon besteht die Frage, woher jenes erstere Objekt denn seinen so erforderlichen Wert bezieht, und ob nicht etwa aus den dafür zu bringenden Opfern, so daß die Äquivalenz zwischen Gewinn und Preis gleichsam a posteriori und von dem letzteren aus hergestellt würde. Wir werden gleich sehen, wie häufig der Wert auf diese unlogisch erscheinende Weise psychologisch entspringt. Ist er aber einmal zustande gekommen, so besteht freilich auch für ihn nicht weniger als für den auf jede andere Weise konstituierten die psychologische Notwendigkeit, ihn für ein mindestens ebenso großes positives Gut zu halten, wie die Aufopferung für ihn ein negatives ist. Tatsächlich kennt schon die oberflächliche psychologische Betrachtung eine Reihe von Fällen, in denen das Opfer den Wert des Zieles nicht nur steigert, sondern sogar allein hervorbringt. Es ist zunächst die Lust der Kraftbewährung, der Überwindung von Schwierigkeiten, ja oft die des Widerspruchs, die sich in diesem Prozeß ausspricht. Der notwendige Umweg zur Erlangung gewisser Dinge ist oft die Gelegenheit, oft aber auch die Ursache, sie als Werte zu fühlen. In den Beziehungen der Menschen [42] untereinander, am häufigsten und deutlichsten in erotischen, bemerken wir, wie Reserviertheit, Gleichgültigkeit oder Abweisung gerade den leidenschaftlichsten Wunsch, über diese Hindernisse zu siegen, entflammen und uns zu Bemühungen und Opfern veranlassen, deren uns das Ziel ohne diese Widerstände sicher oft nicht würdig erschienen wäre. Für viele Menschen würde die ästhetische Ausbeute der großen Alpenbesteigungen nicht weiter beachtenswert sein, wenn sie nicht den Preis außerordentlicher Mühen und Gefahren forderte und erst dadurch Betonung, Anziehungskraft und Weihe erhielte. Der Reiz der Antiquitäten und Kuriositäten ist oft kein anderer; wenn keinerlei ästhetisches oder historisches Interesse an ihnen haftet, so wird dieses durch die bloße Schwierigkeit ihrer Erlangung ersetzt: sie sind so viel wert, wie sie kosten, was dann erst sekundär so erscheint, daß sie so viel kosten, wie sie wert sind. Weiter: alles sittliche Verdienst bedeutet, daß um der sittlich wünschenswerten Tat willen erst entgegengerichtete Triebe und Wünsche niedergekämpft und geopfert werden mußten. Wenn sie ohne jede Überwindung geschieht, als der selbstverständliche Erfolg ungehemmter Impulse, so wird ihr, so objektiv er wünscht ihr Inhalt sei, dennoch nicht in demselben Sinn ein subjektiv sittlicher Wert zugesprochen. Nur durch das Opfer vielmehr der niedrigeren und doch so versucherischen Güter wird die Höhe des sittlichen Verdienstes erreicht, und eine um so höhere, je lockender die Versuchungen und je tiefer und umfassender ihr Opfer war. Sehen wir zu, welche menschlichen Leistungen die höchsten Ehren und Schätzungen erfahren, so sind es immer die, die ein Maximum von Vertiefung, Kraftaufwand, beharrlicher Konzentration des ganzen Wesens verraten oder wenigstens zu verraten scheinen – damit also auch von Entsagung, von Aufopferung alles abseits Liegenden, von Hingabe des Subjektiven an die objektive Idee. Und wenn im Gegensatz dazu die ästhetische Produktion und alles Leichte, Anmutige, aus der Selbstverständlichkeit des Triebes Quellende einen unvergleichlichen Reiz entfaltet, so verdankt dieser seine Besonderheit doch auch dem mitschwebenden Gefühle von den Lasten und Opfern, die sonst die Bedingung des gleichen Gewinnes sind. Die Beweglichkeit und unerschöpfliche Kombinationsfähigkeit unserer seelischen Inhalte bewirkt es häufig, daß die Bedeutsamkeit eines Zusammenhanges auf seine direkte Umkehrung übertragen wird, ungefähr, wie die Assoziation zwischen zwei Vorstellungen ebenso dadurch zustande kommt, daß sie einander zugesprochen, wie daß sie einander abgesprochen werden. Den ganz spezifischen Wert dessen, was wir ohne überwundene Schwierigkeit und wie ein Geschenk glücklichen Zufalls gewinnen, empfinden wir doch nur auf Grund der Bedeutung, [43] die gerade das schwer Errungene, an Opfern Gemessene für uns hat – es ist derselbe Wert, aber mit negativem Vorzeichen, und dieser ist der primäre, aus dem jener – aber nicht umgekehrt! – sich ableiten läßt.

Dies mögen freilich exaggerierte oder Ausnahmefälle sein. Um ihren Typus in der ganzen Breite, des wirtschaftlichen Wertgebietes zu finden, scheint es zunächst erforderlich, die Wirtschaftlichkeit, als eine spezifische Differenz oder Form, von der Tatsache der Werte als dem Allgemeinen oder der Substanz derselben begrifflich zu trennen. Nehmen wir den Wert als etwas Gegebenes und jetzt nicht zu Diskutierendes hin, so ist nach allem Vorangegangenen wenigstens dies nicht zweifelhaft, daß der wirtschaftliche Wert als solcher einem Gegenstand nicht in seinem isolierten Fürsichsein, sondern nur durch die Aufwendung eines anderen Gegenstandes zukommt, der für ihn hingegeben wird. Die wildwachsende Frucht, die ohne Mühe gepflückt und nicht in Tausch gegeben, sondern unmittelbar genossen wird, ist kein wirtschaftliches Gut; sie kann als solches höchstens dann gelten, wenn ihre Konsumtion etwa einen anderweitigen wirtschaftlichen Aufwand erspart; wenn aber sämtliche Erfordernisse der Lebenshaltung auf diese Weise zu befriedigen wären, daß sich an keinen Punkt ein Opfer knüpfte, so würden die Menschen eben nicht wirtschaften, so wenig wie die Vögel oder die Fische oder die Bevölkerung des Schlaraffenlandes. Auf welchem Wege auch die beiden Objekte A und B zu Werten geworden seien: zu einem wirtschaftlichen Werte wird A erst dadurch, daß ich B dafür geben muß, B erst dadurch, daß ich A dafür erhalten kann – wobei es, wie erwähnt, prinzipiell gleichgültig ist, ob das Opfer sich durch die Hingabe eines Wertes an einen anderen Menschen, also durch interindividuellen Tausch – oder innerhalb des Interessenkreises des Individuums, durch die Aufrechnung von Bemühungen und Resultaten, vollzieht. An den Objekten der Wirtschaft ist schlechthin nichts zu finden, außer der Bedeutung, die jedes direkt oder indirekt für unsere Konsumtion hat, und dem Austausch, der zwischen ihnen vorgeht. Da nun anerkanntermaßen die erstere für sich allein noch nicht ausreicht, den Gegenstand zu einem wirtschaftlichen zu machen, so kann ganz allein der letztere ihm die spezifische Differenz, die wir wirtschaftlich nennen, zusetzen. Allein diese Trennung zwischen dem Werte und seiner wirtschaftlichen Bewegungsform ist eine künstliche. Wenn zunächst die Wirtschaft eine bloße Form in dem Sinne zu sein scheint, daß sie schon Werte als ihre Inhalte voraus setzt, um sie in die Ausgleichungsbewegung zwischen Opfer und Gewinn hineinziehen zu können, so läßt sich doch in Wirklichkeit derselbe [44] Prozeß, der die vorausgesetzten Werte zu einer Wirtschaft bildet, als Erzeuger der wirtschaftlichen Werte selbst folgendermaßen darlegen.

Die Wirtschaftsform des Wertes steht zwischen zwei Grenzen: einerseits der Begehrung des Objekts, die sich an das antizipierte Befriedigungsgefühl aus seinem Besitz und Genuß anschließt, andrerseits diesem Genuß selbst, der, genau angesehen, kein wirtschaftlicher Akt ist. Sobald man nämlich das eben Behandelte zugibt – was wohl allgemein geschieht –, daß die unmittelbare Konsumtion der wildwachsenden Frucht kein wirtschaftliches Tun und diese selbst also kein wirtschaftlicher Wert ist (außer soweit sie eben die Produktion wirtschaftlicher Werte erspart) – so ist auch die Konsumtion eigentlich wirtschaftlicher Werte selbst nicht mehr wirtschaftlich: denn der Konsumtionsakt in diesem letzteren Falle unterscheidet sich absolut nicht von dem im ersteren Falle: ob jemand die Frucht, die er ißt, zufällig gefunden, gestohlen, selbst gezogen oder gekauft hat, macht in dem Eßakt selber und seinen direkten Folgen für ihn nicht den geringsten Unterschied. Nun ist, wie wir gesehen haben, der Gegenstand überhaupt noch kein Wert, solange er noch als unmittelbarer Erreger von Gefühlen in den subjektiven Vorgang eingeschmolzen ist, gleichsam eine selbstverständliche Kompetenz unseres Gefühlsvermögens bildet. Er muß von diesem erst getrennt sein, um die eigentliche Bedeutung, die wir Wert nennen, für uns zu gewinnen. Denn es ist nicht nur sicher, daß das Begehren an und für sich überhaupt keinen Wert begründen könnte, wenn es nicht auf Hindernisse stieße: wenn jedes Begehren seine Befriedigung kampflos und restlos fände, so würde nicht nur ein wirtschaftlicher Wertverkehr nie entstanden sein, – sondern das Begehren selbst wäre nie zu einer erheblichen Höhe gestiegen, wenn es sich ohne weiteres befriedigen könnte. Erst der Aufschub der Befriedigung durch das Hindernis, die Besorgnis, das Objekt könne einem entgehen, die Spannung des Ringens darum, bringt die Summierung der Begehrungsmomente zustande: die Intensität des Wollens und die Kontinuität des Erwerbens. Wenn aber selbst die höchste Kraft des Begehrens rein von innen her entstanden wäre, so würde man – wie unzähligemal hervorgehoben ist – dem Objekt, das es befriedigt, doch keinen Wert zusprechen, wenn es uns in unbegrenzter Fülle zuflösse. Wichtig wäre für uns dann freilich das ganze Genus, dessen Dasein uns die Befriedigung unserer Wünsche verbürgt, nicht aber dasjenige Teilquantum, dessen wir uns tatsächlich bemächtigen, weil dieses ebenso mühelos durch ein anderes ersetzt werden könnte; wobei aber auch jene Gesamtheit ein Wertbewußtsein nur von dem Gedanken ihres möglichen Fehlens [45] aus gewänne. Unser Bewußtsein würde in diesem Falle einfach von dem Rhythmus der subjektiven Begehrungen und Befriedigungen erfüllt sein, ohne an das vermittelnde Objekt eine Aufmerksamkeit zu knüpfen. Das Bedürfen einerseits, der Genuß andrerseits für sich allein enthalten weder den Wert noch die Wirtschaft in sich. Beides verwirklicht sich gleichzeitig erst durch den Tausch zwischen zwei Subjekten; von denen jedes dem anderen einen Verzicht zur Bedingung des Befriedigungsgefühles macht, bzw. durch dessen Seitenstück in der solipsistischen Wirtschaft. Durch den Austausch, also die Wirtschaft, entstehen zugleich die Werte der Wirtschaft, weil er der Träger oder Produzent der Distanz zwischen dem Subjekt und dem Objekt ist, die den subjektiven Gefühlszustand in die objektive Wertung überführt. Ich führte schon oben Kants Zusammenfassung seiner Erkenntnislehre an: die Bedingungen der Erfahrung seien zugleich die Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung – womit er meinte, daß der Prozeß, den wir Erfahrung nennen, und die Vorstellungen, die dessen Inhalte oder Gegenstände bilden, ebendenselben Gesetzen des Verstandes unterliegen. Die Gegenstände können deshalb in unsere Erfahrung eingehen, von uns erfahren werden, weil sie Vorstellungen in uns sind, und die gleiche Kraft, die die Erfahrung bildet und bestimmt, sich in der Bildung jener äußert. In demselben Sinne können wir hier sagen: die Möglichkeit der Wirtschaft ist zugleich die Möglichkeit der Gegenstände der Wirtschaft. Eben der Vorgang zwischen zwei Eigentümern von Objekten (Substanzen, Arbeitskräften, Rechten, Mitteilbarkeiten jeder Art), der sie in die »Wirtschaft« genannte Beziehung bringt, nämlich die – wechselseitige -Hingabe, hebt zugleich jedes dieser Objekte erst in die Kategorie des Wertes. Der Schwierigkeit, die von selten der Logik drohte: daß die Werte doch erst dasein, als Werte dasein müßten, um in die Form und Bewegung der Wirtschaft einzutreten, ist nun abgeholfen, und zwar durch die eingesehene Bedeutung jenes psychischen Verhältnisses, das wir als die Distanz zwischen uns und den Dingen bezeichneten; denn dieses differenziert den ursprünglichen subjektiven Gefühlszustand in das die Gefühle erst antizipierende, begehrende Subjekt und das ihm gegenüberstehende, nun in sich den Wert enthaltende Objekt – während die Distanz ihrerseits auf dem Gebiete der Wirtschaft durch den Tausch, d.h. durch die zweiseitige Bewirkung von Schranken, Hemmung, Verzicht hergestellt wird. Die Werte der Wirtschaft erzeugen sich also in derselben Gegenseitigkeit und Relativität, in der die Wirtschaftlichkeit der Werte besteht. –

Der Tausch ist nicht die Addition zweier Prozesse des Gebens und Empfangens, sondern ein neues Drittes, das entsteht, indem jeder [46] von beiden Prozessen in absolutem Zugleich Ursache und Wirkung des anderen ist. Dadurch wird aus dem Wert, den die Notwendigkeit des Verzichtes dem Objekt verleiht, der wirtschaftliche Wert. Erwächst der Wert im allgemeinen in dem Intervall, das Hemmnisse, Verzichte, Opfer zwischen den Willen und seine Befriedigung schieben, so braucht, wenn der Tauschprozeß in jener wechselseitigen Bedingtheit des Nehmens und des Gebens besteht, kein Wertungsprozeß vorangegangen zu sein, der dieses Objekt allein für dieses Subjekt allein zu einem Wert machte. Sondern das hierzu Erforderliche vollzieht sich eo ipso in dem Tauschakt. In der empirischen Wirtschaft pflegen die Dinge natürlich längst mit dem Wertzeichen versehen zu sein, wenn sie in den Tausch eintreten. Was hier gemeint ist, ist nur der innere, sozusagen systematische Sinn des Wert- und Tauschbegriffes, der in den historischen Erscheinungen nur rudimentär lebt oder als ihre ideelle Bedeutung, nicht die Form, in der sie als wirkliche leben, sondern die sie in der Projektion auf die Ebene des sachlich-logischen, nicht des historisch-genetischen Verständnisses zeigen.

Diese Überführung des wirtschaftlichen Wertbegriffes aus dem Charakter isolierender Substantialität in den lebendigen Prozeß der Relation faßt sich weiterhin auf Grund derjenigen Momente erläutern, die man als die Konstituenten des Wertes anzusehen pflegt: Brauchbarkeit und Seltenheit. Die Brauchbarkeit erscheint hier als die erste, in der Verfassung der wirtschaftenden Subjekte begründete Bedingung, unter der allein ein Objekt für die Wirtschaft überhaupt in Frage stehen kann. Damit es zu einer konkreten Höhe des einzelner Wertes komme, muß zu ihr die Seltenheit treten, als eine Bestimmtheit der Objektreihe selbst. Will man die Wirtschaftswerte durch Nachfrage und Angebot fixieren lassen, so entspräche die Nachfrage der Brauchbarkeit, das Angebot dem Seltenheitsmoment. Denn die Brauchbarkeit würde entscheiden, ob wir dem Gegenstande überhaupt nachfragen, die Seltenheit, welchen Preis wir dafür zu bewilligen gezwungen sind. Die Brauchbarkeit tritt als der absolute Bestandteil der wirtschaftlichen Werte auf, als derjenige, dessen Größe bestimmt sein muß, damit er nun mit dieser in die Bewegung des wirtschaftlichen Austausches eintrete. Die Seltenheit muß man zwar von vornherein als ein bloß relatives Moment zugeben, da sie ausschließlich das – quantitative – Verhältnis bedeute, in dem das fragliche Objekt zu der vorhandenen Gesamtheit von seinesgleichen steht, das qualitative Wesen des Objekts also überhaupt nicht berühre. Die Brauchbarkeit aber scheint vor aller Wirtschaft, allem Vergleiche, aller Beziehung zu anderen Objekten zu bestehen und, als [47] das substantielle Moment der Wirtschaft, deren Bewegungen von sich abhängig zu machen.

Der Umstand, dessen Wirksamkeit hiermit umschrieben ist, wird nun vor allen Dingen durch den Begriff der Brauchbarkeit (oder Nützlichkeit) nicht richtig bezeichnet. Was man in Wirklichkeit meint, ist die Begehrtheit des Objekts. Alle Brauchbarkeit ist nämlich nicht imstande, zu wirtschaftlichen Operationen mit dem Gegenstande zu veranlassen, wenn sie nicht Begehrtheit desselben zur Folge hat. Und tatsächlich hat sie das nicht immer. Irgendein »Wünschen« mag mit jeder Vorstellung uns nützlicher Dinge mitklingen, das wirkliche Begehren aber, das wirtschaftliche Bedeutung hat und unsere Praxis einleitet, bleibt auch solchen gegenüber aus, wenn lange Armut, konstitutionelle Trägheit, Ableitung auf andere Interessengebiete, Gleichgültigkeit des Gefühls gegen den theoretisch anerkannten Nutzen, eingesehene Unmöglichkeit des Erlangens und andere positive und negative Momente dem entgegenwirken. Andrerseits werden mancherlei Dinge von uns begehrt und also wirtschaftlich gewertet, die man ohne willkürliche Dehnung des Sprachgebrauchs nicht als nützlich oder brauchbar bezeichnen kann: will man aber diese zulassend alles wirtschaftlich Begehrte unter den Begriff der Brauchbarkeit bringen, so ist es dennoch logisch erforderlich – da andrerseits nicht alles Brauchbare auch begehrt wird –, als das definitiv entscheidende Moment für die wirtschaftliche Bewegung die Begehrtheit der Objekte anzusetzen. Aber dasselbe ist selbst nach dieser Korrektur keineswegs ein absolutes, der Relativität der Wertung sich entziehendes. Es kommt nämlich erstens, wie wir früher gesehen haben, das Begehren selbst nicht zu bewußter Bestimmtheit, wenn sich nicht Hemmnisse, Schwierigkeiten, Opfer zwischen das Objekt und das Subjekt stellen: wir begehren erst wirklich, wo der Genuß des Gegenstandes sich an Zwischeninstanzen mißt, wo mindestens der Preis der Geduld, des Aufgebens anderen Strebens oder Genießens uns den Gegenstand in die Distanz rücken, deren Überwindenwollen das Begehren seiner ist. Sein wirtschaftlicher Wert nun, zweitens, der sich auf Grund seiner Begehrtheit erhebt, kann als Steigerung oder Sublimierung der schon im Begehren gelegenen Relativität gelten. Denn zum praktischen, d.h. in die Bewegung der Wirtschaft eingehenden Werte wird der begehrte Gegenstand nur dadurch, daß seine Begehrtheit mit der eines anderen verglichen wird und dadurch überhaupt ein Maß gewinnt. Erst wenn ein zweites Objekt da ist, von dem ich mir klar bin, daß ich es für das erste oder das erste für jenes hingeben will, hat jedes von beiden einen angebbaren wirtschaftlichen Wert. Es gibt für die Praxis so wenig ursprünglich [48] einen Einzelwert, wie es für das Bewußtsein ursprünglich die Eins gibt. Von verschiedenen Seiten ist hervorgehoben worden, daß die Zwei älter ist als die Eins. Die Stücke eines zerbrochenen Stockes fordern ein Wort für Mehrzahl, der ganze ist »Stock« schlechthin, und ihn als »einen« Stock zu bezeichnen, liegt erst Veranlassung vor, wenn etwa zwei Stöcke in irgendeiner Beziehung in Frage kommen. So führt das bloße Begehren eines Objektes noch nicht dazu, daß dieses einen wirtschaftlichen Wert hat – denn es findet in sich allein nicht das hierfür erforderliche Maß: erst die Vergleichung der Begehrungen, d.h. die Tauschbarkeit ihrer Objekte, fixiert jedes derselben als einen seiner Höhe nach bestimmten, also wirtschaftlichen Wert. Hätten wir nicht die Kategorie der Gleichheit zur Verfügung – eine jener fundamentalen, aus den unmittelbaren Einzelheiten das Weltbild gestaltenden, die sich aber zu psychologischer Wirklichkeit erst allmählich entwickeln – so würde keine noch so große »Brauchbarkeit« und »Seltenheit« einen wirtschaftlichen Verkehr erzeugt haben. Daß zwei Objekte gleich begehrenswert oder wertvoll sind, kann man mangels eines äußeren Maßstabes doch nur so feststellen, daß man beide in Wirklichkeit, oder in Gedanken gegeneinander auswechselt, ohne einen Unterschied des – sozusagen abstrakten – Wertgefühles zu bemerken. Ja, ursprünglich dürfte diese Austauschbarkeit nicht die Wertgleichheit als eine irgendwie objektive Bestimmtheit der Dinge selbst angezeigt haben, sondern die Gleichheit nichts als der Name für die Austauschbarkeit sein. – Die Intensität des Begehrens braucht an und für sich noch keine steigernde Wirkung auf den wirtschaftlichen Wert des Objekts zu haben; denn da dieser nur im Tausch zum Ausdruck kommt, so kann das Begehren ihn nur insoweit bestimmen, als es den Tausch modifiziert. Wenn ich auch einen Gegenstand sehr heftig begehre, so ist damit sein Gegenwert im Tausche noch nicht bestimmt. Denn entweder habe ich den Gegenstand noch nicht: so wird mein Begehren, wenn ich es nicht äußere, auf die Forderung des jetzigen Inhabers keinen Einfluß üben, er wird vielmehr nur nach dem Maße seines eigenen Interesses an dem Gegenstand oder des durchschnittlichen fordern; oder, ich selbst habe den Gegenstand – so wird meine Forderung entweder so hoch werden, daß der Gegenstand überhaupt aus dem Tauschverkehr ausscheidet, also insoweit kein wirtschaftlicher Wert mehr ist, oder sie wird sich auf das Maß des Interesses herabstimmen müssen, das ein Reflektant an dem Gegenstande nimmt. Das Entscheidende ist also dies: daß der wirtschaftliche, praktisch wirksame Wert niemals ein Wert überhaupt, sondern seinem Wesen und Begriff nach eine bestimmte Wertquantität ist; [49] daß diese Quantität überhaupt nur durch die Messung zweier Begehrungsintensitäten aneinander zustande kommen kann; daß die Form, in der diese Messung innerhalb der Wirtschaft geschieht, die des Austausches von Opfer und Gewinn ist; daß mithin der wirtschaftliche Gegenstand nicht, wie es oberflächlich scheint, an seiner Begehrtheit ein absolutes Wertmoment besitzt, sondern daß diese Begehrtheit ausschließlich als Fundament oder Material eines – wirklichen oder gedachten – Austausches dem Gegenstand einen Wert auswirkt.

Die Relativität des Wertes – derzufolge die gegebenen gefühlserregenden, begehrten Dinge erst in der Gegenseitigkeit des Hingabe- und Tauschprozesses zu Werten werden – scheint zu der Konsequenz zu drängen, daß der Wert nichts anderes sei als der Preis, und daß zwischen beiden keine Höhenunterschiede bestehen können, so daß das häufige Auseinanderfallen beider die Theorie widerlegen würde. Diese behauptet allerdings: daß es zunächst zu einem Werte überhaupt niemals gekommen wäre, wenn sich nicht die allgemeine Erscheinung, die wir Preis nennen, eingestellt hätte. Daß eine Sache rein ökonomisch etwas wert ist, bedeutet, daß sie mir etwas wert ist, d.h. daß ich bereit bin, etwas für sie hinzugeben. Alle seine praktischen Wirksamkeiten kann ein Wert als solcher nur entfalten, indem er anderen äquivalent, d.h. indem er tauschbar ist. Äquivalenz und Tauschbarkeit sind Wechselbegriffe, beide drücken denselben Sachverhalt in verschiedenen Formen, gleichsam in der Ruhelage und in der Bewegung, aus. Was in aller Welt kann uns bewegen, über das naiv subjektive Genießen der Dinge hinaus ihnen noch die eigentümliche Bedeutsamkeit, die wir ihren Wert nennen, zuzusprechen? Ihrer Seltenheit an und für sich kann das nicht gelingen. Denn wenn diese einfach als Tatsache bestünde und nicht in irgendeiner Weise durch uns modifizierbar wäre – was sie doch nicht nur durch die produktive Arbeit, sondern auch durch den Besitzwechsel ist –, so würden wir sie als eine natürliche und wegen der mangelnden Unterschiede vielleicht gar nicht bewußte Bestimmtheit des äußeren Kosmos hinnehmen, die den Dingen keine Betonung über ihre inhaltlichen Qualitäten hinaus verschafft. Diese quillt erst daraus, daß für die Dinge etwas bezahlt werden muß: die Geduld des Wartens, die Mühe des Suchens, die Aufwendung der Arbeitskraft, der Verzicht auf anderweitig Begehrenswürdiges. Ohne Preis also – Preis zunächst in dieser weiteren Bedeutung – kommt es zu keinem Wert. In sehr naiver Weise drückt ein Glaube gewisser Südseeinsulaner dieses Gefühl aus: wenn man den Arzt nicht bezahle, so schlage die Kur nicht an, die er verordnet hat. Daß von zwei Objekten das eine wertvoller [50] ist als das andere, stellt sich sowohl innerlich wie äußerlich nur so dar, daß ein Subjekt wohl dieses für jenes, aber nicht umgekehrt hinzugeben bereit ist. In der noch nicht vielgliedrig komplizierten Praxis kann der höhere oder geringere Wert nur Folge oder Ausdruck dieses unmittelbaren praktischen Willens zum Tausche sein. Und wenn wir sagen, wir tauschten die Dinge gegeneinander aus, weil sie gleich wertvoll sind, so ist das nur jene häufige begrifflich-sprachliche Umkehrung, mit der wir so oft jemanden zu lieben glauben, weil er bestimmte Eigenschaften besäße – während wir ihm diese Eigenschaft nur geliehen haben, weil wir ihn lieben, oder mit der wir sittliche Imperative aus religiösen Dogmen herleiten, während wir in Wirklichkeit an diese glauben, weil jene in uns lebendig sind.

Der Preis fällt seinem begrifflichen Wesen nach mit dem ökonomisch objektiven Werte zusammen; ohne ihn würde es überhaupt nicht gelingen, die Grenzlinie, die den letzteren von dem subjektiven Genuß des Gegenstandes scheidet, zu ziehen. Der Ausdruck nämlich, daß der Tausch Wertgleichheit voraussetze, ist vom Standpunkt der kontrahierenden Subjekte aus nicht zutreffend. A und B mögen ihre Besitztümer a und b untereinander eintauschen, da die beiden gleich viel wert sind. Allein A hätte keine Veranlassung, sein a fortzugeben, wenn er wirklich nur den für ihn gleich großen Wert b dafür erhielte. b muß für ihn ein größeres Wertquantum als das, was er bisher an a besessen hat, bedeuten; und ebenso muß B bei dem Tausche mehr gewinnen als einbüßen, um auf ihn einzutreten. Wenn für A also b wertvoller ist als a, für B dagegen a wertvoller als b, so gleicht sich dies objektiv, vom Standpunkt eines Beobachters, freilich aus. Allein diese Wertgleichheit besteht nicht für den Kontrahenten, der mehr empfängt, als er fortgibt. Wenn dieser dennoch überzeugt ist, mit dem anderen nach Recht und Billigkeit gehandelt und Gleichwertiges ausgetauscht zu haben, so ist dies für A so auszudrücken: objektiv zwar habe er an B Gleiches für Gleiches geliefert, der Preis (a) sei das Äquivalent für den Gegenstand (b), aber subjektiv sei der Wert von b freilich für ihn größer als der von a. Nun ist aber das Wertgefühl, das A an b knüpft, doch in sich eine Einheit und in ihm selbst der Teilstrich nicht mehr wahrnehmbar, der das objektive Wertquantum gegen seine subjektive Zugabe abgrenzte. Ausschließlich also die Tatsache, daß das Objekt ausgetauscht wird, d.h. ein Preis ist und einen Preis kostet, zieht diese Grenze, bestimmt innerhalb seines subjektiven Wertquantums den Teil, mit dem es als objektiver Gegenwert in den Verkehr eintritt.

Eine andere Beobachtung belehrt uns nicht weniger, daß der Tausch keineswegs von einer vorangehenden Vorstellung objektiver [51] Wertgleichheit bedingt ist. Sieht man nämlich zu, wie das Kind, der impulsive, und, allem Anschein nach, auch der primitive Mensch tauscht – so geben diese irgendein beliebiges Besitztum für einen Gegenstand hin, den sie gerade augenblicklich heftig begehren, gleichviel, ob die allgemeine Schätzung oder sie selbst bei ruhigem Überlegenden Preis viel zu hoch finden. Dies widerspricht der Ausmachung, daß jeder Tausch für das Bewußtsein des Subjekts ein vorteilhafter sein müsse, eben deshalb nicht, weil diese ganze Aktion subjektiv noch jenseits der Frage nach Gleichheit oder Ungleichheit der Tauschobjekte steht. Es ist eine jener rationalistischen Selbstverständlichkeiten, die so ganz unpsychologisch sind: daß jedem Tausch eine Abwägung zwischen Opfer und Gewinn vorausgegangen sei und mindestens zu einer Gleichsetzung beider geführt haben müsse. Dazu gehört eine Objektivität gegenüber dem eigenen Begehren, die jene angedeuteten Seelenverfassungen gar nicht aufbringen. Der unausgebildete oder befangene Geist tritt von der momentanen Aufgipfelung seiner Interessen nicht so weit zurück, um einen Vergleich anzustellen, er will eben im Augenblick pur das eine, und die Hingabe des anderen wirkt deshalb gar nicht als Abzug von der ersehnten Befriedigung, also gar nicht als Preis. Angesichts der Besinnungslosigkeit, mit der kindliche, unerfahrene, ungestüme Wesen das gerade Begehrte »um jeden Preis« sich aneignen, scheint es mir vielmehr wahrscheinlich, daß das Gleichheitsurteil erst der Erfahrungserfolg soundso vieler, ohne jede Abwägung vollbrachter Besitzwechsel ist. Das ganz einseitige, den Geist ganz okkupierende Begehren muß sich erst durch den Besitz beruhigt haben, um überhaupt andere Objekte zur Vergleichung mit diesem zuzulassen. Der ungeheure Abstand der Betonung, der in dem ungeschulten und unbeherrschten Geist zwischen seinem momentanen Interesse und allen anderen Vorstellungen und Schätzungen besteht, veranlaßt den Tausch, bevor es noch zu einem Urteil über den Wert – d.h. über das Verhältnis verschiedener Begehrungsquanten zueinander – gekommen ist. Daß bei ausgebildeten Wertbegriffen und leidlicher Selbstbeherrschung das Urteil über Wertgleichheit dem Tausch vorangeht, darf über die Wahrscheinlichkeit nicht täuschen, daß hier wie so oft das rationale Verhältnis sich erst aus dem psychologisch umgekehrt verlaufenden entwickelt hat (auch innerhalb der Provinz der Seele ist pros hêmas das letzte, was physei das erste ist), und daß der aus rein subjektiven Impulsen entstandene Besitzwechsel uns dann erst über den relativen Wert der Dinge belehrt hat.

Ist so der Wert gleichsam der Epigone des Preises, so scheint es ein identischer Satz, daß ihre Höhen die gleichen sein müssen. [52] Ich beziehe mich hier auf die obige Feststellung: daß in jedem individuellen Falle kein Kontrahent einen Preis zahlt, der ihm unter den gegebenen Umständen für das Erworbene zu hoch ist. Wenn in dem Chamissoschen Gedichte der Räuber mit vorgehaltener Pistole den Angefallenen zwingt, ihm Uhr und Ringe für drei Batzen zu verkaufen, so ist diesem unter solchen Umständen – da er nämlich nur so sein Leben retten kann – das Eingetauschte wirklich den Preis wert; niemand würde für einen Hungerlohn arbeiten, wenn er nicht in der Lage, in der er sich tatsächlich befindet, diesen Lohn eben dem Nichtarbeiten vorzöge. Der Schein des Paradoxen an der Behauptung von der Äquivalenz von Wert und Preis in jedem individuellen Falle entsteht nur daher, daß in diesen gewisse Vorstellungen von anderweitigen Äquivalenzen von Wert und Preis hineingebracht werden. Die relative Stabilität der Verhältnisse, von denen die Mehrzahl der Tauschhandlungen bestimmt werden, andrerseits die Analogien, die auch das noch schwankende Wertverhältnis nach der Norm bereits bestehender fixieren, bewirken die Vorstellungen: für ein bestimmtes Objekt gehöre sich eben dies und jenes bestimmte andere Objekt seinem Wert nach als Tauschäquivalent, diese beiden bzw. diese Kreise von Objekten hätten gleiche Wertgröße, und wenn innormale Umstände uns dies Objekt mit darüber oder dar unter gelegenen Gegenwerten austauschen ließen, so fielen eben Wert und Preis auseinander – obgleich sie tatsächlich in jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung seiner Umstände zusammenfallen. Man vergesse doch nicht, daß die objektive und gerechte Äquivalenz von Wert und Preis, die wir zur Norm der tatsächlichen und singulären machen, auch nur unter ganz bestimmten historischen und technischen Bedingungen gilt und mit der Änderung derselben sofort auseinanderfällt. Zwischen der Norm selbst und den Fällen, die sie als abweichende oder als adäquate charakterisiert, besteht hier also gar kein genereller, sondern sozusagen nur ein numerischer Unterschied – ungefähr wie man von einem außergewöhnlich hoch- oder außergewöhnlich tiefstehenden Individuum sagt, es sei eigentlich gar kein Mensch mehr; während doch dieser Begriff des Menschen nur ein Durchschnitt ist, der seinen normativen Charakter in dem Augenblick verlieren würde, in dem die Majorität der Menschen zu der einen oder der anderen jener Verfassungen herauf- oder herunterstiege, welche dann als die allein »menschliche« gälte. Dies einzusehen fordert freilich eine energische Befreiung von eingewurzelten und praktisch durchaus berechtigten Wertvorstellungen. Diese nämlich liegen bei irgend entwickelteren Verhältnissen in zwei Schichten übereinander: die eine gebildet aus den Traditionen des Gesellschaftskreises, [53] der Majorität der Erfahrungen, den als rein logisch erscheinenden Forderungen; die andere aus den individuellen Konstellationen, den Ansprüchen des Augenblicks, dem Zwange der zufälligen Umgebung. Gegenüber dem schnellen Wechsel innerhalb der letzteren Schicht verbirgt sich unserer Wahrnehmung die langsame Evolution der ersteren und ihre Bildung aus der Sublimierung jener, und sie erscheint als das sachlich Gerechtfertigte, als der Ausdruck einer objektiven Proportion. Wo nun bei einem Tausch zwar unter den gegebenen Umständen die Wertgefühle von Opfer und Gewinn sich mindestens gleichstehen – denn sonst würde kein Subjekt, das überhaupt vergleicht, ihn vollziehen – dieselben aber, an jenen generellen Festsetzungen gemessen, eine Diskrepanz ergeben, da spricht man von einem Auseinanderfallen von Wert und Preis. Am entschiedensten tritt dies unter den beiden – übrigens fast immer vereinigten – Voraussetzungen auf, daß eine einzige Wertqualität als der wirtschaftliche Wert schlechthin gilt und zwei Objekte also nur insofern als wertgleich anerkannt werden, als das gleiche Quantum jenes Fundamentalwertes in ihnen steckt; und daß zweitens eine bestimmte Proportion zwischen zwei Werten als die sein-sollende mit dem Akzente einer nicht nur objektiven, sondern auch moralischen Forderung auftritt. Die Vorstellung z.B., daß das eigentliche Wertmoment in allen Werten die in ihnen vergegenständlichte, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit sei, ist nach beiden Richtungen hin benutzt worden und gibt so einen – direkter oder indirekter anwendbaren – Maßstab, der den Wert in wechselnden Plus- und Minusdifferenzen gegen den Preis pendeln macht. Allein zunächst läßt die Tatsache jenes einheitlichen Wertmaßstabes ganz dahingestellt, wieso denn die Arbeitskraft zu einem Werte geworden sei. Sie wäre es schwerlich, wenn sie nicht, an verschiedenem Materiale sich betätigend und verschiedene Produkte schaffend, dadurch die Möglichkeit des Tausches ergeben hätte, oder wenn ihre Ausübung nicht als ein Opfer empfunden worden wäre, das man für den Gewinn ihres Ergebnisses bringt. Auch die Arbeitskraft wird erst durch die Möglichkeit und Wirklichkeit des Tausches in die Wertkategorie eingestellt, ganz unbeschadet des Umstandes, daß sie nachher innerhalb dieser den Maßstab für deren übrige Inhalte abgeben mag. Sei die Arbeitskraft also auch der Inhalt jedes Wertes, seine Form als Wert erhält er erst dadurch, daß sie in die Relation von Opfer und Gewinn oder Preis und Wert (hier im engeren Sinne) eingeht. In den Fällen des Auseinandertretens von Preis und Wert gäbe nach dieser Theorie der eine Kontrahent ein Quantum unmittelbarer vergegenständlichter Arbeitskraft gegen ein geringeres Quantum [54] ebenderselben hin, mit welchem indes andere – keine Arbeitskraft darstellenden – Umstände derart verbunden sind, daß er dennoch den Tausch vollzieht, z.B. Befriedigung eines Bedürfnisses, Liebhaberei, Betrug, Monopole und ähnliches. Im weiteren und subjektiven Sinne bleibt also auch hier die Äquivalenz von Wert und Gegenwert bestehen, während die einheitliche Norm Arbeitskraft, die ihre Diskrepanz ermöglicht, sich auch ihrerseits nicht der Genesis ihres Wertcharakters aus dem Tausch entzieht.

Die qualitative Bestimmtheit der Objekte, die subjektiv ihre Begehrtheit bedeutet, kann nach alledem den Anspruch, eine absolute Wertgröße zu erzeugen, nicht aufrecht erhalten: es ist immer erst die im Tausch sich verwirklichende Relation der Begehrungen zueinander, die deren Gegenstände zu wirtschaftlichen Werten macht. Unmittelbarer tritt diese Bestimmung an dem anderen der als konstitutiv geltenden Momente des Wertes hervor, an der Knappheit oder relativen Seltenheit. Der Tausch ist ja nichts anderes als der interindividuelle Versuch, die aus der Knappheit der Güter entspringenden Mißstände zu verbessern, d.h. das subjektive Entbehrungsquantum durch die Verteilungsart des gegebenen Vorrates möglichst herabzusetzen. Schon daraus folgt zunächst eine allgemeine Korrelation zwischen dem, was man – in freilich mit Recht kritisierter Weise – Seltenheitswert, und dem, was man Tauschwert nennt. Hier aber ist der Zusammenhang in umgekehrter Richtung wichtiger. Ich habe bereits hervorgehoben, daß die Knappheit der Güter schwerlich eine Wertung ihrer zur Folge hätte, wenn sie nicht durch uns modifizierbar wäre. Das ist sie eben nur auf zweierlei Weise: entweder durch die Hingabe von Arbeitskraft, die den Gütervorrat objektiv vermehrt, oder durch Hingabe bereits besessener Objekte, die als Besitzwechsel die Seltenheit des je begehrtesten Objektes für das Subjekt aufhebt. So kann man zunächst wohl sagen, daß die Knappheit der Güter im Verhältnis zu den darauf gerichteten Begehrungen objektiv den Tausch bedingt, daß aber der Tausch seinerseits erst die Seltenheit zu einem Wertmoment macht. Es ist ein Fehler in vielen Werttheorien, daß sie, wenn Brauchbarkeit und Seltenheit gegeben sind, den ökonomischen Wert, d.h. die Tauschbewegung als etwas Selbstverständliches, als die begrifflich notwendige Folge jener Prämissen setzen. Damit haben sie aber keineswegs recht. Wenn etwa ein asketisches Sich-Bescheiden neben jenen Voraussetzungen stünde, oder wenn sie nur zu Kampf oder Raub veranlaßten – was ja auch oft genug der Fall ist –, so würde kein ökonomischer Wert und kein ökonomisches Leben entstehen.

[55]

Die Ethnologie belehrt uns über die erstaunlichen Willkürlichkeiten, Schwankungen, Unangemessenheiten der Wertbegriffe in primitiven Kulturen, sobald mehr als die dringendste Notdurft des Tages in Frage steht. Nun ist kein Zweifel, daß dies infolge – allenfalls in Wechselwirkung mit – der anderen Erscheinung stattfindet: der Abneigung des primitiven Menschen gegen den Tausch. Für diese sind mehrere Gründe geltend gemacht. Weil es jenem an einem objektiven und allgemeinen Wertmaßstab fehlt, müsse er stets fürchten, im Tausche betrogen zu werden; weil das Arbeitsprodukt immer von ihm selbst und für ihn selbst hergestellt sei, entäußere er sich damit eines Teiles seiner Persönlichkeit und gebe den bösen Mächten Gewalt über sich. Vielleicht stammt die Abneigung des Naturmenschen gegen die Arbeit aus derselben Quelle. Auch hier fehlt ihm der sichere, Maßstab für den Tausch zwischen Mühe und Ertrag, er fürchtet auch von der Natur betrogen zu werden, deren Objektivität unberechenbar und schreckhaft vor ihm steht, ehe er in ausgeprobtem und geregeltem Austausch mit ihr auch sein eigenes Tun in die Distanz und Kategorie der Objektivität eingestellt hat. Das Versenktsein also in die Subjektivität des Verhaltens zum Gegenstand läßt ihm den Tausch – naturaler wie interindividueller Art –, der mit Objektivierung der Sache und ihres Wertes zusammengeht, als untunlich erscheinen. Es ist tatsächlich, als ob das erste Bewußtwerden des Objektes als solchen ein Angstgefühl mit sich brächte, als ob man damit ein Stück des Ich als von ihm losgerissen empfände. Daher sogleich die mythologische und fetischistische Deutung, die das Objekt erfährt – eine Deutung, die einerseits dieses Angstgefühl hypostasiert, ihm die einzige für den Primitivmenschen mögliche Begreiflichkeit gibt, andrerseits aber es doch mildert und, indem es das Objekt vermenschlicht, es der Versöhnung mit der Subjektivität wieder näher bringt. Aus dieser Sachlage erklären sich vielerlei Erscheinungen. Zunächst die Selbstverständlichkeit und Ehrenhaftigkeit des Raubes, des subjektiven und unnormierten Ansichreißens des gerade Gewünschten. Noch weit über die homerische Zeit hinaus erhielt sich in zurückgebliebenen griechischen Landschaften der Seeraub als legitimer Erwerb, ja, bei manchen primitiven Völkern gilt der gewaltsame Raub sogar für vornehmer als das redliche Bezahlen. Auch dies letztere ist durchaus verständlich: beim Tauschen und Bezahlen ordnet man sich einer objektiven Norm unter, vor der die starke und autonome Persönlichkeit zurückzutreten hat, wozu sie eben oft nicht geneigt ist. Daher überhaupt die Verachtung des Handels durch sehr aristokratisch – eigenwillige Naturen. Daher begünstigt aber auch der Tausch die Friedlichkeit der Beziehungen unter den Menschen, weil [56] sie in ihm eine intersubjektive, ihnen gleichmäßig übergeordnete Sachlichkeit und Normierung anerkennen.

Es gibt, wie man von vornherein vermuten muß, eine Reihe vermittelnder Erscheinungen zwischen der reinen Subjektivität des Besitzwechsels, die der Raub und das Geschenk darstellen, zu seiner Objektivität in der Form des Tausches, in dem die Dinge gemäß dem gleichen, in ihnen enthaltenen Wertquantum getauscht werden. Dahin gehört die traditionelle Gegenseitigkeit des Schenkens. Bei vielen Völkern besteht die Vorstellung, daß man ein Geschenk nur dann annehmen dürfe, wenn man es durch ein Gegengeschenk erwidern, sozusagen nachträglich erwerben könne. Dies geht direkt in den regulären Tausch über, wenn dieser, wie oft im Orient, so vor sich geht, daß der Verkäufer das Objekt dem Käufer »schenkt« – aber wehe diesem, wenn er nicht das entsprechende »Gegengeschenk« macht. Dahin gehört die sogenannte Bittarbeit, die sich in der ganzen Welt findet: das Zusammentreten von Nachbarn oder Freunden zur Beihilfe bei dringenden Arbeiten, ohne daß dafür ein Lohn gezahlt würde. Aber es ist wenigstens durchgehends üblich, die Bittarbeiter reichlich zu bewirten und ihnen möglichst ein kleines Fest zu geben, so daß z.B. von den Serben berichtet wird, nur Wohlhabende könnten es sich leisten, eine solche freiwillige Arbeitsgenossenschaft zusammenzurufen. Freilich existiert noch heute im Orient und vielfach sogar in Italien der Begriff des angemessenen Preises nicht, der für Käufer wie Verkäufer eine Schranke und Fixierung der subjektiven Vorteile bilde. Jeder verkauft so teuer und kauft so billig, wie er es vom Gegenpart durchsetzen kann, der Tausch ist ausschließlich subjektive Aktion zwischen zwei Personen, deren Ausgang nur von der Schlauheit, der Begierde, der Beharrlichkeit der Parteien, aber nicht von der Sache und ihrem überindividuell begründeten Verhältnis zum Preise abhängt. Darin eben bestünde ein Geschäft – so setzte mir ein römischer Antiquitätenhändler auseinander – daß der Kaufmann zu viel forderte und der Käufer zu wenig böte und man sich so allmählich bis zu einem akzeptabeln Punkt einander näherte. Hier sieht man also deutlich, wie sich das objektiv Angemessene aus dem Gegeneinander der Subjekte herausstellt – das Ganze ein Hineinragen der vortauschlichen Verhältnisse in eine schon durchgängige, aber noch nicht zu ihrer Konsequenz gelangte Tauschwirtschaft. Der Tausch ist schon da, es ist schon ein objektives Geschehen zwischen den Werten – aber seine Ausführung ist durchaus subjektiv, sein Modus und seine Quanten hängen ausschließlich an der Relation der personalen Qualitäten. – Hier liegt wohl auch das letzte Motiv für die sakralen Formen, die gesetzliche Fixiertheit, die Sicherung durch [57] Öffentlichkeit und Tradition, mit der das Kaufgeschäft wohl in allen frühen Kulturen ausgestattet ist. Damit erreichte man die aus dem Wesen des Tausches geforderte Über-Subjektivität, die man noch nicht durch das sachliche Verhältnis der Objekte selbst herzustellen wußte. Solange der Tausch und die Idee, daß es zwischen den Dingen so etwas wie Wertgleichheit gebe, noch etwas Neues war, wäre es zu einer Verständigung überhaupt nicht gekommen, wenn je zwei Individuen untereinander sie hätten treffen müssen. Deshalb finden wir überall und bis tief in das Mittelalter hinein nicht nur Öffentlichkeit der Tauschgeschäfte, sondern vor allem genaue Festsetzungen über die Austauschquanten der gebräuchlichen Waren, denen kein Kontrahentenpaar sich durch private Abmachungen entziehen durfte. Freilich ist diese Objektivität eine mechanische und äußerliche, die sich auf Motive und Mächte außerhalb des einzelnen Tauschaktes stützt. Die sachlich angemessene enthebt sich solcher apriorischen Festlegung und bezieht in die Berechnung die Gesamtheit der besonderen Umstände ein, die durch jene Form vergewaltigt wurden. Aber Absicht und Prinzip sind die gleichen: die übersubjektive Wertfixierung im Tausche, die eben später nur einen sachlicheren, immanenteren Weg fand. Der von Individuen frei und selbständig vollzogene Tausch setzt eine Taxierung nach in der Sache gelegenen Maßstäben voraus, und darum muß in dem vorhergehenden Stadium der Tausch inhaltlich fixiert und diese Fixierung sozial garantiert sein, weil sonst dem Individuum jeder Anhaltspunkt für die Schätzung der Gegenstände gefehlt hätte; wie das gleiche Motiv wohl auch der primitiven Arbeit allenthalben eine sozial geregelte Richtung und Vollzugsweise verliehen hat, auch hier die Wesensgleichheit zwischen Tausch und Arbeit, richtiger: die Zugehörigkeit der letzteren zu dem ersteren als höherem Begriff, erweisend. Die mannigfaltigen Beziehungen zwischen dem objektiv Gültigen – in praktischer wie in theoretischer Hinsicht – und seiner sozialen Bedeutung und Anerkennung stellen sich auch sonst vielfach in dieser Weise historisch dar: daß die soziale Wechselwirkung, Verbreitung, Normierung dem Individuum diejenige Dignität und Festigkeit eines Lebensinhaltes gewährt, die es später aus dessen sachlichem Recht; und Beweisbarkeit gewinnt. So glaubt das Kind jeden beliebigen Sachverhalt nicht aus inneren Gründen, sondern weil es den mitteilenden Personen vertraut; nicht etwas, sondern jemandem wird geglaubt. So sind wir in unserem Geschmack von der Mode, d.h. von der sozialen Verbreitung eines Tuns und Schätzens abhängig, bis wir, spät genug, die Sache selbst ästhetisch zu beurteilen wissen. So stellt; sich die Notwendigkeit für das Individuum, sich über sich selbst zu [58] erweitern und zugleich in dieser Erweiterung einen überpersönlichen: Halt und Festigkeit zu gewinnen: im Recht, in der. Erkenntnis, in der Sittlichkeit – als die Macht der Tradition dar; an Stelle dieser zuerst unentbehrlichen Normierung, die zwar über das Einzelsubjekt, aber noch nicht über Subjekte überhaupt hinausgeht, wächst allmählich die aus der Kenntnis der Dinge und dem Ergreifen der idealen Normen hervorgehende auf. Das Außer-Uns, dessen wir zu unserer Orientierung bedürfen, nimmt die leichter zugängliche Form der sozialen Allgemeinheit an, ehe es uns als objektive Bestimmtheit der Realitäten und der Ideen entgegentritt. In diesem die Kulturentwicklung durchgängig charakterisierenden Sinne also ist der Tausch ursprünglich Sache der sozialen Festsetzung, bis die Individuen die Objekte und ihre eigenen Wertungen hinreichend kennen, um die Tauschraten selbst von Fall zu Fall zu fixieren. Hier liegt das Bedenken nahe, daß diese gesellschaftlich-gesetzlichen Preistaxen, nach denen der Verkehr in allen Halbkulturen vor sich zu gehen pflegt, doch nur das Resultat vieler vorangegangener Tauschaktionen sein könnten, die zuerst in singulärer und noch unfixierter Form unter Individuen stattgefunden hätten. Allein dieser Einwand trägt nicht weiter als gegenüber der Sprache, Sitte, Recht, Religion, kurz allen grundlegenden Lebensformen, die in der Gruppe als ganzer entstehen und herrschen, und die man sich lange nur durch die Erfindung Einzelner zu erklären wußte; während sie sicher von vornherein als interindividuelle Gebilde entstanden sind, als Wechselwirkung zwischen den Einzelnen und den Vielen, so daß keinem Individuum für sich ihr Ursprung zuzuschieben ist. Ich halte es durchaus für möglich, daß der Vorgänger des sozial fixierten Tausches nicht der individuelle Tausch gewesen ist, sondern eine Art des Besitzwechsels, die überhaupt nicht Tausch war, etwa der Raub. Dann wäre der interindividuelle Tausch nichts anderes als ein Friedensvertrag gewesen, und Tausch und fixierter Tausch wären als eine einheitliche Tatsache entsprungen. Eine Analogie hierzu würden die Fälle bieten, wo der primitive Frauenraub dem exogamischen Friedensvertrag mit Nachbarn – der den Kauf und Austausch der Weiber gründet und regelt – vorangegangen ist. Die hiermit eingeführte, prinzipiell neue Eheform wird also sogleich in ihrer, das Individuum präjudizierenden Fixiertheit gesetzt. Freie Sonderverträge der gleichen, Art zwischen Einzelnen brauchen dabei keineswegs vorausgegangen zu sein, sondern zugleich mit dem Typus ist auch eine soziale Regelung gegeben. Es ist ein Vorurteil, daß jede sozial geregelte Beziehung sich aus der inhaltlich gleichen, aber in nur individueller, [59] sozial ungeregelter Form stattfindenden, historisch entwickelt haben müsse. Was ihr vorangegangen ist, kann vielmehr derselbe Inhalt in einer der Art nach ganz anderen Beziehungsform gewesen sein. Der Tausch geht über die subjektiven Aneignungsformen fremden Besitzes, den Raub und das Geschenk, hinaus – ganz dem entsprechend, daß die Geschenke an den Häuptling und die von ihm erhobenen Strafgelder die Vorstufen der Steuer sind – und findet auf diesem Wege als erste übersubjektive Möglichkeit die soziale Regelung vor, welche ihrerseits erst die Objektivität im sachlichen Sinne vorbereitet; zuerst mit dieser gesellschaftlichen Normierung wächst in jene freien Besitzwechsel zwischen Individuen die Objektivität ein, die das Wesen des Tausches ist.

Aus alledem ergibt sich: der Tausch ist ein soziologisches Gebilde sui generis, eine originäre Form und Funktion des interindividuellen Lebens, die sich keineswegs aus jener qualitativen und quantitativen Beschaffenheit der Dinge, die man als Brauchbarkeit und Seltenheit bezeichnet, durch logische Konsequenz ergibt. Umgekehrt vielmehr entwickeln beide ihre wertbildende Bedeutung erst unter der Voraussetzung des Tausches. Wo der Tausch, das Einsetzen von Opfern zum Zwecke des Gewinnes, aus irgendeinem Grunde ausgeschlossen ist, da kann alle Seltenheit des begehrten Objektes es nicht zu einem wirtschaftlichen Wert machen, bis die Möglichkeit jener Relation wieder eintritt. – Die Bedeutung des Gegenstandes für das Individuum liegt immer nur in seiner Begehrtheit; für das, was er uns leisten soll, ist seine qualitative Bestimmtheit entscheidend, und wenn wir ihn haben, in dem positiven Verhältnis zu ihm, ist es für diese Bedeutung seiner völlig einerlei, ob außer ihm noch viele, wenige oder keine Exemplare seiner Art existieren. (Ich behandle hier die Fälle nicht gesondert, in denen die Seltenheit selbst wieder eine Art qualitativer Bestimmtheit wird, die uns den Gegenstand begehrungswürdig macht, wie bei alten Briefmarken, Kuriositäten, Antiquitäten ohne ästhetischen oder historischen Wert u. ähnl.) Übrigens mag die Unterschiedsempfindung, deren es für den Genuß im engeren Sinne des Wortes bedarf, allenthalben durch eine Seltenheit des Objekts, d.h. dadurch, daß es eben nicht überall und jederzeit genossen wird, bedingt sein. Allein diese innere psychologische Bedingung des Genusses wird nicht praktisch, schon weil sie nicht zur Überwindung, sondern gerade zur Konservierung, ja zur Steigerung der Seltenheit führen müßte, was erfahrungsgemäß nicht geschieht. Um was es sich praktisch außer dem direkten, von der Qualität der Dinge abhängigen Genuß ihrer nur handeln kann, ist [60] der Weg zu demselben. Sobald dieser Weg ein langer und schwieriger ist, über Opfer an Geduld, Enttäuschungen, Arbeit, Unbequemlichkeiten. Verzichtleistungen usw. hinwegführt, nennen wir den Gegenstand »selten«. Man kann dies unmittelbar so ausdrücken: die Dinge sind nicht schwer zu erlangen, weil sie selten sind, sondern sie sind selten, weil sie schwer zu erlangen sind. Die starre äußerliche Tatsache, daß es einen zu geringen Vorrat an gewissen Gütern gibt, um all unser Begehren nach ihnen zu befriedigen, wäre an sich bedeutungslos. Es gibt viele objektiv seltene Dinge, die nicht im wirtschaftlichen Sinne selten sind; ob sie dies letztere sind, darüber entscheidet allein der Umstand, welches Maß von Kraft, Geduld, Hingabe zu ihrem Tauscherwerbe nötig ist – Opfer, die natürlich das Begehrtwerden des Objekts voraussetzen. Die Schwierigkeit des Erlangens, d.h. die Größe des in den Tausch einzusetzenden Opfers ist das eigentümliche konstitutive Wertmoment, von dem die Seltenheit nur die äußere Erscheinung, nur die Objektivierung in der Form der Quantität ausmacht. Man übersieht oft, daß die Seltenheit rein als solche doch nur eine negative Bestimmung ist, ein Seiendes durch ein Nichtseiendes charakterisiert. Das Nichtseiende aber kann nicht wirksam sein, jede positive Folge muß von einer positiven Bestimmung und Kraft ausgehen, von der jene negative gleichsam nur der Schatten ist. Diese konkreten Kräfte sind aber ersichtlich nur die in den Tausch eingesetzten. Nur darf man den Charakter der Konkretheit dadurch nicht herabgesetzt glauben, daß er hier nicht an dem Einzelwesen als solchem haftet. Die Relativität zwischen den Dingen hat die einzigartige Stellung: über das Einzelne hinauszureichen, nur an der Mehrheit als solcher zu subsistieren und doch keine bloß begriffliche Verallgemeinerung und Abstraktion zu sein.

Auch hierin drückt sich die tiefe Beziehung der Relativität zur Vergesellschaftung aus, die die unmittelbarste Veranschaulichung der Relativität an dem Material der Menschheit ist: die Gesellschaft ist das übersinguläre Gebilde, das doch nicht abstrakt ist. Durch sie wird das geschichtliche Leben der Alternative enthoben, entweder an bloßen Individuen oder in abstrakten Allgemeinheiten zu verlaufen; sie ist das Allgemeine, das zugleich konkrete Lebendigkeit hat. Daher die einzigartige Bedeutung, die der Tausch, als die wirtschaftsgeschichtliche Verwirklichung der Relativität der Dinge, für die Gesellschaft hat: er erhebt das einzelne Ding und seine Bedeutung für den einzelnen Menschen aus ihrer Singularität, aber nicht in die Sphäre des Abstrakten hinein, sondern in die Lebendigkeit der Wechselwirkung, die gleichsam der Körper des wirtschaftlichen [61] Wertes ist. Man mag den einen Gegenstand noch so genau auf seine für sich seienden Bestimmungen untersuchen: den wirtschaftlichen Wert wird man nicht finden, da dieser ausschließlich in dem Wechselverhältnis besteht, das sich auf Grund dieser Bestimmungen zwischen mehreren Gegenständen herstellt, jedes das andere bedingend und ihm die Bedeutung zurückgebend, die es von ihm empfängt.

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III.

Bevor ich nun aus diesem Begriff des wirtschaftlichen Wertes den des Geldes als seinen Gipfel und reinsten Ausdruck entwickle, ist es erforderlich, jenen selbst in ein prinzipiell bestimmtes Weltbild einzustellen, um daran die philosophische Bedeutung des Geldes zu ermessen. Denn erst wenn die Formel des wirtschaftlichen Wertes einer Weltformel parallel geht, darf die höchste Verwirklichungsstufe jener beanspruchen, über ihre unmittelbare Erscheinung hinaus, oder richtiger: in eben dieser selbst, das Dasein überhaupt deuten zu helfen.

Das regellose Nebeneinander und Durcheinander der ersten Eindrücke, die ein Objekt uns bietet, pflegen wir zu organisieren, indem wir eine bleibende und wesentliche Substanz seiner von seinen Bewegungen, Färbungen, Schicksalen trennen, deren Kommen und Gehen die Festigkeit seines Wesens ungeändert läßt. Diese Gliederung der Welt in die bleibenden Kerne verfließender Erscheinungen und die zufälligen Bestimmungen beharrender Träger wächst zu dem Gegensatz des Absoluten und des Relativen auf. Wie wir in uns selbst ein seelisches Sein zu spüren meinen, dessen Existenz und Charakter nur in sich selbst ruht, eine letzte, von allem Außer-Ihr unabhängige Instanz, und diese genau von jenen unserer Gedanken, Erlebnisse und Entwicklungen scheiden, die nur durch Beziehungen zu anderen wirklich oder meßbar werden – so suchen wir in der Welt nach den Substanzen, Größen und Kräften, deren Sein und Bedeutung in ihnen allein begründet ist, und unterscheiden sie von allen relativen Existenzen und Bestimmungen – von allen denen, die nur durch Vergleich, Berührung oder Reaktion anderer das sind, was sie sind. Die Richtung, in der dieser Gegensatz sich entwickelt, wird durch unsere physisch-psychische Anlage und ihr Verhältnis zur Welt präjudiziert. So innig in unserem Dasein auch Bewegung und Ruhe, Aktivität nach außen und Sammlung nach innen verbunden sein mögen, so daß sie ihre Wichtigkeit und Bedeutung erst aneinander [63] finden – so empfinden wir doch die eine Seite dieser Gegensätze, die Ruhe, das Substanzielle, das innerlich Feste an unseren Lebensinhalten als das eigentlich Wertvolle, als das Definitive gegenüber dem Wechselnden, Unruhigen, Äußerlichen. Es ist die Fortsetzung hiervon, wenn das Denken es im ganzen als seine Aufgabe fühlt, hinter den Flüchtigkeiten der Erscheinung, dem Auf und Nieder der Bewegungen das Unverrückbare und Verläßliche zu finden, und uns aus dem Aufeinander-Angewiesenen zu dem sich selbst Genügenden, auf sich selbst Gegründeten zu führen. So gewinnen wir die festen Punkte, die uns im Gewirr der Erscheinungen orientieren und das objektive Gegenbild dessen abgeben, was wir in uns selbst als unser Wertvolles und Definitives vorstellen. So gilt, um mit den äußerlichsten Anwendungen dieser Tendenz zu beginnen, das Licht als eine feine Substanz, die aus den Körpern strömt, so die Wärme als ein Stoff, so das körperliche Leben als Wirksamkeit substanzieller Lebensgeister, so die seelischen Vorgänge als getragen von einer besonderen Seelensubstanz; die Mythologien, die hinter den Donner einen Donnerer, unter die Erde einen festen Unterbau, damit sie nicht falle, in die Gestirne Geister setzten, die sie in ihren Bahnen herumführten, suchen nicht weniger für die wahrgenommenen Bestimmtheiten und Bewegungen eine Substanz, an der diese nicht nur hafte, sondern die eigentlich die wirksame Kraft selbst ist. Und über die bloßen Beziehungen der Dinge, über ihre Zufälligkeit und Zeitlichkeit hinaus wird ein Absolutes gesucht: frühe Denkweisen können sich mit der Entwicklung, dem Gehen und Kommen aller irdischen Formen im Körperlichen und Geistigen nicht abfinden, sondern jede Art der Lebewesen ist ihnen ein unveränderlicher Schöpfungsgedanke; Institutionen, Lebensformen, Wertungen sind von jeher, absolut, so gewesen, wie sie jetzt sind, die Erscheinungen der Welt gelten nicht nur für den Menschen und seine Organisation, sondern sie sind an und für sich so, wie wir sie vorstellen. Kurz, die erste Tendenz des Denkens, mit der es den verwirrenden Strom der Eindrücke in ein ruhiges Bett zu lenken und aus seinen Schwankungen eine feste Gestalt zu gewinnen meint, richtet sich auf die Substanz und auf das Absolute, denen gegenüber alle Einzelvorgänge und Beziehungen auf eine vorläufige, für das Erkennen zu überwindende Stufe herabgedrückt werden.

Die angeführten Beispiele ergeben, daß diese Bewegung wieder rückläufig geworden ist. Nachdem fast alle Kulturepochen einzelne Ansätze dazu gesehen haben, kann man es als eine Grundrichtung der modernen Wissenschaft bezeichnen, daß sie die Erscheinungen nicht mehr durch und als besondere Substanzen, sondern als Bewegungen [64] versteht, deren Träger gleichsam immer weiter und weiter ins Eigenschaftslose abrücken; daß sie die den Dingen anhängenden Qualitäten als quantitative, also relative Bestimmungen auszudrücken sucht; daß sie statt der absoluten Stabilität organischer, psychischer, ethischer, sozialer Formationen eine rastlose Entwicklung lehrt, in der jedes Element eine begrenzte, nur durch das Verhältnis zu seinem Vorher und Nachher festzulegende Stelle einnimmt; daß sie auf das an sich seiende Wesen der Dinge verzichtet und sich mit der Feststellung der Beziehungen begnügt, die sich zwischen den Dingen und unserem Geiste, von dem Standpunkte dieses aus gesehen, ergeben. Daß die scheinbare Ruhe der Erde nicht nur eine komplizierte Bewegung ist, sondern daß ihre ganze Stellung in Weltall nur durch ein Wechselverhältnis zu anderen Materienmassen besteht – das ist ein sehr einfacher, aber sehr eingreifender Fall des Überganges von der Festigkeit und Absolutheit der Weltinhalte zu ihrer Auflösung in Bewegungen und Relationen.

Aber alles dies scheint, selbst wenn es vollkommen durchgeführt wäre, dennoch einen festen Punkt, eine absolute Wahrheit zu ermöglichen, ja, zu fordern. Das Erkennen selbst nämlich, das jene Auflösung vollzieht, scheint sich seinerseits dem Strome der ewigen Entwicklung und der nur vergleichsweisen Bestimmtheit zu entziehen, in die es seine einzelnen Inhalte verweist. Die Auflösung der absoluten Objektivität der Erkenntnisinhalte in Vorstellungsarten, die nur für das menschliche Subjekt gültig seien, setzt doch irgendwo letzte Punkte voraus, die nicht weiter herleitbar sind; der Fluß und die Relativität der psychischen Prozesse dürfe doch diejenigen Voraussetzungen und Normen nicht berühren, nach denen wir erst entscheiden, ob unsere Erkenntnisse denn wirklich diesen oder einen anderen Charakter tragen; die bloß psychologische Herleitung, in die alle absolut objektiven Erkenntnisse aufgelöst werden sollen, bedarf doch bestimmter Axiome, die nicht selbst wieder, ohne fehlerhaften Zirkel, eine bloß psychologische Bedeutung haben dürfen. Dies ist nicht nur ein Punkt von der größten Wichtigkeit für die allgemeine Anschauung der Dinge, auf der sich alles Folgende aufbaut, sondern auch für viele Einzelheiten derselben so vorbildlich, daß er der genaueren Erörterung bedarf.

Zweifellos kann die Wahrheit irgendeines Satzes nur auf Grund von Kriterien erkannt werden, die von vornherein sicher, allgemein und über das Einzelne hinübergreifend sind; diese Kriterien können auf einzelne Gebiete beschränkt sein und ihrerseits ihre Legitimation aus noch höher gelegenen ziehen; so daß eine Reihe von Erkenntnissen übereinandergebaut ist, von denen jede nur unter der Bedingung [65] einer anderen gültig ist. Allein diese Reihe muß, um nicht in der Luft zu schweben, ja eigentlich, um überhaupt möglich zu sein, irgendwo einen letzten Grund haben, eine höchste Instanz, die allen folgenden Gliedern ihre Legitimation gibt, ohne selbst einer solchen zu bedürfen. Dies ist das Schema, in das unser tatsächliches Erkennen sich muß eingliedern lassen, und das alle Bedingtheiten und Relativitäten dieses an ein nicht mehr bedingtes Wissen knüpft. Allein: welches nun diese absolute Erkenntnis sei, können wir niemals wissen. Ihr wirklicher Inhalt ist niemals mit derselben Sicherheit auszumachen, die über ihre prinzipielle, sozusagen formale Existenz besteht, weil der Prozeß der Auflösung in höhere Prinzipien, der Versuch, das bisher letzte doch noch weiter herzuleiten, niemals an seinem Ende anlangen kann. Welchen Satz wir also auch als den letztbegründenden, über der Bedingtheit aller anderen stehenden ausgefunden hätten – die Möglichkeit, auch ihn als bloß relativ und durch einen höheren bedingt zu erkennen, bleibt bestehen; und diese Möglichkeit ist eine positive Aufforderung, da die Geschichte des Wissens sie unzählige Mal verwirklicht hat. Irgendwo freilich mag das Erkennen seine absolute Basis haben; wo es sie aber hat, können wir nie unabänderlich feststellen, und müssen daher, um das Denken nicht dogmatisch abzuschließen, jeden zuletzt erreichten Punkt so behandeln, als ob er der vorletzte wäre.

Das Ganze des Erkennens wird dadurch keineswegs skeptisch gefärbt, wie überhaupt das Mißverständnis, Relativismus und Skeptizismus zu verwechseln, ebenso grob ist wie das an Kant begangene, als man seine Verwandlung von Raum und Zeit in Bedingungen unserer Erfahrung als Skeptizismus denunzierte. Man muß freilich beide Standpunkte so beurteilen, wenn man die je entgegengesetzten von vornherein als das unbedingt richtige Bild des Wirklichen festhält, so daß jede sie verneinende Theorie als Erschütterung »der Wirklichkeit« erscheint. Konstruiert man den Begriff des Relativen so, daß er logisch ein Absolutes fordert, so kann man dieses letztere natürlich nicht ohne Widerspruch beseitigen. Der Fortgang unserer Untersuchung aber wird gerade zeigen, daß es eines Absoluten als begrifflichen Korrelativums zur Relativität der Dinge nicht bedarf; diese Forderung ist vielmehr eine Übertragung von empirischen Verhältnissen – wo allerdings ein »Verhältnis« sich zwischen Elementen erhebt, welche an und für sich jenseits dieses stehen und insoweit »absolut« sind – auf dasjenige, was aller Empirie erst zum Grunde liegt. Wenn für jetzt zugegeben wird, daß unser Erkennen irgendwo eine absolute Norm, eine nur durch sich selbst legitimierte letzte Instanz besitzen mag, der Inhalt derselben aber für unser vorschreitendes [66] Erkennen in fortwährendem Fließen bleiben muß und jeder momentan erreichte auf einen noch tieferen und für seine Aufgabe zulänglicheren hinweist – so ist dies nicht mehr Skeptizismus, als das allgemein Zugegebene: daß zwar alles Naturgeschehen unbedingt ausnahmslosen Gesetzen gehorcht, daß aber dieselben als erkannte fortwährender Korrektur unterliegen und die uns zugängigen Inhalte dieser Gesetzlichkeit immer historisch bedingt sind und jener Absolutheit ihres Allgemeinbegriffs entbehren. So wenig also die letzten Voraussetzungen eines abgeschlossenen Erkennens als nur bedingt, subjektiv oder relativ wahr gelten dürften, so sehr darf und muß es doch jede einzelne, die sich uns momentan als Erfüllung dieser Form anbietet.

Daß so jede Vorstellung nur im Verhältnis zu einer anderen wahr ist, selbst wenn das ideale, für uns aber im Unendlichen liegende System des Erkennens eine von dieser Bedingtheit gelöste Wahrheit enthalten sollte – das bezeichnet wohl einen Relativismus unseres Verhaltens, der auf anderen Gebieten in analoger Weise gilt. Für die menschlichen Vergesellschaftungen mag es Normen der Praxis geben, die, von einem übermenschlichen Geiste erkannt, das absolute und ewige Recht heißen dürften. Dieses müßte eine juristische causa sui sein, d.h. seine Legitimation in sich selbst tragen, denn sowie es sie von einer höheren Normierung entlehnte, so würde eben diese, und nicht jenes, die absolute, unter allen Umständen gültige Rechtsbestimmung bedeuten. Nun gibt es tatsächlich keinen einzigen Gesetzesinhalt, der den Anspruch auf ewige Unabänderlichkeit erheben könnte, jeder vielmehr hat nur die zeitliche Gültigkeit, die die historischen Umstände und ihr Wechsel ihm lassen. Und diese Gültigkeit bezieht er, falls seine Setzung selbst schon eine legitime und keine willkürliche ist, aus einer schon vorher bestehenden Rechtsnorm, aus der die Beseitigung des alten Rechtsinhaltes mit derselben Legalität fließt, wie sein bisheriges Bestehen. Jede Rechtsverfassung enthält also in sich die Kräfte – und zwar nicht nur die äußerlichen, sondern auch die idealrechtlichen – zu ihrer eigenen Änderung, Ausbreitung oder Aufhebung, so daß z.B. dasjenige Gesetz, das einem Parlamente die Gesetzgebung überträgt, nicht nur die Legitimität eines Gesetzes A bewirkt, das ein von demselben Parlament gegebenes Gesetz B aufhebt, sondern es sogar zu einem rechtlichen Akte macht, wenn das Parlament auf seine Legislation zugunsten einer anderen Instanz verzichtet. Das heißt also, von der anderen Seite gesehen: jedes Gesetz besitzt seine Würde als solches nur durch sein Verhältnis zu einem anderen Gesetz, keines hat sie durch sich selbst. Gerade wie ein neuer, und noch so revolutionärer Inhalt des Erkennens [67] seine Beweisbarkeit für uns doch nur aus den Inhalten, Axiomen und Methoden des bisherigen Erkenntnisstandes ziehen kann, wenngleich eine erste Wahrheit als existierend angenommen werden muß, die nicht bewiesen werden kann, die wir aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit nie erreichen können – so fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht, obgleich dessen Idee über der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen schwebt, deren jede auf die Legitimierung durch eine andere angewiesen ist. Freilich hat auch unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebenen Augenblick für uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht zu den relativen Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben eben doch nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in demselben Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken macht an ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über sie zu noch Höherem hinaufkann, das dann das bisher Axiomatische seinerseits beweist. Entsprechend gibt es freilich absolut und relativ vorrechtliche Zustände, in denen ein empirisches Recht aus Gewalt- oder anderen Gründen gesetzt wird. Allein das wird eben nicht rechtlich gesetzt; es gilt wohl als Recht, sobald es da ist, aber daß es da ist, ist keine rechtliche Tatsache; es fehlt ihm die Dignität alles dessen, was sich auf ein Gesetz stützt; und es ist tatsächlich das Bestreben jeder Macht, die ein solches rechtloses Recht setzt, irgendeine Legitimierung desselben aufzufinden oder zu fingieren, d.h. es aus einem bereits bestehenden Rechte herzuleiten – gleichsam eine Huldigung an jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen steht und von diesem niemals ergriffen werden kann, sondern für uns nur in der Form einer kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung von einer davorliegenden sein Symbol findet.

Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen nicht in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer anderen Form seiner gelingen. Verfolgt man den Beweis eines Satzes in seine Begründungen und diese wieder in die ihrigen usw., so entdeckt man bekanntlich oft, daß der Beweis nur möglich, d.h. seinerseits beweisbar ist, wenn man jenen ersten, durch ihn zu beweisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt. So sehr dies, für eine bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als einen fehlerhaften Zirkelschluß illusorisch macht, so wenig ist es doch undenkbar, daß unser Erkennen, als Ganzes betrachtet, in dieser Form befangen wäre. Bedenkt man die ungeheuere Zahl übereinandergebauter und sich ins Unendliche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus [68] nicht ausgeschlossen, daß wir den Satz A durch den Satz B beweisen, der Satz B aber, durch die Wahrheit von C, D, E usw. hindurch, schließlich nur durch die Wahrheit von A beweisbar ist. Die Kette der Argumentation C, D, E usw. braucht nur hinreichend lang angenommen zu werden, so daß ihr Zurückkehren zu ihrem Ausgangspunkt sich dem Bewußtsein entzieht, wie die Größe der Erde dem unmittelbaren Blick ihre Kugelgestalt verbirgt und die Illusion erregt, als könnte man auf ihr in gerader Richtung ins Unendliche fortschreiten; und der Zusammenhang, den wir innerhalb unserer Welterkenntnis annehmen: daß wir von jedem Punkte derselben zu jedem anderen durch Beweise hindurch gelangen können – scheint dies plausibel zu machen. Wenn wir nicht ein für allemal dogmatisch an einer Wahrheit haltmachen wollen, die ihrem Wesen nach keines Beweises bedürfe, so liegt es nahe, diese Gegenseitigkeit des Sich-Beweisens für die Grundform des – als vollendet gedachten – Erkennens zu halten. Das Erkennen ist so ein freischwebender Prozeß, dessen Elemente sich gegenseitig ihre Stellung bestimmen, wie die Materienmassen es vermöge der Schwere tun; gleich dieser ist die Wahrheit dann ein Verhältnisbegriff. Daß unser Bild der Welt auf diese Weise »in der Luft schwebt«, ist nur in der Ordnung, da ja unsere Welt selbst es tut. Das ist keine zufällige Koinzidenz der Worte, sondern Hinweisung auf den grundlegenden Zusammenhang. Die unserem Geiste eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise zu erkennen, verlegt ihre Erkennbarkeit entweder ins Unendliche oder biegt sie zu einem Kreise um, indem ein Satz nur im Verhältnis zu einem anderen, dieser andere aber schließlich nur im Verhältnis zu jenem ersten wahr ist. Das Ganze der Erkenntnis wäre dann so wenig »wahr«, wie das Ganze der Materie schwer ist; nur im Verhältnis der Teile untereinander gälten die Eigenschaften, die man von dem Ganzen nicht ohne Widerspruch aussagen könnte.

Diese Gegenseitigkeit, in der sich die inneren Erkenntniselemente die Bedeutung der Wahrheit gewähren, scheint als Ganzes von einer weiteren Relativität getragen zu werden, die zwischen den theoretischen und den praktischen Interessen unseres Lebens besteht. Wir sind überzeugt, daß alle Vorstellungen vom Seienden Funktionen besonderer physisch – psychischer Organisation sind, die dasselbe keineswegs mechanisch abspiegeln. Vielmehr, die Weltbilder des Insekts mit seinen Facettenaugen, des Adlers mit seinem Sehvermögen von einer uns kaum vorstellbaren Schärfe, des Grottenolms mit seinen zurückgebildeten Augen, unser eigenes, sowie die unzähligen anderen müssen durchaus von tiefgehender Verschiedenheit sein, woraus unmittelbar zu schließen ist, daß keines derselben [69] den außerpsychischen Weltinhalt in seiner an sich seienden Objektivität nachzeichnet. Die so wenigstens negativ charakterisierten Vorstellungen sind nun aber Voraussetzung, Material, Direktive für unser praktisches Handeln, durch das wir uns mit der Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem subjektiv bestimmten Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten von ihr bestimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet uns dieselben auch, wenigstens im großen und ganzen, in der richtigen, d.h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren leistet, deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben derselben Welt bestimmt wird. Dies ist doch eine höchst auffallende Tatsache: Handlungen auf Grund von Vorstellungen vorgenommen, die mit dem objektiv Seienden sicherlich keinerlei Gleichheit besitzen, erzielen aus diesem dennoch Erfolge von einer solchen Berechenbarkeit, Zweckmäßigkeit, Treffsicherheit, daß sie bei einer Kenntnis jener objektiven. Verhältnisse, wie sie an sich wären, nicht größer sein könnten, während andere Handlungen, nämlich die auf »falsche« Vorstellungen hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen für uns auslaufen. Und ebenso sehen wir, daß auch die Tiere Täuschungen und korrigierbaren Irrtümern unterliegen. Was kann nun die »Wahrheit« bedeuten, die für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene ist, außerdem sich mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt, und dennoch so sicher zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als ob dies letztere der Fall wäre? Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar. Die Verschiedenheit der Organisation fordert, daß jede Art, um sich zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich auf eine besondere, von den ändern abweichende Art praktisch verhalten muß. Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsgebilde geleitet und bestimmt wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag er sich nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht. Das wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese Vorstellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammenwirken mit den übrigen physisch-psychischen Kräften und in Hinsicht auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt. Wenn wir nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und fördernd handle er nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund falscher – was soll diese »Wahrheit«, die für jede mit Bewußtsein ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für keine ein Spiegelbild der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten, als eben diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen [70] speziellen Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen Folgen führt? Sie ist ursprünglich nicht nützlich, weil sie wahr ist, sondern umgekehrt: mit dem Ehrennamen des Wahren statten wir diejenigen Vorstellungen aus, die, als reale Kräfte oder Bewegungen in uns wirksam, uns zu nützlichem Verhalten veranlassen. Darum gibt es soviel prinzipiell verschiedene Wahrheiten, wie es prinzipiell verschiedene Organisationen und Lebensanforderungen gibt. Dasjenige Sinnenbild, das für das Insekt Wahrheit ist, wäre es offenbar nicht für den Adler; denn eben dasselbe, auf Grund dessen das Insekt im Zusammenhang seiner inneren und äußeren Konstellationen zweckmäßig handelt, würde den Adler im Zusammenhange der seinigen zu ganz unsinnigen und verderblichen Handlungen bewegen. Diese Erkenntnisse entbehren durchaus nicht der normativen Festigkeit: ja, jedes vorstellende Wesen besitzt eine prinzipiell festgelegte »Wahrheit«, die sein Vorstellen im einzelnen Fall ergreifen und verfehlen kann; das Gravitationsgesetz bleibt »wahr«, ob wir es erkennen oder nicht – trotzdem es für Wesen mit anderer Raumbildung, Denkkategorien, Zahlsystemen nicht wahr wäre. Der für uns »wahre« Vorstellungsinhalt hat die eigentümliche Struktur, zwar von unserem Wesen völlig abhängig – weil mit keinem anders beschaffenen Wesen geteilt – zu sein, in seinem Wahrheitswert dagegen völlig unabhängig von seiner physischen Realisierung. Indem auf der einen Seite das Wesen mit seiner Konstitution und seinen Bedürfnissen, auf der anderen ein objektives Sein gegeben ist, steht ideell fest, was für dieses Wesen Wahrheit ist. Da diese die für das Wesen günstigsten Vorstellungen bedeutet, so findet von ihr aus eine Auslese unter seinen psychologischen Vorgängen statt: die nützlichen fixieren sich auf den gewöhnlichen Wegen der Selektion und bilden in ihrer Gesamtheit die »wahre« Vorstellungswelt. Und tatsächlich haben wir gar kein anderes definitives Kriterium für die Wahrheit einer Vorstellung vom Seienden, als daß die auf sie hineingeleiteten Handlungen die erwünschten Konsequenzen ergeben. Haben sich nun freilich erst durch die angedeutete Auslese, d.h. durch die Züchtung gewisser Vorstellungsweisen, diese als die dauernd zweckmäßigen gefestigt, so bilden sie unter sich ein Reich des Theoretischen, das für jede neu auftretende Vorstellung nach jetzt inneren Kriterien über Zugehörigkeit oder Entgegengesetztheit zu ihm entscheidet – gerade wie die Sätze der Geometrie sich nach innerer strenger Autonomie aufeinander aufbauen, während die Axiome und die methodischen Normen, nach denen dieser Aufbau und das ganze Gebiet überhaupt möglich ist, selbst nicht geometrisch erweisbar sind. Das Ganze der Geometrie ist also gar nicht in demselben Sinne [71] gültig, in dem ihre einzelnen Sätze es sind; während diese innerhalb ihrer, einer durch den anderen, beweisbar sind, gilt jenes Ganze nur durch Beziehung auf ein außerhalb ihrer Gelegenes: auf die Natur des Raumes, auf die Art unserer Anschauung, auf den Zwang unserer Denknormen. So können sich zwar unsere einzelnen Erkenntnisse gegenseitig tragen, indem die einmal festgestellten Normen und Tatsachen zum Beweise für andere werden, aber das Ganze derselben hat seine Gültigkeit nur in Beziehung auf bestimmte physisch-psychische Organisationen, Ihre Lebensbedingungen und die Förderlichkeit ihres Handelns.

Der Begriff der Wahrheit, als einer Beziehung der Vorstellungen zueinander, die an keiner derselben als eine absolute Qualität hafte, bestätigt sich schließlich auch dem einzelnen Gegenstande gegenüber. Einen Gegenstand erkennen, so stellt Kant fest, heißt: in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirken. Aus dem chaotischen Material unseres Weltvorstellens, dem kontinuierlichen Fluß der Eindrücke, sondern wir einzelne als zueinander gehörig aus, gruppieren sie zu Einheiten, die wir dann als »Gegenstände« bezeichnen. Sobald wir die Gesamtheit der Eindrücke, die zu einer Einheit zusammenzubringen sind, wirklich in eine solche versammelt haben, so ist damit ein Gegenstand erkannt. Was aber kann diese Einheit anderes bedeuten, als das funktionelle Zusammengehören, Aufeinanderhinweisen und -angewiesensein eben jener einzelnen Eindrücke und Anschauungsmaterialien? Die Einheit der Elemente ist doch nichts außerhalb der Elemente selbst, sondern die in ihnen selbst verharrende, nur von ihnen dargestellte Form ihres Zusammenseins. Wenn ich den Gegenstand Zucker dadurch als solchen erkenne, daß ich die durch mein Bewußtsein gleitenden Eindrücke: weiß, hart, süß, kristallinisch usw. in eine Einheit zusammenfüge, so heißt das, daß ich diese Anschauungsinhalte als aneinander gebunden vorstelle, daß, unter diesen gegebenen Bedingungen, ein Zusammenhalt, d.h. eine Wechselwirkung unter ihnen besteht, daß der eine an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang da ist, weil der andere es ist, und so wechselseitig. Wie die Einheit des sozialen Körpers oder der soziale Körper als Einheit nur die gegenseitig ausgeübten Attraktions- und Kohäsionskräfte seiner Individuen bedeutet, ein rein dynamisches Verhältnis unter diesen, so ist die Einheit des einzelnen Objekts, in deren geistiger Realisierung seine Erkenntnis besteht, nichts als eine Wechselwirkung unter den Elementen seiner Anschauung. Auch in dem, was man die »Wahrheit« eines Kunstwerkes nennt, dürfte das Verhältnis seiner Elemente untereinander sehr viel bedeutsamer sein, gegenüber dem Verhältnis zu seinem Objekt, [72] als man sich klarzumachen pflegt. Sehen wir einmal vom Porträt ab, bei dem wegen des rein individuellen Vorwurfs das Problem sich kompliziert, so wird man von kleineren Bestandstücken aus Werken bildender wie redender Kunst weder den Eindruck der Wahrheit noch den der Unwahrheit empfangen, sie stehen, soweit sie isoliert sind, noch jenseits dieser Kategorie; oder von der anderen Seite angesehen: in Hinsicht der Ansatzelemente, von denen aus das Kunstwerk weitergebildet wird, ist der Künstler frei; erst wenn er einen Charakter, einen Stil, ein Farben- oder Formelement, einen Stimmungston gewählt hat, ist der Zuwachs der weiteren Teile dadurch präjudiziert. Sie müssen jetzt die Erwartungen erfüllen, die die zuerst auftretenden erregt haben. Diese mögen so phantastisch, willkürlich, irreal sein, wie sie wollen; sobald ihre Fortsetzungen sich zu ihnen harmonisch, zusammenhängend, weiterführend verhalten, wird das Ganze den Eindruck der »inneren Wahrheit« erzeugen, gleichviel ob irgendein einzelner Teil desselben sich mit einer ihm äußeren Realität deckt und damit dem Anspruch auf »Wahrheit« im gewöhnlichen und substanziellen Sinne genügt oder nicht. Die Wahrheit des Kunstwerkes bedeutet, daß es als Ganzes das Versprechen einlöst, das ein Teil seiner uns gleichsam freiwillig gegeben hat – und zwar jeder beliebige, da eben die Gegenseitigkeit des Sichentsprechens jedem einzelnen die Qualität der Wahrheit verschafft. Auch in der besonderen Nuance des Künstlerischen ist also Wahrheit ein Relationsbegriff, sie realisiert sich als ein Verhältnis der Elemente des Kunstwerkes untereinander, und nicht als eine starre Gleichheit zwischen jedem derselben und einem ihm äußeren Objekt, das seine absolute Norm bilde. Wenn demnach Erkennen überhaupt bedeuten soll: den Gegenstand in seiner »Einheit« erkennen, so bedeutet es, wie man andrerseits gesagt hat, ihn in seiner »Notwendigkeit« erkennen. Beides steht in einem tiefen Zusammenhange. Notwendigkeit ist eine Relation, durch die die gegenseitige Fremdheit zweier Elemente zu einer Einheit wird – denn die Formel der Notwendigkeit ist: wenn A ist, so ist B; diese notwendige Beziehung besagt, daß A und B die Elemente einer bestimmten Einheit des Seins oder Geschehens sind – wobei »notwendige Beziehung« eine völlig einheitliche, und nur durch die Sprache zerlegte und wieder zusammengesetzte Relation bedeutet. Jene Einheit des Kunstwerks ist ersichtlich genau dasselbe wie diese Notwendigkeit; denn sie entsteht eben dadurch, daß die verschiedenen Elemente des Kunstwerks sich gegenseitig bedingen, eines notwendig da ist, wenn das andere gegeben ist und so wechselseitig. Und nicht nur unter. den so verknüpften Dingen ist die Notwendigkeit eine Relationserscheinung, [73] sondern an sich selbst und ihrem reinen Begriffe nach. Von den beiden allgemeinsten Kategorien nämlich, aus denen wir das Erkennntnisbild der Welt bauen: dem Sein und den Gesetzen – enthält keine für sich Notwendigkeit. Daß überhaupt eine Wirklichkeit da ist, wird durch kein Gesetz notwendig gemacht, keinem logischen oder Naturgesetze wäre widersprochen, wenn es überhaupt kein Dasein gäbe. Und ebensowenig ist es »notwendig«, daß Naturgesetze existieren; sie sind vielmehr bloße Tatsachen, wie das Sein, und erst wenn. sie existieren, sind die ihnen unterworfenen Ereignisse »notwendig«; es kann kein Naturgesetz geben, daß es Naturgesetze geben müsse. Was wir Notwendigkeit nennen, besteht nur zwischen dem Sein und den Gesetzen, es ist die Form ihres Verhältnisses. Beides sind bloße, prinzipiell voneinander unabhängige Wirklichkeiten: denn das Sein ist denkbar, ohne daß es unter Gesetzen steht, und der Komplex der Gesetze würde gelten, auch wenn es kein ihm gehorsames Sein gäbe. Erst wenn sie beide da sind, erhalten die Gestaltungen des Seins Notwendigkeit, mit ihr oder in ihrer Gestalt stellt sich das Sein und die Gesetze als die Elemente einer uns unmittelbar nicht faßbaren Einheit dar: sie ist die Relation, die sich zwischen dem Sein und den Gesetzen knüpft, keinem von beiden für sich einwohnend, sondern nur dadurch das Sein beherrschend, daß Gesetze sind, nur dadurch den Gesetzen als ein Sinn und Bedeutung ihrer zukommend, daß es ein Sein gibt.

Von anderer Seite herauf dasselbe Ziel zuschreitend, kann man den Relativismus in Hinsicht der Erkenntnisprinzipien so formulieren: daß die konstitutiven, das Wesen der Dinge ein- für allemal ausdrückenden Grundsätze in regulative übergehen, die nur Augenpunkte für das fortschreitende Erkennen sind. Gerade die letzten und höchsten Abstraktionen, Vereinfachungen oder Zusammenfassungen des Denkens müssen den dogmatischen Anspruch aufgeben, das Erkennen abzuschließen. An die Stelle der Behauptung: so und so verhalten sich die Dinge – hat in Hinsicht der äußersten und allgemeinsten Ansichten vielmehr die zu treten: unser Erkennen hat so zu verfahren, als ob sich die Dinge so und so verhielten. Damit ist die Möglichkeit gegeben, Art und Weg unseres Erkennens sein wirkliches Verhältnis zur Welt sehr adäquat ausdrücken zu lassen. Der Vielheit unserer Wesensseiten sowie der abhilfesuchenden Einseitigkeit jedes einzelnen begrifflichen Ausdrucks für unsere Beziehung zu den Dingen entspricht und entspringt es, daß kein derartiger Ausdruck allgemein und auf die Dauer befriedigt, vielmehr historisch seine Ergänzung durch eine gegenteilige Behauptung zu finden pflegt; wodurch in unzähligen Einzelnen ein unsicheres [74] Hin- und Herpendeln, ein widerspruchsvolles Gemenge oder eine Abneigung gegen umfassende Grundsätze überhaupt erzeugt wird. Wenn nun die konstitutiven Behauptungen, die das Wesen der Dinge festlegen wollen, in heuristische verwandelt werden, die nur unsere Erkenntniswege durch Feststellung idealer Zielpunkte bestimmen wollen, so gestattet dies offenbar eine gleichzeitige Gültigkeit entgegengesetzter Prinzipien; jetzt, wo ihre Bedeutung nur in den Wegen zu ihnen liegt, kann man diese abwechselnd begehen, und sich dabei doch so wenig widersprechen, wie man sich etwa mit dem Wechsel zwischen induktiver und deduktiver Methode widerspricht. Erst durch diese Auflösung dogmatischer Starrheiten in die lebendigen, fließenden Prozesse des Erkennens wird die wirkliche Einheit desselben hergestellt, indem seine letzten Prinzipien nicht mehr in der Form des gegenseitigen Sich-Ausschließens, sondern des Aufeinander – Angewiesenseins, gegenseitigen Sich – Hervorrufens und Sich-Ergänzens praktisch werden. So bewegt sich z.B. die Entwicklung des metaphysischen Weltbildes zwischen der Einheit und der Vielheit der absoluten, alle Einzelanschauung begründenden Wirklichkeit. Unser Denken ist so angelegt, daß es nach jedem von beiden wie nach einem definitiven Abschluß streben muß, ohne doch mit einem von beiden abschließen zu können. Erst wenn alle Differenzen und Vielheiten der Dinge in einen Inbegriff versöhnt sind, findet der intellektuell-gefühls mäßige Einheitstrieb seine Ruhe. Allein sobald diese Einheit erreicht ist, wie in der Substanz Spinozas, zeigt sich, daß man mit ihr für das Verständnis der Welt nichts anfangen kann, daß sie mindestens eines zweiten Prinzips bedarf, um gefruchtet zu werden. Der Monismus treibt über sich hinaus zum Dualismus oder Pluralismus, nach dessen Setzung aber wieder das Bedürfnis nach Einheit zu wirken beginnt; so daß die Entwicklung der Philosophie wie die des individuellen Denkens von der Vielheit an die Einheit und von der Einheit an die Vielheit gewiesen wird. Die Geschichte des Denkens zeigt es als vergeblich, einen dieser Standpunkte als den definitiven gewinnen zu wollen; die Struktur unserer Vernunft in ihrem Verhältnis zum Objekt beansprucht vielmehr die Gleichberechtigung beider und erreicht sie, indem sie die monistische Forderung in das Prinzip gestaltet: jede Vielheit soweit wie möglich zu vereinheitlichen, d.h. so, als ob wir am absoluten Monismus endigen sollten, – und die pluralistische: bei keiner Einheit Halt zu machen, sondern jeder gegenüber nach noch einfacheren Elementen und erzeugenden Kräftepaaren zu forschen, d.h. so, als ob das Endergebnis ein pluralistisches sein sollte. – Ebenso liegt es, wenn man den Pluralismus in seiner qualitativen Bedeutung: in [75] die individuelle Differenziertheit der Dinge und Schicksale, ihre Sonderung nach Wesen und Wert verfolgt. Zwischen dieser Sonderung und der Zusammengehörigkeit unserer Daseinsmomente pendelt unser intimstes Lebensgefühl: bald scheint einem das Leben nur so erträglich, daß man sein Glück und seine Höhen in reiner Absonderung von allem Leid und allem Stumpfen genießt, wenigstens diese spärlichen Momente von jeder Berührung mit dem Darunter- oder Gegenüberliegenden frei hält. Und dann wieder erscheint es einem als die Größe, ja die eigentliche Aufgabe, Lust und Leid, Kraft und Schwäche, Tugend und Sünde als eine Lebenseinheit zu fühlen, eines die Bedingung des anderen, jedes weihend und geweiht. In ihrer reinen Prinzipienmäßigkeit mögen diese Gegentendenzen selten bewußt werden; aber in Ansätzen, Zielen, fragmentarischen Betätigungen bestimmen sie fortwährend unsere Attitüde zum Leben. Auch wenn ein Charakter ganz nach der einen dieser Richtungen hin orientiert scheint, wird sie dennoch dauernd von der anderen gekreuzt, als Ablenkung, Hintergrund, Versuchung. Der Gegensatz zwischen der Individualisierung und der Vereinheitlichung der Lebensinhalte teilt nicht die Menschen unter sich auf, sondern den Menschen – obgleich sich seine persönlich-innerliche Form ersichtlich in Wechselwirkung mit seiner sozialen, die sich zwischen dem individualistischen und dem Sozialisierungsprinzip bewegt, entwickelt. Das hier Wesentliche ist nicht die Mischung des Lebens aus diesen beiden Richtungen, sondern ihr Aufeinander-Angewiesensein in der Form der Heuristik. Es scheint, als ob unser Leben eine einheitliche Grundfunktion übte oder in ihr bestände, die wir in ihrer Einheit nicht erfassen, sondern in Analyse und Synthese zerlegen müssen, die die allgemeinste Form auch jenes Gegensatzes bilden und deren Zusammenwirken die Einheit des Lebens gleichsam nachträglich wiederherstellt. Indem nun aber das Einzelne in seiner Sonderung und Fürsichsein ein absolutes Recht an uns und in uns beansprucht und die Einheit, die alles Einzelne in sich zusammenführt, eben dieselbe kompromißlose Forderung erhebt, entsteht ein Widerspruch, unter dem das Leben freilich oft genug leidet, und der dadurch zu einem logischen wird, daß jede der Seiten zu ihrem Bestande die andere voraussetzt: keine von beiden würde einen sachlich ausdenkbaren Sinn oder ein seelisches Interesse besitzen, wenn nicht die andere ihr als ihr »Gegenwurf« gegenüberstände. So entsteht hier – und ebenso in unzähligen anderen Gegensatzpaaren – die eigentümliche Schwierigkeit: daß ein Unbedingtes bedingt wird, und zwar durch ein anderes Unbedingtes, das seinerseits wieder von jenem abhängt. Daß so das [76] als absolut Empfundene dennoch relativ ist, scheint mir keine andere prinzipielle Lösung zu gestatten, als daß das Absolute einen Weg bedeutet, dessen Richtung, ins Unendliche fortlaufend, festgelegt bleibt, gleichviel wie weit die endliche Strecke ist, auf die hin er tatsächlich begangen wird. Die Bewegung innerhalb jedes Teilstückes, solange sie eben dauert, verläuft so, als ob sie in den absoluten, im Unendlichen liegenden Endpunkt münden sollte, und dieser Richtungssinn bleibt, was er ist, auch wenn die Bewegung von irgendeinem Punkte an in eine andere Richtungslinie alterniert, die derselben Norm unterliegt.

In dieser Form des Aufeinanderangewiesenseins der Denkrichtungen begegnen sich allgemeine wie spezielle Erkenntniskomplexe. Sucht man das Verständnis der Gegenwart in politischen, sozialen, religiösen und sonstigen Kulturhinsichten, so wird es nur auf historischem Wege zu gewinnen sein, also durch Erkenntnis und Verständnis der Vergangenheit. Diese Vergangenheit selbst aber, von der uns nur Fragmente, stumme Zeugen und mehr oder weniger unzuverlässige Berichte und Traditionen überkommen sind, wird uns doch nur aus den Erfahrungen unmittelbarer Gegenwart heraus deutbar und lebendig. Wie viele Umbildungen und Quantitätsänderungen auch dazu erforderlich seien, jedenfalls ist die Gegenwart, die uns der unentbehrliche Schlüssel für die Vergangenheit ist, doch nur durch diese selbst verständlich, und die Vergangenheit, die allein uns die Gegenwart verstehen läßt, ohne die Anschauungen und Fühlbarkeiten eben dieser Gegenwart überhaupt nicht zugängig. Alle historischen Bilder erzeugen sich in dieser Gegenseitigkeit der Deutungselemente, von denen keines das andere zur Ruhe kommen läßt: das abschließende Begreifen ist in die Unendlichkeit hinaus verlegt, da jeder in der einen Reihe erreichte Punkt uns zu seinem Verständnis an die andere verweist. Ähnlich verhält es sich mit der psychologischen Erkenntnis. Jeder uns gegenüberstehende Mensch ist für die unmittelbare Erfahrung nur ein lauterzeugender und gestikulierender Automat; daß hinter dieser Wahrnehmbarkeit eine Seele steckt und welches die Vorgänge in ihr sind, können wir ganz allein nach der Analogie mit unserem eigenen Innern erschließen, das das einzige uns unmittelbar bekannte seelische Wesen ist. Andrerseits wird die Kenntnis des Ich nur an der Kenntnis der Anderen groß, ja die fundamentale Zerfällung des Ich in einen beobachtenden und einen beobachteten Teil kommt nur nach Analogie des Verhältnisses zwischen dem Ich und anderen Persönlichkeiten zustande. An den Wesen außer uns, die wir nur durch die Seelenkenntnis unser selbst deuten können, muß sich demnach eben diese Kenntnis selbst orientieren. [77] So ist das Wissen um die seelischen Dinge ein Wechselspiel zwischen dem Ich und dem Du, jedes weist von sich aus auf das andere – gleichsam ein stetes Auswechseln und Tauschen der Elemente gegeneinander, in dem sich die Wahrheit nicht weniger als der wirtschaftliche Wert erzeugt.

Und endlich, noch weiter ausgreifend: der neuzeitliche Idealismus leitet die Welt aus dem Ich ab, die Seele erschafft, gemäß ihren Rezeptivitäten und produktiven Formungskräften die Welt, die einzige, von der wir sprechen können und die für uns real ist. Andrerseits aber ist diese Welt doch der Ursprung der Seele. Von dem glühenden Stoffball, als den wir uns den früheren Zustand der Erde denken können und der keinem Leben Raum gab, hat eine allmähliche Entwicklung bis zu der Möglichkeit der Lebewesen geführt und diese, zuerst noch rein materiell und seelenlos, haben schließlich, wenn auch auf unbekannten Wegen, die Seele erzeugt. Wenn wir historisch denken, so ist die Seele, mit all ihren Formen und Inhalten, ein Produkt der Welt – eben dieser Welt, die doch, weil sie eine vorgestellte ist, zugleich ein Produkt der Seele ist. Werden diese beiden genetischen Möglichkeiten in starrer Begrifflichkeit fixiert, so ergeben sie einen beängstigenden Widerspruch. Anders aber, wenn jede als ein heuristisches Prinzip gilt, das mit der anderen in dem Verhältnis von Wechselwirkung und gegenseitigem Sich-Ablösen steht. Nichts steht dem Versuch im Wege, jeden beliebigen gegebenen Zustand der Welt aus den seelischen Bedingungen herzuleiten, die ihn als einen Vorstellungsinhalt produziert haben; ebensowenig aber dem weiteren, diese Bedingungen auf die kosmischen, historischen, sozialen Tatsachen zurückzuführen, aus denen eine mit diesen Kräften und Formen ausgestattete Seele entstehen konnte; das Bild jener, der Seele äußerlichen Tatsachen, mag nun seinerseits wieder aus den subjektiven Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen und historischen Erkennens abgeleitet werden und diese wiederum aus den objektiven Bedingungen ihrer Genesis, und so fort ins Unabsehliche. Natürlich verläuft das Erkennen niemals in diesem reinlichen Schema, sondern völlig fragmentarisch, abgebrochen, zufällig mischen sich die beiden Richtungen; aber ihren prinzipiellen Widerspruch löst die Verwandlung beider in heuristische Prinzipien, durch die ihr Gegeneinander in eine Wechselwirkung und ihre gegenseitige Verneinung in den unendlichen Prozeß der Betätigung dieser Wechselwirkung aufgelöst wird.

Ich füge hier nur noch zwei Beispiele an, eines sehr spezieller, das andere sehr allgemeiner Art, in denen die Relativität, d.h. die Gegenseitigkeit, in der sich Erkenntnisnormen ihre Bedeutung zuerteilen, [78] entschiedener in die Form des Nacheinander, der Alternierung, auseinandergezogen wird. Die inhaltliche Zusammengehörigkeit von Begriffen und tiefgelegenen Elementen des Weltbildes stellt sich häufig gerade als ein solcher Rhythmus zeitlich. wechselseitigen Sich-Ablösens dar. So läßt sich innerhalb der ökonomischen Wissenschaft das Verhältnis zwischen der historischen und der auf allgemeine Gesetze ausgehenden Methode auffassen. Gewiß ist jeder wirtschaftliche Vorgang nur aus einer besonderen historisch-psychologischen Konstellation verständlich herzuleiten. Allein solche Herleitung geschieht immer unter der Voraussetzung bestimmter, gesetzmäßiger Zusammenhänge; wenn wir nicht oberhalb des einzelnen Falles allgemeine Verhältnisse, durchgängige Triebe, regelmäßige Wirkungsreihen zum Grunde legten, so würde es gar keine historische Ableitung geben können, vielmehr das Ganze in ein Chaos atomisierter Vorkommnisse auseinanderfallen. Nun kann man aber weiterhin zugeben, daß jene allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, die die Verbindung zwischen dem vorliegenden Zustand oder Ereignis und seinen Bedingungen zu knüpfen ermöglichen, auch ihrerseits von. höheren Gesetzen abhängen, so daß sie selbst als nur historische Kombinationen gelten dürfen; zeitlich weiter zurückliegende Ereignisse und Kräfte haben die Dinge um und in uns in Formen gebracht, die, jetzt als allgemein und überhistorisch gültig erscheinend, die zufälligen Elemente der späteren Zeit zu deren besonderen Erscheinungen gestalten. Während also diese beiden Methoden, dogmatisch festgelegt und jede für sich die objektive Wahrheit beanspruchend, in einen unversöhnlichen Konflikt und gegenseitige Negation geraten, wird ihnen in der Form der Alternierung ein organisches Ineinander ermöglicht: jede wird in ein heuristisches Prinzip verwandelt, d.h. von jeder verlangt, daß sie an jedem Punkte ihrer eigenen Anwendung ihre höherinstanzliche Begründung in der anderen suche. Nicht anders steht es mit dem allerallgemeinsten Gegensatz innerhalb unseres Erkennens: dem zwischen Apriori und Erfahrung. Daß alle Erfahrung außer ihren sinnlich-rezeptiven Elementen gewisse Formen zeigen muß, die der Seele innewohnen und durch die sie jenes Gegebene überhaupt zu Erkenntnissen gestaltet – das wissen wir seit Kant. Dieses, gleichsam von uns mitgebrachte Apriori muß deshalb für alle möglichen Erkenntnisse absolut gelten und ist allem Wechsel und aller Korrigierbarkeit der Erfahrung, als sinnlich und zufällig entstandener, entzogen. Aber der Sicherheit, daß es derartige Normen geben muß, entspricht keine ebenso große, welche denn es sind. Vieles, was eine Zeit für apriori gehalten hat, ist von einer späteren als empirisches und historisches [79] Gebilde erkannt worden. Wenn also einerseits jeder vorliegenden Erscheinung gegenüber die Aufgabe besteht, in ihr über ihren sinnlich gegebenen Inhalt hinweg die dauernden apriorischen Normen zu suchen, von denen sie geformt ist – so besteht daneben die Maxime: jedem einzelnen Apriori gegen über (darum aber keineswegs dem Apriori überhaupt gegenüber!) die genetische Zurückführung auf Erfahrung zu versuchen.

Dieses wechselwirkende Sich-Tragen und Aufeinander-Angewiesensein der Methoden ist etwas völlig anderes als die billige Kompromißweisheit der Mischung und des Halb- und Halbtums der Prinzipien, bei dem der Verlust des einen immer größer als der Gewinn des anderen zu sein pflegt; hier handelt es sich vielmehr darum, jeder Seite des Gegensatzpaares eine nicht zu begrenzende Wirksamkeit zu eröffnen. Und wenngleich jede dieser Methoden immer etwas Subjektives bleibt, so scheinen sie doch durch jene Relativität ihrer Anwendung gerade die objektive Bedeutung der Dinge angemessen auszudrücken. Sie fügen sich damit dem allgemeinen Prinzip ein, das unsere Untersuchungen über den Wert leitete: Elemente, deren jedes inhaltlich subjektiv ist, können in der Form ihrer gegenseitigen Beziehung das gewinnen oder darstellen, was wir Objektivität nennen. So sahen wir schon oben, wie bloße Sinnesempfindungen dadurch, daß sie aneinander haften, für uns den Gegenstand bezeichnen oder zustande bringen. So entsteht die Persönlichkeit – ein so festes Gebilde, daß man ihm eine besondere Seelensubstanz unterlegte – mindestens für die empirische Psychologie durch die gegenseitigen Assoziationen und Apperzeptionen, die unter den einzelnen Vorstellungen stattfinden; diese, verfließende und subjektive Vorgänge, erzeugen durch ihre Wechselbeziehungen, was in keiner von ihnen für sich allein liegt, die Persönlichkeit als objektives Element der theoretischen und praktischen Welt. So erwächst das objektive Recht, indem die subjektiven Interessen und Kräfte der Einzelnen sich ausgleichen, sich gegenseitig ihre Stellung und ihr Maß bestimmen, durch den Austausch von Ansprüchen und Beschränkungen die objektive Form der Balancierung und Gerechtigkeit gewinnen. So kristallisierte aus den Einzelbegehrungen der Subjekte der objektive wirtschaftliche Wert aus, weil die Form der Gleichheit und des Austausches zur Verfügung stand, und diese Relationen eine Sachlichkeit und Übersubjektivität haben konnten, die jenen Elementen als einzelnen fehlte. So also mögen jene Methoden des Erkennens nur subjektive und heuristische sein; aber dadurch, daß jede an der anderen ihre Ergänzung und eben durch diese ihre Legitimierung findet, nähern sie sich – wenngleich in [80] einem unendlichen Prozeß des Sich-gegenseitig-Hervorrufens – dem Ideale der objektiven Wahrheit.

Es verwirklicht sich also das Wahrheit-bedeutende Verhältnis der Vorstellungen entweder als ein Aufbau ins Unendliche, weil wir selbst bei prinzipiell zugegebener Fundamentierung der Erkenntnis auf nicht mehr relative Wahrheiten nie wissen können, ob wir denn wirklich an dieser sachlich letzten Instanz angelangt sind, von jeder erreichten also wieder auf den Weg zu einer noch allgemeineren und tieferen gewiesen werden; oder die Wahrheit besteht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis innerhalb eben desselben Vorstellungskomplexes, und ihre Beweisbarkeit ist eine wechselseitige. Es sind aber diese beiden Denkbewegungen durch eine eigentümliche Funktionsteilung verbunden. Es scheint unvermeidlich, unser geistiges Dasein unter zwei, einander ergänzenden Kategorien zu betrachten: seinem Inhalte nach und dem Prozeß nach, der als Bewußtseinsereignis diesen Inhalt trägt oder verwirklicht. Die Struktur dieser Kategorien ist eine äußerst verschiedene. Den seelischen Prozeß müssen wir uns unter dem Bilde des kontinuierlichen Fließens vorstellen, er kennt keine starren Absätze, sondern ununterbrochen, wie in einem organischen Wachstum, fließt ein seelischer Zustand in den nächsten über. Unter völlig anderem Aspekt erscheinen die aus dem Prozeß abstrahierten, in ideeller Selbständigkeit bestehenden Inhalte: als ein Komplex, ein Stufenbau, ein System einzelner Begriffe oder Sätze, entschieden eines von dem anderen abgehoben; das logisch vermittelnde Glied zwischen je zweien zwar die Weiten des Abstandes, aber nicht seine Diskontinuität vermindernd – wie die Stufen einer Treppe sich scharf gegeneinander absetzen und damit doch das Mittel zu der kontinuierlichen Bewegung des Körpers über sie bieten. Wenn nun das Denken in seinen allgemeinsten Grundlagen und als Ganzes angesehen, sich im Kreis zu bewegen schien, weil es sich »durch eigenes Schweben halten« muß und kein pou stô hat, das ihm von außerhalb seiner her Halt gebe – so ist damit das Verhältnis zwischen den Inhalten des Denkens bezeichnet. Diese sind sich gegenseitig Hintergrund, so. daß jeder vom anderen seinen Sinn und Ton erhält, diese, indem sie Paare sich ausschließender Gegensätze bilden, fordern sich doch gegenseitig zur Herstellung des uns erreichbaren Weltbildes, von diesen wird jeder, durch die ganze Kette des Erkennbaren hindurch, zum Beweisgrund des anderen. Der Prozeß dagegen, in dem sich dieses Verhältnis nun psychologisch realisiert, folgt dem kontinuierlichen, geradlinigen Verlauf der Zeit, er geht seinem eigenen und inneren Sinne nach ins Unendliche, obgleich der Tod des Individuums seinen Weg verendlicht. In jene beiden Formen, [81] die das Erkennen im einzelnen illusorisch, im ganzen aber gerade möglich machen, teilen sich diese beiden Kategorien, unter die unsere Reflexion es rückt: es verläuft nach dem Schema des regressus in infinitum, der unendlichen Kontinuität, in eine Grenzenlosigkeit, die doch in jedem gegebenen Augenblick Begrenztheit ist – während seine Inhalte die andere Unendlichkeit zeigen: die des Kreises, wo jeder Punkt Anfang und Ende ist und alle Teile sich wechselseitig bedingen.

Daß sich die Gegenseitigkeit des Bewahrheitens dem Blicke für gewöhnlich verbirgt, geschieht aus keinem anderen Grunde, als aus dem auch die Gegenseitigkeit der Schwere nicht unmittelbar bemerkt wird. Da nämlich in jedem gegebenen Augenblicke die ungeheure Mehrzahl unserer Vorstellungen unangezweifelt hingenommen wird und in ihm die Untersuchung auf Wahrsein nur eine einzelne zu treffen pflegt, so wird die Entscheidung über eben dieses nach der Harmonie oder dem Widerspruch mit dem bereits vorhandenen, als gesichert vorausgesetzten Gesamtkomplex unserer Vorstellungen getroffen – während ein anderes Mal irgendeine Vorstellung aus diesem Komplex fraglich werden und die jetzt zu prüfende der über sie entscheidenden Majorität angehören mag. Das ungeheure quantitative Mißverhältnis zwischen der aktuell gerade fraglichen und der aktuell als gesichert geltenden Masse der Vorstellungen verschleiert das Gegenseitigkeitsverhältnis hier ebenso, wie das entsprechende bewirkte, daß man so lange nur die Anziehungskraft der Erde für den Apfel, aber nicht die des Apfels für die Erde bemerkte. Und wie infolgedessen ein Körper die Schwere als eine selbständige Qualität seiner zu haben schien, weil nur die eine Seite des Verhältnisses konstatierbar war, so mag die Wahrheit als eine den Einzelvorstellungen an und für sich eigene Bestimmtheit gelten, weil die Gegenseitigkeit in der Bedingtheit der Elemente, in der die Wahrheit besteht, bei der verschwindenden Größe des einzelnen gegenüber der Masse der – im Augenblick nicht fraglichen – Vorstellungen überhaupt unmerkbar wird. – Die »Relativität der Wahrheit« in dem Sinne, daß all unser Wissen Stückwerk und keines unverbesserbar sei, wird oft mit einer Emphase verkündet, die mit ihrer allseitigen Unbestrittenheit meinem sonderbaren Mißverhältnis steht. Was wir hier unter jenem Begriffe verstehen, ist ersichtlich etwas ganz anderes: die Relativität ist nicht eine abschwächende Zusatzbestimmung zu einem im übrigen selbständigen Wahrheitsbegriff, sondern ist das Wesen der Wahrheit selbst, ist die Art, auf die Vorstellungen zu Wahrheiten werden, wie sie die Art ist, auf die Begehrungsobjekte zu Werten werden. Sie bedeutet nicht, wie in jener [82] trivialen Verwendung, einen Abzug an der Wahrheit, von der man eigentlich ihrem Begriffe nach mehr erwarten könnte, sondern gerade umgekehrt die positive Erfüllung und Gültigkeit ihres Begriffes. Dort gilt die Wahrheit, trotzdem sie relativ ist, hier gerade, weil sie es ist.

Die großen erkenntnistheoretischen Prinzipien leiden durchgehends an der Schwierigkeit, daß sie, insoweit sie doch selbst schon Erkenntnisse sind, ihren eigenen Inhalt dem Urteil, das sie über Erkenntnis überhaupt fällen, unterordnen müssen und dabei entweder ins Leere fallen oder sich selbst aufheben. Der Dogmatismus mag die Sicherheit des Erkennens auf ein Kriterium wie auf einen Felsen gründen – worauf aber ruht der Felsen? Daß das Erkennen überhaupt der Sicherheit fähig ist, muß es schon voraussetzen, um diese Fähigkeit aus jenem Kriterium herzuleiten. Die Behauptung von der Sicherheit der Erkenntnis hat die Sicherheit der Erkenntnis zu ihrer Voraussetzung. Ganz entsprechend mag der Skeptizismus die Unsicherheit und Täuschungschance jedes Erkennens in ihrer prinzipiellen Unwiderleglichkeit hinstellen oder sogar die Unmöglichkeit einer Wahrheit, den inneren Widerspruch ihres Begriffes behaupten: diesem Resultate des Denkens über das Denken muß es doch auch dieses, das skeptische Denken selbst, unterordnen. Hier ist wirklich der verderbliche Zirkel gegeben: wenn alles Erkennen trügerisch ist, so ist es doch auch der Skeptizismus selbst, womit er dann sich selbst aufhebt. Der Kritizismus endlich mag alle Objektivität, alle wesentliche Form der Erkenntnisinhalte aus den Bedingungen der Erfahrung herleiten: daß die Erfahrung selbst etwas Gültiges ist, kann er nicht beweisen. Die Kritik, die er an allem Transszendenten und Transszendentalen übt, ruht auf einer Voraussetzung, gegen die sich die gleiche kritische Frage nicht wenden kann, ohne dem Kritizismus selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen. So scheint hier den Erkenntnisprinzipien eine typische Gefahr zu drohen. Indem das Erkennen sich selbst prüft, wird es in eigener Sache Richter, es bedarf eines Standpunktes, jenseits seiner selbst und steht vor der Wahl, entweder seine Selbsterkenntnis von der Prüfungsnotwendigkeit oder Normierung, die es allen anderen Erkenntnisinhalten auferlegt, zu eximieren und damit einen Angriffspunkt in seinem Rücken zu lassen – oder sich selbst diesen Gesetzen unterzuordnen, den Prozeß selbst den Resultaten, zu denen er selbst erst geführt hat, und damit einen zerstörenden Kreisschluß zu begehen, wie es am klarsten jene Selbstvernichtung des Skeptizismus zeigte. Das relativistische Erkenntnisprinzip allein fordert für sich selbst keine Ausnahme von sich selbst: es wird dadurch [83] nicht zerstört, daß es selbst nur relativ gilt. Denn mag es – historisch, sachlich, psychologisch – nur in Alternierung und Balancierung mit anderen, absolutistischen oder substantialistischen gelten, so ist eben dieses Verhältnis zu seinem eigenen Gegenteil ja selbst ein relativistisches. Die Heuristik, die nur die Folge oder Anwendung des relativistischen Prinzips auf die Erkenntniskategorien ist, kann es sich ohne jeden Widerspruch gefallen lassen, daß sie selbst ein heuristisches Prinzip ist. Die Frage nach dem Grunde des Prinzips, die in dem Bereich des Prinzips selbst nicht einbegriffen sei, wird dem Relativismus nicht verderblich, weil er diesen Grund in das Unendliche hinausschiebt, d.h. alles Absolute, das sich darzubieten scheint, in eine Relation aufzulösen strebt und mit dem Absoluten, das sich als der Grund dieser neuen Relation bietet, wieder ebenso verfährt – ein Prozeß, der seinem Wesen nach keinen Stillstand kennt und dessen Heuristik die Alternative aufhebt: das Absolute zu leugnen oder es anzuerkennen. Denn es ist gleichviel, ob man dies so ausdrückt: es gibt ein Absolutes, aber es kann nur in einem unendlichen Prozeß erfaßt werden, oder: es gibt nur Relationen, aber sie können das Absolute nur in einem unendlichen Prozeß ersetzen. Der Relativismus kann das radikale Zugeständnis machen, daß es dem Geiste allerdings möglich sei, sich jenseits seiner selbst zu stellen. In jenen, nur an einem Gedanken haltmachenden und damit die Relation in ihrer unendlichen Fruchtbarkeit ausschließenden Prinzipien erhob sich der Selbstwiderspruch: daß der Geist über sich selbst richten sollte, daß er seinem definitiven Spruch entweder selbst Untertan war oder sich ihm entzog und beides gleichmäßig ihre Geltung entwurzelte. Der Relativismus aber erkennt ohne weiteres an: über jedem Urteil, das wir fällen, steht ein höheres, das entscheidet, ob jenes recht hat; dieses zweite aber, die logische Instanz, die wir uns selbst gegenüber bilden, bedarf selbst wieder, als ein psychologischer Vorgang angesehen, der Legitimation durch ein höheres, an dem sich derselbe Prozeß wiederholt – sei es ins Unendliche fortschreitend, sei es so, daß die Legitimierung zwischen zwei Urteilsinhalten alternierte oder daß ein und derselbe Inhalt einmal als psychische Wirklichkeit, ein andermal als logische Instanz funktionierte. Diese Ansicht hebt nun auch den anderen Erkenntnisprinzipien gegenüber die Gefahr der Selbstverneinung auf, in die ihre Unterordnung unter sich selbst sie brachte. Es ist nicht richtig, daß, wenn der Skeptizismus die Möglichkeit der Wahrheit leugnet, diese Meinung selbst unwahr sein muß, ebensowenig wie die pessimistische Meinung von der Schlechtigkeit alles Wirklichen den Pessimismus selbst zu einer schlechten Theorie macht. Denn es [84] ist tatsächlich die fundamentale Fähigkeit unseres Geistes, sich selbst zu beurteilen, sein eigenes Gesetz über sich selbst zu stellen. Dies ist nichts als ein Ausdruck oder eine Erweiterung der Urtatsache des Selbstbewußtseins. Unsere Seele besitzt keine substantielle Einheit, sondern nur diejenige, die sich aus der Wechselwirkung des Subjekts und des Objekts ergibt, in welche sie sich selbst teilt. Dies ist nicht eine zufällige Form des Geistes, die auch anders sein könnte, ohne unser Wesentliches zu ändern, sondern ist seine entscheidende Wesensform selbst. Geist haben, heißt nichts anderes als diese innere Trennung vornehmen, sich selbst sich zum Objekt machen, sich selbst wissen zu können. Daß es »kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt« gibt, verwirklicht sich zuerst innerhalb der Seele selbst, sie erhebt sich als die wissende über sich selbst, die gewußte, und indem sie dieses Wissen ihrer selbst wiederum weiß, verläuft ihr Leben prinzipiell in einem progressus in infinitum, dessen jeweilig aktuelle Form, gleichsam sein Querschnitt, die Kreisbewegung ist: das seelische Subjekt weiß sich als Objekt und das Objekt als Subjekt. Indem der Relativismus als Erkenntnisprinzip sich mit der Unterordnung unter sich selbst, die so vielen absolutistischen Prinzipien verderblich wird, gerade von vornherein selbst beweist, drückt er nur am reinsten aus, was er auch jenen anderen leistet: die Legitimierung des Geistes, über sich selbst zu urteilen, ohne durch das Ergebnis dieses Urteilsprozesses, wie es auch ausfalle, den Prozeß selbst illusorisch zu machen. Denn dieses Sichjenseits – seiner – selbst – Stellen erscheint jetzt als der Grund alles Geistes, er ist zugleich Subjekt und Objekt, und nur wenn der in sich unendliche Prozeß des Sich-selbst-Wissens, Sich-selbst-Beurteilens an irgendeinem Glied abgeschnitten und dieses als das absolute allen anderen gegenübergestellt wird, wird es zu einem Selbstwiderspruch, daß das Erkennen, das sich in einer bestimmten Weise beurteilt, zugleich, um dieses Urteil fällen zu können, für sich eine Ausnahme von dem Inhalt dieses Urteils beansprucht.

Man hat vielfach die relativistische Anschauung als eine Herabsetzung des Wertes, der Zuverlässigkeit und Bedeutsamkeit der Dinge empfunden, wobei übersehen wird, daß nur das naive Festhalten irgendeines Absoluten, das ja gerade in Frage gestellt ist, dem Relativen diese Stellung zuweisen könnte. Eher liegt es in Wirklichkeit umgekehrt: durch die ins Unendliche hin fortgesetzte Auflösung jedes starren Fürsichseins in Wechselwirkungen nähern wir uns überhaupt erst jener funktionellen Einheit aller Weltelemente, in der die Bedeutsamkeit eines jeden auf jedes andere überstrahlt. Darum steht der Relativismus auch seinem extremen Gegensatz, dem [85] Spinozismus mit seiner allumfassenden substantia sive Deus, näher als man glauben möchte. Dieses Absolute, das keinen anderen Inhalt hat als den Allgemeinbegriff des Seins überhaupt, schließt demnach in seine Einheit alles ein, was überhaupt ist. Die einzelnen Dinge können nun allerdings kein Sein für sich mehr haben, wenn alles Sein seiner Realität nach schon in jene göttliche Substanz ebenso vereinheitlicht worden ist, wie es seinem abstrakten Begriff nach, eben als Seiendes überhaupt, eine Einheit bildet. Alle singulären Beständigkeiten und Substanzialitäten, alle Absolutheiten zweiter Ordnung sind nun so vollständig in jene eine aufgegangen, daß man direkt sagen kann: in einem Monismus, wie dem Spinozischen, sind die sämtlichen Inhalte des Weltbildes zu Relativitäten geworden. Die umfassende Substanz, das allein übrig geblichene Absolute, kann nun, ohne daß die Wirklichkeiten inhaltlich alteriert würden, außer Betracht gesetzt werden – die Expropriateurin wird expropriiert, wie Marx einen formal gleichen Prozeß beschreibt – und es bleibt tatsächlich die relativistische Aufgelöstheit der Dinge in. Beziehungen und Prozesse übrig. Die Bedingtheit der Dinge, die der Relativismus als ihr Wesen konstituiert, kann nur für eine oberflächliche Anschauung oder bei nicht hinreichend radikalem Durchdenken des Relativismus den Gedanken der Unendlichkeit auszuschließen scheinen. Vielmehr ist das Umgekehrte richtig. Denn eine konkrete Unendlichkeit scheint mir nur auf zwei Wegen denkbar. Einmal als eine auf- oder absteigende Reihe, in der jedes Glied von einem anderen abhängt und ein drittes von sich abhängen läßt: das mag in bezug auf räumliche Anordnung, auf kausale Energieübertragung, auf zeitliche Folge, auf logische Ableitung stattfinden. Was diese Reihenform ins Extensive zieht, bietet uns, zweitens, die Wechselwirkung in kompendiöser, in sich zurücklaufender Form. Wenn die Wirkung, die ein Element auf ein anderes ausübt, für dieses zur Ursache wird, auf jenes erste eine Wirkung zurückzustrahlen, die so wiedergegebene aber, ihrerseits wieder zur Ursache einer Rückwirkung werdend, das Spiel von neuem beginnen läßt: so ist hiermit das Schema einer wirklichen Unendlichkeit der Aktivität gegeben. Hier ist eine immanente Grenzenlosigkeit, der des Kreises vergleichbar; denn auch diese entsteht doch nur in der völligen Gegenseitigkeit, mit der jeder Abschnitt desselben jedem anderen seine Stelle bestimmt – im Unterschied gegen andere in sich zurücklaufende Linien, von denen nicht jeder Punkt von allen immanenten Seiten her die gleiche wechselwirkende Bestimmtheit erfährt. Wo die Unendlichkeit in Substanz oder als das Maß eines Absoluten eingeführt wird, bleibt sie doch immer ein sehr großes Endliches. [86] Gerade nur die Bedingtheit jedes Daseinsinhaltes durch einen anderen, der in gleicher Weise bedingt ist – sei es durch einen dritten, an dem sich das Gleiche wiederholt, sei es durch jenen ersten, mit dem er sich in Wechselwirkung verschlingt – hebt die Endlichkeit des Daseins auf.

Dies also mag als Hinweisung auf einen philosophischen Standpunkt genügen, auf dem die Mannigfaltigkeit der Dinge eine letzte Einheit der Betrachtung zu gewinnen vermag, und die die oben gegebene Deutung des wirtschaftlichen Wertes in den weitesten Zusammenhang einordnet. Indem der Grundzug aller erkennbaren Existenz, das Aufeinander-Angewiesensein und die Wechselwirkung alles Daseienden den ökonomischen Wert aufnimmt und seiner Materie dieses Lebensprinzip erteilt, wird nun erst das innere Wesen des Geldes verständlich. Denn in ihm hat der Wert der Dinge, als ihre wirtschaftliche Wechselwirkung verstanden, seinen reinsten Ausdruck und Gipfel gefunden.

Welches auch der – keineswegs feststehende – geschichtliche Ursprung des Geldes gewesen sein möge, das eine ist jedenfalls von vornherein sicher, daß es nicht plötzlich als ein fertiges, seinen reinen Begriff repräsentierendes Element in die Wirtschaft eingetreten sein, sondern sich nur aus vorher bestehenden Werten entwickelt haben kann, und zwar derart, daß die Geldqualität, die jedem Objekte, soweit es überhaupt tauschbar ist, in irgendeinem Maße eigen ist, sich an einem einzelnen in höherem Maße herausgestellt hat, und es die Funktion des Geldes zunächst noch sozusagen in Personalunion mit seiner bisherigen Wertbedeutung ausgeübt hat. Ob das Geld diese genetische Verbindung mit einem Werte, der nicht Geld ist, je vollständig gelöst hat oder lösen kann, haben wir im nächsten Kapitel zu untersuchen. Es hat jedenfalls unendliche Irrungen veranlaßt, daß man Wesen und Bedeutung des Geldes nicht von den Bestimmtheiten derjenigen Werte begrifflich gesondert hat, an denen es sich, als Steigerung einer Qualität derselben, heraufgebildet hat. Wir aber betrachten es hier zunächst ohne jede Rücksicht auf den Stoff, der sein substanzieller Träger ist; denn gewisse Eigenschaften, die ihm vermittels dieses beigesellt sind, reihen das Geld noch demjenigen Kreise von Gütern ein, dem es als Geld gegenübergestellt ist. Schon auf den ersten Blick bildet das Geld gleichsam eine Partei, und die Gesamtheit der mit ihm bezahlten Güter die andere, so daß, wenn sein reines Wesen in Frage steht, man es wirklich bloß als Geld und in Loslösung von allen ihm sekundären Bestimmungen behandeln muß, die es dieser ihm gegenüberstehenden Partei doch wieder koordinieren.

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In diesem Sinne findet man das Geld als »abstrakten Vermögenswert« definiert; als sichtbarer Gegenstand ist es der Körper, mit dem der von den wertvollen Gegenständen selbst abstrahierte wirtschaftliche Wert sich bekleidet hat, dem Wortlaut vergleichbar, der zwar ein akustisch-physiologisches Vorkommnis ist, seine ganze Bedeutung für uns aber nur in der inneren Vorstellung hat, die er trägt oder symbolisiert. Wenn nun der wirtschaftliche Wert der Objekte in dem gegenseitigen Verhältnis besteht, das sie, als tauschbare, eingehen, so ist das Geld also der zur Selbständigkeit gelangte Ausdruck dieses Verhältnisses; es ist die Darstellung des abstrakten Vermögenswertes, indem aus dem wirtschaftlichen Verhältnis, d.h. der Tauschbarkeit der Gegenstände, die Tatsache dieses Verhältnisses herausdifferenziert wird und jenen Gegenständen gegenüber eine begriffliche – und ihrerseits an ein sichtbares Symbol geknüpfte – Existenz gewinnt. Es ist die Sonderverwirklichung dessen, was den Gegenständen als wirtschaftlichen gemeinsam ist – im Sinne der Scholastik könnte man es sowohl als universale ante rem wie in re wie post rem bezeichnen –, und deshalb äußert die allgemeine Not des Menschenlebens sich in keinem äußeren Symbol so vollständig wie in der beständigen Geldnot, die die meisten Menschen bedrückt. Der Geldpreis einer Ware bedeutet das Maß der Tauschbarkeit, das zwischen ihr und der Gesamtheit der übrigen Waren besteht. Nimmt man das Geld in jenem reinen Sinne, der von allen Folgen seiner konkreten Darstellung unabhängig ist, so bedeutet die Änderung des Geldpreises, daß das Tauschverhältnis zwischen der einzelnen Ware und der Gesamtheit der übrigen sich ändert. Wenn ein Warenquantum A seinen Preis von einer Mark auf zwei steigert, während alle anderen Waren B C D E den ihrigen behalten, so bedeutet dies eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen A und B C D E, die man auch so ausdrücken könnte, daß diese letzteren im Preise gefallen sind, während A den seinigen behalten hat. Nur die größere Einfachheit des Ausdrucks läßt uns die erste Vorstellungsweise vorziehen, gerade wie wir bei der Lageveränderung eines Körpers gegen sein Umgebungsbild sagen, er habe sich z.B. von Osten nach Westen bewegt, während die tatsächliche Erscheinung sich genau so zutreffend als Bewegung der gesamten Umgebung (den Zuschauer einbegriffen) von Westen nach Osten, bei Ruhelage jenes einen Körpers, beschreiben läßt. Wie die Lage eines Körpers ihm nicht als eine Bestimmtheit seiner für sich allein, sondern nur als ein Verhältnis zu anderen zukommt, so daß bei jeder Änderung derselben ebenso gut diese anderen wie jener selbst als das tätige oder als das passive Subjekt bezeichnet werden können – so läßt sich jede Wertänderung [88] von A innerhalb des wirtschaftlichen Kosmos, da sein Wert selbst nur in dem Verhältnis zu diesem besteht, mit gleichem Recht und nur unbequemer als Änderung von B C D E bezeichnen. Diese Relativität, wie sie im Naturaltausch unmittelbar praktisch wird, kristallisiert nun zu der Ausdrückbarkeit des Wertes in Geld. Auf welche Weise das geschehen kann, ist Sache späterer Untersuchung. Der Satz: A ist eine Mark wert, hat aus A alles hinweggeläutert, was nicht wirtschaftlich, d.h. nicht Tauschbeziehung zu B C D E ist; diese Mark, als Wert betrachtet, ist die von ihrem Träger gelöste Funktion des A in seinem Verhältnis zu den übrigen Objekten des Wirtschaftskreises. Alles, was A an und für sich, und aus dieser bloßen Beziehung heraustretend, sein mag, ist hier völlig gleichgültig; jedes A1 oder A2, das von jenem qualitativ abweicht, ist, insofern es ebenfalls eine Mark gilt, ihm gleich, weil, oder genauer: indem es zu B C D E dasselbe Verhältnis quantitativ bestimmten Austausches hat. Geld ist das »Geltende« schlechthin, und wirtschaftliches Gelten bedeutet etwas gelten, d.h. gegen etwas anderes vertauschbar zu sein. Alle anderen Dinge haben einen bestimmten Inhalt und gelten deshalb; das Geld umgekehrt hat seinen Inhalt davon, daß es gilt, es ist das zur Substanz erstarrte Gelten, das Gelten der Dinge ohne die Dinge selbst. Indem es so das Sublimat der Relativität der Dinge ist, scheint es selbst dieser entzogen zu sein – wie die Normen der Wirklichkeit nicht derselben Relativität unterliegen, die die Wirklichkeit beherrschen, und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil ihre Inhalte die zu selbständiger Lebendigkeit, Bedeutung und Haltbarkeit aufgewachsenen Verhältnisse zwischen den Dingen sind. Alles Sein ist gesetzmäßig, aber eben deshalb sind die Gesetze, denen es unterliegt, nicht selbst wieder gesetzmäßig: man würde sich im Zirkel bewegen, wenn man ein Naturgesetz des Inhalts annähme, daß es Naturgesetze geben müsse – wobei ich freilich dahingestellt lasse, ob dieser Zirkel nicht etwa dennoch als legitimer besteht, weil er zu den fundamentalen Bewegungen des Denkens gehöre, die in sich selbst zurück- oder auf einen im Unendlichen liegenden Zielpunkt hingehen. So sind die Normen – mag man sie mit Plato und Schopenhauer die Ideen, mit den Stoikern die Logoi, mit Kant das Apriori, mit Hegel die Stufen der Vernunftentwicklung nennen –, nichts als die Arten und Formen der Relativitäten selbst, die sich zwischen den Einzelheiten der Wirklichkeit, sie gestaltend, entwickeln. Sie sind selbst nicht in demselben Sinn relativ, wie die ihnen Untertanen Einzelheiten, da sie deren Relativität selbst sind. Auf dieser Grundlage wird es verständlich, daß das Geld, als der abstrakte Vermögenswert, nichts anderes ausdrückt, als die Relativität [89] der Dinge, die eben den Wert ausmacht, und doch zugleich als der ruhende Pol den ewigen Bewegungen, Schwankungen, Ausgleichungen derselben gegenübersteht. Insofern es das letztere nicht tut, wirkt es eben nicht mehr seinem reinen Begriffe nach, sondern als Einzelobjekt, das allen anderen koordiniert ist. Nur ganz mißverständlich könnte dagegen eingewandt werden, daß in der Geldleihe und dem Wechselgeschäft doch Geld für Geld gekauft wird, und daß es deshalb, trotzdem es hier in der Reinheit seines Begriffes verbleibt, sich die Relativität der Einzelwerte aneignete, die es doch nicht haben, sondern nur sein sollte. Daß das Geld die Wertrelation der unmittelbar wertvollen Dinge untereinander ausdrückt, enthebt es freilich dieser Relation und stellt es in eine andere Ordnung. Indem es die fragliche Relation mit ihren praktischen Konsequenzen verkörpert, erhält es selbst einen Wert, mit dem es nicht nur in das Tauschverhältnis zu allen möglichen konkreten Werten tritt, sondern mit dem es auch innerhalb jener ihm eigenen, jenseits der Konkretheit stehenden Ordnung Relationen unter seinen Quanten anzeigen kann. Das eine Quantum bietet sich als gegenwärtiges, das andere als versprochenes, das eine als in dem einen Bezirk akzeptiertes, das andere in einem anderen – dies sind Modifikationen, die zu gegenseitigen Wertrelationen führen, völlig unbeschadet der Tatsache, daß das Objekt, an dessen Teilquanten sie vorgehen, als Ganzes selbst die Relation zwischen Objekten von andersartiger Wertbedeutung darstellt.

Aus jener Doppelheit seiner Rollen – außerhalb und innerhalb der Reihen der konkreten Werte – gehen, wie gesagt, unzählige Schwierigkeiten in der praktischen wie in der theoretischen Behandlung des Geldes hervor. Insoweit es das Wertverhältnis der Güter untereinander ausdrückt, sie mißt und austauschen hilft, tritt es zu der Welt der direkt nutzbaren Güter als eine Macht ganz anderer Provenienz hinzu, sei es als schematischer Maßstab jenseits aller Greifbarkeiten, sei es als Tauschmittel, das sich zwischen diese letzteren aber nur schiebt, wie der Lichtäther zwischen die Ponderabilien. Damit es aber diese Dienste leisten kann, die auf seiner Stellung außerhalb aller sonstigen Güter beruhen, ist es anfänglich, und dadurch, daß es sie leistet, ist es schließlich selbst ein konkreter oder singulärer Wert. Hiermit steigt es in die Verkettungen und Bedingungen der Reihe hinab, der es doch zugleich gegenübersteht: es wird von Angebot und Nachfrage in seinem Werte abhängig, seine Produktionskosten üben einen (wenngleich minimalen) Einfluß auf diesen aus, es tritt in verschiedenwertigen Qualitäten auf usw. Die Verzinsung ist ein Ausdruck dieses Wertes, der ihm als [90] Träger seiner Funktionen zukommt. Oder von anderem Standpunkt her angesehen: die Doppelrolle des Geldes ist, daß es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden Waren untereinander mißt, andrerseits aber selbst in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende Größe darstellt; und zwar mißt es sich wiederum einerseits an den Gütern, die seine Gegenwerte bilden, andrerseits am Gelde selbst; denn nicht nur wird, wie oben schon hervorgehoben war, das Geld selbst mit Geld bezahlt, was das reine Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern das Geld des einen Landes wird, wie die Valutaverschiebungen zeigen, zum Wertmesser für das Geld des anderen. Das Geld gehört also zu denjenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm beugen, die sie selbst sind. Alle solche Fälle ergeben primäre, wenn auch auflösbare Verwicklungen und Kreisbewegungen des Denkens: der Kreter, der alle Kreter als Lügner bezeichnet und so unter sein eigenes Axiom gehörend seine eigene Aussage Lügen straft; der Pessimist, der die ganze Welt schlecht nennt, so daß seine eigene Theorie es auch sein muß; der Skeptiker, der wegen der grundsätzlichen Leugnung aller Wahrheit auch die des Skeptizismus selbst nicht aufrecht erhalten kann usw. So steht das Geld als Maßstab und Tauschmittel über den wertvollen Dingen und, weil diese Dienste ursprünglich einen wertvollen Träger fordern und dann ihrem Träger selbst einen Wert verleihen, reiht es sich zwischen jene Dinge und unter die Normen ein, die von ihm selbst ausgehen.

Da nun das schließlich Gewertete nicht das Geld, der bloße Wertausdruck, sondern die Gegenstände sind, so bedeutet Preisänderung eine Verschiebung ihrer Verhältnisse untereinander; das Geld selbst – immer nach dieser reinen Funktion seiner betrachtet – hat sich nicht verschoben, sondern sein Mehr oder Weniger ist jene Verschiebung selbst, von ihren Trägern abstrahiert und zu selbständigem Ausdrucke geformt. Diese Stellung des Geldes ist offenbar dasselbe, was, als innere Qualität angesehen, seine Quali tätslosigkeit oder Unindividualität genannt wird. Indem es zwischen den individuell bestimmten Dingen, in inhaltlich gleichem Verhältnis zu jedem derselben steht, muß es an sich selbst völlig indifferent sein. Auch hier stellt sich das Geld nur als die höchste Entwicklungsstufe innerhalb einer kontinuierlichen Reihe dar, einer der logisch diffizilen, für unser Weltbild aber äußerst bedeutsamen, in denen ein Glied, obgleich durchaus nach der Formel der Reihe und als Äußerung ihrer inneren Kräfte gebildet, dennoch zugleich aus ihr heraustritt, als ergänzende oder beherrschende oder ihr gegenüber parteibildende Potenz. Den Ausgangspunkt der Reihe bilden die ganz unersetzlichen [91] Werte, deren Eigenart freilich gerade durch eine Analogie zu der Geldausgleichung leicht verwischt wird. Für das Meiste, was wir besitzen, gäbe es einen Ersatz, wenigstens im weitesten Sinne, so daß der Gesamtwert unserer Existenz derselbe bliebe, wenn wir das eine verlören und dafür das andere gewönnen: die eudämonistische Summe läßt sich durch sehr verschiedene Elemente auf der gleichen Höhe halten. Allein diese Austauschbarkeit versagt gewissen Dingen gegenüber, und zwar – worauf es hier ankommt – nicht nur wegen des Glücksmaßes, das uns kein anderer Besitz In gleicher Höhe gewähren könnte, sondern weil das Wertgefühl sich gerade an diese individuelle Gestaltung, nicht aber an das Glücksgefühl, das ihr mit anderen gemeinsam ist, geheftet hat. Nur ein irriger Begriffsrealismus, der mit dem allgemeinen Begriff als mit dem vollgültigen Vertreter der einzelnen Wirklichkeit operiert, läßt uns glauben, daß wir die Werte der Dinge durch Reduktion auf einen allgemeinen Wertnenner empfinden, durch Hinleitung auf ein Wertzentrum, in dem sie sich nur als quantitativ höhere oder niedere, in letzter Instanz aber gleichartige darstellten. Wir werten vielmehr das Individuelle oft genug, weil wir eben gerade dies wollen und nichts anderes, dem wir vielleicht dasselbe oder ein höheres Quantum von Glückswert für uns zugeben. Feinere Empfindungsweisen unterscheiden sehr genau das Maß von Glücksgefühl, das der bestimmte Besitz uns bereitet, durch das er aber mit anderen vergleichbar und vertauschbar wird, von seinen spezifischen, jenseits seiner eudämonistischen Folgen liegenden Bestimmtheiten, durch die er uns gleichfalls wertvoll und insofern nun völlig unersetzlich sein kann. Dies tritt mit einer leichten Modifikation, aber doch sehr bezeichnend hervor, wenn persönliche Affektionen oder Erlebnisse einen an sich häufigen und fungibeln Gegenstand für uns mit Unersetzlichkeit ausgestattet haben. Über den Verlust eines solchen kann uns unter keinen Umständen ein ganz gleiches Exemplar derselben Gattung trösten – sondern viel eher vermag dies ein Gut, das völlig anderen Qualitäts- und Gefühlskomplexen angehört, das an jenes überhaupt nicht erinnert und jede Vergleichung mit ihm ablehnt! Diese Individualform des Wertes wird in demselben Maße negiert, in dem die Objekte tauschbar werden, so daß das Geld, der Träger und Ausdruck der Tauschbarkeit als solcher, das unindividuellste Gebilde unserer praktischen Welt ist. Insoweit die Dinge gegen Geld vertauscht werden – nicht ebenso im Naturaltausch! – haben sie an dieser Unindividualität Teil, und man kann den Mangel jenes spezifischen Wertes an einem Dinge nicht schärfer ausdrücken, als daß man seine Stelle durch sein Geldäquivalent ausfüllen läßt, ohne eine [92] Lücke zu empfinden. Das Geld ist nicht nur der absolut fungible Gegenstand, von dem also jedes Quantum durch beliebig andere Stücke ununterscheidbar ersetzt werden kann, sondern es ist sozusagen die Fungibilität der Dinge in Person. Dies sind die beiden Pole, zwischen denen alle Werte überhaupt stehen: einerseits das schlechthin Individuelle, dessen Bedeutung für uns nicht in irgendeinem allgemeinen, in irgendeinem anderen Objekt gleichfalls darstellbaren Wertquantum liegt, und dessen Stelle innerhalb unseres Wertsystems durch nichts anderes ausfüllbar ist, andrerseits das schlechthin Fungible; zwischen beiden bewegen sich die Dinge in verschiedenen Graden der Ersetzbarkeit, bestimmt danach, in welchem Maße sie überhaupt ersetzbar sind, und danach, durch eine wie große Mannigfaltigkeit anderer Objekte sie es sind. Man kann es auch so darstellen, daß man an jedem Dinge die Seite seiner Unersetzlichkeit und die seiner Ersetzlichkeit unterscheidet. Von den meisten Dingen wird man sagen dürfen – worüber uns freilich von der einen Seite die Flüchtigkeit des praktischen Verkehrs, von der entgegengesetzten her Beschränktheit und Eigensinn oft täuschen – daß jeder Gegenstand an beiden Bestimmtheiten Teil hat; selbst das für Geld Käufliche und durch Geld Ersetzbare dürfte bei genauerem Hinfühlen oft doch Sachqualitäten haben, deren Wertnuance durch keinen anderen Besitz völlig ersetzt werden kann. Erst die Grenzen unserer praktischen Welt werden durch die Erscheinungen bezeichnet, in denen je die eine dieser Bestimmtheiten unendlich klein ist: auf der einen Seite die an Zahl äußerst geringen Werte, von denen die Erhaltung unseres Ich in seiner individuellen Integrität abhängt, bei denen also eine Tauschbarkeit nicht in Frage steht, auf der anderen das Geld – die aus den Dingen heraus abstrahierte Tauschbarkeit ihrer –, dessen absolute Unindividualität daran hängt, daß es das Verhältnis zwischen Individuellerem ausspricht, und zwar dasjenige, das bei endlosem Wechsel dieses immer dasselbe bleibt.

Diese Fähigkeit des Geldes, für jeden speziell bestimmten Wirtschaftswert einzutreten – weil sein Wesen mit keinem von ihnen, sondern nur mit ihrem Verhältnis, in das jedes beliebige eintreten kann, verbunden ist – trägt die Kontinuität der wirtschaftlichen Ereignisreihe. Diese Reihe lebt gleichsam in Endosmose und Exosmose: in der Produktion und der Konsumtion der Güter. Aber dies ist nur ihr Material und läßt die Frage nach der Kontinuität oder Diskontinuität ihrer Form noch offen. Jede Konsumtion reißt zunächst eine Lücke in die Stetigkeit der wirtschaftlichen Linie und ihr Verhältnis zur Produktion ist zu wenig geregelt, zu sehr dem Zufall preisgegeben, um den Verlauf der Linie in Ununterbrochenheit [93] zu halten. Man mag diese als eine ideelle vorstellen, die sich durch die konkreten Objekte hindurchsetzt, vergleichbar etwa der Richtung des Lichtstrahls in ihrem Verhältnis zu den schwingenden Ätherteilchen. In den, die hart gegeneinander abgesetzten äußeren Dinge durchflutenden, ihre Wertbedeutungen ineinander leitenden Strom tritt nun zur Ausgleichung jener drohenden Unterbrechung das Geld ein. Indem ich für einen Gegenstand, den ich konsumieren will Geld hingebe, füge ich dieses in die Lücke der Wertbewegung, die durch meine Konsumtion entsteht oder vielmehr entstehen würde. Die primitiven Formen des Besitzwechsels, der Raub und das Geschenk, lassen ihrer Idee nach diese Ergänzung der Kontinuität nicht zu, mit ihnen stockt jedesmal der, man möchte sagen: logische Zusammenhang in jener ideellen Linie der wirtschaftlichen Strömung. Erst der Tausch von Äquivalenten weiß dem Prinzip nach diesen Zusammenhang herzustellen, und der Tatsache nach erst das Geld, das jede im Naturaltausch nicht fortzuschaffende Ungleichheit nivellieren kann und den Hiatus jener Linie stellvertretend füllt, der durch das Ausscheiden des zu konsumierenden Objekts entsteht. Diese reale Stellung innerhalb der Wirtschaftsreihe kann es aber ersichtlich nur durch seine ideelle Stellung außerhalb ihrer gewinnen. Denn es könnte doch wohl nicht jedes einzelne Objekt aufwiegen und zwischen beliebig diskrepanten die Brücke sein, wenn es selbst ein »einzelnes« Objekt wäre; in die Relationen, in deren Gestalt sich die Kontinuität der Wirtschaft vollzieht, kann es mit absoluter Zulänglichkeit ergänzend und ersetzend nur eintreten, weil es, als konkreter Wert, nichts ist als die zu einer greifbaren Substanz verkörperte Relation der Wirtschaftswerte selbst.

Weiter äußert sich dieser Sinn des Geldes empirisch als Wertkonstanz, die ersichtlich an seiner Fungibilität und Qualitätlosigkeit hängt und in der man eine der hervorstechendsten und zweckmäßigsten Eigenschaften des Geldes zu erblicken pflegt. Die Länge der wirtschaftlichen Aktionsreihen, ohne die es zu der Kontinuität, den organischen Zusammenhängen, der inneren Fruchtbarkeit der Wirtschaft nicht gekommen wäre, hängt von der Stabilität des Geldwertes ab, weil diese allein weitausschauende Berechnungen, vielgliedrige Unternehmungen, langsichtige Kredite möglich macht. Solange man nun die Preisschwankungen eines einzelnen Objekts im Auge hat, ist es nicht bestimmbar, ob der Wert des letzteren sich verändert und der des Geldes stabil bleibt, oder ob es etwa umgekehrt ist; eine Konstanz des Geldwertes ergibt sich erst als objektive Tatsache, sobald den Preiserhöhungen einer Ware oder eines Warengebietes Preissenkungen anderer korrespondieren. Eine allgemeine [94] Erhöhung sämtlicher Warenpreise würde Erniedrigung des Geldwertes bedeuten; sobald jene stattfindet, ist also die Konstanz des Geldwertes durchbrochen. Möglich ist dies überhaupt nur dadurch, daß das Geld über seinen reinen Funktionscharakter als Ausdruck des Wertverhältnisses konkreter Dinge hinaus gewisse Qualitäten enthält, die es spezialisieren, zu einem Marktgegenstand machen, es bestimmten Konjunkturen, Quantitätsverschiebungen, Eigenbewegungen unterwerfen, also es aus seiner absoluten Stellung, die es als Ausdruck der Relationen hat, in die einer Relativität hineindrängen, so daß es, kurz gesagt, nicht mehr Relation ist, sondern Relationen hat. Nur in dem Maße, in dem das Geld, seinem reinen Wesen treu, alledem entzogen ist, besitzt es Wertkonstanz, die also daran gebunden ist, daß Preisschwankungen nicht Änderungen seiner Beziehung zu den Dingen, sondern nur sich ändernde Beziehungen der Dinge untereinander bedeuten; und diese wiederum involvieren, daß der Erhöhung des einen eine Erniedrigung eines anderen korrespondiert. Soweit das Geld also die ihm wesentliche Eigenschaft der Wertstabilität wirklich besitzt, verdankt es sie seiner Aufgabe, die wirtschaftlichen Relationen der Dinge, oder: die Relationen, durch die die Dinge zu wirtschaftlich wertvollen werden, in sich in reiner Abstraktheit – durch sein bloßes Quantum – auszudrücken, ohne selbst in sie einzutreten. Deshalb ist auch die Funktion des Geldes eine um so dringlichere, je umfänglicher und lebhafter die Änderungen der wirtschaftlichen Werte erfolgen. Wo die Werte der Waren sehr entschieden und dauernd fixiert sind, liegt es nahe, sie in natura auszutauschen. Das Geld entspricht dem Zustand des Wechsels ihrer gegenseitigen Wertverhältnisse, weil es für jede Änderung derselben den absolut zutreffenden und schmiegsamen Ausdruck darbietet. Daß der wirtschaftliche Wert eines Dinges in dem nach allen Seiten hin bestimmten Austauschverhältnis zu allen anderen Dingen besteht, wird ersichtlich durch die Variabilität dieser Verhältnisse am fühlbarsten, da jede partielle Verschiebung weitere Ausgleichsbewegungen zu fordern pflegt und so die Relativität innerhalb des Ganzen immer von neuem bewußt macht. Indem das Geld nichts als der Ausdruck dieser Relativität ist, verstehen wir die anderwärts hervorgehobene Tatsache, daß Geldbedarf mit dem Schwanken der Preise, Naturaltausch mit ihrer Fixiertheit in gewissem Zusammenhange stehen.

Der so bestimmte reine Sinn des Geldes tritt begreiflicherweise theoretisch wie praktisch erst mit ausgebildeter Geldwirtschaft klarer hervor; der Träger, an dem dieser Sinn sich erst in allmählicher Entwicklung darstellt, hält das Geld ursprünglich noch in der Reihe der [95] Objekte selbst zurück, deren bloßes Verhältnis es eigentlich zu symbolisieren bestimmt ist. Für die mittelalterliche Theorie ist der Wert etwas Objektives: sie verlangt vom Verkäufer, er solle den »gerechten« Preis für seine Ware fordern, und sucht diesen gelegentlich durch Preistaxen zu fixieren; jenseits der Verhältnisse von Käufer und Verkäufer haftete dem Dinge an und für sich sein Wert als eine Eigenschaft seiner isolierten Natur an, mit der es in den Tauschakt eintrat. Diese Vorstellung vom Werte – dem substanziell-absolutistischen Weltbild der Epoche entsprechend – liegt bei naturalwirtschaftlichen Verhältnissen besonders nahe. Ein Stück Land für geleistete Dienste, eine Ziege für ein Paar Schuhe, ein Kleinod für zwanzig Seelenmessen – das waren Dinge, an die sich gewisse Intensitäten des Wertgefühles so unmittelbar knüpften, daß ihre Werte als objektiv einander entsprechend erscheinen konnten. Je unmittelbarer der Tausch stattfindet und in je einfacheren Verhältnissen – so daß nicht erst eine Vielheit vergleichender Beziehungen dem Objekt seine Stellung zuweist – desto eher kann der Wert als eine eigene Bestimmtheit des Objektes erscheinen. Die eindeutige Sicherheit, mit der man so den Austausch vollzog, spiegelte sich in der Vorstellung, daß sie durch eine objektive Qualität der Dinge selbst hervorgebracht würde. Erst die Einstellung des einzelnen Objekts in eine vielgliedrige Produktion und nach allen Seiten hinausgreifende Tauschbewegungen legt es nahe, seine wirtschaftliche Bedeutung in seiner Beziehung zu anderen Objekten, und so wechselseitig, zu suchen; dies aber fällt mit der Ausbreitung der Geldwirtschaft zusammen. Daß der Sinn des wirtschaftlichen Objektes als solchen in dieser Relativität besteht und daß es der Sinn des Geldes ist, sich immer reiner zum Ausdruck dieser Relativität zu machen – dies beides wird erst in Wechselwirkung dem Bewußtsein näher gebracht. Das Mittelalter nahm eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Objekte und dem Geldpreis an, d.h. eine, die auf dem an sich seienden Wert jedes von ihnen beruhte und die deshalb zu einer objektiven »Richtigkeit« gebracht werden konnte, und also auch sollte. Der Irrtum dieser substanzialistischen Anschauung ist methodisch derselbe, wie wenn man zwischen einem Individuum und dem Inhalte irgendeines Rechtes einen unmittelbaren Zusammenhang behaupten wollte, derart, daß das Wesen jenes Menschen, wie es an und für sich und ohne weitere Rücksicht auf außer ihm Liegendes ist, auf diese Kompetenz einen »gerechten« Anspruch hätte – wie es etwa in der individualistischen Vorstellung der »Menschenrechte« geschehen ist. In Wirklichkeit ist Recht doch nur ein Verhältnis von Menschen untereinander und vollzieht sich [96] nur an den Interessen, Objekten oder Machtvollkommenheiten, die wir einen Rechtsinhalt, »ein Recht« im engeren Sinne nennen und die an und für sich überhaupt keine angebbare, ihnen selbst anzusehende »gerechte« oder »ungerechte« Beziehung zu einem Individuum haben. Erst wenn jenes Verhältnis besteht und sich zu Normen gefestigt hat, können diese von sich aus, einen einzelnen Menschen und einen einzelnen Inhalt gleichsam zusammen ergreifend, die Verfügungsgewalt jenes über diesen als eine gerechte charakterisieren. So kann es allerdings einen gerechten Geldpreis für eine Ware geben, aber nur als Ausdruck eines bestimmten, nach allen Seiten hin ausgeglichenen Tauschverhältnisses zwischen dieser und allen anderen Waren, nicht aber als Folge des inhaltlichen Wesens der Ware für sich und der Geldsumme für sich, die sich so vielmehr ganz beziehungslos, jenseits von gerecht und ungerecht gegenüberstehen.

Daß die Bedeutung des Geldes, die wirtschaftliche Relativität der Objekte in sich darzustellen – wovon seine praktischen Funktionen abzweigen –, nicht als fertige Wirklichkeit dasteht, sondern wie alle historischen Gebilde seine Erscheinung erst allmählich zu der Reinheit des Begriffes aufläutert, den wir als seinen Beruf und seine Stellung gleichsam im Reiche der Ideen denken – das findet sein Gegenstück darin, daß man von allen Waren sagen konnte, sie seien in gewissem Sinne Geld. Jeder Gegenstand b, der gegen a, und von seinem nunmehrigen Besitzer gegen c vertauscht wird, spielt insofern, jenseits seiner Dingqualitäten, die Rolle des Geldes: es ist der Ausdruck der Tatsache, daß b, a und c gegeneinander vertauschbar sind und des Maßes, in dem sie es sind. Dies geschieht mit unzähligen Gegenständen und tatsächlich sehen wir, je weiter wir in der Kulturentwicklung zurückgehen, eine um so größere Zahl ganz verschiedenartiger Objekte die Funktion des Geldes in vollkommenerer oder rudimentärerer Art ausüben. Solange die Gegenstände noch in natura aneinander gemessen, bzw. gegeneinander ausgetauscht werden, befinden sich ihre subjektiven und ihre wirtschaftlich-objektiven Qualitäten, ihre absolute und ihre relative Bedeutung noch in ungeschiedenem Zustande; sie hören in demselben Maße auf, Geld zu sein oder sein zu können, in dem das Geld aufhört. Gebrauchsware zu sein. Das Geld wird immer mehr zu einem Ausdrucke des wirtschaftlichen Wertes, weil dieser selbst nichts ist, als die Relativität der Dinge als untereinander tauschbarer, diese Relativität aber ihrerseits an den zum Geld werdenden Objekten mehr und mehr Herr über deren sonstige Qualitäten wird, bis sie schließlich nichts anderes als die substanzgewordene Relativität selbst sind. Wenn der Weg zum Gelde vom Naturaltausch ausgeht, so ist, [97] noch innerhalb des letzteren, seine Richtung erst dann eingeschlagen, wenn man ein einheitliches Objekt nicht gegen ein anderes einheitliches, sondern gegen eine Mehrheit anderer tauscht. Wenn eine Kuh für einen Sklaven, ein Gewand für einen Talisman, ein Boot für eine Waffe gegeben wird, so ist der Prozeß der Wertabwägung noch ein völlig ungebrochener, er erfolgt nicht durch Reduktion der Objekte auf einen Generalnenner, als dessen gleiche Vielfache jene erst zu berechnen wären. Nimmt man indes eine Hammelherde für ein Haus, zehn behauene Balken für ein Schmuckstück, drei Maß Getränke für eine Arbeitshilfe, so ist die Einheit dieser Komplexe, der Hammel, der Balken, das Maß Getränk der gemeinsame Maßstab, dessen Vielfaches sich, verschieden geformt, in dem einen wie in dem anderen Tauschobjekt findet. Bei unteilbaren Gegenständen verläßt das Wertgefühl psychologisch nicht so leicht die festumschriebene Einheit des einzelnen. Sobald aber darum gefeilscht wird, ob das Schmuckstück nicht vielleicht zwölf oder nicht vielleicht nur acht Balken wert sei, wird auch der Wert des Schmuckes, trotz dessen äußerer Unzerlegbarkeit, durch den Wert eines Balkens gemessen, und es erscheint möglich, ihn aus dem Achtfachen, dem Zwölffachen und schließlich dem Zehnfachen dieses letzteren zusammenzusetzen. Dadurch wird der Wert beider Tauschgegenstände in ganz anderem Sinne gegeneinander kommensurabel, als wo keine derartige Zerlegung des einen Tauschobjekts beide dem Werte nach durch eine und dieselbe Einheit ausdrückbar machte. Im Tausch gegen Geld ist diese Kombination nur auf ihre höchste Form gebracht, Geld ist dasjenige teilbare Tauschobjekt, dessen Einheit sich für den Wert jedes noch so unteilbaren Gegenobjekts kommensurabel erweist und dadurch die Lösung des abstrakten Wertes in diesem von seiner Fesselung an seinen konkret-speziellen Inhalt erleichtert, oder auch: sie voraussetzt. Die Relativität der Wirtschaftsobjekte gegeneinander, die bei dem Tausch von Unteilbarkeiten psychologisch schwerer erkannt wird – weil hier jeder sozusagen einen in sich geschlossenen Wert besitzt – tritt durch die Zurückführung auf einen gemeinsamen Wertnenner, zuhöchst also auf das Geld, größer hervor.

Wir sahen früher, daß erst die Relativität den Wert der Objekts im objektiven Sinne schafft, weil erst durch sie die Dinge in eine Distanz vom Subjekt gestellt werden. Auch für diese beiden Bestimmungen ist das Geld Gipfel und Verkörperung, damit ihren Zusammenhang aufs neue beweisend. Indem das Geld niemals unmittelbar genossen werden kann (die später zu behandelnden Ausnahmen negieren sein eigentliches Wesen!), entzieht es sich selbst [98] jeder subjektiven Beziehung; das Jenseits des Subjekts, das der wirtschaftliche Verkehr überhaupt darstellt, ist in ihm vergegenständlicht, und es hat deshalb auch von allen Inhalten desselben die sachlichsten Usancen, die logischsten, bloß mathematischen Normen, die absolute Freiheit allem Persönlichen gegenüber in sich ausgebildet. Weil es bloß das Mittel für die eigentlich assimilierbaren Objekte ist, steht es seinem inneren Wesen nach in einer nicht aufzuhebenden Distanz zu dem begehrenden und genießenden Ich; und insofern es das unentbehrliche Mittel ist, das sich zwischen dieses und die Objekte schiebt, rückt es auch die letzteren in eine Distanz von uns; es hebt zwar diese selbst wieder auf, aber indem es dies tut, und jene dem. subjektiven Verbrauch übermittelt, entzieht es sie eben dem objektiv wirtschaftlichen Kosmos. Der Abstand, der das Subjektive und das Objektive aus ihrer ursprünglichen Einheit voneinandergetrieben hat, ist im Geld sozusagen körperhaft geworden – während andrerseits sein Sinn ist, getreu der oben behandelten Korrelation von Distanz und Nähe, uns das sonst Unerreichbare nahe zu bringen. Die Tauschbarkeit, durch die es überhaupt erst wirtschaftliche Werte gibt, indem diese durch jene ihr objektives Füreinandersein erhalten, und die doch die Entfernung des Ausgetauschten und die Annäherung des Eingetauschten in einem Akt zusammenschließt, hat in dem Gelde nicht nur ihr technisch vollendetstes Mittel, sondern eine eigne, konkrete, alle Bedeutungen jener in sich sammelnde Existenz gewonnen.

Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: daß es innerhalb der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein ausmacht.

Es gehört zu den Grundtatsachen der seelischen Welt, daß wir Verhältnisse zwischen mehreren Elementen des Daseins in besonderen Gebilden verkörpern; diese sind freilich auch substanzielle Wesen für sich, aber ihre Bedeutung für uns haben sie nur als Sichtbarkeit eines Verhältnisses, das in loserer oder engerer Weise an sie gebunden ist. So ist der Ehering, aber auch jeder Brief, jedes Pfand, wie jede Beamtenuniform Symbol oder Träger einer sittlichen oder intellektuellen, einer juristischen oder politischen Beziehung zwischen Menschen, ja, jeder sakramentale Gegenstand das substanziierte Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott; die Telegraphendrahte, die die Länder verbinden, sind nicht weniger als die militärischen Waffen, die ihre Entzweiung ausdrücken, derartige Substanzen, die kaum eine Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, [99] sondern einen Sinn nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen haben, die in ihnen kristallisiert sind. Gewiß kann die Vorstellung der Beziehung oder des Verhältnisses schon als eine Abstraktion gelten, insofern nur die Elemente real sind, deren wechselseitig bewirkte Zustände wir so zu eignen Begriffen zusammenfassen; erst die metaphysische Vertiefung, die das Erkennen in seiner empirischen Richtung, aber über seine empirischen Grenzen hinaus verfolgt, mag auch diese Zweiheit aufheben, indem sie überhaupt keine substanziellen Elemente mehr bestehen läßt, sondern jedes derselben in. Wechselwirkungen und Prozesse auflöst, deren Träger demselben Schicksal unterworfen werden. Das praktische Bewußtsein aber hat die Form gefunden, um die Vorgänge der Beziehung oder der Wechselwirkung, in der die Wirklichkeit verläuft, mit der substanziellen Existenz zu vereinigen, in die die Praxis eben die abstrakte Beziehung als solche kleiden muß. Jene Projizierung bloßer Verhältnisse auf Sondergebilde ist eine der großen Leistungen des Geistes, indem in ihr der Geist zwar verkörpert wird, aber nur um das Körperhafte zum Gefäß des Geistigen zu machen und diesem damit eine vollere und lebendigere Wirksamkeit zu gewähren. Mit dem Gelde hat die Fähigkeit zu solchen Bildungen ihren höchsten Triumph gefeiert. Denn die reinste Wechselwirkung hat in ihm die reinste Darstellung gefunden, es ist die Greifbarkeit des Abstraktesten, das Einzelgebilde, das am meisten seinen Sinn in der Übereinzelheit hat; und so der adäquate Ausdruck für das Verhältnis des Menschen zur Welt, die dieser immer nur in einem Konkreten und Singulären ergreifen kann, die er aber doch nur wirklich ergreift, wenn dieses ihm zum Körper des lebendigen, geistigen Prozesses wird, der alles Einzelne ineinander verwebt und so erst aus ihm die Wirklichkeit schafft. Diese Bedeutung seiner würde sich nicht ändern, auch wenn die Gegenstände der Wirtschaft die Relativität ihres Wertes nicht von vornherein, sondern erst als ein Entwicklungsziel besäßen. Denn den Begriff, mit dem wir das Wesen einer Erscheinung definieren, können wir häufig gar nicht aus ihr selbst, sondern nur aus einer vorgeschritteneren und reineren schöpfen. Das Wesen der Sprache werden wir nicht den ersten Stammellauten des Kindes entnehmen; an einer Definition des tierischen Lebens wird es uns nicht irre machen, wenn sie an den Übergangswesen von der Pflanze her nur sehr unvollkommen verwirklicht ist; erst an den höchsten Erscheinungen des Seelenlebens erkennen wir oft den Sinn seiner niederen, trotzdem wir ihn an diesen selbst vielleicht überhaupt nicht nachweisen können; ja, der reine Begriff einer Erscheinungsreihe ist oft ein Ideal, das in ihr selbst nirgends restlos [100] verwirklicht ist, aber dennoch dadurch, daß sie ihm zustrebt, ihren Sinn und Gehalt gültig deutet. So ist die Bedeutung des Geldes: die Relativität der begehrten Dinge, durch die sie zu wirtschaftlichen Werten werden, in sich darzustellen – dadurch nicht verneint, daß es noch andere, jene herabsetzende und verundeutlichende Seiten besitzt. Insofern diese an ihm wirken, ist es eben nicht Geld. Wenn der wirtschaftliche Wert in dem Tauschverhältnis von Objekten gemäß unserer subjektiven Reaktion auf sie besteht, so entwickelt sich eben ihre wirtschaftliche Relativität erst allmählich aus ihrer anderweitigen Bedeutung und kann in ihrem Gesamtbilde, oder auch Gesamtwerte, nie völlig über diese Herr werden. Der Wert, der den Dingen durch ihre Tauschbarkeit zuwächst, bzw. diese Metamorphose ihres Wertes, durch die er zu einem wirtschaftlichen wird, tritt zwar mit der extensiven und intensiven Steigerung der Wirtschaft immer reiner und mächtiger an den Dingen hervor – eine Tatsache, die Marx als das Ausgeschaltetwerden des Gebrauchswertes zugunsten des Tauschwertes in der warenproduzierenden Gesellschaft ausdrückt –, aber diese Entwicklung scheint nie zu ihrer Vollendung kommen zu können. Nur das Geld, seinem reinen Begriff nach, hat diesen äußersten Punkt erreicht, es ist nichts als die reine Form der Tauschbarkeit, es verkörpert das Element oder die Funktion an den Dingen, durch die sie wirtschaftliche sind, die zwar nicht ihre Totalität, wohl aber die seine ausmacht. Inwieweit nun die historische Verwirklichung des Geldes diese Idee seiner darstellt, und ob es nicht in jener noch mit einem Teil seines Wesens nach einem anderen Zentrum gravitiert – sollen die Untersuchungen des nächsten Kapitels darstellen.

 


 

[101]

Zweites Kapitel.
Der Substanzwert des Geldes.

I.

Die Diskussion über das Wesen des Geldes wird allenthalben von der Frage durchzogen: ob das Geld, um seine Dienste des Messens, Tauschens, Darstellens von Werten zu leisten, selbst ein Wert sei und sein müsse, oder ob es für diese genüge, wenn es, ohne eigenen Substanzwert, ein bloßes Zeichen und Symbol wäre, wie eine Rechenmarke, die Werte vertritt, ohne ihnen wesensgleich zu sein. Die ganze sachliche und historische Erörterung dieser, in die letzten Tiefen der Geld- und Wertlehre hinunterreichenden Frage würde sich erübrigen, wenn ein oft hervorgehobener logischer Grund sie von vornherein entschiede. Ein Meßmittel, so sagt man, muß von derselben Art sein, wie der Gegenstand, den es mißt: ein Maß für Längen muß lang sein, ein Maß für Gewichte muß schwer sein, ein Maß für Rauminhalte muß räumlich ausgedehnt sein. Ein Maß für Werte muß deshalb wertvoll sein. So beziehungslos zwei Dinge, die ich aneinander messe, auch in allen ihren sonstigen Bestimmungen sein mögen – in Hinsicht derjenigen Qualität, in der ich sie vergleiche, müssen sie übereinstimmen. Alle quantitative und zahlenmäßige Gleichheit oder Ungleichheit, die ich zwischen zwei Objekten aussage, wäre sinnlos, wenn sie nicht die relativen Quantitäten einer und derselben Qualität beträfe. Ja, diese Übereinstimmung in der Qualität darf nicht einmal eine allzu allgemeine sein; man kann z.B. die Schönheit einer Architektur nicht der Schönheit eines Menschen gleich oder ungleich groß setzen, obgleich in beiden doch die einheitliche Qualität »Schönheit« ist, sondern nur die speziellen architektonischen oder die speziellen menschlichen Schönheiten ergeben je untereinander die Möglichkeit eines Vergleichs. Wenn man aber doch eine Vergleichbarkeit, bei völligem Mangel jeder gemeinsamen Eigenschaft, in der Reaktion erblicken wollte, die das empfindende Subjekt an die Gegenstände knüpft; wenn die Schönheit des Gebäudesund die Schönheit des Menschen vergleichbar sein sollen nach dem Maß von Beglückung, das wir bei der Betrachtung [102] des einen und der des anderen empfinden: so würde auch hier, unter abweichendem Scheine, eine Gleichheit von Qualitäten ausgesprochen sein. Denn die Gleichheit der Wirkung, an demselben Subjekt hervortretend, bedeutet unmittelbar die Gleichheit der Objekte in der hier fraglichen Beziehung. Zwei völlig verschiedene Erscheinungen, die demselben Subjekt die gleiche Freude bereiten, haben unter aller ihrer Verschiedenheit eine Gleichheit der Kraft oder des Verhältnisses zu jenem Subjekt, wie ein Windstoß und eine menschliche Hand, wenn sie beide einen Baumzweig brechen, unter aller Unvergleichbarkeit ihrer Qualitäten, dennoch eine Gleichheit der Energie beweisen. So mag der Geldstoff und alles, dessen Wert man mit ihm mißt, einander ganz unähnlich sein, aber in dem Punkte, daß beide Wert haben, müssen sie übereinstimmen; und selbst wenn der Wert überhaupt nichts anderes ist, als ein subjektives Fühlen, mit dem wir auf die Eindrücke der Dinge antworten, so muß wenigstens diejenige – wenngleich nicht isolierbare – Qualität, durch welche sie überhaupt sozusagen auf den Wertsinn der Menschen wirken, bei beiden dieselbe sein. So soll wegen der Tatsache, daß es mit Werten verglichen wird, d.h. in eine quantitative Gleichung mit ihnen eintritt, das Geld die Wertqualität nicht entbehren können.

Dieser Überlegungsreihe stelle ich eine andere mit abweichendem Resultate gegenüber. Wir können allerdings in dem obigen Beispiel die Kraft des Windes, der den Baumzweig bricht, mit der der Hand, die dasselbe tut, nur insofern vergleichen, als diese Kraft in beiden qualitativ gleich vorhanden ist. Allein, wir können die Kraft des Windes auch an der Dicke des Zweiges messen, den er geknickt hat. Zwar drückt der geknickte Zweig nicht an und für sich schon das Energiequantum des Windes in demselben Sinne aus, wie der Kraftaufwand der Hand es ausdrücken mag; allein das Stärkeverhältnis zwischen zwei Windstößen und damit die relative Stärke des einzelnen ist wohl daran zu messen, daß der eine einen Zweig zerbrochen hat, den der andere noch nicht verletzen konnte. Und ganz entscheidend scheint mir das folgende Beispiel. Die ungleichartigsten Objekte, die wir überhaupt kennen, die Pole des Weltbildes, die aufeinander zu reduzieren weder der Metaphysik noch der Naturwissenschaft gelungen ist – sind materielle Bewegungen und Bewußtseinserscheinungen. Die reine Extensität der einen, die reine Intensität der anderen haben bisher keinen Punkt entdecken lassen, der allgemein überzeugend als ihre Einheit, gälte. Dennoch kann der Psychophysiker nach den Änderungen der äußeren Bewegungen, die als Reize unsere Sinnesapparate treffen, die relativen Stärkeänderungen [103] der bewußten Empfindungen messen. Indem also zwischen den Quanten des einen und denen des anderen Faktors ein konstantes Verhältnis besteht, bestimmen die Größen des einen die relativen Größen des anderen, ohne daß irgendeine qualitative Beziehung oder Gleichheit zwischen ihnen zu existieren braucht. Damit ist das logische Prinzip durchbrochen, das die Fähigkeit des Geldes, Werte zu messen, von der Tatsache seines eigenen Wertes abhängig zu machen schien. Das ist freilich richtig: vergleichen kann man die Quanten verschiedener Objekte nur, wenn sie von einer und derselben Qualität sind; wo also das Messen nur durch unmittelbare Gleichung zwischen zwei Quanten geschehen kann, da setzt es Qualitätsgleichheit voraus. Wo aber eine Änderung, eine Differenz oder das Verhältnis je zweier Quanten gemessen werden soll, da genügt es, daß die Proportionen der messenden Substanzen sich in denen der gemessenen spiegeln, um diese völlig zu bestimmen, ohne daß zwischen den Substanzen selbst irgendeine Wesensgleichheit zu bestehen brauchte. Es lassen sich also nicht zwei Dinge gleich setzen, die qualitativ verschieden sind, wohl aber zwei Proportionen zwischen je zwei qualitativ verschiedenen Dingen. Die beiden Objekte m und n mögen in irgendeiner Beziehung stehen, die aber absolut nicht die der Qualitätsgleichheit ist, so daß unmittelbar keine von ihnen zum Maßstab für die andere dienen kann; die zwischen ihnen bestehende Beziehung mag die der Ursache und Wirkung, oder der Symbolik, oder des gemeinsamen Verhältnisses zu einem dritten oder was sonst sein. Es sei nun das Objekt angegeben, von dem ich weiß, daß es 1/4 m ist, es sei ferner das Objekt b gegeben, von dem man nur weiß, daß es irgendein Teilquantum von n ist. Wenn nun eine Beziehung zwischen a und b entsteht, welche der zwischen m und n entspricht, so folgt daraus, daß b gleich 1/4 n sein muß. Trotz aller Qualitätsungleichheit und Unmöglichkeit eines direkten Vergleiches zwischen a und b ist es so doch möglich, die Quantität des einen nach der des anderen zu bestimmen. So besteht z.B. zwischen einem gewissen Quantum von Speisen und dem momentanen Nahrungsbedürfnis, zu dessen völliger Stillung es ausreichen würde, gewiß kein Gleichungsverhältnis; allein, wenn so viel Speisen gegeben sind, daß gerade die Hälfte jenes Bedürfnisses dadurch befriedigt wird, so kann ich demnach unmittelbar bestimmen, daß dieses verfügbare Quantum gleich der Hälfte jenes ersteren ist. Unter solchen Umständen genügt also das Bestehen eines Gesamtverhältnisses, um die Quanten der Glieder aneinander zu messen. Wenn es nun möglich ist, das Messen der Objekte am Gelde als ein nach diesem Schema erfolgendes anzusehen, so ist die direkte Vergleichbarkeit [104] beider und damit die logische Forderung des Wertcharakters des Geldes selbst insoweit hinfällig.

Um von dieser gleichfalls nur logischen Möglichkeit zur Wirklichkeit zu kommen, setzen wir nur ein ganz allgemeines Maßverhältnis zwischen Güterquantum und Geldquantum voraus, wie es sich in dem freilich oft verdeckten und an Ausnahmen reichen Zusammenhange zwischen wachsendem Geldvorrat und steigenden Preisen, wachsendem Gütervorrat und sinkenden Preisen zeigt. Wir bilden danach, alle nähere Bestimmung vorbehalten, die Begriffe eines Gesamtwarenvorrates und eines Gesamtgeldvorrates und eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen ihnen.

Jede einzelne Ware ist nun ein bestimmter Teil jenes verfügbaren Gesamtwarenquantums; nennen wir das letztere a, so ist jene etwa 1/m a; der Preis, den sie bedingt, ist der entsprechende Teil jenes Gesamtgeldquantums, so daß er, wenn wir dieses b nennen, gleich 1/m b ist. Kennten wir also die Größen a und b, und wüßten wir, einen wie großen Teil der verkäuflichen Werte überhaupt ein bestimmter Gegenstand ausmacht, so wüßten wir auch seinen Geldpreis, und umgekehrt. Ganz unabhängig davon also, ob das Geld und jenes wertvolle Objekt irgendeine qualitative Gleichheit haben, gleichgültig also dagegen, ob das erstere selbst ein Wert ist oder nicht, kann die bestimmte Geldsumme den Wert des Gegenstandes bestimmen oder messen. Man muß hierbei immer den vollständigen Relativitätscharakter des Messens im Auge behalten. Absolute Quanten, welche einander äquivalent gesetzt werden, messen sich damit in einem ganz anderen Sinne, als die hier fraglichen Teilquanten. Wenn etwa vorausgesetzt würde, daß die Gesamtsumme des Geldes – unter bestimmten Restriktionen – den Gegenwert für die Gesamtsumme der Verkaufsgegenstände bildete, so brauchte man dies noch nicht als ein Messen des einen am anderen anzuerkennen. Es ist eben nur das Verhältnis beider zu dem wertsetzenden Menschen und seinen praktischen Zwecken, das sie untereinander in eine Beziehung von Äquivalenz setzt. Wie stark die Tendenz ist, Geld überhaupt und Ware überhaupt ohne weiteres als einander entsprechend zu behandeln, zeigt eine Erscheinung wie die folgende, die an mehr als einer Stelle aufgetreten ist. Wenn ein roherer Stamm eine naturale Tauscheinheit hat und in Verkehr mit einem höher entwickelten, Metallgeld besitzenden Nachbar tritt, so wird häufig die naturale Einheit als gleichwertig der Münzeinheit dieses letzteren behandelt. So setzten die alten Iren, als sie in Beziehung zu den Römern traten, ihre Werteinheit, die Kuh, gleich einer Unze Silber; die wilden Bergstämme in Anam, die nur Naturaltausch treiben, [105] haben den Büffel als Grundwert, und bei ihrem Verkehr mit den kultivierteren Bewohnern der Ebene wird die Werteinheit dieser, eine Silberstange von bestimmter Größe, gleich einem Büffel gewertet. Derselbe Grundzug ist bei einem wilden Volksstamm nahe Laos wirksam: diese treiben nur Tauschhandel, ihre Einheit ist die eiserne Hacke. Aber sie waschen Flußgold aus, das sie den Nachbarstämmen verkaufen und das der einzige Gegenstand ist, den sie wägen. Dazu haben sie Lein anderes Mittel als das Maiskorn; und nun verkaufen sie je ein Maiskorn Gold für je eine Hacke! Da die Wareneinheit des Naturaltausches ebenso die Wertidee des ganzen Objektskreises versinnlicht oder vertritt, wie die Geldeinheit die des Münzkomplexes, so ist diese Formulierung: Eins gegen Eins – nur die naiv ausgedrückte Äquivalenz der fraglichen Gesamtheiten. Man darf wohl annehmen, daß das Verhältnis der Einheiten als mindestens symbolische Darstellung des Verhältnisses der Ganzheiten empfunden wird.

Liegt nun aber einmal die Äquivalenz der letzteren gleichsam als wirksames, wenn auch nicht gewußtes Apriori zum Grunde, so stellt sich über dessen subjektiver Zufälligkeit eine objektive Proportion zwischen den Teilquanten her. Denn nun ist wirklich etwas da, was auf beiden Seiten das genau Gleiche ist: nämlich der Bruch zwischen jeder der beiden vorliegenden Teilgrößen und dem absoluten Quantum, zu dem die einzelne gehört. Vollkommene Ausgeglichenheit aller Verschiebungen und zufälligen Ungleichmäßigkeiten in der Preisbildung vorausgesetzt, würde sich in dem Bezirke des Geld-Waren-Tausches jede Ware zu ihrem Preis verhalten, wie alle momentan ökonomisch wirksamen Waren zu allem momentan wirksamen Geld. Ob dieses letztere mit dem anderen eine begriffliche, qualitative Verwandtschaft hat, ist hierbei völlig irrelevant. Wenn eine Ware also 20 m kostet, so ist dies 1/n des Geldvorrats überhaupt; d.h. sie ist an Wert 1/n des Gütervorrats überhaupt. Durch diese Vermittlung hindurch können 20 m sie völlig messen, obgleich sie generell von ihr völlig verschieden sind; wobei immer wieder betont werden muß, daß die Voraussetzung einer einfachen Beziehung zwischen allen Waren und allem Geld eine ganz vorläufige, rohe und schematische ist. Daß die Ware und ihr Maßstab gleichen Wesens sein müssen, wäre eine richtige Forderung, wenn man eine einzelne Ware unmittelbar einem Geldwert gleich zu setzen hätte. Aber man hat ja bloß für Zwecke des Tausches und der Wertbestimmung das Verhältnis verschiedener (bzw. aller) Waren zueinander (also das Resultat der Division der einzelnen durch alle anderen) zu bestimmen und der Geldsumme, d.h. dem entsprechenden Bruchteil des wirksamen Geldvorrates gleichzusetzen; und dazu bedarf es nur irgendeiner [106] numerisch bestimmbaren Größe. Wenn sich die Waren zu der Summe A aller verkäuflichen Waren verhält, wie a Geldeinheiten zu der Summe B aller vorhandenen Geldeinheiten: so ist der ökonomische Wert von n ausgedrückt durch a/B. Daß man dies meistens nicht so vorstellt, liegt daran, daß B ebenso wie A ganz selbstverständlich sind – weil ihre Wandlungen nicht leicht in unsere Wahrnehmung treten – und deshalb in ihrer Funktion als Nenner gar nicht besonders bewußt werden; was uns im einzelnen Falle interessiert, sind ausschließlich die Zähler n und a. Daher konnte die Vorstellung entstehen, daß n und a sich an und für sich, unmittelbar und absolut entsprächen, wozu sie allerdings gleichen Wesens sein müßten. Daß jener allgemeine, das Verhältnis überhaupt begründende Faktor in Vergessenheit geriete, bzw. nur tatsächlich, aber nicht bewußt wirkte, wäre ein Beispiel für einen der durchgreifendsten Züge der menschlichen Natur. Die beschränkte Aufnahmefähigkeit unseres Bewußtseins einerseits, die kraftsparende Zweckmäßigkeit seiner Verwendung andrerseits bewirkt, daß von den unzähligen Seiten und Bestimmungen eines Interessenobjekts immer nur eine geringe Zahl wirklich beachtet werden. Den verschiedenen Gesichtspunkten, von denen die Auswahl und Rangierung der bewußtwerdenden Momente ausgeht, entspricht es, daß diese letzteren in eine systematische Stufenfolge gegliedert werden können; dieselbe beginnt damit, daß von einer Reihe von Erscheinungen nur dasjenige, was ihnen allen gemeinsam ist, beachtet wird, an jeder nur die Grundlage, die sie mit den anderen teilt, ins Bewußtsein tritt; das entgegengesetzte Endglied der Skala bezeichnet es, wenn an jeder Erscheinung gerade nur das zum Bewußtsein kommt, was sie von jeder anderen unterscheidet, das absolut Individuelle, während das Allgemeine und Fundamentale unter der Schwelle des Bewußtseins bleibt. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich in den mannigfaltigsten Abstufungen die Punkte, an welche sich, als an Seiten der Gesamterscheinungen, das höchste Bewußtsein heftet. Ganz durchschnittlich kann man nun sagen, daß theoretische Interessen das Bewußtsein mehr auf die Gemeinsamkeiten, praktische mehr auf die Individualität der Dinge hinweisen werden. Dem metaphysisch interessierten Denker verschwinden oft genug die individuellen Differenzen der Dinge als unwesentlich, bis er etwa an so allgemeinen Vorstellungen wie Sein oder Werden haften bleibt, die allen Dingen schlecht hin gemeinsam sind. Umgekehrt verlangt das praktische Leben allenthalben, an den uns angehenden Menschen und Verhältnissen die Unterschiede, Eigenheiten, Nuancen mit schärfstem Bewußtsein aufzufassen, während die allgemein menschlichen [107] Eigenschaften oder die gemeinsame Grundlage aller der fraglichen Verhältnisse als selbstverständlich keiner besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, ja selbst eine solche sie sich oft nur mühsam klar machen kann. Innerhalb des Familienlebens z.B. bauen sich die Verhältnisse der Mitglieder untereinander bewußterweise auf der Erfahrung derjenigen persönlichen Qualitäten auf, durch welche sich jeder allen anderen gegenüber unterscheidet, während der allgemeine Familiencharakter gar kein Gegenstand besonderer Beachtung für die an ihm Teilhabenden zu sein pflegt, so wenig, daß oft nur Fernerstehende denselben überhaupt zu beschreiben vermögen. Das verhindert aber nicht, daß diese allgemeine und unbewußte Grundlage dennoch psychisch wirksam wird. Die individuellen Eigenschaften der Familienmitglieder werden tatsächlich sehr verschiedene Verhältnisse unter ihnen hervorrufen, je nach dem allgemeinen Charakter und Ton, der in der ganzen Familie herrscht; erst dieser gibt doch den freilich unbeachteten Untergrund ab, auf dem jene ihre eindeutig bestimmten Folgen entfalten können. Ganz dasselbe gilt für weitere Kreise. So sehr alle Verhältnisse zwischen Menschen überhaupt auf den besonderen Bedingungen beruhen, die jeder Einzelne hinzubringt, so kommen sie doch in ihrer bestimmten Art tatsächlich nur dadurch zustande, daß außer ihnen gewisse ganz allgemeinmenschliche Tatsachen und Voraussetzungen selbstverständlich vorhanden sind und gleichsam den Generalnenner bilden, zu dem jene individuellen Differenzen als die bestimmenden Zähler treten und erst so die Totalität des Verhältnisses erzeugen. Ganz dasselbe psychologische Verhältnis könnte nun bezüglich der Geldpreise obwalten. Die Gleichsetzung zwischen dem Werte einer Ware und dem Werte einer Geldsumme bedeutet keine Gleichung zwischen einfachen Faktoren, sondern eine Proportion, d.h. die Gleichheit zweier Brüche, deren Nenner einerseits die Summe aller Waren, andrerseits die Summe alles Geldes – beides natürlich noch erheblicher Determinationen bedürftig – eines bestimmten Wirtschaftskreises ist. Als Gleichung kommt sie dadurch zustande, daß diese beiden Summen aus praktischen Gründen a priori als einander äquivalent gesetzt werden; oder genauer: das praktische Verhältnis, in dem wir beide Kategorien handhaben, spiegelt sich im theoretischen Bewußtsein in der Form einer Äquivalenz. Allein, da dies die allgemeine Begründung aller Gleichungen zwischen einzelnen Waren und einzelnen Preisen ist, so kommt sie nicht zum Bewußtsein, sondern bildet zu jenen allein interessierenden und deshalb allein bewußten Einzelgliedern den unbewußt mitwirkenden Faktor, ohne den jene überhaupt nicht die Möglichkeit einer Beziehung hätten. Die ungeheure [108] Wichtigkeit jener absoluten und fundamentalen Gleichung würde ihre Unbewußtheit so wenig unwahrscheinlich, ja eigentlich gerade so wahrscheinlich machen, wie es entsprechend in den angeführten Analogien der Fall ist.

Gewiß würde unter Voraussetzung eines an sich wertlosen Geldes der einzelne Geldpreis ganz beziehungslos neben der Ware stehen, deren Wert er ausdrücken soll, wenn sich die Betrachtung auf diese beiden Momente beschränkte; man würde nicht wissen, woraufhin das eine Objekt einen um ein ganz Bestimmtes höheren oder niederen Preis bedingen sollte, als ein anderes. Sobald aber, als absolute Voraussetzung dieser ganzen Relation die Summe alles Verkäuflichen der Summe alles Geldes – in einem nachher zu erörternden Sinn der »Summe« – äquivalent gesetzt wird, ergibt sich die Preisbestimmtheit jeder einzelnen Ware einfach als der Bruch zwischen ihrem Wert und jenem Totalwert, der sich als der Bruch zwischen ihrem Preis und dem Gesamtgeldquantum wiederholt. Dies enthält, worauf ich nochmals hinweise, keineswegs den Zirkel: daß die Fähigkeit einer bestimmten Geldsumme, den Wert einer einzelnen Ware zu messen, auf das Gleichungsverhältnis alles Geldes mit allen Waren gegründet wird, dieses selbst ja aber schon die Meßbarkeit des einen am anderen voraussetze; die Frage, ob jede Messung eine Wesensgleichheit zwischen dem Objekt und dem Maßstab fordere, würde so freilich den konkreten Fall nicht mehr treffen, um aber an der Voraussetzung desselben ungelöst haften zu bleiben. Tatsächlich indes ist eine Messung relativer Quanten daraufhin möglich, daß ihre absoluten Quanten in irgendeinem Verhältnis stehen, welches nicht Messung oder Gleichheit zu sein braucht. Gewiß besteht zwischen der Dicke eines Eisenrohres und einer bestimmten Wasserkraft keine Gleichheit und Messungsmöglichkeit; allein, wenn beide integrierende Teile eines mechanischen Systems mit einem bestimmten Krafteffekt bilden, so kann ich, wenn eine gewisse Modifikation dieses letzteren gegeben ist, unter Umständen an der mir bekannt werdenden Änderung der Wasserkraft genau ermessen, welches der Durchmesser des in dem System verwendeten Rohres ist. So mögen Waren überhaupt und Geld überhaupt aneinander nicht meßbar sein; es würde genügen, daß sie beide für das Leben des Menschen eine gewisse Rolle innerhalb seines praktischen Zwecksystems spielen, damit die quantitative Modifikation des einen den Index für die des anderen abgäbe. Zu dieser Reduzierung der Bedeutung jedes Geld quantums als solchen auf einen Bruch, der es noch ganz dahingestellt sein läßt, von welcher absoluten Größe er diesen bestimmten Teil ausmacht, ist es nicht ohne Beziehung, daß [109] die Römer ihre Münzen – mit einer besonders begründeten Ausnahme – nicht nach der absoluten, sondern der relativen Schwere benannten. So bedeutet as nur ein Ganzes aus 12 Teilen, das ebensogut auf die Erbschaft wie auf die Maße oder Gewichte beziehbar ist und ebenso für das Pfund wie für jeden beliebigen Teil desselben gesetzt werden kann. Und daß hier bloß die Relativität des Maßes bewußt und wirksam ist, wird auch durch die Hypothese nicht alteriert, nach der das as vor Urzeiten eine Kupferstange von absolut bestimmtem Gewicht bedeutet habe.

Jetzt muß die schon angedeutete Restriktion an dem Begriff des Gesamtgeldquantums etwas genauer vollzogen werden. Daß man nicht einfach sagen kann, es gäbe so viel kaufendes Geld, wie es kaufbare Ware gibt, liegt nicht etwa an der unermeßlichen Quantitätsdifferenz, die zwischen allen angehäuften Waren auf der einen Seite und allem angehäuften Geld auf der anderen bestünde. Denn da es keinen gemeinsamen Maßstab für beide, wie für qualitativ gleichgeartete Dinge, gibt, so besteht zwischen ihnen überhaupt kein unmittelbares Mehr oder Weniger. Kein Warenquantum hat von sich aus eine bestimmte Beziehung zu einem bestimmten Geldquantum, da prinzipiell alle Zwecke des Geldes mit einem beliebig verkleinerten Geldquantum erreichbar wären. Wieweit dies in Wirklichkeit gehen kann, ohne den Verkehr zu unterbinden, zeigt die berichtete Tatsache: es habe vor einigen Jahrhunderten in Rußland Silbermünzen von solcher Kleinheit gegeben, daß man sie überhaupt nicht mehr mit den Händen vom Tisch habe aufnehmen können, sondern sie aus dem Beutel auf denselben schüttete, und die zu zahlende Summe abteilte, worauf dann beide Parteien ihre Teile mit der Zunge aufleckten und in die Beutel zurückspuckten. Man könnte sagen: welches auch der absolute Umfang des Geldvorrats sei, er bleibt, solange er die Dienste des Geldes leistet, immer gleich viel »Geld«; es variiert nur das Quantum, das diese Zeichen oder Stücke in anderer Beziehung, nämlich als Material irgendwelcher Art betrachtet, darstellen, aber ihr Quantum als Geld braucht sich dadurch nicht zu ändern. Darum gibt jener direkte Vergleich aller Waren und alles Geldes überhaupt keinen Schluß. Die Unverhältnismäßigkeit zwischen der Totalität des Geldes und der der Waren, als Nenner jener wertausdrückenden Brüche, ruht vielmehr auf der Tatsache, daß der Geldvorrat als ganzer sich viel schneller umsetzt als der Warenwert als ganzer. Denn niemand, läßt, soweit er es vermeiden kann, erheblichere Geldsummen still liegen, und man kann es tatsächlich fast immer vermeiden; kein Kaufmann aber entgeht dem, daß beträchtliche Teile seines Vorrates lange liegen, ehe sie verkauft [110] werden. Diese Differenz des Umsatztempos wird noch viel größer, wenn man diejenigen Objekte einrechnet, die sich nicht zum Verkaufe anbieten, trotzdem aber gelegentlich und für ein verführerisches Gebot verkäuflich sind. Legt man also die wirklich gezahlten Preise für die einzelnen Waren zum Gründe und fragt nach dem Geldquantum, das daraufhin zum Ankauf des gesamten Vorrats erforderlich wäre, so sieht man allerdings, daß dasselbe den tatsächlichen Geldvorrat unermeßlich übersteigt. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man sagen, daß es sehr viel weniger Geld als Ware gibt, und daß der Bruch zwischen der Ware und ihrem Preise durchaus nicht dem zwischen allen Waren und allem Gelde gleich, sondern, wie sich leicht aus dem vorhergehenden ergibt, erheblich kleiner als dieser ist. Auf zwei Wegen aber läßt sich dennoch unsere grundlegende Proportion retten. Man könnte nämlich, erstens, als das in sie eintretende Gesamtwarenquantum dasjenige ansehen, das sich in aktueller Verkaufsbewegung befindet. Aristotelisch zu reden, ist die unverkaufte Ware nur eine Ware »der Möglichkeit nach«, sie wird zur Ware »der Wirklichkeit nach« erst in dem Moment ihres Verkauftwerdens. Wie das Geld erst in dem Augenblick, wo es kauft, d.h. die Funktion des Geldes übt, wirklich Geld ist, so entsprechend die Ware erst, wenn sie verkauft wird; vorher ist sie Verkaufsobjekt nur vermöge und innerhalb einer ideellen Antizipation. Von diesem Standpunkte aus ist es ein ganz selbstverständlicher, ja identischer Satz, daß es so viel Geld gibt, wie es Verkaufsobjekte gibt – wobei natürlich unter Geld auch alle durch den Kredit und Giroverkehr ermöglichten Geldsubstitute einbegriffen sind. Nun sind zwar die momentan ruhenden Waren keineswegs wirtschaftlich unwirksam, und das wirtschaftliche Leben wäre unermeßlich verändert, wenn auf einmal der Warenvorrat so restlos in die Bewegung jedes Momentes einginge, wie der Geldvorrat es tut. Allein genauer betrachtet scheint mir der ruhende Warenvorrat nur nach drei Seiten hin auf die wirklichen Geldkäufe zu wirken: auf das Tempo des Geldumlaufs, auf die Beschaffung der Geldstoffe oder -äquivalente, auf das Verhältnis der Geldausgaben zu den Reserven. Aber diese Momente haben auf die aktuellen Umsätze schon ihre Wirkung geübt, unter ihrem Einfluß hat sich das empirische Verhältnis zwischen Ware und Preis gebildet, und sie verhindern also gar nicht, in jener fundamentalen Proportion das Gesamtwarenquantum als dasjenige zu verstehen, das sich aus den in jedem gegebenen Moment wirklich geschehenden Käufen zusammensetzt. Das kann aber, zweitens, auch als Folge der Tatsache anerkannt werden, daß dasselbe Geldquantum, weil es nicht wie die Waren konsumiert wird, eine unbegrenzte Zahl [111] von Umsätzen vermittelt und die Geringfügigkeit seiner Gesamtsumme im Verhältnis zu der der Waren, die in jedem isolierten Augenblick besteht, durch die Schnelligkeit seiner Zirkulation ausgleicht. An einigen Höhepunkten des Geldwesens wird es ganz unmittelbar anschaulich, eine wie verschwindend geringe Rolle die Geldsubstanz in den durch sie vermittelten Wertausgleichen spielt: im Jahre 1890 hat die französische Bank auf Kontokorrent das 135fache des tatsächlich darauf eingezahlten Geldes umgesetzt (54 Milliarden auf 400 Mill. Fr.), ja, die Deutsche Reichsbank das 190fache. Innerhalb der funktionierenden Geldsummen, auf die hin die Geldpreisbestimmung. der Waren erfolgt, wird die Geldsumme gegenüber dem, was durch ihr Funktionieren aus ihr wird, eine verschwindende Größe. Man kann deshalb zwar nicht von einem einzelnen Augenblick, wohl aber von einer bestimmt ausgedehnten Periode sagen, daß das Totalquantum des in ihr umgesetzten Geldes der Totalsumme der in ihr verkäuflich gewesenen Objekte entspräche. Der Einzelne macht doch auch seine Ausgaben, bewilligt insbesondere die Preise für größere Anschaffungen nicht von ihrem Verhältnis zu seinem momentanen Geldbestand aus, sondern im Verhältnis zu seinen Gesamteinnahmen innerhalb einer längeren Periode. So mag in unserer Proportion der Geldbruch seine Gleichheit mit dem Warenbruch dadurch gewinnen, daß sein Nenner nicht das substanziell vorhandene Geldquantum, sondern ein durch die Zahl der Umsätze in einer gewissen Periode zu bestimmendes Vielfaches desselben enthält. Von diesen Gesichtspunkten aus läßt sich die Antinomie zwischen den überhaupt vorhandenen und den aktuellen Waren als Gegenwerten des Geldes lösen und die Behauptung aufrecht halten, daß zwischen der Gesamtsumme der Waren und der des Geldes in einem geschlossenen Wirtschaftskreise keine prinzipielle Disproportion herrschen kann – so sehr man über das richtige Verhältnis zwischen einer einzelnen Ware und einem einzelnen Preise streiten mag, so viel Schwankungen und Disproportionalitäten entstehen mögen, wenn eine bestimmte Größe der fraglichen Brüche psychologisch fest geworden und daneben durch objektive Verschiebungen eine andere richtig geworden ist, so sehr namentlich eine rasche Steigerung des Verkehrs einen zeitweiligen Mangel an Umsatzmitteln fühlbar machen mag. Die Metallimporte und -exporte, die aus einem Mangel bzw. einem Überfluß von Geld in dem betreffenden Lande im Verhältnis zu seinen Warenwerten hervorgehen, sind nur Ausgleichungen innerhalb eines Wirtschaftskreises, dessen Provinzen die beteiligten Länder bilden, und bedeuten, daß das allgemeine, in diesem Wirtschaftskreise jetzt wirkliche Verhältnis zwischen beiden aus der Verschiebung, [112] die es in einem einzelnen Teile erlitten hat, wieder hergestellt wird. Unter diesen Annahmen würde die Frage, ob ein Preis angemessen ist oder nicht, sich unmittelbar aus den beiden Vorfragen beantworten: erstens, welche Summe von Geld und welche Summe von Verkaufsobjekten momentan wirksam sind, und zweitens, welchen Teil des letzteren Quantums das jetzt in Rede stehende Objekt ausmacht. Die letztere ist die eigentlich entscheidende, und die Gleichung zwischen dem Objektbruch und dem Geldbruch kann eine objektiv und berechenbar wahre oder falsche sein, während es sich bei der zwischen den Objekten überhaupt und dem Geld überhaupt nur um Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit, nicht aber um Wahrheit im Sinne einer logischen Erweislichkeit handeln kann. Dieses Verhältnis der Totalitäten zueinander hat gewissermaßen die Bedeutung eines Axioms, das gar nicht in demselben Sinne wahr ist, wie die einzelnen Sätze, die sich auf dasselbe gründen; nur diese sind beweisbar, während jenes auf nichts hinweisen kann, von dem es sich logisch herleite. Eine methodische Norm von großer Bedeutsamkeit kommt hier zur Geltung, für die ich ein Beispiel aus einer ganz anderen Kategorie von Werten anführen will. Die Grundbehauptung des Pessimismus ist, daß die Gesamtheit des Seins einen erheblichen Überschuß der Leiden über die Freuden aufweise; die Welt der Lebewesen, als eine Einheit betrachtet, oder auch der Durchschnitt derselben, empfinde sehr viel mehr Schmerz als Lust. Eine solche Behauptung ist nun von vornherein unmöglich. Denn sie setzt voraus, daß man Lust und Schmerz, wie qualitativ gleiche Größen mit entgegengesetztem Vorzeichen, unmittelbar gegeneinander abwägen und aufrechnen könne. Das kann man aber in Wirklichkeit nicht, da es keinen gemeinsamen Maßstab für sie gibt. Keinem Quantum Leid kann es an und für sich anempfunden werden, ein wie großes Quantum Freude dazu gehört, um es aufzuwiegen. Wie kommt es, daß dennoch solche Abmessungen in einem fort stattfinden, daß wir sowohl in den Angelegenheiten des Tages, wie in dem Zusammenhang der Schicksale, wie in der Gesamtheit des Einzellebens das Urteil fällen, das Freudenmaß sei hinter dem Maß der Schmerzen zurückgeblieben, oder habe es überschritten? Das ist nicht anders möglich, als daß die Erfahrung des Leben uns – genauer oder ungenauer – darüber belehrt, wie Glück und Unglück tatsächlich verteilt sind, wieviel Leid im Durchschnitt hingenommen werden muß, um ein gewisses Lustquantum damit zu erkaufen, und wieviel von beiden das typische Menschenlos aufweist. Erst wenn hierüber irgendeine Vorstellung besteht, wie unbewußt und unbestimmt auch immer, kann man sagen, daß in einem einzelnen Falle ein Genuß zu teuer [113] – d.h. mit einem zu großen Leidquantum – erkauft ist, oder daß ein einzelnes Menschenschicksal einen Überschuß von Schmerzen über seine Freuden zeige. Jener Durchschnitt selbst ist aber nicht »unverhältnismäßig«, weil er vielmehr dasjenige ist, woran sich das Verhältnis der Empfindungen im einzelnen Falle erst als ein angemessenes oder unangemessenes bestimmt – so wenig wie man sagen kann, der Durchschnitt der Menschen wäre groß oder klein, da dieser Durchschnitt ja erst den Maßstab abgibt, an dem der einzelne Mensch – als welcher allein groß oder klein sein kann – sich mißt; ebenso, wie man nur sehr mißverständlich sagen kann, daß »die Zeit« schnell oder langsam verginge – das Vergehen der Zeit vielmehr, d.h. das als Durchschnitt erfahrene und empfundene Tempo der Ereignisse überhaupt ist die messende Größe, an der sich die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Ablaufs der einzelnen Erlebnisse ergibt, ohne daß jener Durchschnitt selbst schnell oder langsam wäre. So also ist die Behauptung des Pessimismus, daß der Durchschnitt des Menschenlebens mehr Leid als Lust aufweise, ebenso methodisch unmöglich wie der des Optimismus, daß er mehr Lust als Leid einschließe; das Empfundenwerden der Gesamtquanten von Lust und Leid (oder, anders ausgedrückt, ihres auf das Individuum oder die Zeitperiode entfallenden Durchschnitts) ist das Urphänomen, dessen Seiten nicht miteinander verglichen werden können, weil es dazu eines außerhalb beider gelegenen und sie gleichmäßig umfassenden Maßstabes bedürfte.

Der Typus des Erkennens, um den es sich hier handelt, dürfte so hinreichend charakterisiert sein. Innerhalb der angeführten und mancher anderen Gebiete sind die primären, sie bildenden Elemente an sich unvergleichbar, weil sie von verschiedener Qualität sind, also nicht aneinander oder an einem dritten gemessen werden können. Nun aber bildet die Tatsache, daß das eine Element überhaupt in diesem, das andere in jenem Maße vorhanden ist, ihrerseits den Maßstab für die Beurteilung des singulären und partiellen Falles, Ereignisses, Problemes, in dem beiderlei Elemente mitwirken. Indem die Elemente des einzelnen Vorkommnisses die Proportion der Gesamtquanten wiederholen, haben sie das »richtige«, d.h. das normale, durchschnittliche, typische Verhältnis, während die Abweichung davon als »Übergewicht« des einen Elementes, als »Unverhältnismäßigkeit« erscheint. An und für sich besitzen natürlich diese Elemente der Einzelfälle so wenig ein Verhältnis von Richtigkeit oder Falschheit, Gleichheit oder Ungleichheit, wie ihre Gesamtheiten es haben; sie gewinnen es vielmehr erst dadurch, daß die Maße der Gesamtquanten das Absolute bilden, nach dem das Einzelne, als das Relative, geschätzt [114] wird; das Absolute selbst aber unterliegt nicht den Bestimmungen der Vergleichbarkeit, die es seinerseits dem Relativen ermöglicht. – Diesem Typus könnte nun das Verhältnis zwischen dem Verkaufsobjekt und seinem Geldpreis angehören. Vielleicht haben beide inhaltlich gar nichts miteinander gemeinsam, sind qualitativ so ungleich, daß sie quantitativ unvergleichbar sind. Allein da nun einmal alles Verkäufliche und alles Geld zusammen einen ökonomischen Kosmos ausmachen, so könnte der Preis einer Ware der »entsprechende« sein, wenn er denjenigen Teil des wirksamen Gesamtgeldquantums darstellt, den die Ware von dem wirksamen Gesamtwarenquantum ausmacht. Nicht der gleiche »Wert« in der Ware und der bestimmten Geldsumme braucht ihre gegenseitige Verhältnismäßigkeit zu begründen; der Geldpreis braucht vielmehr keinen Wert überhaupt oder wenigstens keinen Wert in demselben Sinne zu enthalten, sondern nur denselben Bruch mit allem Geld überhaupt zu bilden, den die Ware mit allen Warenwerten überhaupt bildet. – Auch der Verlauf der Individualwirtschaft zeigt, wie abhängig der Geldpreis einer Ware von dem Verhältnis dieser zu einer Warengesamtheit ist. Man sagt: wir bringen ein Geldopfer – das uns an sich beschwerlich ist – nur wenn wir einen angemessenen Gegenwert erhalten. Jede Ersparnis an jenem Opfer wird als ein positiver Gewinn gerechnet. Allein sie ist ein Gewinn nur dadurch, daß sie ermöglicht, dasselbe Opfer bei einer anderen Gelegenheit zu bringen. Wüßte ich mit dem Geld sonst nichts anzufangen, so würde ich meinen ganzen Geldbesitz ohne weiteres für das eine Objekt, für das er gefordert würde, hingeben. Die Angemessenheit des Preises bedeutet also nur, daß ich – als Durchschnittswesen – nachdem ich ihn bezahlt habe, noch so viel übrigbehalten muß, um die übrigen gleichfalls begehrten Dinge zu kaufen. Der Aufwand für jeden einzelnen Gegenstand muß sich danach richten, daß ich noch andere Gegenstände außer ihm kaufen will. Wenn jedermann seine privaten Ausgaben so reguliert, daß sein Aufwand für jede Warengattung seinem Gesamteinkommen proportioniert ist, so bedeutet dies, daß sein Aufwand für das Einzelne sich zu seinem Aufwand für das Ganze der Wirtschaft verhält, wie sich die Bedeutung, des beschafften Einzelobjekts zu der der zu beschaffenden Gesamtheit der ihm wünschbaren und zugängigen Objekte verhält. Und dieses Schema der Individualwirtschaft ist offenbar nicht nur eine Analogie der Wirtschaft überhaupt, sondern aus seiner durchgängigen Anwendung muß die Festsetzung der Durchschnittspreise hervorgehen: die fortwährenden subjektiven Abwägungen müssen als Niederschlag das objektive Verhältnis zwischen Ware und Preis erzeugen, das also ebenso von der [115] Proportion zwischen dem wirksamen Gesamtwarenvorrat und dem Gesamtgeldquantum abhängt, wie – alle Modifikationen vorbehalten – von der Proportion zwischen den Gesamtbedürfnissen des Einzelnen und seinem dafür verfügbaren Gesamtgeldeinkommen.

Die ganze bisherige Deduktion berührte in keiner Weise die Frage, ob das Geld in Wirklichkeit ein Wert ist oder nicht; sondern nur, daß seine Funktion, Werte zu messen, ihm den Charakter eines Eigenwertes nicht aufzwingt, galt es zu beweisen. Aber diese bloße Möglichkeit macht doch den Weg für die Erkenntnis nicht nur seines wirklichen Entwicklungsganges, sondern vor allem seines innerlichen Wesens frei. – Auf den primitiven Wirtschaftsstufen treten allenthalben Gebrauchswerte als Geld auf: Vieh, Salz, Sklaven, Tabak, Felle usw. Auf welche Weise sich das Geld auch entwickelt habe, am Anfang muß es jedenfalls ein Wert gewesen sein, der unmittelbar als solcher empfunden wurde. Daß man die wertvollsten Dinge gegen einen bedruckten Zettel fortgibt, ist erst bei einer sehr großen Ausdehnung und Zuverlässigkeit der Zweckreihen möglich, die es sicher macht, daß das unmittelbar Wertlose uns weiterhin zu Werten verhilft. So kann man logische Schlußreihen, die auf durchaus bündige Schlußsätze führen, durch an sich unmögliche oder widerspruchsvolle Glieder hindurchleiten – aber doch nur, wenn das Denken seiner Richtung und Richtigkeit ganz sicher ist; ein primitives, noch schwankendes Denken würde an einem solchen Punkte sofort seine Direktion und sein Ziel verlieren und muß deshalb seine Funktionen an Sätzen ausüben, von denen jeder für sich möglichst konkret und von greifbarer Richtigkeit ist – freilich um den Preis der Beweglichkeit des Denkens und der Weite seiner Ziele. Entsprechend steigert die Durchführung der Wertreihen durch das Wertlose ihre Ausdehnung und Zweckmäßigkeit ganz außerordentlich, kann sich aber erst bei einer gewachsenen Intellektualität der Einzelnen und stetigen Organisation der Gruppe verwirklichen. Niemand wird so töricht sein, einen Wert gegen etwas wegzugeben, was er unmittelbar überhaupt nicht verwenden kann, wenn er nicht sicher ist, dieses Etwas mittelbar wieder in Werte umsetzen zu können. Es ist also nicht anders denkbar, als daß der Tausch ursprünglich ein Naturaltausch, d.h. ein zwischen unmittelbaren Werten erfolgender gewesen ist. Man nimmt an, daß Objekte, welche gerade wegen ihrer allgemeinen Erwünschtheit besonders häufig eingetauscht wurden und kursierten, also besonders häufig mit anderen Gegenständen dem Werte nach gemessen wurden, psychologisch am ehesten zu allgemeinen Wertmaßen auswachsen konnten. In scheinbar entschiedenem Gegensatz gegen das eben gewonnene Resultat, nach dem das Geld an und für [116] sich kein Wert zu sein braucht, sehen wir hier, daß zunächst gerade das Notwendigste und Wertvollste dazu neigt, zum Geld zu werden. Das Notwendigste verstehe ich hier keineswegs im physiologischen Sinn; vielmehr kann z.B. das Schmuckbedürfnis die herrschende Rolle unter den empfundenen »Notwendigkeiten« spielen; wie wir denn auch tatsächlich von Naturvölkern hören, daß der Schmuck ihres Körpers, bzw. die dazu verwendeten Gegenstände, ihnen wertvoller ist als alle die Dinge, die wir uns als viel dringlicher notwendig vorstellen. Da die Notwendigkeit der Dinge für uns Immer nur ein Akzent ist, den unser Gefühl ihren an sich ganz gleichberechtigten – richtiger: an sich überhaupt nicht »berechtigten« – Inhalten erteilt, und der ausschließlich von den Zwecken abhängt, die wir uns setzen – so ist von vornherein in keiner Weise auszumachen, welches denn nun jene unmittelbar dringlichen und den Geldcharakter anzunehmen geneigten Werte eigentlich sind; nur daß sich der letztere ursprünglich an solche geknüpft hat, die durch ihre empfundene Notwendigkeit eine besondere Häufigkeit des Austausches gegen die Mannigfaltigkeit anderer Dinge aufwiesen, scheint mir eine unumgängliche Annahme. Weder als Tauschmittel noch als Wertmesser hätte es entstehen können, wenn es nicht seinem Stoffe nach als unmittelbar wertvoll empfunden worden wäre.

Vergleichen wir damit den jetzigen Zustand, so ist unzweifelhaft, daß das Geld für uns nicht mehr deshalb wertvoll ist, weil sein Stoff als unmittelbar notwendig, als ein unentbehrlicher Wert vorgestellt würde. Kein Mensch europäischer Kultur findet heute ein Geldstück wertvoll, weil sich ein Schmuckgegenstand daraus herstellen ließe. Und schon deshalb kann der heutige Geldwert nicht auf seinen Metallwert zurückgehen, weil das Edelmetall jetzt in viel zu großen Quantitäten vorhanden ist, um bloß zu Schmuck- und technischen Zwecken noch lohnende Verwendung zu finden. Denkt man sich, wie es in der Konsequenz der Metallwerttheorie liegt, einen solchen Übergang als vollzogen, so würde dies eine derartige Plethora von Gegenständen aus Edelmetall erzeugen, daß der Wert derselben auf ein Minimum sinken müßte. Daß man das Geld also auf seine mögliche Umsetzung in sonstige Metallobjekte wertet, ist gerade nur unter der Bedingung möglich, daß diese Umsetzung nicht oder nur in ganz verschwindendem Maße erfolge. So sehr also auch am Anfang der Entwicklung, d.h. bei einem sehr geringen Bestande von Edelmetallen, ihre Verwendung als Schmuck ihren Geldwert bestimmt haben möge, so verschwindet diese Beziehung doch in dem Maße ihrer gesteigerten Produktion. Diese Entwicklung wird noch dadurch unterstützt, daß der primitive Mensch, wie ich hervorhob, [117] es zwar für eine vitale Notwendigkeit hält, sich in einer bestimmten Weise zu schmücken, daß aber die spätere Ausbildung der Wertskalen dieses Interesse tatsächlich in die Kategorie des »Entbehrlichen« oder »Überflüssigen« einreiht. Der Schmuck spielt im modernen Kulturleben absolut nicht mehr die soziale Rolle, die wir mit Staunen, in den ethnologischen, aber auch noch in mittelalterlichen Berichten finden. Auch dieser Umstand muß dazu dienen, die Bedeutung des Geldes, die es seinem Material verdankt, herabzudrücken. Man kann sagen, daß der Wert des Geldes immer mehr von seinem terminus a quo auf seinen terminus ad quem übergeht, und daß so das Metallgeld, in bezug auf die psychologische Vergleichgültigung seines Materialwertes, mit dem Papiergeld auf einer Stufe steht. Man darf die materiale Wertlosigkeit dieses letzteren nicht deshalb als irrelevant erklären, weil es nur eine Anweisung auf Metall wäre. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß selbst ein völlig ungedecktes Papiergeld doch immer als Geld gewertet wird. Denn wenn man auch auf den politischen Zwang hinweisen wollte, der allein solchem Papiergeld seinen Kurs verschaffte, so heißt das ja gerade, daß andere Gründe als der der unmittelbaren und materialen Verwertung einem bestimmten Stoff den Geldwert verleihen können und jetzt tatsächlich verleihen. Der steigende Ersatz des baren Metallgeldes durch Papiergeld und die mannigfaltigen Formen des Kredits wirken unvermeidlich auf den Charakter jenes selbst zurück – ungefähr wie im Persönlichen jemand, der sich fortwährend durch andere vertreten läßt, schließlich keine andere Schätzung erfährt, als die seinen Vertretern gebührende. Zu je ausgedehnteren und mannigfaltigeren Diensten das Geld berufen ist und je schneller das einzelne Quantum zirkuliert, desto mehr muß sein Funktionswert über seinen Substanzwert hinauswachsen. Der modern entwickelte Verkehr strebt offenbar dahin, das Geld als substanziellen Wertträger mehr und mehr auszuschalten, und er muß dahin streben, weil auch die gesteigertste Edelmetallproduktion nicht ausreichen wurde, alle Umsätze in bar zu begleichen. Der Giroverkehr einerseits, der internationale Wechselversand andrerseits sind nur hervortretende Punkte dieser allgemeinen Tendenz, deren schon frühe und charakteristische Erscheinungen der letzte Abschnitt dieses Kapitels behandeln wird.

Im ganzen wird, je primitiver die wirtschaftlichen Vorstellungen sind, um so mehr auch das Messen ein sinnlich-unmittelbares Verhältnis zwischen den. verglichenen Werten voraussetzen. Die eben geschilderte Auffassung: daß die Wertgleichung zwischen einer Ware und einer Geldsumme die Gleichheit des Bruches bedeute, welcher zwischen diesen beiden als Zählern und den ökonomisch in [118] Betracht kommenden Gesamtquanten aller Waren und alles Geldes als Nennern bestehe – ist offenbar der Tatsache nach überall wirksam, weil sie erst die eine Objektart wirklich zum Gelde macht; allein da das Geld als solches eben nur allmählich entsteht, wird auch dieser Modus sich aus dem primitiveren einer unmittelbaren Vergleichung der auszutauschenden Objekte entwickeln. Die niedrigste Stufe bezeichne vielleicht ein Fall, der von den neubritannischen Inseln gemeldet wird. Die Eingeborenen benutzen dort als Geld schnurweise aufgereihte Kaurimuscheln, welche sie Dewarra nennen. Dies Geld wird nach Längenmaßen: Armlängen usw. zum Einkauf verwandt: für Fische wird in der Regel so viel in Dewarra gegeben, wie sie selbst lang sind. Auch sonst wird aus dem Gebiet des Kaurigeldes gelegentlich gemeldet, der Typus des Kaufes sei, daß das gleiche Maß zweier Waren als wertgleich gelte: ein Maß Getreide z.B. gilt das gleiche. Maß Kaurimuscheln. Hier hat offenbar die Unmittelbarkeit in der Äquivalenz von Ware und Preis ihren vollständigsten und einfachsten Ausdruck erlangt, der gegenüber eine Wertvergleichung, die nicht auf quantitative Kongruenz hinausläuft, schon einen höheren geistigen Prozeß darstellt. Ein Rudiment jener naiven Gleichwertung gleicher Quanten liegt in der Erscheinung, die Mungo Park im 18. Jahrhundert von einigen westafrikanischen Stämmen berichtet. Dort habe Eisengeld in Stangenform als Geld kursiert und zur Bezeichnung der Warenquanten gedient, so daß man ein bestimmtes Maß Tabak oder Rum je eine Stange Tabak, eine Stange Rum genannt habe. Hier hat sich das Bedürfnis, Wertgleichheit als Quantitätsgleichheit anzusehen – offenbar ein starker, sinnlich eindrucksvoller Anhalt primitiver Wertbildung – in den sprachlichen Ausdruck geflüchtet. Bei sehr verschiedenem Aussehen gehören doch der gleichen prinzipiellen Empfindung einige andere Erscheinungen an. Von der Stadt Olbia am Dnjepr, einer milesischen Kolonie, sind uns alte Bronzemünzen erhalten, welche die Gestalt von Fischen haben, mit Aufschriften, welche wahrscheinlich Thunfisch und Fischkorb bedeuten. Nun wird angenommen, daß jenes Fischervolk ursprünglich den Thunfisch als Tauscheinheit benutzte und es – vielleicht wegen des Verkehrs mit tieferstehenden Nachbarstämmen bei Einführung der Münze nötig fand, den Wert je eines Thunfisches in einer Münze darzustellen, die durch die Gleichheit ihrer Form diese Gleichwertigkeit und Ersetzbarkeit unmittelbar versinnlichte während man an anderen Stellen, weniger nachdrücklich und doch auf das äußerliche Sichentsprechen nicht verzichtend, auf die Münze nur das Bild des Gegenstandes (Ochse, Fisch, Axt) prägte, der in der Tauschepoche die Grundeinheit bildete und dessen Wert eben die [119] Münze darstellte. Dasselbe Grundgefühl herrscht, wenn der Zend-Avesta vorschreibt, der Arzt solle als Honorar für die Heilung eines Hausbesitzers den Wert eines schlechten Ochsen fordern, für die eines Dorfvorstandes den Wert eines mittelguten, für die eines Stadtherrn den Wert eines hochwertigen, für die eines Provinzstatthalters den Wert eines Viergespanns; dagegen käme ihm für die Heilung der Frau eines Hausbesitzers eine Eselin an Wert zu, für die Frau eines Dorfvorstandes eine Kuh, für die Frau eines Stadtherrn eine Stute, für die Frau eines Statthalters ein weibliches Kamel. Die Gleichheit des Geschlechtes am Leistungsobjekt und am Leistungsentgelt bezeugt auch hier die Neigung, die Äquivalenz von Wert und Gegenwert auf eine unmittelbar äußerliche Gleichheit zu gründen. Ebenso verhält es sich mit der Tatsache, daß das Geld am Anfang seiner Entwicklung aus Stücken von großer und schwerer Quantität zu bestehen pflegte: Felle, Vieh, Kupfer, Bronze; oder aus sehr massenhaften, wie das Kaurigeld; dahin gehört die Tatsache, daß die erste Banknote, von der wir wissen und die uns aufbewahrt ist, aus China vom Ende des 14. Jahrhunderts, 18 englische Zoll lang und 9 Zoll breit ist. Es wirkt hier noch die Tendenz der Bauernregel: viel hilft viel – für die ein natürliches und erst durch eine feinere und reflektierende Empirie widerlegbares Gefühl spricht. Auch von Edelmetallgeld finden wir die größten Münzen fast ausschließlich bei Völkern von unausgebildeter oder naturalwirtschaftlicher Kultur: als die größten Goldstücke gelten der Lool der Anamiten, der 880 Mk. wert ist, der japanische Obang (220 Mk.), der Benta der Aschantis; auch hat Anam eine Silbermünze im Werte von 60 Mk. Aus demselben Gefühl von der Bedeutung des Quantums heraus bleibt das Prägerecht der größten Münzen oft den obersten Machthabern vorbehalten, während die kleineren (auch von dem gleichen Metall!) von niederen Instanzen geschlagen werden: so prägte der Großkönig von Persien das Großgeld, die Satrapen aber die goldene Kleinmünze, vom Viertel abwärts. Der Charakter erheblicher Quantität ist sogar nicht nur primitiven Metallgeldformen, sondern auch den Geldarten, die diesen vorangehen, manchmal eigen: die Slawen, welche in dem. 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zwischen Saale und Elbe saßen und ein außerordentlich rohes Naturvolk waren, bedienten sich als Geldes leinener Tücher; die Kaufkraft eines solchen betrug 100 Hühner, oder Weizen für 10 Mann auf einen Monat! Und selbst innerhalb des ausgebildeteren Geldwesens ist bemerkbar, wie die Geldbegriffe von immer geringeren Metallwerten erfüllt werden. Der mittelalterliche Gulden war eine Goldmünze im Wert eines Dukaten – der heutige zählt 100 Kupferkreuzer; [120] der ehemalige Groschen war eine dicke (grossus) Silbermünze; die ehemalige Mark betrug ein Pfund Silber, das Pfund Sterling war 70 Mk. wert. In primitiven, naturalwirtschaftlichen Verhältnissen wird der Geldverkehr überhaupt nicht die kleinen Bedürfnisse des Tages, sondern nur relativ größere und wertvollere Objekte betroffen haben, und ihnen gegenüber wird die Neigung zur Symmetrie, die allen unausgebildeten Kulturen eigen ist, auch den Geldtausch beherrscht und für äußerlich Großes auch ein äußerlich großes Wertzeichen gefordert haben: daß die äußerste quantitative Ungleichheit der Erscheinungen dennoch eine Gleichheit der Kraft, der Bedeutung, des Wertes gestattet, pflegt erst von höheren Bildungsstufen eingesehen zu werden. Wo eine Praxis auf das Vollziehen von Gleichungen gestellt ist, da wird zuerst eine möglichst anschauliche Unmittelbarkeit des Gleichseins verlangt, wie die quantitative Mächtigkeit des primitiven Geldes es im Verhältnis zu ihren Gegenwerten zeigt. Die Abstraktion, die später ein kleines Metallstückchen als Äquivalent irgendeines umfänglichsten Objektes anerkennt, steigert sich, in der gleichen Richtung, auf das Ziel hin, daß die eine Seite der Wertgleichung gar nicht mehr als Wert an und für sich, sondern nur noch als abstrakter Ausdruck für den Wert der ändern funktioniere. Daher ist denn auch die Meßfunktion des Geldes, die von vornherein am wenigsten an die Materialität seines Substrates geknüpft ist, durch die Veränderungen der modernen Wirtschaft am wenigsten alteriert worden.

Ein Maßverhältnis zwischen zwei Größen nicht mehr durch unmittelbares Aneinanderhalten herzustellen, sondern daraufhin, daß jede derselben zu je einer anderen Größe ein Verhältnis hat und diese beiden Verhältnisse einander gleich oder ungleich sind – das ist einer der größten Fortschritte, die die Menschheit gemacht hat, die Entdeckung einer neuen Welt aus dem Material der alten. Zwei Leistungen ganz verschiedener Höhe bieten sich dar – sie werden vergleichbar, da sie im Verhältnis zu dem Kraftmaß, das jeder der Leistenden einzusetzen hatte, die gleiche Willensanspannung und Hingebung zeigen, zwei Schicksale stehen auf der Skala des Glücks weit voneinander ab – aber sie gewinnen sogleich eine meßbare Beziehung, wenn man jedes auf das Maß des Verdienstes hin ansieht, durch das sein Träger seiner würdig oder unwürdig ist. Zwei Bewegungen, die völlig verschiedene Geschwindigkeiten haben, gewinnen eine Zusammengehörigkeit und Gleichheit, sobald wir beobachten, daß die Beschleunigung, die jede von ihnen im Verhältnis zu ihrem Anfangsstadium erfährt, bei beiden die gleiche ist. Nicht nur für unser Gefühl spinnt sich eine Art von Zusammengehörigkeit [121] zwischen zwei Elementen, die zwar in ihrer substanziellen Unmittelbarkeit einander fremd, deren Verhältnisse zu einem dritten und vierten Element aber die gleichen sind; sondern eben damit wird das eine zu einem Faktor für die Ausrechenbarkeit des anderen. Und nun weiter ausgreifend: so unvergleichbar zwei Personen in ihren angebbaren Eigenschaften sein mögen, so stiften Beziehungen zu einem je dritten Menschen doch eine Gleichheit zwischen ihnen; sobald die erste die gleiche Liebe oder Haß, Herrschaft oder Unterworfenheit einer dritten gegenüber zeigt, wie die zweite einer vierten gegenüber, so haben diese Relationen hier der Fremdheit des Fürsichseins jener eine tiefe und wesentliche Gleichheit untergebaut. Endlich ein letztes Beispiel. Die Vollendung verschiedenartiger Kunstwerke würden wir nicht miteinander vergleichen können, ihre Werte würden sich nicht in den Zusammenhang einer Stufenleiter ordnen, wenn nicht jedes zu dem eigentümlichen Ideale seiner Art ein bestimmtes Verhältnis hätte. Aus dem Problem, dem Material, der Stilart jedes Kunstwerkes wächst uns eine Norm heraus, und zu ihr hat seine Wirklichkeit eine fühlbare Relation von Nähe oder Abstand, die offenbar bei der größten Mannigfaltigkeit der Werke die gleiche oder vergleichbare sein kann. Durch diese mögliche Gleichheit solcher Relation erst wird aus den einzelnen, an sich einander ganz fremden Werken eine ästhetische Welt, eine genau gefügte Ordnung, ein ideelles Zusammengehörendem Werte nach. Und dies erstreckt sich nicht nur auf den Kosmos der Kunst, sondern daß überhaupt aus dem Stoff unserer isolierten Schätzungen eine Gesamtheit gleicher oder abgestufter Bedeutsamkeiten erwächst, daß auch das Disharmonische nur über der Forderung einer einheitlichen Ordnung und inneren Beziehung der Werte untereinander als solches empfunden wird – diesen wesentlichen Zug verdankt unser Weltbild allenthalben unserer Fähigkeit, nicht nur je zwei Dinge, sondern auch die Verhältnisse je zweier zu je zwei anderen gegeneinander abzuwägen und in der Einheit eines Gleichheits- oder Ähnlichkeitsurteils zusammenzufassen. Das Geld, als Produkt dieser fundamentalen Kraft oder Form unseres Inneren, ist nicht nur deren weitestes Beispiel, sondern sozusagen gar nichts anderes, als die reine Verkörperung derselben. Denn das Geld kann das im Tausch zu realisierende Wertverhältnis der Dinge zueinander doch nur so ausdrücken, daß das Verhältnis der singulären Summe zu einem irgendwie gewonnenen Nenner dasselbe ist, das zwischen der ihr entsprechenden Ware und der Totalität der für den Austausch in Frage kommenden Waren besteht. Das Geld ist seinem Wesen nach nicht ein wertvoller Gegenstand, dessen Teile untereinander oder zum [122] Ganzen zufällig dieselbe Proportion hätten wie andere Werte untereinander; sondern es erschöpft seinen Sinn darin, das Wertverhältnis eben dieser ändern Objekte zueinander auszudrücken, was ihm mit Hilfe jener Fähigkeit des ausgebildeten Geistes gelingt: die Relationen der Dinge auch da gleichzusetzen, wo die Dinge selbst keine Gleichheit oder Ähnlichkeit besitzen. Da diese Fähigkeit sich aber erst allmählich aus der primitiveren entwickelt, die Gleichheit oder Ähnlichkeit zweier Objekte unmittelbar zu beurteilen und auszudrücken, so entstehen die oben berührten Erscheinungen, in denen man auch das Geld in eine unmittelbare Beziehung dieser Art zu seinen Gegenwerten zu bringen suchte.

Innerhalb der modernen Wirtschaft setzt der fragliche Übergang z.B. an das Merkantilsystem an. Das Bestreben der Regierungen, möglichst viel bares Geld ins Land zu bekommen, wurde zwar auch noch von dem Prinzip: viel hilft viel geleitet; allein der schließliche Zweck, zu dem es helfen sollte, war doch schon die funktionelle Belebung der Industrie und des Marktes. Der Fortschritt darüber hinaus bestand in der Einsicht, daß die diesem Zwecke dienstbaren Werte der substanziellen Geldform nicht bedürften, vielmehr das unmittelbare Produkt der Arbeit schon als solches den entscheidenden Wert darstellte. Das verhält sich ungefähr wie mit den Zielen früherer Politik: nur möglichst viel Land zu gewinnen und es mit möglichst viel Menschen zu »peuplieren«: bis tief in das 18. Jahrhundert hinein fiel es kaum einem Staatsmann ein, daß die eigentliche nationale Größe anders als durch den Gewinn von Land gefördert werden könnte. Die Berechtigung solcher Ziele unter gewissen historischen Umständen hat doch die Einsicht nicht verhindert, daß alle diese substanzielle Fülle nur als Grundlage dynamischer Entwicklungen bedeutsam ist, daß diese letzteren aber schließ lieh nur eine sehr begrenzte Unterlage jener Art fordern. Es hat sich gezeigt, daß für die Steigerung der Produktion und des Reichtums die physische Gegenwart des Geldäquivalents immer entbehrlicher wird und daß, selbst wenn das »viele« Geld nicht mehr um seinethalben, sondern um bestimmter funktioneller Zwecke willen erstrebt wird, diese gleichsam in freischwebenden Prozessen, unter Aus Schaltung jenes erreicht werden können – wie insbesondere der moderne internationale Warenaustausch erweist. Die Bedeutung des Geldes, die relativen Werte der Waren auszudrücken, ist nach unseren obigen Ausführungen von einem an ihm bestehenden Eigenwert ganz unabhängig; wie es für eine Skala zur Messung von Raumgrößen gleichgültig ist, ob sie aus Eisen, Holz oder Glas besteht, weil nur das Verhältnis ihrer Teile zueinander, bzw. zu einer dritten Größe, [123] in Betracht kommt – so hat die Skala, die das Geld für die Bestimmung von Werten darbietet, mit dem Charakter seiner Substanz nichts zu tun. In dieser seiner ideellen Bedeutung als Maßstab und Ausdruck für den Wert von Waren ist es ganz ungeändert geblieben, während es als Zwischenware, Wertaufbewahrungs- und Werttransportmittel seinen Charakter teils geändert hat, teils noch weiter zu ändern im Begriff steht: aus der Form der Unmittelbarkeit und Substanzialität, in der es diese Obliegenheiten zuerst erfüllte, geht es in die ideelle über, d.h. es übt seine Wirkungen als bloße Idee, welche sich an irgendein vertretendes Symbol knüpft.

Hiermit scheint sich die Entwicklung des Geldes in eine tiefgelegene Kulturtendenz einzuordnen. Man kann die verschiedenen Kulturschichten danach charakterisieren, inwieweit und an welchen Punkten sie zu den Gegenständen ihrer Interessen ein unmittelbares Verhältnis haben, und wo andrerseits sie sich der Vermittlung von Symbolen bedienen. Ob z.B. die religiösen Bedürfnisse durch symbolische Dienste und Formeln erfüllt werden oder durch ein unmittelbares Sich-Hinwenden des Individuums zu seinem Gott; ob die Achtung der Menschen füreinander sich in einem festgesetzten, die gegenseitigen Positionen durch bestimmte Zeremonien andeutenden Schematismus offenbart oder in der formfreien Höflichkeit, Ergebenheit und Respekt; ob Käufe, Zusagen, Verträge durch einfache Verlautbarung ihres Inhaltes vollzogen wer den, oder ob sie durch ein äußeres Symbol feierlicher Handlungen erst legalisiert und zuverlässig gemacht werden; ob das theoretische Erkennen sich unmittelbar an die sinnliche Wirklichkeit wendet, oder sich mit der Vertretung derselben durch allgemeine Begriffe und metaphysische oder mythologische Sinnbilder zu tun macht – das gehört zu den tiefgreifendsten Unterschieden der Lebensrichtungen. Diese Unterschiede aber sind natürlich nicht starr; die innere Geschichte der Menschheit zeigt vielmehr ein fortwährendes Auf- und Absteigen zwischen ihnen; auf der einen Seite wächst die Symbolisierung der Realitäten, zugleich aber werden, als Gegenbewegung, stetig Symbole aufgelöst und auf ihr ursprüngliches Substrat reduziert. Ich führe ein ganz singuläres Beispiel an. Die sexuellen Dinge standen schon lange unter der Verhüllung durch Zucht und Scham, während die Worte, die sie bezeichneten, noch völlig ungeniert gebraucht wurden: erst in den letzten Jahrhunderten ist das Wort unter dieselben Kautelen gestellt – das Symbol rückte in die Gefühlsbedeutung der Realität ein. Nun aber bahnt sich in der allerneuesten Zeit wieder eine Lösung dieser Verbindung an. Die naturalistische Kunstrichtung hat auf die Undifferenziertheit und Unfreiheit des Empfindens hingewiesen, [124] das an das Wort, also an ein bloßes, zu künstlerischen Zwecken verwandtes Symbol, dieselben Empfindungen knüpfe, wie an die Sache selbst; die Darstellung des Unanständigen sei noch keine unanständige Darstellung, und man müsse die Realitätsempfindungen von der symbolischen Welt lösen, in der jede Kunst, auch die naturalistische, sich bewege. Vielleicht in Zusammenhang hiermit kommt eine allgemeine größere Freiheit der gebildeten Stände im Besprechen heikler Objekte auf; wo objektive und reine Gesinnung vorausgesetzt wird, ist mancherlei früher Verbotenes auszusprechen erlaubt – die Schamempfindung ist eben wieder ausschließlicher der Sache zugewandt und läßt das Wort, als ein bloßes Symbol ihrer, wieder freier. So schwankt, auf den engsten wie auf den weitesten Gebieten, das Verhältnis zwischen Realität und Symbol, und man möchte fast glauben – so wenig solche Allgemeinheiten ihre Beweislast auf sich nehmen können – daß entweder jede Kulturstufe (und schließlich jede Nation, jeder Kreis, jedes Individuum) eine besondere Proportion zwischen symbolischer und unmittelbar realistischer Behandlung ihrer Interessen aufweist; oder daß gerade diese Proportion im ganzen beharrt und nur die Gegenstände, an denen sie sich darstellt, dem Wechsel unterliegen. Vielleicht aber kann man sogar etwas spezieller bestimmen, daß ein besonders augenfälliges Hervortreten von Symbolik ebenso sehr primitiven, und naiven, wie sehr hochentwickelten und komplizierten Kulturzuständen eigen ist; und daß, auf die Objekte hin angesehen, die aufwärtsschreitende Entwicklung uns auf dem Gebiete des Erkennens immer mehr von Symbolen befreit, sie uns aber auf praktischen Gebieten immer notwendiger macht. Gegenüber der nebelhaften Symbolistik mythologischer Weltanschauungen zeigt die moderne eine gar nicht vergleichliche Unmittelbarkeit im Ergreifen der Objekte; dagegen bringt die extensive und intensive Häufung der Lebensmomente es mit sich, daß wir viel mehr mit Zusammenfassungen, Verdichtungen und Vertretungen ihrer in symbolischer Form operieren müssen, als. es in den einfacheren und engeren Verhältnissen nötig war: die Symbolik, die auf den niederen Lebensstufen so oft Umweg und Kraftvergeudung ist, dient auf den höheren gerade einer die Dinge beherrschenden Zweckmäßigkeit und Kraftersparnis. Man mag hier etwa an die diplomatische Technik denken, sowohl im internationalen wie im parteipolitischen Sinne. Sicher ist es das Verhältnis der realen Machtquanten, das über den Ausgang des Interessengegensatzes entscheidet. Aber diese messen sich eben nicht mehr unmittelbar, d.h. in physischem Kampfe, aneinander, sondern werden durch bloße Vorstellungen vertreten. Hinter dem Repräsentanten jeder Kollektivmacht [125] steht in verdichteter potenzieller Form die reale Kraft seiner Partei, und genau nach dem Maße dieser ist seine Stimme wirksam und kann sein Interesse sich durchsetzen. Er selbst ist gleichsam das Symbol dieser Macht; die intellektuellen Bewegungen zwischen den Repräsentanten der verschiedenen Machtgruppen symbolisierenden Verlauf, den der reale Kampf genommen hätte, derart, daß der Unterlegne sich in das Resultat jener genau so fügt, als wäre er in diesem besiegt. Ich erinnere z.B. an die Verhandlungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zur Vermeidung eines drohenden Streikes. Hier pflegt jede Partei genau nur bis zu dem Punkte nachzugeben, bis zu dem, ihrer Abschätzung der Kräfte nach, auch der wirklich ausbrechende Streik sie zwingen würde. Man vermeidet die ultima ratio, indem man ihr Ergebnis in zusammenfassenden Vorstellungen antizipiert. Wäre diese Vertretung und Messung der realen Kräfte durch bloße Vorstellungen immer mit Sicherheit möglich, so könnte überhaupt jeder Kampf erspart werden. Jener utopische Vorschlag: künftige Kriege durch eine Partie Schach zwischen den Feldherren zu entscheiden – ist deshalb so absurd, weil der Ausgang einer Schachpartie gar keinen Anhalt dafür gibt, welches der Ausgang des Waffenkampfes gewesen wäre, und also diesen nicht mit gültigem Erfolge versinnbildlichen und vertreten kann, wogegen etwa ein Kriegsspiel, in dem alle Heeresmassen, alle Chancen, alle Intelligenz der Führung einen vollständigen symbolischen Ausdruck fände, unter der unmöglichen Voraussetzung seiner Herstellbarkeit allerdings den physischen Kampf unnötig machen könnte.

Die Fülle der Momente – der Kräfte, Substanzen und Ereignisse –, mit denen das vorgeschrittene Leben zu arbeiten hat, drängt auf eine Verdichtung desselben in umfassenden Symbolen, mit denen man nun rechnet, sicher, daß dasselbe Resultat sich ergibt, wie wenn man mit der ganzen Breite der Einzelheiten operiert hätte; so daß das Resultat ohne weiteres für diese Einzelheiten gültig, auf sie anwendbar ist. Das muß in dem Maße möglicher werden, in dem die Quantitätsbeziehungen der Dinge sich gleichsam selbständig machen. Die fortschreitende Differenzierung unseres Vorstellens bringt es mit sich, daß die Frage des Wieviel eine gewisse psychologische Trennung von der Frage des Was erfährt – so wunderlich dies auch in logischer Hinsicht erscheint. In der Bildung der Zahlen geschieht dies zuerst und am erfolgreichsten, indem aus den so und so vielen Dingen das So und Soviel herausgehoben und zu eigenen Begriffen verselbständigt wird. Je feststehender die Begriffe ihrem qualitativen Inhalt nach werden, desto mehr richtet sich das Interesse auf ihre quantitativen Verhältnisse, und schließlich hat man es für das Ideal [126] des Erkennens erklärt, alle qualitativen Bestimmtheiten der Wirklichkeit in rein quantitative aufzulösen. Diese Aussonderung und Betonung der Quantität erleichtert die symbolische Behandlung der Dinge: denn da die inhaltlich verschiedensten doch eben in quantitativen Hinsichten übereinstimmen können, so vermögen derartige Beziehungen, Bestimmtheiten, Bewegungen des einen ein gültiges Bild für eben dieselben an einem anderen abzugeben; einfachste Beispiele sind etwa die Rechenmarken, die uns zahlenmäßige Bestimmungen beliebiger Objekte beweisend veranschaulichen, oder das Fensterthermometer, das uns das Mehr oder Weniger zu erwartender Wärmeempfindungen in den Zahlen der Grade anzeigt. Diese Ermöglichung von Symbolen durch die psychologische Heraussonderung des Quantitativen aus den Dingen, die uns heute freilich sehr selbstverständlich erscheint, ist eine Geistestat von außerordentlichen Folgen. Auch die Möglichkeit des Geldes geht auf sie zurück, insofern es, von aller Qualität des Wertes absehend, das reine Quantum desselben in numerischer Form darstellt. Einen ganz bezeichnenden Übergang von dem qualitativ bestimmbaren zu dem quantitativ symbolischen Ausdruck bietet ein Bericht aus dem alten Rußland. Dort hätten zuerst Marderfelle als Tauschmittel gegolten. Im Laufe des Verkehrs aber hätte die Größe und die Schönheit der einzelnen Felle allen Einfluß auf ihre Tauschkraft verloren, jedes hätte schlechtweg nur für eines und jedem anderen gleiches gegolten. Die daraus folgende alleinige Bedeutung ihrer Zahl hätte bewirkt, daß, als der Verkehr sich steigerte, man einfach die Zipfel der Felle als Geld verwendete, bis schließlich Lederstückchen, die wahrscheinlich von der Regierung gestempelt wurden, als Tauschmittel kursierten. Hier ist es sehr deutlich, wie die Reduzierung auf den rein quantitativen Gesichtspunkt die Symbolisierung des Wertes trägt, auf der erst die ganz reine Verwirklichung des Geldes ruht.

Es scheint dagegen, als ob ein von vornherein nur ideales Geld höheren wirtschaftlichen Anforderungen nicht genügte, trotzdem der Mangel an Beziehung zu allen unmittelbaren Werten – der die zu allen gleichartige Beziehung involviert – es zu besonders weiter Verbreitung eignet. Die merkwürdige Ausdehnung des Kaurigeldes, das seit 1000 Jahren in einem großen Teile Afrikas, früher im Gebiete des indischen Ozeans, prähistorisch in Europa galt, wäre kaum möglich gewesen, wenn es nicht so rein ideal wäre. Auf den tieferen Wirtschaftsstufen finden sich die äußersten Gegensätze der Geldwerte zusammen; es begegnet einerseits ein so absolut wertkonkretes Geld, wie das Rindergeld oder die Baumwollenstoffe, die auf den Philippinen als Großgeld kursierten, andrerseits ein so absolut ideales, [127] wie das Kaurigeld, wie das Geld aus der Rinde des Maulbeerbaums, das Marco Polo in China entdeckte, wie die Porzellanstücke mit chinesischen Schriftzeichen, die in Siam galten. Eine gewisse funktionelle Entwicklung über jene wertkonkreten Geldarten hinaus ist dort angebahnt, wo zwar Naturalartikel, aber solche die zugleich besonders Exportartikel sind, zu Tauschmitteln werden: Tabak in Virginia, Reis in Carolina, Klippfisch in Neufundland, Tee in China, Pelze in Massachusetts. Beim Exportartikel ist der Wert einigermaßen aus der Unmittelbarkeit psychologisch herausgerückt, die bei der Binnen-Konsumtion der Geldware stattfindet. Allein die glücklichste Mitte zwischen abstrakten Geldarten, wie die angeführten, und dem Konsumtivgeld stellt doch das Schmuckgeld, also Gold und Silber, dar, indem es weder so launenhaft und sinnlos wie jene, noch so grob und singulär wie dieses ist. Dies ist offenbar der Träger, der das Geld zugleich am leichtesten und am festesten zu seiner Symbolwerdung leitet; das Stadium dieser Bindung muß es passieren, um zu dem Maximum seiner Leistungsfähigkeit zu gelangen, und es scheint, daß es für absehbare Zeiten nicht gänzlich aus ihm heraustreten kann.

Wenn sekundäre Symbole – wie man sie im Unterschied gegen die naive Symbolistik naiver Geisteszustände nennen kann – immer mehr die unmittelbaren Greifbarkeiten von Dingen und Werten für die Praxis ersetzen, so ist damit die Bedeutung des Intellekts für die Lebensführung außerordentlich gesteigert. Sobald das Leben nicht mehr zwischen sinnlichen Einzelheiten verläuft, sondern sich durch Abstraktionen, Durchschnitte, Zusammenfassungen bestimmen läßt, so wird insbesondere in den Beziehungen der Menschen untereinander der schnellere und genauere Vollzug der Abstraktionsprozesse einen erheblichen Vorsprung verleihen. Wenn da, wo in roheren Zeiten die öffentliche Ordnung nur durch physische Gewalt hergestellt werden konnte, heute das bloße Erscheinen eines Beamten dazu gehört; wenn die bloße Namensunterschrift uns äußerlich und innerlich bedingungslos bindet; wenn unter feinfühligen Menschen ein leise andeutendes Wort oder eine Miene hinreicht, ihr Verhältnis dauernd festzustellen, das sich unter tieferstehenden erst auf lange Auseinandersetzungen oder praktische Handlungsweisen hin ergibt; wenn man uns durch eine Berechnung auf dem Papiere zu Opfern bringen kann, die dem Unverständigen nur durch die reale Einwirkung der betreffenden Faktoren abgezwungen werden – so ist diese Bedeutung symbolischer Dinge und Taten offenbar nur bei sehr gesteigerter Intellektualität möglich, nur bei dem Vorhandensein einer so selbständigen geistigen Kraft, daß sie des Eintretens unmittelbarer Einzelheiten nicht bedarf.

[128]

Ich habe dies ausgeführt, um die Einordnung des Geldes auch in diese Strömung der Kultur einleuchtend zu machen. Das immer wirkungsvoller werdende Prinzip der Ersparnis an Kräften und Substanzen führt zu immer ausgedehnterem Verfahren mit Vertretungen und Symbolen, welche mit demjenigen, was sie vertreten, gar keine inhaltliche Verwandtschaft haben; so daß es durchaus in derselben Richtung liegt, wenn die Operationen mit Werten sich an einem Symbol vollziehen, das mehr und mehr die materielle Beziehung zu den definitiven Realitäten seines Gebietes einbüßt und bloß Symbol wird. Diese Lebensform setzt nicht nur eine außerordentliche Vermehrung der psychischen Prozesse voraus – wie komplizierte psychologische Vorbedingungen fordert etwa nur die Deckung von Banknoten durch Barreserve! – sondern auch eine Erhöhung derselben, eine prinzipielle Wendung der Kultur zur Intellektualität. Daß das Leben im wesentlichen auf den Intellekt gestellt ist und dieser als die praktisch wertvollste unter unseren psychischen Energien gilt – das pflegt, wie nachherige Überlegungen noch ausführlich zeigen werden, mit dem Durchdringen der Geldwirtschaft Hand in Hand zu gehen; wie denn auch innerhalb des Handelsgebietes, insbesondere wo reine Geldgeschäfte in Frage stehen, zweifellos der Intellekt im Besitz der Souveränität ist. Die Steigerung der intellektuellen, abstrahierenden Fähigkeiten charakterisiert die Zeit, in der das Geld. immer mehr zum reinen Symbol und gegen seinen Eigenwert gleichgültig wird.

[129]

II.

Bei alledem muß festgehalten werden, daß so nur eine Richtung der Entwicklung bestimmt wird, der Entwicklung, die mit einem wirklichen Werte des Geldstoffes, allen anderen Werten koordiniert, begonnen hat. Deshalb müssen einige naheliegende Vorstellungen widerlegt werden, die scheinbar mit der unsrigen von der Wertlosigkeit der Geldsubstanz übereinstimmen, indem sie den Unterschied des Geldes gegen alle anderen Werte betonen und mit diesem beweisen wollen, daß das Geld prinzipiell kein Wert derselben Art wie diese sein kann. Es wurde damit, wie so oft, in der Form der Erstarrung und Vorwegnahme festgelegt, was sich nur in unendlicher Annäherung vollziehen kann. Aus der Abwehr des dogmatischen Wertes des Geldes dürfen wir nicht in ein Dogma von seinem Nichtwert verfallen, zu dem die folgenden Vorstellungen verführen könnten. Es scheint, als ob selbst das nutzbarste Objekt, um als Geld zu funktionieren, auf seine Nützlichkeit verzichten müßte. Wenn z.B. in Abessinien besonders zugeschnittene Stücke Steinsalz als Scheidemünze kursieren, so sind sie doch eben Geld nur dadurch, daß man sie nicht als Salz gebraucht. An der Somaliküste zirkulierten früher Stücke blauen Baumwollstoffes, jedes zwei Ellen groß, als Geld; ein so großer Fortschritt im Sinne des Geldverkehrs dies auch gegenüber dem Zeuggeld ist, das man beliebig zerschneidet und zusammensetzt, so deutet diese Form des Gebrauchs doch eben die Tendenz an, auf die Verwendung des Zeuges als Zeug zu verzichten. Der mögliche Nutzen von Gold und Silber für technische und ästhetische Zwecke kann solange nicht verwirklicht werden, wie sie als Geld zirkulieren; und so mit allen Geldarten. Von den vielerlei Wirkungen, mit denen die Geldstoffe in unsere Zweckprovinzen hineinstrahlen, müssen alle übrigen schweigen, wenn ihre Wirkung als Geld eintreten soll. In dem Augen blick, in dem sie ihren praktischen, ästhetischen oder sonstigen Wert entfalten, sind sie der Zirkulation entzogen, sind sie nicht mehr Geld. Alle anderen Werte mag man untereinander vergleichen und sie nach dem Maße ihres Nutzbarkeitsquantums austauschen, um sich eben [130] dieses zu eigen zu machen; aus dieser Reihe aber tritt das Geld völlig heraus. Denn sobald man es in demselben Sinne verwendete wie den erhaltenen Gegenwert, würde es eben nicht mehr Geld sein. Zu der besonderen Eignung der Edelmetalle als Geldstoffe mag es beitragen, daß sie besonders leicht aus jeder Formung zu anderweitigem Zwecke in die Geldform zurückverwandelt werden können; darum aber stehen sie doch in jedem gegebenen Augenblick nicht weniger vor der Alternative, entweder Geld oder Schmuckstück zu sein, anders ausgedrückt: entweder als Geld oder als Gebrauchswert zu funktionieren. Scheinbar freilich wird gerade dadurch das Geld in die anderen Wertkategorien wieder eingestellt. Denn wenn ich einen Meter Brennholz kaufe, so werte ich doch auch seine Substanz nur nach dem, was sie mir als Heizmaterial leistet, nicht aber nach einer anderen, etwa außerdem noch möglichen Verwendung. In Wirklichkeit aber liegt es ganz anders. Wenn man behauptet, der Wert des Geldes bestehe in dem Werte seiner Substanz, so heißt das, er liegt in denjenigen Seiten oder Kräften dieser Substanz, nach denen oder mit denen sie gerade nicht Geld ist. Der Widersinn, den dies zu enthalten scheint, weist darauf hin, daß das Geld nicht notwendig von Substanzen, die »an sich«, d.h. in anderweitigen Beziehungen, wertvoll sind, getragen zu werden braucht, sondern daß es genügt, wenn gerade nur die Fähigkeit, als Geld zu funktionieren, auf irgendeine sonst irrelevante Substanz übertragen wird. Ob solcher Verzicht auf alle diejenigen Wertfunktionen, auf die man den notwendigen Wert der Geldsubstanz begründet hat, mit Recht auf die Möglichkeit eines Geldes schließen läßt, das von vornherein nur Geld und weiter nichts sei – gilt es zu prüfen.

Es handelt sich hier. um die äußerst wichtige Erscheinung des Objekts mit mehreren Funktionsmöglichkeiten, von denen nur die eine, unter Ausschluß der anderen, verwirklicht werden kann, und um die Frage, wie eben diese verwirklichte in ihrer Bedeutung und ihrem Werte durch das Zurücktreten der übrigen modifiziert wird. Um der gesuchten Einsicht willen, die auf das Nebeneinander verschiedener Möglichkeiten geht, darf man wohl hervorheben, wie das Nacheinander mannigfaltiger Funktionen auf die schließlich die anderen überlebende wirkt. Wenn der reuige Sünder einen höheren Wert für die sittliche Weltordnung haben soll als der Gerechte, der niemals gestrauchelt ist, so zieht die sittliche Höhe jenes solche Bewertung doch nicht aus dem Momente, in dem sie nun wirklich vorhanden ist – denn der ethische Inhalt eben dieses Momentes ist ja vorausgesetztermaßen von der Verfassung des von vornherein Gerechten [131] nicht unterschieden – sondern aus den vorangegangenen, sittlich anders gerichteten, und der Tatsache, daß diese jetzt nicht mehr bestehen. Oder wenn nach starken Hemmungen unserer Tätigkeit, äußerlicher Erzwungenheit ihrer Richtung wieder Freiheit und Selbstbestimmung eintritt, so knüpft sich nun an unser Tun ein spezifisches Wohl- und Wertgefühl, das gar nicht aus den einzelnen Inhalten desselben oder ihrem Erfolge quillt, sondern ausschließlich daraus, daß die Form der Abhängigkeit beseitigt ist: genau dasselbe Tun würde, an eine ununterbrochene Reihe unabhängiger Handlungen sich anschließend, eben dieses Reizes entbehren, der aus dem bloßen Vorbeisein jener früheren Lebensform quillt. Solcher Erfolg des Nichtseienden für das Seiende erscheint etwas modifiziert und unserer speziellen Frage – bei aller inhaltlichen Fremdheit – näher liegend in der Bedeutung, die das unmittelbare Gefühlsleben für das lyrische oder musikalische Kunstwerk besitzt. Denn so sehr Lyrik und Musik auf der Stärke der subjektiven inneren Bewegungen aufgebaut sind, so verlangt ihr Charakter als Kunst doch, daß deren Unmittelbarkeit überwunden werde. Der Rohstoff des Gefühls mit seiner Impulsivität, seiner personalen Beschränktheit, seiner unausgeglichenen Zufälligkeit bildet zwar die Voraussetzung des Kunstwerkes, aber die Reinheit desselben verlangt eine Distanz gegen jenen, eine Erlöstheit von ihm. Das ist ja der ganze Sinn der Kunst, für den Schaffenden wie für den Genießenden, daß sie uns über die Unmittelbarkeit des Verhältnisses zu uns selbst und zur Welt hinaushebe, und ihr Wert hängt daran, daß wir dies hinter uns gelassen haben, daß es als etwas wirkt, was nicht mehr da ist. Und wenn man sagt, es sei doch eben das Nachhallen jenes autochthonen Gefühles, jener ursprünglichsten Erregtheit der Seele, von dem der Reiz des Kunstwerkes lebe, so wird damit gerade zugegeben, daß das Spezifische desselben nicht in demjenigen liegt, was der unmittelbaren und der ästhetischen Form des Gefühlsinhalts gemeinsam ist, sondern in dem neuen Ton, den die letztere insoweit erhält, als die erstere verklungen ist. Und endlich der entschiedenste und allgemeinste Fall dieses Typus, der wegen seiner tiefen Eingebettetheit in unsere fundamentalen Wertungen wenig beachtet wird. Es scheint mir nämlich, als ob eine ungeheure Anzahl von Lebensinhalten, deren Reiz wir genießen, die Höhe desselben dem Umstande verdankt, daß wir um ihretwillen unzählige Chancen anderen Genießens und Uns-Bewährens unausgeschöpft lassen. Nicht nur in dem Aneinander-Vorübergehen der Menschen, ihrem Auseinandergehen nach kurzer Berührung, ja in der völligen Fremdheit gegen unzählige, denen wir und die uns ein Höchstes zu [132] geben hätten – nicht nur an und für sich liegt darin eine königliche Verschwendung, eine lässige Großartigkeit des Daseins, sondern jenseits dieses Eigenwertes des Nichtgenießens strahlt von ihm auch auf das, was wir nun wirklich besitzen, ein neuer, erhöhender, konzentrierender Reiz hinüber. Daß von den unzähligen Möglichkeiten des Lebens gerade diese zur Wirklichkeit geworden ist, verleiht ihr einen sieghaften Ton, die Schatten der unerlösten, ungenossenen Fülle des Lebens bilden ihr Triumphgeleit. Auch das, was man den Menschen gibt, zieht oft seinen Wert für sie aus dem, was man zurückbehält, ja ihnen mit Entschiedenheit vorenthält. Das freundliche Sich-Hingeben insbesondere an etwas Tieferstehende verliert für diese seinen Wert, wenn es allzu weitgehend ist, wenn man allzuwenig reserviert ist. Je mehr der Beschenkte empfindet, daß man noch etwas für sich ist, was man ihm nicht gibt – um so bedeutsamer ist es für ihn, daß man sich, einen Teil von sich, ihm überhaupt gibt. Und so endlich in der Bedeutung unseres Handelns und Schaffens für uns selbst. Plötzliche, zwingende Anforderungen belehren uns oft, daß wir Begabungen und Kräfte für bisher fernliegendste Aufgaben besitzen, Energien, die für immer latent geblieben wären, wenn nicht irgendeine zufällige Not sie herausgelockt hätte. Das weist darauf hin, daß in jedem Menschen außer den Kräften, die er bewährt, noch eine unbestimmte Menge anderer Potenzen schlummern. daß schließlich aus jedem vieles andere hätte werden können, als tatsächlich geworden ist. Wenn nun das Leben von diesen vielen Möglichkeiten nur eine sehr begrenzte Anzahl zur Bewährung zuläßt, so erscheinen diese um so bedeutsamer und kostbarer, je deutlicher wir empfinden, aus wie vielen sie die Auswahl darstellen, wie viele Betätigungsformen unentwickelt bleiben und ihr Kraftquantum jenen überlassen müssen, damit sie zur Entfaltung gelangen. Indem so eine Fülle an sich möglicher Bewährungen geopfert wird, damit es zu einer bestimmten komme, stellt diese gleichsam den Extrakt eines sehr viel weiteren Umfangs von Lebensenergien dar und zieht aus der Versagtheit der Entwicklung dieser eine Bedeutung und Pointiertheit, einen Ton von Erlesenheit und gesammelter Kraft, die sie, über die von ihr direkt erfüllte Provinz unseres Wesens hinaus, zum Brennpunkt und Vertreter seines Gesamtumfanges macht.

In diesen allgemeinen Typus der Wertbildung mag sich das Geld zunächst einreihen. Es ist sicher richtig, daß die sonstigen Werte des Geldstoffes außer Funktion treten müssen, damit dieser eben Geld werde; allein der Wert, den er als solches besitzt, und der ihn als solches funktionieren läßt, kann von denjenigen Verwertungsmöglichkeiten bestimmt werden, auf die er verzichten muß. Wie in allen [133] eben behandelten Fällen setzt sich der empfundene Wert der verwirklichten Funktion aus ihrem positiven Inhalt und der mitwirkenden Verneintheit jeder anderen, über deren Opfer sie sich erhebt, zusammen. Nicht daß diese anderen Funktionen wirken, sondern daß sie nicht wirken, ist hier das Wirksame. Wenn dies den Wert eines Objektes bestimmt, daß um seinetwillen ein Opfer gebracht wird, so liegt der Wert der Geldsubstanz als solcher darin, daß ihre gesamten Verwendungsmöglichkeiten aufgeopfert werden müssen, damit sie Geld sei. Diese Wertungsart muß natürlich zweiseitig wirksam sein, d.h. der Geldstoff muß auch eine Werterhöhung seiner sonstigen Nutzbarkeiten durch den Verzicht auf seine Verwertung als Geld erfahren. Wenn der Wampum der Indianer aus Muschelschalen bestand, die als Geld dienten, aber auch als Gürtel zum Schmuck getragen wurden, so finden sich diese Funktionen offenbar in reiner Wechselwirkung: auch die Bedeutung der Muscheln als Schmuck hat ganz sicher einen besonderen Oberton von Vornehmheit dadurch erhalten, daß man um ihretwillen auf die unmittelbar mögliche Verwendung als Geld verzichtete. Man kann diesen ganzen Typus als einen Fall des Seltenheitswertes ansehen. Gewöhnlich wird derselbe nur so dargestellt, daß ein Objekt einem gewissen Bedürfnis entspricht, das an mehr Individuen oder in stärkerer Intensität vorhanden ist, als das gegebene Quantum des Objekts zu decken vermag. Wenn hier nun die verschiedenen Bedürfnisse, denen das gleiche Objekt dienen kann, um dasselbe konkurrieren – sei es innerhalb desselben Individuums, sei es zwischen mehreren Individuen – so gründet sich doch auch dieses natürlich auf die Beschränktheit des Vorrats, die nicht gestattet, daß jedes dieser Bedürfnisse sein Genüge finde. Wenn der Verkehrswert etwa des Getreides darauf zurückgeht, daß nicht genug Getreide da ist, um jeden Hunger ohne weiteres zu stillen, so der des Geldstoffes darauf, daß nicht genug davon vorhanden ist, um damit außer dem Bedürfnis nach Geld noch alle anderen auf ihn gerichteten zu befriedigen. So weit entfernt also, daß der Verzicht auf anderweitige Verwertung das Metall als Geld auf eine Wertstufe mit sonst völlig unverwertbaren Stoffen herabsetzte, sehen wir jetzt gerade, daß die möglichen, aber unverwirklichten Verwertungen zu dem Wert, den es als Geld hat, aufs erheblichste mitwirken.

Noch unmittelbarer als die so widerlegte Meinung von der Wertlosigkeit des Geldstoffes will auch die folgende uns glauben machen, daß das Geld kein Wert sein kann. Denkt man sich eine absolut mächtige Persönlichkeit, der innerhalb eines bestimmten Kreises despotisches Verfügungsrecht über alles zustünde, worauf ihr Wunsch [134] sich richtet – wie man von Häuptlingen in der Südsee sagt, daß sie »nicht stehlen können«, weil ihnen von vornherein alles gehört –, so würde ein solches Wesen niemals Veranlassung haben, sich auch das Geld dieses Kreises anzueignen, da es ja alles dessen, was es für Geld haben könnte, sich auch ohnedies unmittelbar bemächtigen darf. Wäre das Geld ein Wert, der zu den sonst vorhandenen Werten hinzukäme, so würde sich sein Wunsch darauf so gut wie auf diese anderen richten können. Geschieht das nun in dem hier fingierten Fall einleuchtenderweise nicht, so scheint zu folgen, daß das Geld wirklich nur eine reine Vertretung realer Werte ist, deren es deshalb nicht mehr bedarf, sobald uns eben diese auch ohne jenes zugängig sind. Dieser einfache Gedanke setzt indes voraus, was er beweisen will: daß das Geldsubstrat keinen eigenen, neben seiner Geldfunktion noch gültigen Wert habe. Denn hätte es einen solchen, so könnte es auch von jenem Machthaber begehrt werden, freilich nicht um seiner Bedeutung als Geld, sondern um seines anderweitigen, nämlich substanziellen Wertes willen. Fehlt dagegen dieser Wert von vornherein, so braucht sein Fehlen nicht nochmals bewiesen zu werden. Über diese logische Unzulänglichkeit hinaus macht aber der Fall allerdings die eigentümliche Wertart des Geldes klar. Den Wert, den das Geld als solches besitzt, hat es als Tauschmittel erworben; wo es also nichts zu tauschen gibt, hat es auch keinen Wert. Denn ersichtlich steht seine Bedeutung als Aufbewahrungs- und Transportmittel nicht in derselben Linie, sondern ist ein Derivat seiner Tauschfunktion, ohne welche es jene anderen Funktionen niemals üben könnte, während sie selbst von diesen unabhängig ist. Sowenig für denjenigen, dem aus irgendeinem Grunde die für Geld erlangbaren Güter wertlos sind, das Geld noch einen Wert hat, so wenig für denjenigen, der kein Geld braucht, um jene zu erlangen. Kurz, das Geld ist Ausdruck und Mittel der Beziehung, des Aufeinanderangewiesenseins der Menschen, ihrer Relativität, die die Befriedigung der Wünsche des einen immer vom anderen wechselseitig abhängen läßt: es findet also da keinen Platz, wo gar keine Relativität stattfindet sei es, weil man von den Menschen überhaupt nichts mehr begehrt, sei es, weil man in absoluter Höhe über ihnen – also gleichsam in keiner Relation zu ihnen – steht und die Befriedigung jedes Begehrens ohne Gegenleistung erlangen kann. So angesehen verhielte sich die Welt des Geldes zu der der konkreten Werte wie Denken und Ausdehnung bei Spinoza: eine kann überhaupt nicht in die andere eingreifen, weil jede schon für sich und in ihrer Sprache die ganze Welt ausdrückt; d.h. die Summe der Werte überhaupt besteht nicht aus der Summe der Werte der Dinge plus der Summe des Wertes [135] des Geldes, sondern es besteht ein gewisses Wertquantum, das einerseits in jener Form, andrerseits in dieser realisiert ist.

Wäre das Geld völlig auf diesen Wert reduziert, und hätte es jede Koordination mit den Dingen, die an und für sich wertvoll sind, abgestreift, so würde es damit im ökonomischen jene höchst merkwürdige Vorstellung verwirklichen, die der platonischen Ideenlehre zum Grunde liegt. Die tiefe Unbefriedigung an der erfahrbaren Welt, an die wir dennoch gefesselt sind, bewog Plato, ein überempirisches, über Raum und Zeit erhabenes Reich der Ideen anzunehmen, das das eigentliche, in sich befriedigte, absolute Wesen der Dinge in sich enthielte. Zu dessen Gunsten wurde die irdische Wirklichkeit einerseits von allem wahrhaften Sein und aller Bedeutung entleert; andrerseits aber strahlte doch von diesen etwas auf sie zurück, wenigstens als blasser Schatten jenes leuchtenden Reiches des Absoluten hatte sie teil an ihm und gewann auf diesem Umwege schließlich doch noch eine Bedeutsamkeit, die ihr an und für sich versagt war. Dieses Verhältnis findet nun tatsächlich eine Wiederholung oder Bestätigung im Gebiete der Werte. Die Wirklichkeit der Dinge, wie sie vor dem bloß erkennenden Geiste steht, weiß – so stellten wir am Anfang dieser Untersuchungen fest – nichts von Werten; sie rollt in jener gleichgültigen Gesetzmäßigkeit ab, die so oft das Edelste zerstört und das Niedrigste schont, weil sie eben nicht nach Rangordnungen, Interessen und Werten verfährt. Dieses natürliche objektive Sein unterstellen wir nun einer Hierarchie der Werte, wir schaffen eine Gliederung innerhalb seiner nach gut und schlecht, edel und gering, kostbar und wertlos – eine Gliederung, von der jenes Sein selbst in seiner greifbaren Wirklichkeit gar nicht berührt wird, von der ihm aber doch alle Bedeutung kommt, die es für uns haben kann, und die wir, bei aller Klarheit über ihren menschlichen Ursprung, doch in vollem Gegensatz zu aller bloßen Laune und subjektivem Belieben empfinden. Der Wert der Dinge – der ethische wie der eudämonistische, der religiöse wie der ästhetische – schwebt über ihnen wie die platonischen Ideen über der Welt: wesensfremd und eigentlich unberührbar, ein nach eigenen inneren Normen verwaltetes Reich, das aber doch jenem anderen sein. Relief und seine Farben zuteilt. Der ökonomische Wert entsteht nun in Ableitung von jenen primären, unmittelbar empfundenen Werten, indem die Gegenstände derselben, insoweit sie austauschbar sind, gegeneinander abgewogen werden. Innerhalb dieses Gebietes aber, gleichviel, wie es sich konstituiert hat, nimmt der ökonomische Wert dieselbe eigenartige Stellung zu den einzelnen Objekten ein, die dem Wert überhaupt zukommt: es ist eine Welt für sich, die die Konkretheit der Objekte nach eigenen, [136] in diesen selbst nicht gelegenen Normen gliedert und rangiert; die Dinge, nach ihrem ökonomischen Werte geordnet und verzweigt, bilden einen ganz anderen Kosmos, als ihre naturgesetzliche, unmittelbare Realität es tut. Wenn das Geld nun wirklich nichts wäre, als der Ausdruck für den Wert der Dinge außer ihm, so würde es sich zu diesen verhalten wie die Idee, die sich Plato ja auch substanziell, als metaphysisches Wesen vorstellt, zu der empirischen Wirklichkeit. Seine Bewegungen: Ausgleichungen, Häufungen, Abflüsse – würden unmittelbar die Wertverhältnisse der Dinge darstellen. Die Welt der Werte, die über der wirklichen Welt, scheinbar zusammenhangslos und doch unbedingt beherrschend, schwebt, würde im Geld die »reine Form« ihrer Darstellung gefunden haben. Und wie Plato die Wirklichkeit, aus deren Beobachtung und Sublimierung die Ideenzustande gekommen sind, dann doch als eine bloße Abspiegelung eben dieser deutet, so erscheinen die wirtschaftlichen Verhältnisse, Abstufungen und Fluktuationen der konkreten Dinge als Derivat ihres eigenen Derivates: nämlich als Vertretungen und Schatten der Bedeutung, die ihren Geldäquivalenten zukommt. Keine andere Gattung von Werten befindet sich in dieser Hinsicht in einer günstigeren Lage, als es die ökonomischen Werte tun. Wenn sich der religiöse Wert in Priestern und Kirchen, der ethisch-soziale in den Verwaltern und sichtbaren Institutionen der Staatsgewalt, der Erkenntniswert in den Normen der Logik verkörpert, so steht keines von diesen losgelöster über den konkreten wertvollen Gegenständen oder Vorgängen, keines ist mehr der bloß abstrakte Träger des Wertes und nichts weiter, kaum in einem geht die Gesamtheit der fraglichen Wertprovinz in so treuer Abspiegelung auf.

Dieser Charakter des reinen Symbols der ökonomischen Werte ist das Ideal, dem die Entwicklung des Geldes zustrebt, ohne ihn je völlig zu erreichen. Es steht ursprünglich – das muß unbedingt festgehalten werden – in einer Reihe mit allen anderen Wertobjekten, und sein konkreter Substanzwert tritt in Abwägung gegen diese. Mit dem steigenden Bedürfnis nach Tauschmitteln und Wertmaßstäben wird es immer mehr aus einem Gliede von Wertgleichungen zu dem Ausdruck derselben und insofern von dem Werte seines Substrates immer unabhängiger. Dennoch kann es einen Rest von substanziellem Werte nicht abstreifen, und zwar nicht eigentlich aus inneren, aus seinem Wesen folgenden Gründen, sondern wegen gewisser Unvollkommenheiten der ökonomischen Technik. Die eine betrifft das Geld als Tauschmittel. Der Ersatz des Eigenwertes des Geldes durch eine bloß symbolische Bedeutung kann, wie wir gesehen haben, daraufhin erfolgen, daß die Proportion zwischen der einzelnen Ware und dem [137] augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtwarenquantum unter bestimmten Modifikationen gleich ist derjenigen zwischen einer Geldsumme und dem augenblicklich ökonomisch wirksamen Gesamtgeldquantum; daß die Nenner dieser Brüche nur praktisch, aber nicht bewußt wirksam sind, da nicht sie, sondern nur die wechselnden Zähler von realem, den wirklichen Verkehr bestimmendem Interesse sind; und daß deshalb in diesem Verkehr eine unmittelbare Gleichung zwischen der Ware und der Geldsumme stattzufinden scheint, die freilich auf einer ganz anderen Basis ruht als die primäre Gleichung zwischen dem Objekt und dem Substanzwert des Geldes, welch letztere allmählich in jene übergeht. Wenn diese Entwicklung selbst zugegeben wird, so stehen doch jedenfalls die aus den betreffenden Gesamtwertsummen bestehenden Faktoren zwischen äußerst schwankenden Grenzen, der instinktiv gewonnene Überschlag, in dem sie wirken, kann immer nur ein sehr ungenauer sein. Vielleicht ist dies ein Grund, weshalb auf eine unmittelbare Wertausgleichung zwischen Waren und Geld nicht völlig verzichtet werden kann. Das Stückchen eigenen, materialen Wertes, das im Geld steckt, ist der Halt und die Ergänzung, deren wir bedürfen, weil unsere Erkenntnis zu der genauen Bestimmung jener Proportion nicht ausreicht, bei der allerdings eine Wesensgleichheit zwischen dem Gemessenen und dem Maße, d.h. ein Eigenwert des Geldes sich erübrigen würde. Solange aber empfunden wird und an der Praxis des Wirtschaftens sich zeigt, daß die dieses bedingende Proportion keine Genauigkeit besitzen kann, bedarf das Messen noch einer gewissen qualitativen Einheit des Wertmaßstabes mit den Werten selbst. Es ist vielleicht nicht uninteressant, sich einen entsprechenden Fall aus der ästhetischen Verwertung der Edelmetalle klarzumachen. Von der Londoner Ausstellung von 1851 berichtete ein Kenner über den Unterschied englischer und indischer Gold- und Silberarbeiten: bei den englischen scheine der Fabrikant sich bemüht zu haben, eine möglichst große Menge Metalls m ein Minimum von Formung hineinzupressen; bei den indischen aber sei »das Emaillieren, Tauschieren, Durchbrechen usw. so zur Anwendung gebracht, daß auf das geringst mögliche Metallquantum die größtmögliche Menge vollendet geschickter Arbeit kommt«. Dennoch ist es für die ästhetische Bedeutung auch dieser letzteren sicher nicht gleichgültig, daß das wenige Metall, indem sich die Formen ausdrücken, eben doch Edelmetall ist. Auch hier ist die Form, d.h. das bloße Verhältnis der Substanzteile zueinander, über die Substanz und ihren Eigenwert Herr geworden. Aber wenn das auch so weit getrieben werden mag, daß die Metallmasse nur noch verschwindenden Wert hat, so muß dieses Minimum, damit der [138] Gegenstand im höchsten Maße schmücke und ästhetisch erfreue, immerhin noch ein edler Stoff sein. Sein eigentlicher Materialwert steht hier freilich nicht mehr in Frage, sondern nur dies, daß überhaupt nur der edelste Stoff der adäquate Träger für ein vollendetes formales Verhältnis der Teile ist.

Es liegt übrigens auf der Hand, daß jene Zurückführung des Materialwertes beim Geld auf ein Ergänzungs- und Festigungsprinzip gegenüber den nicht hinreichend zu sichernden bloßen Relationen nur eine Deutung von Prozessen ist, die völlig unterhalb des Bewußtseins der Wirtschaftenden selbst vorgehen. Die wirtschaftlichen Wechselwirkungen verlaufen eben überhaupt in so wunderbarer Zweckmäßigkeit, in so fein organisiertem Ineinandergreifen unzähliger Elemente, daß man einen überschauenden, nach überindividueller Weisheit schaltenden Geist als Lenker derselben annehmen müßte, wenn man nicht auf die unbewußte Zweckmäßigkeit des menschlichen Gattungslebens zurückgreifen wollte. Bewußtes Wollen und Voraussehen des einzelnen würde nicht ausreichen, das wirtschaftliche Getriebe in derjenigen Harmonie zu halten, die es neben all seinen furchtbaren Dissonanzen und Unzulänglichkeiten aufweist; es müssen vielmehr unbewußte Erfahrungen und Berechnungen angenommen werden, die sich im geschichtlichen Verlauf der Wirtschaft summieren und denselben regulieren. Immerhin darf man nicht vergessen, daß unbewußte Vorstellungen keine zulängliche Erklärung, sondern nur ein Hilfsausdruck sind, der sich eigentlich auf einem Trugschluß aufbaut. Gewisse Handlungen und Gedanken entspringen in uns auf Grund bestimmter Vorstellungen, Schlußreihen usw. Sobald nun aber jene ohne diese Antezedentien in uns auftauchen, so schließen wir, daß eben dieselben, nur in unbewußter Form, dennoch dagewesen wären. Dies aber ist zweifellos logisch unberechtigt. Die bloß negative Tatsache, daß wir uns in diesem Falle keiner begründenden Vorstellungen bewußt sind, drehen wir unter der Hand in die positive um, daß unbewußte Vorstellungen vorhanden sind. Tatsächlich wissen wir über solche, ein psychisches Resultat ohne begründende Bewußtseinsvorgänge darbietende Vorgänge gar nichts Näheres, und die unbewußten Vorstellungen, Erfahrungen, Schlüsse sind nur der Ausdruck dafür, daß jene so verlaufen, als ob bewußte Motive und Ideen ihnen zum Grunde lägen. Dem Erklärungstrieb bleibt aber vorläufig nichts übrig, als diese aufzusuchen und als – unbewußt – wirkende Ursachen zu behandeln, so sehr sie ein bloßes Symbol des wirklichen Verlaufes sind. Bei dem jetzigen Stande des Wissens ist es unvermeidlich und. deshalb legitim, die Wertbildungen, ihre Fixierungen [139] und Fluktuierun gen als unbewußte Vorgänge nach den Normen und Formen der bewußten Vernunft zu deuten.

Die zweite Veranlassung dazu, das Geld nicht in seinem Symbolcharakter völlig aufgehen zu lassen, liegt mehr nach seiner Bedeutung als Element des Verkehrs hin. So sehr die Tauschfunktionen des Geldes, abstrakt betrachtet, durch ein bloßes Zeichengeld erfüllt werden könnten, so würde doch keine menschliche Macht es mit den hinreichenden Garantien gegen die dann naheliegenden Mißbräuche umgeben können. Die Tausch- wie die Meßfunktion jedes Geldes ist offenbar an eine bestimmte Begrenzung seiner Quantität, an seine »Seltenheit«, wie man zu sagen pflegt, gebunden. Gilt nämlich jene Proportion zwischen dem Einzelquantum und dem Gesamtquantum von Waren und Geld, so scheint sie freilich bei jeder beliebigen Vermehrung des letzteren unverändert und mit gleicher Bedeutung für die Preisbildung weiterbestehen zu können. Der Geldbruch zeigte dann nur bei der Vergrößerung des Nenners auch die proportionale Vergrößerung des Zählers, ohne seinen Wert zu ändern. Allein tatsächlich findet bei sehr erheblicher Geldvermehrung diese Proportionalität der Änderung nicht statt. Während vielmehr in Wirklichkeit der Nenner des Geldbruches sich sehr vergrößert, bleibt zunächst, und bis alle Verkehrsverhältnisse sich der neuen Grundlage angepaßt haben, der Zähler derselbe. Der Preis also, der aus der absoluten Größe des letzteren besteht, ist vorläufig ungeändert, während er relativ, d.h. während der Geldbruch, viel kleiner wird. Infolgedessen ist der Besitzer der neuen Geldmassen, zunächst also etwa die Regierung, in einer außerordentlich begünstigten Lage allen Warenverkäufern gegenüber, worauf dann unvermeidlich Reaktionen voll schwerster Erschütterungen des Verkehrs eintreten müssen, und zwar besonders von dem Augenblick an, wo die Einnahmen der Regierung selbst in dem entwerteten Gelde eingehen. Der Zähler des Geldbruches – der Preis der Waren – hebt sich natürlich erst dann proportional, wenn der übermäßige Geldvorrat der Regierung im wesentlichen ausgegeben ist. Sie findet sich also den erhöhten Preisen ihrer Bedürfnisse wieder mit einem gesenkten Geldvorrat gegenüber, eine Situation, in der die Versuchung, ihr durch eine neue Emission von Geld zu begegnen, meist unwiderstehlich ist und das Spiel von neuem beginnen läßt. Ich führe dies nur als Typus der zahlreichen und so oft behandelten Mißerfolge willkürlicher Papiergeldemissionen an. Solche liegen aber verführerisch nahe, sobald nicht eine feste Bindung des Geldes an eine Substanz da ist, deren Vermehrung eine begrenzte ist. Ja, eine äußerlich gegenteilige Erscheinung beweist [140] dies um so entschiedener. Im 16. Jahrhundert schlug ein französischer Staatsmann vor, man solle doch künftig das Silber nicht mehr als Geld verwenden, sondern die Münzen aus Eisen prägen – und zwar von dem Gesichtspunkt aus, daß die Masseneinfuhr des Silbers aus Amerika diesem Metall seine Seltenheit raubte. Nähme man dagegen ein Metall, das ausschließlich durch die staatliche Prägung überhaupt einen Wert erhält, so läge darin eine größere Garantie für die erforderliche Eingeschränktheit des Geldquantums; während, wenn jeder Besitzer von Silber damit unmittelbar auch Geld habe, es an jeder Grenze für seine Masse fehle. Dieser merkwürdige Vorschlag zeigt also ein sehr klares Gefühl dafür, daß Edelmetall nicht als solches der geeignete Geldstoff ist, sondern nur insofern es der Geldherstellung die unentbehrliche Grenze steckt; so daß, wenn es dies zu tun aufhört, irgendein anderes Substrat, zu dessen Einschränkbarkeit man größeres Vertrauen hat, an seine Stelle zu treten hat wie es denn überhaupt nur bestimmte funktionelle Qualitäten der Edelmetalle sind, die ihnen den Vorzug als Zirkulationsmittel verschaffen, und, wenn diese ihnen einmal aus irgendeinem Grunde fehlen, ein anderes in diesen Hinsichten besser qualifiziertes Umlaufsmittel an ihre Stelle tritt: in Genua trieb im Jahre 1673 eingestandenermaßen die elende Beschaffenheit und unberechenbare Verschiedenheit der einströmenden Münzen dazu, den Verkehr auf Wechsel und Anweisungen zu basieren. Wir wissen heute nun freilich, daß nur die Edelmetalle oder sogar nur das Gold die Garantie für die erforderlichen Qualitäten, insbesondere für die Quantitätsbeschränkung gibt, und daß Papiergeld der Gefahr des Mißbrauchs durch willkürliche Vermehrung nur durch ganz bestimmte Bindungen an Metallwert entgeht, die entweder durch Gesetz oder durch die Wirtschaft selbst fixiert sind. Wie wirksam die Zweckmäßigkeit dieser Einschränkung ist – so daß sie sogar über den primären individuellen Nutzen völlig Herr werden kann – zeigt z.B. die folgende Erscheinung. Während des Bürgerkrieges in den Vereinigten Staaten war in den westlichen Staaten die Zirkulation des Papiergeldes – der Greenbacks – tatsächlich ausgeschlossen; obgleich sie gesetzliches Zahlungsmittel waren, wagte niemand, ein in Gold empfangenes Darlehen in ihnen zurückzuzahlen, wobei er einen Gewinn von 150% gemacht hätte. Ähnlich ging es sogar anfangs – des 18. Jahrhunderts mit Schatzbons, die die französische Regierung in großer Geldnot ausgab. Obgleich sie durch Gesetz bestimmte, daß von jeder Zahlung ein Viertel in diesen Bons geleistet werden dürfe, so fielen sie dennoch sehr bald auf einen ganz geringen Bruchteil ihres Nominalwertes. Solche Fälle beweisen, wie sehr die Gesetze [141] des Verkehrs selbst die Bedeutung des Metallgeldes konservieren. Und zwar können sie das keineswegs nur nach dem Typus der angeführten Beispiele. Als die Bank von England zwischen 1796 und 1819 ihre Noten nicht mehr einlöste, betrug schließlich die Entwertung derselben gegen Gold nur 3-5%; aber die Warenpreise erhöhten sich infolgedessen um 20-50%! Und wo ein Zwangskurs ausschließlich Papier und Scheidemünze im Verkehr läßt sind die schwersten Schädigungen nur dadurch zu vermeiden, daß das Agio für längere Perioden immer nur minimale Schwankungen zeigt, was eben seinerseits nur durch genaue Eingrenzung der Papiergeldemissionen möglich ist. Diese unentbehrliche regulierende Bedeutung aber hat das Gold und hatte früher auch das Silber nicht wegen seiner Wertgleichheit mit den Gegenständen, deren Austausch es vermittelt, sondern wegen seiner relativen Seltenheit, die die Überschwemmung des Marktes mit Geld und damit die fortwährende Zerstörung derjenigen Proportion verhindert, auf der die Äquivalenz einer Ware mit einem bestimmten Geldquantum beruht. Und zwar findet die Zerstörung dieser Proportion von beiden Seiten her statt. Die übermäßige Geldvermehrung erzeugt im Volke einen Pessimismus und Argwohn, infolgedessen man soweit wie möglich des Geldes zu entraten und auf Naturaltausch oder Obligation zurückzugreifen sucht. Indem dies die Nachfrage nach Geld vermindert, sinkt für das kursierende der Wert, der eben in der Nachfrage liegt. Da nun die geldemittierende Instanz dieser Wertverringerung durch gesteigerte Vermehrung entgegenarbeiten wird, so müssen Angebot und Nachfrage immer weiter auseinanderklaffen und der circulus vitiosus der angedeuteten Gegenwirkungen den Wert solchen Geldes immer tiefer senken. Auch kann das Mißtrauen gegen die durch die staatliche Prägung erzeugte Wertung des Geldsubstrats – gegenüber der Zuverlässigkeit des reinen Metallwertes – die Form annehmen, daß in der späteren römischen Republik die Münze eigentlich nur im Detailverkehr zirkulierte, der Großverkehr dagegen sich überwiegend des Geldes nach Gewicht bediente; nur so glaubte er gegen politische Krisen, Parteiinteressen und Regierungseinflüsse gesichert zu sein.

Nach alledem scheint es freilich, als wären die Unzuträglichkeiten einer durch nichts begrenzten Geldvermehrung nicht eigentlich ihr selbst, sondern nur der Art ihrer Verteilung zuzuschreiben. Nur weil das aus dem Nichts geschaffene Geld sich zunächst in einer Hand befindet und sich von da aus in ungleichmäßiger und unzweckmäßiger Weise verbreitet, entstehen Jene Erschütterungen, Hypertrophien und Stockungen; sie scheinen vermeidlich, wenn man einen Modus fände, [142] der die Geldmassen entweder gleichmäßig oder nach einem bestimmten Gerechtigkeitsprinzip zur Verteilung brächte. So ist behauptet worden, daß, wenn plötzlich jeder Engländer in seiner Tasche das Geld verdoppelt fände, dadurch zwar eine entsprechende Erhöhung aller Preise eintreten, dieselbe aber niemandem einen Vorteil bringen würde; der ganze Unterschied wäre, daß man die Pfunde, Schillinge und Pence in höheren Ziffern zu rechnen hätte. Damit würde nicht nur der Einwand gegen das Zeichengeld fortfallen, sondern nun würde der Vorteil der Geldvermehrung hervortreten, der sich auf die empirische Tatsache gründe, daß mehr Geld immer auch mehr Verkehr, Behagen, Macht und Kultur bedeutet habe.

So wenig nun die Erörterung dieser, auf ganz unrealisierbaren Voraussetzungen ruhenden Konstruktionen um ihrer selbst willen lohnt, so führt sie doch über die Erkenntnis realer Verhältnisse, die es bewirken, daß die allmähliche Auflösung des Substanzwertes des Geldes niemals ihren Endpunkt völlig erreichen kann. – Nehmen wir jenen idealen Zustand als gegeben an, in dem die Vermehrung des Geldes wirklich die gleichmäßige Erhöhung jedes individuellen Besitzes bewirkt habe, so widerspricht die eine Folgerung: daß alles beim alten bleibt, da alle Preise gleichmäßig in die Höhe gingen – der anderen, die der Vermehrung des Geldes eine Belebung und Erhöhung des gesamten Verkehrs zuschreibt. Denn die Vorstellung liegt zwar verlockend nahe: die Verhältnisse der Individuen untereinander, d.h. die soziale Position eines jeden zwischen dem darüber und dem darunter Stehenden würden in diesem Falle ungeändert bleiben; dagegen die objektiven Kulturgüter würden in lebhafterer, intensiverer und extensiverer Weise produziert werden, so daß schließlich die Lebensinhalte und -genüsse jedes Einzelnen, absolut genommen, mit dem sozialen Gesamtniveau gestiegen wären, ohne daß sich in den Reichtums- oder Armutsverhältnissen ebendesselben, die sich nur durch seine Relation zu anderen bestimmen, etwas geändert hätte. Man könnte darauf hinweisen, daß die moderne geldwirtschaftliche Kultur schon jetzt eine Reihe von Gütern – öffentliche Einrichtungen, Bildungsmöglichkeiten, Unterhaltsmittel usw. dem Armen zugängig gemacht hat, die früher sogar der Reiche entbehren mußte, ohne daß dadurch die relative Stellung beider zugunsten des ersteren verschoben wäre. Diese Möglichkeit: daß die proportional ausgeteilte Geldvermehrung die objektive Kultur, also auch den Kulturinhalt des einzelnen Lebens, absolut genommen, vermehre, während die Verhältnisse der Individuen untereinander ungeändert bleiben – ist an sich gewiß der Erörterung wert. Sieht [143] man aber genau zu, so ist jener sachliche Erfolg doch gar nicht anders zu realisieren, als daß die Geldvermehrung – wenigstens zunächst – vermittels einer ungleichmäßigen Verteilung wirkt. Das Geld, ein ausschließlich soziologisches, in Beschränkung auf ein Individuum ganz sinnloses Gebilde, kann irgendeine Veränderung gegen einen gegebenen Status nur als Veränderung der Verhältnisse der Individuen untereinander bewirken. Die gesteigerte Lebhaftigkeit und Intensität des Verkehrs, die einer Geldplethora folgt, geht darauf zurück, daß mit ihr die Sehnsucht der Individuen nach mehr Geld gesteigert wird. Der Wunsch, von dem Geld der anderen möglichst viel in die eigene Tasche zu leiten, ist zwar ein chronischer, er wird aber offenbar nur dann akut genug, um den Einzelnen zu besonderer Kraftanspannung und Emsigkeit zu führen, wenn diesem sein Minderbesitz anderen gegenüber besonders scharf und dringend ins Bewußtsein tritt; in welchem Sinne man sagt: les affaires – c'est l'argent des autres. Wenn die Voraussetzung jener Theorie einträte: daß die Vermehrung des Geldquantums die Relationen der Menschen zueinander und der Warenpreise zueinander völlig ungeändert ließe, so würde es zu solcher Anstachelung der Arbeitsenergien nicht kommen. Auch wird jene zauberhafte Verdoppelung der Geldquanten nur dann keine Veränderung der Relationen mit sich bringen, wenn sie nicht auf eine bestellende Verschiedenheit der Besitze trifft. Denn die Verdoppelung z.B. dreier Einkommen von 1000, 10000 und 100000 Mark verschiebt auch das Verhältnis ihrer Besitzer gegen den vorigen Stand sehr erheblich, da für die zweiten 1000 usw. Mark doch nicht bloß das Doppelte der für die ersten 1000 usw. Mark beschafften Dinge gekauft wird. Es würde vielmehr auf der einen Seite etwa nur zu einer Verbesserung der Nahrung, auf der zweiten zu einer Verfeinerung der ästhetischen Kultur, auf der dritten zu größeren Spekulationswagnissen kommen. Unter der Voraussetzung vorangängiger absoluter Gleichheit würden allerdings die subjektiven Niveaus ungeändert bleiben, aber auch das objektive – während anderenfalls dieses letztere in unberechenbarer Weise alteriert würde und jedenfalls jenen gerühmten Aufschwung nur dann zeigen würde, wenn die Unterschiede im Besitz der Einzelnen entschiedener als vorher bestehen oder empfunden werden.

Noch näher aber an unser Ziel reichen die Überlegungen heran, die sich an die sachliche Seite jener Theorie knüpfen: daß die Verdoppelung jedes Geldbesitzes deshalb alles ungeändert ließe, weil damit sogleich auch für alle Warenpreise gleichmäßige Verdoppelung eintreten würde. Allein diese Begründung ist irrig und übersieht eine eigentümliche, tief einschneidende Bestimmtheit des Geldes, die [144] man seinen relativen Elastizitätsmangel nennen könnte: sie besteht darin, daß ein neues, innerhalb eines Wirtschaftskreises verteiltes Geldquantum die Preise nicht nach ihren bisher bestehenden Proportionen erhöht, sondern neue Preisverhältnisse zwischen ihnen schafft, und zwar auch ohne daß die Macht individueller Interessenten diese Verschiebung bewirkt. Sie beruht vielmehr auf den Folgen der Tatsache, daß der Geldpreis einer Ware, trotz seiner Relativität und seiner inneren Zusammenhangslosigkeit mit der Ware, dennoch bei längerem Bestehen eine gewisse Festigkeit annimmt und daraufhin als das sachlich angemessene Äquivalent erscheint. Wenn der Preis eines Gegenstandes lange Zeit hindurch sich auf einem bestimmten Durchschnittsniveau innerhalb bestimmter Schwankungsgrenzen gehalten hat, so pflegt er diese Höhe auf Grund einer Änderung des Geldwertes nicht zu verlassen, ohne irgendeinen Widerstand zu leisten. Die Assoziation – nach Begriffen wie nach Interessen – zwischen dem Gegenstand und seinem Preise ist psychologisch so fest geworden, daß weder der Verkäufer dessen Sinken, noch der Käufer dessen Steigen mit jener Leichtigkeit zugeben, die selbstverständlich sein müßte, wenn der Ausgleich zwischen Geldwert und Warenwert wirklich durch denselben hemmungslosen Mechanismus erfolgte, durch den das Thermometer je nach der Lufttemperatur steigt oder sinkt, ohne die Genauigkeit der Proportion zwischen Ursache und Wirkung durch eine Verschiedenheit des Widerstandes zu stören, den es der einen Bewegung mehr als der anderen entgegensetze. Auch wenn man plötzlich noch einmal so viel Geld in der Tasche hat als kurz vorher, ist man doch nicht geneigt, nun ebenso plötzlich für jede Ware das Doppelte wie vorher aufzuwenden; man wird allerdings vielleicht, im Übermut des neuen Besitzes, dessen Bedeutung man unvermeidlich nicht nach dem neuen, sondern nach dem von früher gewohnten Maßstab schätzt, nach dem Preise überhaupt nicht fragen. Allein das Überschreiten des jetzt Angemessenen zeigt nicht weniger als das Dahinter-Zurückbleiben, daß von einer proportionalen Regulierung der Preise wenigstens in der ersten Zeit der Geldplethora nicht die Rede sein kann, daß in diese Regulierung vielmehr die fest gewordene Assoziation zwischen der Ware und dem gewohnten Preis Spielraum immerzu ablenkend eingreift. Ferner wird sich die Nachfrage nach den Waren bei einer, wenn auch alle Wirtschaftenden gleichmäßig treffenden Herab- oder Heraufsetzung ihres Geldbesitzes sehr verschieben. Im ersteren Falle werden z.B. bisher ziemlich gleichmäßig verkäufliche Objekte bis zu einem gewissen Maß des Umfanges oder der Überflüssigkeit noch für die Hälfte des Preises abzusetzen sein, jenseits jener Grenze aber überhaupt keinen [145] Abnehmer mehr finden. Andrerseits, im Falle allseitiger Geldvermehrung, wird eine stürmische Nachfrage nach Gütern entstehen, die für die breiten Massen das bisherige Ziel ihrer Wünsche waren, also denjenigen, die unmittelbar oberhalb des Niveaus ihrer bisherigen Lebenshaltung liegen; weder für die primitivsten Bedürfnisse – deren Verbrauchsmenge physiologisch begrenzt ist – noch für die feinsten und höchsten – die immer nur für kleine, sehr langsam vergrößerbare Kreise von Bedeutung sind – würde sich die Nachfrage erheblich steigern. Die Preiserhöhung würde also jene mittleren Güter in extremer Weise treffen, auf Kosten der anderen, in ihren Preisen relativ verharrenden; von einer proportionalen Verteilung des Geldzuflusses auf alle Preise könnte nicht die Rede sein. Prinzipiell ausgedrückt: die Lehre von der Gleichgültigkeit des absoluten Quantums vorhandenen Geldes, die sich auf die Relativität der Preise stützt, ist deshalb unrichtig, weil diese Relativität in der praktischen Preisbildung nicht vollständig besteht, sondern von einer psychologischen Verfestigung und Verabsolutierung der Preise in Hinsicht bestimmter Waren fortwährend durchbrochen wird.

Nun wird man vielleicht diesen Bedenken gegen die Harmlosigkeit der durch keine äußere Schranke begrenzten Geldvermehrung entgegenhalten, daß sie doch nur die Übergangszeiten zwischen je zwei Anpassungen des Preisniveaus beträfen. Ihre Voraussetzung ist ja gerade, daß der ganze Prozeß von einer nach den Quantitätsverhältnissen von Waren und Geld bestimmten Proportionalität der Preise ausgeht. Eben diese muß doch aber auch auf einem anderen Niveau herstellbar sein, und so gut wie die Schwankungen, die jener früheren vorausgingen, einmal beseitigt worden sind, können es auch die später entstehenden. Jene Bedenken gelten nur der Veränderung des Zustandes, aber nicht dem veränderten Zustand, den man nicht für die Unausgeglichenheiten, Erschütterungen und Schwierigkeiten des Überganges zu ihm verantwortlich machen dürfe. Es läßt sich allerdings kein Quantum von Umlaufsmitteln denken, an das nicht schließlich eine vollkommene Anpassung stattfinden, d.h. bei dem nicht der Geldpreis einer Ware die Proportion zwischen ihrem Werte und dem des in Frage kommenden Gesamtwarenquantums gerecht ausdrücken könnte; so daß die beliebige Vermehrung des Geldes diese Proportion nicht dauernd zu stören vermöchte. – Dies ist ganz richtig. Allein es beweist dennoch nicht, daß die Entfernung jeder inneren Schranke der Geldvermehrung innerhalb der Unzulänglichkeit menschlicher Verhältnisse möglich wäre. Denn sie würde ja gerade jenen Übergangszustand, dessen Schwankungen und Schwierigkeiten zugegeben sind, in Permanenz erklären und würde es zu der Angepaßtheit, [146] die prinzipiell freilich für jedes Quantum von Geld erreichbar ist, niemals kommen lassen.

Man könnte diese Erörterungen so zusammenfassen: das Geld erfüllt seine Dienste am besten, wenn es nicht bloß Geld ist, d.h. nicht bloß die Wertseite der Dinge in reiner Abstraktion darstellt. Denn daß die Edelmetalle zum Schmuck und zu technischen Zwecken verwendbar sind, ist zwar auch wertvoll, aber doch als primäre Tatsache von der sekundären: daß sie infolge jener wertvoll sind – durchaus begrifflich zu unterscheiden; während das Geld an seinem Wertsein seine erste und einzige Bestimmung hat. Aber eben die Realisierung dieses begrifflich Geforderten, der Übergang der Geldfunktion an ein reines Zeichengeld, ihre völlige Lösung von jedem, die Geldquantität einschränkenden Substanzwert ist technisch untunlich – während doch der Fortschritt der Entwicklung so erfolgt, als ob sie an diesem Punkte münden sollte. Das ist so wenig ein Widerspruch, daß vielmehr eine unübersehbare Anzahl von Entwicklungen nach demselben Schema vor sich gehen: sie nähern sich einem bestimmten Zielpunkte, werden durch denselben unzweideutig in ihrer Richtung bestimmt – würden aber bei wirklicher Erreichung desselben gerade die Qualitäten einbüßen, die sie durch das Streben zu ihm erhalten haben. Eine eminent geldwirtschaftliche Erscheinung mag das zunächst beleuchten, die zugleich an individuellen Verhältnissen eine Analogie für die Folgen unbegrenzter Geldvermehrung beibringt. Das Streben des Einzelnen, immer mehr Geld zu verdienen, ist von der größten sozial-ökonomischen Bedeutung. Indem der Börsenkaufmann möglichst große Gewinne zu machen sucht, schafft er die Lebhaftigkeit des Verkehrs, die gegenseitige Deckung von Angebot und Nachfrage, die Einbeziehung vieler sonst steriler Werte in den ökonomischen Kreislauf. Allein die Realisierung sehr hoher Börsengewinne ist in der Regel nur bei unmäßigem Schwanken der Kurse und Überwiegen des rein spekulativen Elementes zu erzielen. Durch dieses aber wird Produktion und Konsumtion der Waren, auf denen doch das soziale Interesse letzter Instanz beruht, teils hypertrophisch angeregt, teils vernachlässigt, jedenfalls aus derjenigen Entwicklung herausgedrängt, die den eigenen inneren Bedingungen und den realen Bedürfnissen entspricht. Hier ist es also das ganz spezifische Wesen des Geldes, auf dem sich die Divergenz des individuellen vom sozialen Interesse aufbaut, nachdem beide bis zu einem bestimmten Punkte zusammengegangen sind. Nur indem sich der Wert der Dinge von den Dingen selbst gelöst und eine Eigenexistenz an einem besonderen Substrat gewonnen hat, kann dieses Interessen, Bewegungen und Normen an sich ausbilden, die sich gelegentlich denen der damit [147] symbolisierten Objekte ganz entgegengesetzt verhalten. Das privatwirtschaftliche Bestreben, das sich an das Geld knüpft, kann das sozialwirtschaftliche, schließlich an die zu produzierenden und zu konsumierenden Güter gebundene, so lange fördern, wie es sozusagen bloß Bestreben bleibt – während die schließliche Erreichtheit seines Zweckes die des sozialen unterbinden kann. – Am häufigsten und entschiedensten wird sich dieser Typus an Fällen verwirklichen, wo Impulse des Gefühls ein absolutes Ziel erstreben, ohne sich darüber klar zu sein, daß sich alle erhoffte Befriedigung nur an die relative Annäherung an dieses knüpft, um bei restloser Erreichung vielleicht sogar in ihr Gegenteil umzuschlagen. Ich erinnere an die Liebe, die durch den Wunsch nach innigster und dauernder Vereinigung ihren Inhalt und ihre Färbung erhält, um nur allzuoft, wenn jene erreicht ist, dieses beides zu verlieren; an politische Ideale, die dem Leben ganzer Generationen seine Kraft, seinen geistig-sittlichen Schwung verleihen, aber nach ihrer Realisierung durch diese Bewegungen durchaus keinen idealen Zustand, sondern einen solchen von Erstarrung, Philistrosität und praktischem Materialismus hervorrufen; an die Sehnsucht nach Ruhe und Ungestörtheit des Lebens, die seinen Mühen und Arbeiten das Ziel gibt, um gerade, nachdem sie gewonnen ist, so oft in innere Leere und Unbefriedigung auszugehen. Ja, es ist schon eine Trivialität geworden, daß selbst das Glücksgefühl, obgleich ein absolutes Ziel unserer Bestrebungen, doch zu bloßer Langeweile werden müßte, wenn es wirklich als ewige Seligkeit realisiert würde; obgleich also unser Wille nur so verläuft, als ober an diesem Zustand münden sollte, so würde derselbe als erreichter ihn selbst dementieren und erst der Zusatz seines geflohenen Gegensatzes, des Leidens, kann ihm seinen Sinn erhalten. Näher kann man diesen Entwicklungstypus so beschreiben: Die zweckmäßige Wirksamkeit bestimmter, vielleicht aller Elemente des Lebens ist davon abhängig, daß neben ihnen entgegengesetzt gerichtete bestehen. Die Proportion, in der ein jedes und sein Gegenteil geeignet zusammenwirken, ist natürlich eine veränderliche, und zwar manchmal in dem Sinne veränderlich, daß das eine Element stetig zunimmt, das andere stetig abnimmt; die Richtung der Entwicklung ist also eine solche, als ob sie auf völlige Verdrängung des einen durch das andere hinzielte. Allein in dem Augenblick, in dem dies einträte und jeder Beisatz des zweiten Elementes völlig verschwände, wäre auch die Wirksamkeit und der Sinn des ersteren lahmgelegt. Das tritt etwa bei dem Gegensatz der individualistischen und der sozialistischen Gesellschaftstendenz ein. Es gibt historische Epochen, in denen z.B. die letztere die Entwicklung der Zustände beherrscht, und zwar nicht nur in [148] Wirklichkeit, sondern auch als Folge idealer Gesinnungen und als Ausdruck einer fortschreitenden, der Vollkommenheit sich nähernden Gesellschaftsverfassung. Wenn nun aber die Parteipolitik einer solchen Zeit schließt: da jeder Fortschritt jetzt auf einem Anwachsen des sozialistischen Elementes beruht, so wird das vollkommenste Herrschen desselben der fortgeschrittenste und ideale Zustand sein – so übersieht sie, daß jener ganze Erfolg von Maßregeln sozialistischer Tendenz daran gebunden ist, daß sie in eine im übrigen noch individualistische Wirtschaftsordnung hineingebracht werden. Alle durch ihre relative Zunahme bedingten Fortschritte gestatten gar nicht den Schluß, daß ihr absolutes Sich-Durchsetzen einen weiteren Fortschritt darstellen würde. Ganz entsprechend geht es in den Perioden des steigenden Individualismus. Die Bedeutung der von ihm geleiteten Maßregeln ist daran gebunden, daß noch immer Institutionen zentralistischen und sozialisierenden Charakters vorhanden sind, die zwar mehr und mehr herabgedrückt werden können, deren völliges Verschwinden aber auch jene zu sehr unerwarteten und von ihren bisherigen sehr verschiedenen Erfolgen führen würde. Ähnlich verhält es sich in den künstlerischen Entwicklungen mit den naturalistischen und den stilisierenden Bestrebungen. Jeder gegebene Moment der Kunstentwicklung ist eine Mischung aus bloßer Abspiegelung der Wirklichkeit und subjektiver Umbildung derselben. Nun mag, vom Standpunkt des Realismus aus, die Kunst durch fortwährendes Wachsen des objektiven Elementes sich immer vollkommener entwickeln. Allein in dem Augenblick, wo dies den alleinigen Inhalt des Kunstwerkes bildete, würde das bis dahin immer gesteigerte Interesse plötzlich in Gleichgültigkeit umschlagen, weil das Kunstwerk dann sich von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden und die Bedeutung seiner Sonderexistenz einbüßen würde. Andrerseits muß die Steigerung des verallgemeinernden und idealisierenden Momentes, so sehr es eine Zeitlang die Kunst veredeln mag, an einen Punkt kommen, wo die Ausscheidung jeder individualistischen Zufälligkeit ihr die Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt nehmen muß, die jene idealistische Bewegung gerade in immer reinerer und vollkommenerer Form darstellen sollte. Kurz, eine Reihe der wichtigsten Entwicklungen vollziehen sich nach dem Schema: daß das immer steigende Übergewicht eines Elementes eilten gewissen Erfolg immer steigert, ohne daß doch die absolute Herrschaft jenes und völlige Eliminierung des entgegengesetzten diesen Erfolg nun auch auf seine absolute Höhe höbe; umgekehrt würde jene ihn sogar seines bisher inne gehaltenen Charakters berauben. – Nach solchen Analogien mag sich das Verhältnis zwischen dem substanziellen Eigenwert des Geldes [149] und seinem bloß funktionellen und symbolischen Wesen entwickeln: immer mehr ersetzt das zweite den ersteren, während irgendein Maß dieses ersteren noch immer vorhanden sein muß, weil bei absoluter Vollendung dieser Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes seinen Halt und seine zweckmäßige Bedeutung einbüßen würde.

Es handelt sich aber hiermit nicht nur um eine formale Analogie innerlich verschiedener Entwicklungen, sondern um die Einheit des tieferen Lebenssinnes, der sich in dieser äußeren Gleichheit verwirklicht. Mit der Vielheit der Elemente und Tendenzen, als deren Ineinander und Durcheinander das Leben sich vorfindet, scheinen wir praktisch nur so auszukommen, daß wir unser Verhalten auf jedem Gebiet und in jeder Periode von einem einheitlichen und einseitigen Prinzip absolut regieren lassen. Auf diesem Wege aber holt jene Mannigfaltigkeit des Wirklichen uns immer wieder ein und verwebt unsere subjektive Bestrebung mit allen gegensätzlichen Faktoren zu einem empirischen Dasein, in dem das Ideal überhaupt erst in die Wirklichkeit eintreten kann; das bedeutet durchaus keine Dementierung jenes, vielmehr ist das Leben auf solche absolute Bestrebungen als Elemente seiner eingerichtet wie die physikalische Welt auf Bewegungen, die, ungestört sich selbst überlassen, zu Unausdenkbarem führen würden, aber nun, mit hemmenden Gegenwirkungen zusammenstoßend, gerade das vernunftmäßige Naturgeschehen ergeben. Und wenn die praktische Welt so zustande kommt, daß unser Wollen eine Richtung ins Ungemessene verfolgt und erst durch Abbiegungen und Zurückbie gungen gleichsam zu dem Aggregatzustand des Wirklichen gelangt, so hat auch hier das praktische Gebilde das theoretische vorgeformt: auch unsere Begriffe von den Dingen bilden wir unzählige Male so, daß die Erfahrung sie in dieser Reinheit und Absolutheit überhaupt nicht zeigen, sondern daß erst Abschwächung und Einschränkung durch entgegengesetzt gerichtete ihnen eine empirische Form geben kann. Darum aber sind jene Begriffe nicht etwa verwerflich; sondern gerade durch dies eigentümliche, exaggerierende und wieder reduzierende Verfahren an Begriffen und Maximen kommt das unserer Erkenntnis beschiedene Weltbild zustande. Die Formel, mit der unsere Seele zu der ihr unmittelbar nicht zugängigen Einheit der Dinge gleichsam nachträglich, nachbildend ein Verhältnis gewinnt, ist, im Praktischen wie im Theoretischen, ein primäres Zusehr, Zuhoch, Zurein, dem zurückdämmende Gegensätze die Konsistenz und den Umfang der Wirklichkeit wie der Wahrheit eintragen. So bleibt der reine Begriff des Geldes, als der bloße, jedem Eigenwert fremde Ausdruck des gegenseitig [150] gemessenen Wertes der Dinge, völlig gerechtfertigt, obgleich die historische Wirklichkeit immer nur als Herabsetzung dieses Begriffes vermittels des entgegengesetzten, des Eigenwertbegriffes des Geldes, auftritt. Unser Intellekt kann nun einmal das Maß der Realität nur als Einschränkung reiner Begriffe ergreifen und begreifen, die sich, wie sie auch von der Wirklichkeit abweichen, durch den Dienst legitimieren, den sie der Deutung dieser leisten.

[151]

III.

Es handelt sich jetzt um die historische Ausgestaltung des prinzipiell Konstruierten. Wesen und Bedeutung des Geldes treten nach ihren großen kulturphilosophischen Zusammenhängen an den Bewegungen hervor, die es auf seinen reinen Begriff zu und von seiner Fesselung an bestimmte Substanzen abführen – sowenig dieser Weg das Ziel erreichen kann, das ihm die Richtung gibt. Hiermit erst schließt sich das Geld der allgemeinen Entwicklung an, die auf jedem Gebiet und in jedem Sinn das Substanzielle in freischwebende Prozesse aufzulösen strebt; und zwar gewinnt das Geld diesen Anschluß in jeder überhaupt möglichen Form: einerseits als ein. Bestandteil jener umfassenden Entwicklung, andrerseits, wegen seines eigentümlichen Verhältnisses zu den konkreten Werten, als Symbol derselben; einerseits ferner als Wirkung der von jener Entwicklung regulierten Kulturströmungen, andrerseits als von sich aus wirksame Ursache derselben. Dieser Zusammenhang interessiert uns hier in derjenigen Richtung, in der er die Gestaltung des Geldes als die Folge der Verfassungen und der Bedürfnisse menschlichen Zusammenlebens bewirkt. Jene Einschränkung also, daß es sich um einen nicht zu vollendenden Weg handelt, ein für allemal vorbehalten, behandle ich nun die Funktionsbedeutung des Geldes und ihr Steigen bis zur Verdeckung seiner Substanzbedeutung.

Auf die letzten Grundlagen hin angesehen ist die so bezeichnete Auflösung des Geldbegriffes viel weniger radikal, als es scheint. Denn genau genommen ist auch der Substanzwert des Geldes nichts als ein Funktionswert. So sehr man die Edelmetalle als bloße Substanzen schätzen mag, so schätzt man sie doch etwa nur, weil sie schmücken, auszeichnen, technisch verwendbar sind, ästhetische Freude gewähren u. ähnl. – also, weil sie gewisse Funktionen ausüben; niemals kann ihr Wert in ihrem in sich ruhenden Sein bestehen, sondern immer nur in dem, was sie leisten; ihre Substanz, wie die aller praktischen Dinge, ist uns rein als solche und abgesehen von dem, was sie leistet, das Gleichgültigste von der Welt. Von der Mehrzahl der Objekte kann man sagen: sie sind nicht wertvoll, [152] sondern sie werden es – denn dazu müssen sie fortwährend aus sich heraus und in Wechselwirkung mit anderen treten; es sind nur Wirkungen ihrer, an die sich ein Wertgefühl knüpft. Denn selbst wenn eine ästhetische Stimmung die Edelmetalle jenen objektiven Werten zurechnete, durch deren bloßes Dasein, jenseits alles Anerkannt- und Genossenwerdens, die Welt an und für sich wertvoller und bedeutsamer wird – so würden sie doch mit diesem Werte keinesfalls in die Wirtschaft eintreten. Hier vielmehr bleibt aller Wert an ihre Leistung geheftet, und es ist eine bloß willkürliche und den wahren Sachverhalt verhüllende Ausdrucksweise, daß sie einen Substanzwert besäßen, der von ihren Leistungen als Geld prinzipiell geschieden wäre; denn jener Substanzwert der Metalle ist gleichfalls Funktionswert, nur nicht der ihrer Funktion als Geld. Alle Werte des Edelmetalls vielmehr bilden eine Reihe, die nichts anderes ist als eine Reihe von Funktionen. Dies verbirgt sich natürlich der Erkenntnis um so mehr, je weniger lebhaft diese Funktionen in der Wirklichkeit sind. Die ganzen Bedenken des Mittelalters gegen das Zinsennehmen gehen darauf zurück, daß das Geld viel starrer, substanzieller, den Dingen geschlossener gegenüberstehend erschien und war als in der Neuzeit, in der es vielmehr dynamisch, fließend, sich anschmiegend wirkt und erscheint. Die Adoption der Aristotelischen Lehre: es sei unnatürlich, daß Geld Geld gebäre, und die Verurteilung des Zinses als Diebstahl, da ja das zurückerstattete Kapital schon so viel sei wie das entliehene; die Begründung ebendesselben durch Alexander von Haies: daß das Geld sich doch durch den Gebrauch nicht abnütze, und daß es nicht, wie die Objekte eines Mietsvertrages, dem Gläubiger einen Nutzen abwerfe; die Lehre des hl. Thomas, daß beim Geld, weil es von vornherein zum Weggeben bestimmt sei, Gebrauch und Verbrauch zusammenfielen und man deshalb jenen nicht, wie etwa bei einem Wohnhaus, gesondert verkaufen könne – all diese Lehren zeigen, wie starr, den Fluktuationen des Lebens unverbunden, wie wenig als Produktivkraft das Geld erschien. Die tatsächliche Geringfügigkeit seiner Wirkungen verdeckte seinen funktionellen Charakter überhaupt. Das ist aber dasselbe Grundgefühl dem Gelde gegenüber, das sein Wesen an eine Metallsubstanz als solche gefesselt meint. Auch diese Meinung stellt es, wie das Mittelalter, den Bewegungen der wirtschaftlichen Objekte als ein ens per se gegenüber, statt es in sie einzubeziehen und zu erkennen, daß es, welches auch sein Träger sei, als Geld nicht sowohl eine Funktion hat, als eine Funktion ist.

Den Gegenpol zu der Anschauungsweise des Mittelalters bildet die Kreditwirtschaft, in der die Anweisung den Gelddienst versieht. [153] Für jene ist die Substanz des Geldes, aber nicht seine Wirkung die beherrschende Idee – wodurch, sowenig diese Wirkung tatsächlich auszuscheiden war, sie auf ihr Minimum herabgedrückt wurde –, in der an das Metall gebundenen Geldvorstellung der neueren Zeit ist die wirkende Substanz der Kernpunkt, die Kreditwirtschaft endlich tendiert auf Ausscheidung der Substanz, nur deren Wirkung als das übrig lassend, worauf es ankommt.

Zu jener oberflächlichen Anschauung hat wohl das alte Schema mitgewirkt, das die Erscheinungen durchgehends in Substanz und Akzidenzen teilen ließ. Gewiß war dies historisch von unermeßlicher Bedeutung; daß man jede Erscheinung in einen substanziellen Kern und relative, bewegliche Äußerungsweisen und Eigenschaften zerlegte, war eine erste Orientierung, ein erster fester Leitfaden durch die rätselhafte Formlosigkeit der Dinge, ein Gestalten und Unterwerfen ihrer unter eine durchgehende, unserem Geiste adäquate Kategorie; die bloß sinnlichen Unterschiede des ersten Anblicks gewinnen so eine Organisation und Bestimmtheit des gegenseitigen Verhältnisses. Es ist aber das Wesen solcher Formen, wie der sozialen Organisationen, unter dem Anschein und dem Anspruch ewiger Dauer zu bestehen. Wie es deshalb bei der Vernichtung einer Gesellschaftsverfassung zugunsten einer anderen scheint, als ob es mit aller Ordnung und Verfassung überhaupt vorbei wäre, so ruft die Umbildung der intellektuellen Ordnungen den gleichen Eindruck hervor: die objektive Festigkeit wie das subjektive Verständnis der Welt scheint zerbrochen, wenn eine Kategorie fällt, die bisher gleichsam zu dem Rückgrat des Weltbildes gehörte. Der Geldwert wird aber der Reduktion auf einen Funktionswert so wenig widerstehen können, wie das Licht, die Wärme und das Leben ihren besonderen substanziellen Charakter bewahren und sich der Auflösung in Bewegungsarten entziehen konnten.

Ich beobachte nun zunächst gewisse Strukturverhältnisse des Wirtschaftskreises.

In welchem Maße es von diesen und nicht von der Substanz des Geldes abhängt, inwieweit es wirklich Geld ist, d.h. als Geld wirkt, das mag aus einem negativen, an eine prinzipielle Überlegung anzuknüpfenden Beispiel hervorgehen. Wir bemerken, daß in einem Verhältnis zwischen zwei Menschen die äußere Form selten der genau angepaßte Ausdruck seines inneren Intensitätsmaßes ist; und zwar pflegt sich die Inadäquatheit beider so darzustellen, daß sich die inneren Beziehungen kontinuierlich, die äußeren aber sprungweise entwickeln. Wenn also selbst zu einem gegebenen Zeitpunkt beide einander entsprechen, so beharren die letzteren in ihrer einmal gewonnenen [154] Form, während die ersteren sich steigern. Von einem gewissen Grade ab erfolgt nun ein plötzliches Wachstum jener, das – und hier liegt nun das Charakteristische – in der Regel nicht bei dem Punkte haltmacht, der dem gleichzeitigen inneren Verhältnis entspricht, sondern über diesen hinaus eine noch vorgeschrittenere Innerlichkeit antizipiert. So wird z.B. das Du zwischen Freunden, das als der endliche Ausdruck einer schon lange bestehenden Zuneigung auftritt, doch in der ersten Zeit oft noch als ein wenig exaggeriert empfunden und schafft mit einem Schlage eine äußere Intimität, der die ganz entsprechende innere erst in einiger Zeit nachzukommen pflegt. Sie kommt ihr aber manchmal auch nicht nach; es gehen manche Verhältnisse darüber zugrunde, daß ihre Form, obgleich durch ihre Innerlichkeit bis zu einem gewissen Grade berechtigt, von dieser nicht völlig eingeholt werden kann. Etwas Entsprechendes findet auch im Unpersönlichen statt. Kräfte des sozialen Lebens, die auf ihren Ausdruck in bestimmten Konstellationen von Recht. Austauschformen, Herrschaftsverhältnissen usw. hindrängen, finden denselben oft lange nicht, weil die einmal erlangten Formen dieser Gebiete leicht erstarren. Tritt nun die innerlich erforderte äußere Änderung dennoch ein, so erfolgt sie oft in einem Maße, für das die innerlichen Kräfte doch noch nicht ganz reif sind, und dessen nachträgliche Legitimierung nicht immer gelingt. So ist die Geldwirtschaft manchmal aufgekommen. Nachdem die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse schon lange auf sie hindrängten, tritt sie dann in Erscheinungen so gewaltigen Umfanges hervor, daß nun wieder jene ihr nicht ganz genügen; dann können solche Erscheinungen ein tragisches Ende finden, wenn die Entwicklung der inneren ökonomischen Kräfte die Form, die sie vorweggenommen hat, nicht schnell genug einholen. Das war die Situation, in der die Fugger, ja alle die großen oberdeutschen Bankiers des 16. Jahrhunderts zugrunde gingen. Ihre Geldgeschäfte, vollkommen den Transaktionen moderner Weltbankiers vergleichbar, fielen in eine Zeit, die zwar der naturalwirtschaftlichen Enge des Mittelalters entwachsen war, aber doch noch nicht die Kommunikationen, Sicherheiten und Usancen besaß, die das notwendige Korrelat solcher Geschäfte sind. Die allgemeinen Verhältnisse lagen noch nicht so, daß man Außenstände in Spanien und bei regierenden Herren ohne weiteres hätte einziehen können. Die neuen geldwirtschaftlichen Formen verleiteten Anton Fugger, sie weit über das Maß zu spannen, in dem sie der adäquate Ausdruck der damaligen realen Verfassung Europas gewesen wären. Den Schuldnern jener Finanzmächte ging es aus dem selben Grunde nicht besser. Die spanische Finanznot des 16. Jahrhunderts [155] entstand dadurch, daß das Geld zwar in Spanien oft genug vorhanden war, aber nicht dort, wo es großenteils gebraucht wurde: in den Niederlanden. Dadurch entstanden Schwierigkeiten, Verzögerungen, Kosten, die zum Ruin der spanischen Finanzen sehr viel beitrugen. Bei anderen lokalen Bedingungen stellt sich auch sofort eine ganz andere Funktionierung des Geldes ein: die Niederlande ihrerseits hatten in ihrem Kriege gegen Spanien den ungeheuren Vorteil, daß ihr Geld eben da, wo es war, auch seine Verwendung fand. In den Händen der Niederländer war es wirklich erst »Geld«, weil es hier ungehindert funktionieren konnte – obgleich sie, auch relativ, sehr viel weniger Geldsubstanz besaßen als Spanien und ihre Existenz auf den Kredit gestellt war. Je günstiger die lokalen Bedingungen der Geldfunktion sind, mit desto weniger Substanz können sie ausgeübt werden, so daß man paradoxerweise sagen kann: je mehr es wirklich Geld (seiner wesentlichen Bedeutung nach) ist, desto weniger braucht es Geld (seiner Substanz nach) zu sein.

Neben dem Einfluß lokaler Bedingungen ist es nun weiterhin die Festigkeit und Zuverlässigkeit der sozialen Wechselwirkungen, gleichsam die Konsistenz des Wirtschaftskreises, die die Auflösung der Geldsubstanz vorbereitet. Das zeigt sich etwa gelegentlich der Tatsache, daß das Geld eine immer steigende Anzahl von Wirkungen hervorbringt, während es selbst ruht. Die manchmal auftretende Vorstellung, daß die ökonomische Bedeutung des Geldes das Produkt aus seinem Werte und der Häufigkeit seiner Umsetzungen in einer gegebenen Zeit wäre, übersieht die mächtigen Wirkungen, die das Geld durch bloße Hoffnung und Furcht, durch Begierde und Besorgnis, die sich mit ihm verbinden, übt; es strahlt diese auch ökonomisch so bedeutsamen Affekte aus, wie Himmel und Hölle sie ausstrahlen: als bloße Idee. Die reine Vorstellung des Vorhandenseins oder des Mangels von Geld an einer bestimmten Stelle wirkt anspannend oder lähmend, und die Goldreserven in den Kellern der Banken, die deren Noten decken, beweisen handgreiflich, wie das Geld in seiner rein psychologischen Vertretung volle Wirkungen zu stände bringt; hier ist es wirklich als der »unbewegte Beweger« zu bezeichnen. Nun liegt es auf der Hand, daß diese Wirkung des Geldes als bloßer Potenzialität von der Feinheit und Sicherheit der wirtschaftlichen Organisation überhaupt abhängt. Wo die sozialen Verbindungen locker, sporadisch, träge sind, da wird nicht nur bloß gegen bar verkauft, sondern auch das ruhende Geld findet nicht die vielen psychologischen Kanäle, durch die hin es wirken kann. Hierhin gehört auch die Doppelexistenz des ausgeliehenen Geldes: einmal in der ideellen, aber doch höchst bedeutungsvollen Form des [156] Außenstandes, und außerdem als Realität in der Hand des Schuldners. Als Forderung gehört es in dem Vermögensbestand des Gläubigers und ist, obgleich es gar nicht an dieser Stelle vorhanden ist, doch an ihr äußerst wirksam; andrerseits, obgleich dieser Wert sich gar nicht in dem Vermögen des Entleihers befindet, so kann er doch mit ihm dieselben wirtschaftlichen Wirkungen üben, als ob das der Fall wäre. So wird durch das Ausleihen des Geldes seine Wirksamkeit in zwei Teile zerlegt und damit der Ertrag seiner wirtschaftlichen Energie außerordentlich gesteigert. Aber die intellektuelle Abstraktion, die diese Zerlegung bewirkt, kann ihre Erfolge eben nur unter einer so gefesteten und verfeinerten Gesellschaftsverfassung üben, daß man in ihr überhaupt mit relativer Sicherheit Geld ausleihen und wirtschaftliche Aktionen auf jene Teilfunktionen seiner gründen kann. Wie es einer gewissen Extensität und Intensität der sozialen Beziehungen bedarf, um Geld überhaupt wirksam werden zu lassen – vorher unterscheidet es sich nicht von anderen Tauschwaren – so einer sehr verstärkten, um seine Wirkungen zu vergeistigen. An diesen gesteigerten Erscheinungen dokumentiert sich besonders durchsichtig, wie wenig das Geld seinem Innersten Wesen nach an die Körperhaftigkeit seines Substrates gebunden ist; da es nun aber ganz und gar eine soziologische Erscheinung ist, eine Form der Wechselwirkung unter den Menschen, so tritt seine Art um so reiner hervor, je kondensierter, zuverlässiger, leichter ansprechend die sozialen Verbindungen sind. Ja, bis in alle Äußerlichkeiten der Geldform hinein wirkt die allgemeine Festigkeit und Sicherheit der Verkehrskultur. Daß ein so feiner und leicht zerstörbarer Stoff wie Papier zum Träger höchsten Geldwertes wird, ist nur in einem so fest und eng organisierten und gegenseitigen Schutz garantierenden Kulturkreise möglich, daß eine Reihe elementarer Gefahren für dasselbe – sowohl äußerer wie namentlich psychologischer Natur – ausgeschlossen sind; bezeichnenderweise hat deshalb das Mittelalter ziemlich häufig Ledergeld verwendet. Wenn das Papiergeld wegen seines gleichsam unsubstanziellen Wesens die vorschreitende Auflösung des Geldwertes in bloßen Funktionswert bezeichnet, so mag das Ledergeld eine Vorstufe dazu symbolisieren: von den Qualitäten, die das substanzielle Geld charakterisieren, hat das Ledergeld wenigstens die der relativen Unzerstörbarkeit noch bewahrt und kann sie erst bei einer bestimmten vorgeschrittenen Struktur der individuellen und sozialen Verhältnisse abgeben.

Die Praxis und die Theorie der Geldpolitik scheint ebenso den Entwicklungsgang von der Substanzbedeutung des Geldes zur Funktionsbedeutung, wie die Abhängigkeit desselben von den soziologischen [157] sehen Zuständen zu bestätigen. Man könnte den Fiskalismus des Mittelalters und den Merkantilismus als materialistische Geldpolitik bezeichnen. Wie der Materialismus den Geist mit seinen Äußerungen und seinem Werte der Materie einordnet, so meinten jene Standpunkte das Wesen und die Bewegungskraft des staatlich-wirtschaftlichen Lebens an die Geldsubstanz gebunden. Es besteht aber zwischen ihnen derselbe Unterschied wie zwischen der rohen und der feineren Form des Materialismus. Jene behauptet, daß die Vorstellung selbst etwas Materielles wäre und das Gehirn Gedanken absondere, wie die Drüsen ihre Flüssigkeit, wie die Leber die Galle. Diese: die Vorstellung sei nicht selbst materiell, aber eine Bewegungsform des Materiellen, der Gedanke bestehe wie Licht, Wärme, Elektrizität in einer besonderen Art von Schwingungen körperlicher Teile. Diesem Unterschiede der intellektuellen Standpunkte entspricht es, wenn einerseits der Fiskalismus das Interesse der Regierung darein verlegt, möglichst viel bares Geld zur unmittelbaren Verwendung des Fürsten oder für die Staatszwecke herauszuschlagen, andrerseits der Merkantilismus zwar auch auf das bare Geld einen Hauptwert legt, aber nicht, um es substanziell herauszuziehen, sondern um die wirtschaftlichen Bewegungen des Landes funktionell zu beleben. Innerhalb dieser materialistischen Richtungen der Geldpolitik selbst, die noch ganz tief in der Vorstellung steckten, daß die Geldsubstanz der Wert an und für sich wäre, macht sich also doch schon die Wendung von der grob äußerlichen zu der funktionellen Bedeutung dieser Substanz geltend. Dem entspricht die politische Verfassung der fraglichen Perioden. Der Fürst da, wo die mittelalterliche fiskalische Verfassung herrschte, in einem bloß äußerlichen Verhältnis zu seinem Lande, oft in einem völlig unorganischen, durch Erheiratung oder Eroberung hergestellten, so daß es sich in der Tendenz, nur möglichst viel Geld aus dem Lande zu ziehen, völlig adäquat ausdrückte – wovon der häufige Verkauf ganzer Territorien gegen Geld der konsequente Abschluß war; indem das starre, bloß substanzielle Geldinteresse Herrscher und Beherrschte verband, zeigte es, wie unverbunden sie waren. Für dieses soziologische Verhältnis zwischen den beiden Parteien ist die im Mittelalter so häufige Münzpolitik der Herrscher, die in einer fortwährenden Verschlechterung der Münze bestand, die nächstliegende Technik; nur bei einem völlig unorganischen Zusammen sind derartige Politiken möglich, die auf der Seite des einen allen. Nutzen, auf der der anderen allen Schaden lassen. Die Freude am baren Gelde, die den Orientalen angeboren scheint, hat man auf den Fiskalismus ihrer Fürsten zurückgeführt, die das Münzregal als Steuerquelle benutzen, ohne sich um die Folgen der Valutaverschlechterung [158] zu sorgen: das notwendige Gegenstück dazu sei die Leidenschaft des Untertanen für die Aufhäufung von barem Gold und Silber. Der aufkommende zentralistisch-despotische Staat bedeutete ein viel engeres und lebendigeres Verhältnis zwischen den politischen Faktoren: die Vorstellung ihrer organischen Einheit bildet das Gemeinsame der Fürstenideale, vom l'état c'est moi bis zum Könige als dem ersten Diener seines Volkes. Wenn nun auch hier das Interesse der Regierung noch an dem Hereinbringen möglichst reichlicher Geldsubstanz haftet, so entspricht es doch der regeren Wechselwirkung zwischen Haupt und Gliedern des Staatskörpers, der Belebtheit der Staatsexistenz als solcher, daß nicht mehr in dem substanziellen Besitze, sondern in der Fruchtbarkeit des Geldes für das Gedeihen der Industrie usw. der Endzweck seines Erwerbes gesucht wurde. Als dann die liberalen Tendenzen das staatliche Leben zu immer freierem Fluß, immer ungehemmterer Geschmeidigkeit, immer labilerem Gleichgewicht der Elemente führten, war die materielle Grundlage für die Theorie Adam Smiths gegeben: daß Gold und Silber bloße Werkzeuge sind, nicht anders als Kochgeräte, und daß ihr Import an und für sich so wenig den Wohlstand der Länder steigere, wie man durch die Vermehrung der Kochgeräte schon mehr zu essen habe. Haben sich schließlich die alten substanziellen Ordnungen so weit aufgelöst, um anarchistische Ideale zu ermöglichen, so wird in ihnen begreiflicherweise auch diese Richtung der Geldtheorie ihr Extrem erreichen. Proudhon, der alle festen Staatsgebilde beseitigen und die freie unmittelbare Wechselwirkung der Individuen als die einzig richtige Form des sozialen Lebens anerkennen will bekämpft den Gebrauch des Geldes überhaupt; denn in ihm sieht er ein genaues Analogen jener Herrschaftsgebilde, die aus den Individuen ihre lebendige Wechselwirkung heraussaugen und in sich kristallisieren. Es müsse daher die Tauschbarkeit der Werte ohne Dazwischenkunft des Geldes begründet werden, ebenso wie die Regierung der Gesellschaft durch alle Bürger ohne Dazwischenkunft des Königs; und wie man jedem Bürger das Stimmrecht gegeben habe, so müsse jede Ware an und für sich und ohne Vermittlung des Geldes zum Wertrepräsentanten werden. – Mit der Ansicht Adam Smiths ist die Richtung auf die hier vertretene Geldtheorie eingeschlagen, die man im Gegensatz zu den materialistischen als transzendentale bezeichnen kann. Denn wenn der Materialismus erklärt: der Geist ist Materie – so lehrt die Transzendentalphilosophie: auch die Materie ist Geist. Nicht um den Geist im Sinne des Spiritualismus handelt es sich, der auch eine Substanz, ein ruhendes Sein, wenn auch immaterieller Art ist; sondern um die Erkenntnis, daß jegliches [159] Objekt, körperhafter oder geistiger Art, für uns nur besteht, insofern es von der Seele in ihrem Lebensprozeß erzeugt wird, oder genauer: insofern es eine Funktion der Seele ist. Wenn nun die materialistische Auffassung des Geldes als Irrtum erscheint, so zeigt die historische Betrachtung, daß es kein zufälliger war, sondern der angemessene theoretische Ausdruck eines tatsächlichen soziologischen Zustandes, der erst durch reale Mächte überwunden werden mußte, ehe sein theoretisches Gegenbild durch theoretische überwunden werden konnte.

Der weitere Zusammenhang, in den sich der soziologische Charakter des Geldes einstellt, ist dieser. Als den Ausgangspunkt aller sozialen Gestaltung können wir uns nur die Wechselwirkung von Person zu Person vorstellen. Gleichviel wie die in Dunkel gehüllten historischen Anfänge des gesellschaftlichen Lebens wirklich gestaltet waren – seine genetische und systematische Betrachtung muß diese einfachste und unmittelbarste Beziehung zum Grunde legen, von der wir doch schließlich auch heute noch unzählige gesellschaftliche Neubildungen ausgehen sehen. Die weitere Entwicklung ersetzt nun diese Unmittelbarkeit der wechselwirkenden Kräfte durch die Schaffung höherer überpersönlicher Gebilde, die als gesonderte Träger eben jener Kräfte auftreten und die Beziehungen der Individuen untereinander durch sich hindurchleiten und vermitteln. Diese Gebilde bieten sich in den verschiedensten Erscheinungsarten dar: in greifbarer Realität wie als bloße Ideen und Phantasieprodukte, als weitverzweigte Organisationen wie in der Darstellung an Einzelpersonen. So bildeten sich aus den Erforderlichkeiten und Usancen, die sich im Verkehr der Gruppengenossen zunächst von Fall zu Fall entwickeln und sich schließlich fixieren, die objektiven Gesetze der Sitte, des Rechts, der Moral – ideale Erzeugnisse des menschlichen Vorstellens und Wertens, die nun für unser Denken ganz jenseits des einzelnen Wollens und Handelns stehen, gleichsam als dessen losgelöste »reine Formen«. So verkörpert sich, diesen Prozeß fortsetzend, das Staatsgesetz in dem Richterstand und der ganzen Verwaltungshierarchie; so die zusammenhaltende Kraft einer politischen Partei in dem Parteivorstand und der parlamentarischen Vertretung; so verlegt sich die Kohäsion eines Regimentes in seine Fahne, einer mystischen Vereinigung in ihren Gral usw. Es werden also die Wechselwirkungen unter den primären Elementen selbst, die die soziale Einheit erzeugen, dadurch ersetzt, daß Jedes dieser Elemente für sich zu dem darüber oder dazwischen geschobenen Organe in Beziehung tritt. In diese Kategorie substanzgewordener Sozialfunktionen gehört das Geld. Die Funktion des Tausches, eine unmittelbare [160] Wechselwirkung unter Individuen, ist mit ihm zu einem für sich bestehenden Gebilde kristallisiert. Der Austausch der Arbeitsprodukte oder des sonst aus irgendeiner Quelle her Besessenen ist offenbar eine der reinsten und primitivsten Formen menschlicher Vergesellschaftung, und zwar nicht so, daß die »Gesellschaft« schon perfekt wäre, und dann käme es zu Tauschakten innerhalb ihrer; sondern der Tausch selbst ist eine der Funktionen, die aus dem bloßen Neben einander der Individuen ihre innerliche Verknüpfung, die Gesellschaft, zustande bringen; denn die Gesellschaft ist nicht eine absolute Einheit, die erst dasein müßte, damit alle die einzelnen Beziehungen ihrer Mitglieder: Über- und Unterordnung, Kohäsion, Nachahmungen, Arbeitsteilung, Tausch, gleichgerichtete Angriffe und Verteidigungen, religiöse Gemeinschaft, Parteibildung und viele andere in ihr als dem Träger oder Rahmen jener entstünden. Sondern Gesellschaft ist nichts als die Zusammenfassung oder der allgemeine Name für die Gesamtheit dieser speziellen Wechselbeziehungen. Die einzelne freilich kann ausscheiden, und es bleibt noch immer »Gesellschaft« übrig – aber nur, wenn nach Wegfall der einen noch eine hinreichend große Anzahl anderer in Kraft bleiben; fielen alle fort, so würde es auch keine Gesellschaft mehr geben: gerade wie die Lebenseinheit eines organischen Körpers noch damit weiterbestehen kann, daß eine oder die andere seiner Funktionen, d.h. der Wechselbeziehungen zwischen seinen Teilen aufhört, aber nicht mehr damit, daß sie alle aufhören – weil »Leben« nichts anderes ist als die Summe solcher unter den Atomen eines Körpers wechselseitig ausgeübten Kräfte. Fast ist es deshalb noch ein zweideutiger Ausdruck, daß der Tausch Vergesellschaftung bewirke: er ist vielmehr eine Vergesellschaftung, eine jener Beziehungen, deren Bestehen eine Summe von Individuen zu einer sozialen Gruppe macht, weil »Gesellschaft« mit der Summe dieser Beziehungen identisch ist.

Die oft hervorgehobenen Unbequemlichkeiten und Unzulänglichkeiten des Naturaltausches nun sind durchaus denen vergleichbar, die sich bei anderen sozialen Wechselwirkungen einstellen, solange sie sich noch in dem Stadium der Unmittelbarkeit befinden: wenn alle Regierungsmaßregeln von der Gesamtheit der Bürger beraten und gebilligt werden müssen; wenn der Schutz der Gruppe nach außen noch durch den primitiven Waffendienst jedes Gruppenangehörigen bewerkstelligt wird; wenn Zusammenfassung und Organisation noch ausschließlich auf persönlich ausgeübter Autorität und Gewalt beruht, wenn die Verwaltung der Gerechtigkeit noch durch den unmittelbaren Urteilsspruch der Gemeinde geschieht – so ergeben sich daraus bei wachsender Extensität und Komplikation der Gruppe alle jene Unzweckmäßigkeiten, [161] Behinderungen und Lockerungen, die einerseits auf die Abgabe dieser Funktionen an besondere arbeitsteilige Organe, andrerseits auf die Kreierung vertretender und zusammenhaltender Ideale und Symbole hindrängen. Die Tauschfunktion führt tatsächlich zu Bildungen von beiderlei Art: einerseits zum Stande der Händler, andrerseits zum Geld. Der Händler ist der differenzierte Träger der sonst zwischen den Produzenten unmittelbar ausgeübten Tauschfunktionen; statt der einfachen Wechselbeziehungen unter diesen tritt die Beziehung ein, welche jeder derselben für sich zum Händler hat, wie die unmittelbare Kontrolle und Kohäsion der Gruppengenossen durch die gemeinsame Beziehung zu den Regierungsorganen ersetzt wird. Und nun kann man, genauere Erkenntnis vorbereitend, sagen: wie der Händler zwischen den tauschenden Subjekten steht, gerade so steht das Geld zwischen den Tauschobjekten. Statt daß deren Äquivalenz unmittelbar wirksam wird und ihre Bewegungen in sich beschlossen sein läßt, tritt nun jedes von ihnen für sich in ein Gleichungs- und Austauschverhältnis zum Geld. Wie der Händler die verkörperte Funktion des Austausches ist, so das Geld die verkörperte Funktion des Ausgetauschtwerdens: es ist, wie wir früher sahen, das zur Substanz gewordene bloße Verhältnis der Dinge zueinander, wie es in ihrer wirtschaftlichen Bewegung zum Ausdruck kommt. So steht es schließlich jenseits der einzelnen Dinge, deren jedes zu ihm in Beziehung steht, als ein nach eigenen Normen organisiertes Reich, das eben doch nur die Objektivation der ursprünglich unter jenen einzelnen Dingen selbst geschehenen Ausgleichs- und Austauschbewegungen ist. Allein dies ist, wie gesagt, nur eine vorbereitende Ansicht. Denn schließlich sind es doch nicht die Dinge, sondern die Menschen, die diese Prozesse vollziehen, und die Verhältnisse zwischen jenen sind auf dem hier fraglichen Gebiete doch Verhältnisse zwischen diesen. Was der Tausch unter Individuen als Aktion ist, das ist das Geld in konkret gewordener, für sich bestehender, gleichsam erstarrter Form, in demselben Sinne, wie die Regierung das gegenseitige Sichinordnunghalten der Gruppenmitglieder, wie das Palladium oder die Lade ihre Kohäsion, wie der Kriegerstand ihr Sichverteidigen darstellt. Alles dies sind gleichmäßig Fälle jenes weitesten Typus: daß aus primären Erscheinungen, Substanzen, Vorgängen eine einzelne Seite, die nur an und mit ihnen existiert, wie die Eigenschaft an ihrer Substanz und die Tätigkeit an ihrem Subjekt, dennoch von ihnen gelöst wird, indem sie sich mit einem eigenen Körper bekleidet: die Abstraktion wird eben dadurch vollzogen, daß sie zu einem konkreten Gebilde kristallisiert. Außerhalb des Tausches ist das Geld so wenig etwas, wie Regimenter und Fahnen außerhalb [162] der gemeinsamen Angriffe und Verteidigungen oder wie Priester und Tempel außerhalb der gemeinsamen Religiosität. Die Doppelnatur des Geldes: zwar eine sehr konkrete und als solche geschätzte Substanz zu sein und doch seinen Sinn nur in der völligen Auflösung in Bewegung und Funktion zu besitzen – gründet sich darauf, daß es nur in der Hypostasierung, gleichsam in der Fleischwerdung einer reinen Funktion, des Tausches unter Menschen, besteht.

Die Entwicklungen des Geldstoffes bringen seinen soziologischen Charakter zu immer vollkommenerem Ausdruck. Die primitiven Tauschmittel, wie Salz, Vieh, Tabak, Getreide, sind ihrer Verwendung nach von dem reinen Individualinteresse bestimmt, solipsistisch, d.h. sie werden schließlich von einem einzelnen konsumiert, ohne daß in diesem Augenblick andere noch ein Interesse daran hätten. Das Edelmetall dagegen weist durch seine Bedeutung als Schmuck auf die Beziehung zwischen den Individuen hin; man schmückt sich für andere. Der Schmuck ist ein soziales Bedürfnis, und die Edelmetalle eignen sich eben durch ihren Glanz ganz besonders dazu, die Augen auf sich zu ziehen. Darum sind bestimmte Schmuckarten auch bestimmten sozialen Positionen vorbehalten; so war im mittelalterlichen Frankreich das Tragen von Goldschmuck allen unter einem gewissen Range Stehenden verboten. Dadurch, daß der Schmuck seine ganze Bedeutung in den psychologischen Vorgängen hat, die er außerhalb seines Trägers in anderen erregt, unterscheidet sich das Edelmetall durchaus von jenen ursprünglicheren, sozusagen zentripetalen Tauschmitteln. Der Tausch als das reinste soziologische Vorkommnis, d.h. als die vollständigste Wechselwirkung, findet den entsprechenden Träger in der Substanz des Schmuckes, der alle Bedeutung für seinen Besitzer nur mittelbar, nämlich als Beziehung zu anderen Menschen, aufweist.

Wenn diese Verkörperung der Tauschaktion in einem besonderen Gebilde sich technisch so vollzieht, daß jedes Objekt, statt unmittelbar gegen ein anderes, zunächst gegen jenes eingetauscht wird, so ist nun die Frage: welches ist, näher angesehen, das dem entsprechende Verhalten der hinter den Objekten stehenden Menschen? – denn das gemeinsame Verhalten zum Händler, so sehr es Ursache und Wirkung des Geldverkehrs ist, konnte hierfür doch nur als Gleichnis dienen. Nun scheint es mir klar: das Fundament und der soziologische Träger jenes Verhältnisses zwischen den Objekten und dem Gelde ist das Verhältnis der wirtschaftenden Individuen zu der Zentralmacht, die das Geld ausgibt oder garantiert. Den Dienst, als absolute Zwischeninstanz über allen Einzelprodukten zu stehen, leistet das Geld erst, wenn die Prägung es über den bloßen Charakter als [163] Metallquantum – von naturaleren Geldarten nicht zu reden hinausgehoben hat. Jene Abstraktion des Tauschprozesses aus den einzelnen realen Tauschen und ihre Verkörperung in einem objektiven Sondergebilde kann erst eintreten, wenn der Tausch etwas anderes geworden ist als ein privater Vorgang zwischen zwei Individuen, der völlig in den individuellen Aktionen und Gegenaktionen dieser beschlossen liegt. Dies andere und weitere wird er, indem der Tauschwert, den die eine Partei gibt, seine Bedeutung für die zweite nicht unmittelbar, sondern als bloße Anweisung auf andere, definitive Werte enthält – eine Anweisung, deren Realisierung von der Gesamtheit des Wirtschaftskreises oder von der Regierung als der Vertretung desselben abhängt. Indem der Naturaltausch durch den Geldkauf ersetzt wird, tritt zwischen die beiden Parteien eine dritte Instanz: die soziale Gesamtheit, die für das Geld einen entsprechenden Realwert zur Verfügung stellt. Der Drehpunkt der Wechselwirkung jener beiden rückt damit weiter fort, er entfernt sich aus der unmittelbaren Verbindungslinie zwischen ihnen und verlegt sich in das Verhältnis, das jeder von ihnen als Geldinteressent zu dem Wirtschaftskreise hat, der das Geld akzeptiert und dies durch die Prägung seitens seiner höchsten Vertretung dokumentiert. Hierauf beruht der Kern von Wahrheit in der Theorie, daß alles Geld nur eine Anweisung auf die Gesellschaft ist; es erscheint gleichsam als ein Wechsel, in dem der Name des Bezogenen nicht ausgefüllt ist, oder auch: in dem die Prägung die Stelle des Akzeptes vertritt. Wenn man gegen die Lehre, die auch im Metallgelde einen Kredit finden will, eingewendet hat, daß der Kredit doch eine Verbindlichkeit begründe, die Metallgeldzahlung aber jede Verbindlichkeit löse, so ist übersehen, daß das, was für den einzelnen Lösung ist, für die Gesamtheit Bindung sein kann. Die Solvierung jeder privaten Verbindlichkeit durch Geld bedeutet eben, daß jetzt die Gesamtheit diese Verpflichtung gegen den Berechtigten übernimmt. Die Verbindlichkeit aus einer naturalen Leistung ist doch nur auf zweierlei Weise aus der Welt zu schaffen: entweder durch direkte Gegenleistung oder durch Anweisung auf eine solche. Letztere hat der Geldbesitzer in der Hand, und indem er sie an denjenigen, der vorgeleistet hat, übergibt, weist er ihn an einen vorläufig anonymen Produzenten, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zu dem betreffenden Wirtschaftskreise jene erforderte Leistung gegen, eben dieses Geld auf sich nimmt. Der Unterschied zwischen dem gedeckter und dem ungedeckten Papiergeld, den man in Beziehung zu dem Kreditcharakter des Geldes gesetzt hat, ist dabei ganz irrelevant. Man hat gemeint, nur uneinlösbares Papier sei wirklich Geld (papier-monnaie), wogegen einlösbares nur eine Anweisung auf [164] Geld sei (monnaie de papier); dagegen ist nun wieder geltend gemacht, daß dieser Unterschied keine Bedeutung für den Verkehr zwischen Käufer und Verkäufer habe, denn in diesem funktioniere auch das gedeckte Papier nicht als Zahlungsversprechen, sondern als definitive Zahlung, im Unterschiede etwa gegen den Scheck, der auch zwischen Käufer und Verkäufer nur ein Versprechen sei. Diese ganze Fragestellung dringt nicht zu dem soziologischen Sachverhalt hinunter; für diesen ist kein Zweifel, daß auch das Metallgeld ein Versprechen ist und daß es sich insofern von dem Scheck nur durch die Größe des Kreises unterscheidet, der dessen Einlösung verbürgt. Das gemeinsame Verhältnis von Geldbesitzer und Verkäufer zu einem sozialen Kreise – der Anspruch jenes an eine in diesem Kreise zu prästierende Leistung und das Vertrauen des anderen, daß dieser Anspruch honoriert werden wird – ist die soziologische Konstellation, in der sich der Geldverkehr im Gegensatz zum Naturalverkehr vollzieht.

Tatsächlich stecken in dem Metallgeld, das man als den absoluten Gegensatz des Kreditgeldes aufzufassen pflegt, zwei in eigentümlicher Weise verschlungene Kreditvoraussetzungen. Zunächst ist innerhalb des täglichen Verkehrs die Prüfung der Münze auf ihr Schrot und Korn nur ausnahmsweise tunlich. Ohne ein Vertrauen des Publikums zu der emittierenden Regierung oder, gegebenenfalls, zu denjenigen Personen, die den Realwert der Münze gegenüber ihrem Nominalwert festzustellen imstande sind, kann es auch zu einem Bargeldverkehr nicht kommen. Die Aufschrift der Malteser Münzen: non aes sed fides – bezeichnet ganz vortrefflich den integrierenden Zusatz des Glaubens, ohne den die noch so vollwichtige Münze ihre Funktion in den weitaus meisten Fällen nicht ausüben kann. Gerade die Mannigfaltigkeit, oft Entgegengesetztheit der Gründe für die Akzeptierung des Geldstücks zeigt, daß nicht deren objektive Beweiskraft das Wesentliche ist: in einigen Gegenden von Afrika muß der Maria Theresia-Taler weiß und rein sein, in anderen gerade fettig und schmutzig, damit man ihn als echt annehme! Es muß aber, zweitens, der Glaube vorhanden sein, daß das Geld, das man jetzt einnimmt, auch zu dem gleichen Wert wieder auszugeben ist. Auch hier ist das Unentbehrliche und Entscheidende: non aes sed fides – das Vertrauen zu dem Wirtschaftskreise, daß er uns das fortgegebene Wertquantum für den dafür erhaltenen Interimswert, die Münze, ohne Schaden wieder ersetzen werde. Ohne so nach zwei Seiten hin Kredit zu geben, kann niemand sich der Münze bedienen; dieser doppelte Glaube erst verleiht der schmutzigen, vielleicht kaum erkennbaren Münze das bestimmte Wertmaß. Wie ohne den Glauben der Menschen aneinander überhaupt die Gesellschaft auseinanderfallen würde, [165] – denn wie wenige Verhältnisse gründen sich wirklich nur auf das, was der eine beweisbar vom anderen weiß, wie wenige würden irgendeine Zeitlang dauern, wenn der Glaube nicht ebenso stark und oft stärker wäre, als verstandesmäßige Beweise und sogar als der Augenschein! – so würde ohne ihn der Geldverkehr zusammenbrechen. Dieser Glaube ist indes in einer bestimmten Weise nuanciert. Die Behauptung, jedes Geld sei eigentlich Kreditgeld, da sein Wert auf dem Glauben des Empfängers beruhe, für das Tauschinstrument eine gewisse Menge Waren zu bekommen – ist noch nicht vollständig aufklärend. Denn auf derartigem Glauben beruht nicht nur die Geldwirtschaft, sondern jede Wirtschaft überhaupt. Wenn der Landwirt nicht glaubte, daß das Feld in diesem Jahre so gut wie in früheren Früchte tragen wird, so würde er nicht säen; wenn der Händler nicht glaubte, daß das Publikum seine Waren begehren wird, so würde er sie nicht anschaffen usw. Diese Art des Glaubens ist nichts als ein abgeschwächtes induktives Wissen. Allein in dem Fall des Kredites, des Vertrauens auf jemanden, kommt zu diesem noch ein weiteres, schwer zu beschreibendes Moment hinzu, das am reinsten in dem religiösen Glauben verkörpert ist. Wenn man sagt, man glaube an Gott, so ist das nicht nur eine unvollkommene Stufe des Wissens von ihm, sondern ein überhaupt nicht in der Richtung des Wissens liegender Gemütszustand, einerseits freilich weniger, andrerseits aber mehr als dieses. Es ist eine sehr feine und tiefe Wendung der Sprache, daß man »an jemanden glaubt« – ohne daß weiter hinzugesetzt oder auch nur deutlich dabei gedacht würde, was man denn eigentlich von ihm glaube. Es ist eben das Gefühl, daß zwischen unserer Idee von einem Wesen und diesem Wesen selbst von vornherein ein Zusammenhang, eine Einheitlichkeit da sei, eine gewisse Konsistenz der Vorstellung von ihm, eine Sicherheit und Widerstandslosigkeit in der Hingabe des Ich an diese Vorstellung, die wohl auf angebbare Gründe hin entsteht, aber nicht aus ihnen besteht. Auch der wirtschaftliche Kredit enthält in vielen Fällen ein Element dieses übertheoretischen Glaubens, und nicht weniger tut dies jenes Vertrauen auf die Allgemeinheit, daß sie uns für die symbolischen Zeichen, für die wir die Produkte unserer Arbeit hingegeben haben, die konkreten Gegenwerte gewähren wird. Das ist, wie gesagt, in sehr hohem Maße ein einfacher Induktionsschluß, aber es enthält darüber hinaus noch einen Zusatz jenes sozial-psychologischen, dem religiösen verwandten »Glaubens«. Das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das der Geldbesitz gewährt, ist vielleicht die konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens auf die staatlich-gesellschaftliche Organisation und Ordnung. Die Subjektivität dieses Vorganges ist [166] gleichsam die höhere Potenz derjenigen, die den Metallwert überhaupt schafft: wenn dieser letztere schon vorausgesetzt ist, so wird er nun durch jenen zweiseitigen Glauben erst für den Geldverkehr praktisch. Es zeigt sich deshalb auch hier, daß die Entwicklung vom Substanzgeld zum Kreditgeld weniger radikal ist, als es scheint, weil das Kreditgeld als Evolution, Verselbständigung, Herauslösung der jenigen Kreditmomente zu deuten ist, die schon in dem Substanzgeld in entscheidender Weise vorhanden sind.

Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, in der das Verhältnis der Kontrahenten zu der Gesamtgruppe beschlossen ist, hat indes eine eigenartige Form. Abstrakt angesehen, ist sie nämlich gar nicht vorhanden, da der Geldbesitzer niemanden zwingen kann, ihm für Geld, selbst für das unzweifelhaft gute, etwas zu liefern: was sich denn auch in Fällen von Boykottierung durchaus fühlbar gemacht hat. Nur bei schon bestehenden Verpflichtungen kann der Berechtigte gezwungen werden, die Verpflichtung, welcher Art sie auch sei, durch Geld solvieren zu lassen – und auch das nicht einmal in allen Gesetzgebungen. Diese Möglichkeit, daß der im Geld liegende Anspruch doch auch nicht erfüllt würde, bestätigt den Charakter des Geldes als eines bloßen Kredites; denn das ist doch das Wesen des Kredites, daß der Wahrscheinlichkeitsbruch seiner Realisierung niemals gleich eins wird, so sehr er sich dem auch nähern mag. Tatsächlich ist der einzelne also frei, sein Produkt oder seinen sonstigen Besitz dem Geldbesitzer hinzugeben oder nicht während die Gesamtheit allerdings diesem gegenüber verpflichtet ist. Diese Verteilung von Freiheit und Gebundenheit, so paradox sie ist, dient doch nicht selten als Erkenntniskategorie. So haben z.B. Verteidiger der »statistischen Gesetze« behauptet, die Gesellschaft müßte zwar unter bestimmten Bedingungen naturgesetzlich eine bestimmte Anzahl von Morden, Diebstählen, unehelichen Geburten hervorbringen; der einzelne aber sei dadurch nicht zu einem bezüglichen Verhalten genötigt, er vielmehr sei frei, moralisch oder unmoralisch zu handeln; das statistische Gesetz bestimme nicht, daß gerade dieser Bestimmte derartige Taten zu vollbringen habe, sondern nur, daß das Ganze, dem er angehört, ein prädestiniertes Quantum derselben produzieren müsse. Oder wir hören auch: die Gesamtheit der Gesellschaft oder der Gattung habe ihre festgesetzte Rolle in dem göttlichen Weltplan, in der Entwicklung des Seins zu den letzten transszendenten Zwecken zu spielen; die einzelnen Träger derselben aber seien irrelevant, sie hätten die Freiheit, gleichsam die Gesamtleistung unter sich zu verteilen, und der einzelne könne sich dem auch entziehen, ohne daß jener Gesamtleistung Abbruch geschehe. Endlich ist hervorgehoben, [167] daß die Aktionen einer Gruppe immer durch den naturgesetzlichen Zug ihrer Interessen schwankungslos bestimmt seien, wie die Materienmassen durch die Gravitation; das Individuum dagegen sei von Theorien und Konflikten beirrt, es stehe zwischen vielen Möglichkeiten, unter denen es richtig oder irrtümlich wählen könne – im Unterschiede von den jeder Freiheit entbehrenden, weil von schwankungslosen Instinkten und Zweckmäßigkeiten geleiteten Kollektivhandlungen. Wieviel richtiges und falsches an diesen Vorstellungen ist, steht hier nicht zur Untersuchung, sondern nur darauf ist hinzuweisen, wie auch sonst dieses Schema eines Verhältnisses zwischen Allgemeinheit und Individuum gilt: jene als nezessitiert und dieses als frei vorzustellen, die Gebundenheit jener durch die Freiheit dieses zu mildern, die Freiheit dieses durch die Gebundenheit jener zu begrenzen und in eine Bestimmtheit des Gesamterfolges einzustellen. Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, die der Herrscher oder Vertreter der Gesamtheit durch die Prägung des Metallstücks oder den Aufdruck auf das Papier übernimmt, ist die Eskomptierung der ungeheuren Wahrscheinlichkeit, daß jeder einzelne, trotz seiner Freiheit das Geld zurückzuweisen, es nehmen wird.

Dies sind die Zusammenhänge, aus denen heraus bemerkt worden ist, daß, je größer ein Kreis ist, in dem ein Geld gelten soll, die Währung um so höherwertig sein muß. Innerhalb einer Gruppe von lokaler Begrenztheit mag ein minderwertiges Geld zirkulieren. So schon in der primitivsten Kultur: in Darfur zirkulieren innerhalb jedes Distrikts lokale Tauschmittel: Hacken, Tabak, Baumwollknäule usw.; die höhere Währung aber ist allen gemeinsam: der Bekleidungsstoff, das Rind, der Sklave. Es kommt vor, daß das Papiergeld eines Staates sogar provinziell beschränkt ist: in der Türkei wurden 1853 Noten ausgegeben, die nur in Konstantinopel gelten sollten. Ganz kleine und eng liierte Gesellschaften verständigen sich gelegentlich darüber, irgendein beliebiges Symbol – bis zur Spielmarke – als Geld anzusehen. Die Erweiterung der Handelsbeziehungen aber verlangt hochwertiges Geld, schon weil die notwendigen Versendungen desselben auf weite Strecken die Konzentration seines Wertes auf einen möglichst geringen Umfang zweckmäßig machen; so daß ebenso die historischen Weltreiche wie die Handelsstaaten mit weitausgreifenden Verkehrskreisen immer zu einem Geld von relativ hohem Substanzwert hingedrängt worden sind. Hierfür wird von gewissen Erscheinungen auch der Beweis aus dem Gegenteil geliefert. Der wesentliche Vorteil der mittelalterlichen Münzprivilegien bestand darin, daß der Münzherr in seinem Gebiete jederzeit neue Pfennige [168] schlagen und den Umtausch aller alten oder fremden, die zu Handelsgeschäften in dies Gebiet kamen, gegen die neuen erzwingen konnte; er profitierte also bei jeder Verschlechterung seiner Münze die Differenz zwischen ihr und der eingetauschten besseren. Allein wie sich zeigte, war dieser Nutzen dadurch bedingt, daß der Bezirk des Münzherrn ein relativ großer war. Für ganz kleine Bezirke lohnte sich das Münzprivileg nicht, weil der Markt für ihre Münzen ein zu beschränkter war, so daß bei dem unsäglichen Leichtsinn, mit dem man jedem Kloster und jeder kleinen Stadt ein Prägerecht verlieh, das Münzunheil in Deutschland noch viel ärger geworden wäre, wenn nicht der Nutzen der Münzverschlechterung an eine gewisse Größe des Bezirks gebunden wäre. Gerade also, weil der größere Kreis seiner sozialwirtschaftlichen Struktur nach ein gutes Geld verlangt, ist der Vorteil an einem aufgezwungenen schlechten eben nur in ihm nennenswert groß. Positiv erwies sich dies nun weiterhin, indem das Anwachsen des europäischen Verkehrs im 14. Jahrhundert die Einführung des Guldens als allgemeiner Einheit des Münzsystems und die Verdrängung der Silberwährung durch Goldwährung bewirkte. Schillinge und Pfennige waren nun Scheidemünze, die jedes Ländchen und Städtchen für seinen Verkehr und so wertlos, wie es wollte, prägen konnte. Deshalb betraf auch die Verleihung des Münzrechtes im Mittelalter zunächst nur silberne Münzen; das Recht, Goldmünzen zu schlagen, bedurfte besonderer Gestaltung, die wohl nur der Regierung eines größeren Territoriums gegeben wurde. Es ist für diese Korrelation äußerst bezeichnend, daß der letzte Rest der römischen Weltherrschaft, der dem Hofe von Byzanz bis zum 6. Jahrhundert – verblieb, das ausschließliche Recht war, Goldmünzen zu schlagen. Und endlich wird sie dadurch bestätigt, daß unter den Fällen der oben erwähnten lokalen Beschränktheit für die Papiergeldzirkulation innerhalb des ausgebenden Staates selbst, auch dieser vorkommt: in Frankreich gab es einmal Noten, welche überall, nur nicht in Hafenstädten, also nicht an den Punkten des weitausstrahlenden Verkehrs, gelten sollten. Ganz allgemein muß, sobald der Kreis sich erweitert, auch dem Fremden und den Bezugsländern die Währung annehmbar und verführerisch gemacht werden. Denn mit der Vergrößerung des Wirtschaftskreises geht ceteris paribus – Lockerung desselben Hand in Hand; die gegenseitige Einsicht in die Verhältnisse wird unvollkommner, das Vertrauen bedingter, die Vollstreckbarkeit der Ansprüche unsicherer. Unter solchen Umständen wird niemand Ware liefern, wenn das Geld, mit dem er bezahlt wird, nur in dem Kreise des Abnehmers mit Sicherheit verwendbar ist, während dies in anderen zweifelhaft ist. Er wird also ein [169] Geld verlangen, das an sich wertvoll ist, d.h. überall akzeptiert wird. Die Steigerung des Substanzwertes des Geldes bedeutet die Vergrößerung des Kreises von Subjekten, in dem seine allgemeine Anerkennung gesichert ist, während in einem engeren Kreise seine Weiterverwertbarkeit sich auf besondere soziale, rechtliche, personale Garantien und Verknüpfungen hin ergeben kann. Setzen wir voraus, daß die Weiterverwertbarkeit des Geldes das Motiv seiner Annahme ist, so bildet sein Substanzwert gleichsam das Pfand dafür, das auf Null sinken kann, wenn die Verwertbarkeit durch andere Mittel gesichert ist, und um so höher steigen muß, je größer das Risiko jener ist. Nun aber bewirkt die wachsende wirtschaftliche Kultur, daß der sehr vergrößerte, schließlich internationale Kreis in dieser Hinsicht die Züge erhält, die ursprünglich nur geschlossene Gruppen charakterisierten: die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen überwinden die räumliche Trennung immer gründlicher und wirken ebenso sicher, exakt und berechenbar in die Ferne, wie früher nur in die Nähe. In dem Maße, in dem das geschieht, kann jenes Pfand, d.h. der Eigenwert des Geldes, heruntergehen. Die selbst Anhängern des Bimetallismus geläufige Vorstellung, daß derselbe nur bei internationaler Einführung möglich sei, liegt innerhalb dieser Erwägung. Wie weit wir auch von der vollständigen Enge und Zuverlässigkeit des Zusammenhanges – sowohl innerhalb der einzelnen Nationen wie der Nationen untereinander – noch entfernt sein mögen, so geht doch die Entwicklung zweifellos auf ihn zu: die durch Gesetze, Usancen und Interessen immer wachsende Verbindung und Vereinheitlichung immer größerer Kreise ist die Grundlage dafür, daß der Substanzwert des Geldes immer geringer werden und immer vollständiger durch seinen Funktionswert ersetzt werden kann.

Bezeichnenderweise führt jene räumlich weite Erstreckung der Handelsbeziehungen, die, wie oben erwähnt, die Substanzwertigkeit des Tauschmittels steigerte, in der modernen Kultur gerade auf völlige Eliminierung eben derselben: auf die interlokale und internationale Ausgleichung durch Giro und durch Wechselversand. Auch innerhalb einzelner Interessenprovinzen des Geldes wird die Entwicklung von dieser Form beherrscht. Die Steuerleistung z.B. wird jetzt überwiegend nach dem Einkommen, aber nicht nach dem Besitz gefordert. In Preußen ist ein reicher Bankier, der die letzten Jahre mit Geschäftsverlust gearbeitet hat, steuerfrei bis auf die geringe und auch erst kürzlich eingeführte Vermögenssteuer. Also nicht einmal der Geldbesitz, sondern erst das Erträgnis seines Arbeitens, das Geld aus dem Gelde, entscheidet über die Pflichten, und, insoweit die Wahlrechte von der Steuerleistung abhängen, auch über die [170] Rechte gegenüber der Allgemeinheit. In welcher Richtung die allgemeine Entwicklung des Geldes damit festgelegt ist, zeigt ein Blick auf die Rolle des Geldkapitals im alten Rom. Wie dasselbe auf unproduktivem Wege erworben war – durch Kriege, Tribute, Wechselgeschäfte – so war es auch für den Borger nicht zur Produktion, sondern nur zur Konsumtion bestimmt. Dabei konnten auch die Zinsen ersichtlich nicht als die natürlichen Früchte des Kapitals gelten, und daher das unklare und unorganische Verhältnis zwischen beiden, das sich in den weit in das Christentum hineinerstreckten Zinsschwierigkeiten zeigte und erst durch Begriff und Tatsache des produktiven Kapitals sachlich reguliert und organisiert wurde. Jenes ist also der äußerste Gegensatz zu dem jetzigen Zustand, in dem das Kapital seine Bedeutung nicht mehr an dem, was es an und für sich ist, besitzt, sondern an dem, was es leistet: seine Entwicklung hat es aus einem starren, der Produktion innerlich fremden Elemente in lebendige Funktion in und an derselben übergeführt. – Sehen wir nun noch einmal auf die Garantierung des Geldes als seinen Lebensnerv zurück, so verliert sie natürlich in dem Maße an Bündigkeit, in dem das objektive, die Gesamtheit vertretende Gebilde nur beschränkte Abteilungen derselben oder ihre Interessen nur unvollständig repräsentiert. So ist z.B. auch eine Privatbank ein relativ objektives überpersönliches Wesen, das sich zwischen den Verkehr individueller Interessenten schiebt. Dieser soziologische Charakter ihrer befähigt sie allerdings zur Ausgabe von Geld, allein sobald nicht staatliche Aufsicht die Garantie auf das wirklich allgemeine Zentralgebilde überträgt, wird die bloße Partialität des in ihr objektivierten Bezirkes sich in der Unvollkommenheit des »Geld«charakters ihrer Noten zeigen. Die Mißstände der nordamerikanischen Papiergeldwirtschaft entstammten zum Teil der Meinung, die Münze sei zwar Staatssache, die Herstellung von Papiergeld aber komme den Privatbanken zu und der Staat habe sich nicht hineinzumischen. Man übersah dabei die bloße Relativität des Unterschiedes zwischen Metall- und Papiergeld, daß beide, insofern sie eben Geld sind, nur in einer Substanziierung der Tauschfunktion durch gemeinsames Verhältnis der Interessenten zu einem objektiven Organe bestehen, und daß das Geld seine Funktion nur insoweit üben, d.h. nur insoweit die unmittelbaren Werte vertreten kann, als jenes emittierende Organ wirklich den Interessenkreis in sich vertritt oder zum Ausdruck bringt. Deshalb suchen die Münzen lokaler Machthaber auch manchmal wenigstens den Anschein der Zugehörigkeit zu einem umfassenden Gebilde zu gewinnen. Noch Jahrhunderte nach dem Tode Philipps und Alexanders wurden an den verschiedensten Plätzen Münzen mit [171] ihren Namen und Stempeln geprägt – formell königliche, materiell städtische Münzen. Die aufwärts gehende Entwicklung strebt in Wirklichkeit auf eine Vergrößerung – und, was hier unmittelbar dazu gehört, auf eine Zentralisierung – der Organe und Potenzen, die die Geldwerte garantieren. Es ist für diese Richtung sehr bezeichnend, daß die Schatzanweisungen, die die Staaten vor dem 18. Jahrhundert ausgaben, gewöhnlich auf einzelne Einkünfte der Krone basiert und durch sie gewährleistet waren. Erst die englischen exchequer bills des 18. Jahrhunderts waren Anweisungen auf sämtliche Staatseinnahmen; sie hatten also keine von besonderen Umständen abhängige und besonders zu untersuchende Bonität, sondern diese bestand nur noch in dem allgemeinen Zutrauen in die Zahlungsfähigkeit des Staates überhaupt. Hierin zeigt sich die große zentralisierende Tendenz der Neuzeit, die ihrer gleichzeitig individualisierenden in keiner Weise widerspricht: beides sind vielmehr die Seiten eines Prozesses, einer schärferen Differenzierung, einer neuen Zusammenfassung – der der Gesellschaft und der dem eignen Subjekt zugewendeten Seiten der Persönlichkeit. Die Entwicklung läutert aus dem Wesen des Geldes alle individualistisch vereinzelnden Elemente heraus und macht die zentralisierten Kräfte des weitesten sozialen Kreises zu seinen Trägern. Die abstrakte Vermögensform des Geldes trägt diese Entwicklung ebenso dem Personalkredit wie dem Staatskredit ein. Die Fürsten als Personen besaßen noch im 15. und anfangs des 16. Jahrhunderts im ganzen wenig Kredit; nicht nach ihrer eignen Kreditwürdigkeit, sondern nach dem Wert der Bürgschaften und Pfänder wurde gefragt. Der Personalkredit beruht darauf, daß man annimmt: wie auch die Objekte wechseln mögen, die den Besitz des Schuldners bilden, die Wertsumme seines Besitzes wird immer für die bestimmte Schuld gut sein. Erst wenn das Vermögen jemandes als Wert überhaupt, d.h. in Geld taxiert ist, kann er als Person einen dauernden Kredit haben; sonst muß dieser von dem wechselnden Objektbesitze abhängen. Es erscheint als ein Übergang von dieser letzteren Stufe zu der heutigen, daß noch im 18. Jahrhundert die meisten Schulden auf bestimmte Summen bestimmter Münzsorten lauteten. Es war also der Begriff des abstrakten, von jeder Spezialform gelösten Wertes noch nicht völlig wirksam geworden – jenes Wertes, hinter dem nicht mehr eine sachliche Bestimmtheit, sondern nur noch der Staat oder die Einzelpersönlichkeit als Garanten stehen.

Die Hauptsache aber ist, daß die Bedeutung des Metalls für das Geldwesen immer mehr hinter die Sicherung seines funktionellen Wertes durch die Organisation des Gemeinwesens zurücktritt. Denn [172] das Metall ist eben ursprünglich immer Privatbesitz und darum können die öffentlichen Interessen und Kräfte nie absolut Herr darüber werden. Man kann sagen, daß das Geld immer mehr eine öffentliche Einrichtung in immer strengerem Sinne des Wortes wird: es besteht mehr und mehr aus dem, was die öffentliche Macht, die öffentlichen Institutionen, die von der Gesamtheit getragenen Verkehrsarten und Garantien daraus machen und wozu sie es legitimieren. Es ist deshalb bezeichnend, daß in früheren Epochen das Geld gleichsam noch nicht allein, auf seiner abstrakten Funktion, stehen kann; das Geldgeschäft lehnt sich entweder an spezifische Betriebe oder an die technische Herstellung der Münze oder an den Handel mit Edelmetallen an. So waren es in Wien anfangs des 13. Jahrhunderts die flämischen Tuchfärber, die regelmäßige Wechselgeschäfte besorgten, wie in England und teilweise auch in Deutschland die Goldschmiede. Der Münzwechsel, der im Mittelalter überhaupt erst den Geldverkehr trug (da in jedem Orte prinzipiell nur in seiner Lokalmünze gezahlt werden durfte), war ursprünglich das Privileg der Münze selbst, der »Münzer Hausgenossen«. Erst als später die Städte die Münze erwarben, wurde das Wechselgeschäft und der Edelmetallhandel von der Münze getrennt. Die Funktion der Münze ist also zunächst, gleichsam durch Personalunion, an ihren Stoff gebunden; sobald die öffentliche Gewalt für sie garantiert, wird sie von den sonst mit ihr liierten Beziehungen unabhängig, der Wechsel und der Handel mit ihrem Material steht jedem frei, und zwar gerade in dem Maße, in dem ihre Funktion als Geld überindividuell gesicherter wird. Die wachsende Entpersonalisierung des Geldes, sein immer engeres Verhältnis zu dem zentralisierten größten Sozialkreise steht in genauer und wirksamer Beziehung zu der Akzentuierung seiner Funktionen in ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Metallwert. Es ist die Sicherheit des Geldes, auf der sein Wert ruht und als deren Träger die politische Zentralgewalt allmählich durch die unmittelbare Bedeutung des Metalls, sie verdrängend, hindurchwächst. Hier liegt eine Analogie zu einer wenig beachteten Nuance des Wertempfindens vor. Sobald der Wert eines Objektes darauf beruht, daß es uns ein anderes zugängig macht, so ist sein Wert durch die beiden Koeffizienten bestimmt: den inhaltlichen Wert dessen, was es uns vermittelt, und die Sicherheit, mit der ihm diese Vermittlung gelingt; die Erniedrigung des einen Koeffizienten kann, bis zu einer gewissen Grenze, den Gesamtwert ungeändert lassen, wenn ihr eine Erhöhung des ändern entspricht. So ist die Bedeutung einer Erkenntnis für uns gleich dem Produkt aus ihrer Sicherheit und der Wichtigkeit ihres Inhaltes. In den Naturwissenschaften pflegt der [173] erstere, in den Geisteswissenschaften der letztere Koeffizient zu überwiegen, wodurch dann prinzipiell eine Gleichheit ihres Gesamtwertes möglich ist; nur wenn man, wie Aristoteles, an der Sicherheit des Wissens nicht zweifelt, kann man seinen Wert ausschließlich von dem seines Objekts abhängen lassen. So ist der Wert eines Lotterieloses ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daß es gezogen wird, und der Höhe des eventuellen Gewinnes, so der Wert jedes beliebigen Handelns gleich dem Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, daß es seinen Zweck erreicht und der Wichtigkeit dieses Zweckes, so der Wert eines Rentenpapiers zusammengesetzt aus der Sicherheit für das Kapital und der Höhe der Verzinsung. Nun verhält sich das Geld zwar nicht genau ebenso, denn seiner steigenden Sicherheit entspricht keine Wertminderung der Objekte, deren Erlangung es sichert; aber die Analogie gilt doch so weit, daß mit der steigenden Sicherung seiner Verwertbarkeit sein anderer Wertkoeffizient, der innere Metallwert, unbestimmt weit sinken kann, ohne seinen Gesamtwert zu alterieren. Andrerseits ergibt sich unmittelbar als Ursache wie als Wirkung der soziologischen Stellung des Geldes, daß es die Beziehungen zwischen der Zentralgewalt der Gruppe und ihren einzelnen Elementen zahlreicher, stärker und enger machen muß, weil eben jetzt die Beziehungen dieser Elemente untereinander gleichsam durch jenes hindurchgeleitet werden. So haben schon die Karolinger ein deutliches Bestreben, den Natural- oder Viehtausch durch Geldwirtschaft zu verdrängen. Sie verordnen oft, die Münzen dürften nicht zurückgewiesen werden und bestrafen ihre Nichtannahme hart. Das Münzrecht war ausschließlich Königsrecht, und so bedeutete das Durchsetzen des Verkehrs in Münze die Erstreckung der königlichen Macht dahin, wo früher rein privater, persönlicher Verkehrsmodus bestand. Es ist ganz in dem gleichen Sinne, wenn die römischen Gold- und Silbermünzen seit Augustus ausschließlich im Namen und Auftrag des Kaisers geprägt wurden, wogegen das Recht, Scheidemünze auszugeben, einerseits dem Senat, andrerseits den Kommunalverbänden verblieb; und es verallgemeinert diesen Zusammenhang nur, daß große Fürsten so oft auch gewaltige Münzsysteme geschaffen haben: Darius I., Alexander d. Gr., Augustus, Diokletian, bis zu Napoleon I. Die ganze Technik, durch die in naturalwirtschaftlichen Zeiten eine große soziale Machtbestehen kann, weist sie darauf hin, sich selbst zu genügen, sich wie es z.B. von den Großgrundherrschaften seit den Merovingern gilt – zum Staat im Staate zu machen; wogegen entsprechende Machtgebilde in der Geldwirtschaft gerade im Anschluß an die Staatsorganisation erwachsen sind und sich erhalten haben. Der moderne [174] zentralistische Staat wurde deshalb auch an dem ungeheuren Aufschwung der Geldwirtschaft groß, den die beginnende Neuzeit aus der Erschließung der amerikanischen Metallvorräte gewann. Die Selbstgenügsamkeit feudaler Verhältnisse wurde zerstört, indem sich in jede Transaktion die auf die Zentralgewalt hinweisende, die Beziehungen der Kontrahenten über sich hinausweisende Münze schob: so daß man diese Macht des Geldes, die einzelnen mehr an die Krone zu drängen, enger an sie zu binden, als den tieferen Sinn des Merkantilsystems angesprochen hat. Andrerseits gilt die Tatsache, daß die deutschen Kaiser sich dieses Zentralisierungsmittel von den Territorialherren entreißen ließen, als einer der wesentlichen Gründe für die Zersplitterung des Reiches – während die französischen und englischen Könige des 13. und 14. Jahrhunderts die Einheit ihrer Reiche mit Hilfe der geldwirtschaftlichen Bewegung gründeten. Als das russische Reich im ganzen schon als ein unteilbares galt, stattete Iwan III. doch seine jüngeren Söhne noch mit Landesteilen aus, in denen sie souverän schalten konnten, und für die er der Zentralgewalt außer der höheren Gerichtsbarkeit nur das Münzrecht vorbehielt. Ja, die lockere Sphäre, die, aus den Handelsbeziehungen eines Landes bestehend, es jenseits seiner politischen Grenzen umgibt, gewinnt außerordentlich an Ausdehnung und, Konsistenz, sobald das Landesgeld durch seine Solidität allenthalben gültig wird und so alle Punkte dieses Kreises mit dem Ursprungsland verbindet und immer wieder auf dasselbe zurückweist. So verlieh der Kurs des englischen Sovereigns in Portugal und Brasilien dem englischen Handel ein großes Prestige und hielt die in diese Länder ausstrahlenden Handelsbeziehungen einheitlich zusammen. In Deutschland war der Gang der, daß bald nach der Karolingerzeit der König einzelnen Personen und Stiften das Prägerecht verlieh, wobei er indes noch selbst Schrot, Korn und Form der Münzen bestimmte. Aber schon vor dem 12. Jahrhundert dürfen die so Beliehenen Münzfuß und Stempel beliebig festsetzen und also so viel Profit, wie sie wollen, dabei herausschlagen. So geht die Lösung des Münzwesens von der Zentralgewalt und die Verschlechterung der Münze Hand in Hand: d.h. das Geld ist um so weniger wirklich Geld, je weniger der größte soziologische Kreis bzw. dessen Zentralorgan es garantiert. Die Rückläufigkeit dieses Zusammenhanges bestätigt ihn nur: die Verelendung des Geldes wirkte ihrerseits auf die Auflösung und den Auseinanderfall des größten Kreises, auf dessen Einheit es angewiesen gewesen wäre. Ja sogar eine rein formale und symbolische Beziehung mag in diesen Erscheinungen irgendwie mitgewirkt haben. Zu den wesentlichen Charakterzügen von Gold und Silber gehört [175] ihre relative Unzerstörbarkeit, in deren Konsequenz ihr Gesamtquantum lange Perioden hindurch fast stetig bleibt, weil jedes durch Schürfung hinzukommende Quantum im Verhältnis zu dem bereits vorhandenen nur minimal ist. Während die Mehrzahl aller anderen Objekte verbraucht wird, in ewigem Flusse verschwindet und sich wieder ersetzt, bleibt das Geld in seiner fast unbegrenzten Dauerhaftigkeit von diesem Wechsel der individuellen Dinge unberührt. Damit aber erhebt es sich über diese, wie die objektive Gruppeneinheit über die Fluktuation der Persönlichkeiten. Denn das eben Ist ja die charakteristische Lebensform jener konkret gewordenen Abstraktionen der Gruppenfunktionen, daß sie jenseits der einzelnen Verwirklichungen dieser stehen, ruhende Gebilde in der Flucht der individuellen vorüberfließenden Erscheinungen, die gleichsam in sie aufgenommen, von ihnen geformt und wieder entlassen werden: das ist die Unsterblichkeit des Königs, die jenseits seiner zufälligen Persönlichkeit, seiner einzelnen Maßregeln, der wechselnden Schicksale seiner Gruppe steht und für die die relative Ewigkeit der Münze, die sein Bild trägt, sowohl als Symbol wie als Beweis wirkt. Die Geschäfte mit Fürsten waren es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst das reine Geldgeschäft großen Stiles schufen; der Verkehr mit dem Fürsten, den es bewirkte, ließ den bis dahin damit verbundenen Warenhandel als etwas Plebejisches erscheinen, über das sich der Geldkaufmann in einer Analogie zu königlicher Würde erhob. So mag auch der Haß der Sozialisten gegen das Geldwesen nicht nur der diesem zugeschriebenen privatwirtschaftlichen Übermacht des Kapitalisten über den Arbeiter gelten, sondern auch ihren antimonarchischen Instinkten entspringen; denn so wenig die Objektivierung der Gruppengesamtheit, deren das Geld bedarf, in monarchischer Form geschehen muß, so hat doch in der neueren Geschichte gerade diese Form aufs kräftigste der Einschiebung der Zentralgewalt in die wirtschaftlichen Funktionen der Gruppe gedient. Auch die festen Residenzen der Fürsten, die die Zentralisation so sehr fördern, sind erst bei Geldsteuern möglich; den nicht transportabeln Naturalsteuern entspricht das Herumziehen des Hofes, der sie überall in natura verzehrt. Es ist durchaus in diesem Sinn, wenn moderne Steuerpolitik vielfach dahin strebt, den Kommunen die Realsteuern zu überlassen, den Staat aber auf Einkommensteuer zu stellen. Indem die Steuerforderung der Zentralgewalt sich auf das reine Geldeinkommen der einzelnen richtet, erfaßt sie gerade dasjenige Besitzobjekt, zu dem sie von vornherein das strikteste Verhältnis hat. Die Ausbildung des Beamtenwesens mit seiner engen Beziehung zum Geldwesen ist insofern nur ein Symptom dieser zentralistischen Entwicklung; [176] das Beamtentum des Lehenswesens ist ein dezentralisiertes, der räumlich ferne Landbesitz des Belehnten führt sein Interesse von der Zentralstelle ab, während die immer von neuem erfolgende Geldentlohnung ihn zu dieser hinführt, seine Abhängigkeit von dieser immer von neuem eindringlich macht. Deshalb war die Pforte bei ihrer ständigen Münzverschlechterung doch anfangs des 19. Jahrhunderts einmal genötigt, für ihre Beamten und Offiziere doppelt schwere Münzen schlagen zu lassen, weil es gerade den eigentlichen Staatsfunktionären gegenüber eines wirklich gültigen Geldes bedurfte. Darum war die ungeheure Vermehrung und Verfeinerung des Beamtentums erst bei der Geldwirtschaft möglich; sie ist aber nichts als eines der Symptome der Beziehung, die zwischen dem Geld und der Objektivierung des Gruppenzusammenhanges zu einem besonderen zentralen Gebilde besteht. Bei den Griechen wurde diese ursprünglich nicht von einer staatlichen, sondern von der religiösen Einheit getragen. Alles hellenische Geld war einmal sakral, ebenso von der Priesterschaft ausgegangen, wie die ändern allgemein gültigen Maßbegriffe: Gewichte, Umfangsmaße, Zeiteinteilungen. Und diese Priesterschaft repräsentierte zugleich die Verbandseinheit der Landschaften; die ältesten Verbände ruhten durchaus auf religiöser Grundlage, die manchmal für relativ weite Gebiete die einzige blieb. Die Heiligtümer hatten eine überpartikularistische, zentralisierende Bedeutung, und diese war es, die das Geld, das Symbol der gemeinsamen Gottheit auf sich tragend, zum Ausdruck brachte. Die religiöse soziale Einheit, die im Tempel kristallisiert war, wurde in dem Gelde, das er ausgab, gleichsam wieder flüssig und gab diesem ein Fundament und eine Funktion, weit über die Metallbedeutung des individuellen Stückes hinaus. Von diesen soziologischen Konstellationen getragen und sie tragend, realisiert sich die steigende Bedeutung der Geldfunktionen auf Kosten der Geldsubstanz. Einige Beispiele und Überlegungen mögen diesen Prozeß verdeutlichen, und zwar knüpfe ich dieselben, unter den vielen, seinen Inhalt bildenden Diensten des Geldes, an die folgenden: an die Erleichterung des Verkehrs, an die Beständigkeit des Wertmaßstabes, an die Mobilisierung der Werte und die Beschleunigung ihrer Zirkulation, an ihre Kondensierung in möglichst kompendiöse Form.

Einleitenderweise möchte ich hervorheben, daß gerade die oben erwähnten, von den Fürsten begangenen Münzverschlechterungen durch die ungeheure Übervorteilung der Massen den Funktionswert des Geldes seinem Metallwert gegenüber aufs schärfste beleuchten. Was die Untertanen bewog, die verschlechterte Münze zu akzeptieren und für sie die an Metall bessere hinzugeben, war doch eben, daß [177] jene den Verkehrszweck des Geldes erfüllte. Was die Münzherren herausschlugen, war das ungebührlich gesteigerte Äquivalent für den Funktionswert des Geldes, um dessentwillen die Untertanen in den Münztausch, d.h. in die Aufopferung seines Metallwertes willigen mußten. Allein dies ist nur das ganz allgemeine Phänomen, als dessen spezifische Zuspitzung es erscheint, daß das Geld, das durch seine Form dem Verkehr im allgemeinen besser dient, als ein anderes, nicht nur bei gleichem Substanzgehalt diesem überlegen ist; sondern es kann dadurch seine eigene Substanzbedeutung so weit wie in dem folgenden Fall überflügeln. Als im Jahre 1621 durch die niederdeutsche Münzverschlechterung der Wert des Reichstalers auf 48 bis 54 Schillinge gestiegen war, erließen die Obrigkeiten von Holstein, Pommern, Lübeck, Hamburg und anderen, ein gemeinsames Münzedikt, wonach der Taler von einem gewissen Zeitpunkt an nur 40 Schillinge gelten sollte. Obgleich dies allgemein als richtig und heilsam beurteilt und akzeptiert wurde, galt der Taler doch weiterhin wegen der leichteren Verteilung und Rechnung noch lange 48 Schillinge. Es ist auf einer viel höheren und komplizierten Stufe dasselbe, wenn die Börsen jetzt bei Rentenpapieren, die in größeren und kleineren Abschnitten ausgegeben sind, die letzteren etwas höher zu notieren pflegen als die ersteren, weil jene mehr gesucht sind und dem kleineren Verkehr besser dienen – obgleich der Wert pro rata der genau gleiche ist. Ja im Jahre 1749 erklärte ein Komitee für Münzzwecke in den amerikanischen Kolonien: in Ländern mit unausgebildeter Wirtschaft, die mehr konsumieren als produzieren, müsse das Geld immer schlechter sein als das ihrer reicheren Nachbarn, weil es sonst unvermeidlich diesen zuflösse. Dieser Fall ist also die Steigerung und Aufgipfelung der vorhererwähnten Tatsache, daß die Eignung einer bestimmten Geldform zu Berechnungen und Ausgleichungen dieser Form einen Wert verschafft, der absichtlich weit über den sachlich gültigen gehoben wird. Die funktionelle Zweckmäßigkeit des Geldes ist hier über seinen Substanzwert bis zur Umkehrung seiner Bedeutung hinausgewachsen. Hierhin gehören, als Beweise für die Überwucherung des Metallwertes durch den Funktionswert, alle die Fälle, in denen das völlig minderwertige Kleingeld dem Edelmetall gegenüber einen manchmal unglaublichen Preis behauptet hat. Das kommt z.B. in Goldgräberdistrikten vor, wo die gewonnenen Reichtümer einen lebhaften Verkehr erzeugen, ohne daß man in ihnen doch das Tauschmittel für die kleineren Bedürfnisse des Tages hätte. So war unter den Goldgräbern in Brasilien am Ende des 17. Jahrhunderts eine Not um kleine Münze ausgebrochen, die der König von Portugal benutzte, um Silbergeld gegen ein ungeheures [178] Agio in Gold hinüberzuschaffen. Später ist es auch in Kalifornien wie in Australien vorgekommen, daß die Goldgräber, um nur Kleingeld zu haben, seinen 2- bis 16fachen Metallwert dafür in Gold bezahlt haben. Die ärgsten Erscheinungen dieser Art bietet der bis vor kurzem herrschende – neuerdings, wie man sagt, in der Reform begriffene – Münzzustand in der Türkei. Dort existiert weder Nickel – noch Kupfergeld, sondern als Kleingeld nur jammervolle Silberlegierungen: Altiliks, Beschliks und Metalliques, die alle in einer für den Verkehr völlig unzureichenden Masse vorhanden sind. Die Folge davon ist, daß diese Münzen, deren nominellen Wert die Regierung selbst 1880 um ungefähr die Hälfte herabsetzte, diesen fast unverändert behalten haben und gegen Gold gar kein nennenswertes Disagio machen, ja die Metalliques, die für das schlechteste in der ganzen Welt kursierende Geldzeichen gehalten werden, stehen zeitweise über pari gegen Gold ! Gerade dies ist äußerst bezeichnend: die geringste Münze ist eben für den Verkehr die wichtigste und wird ausschließlich nach dieser Wichtigkeit gewertet – weshalb denn auch allenthalben die kleinen Münzen die ersten Objekte der Münzverschlechterung sind. Der Preis der Metalliques enthält das Paradoxon, daß ein Geld um so wertvoller sein kann, je wertloser es ist – weil gerade seine substanzielle Wertlosigkeit es zu gewissen funktionellen Diensten geschickt macht, die seinen Wert nun fast unbegrenzt heben können.

Das gesteigerte Bewußtsein und die gesteigerte Tatsächlichkeit der Funktionsbedeutung des Geldes ermöglichte auch den Einwand gegen die Silberwährung: was man vom Geld fordere, sei zuerst und unbedingt Bequemlichkeit und Handlichkeit. Man könne zwar ein Nahrungsmittel beibehalten, wenn sein Gebrauch auch viele Unbequemlichkeiten mit sich bringt, sobald es nur nahrhaft und wohlschmeckend sei, auch ein unbequemes Kleidungsstück, weil es schön oder warm ist. Aber ein unbequemes Geld sei wie ein ungenießbares Nahrungsmittel oder ein untragbares Kleidungsstück. Denn der oberste Zweck des Geldes sei die Bequemlichkeit des Güteraustausches. Der Unterschied gegen die hier verglichenen Güter beruht eben darauf, daß das Geld weniger Nebenqualitäten neben seiner Hauptqualität hat und haben darf, als andere Güter. Da es das absolute Abstraktum über allen konkreten Gütern ist, so wird es von jeder Qualität, die außerhalb seiner reinen Bestimmung liegt, ungebührlich belastet und abgelenkt.

Daß die Steigerung oder Herabsetzung einer Funktion des Geldes seinen Wert unabhängig von seinem Substanzwert erhöhen oder erniedrigen könne – gilt selbst für denjenigen Schätzungsgrund [179] seiner, der besonders eng mit seinem Substanzwert verbunden scheint: für seine Wertbeständigkeit. Die römischen Kaiser besaßen, wie schon erwähnt, das ausschließliche Recht der Gold- und Silberprägung, während die Kupfermünzen, d.h. das Kreditgeld, vom Senat und im Orient von den Städten geschlagen wurden. Das bildete von vornherein eine gewisse Garantie dagegen, daß der Kaiser das Land mit substanzwertloser Scheidemünze überschwemmte. Der Erfolg war schließlich nur der, daß die Kaiser sich an die ihnen freistehende Verschlechterung des Silbers hielten, von der dann auch der bodenlose Verfall des römischen Münzwesens ausging. Daraus entstand nun eine merkwürdige Umkehrung der Wertverhältnisse: das Silber sank durch seine Verschlechterung zur Kreditmünze herab, während das Kupfer dadurch, daß es sich ziemlich unverändert behauptet hatte, wieder in höherem Maße den Charakter der Wertmünze erhielt. Die Eigenschaft der Wertbeständigkeit also ist hier imstande, durch ihre relative Höhe oder Erniedrigung die bisherigen Charaktere der Metallsubstanzen als Geldwertträger völlig umzukehren. In diesem Sinne des Hinausragens des Stabilitätswertes über den Substanzwert hat man jetzt hervorgehoben, daß der Übergang eines Notenlandes zur Goldwährung keineswegs die Wiederaufnahme der Barzahlungen mit sich bringen müßte. In einem Lande wie Österreich etwa, dessen Noten kein Disagio gegen Silber mehr machen, wäre schon durch den Übergang zur bloßen Goldrechnung der entscheidende Vorteil der Goldwährung, nämlich die Stabilisierung des Geldwertes, gewonnen: die Funktion der Substanz, auf die es ankommt, wäre so ganz ohne die Substanz selbst erreichbar. Und neuerdings hat das Interesse an der Beständigkeit des Geldwertes sogar zu der Forderung geführt, die metallische Deckung der Noten überhaupt abzuschaffen. Denn sobald diese bestände, wäre für die verschiedenen Länder eine Gemeinsamkeit des Systems geschaffen, die den inneren Verkehr eines jeden all den Schwankungen in den politischen und wirtschaftlichen Schicksalen der anderen unterwirft! Ein ungedecktes Papiergeld biete durch seine Exportunfähigkeit nicht nur den Vorteil, überhaupt im Lande zu bleiben und für alle Unternehmungen daselbst bereit zu sein, sondern vor allem eine vollständige Wertbeständigkeit. So angreifbar diese Theorie ist, so zeigt ihre bloße Möglichkeit doch jene psychologische Lösung des Geldbegriffes von dem Substanzbegriff und seine wachsende Erfüllung durch die Vorstellung seiner funktionellen Dienste. Übrigens unterliegen alle derartigen Funktionen des Geldes ersichtlich den Bedingungen, unter denen seine allgemeine Auflösung in Funktionen steht: daß sie in jedem gegebenen Augenblick nur unvollkommen gelten und ihre Begriffe ein im Unendlichen liegendes Entwicklungsziel bezeichnen. Schon dadurch, [180] daß die Werte, die es messen und deren gegenseitiges Verhältnis es ausdrücken soll, etwas bloß Psychologisches sind, wird ihm die Beständigkeit der Raum- oder Gewichtsmaße versagt.

Indes rechnet die Praxis mit dieser Wertbeständigkeit als mit einer Tatsache angesichts der Frage, wie man sich bei der Wiedererstattung eines Gelddarlehns zu verhalten habe, wenn inzwischen der Wert des Geldes sich geändert hat. Geschieht das etwa durch Sinken des Geldwertes überhaupt, so daß die gleiche Summe bei der Rückgabe weniger wert ist, so wird dies von den Gesetzen nicht in Betracht gezogen; die identische Geldsumme gilt ohne weiteres als der identische Wert. Wo die Münze sich selbst verschlechtert, sei es durch Legierung, sei es durch Änderung des Münzfußes, entscheiden die Gesetze bald so, daß die, nach dem neuen Münzfuß, entsprechende Summe, bald das gleiche Quantum Feingehalt, bald rein mechanisch der Nennwert der Schuld zu erstatten sei. Im ganzen also überwiegt die Vorstellung, daß das Geld seinen Wert unverändert behalte. Nun ist diese Stabilität zwar auch an Naturalgegenständen, bei deren Ausleihe sie niemand bezweifelt, eine Fiktion: ein Zentner Kartoffeln, den man sich im Frühling leiht, um ihn später in natura wiederzugeben, kann dann viel mehr oder viel weniger wert sein. Allein hier kann man sich auf die unmittelbare Bedeutung des Gegenstandes zurückziehen: während der Tauschwert der Kartoffeln schwanken mag, bleibt ihr Sättigungs- und Nährwert genau der gleiche. Da nun aber das Geld keinen derartigen, sondern ausschließlich Tauschwert hat, so ist die Voraussetzung seiner Stabilität eine um so auffallendere. Die Entwicklung wird zweckmäßigerweise dahin streben, diese praktisch notwendige Fiktion mehr und mehr zu bewahrheiten. Schon vom Edelmetallgeld hat man hervorgehoben, daß seine Beziehung zum Schmuck seiner Wertstabilität diene: denn da das Schmuckbedürfnis sehr elastisch sei, so nehme es bei Vermehrung des Metallvorrates sogleich ein größeres Quantum desselben auf und verhindere dadurch einen zu starken Druck auf seinen Wert, während bei steigendem Bedürfnis nach Geld die Schmuckvorräte als Reservoir dienen, aus dem das erforderliche Quantum zu entnehmen und die Preiserhöhung zu begrenzen sei. In der Fortsetzung dieser Tendenz aber scheint das Ziel zu liegen, die Geldsubstanz überhaupt auszuschalten. Denn selbst eine so geeignete wie das Edelmetall kann nicht ganz den Schwankungen entzogen werden, die aus seinen eigenen Bedingungen des Bedarfs, der Produktion, der Verarbeitung usw. hervorgehen und die bis zu einem gewissen Grade mit seinem Dienste als Tauschmittel und Ausdruck der relativen Waren werte nichts zu tun haben. Die vollständige Stabilität des Geldes wäre [181] erst erreichbar, wenn es überhaupt nichts mehr für sich wäre, sondern nur der reine Ausdruck des Wertverhältnisses zwischen den konkreten Gütern. Damit wäre es in eine Ruhelage gekommen, die sich durch die Schwankungen der Güter so wenig verändert, wie der Meterstab durch die Verschiedenheit der realen Größen, die er mißt. Dann wäre auch der Wert, der ihm durch das Leisten, dieses Dienstes zukäme, auf ein Maximum von Stabilität gelangt, weil so das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sich viel genauer regulieren ließe, als bei seiner Abhängigkeit von einer Substanz, deren Quantum unserem Willen nur unvollkommen unterliegt. Damit ist freilich nicht geleugnet, daß unter bestimmten historischen und psychologischen Umständen die Bindung an das Metall dem Gelde noch eine größere Stabilität garantieren könnte, als die Lösung von ihm – wie ich es oben selbst behauptet habe. So mag – um an die dort gegebenen Analogien anzuknüpfen – die tiefste und sublimste Liebe diejenige sein, die nur zwischen Seelen, unter völliger Ausschaltung jedes Erdenrestes, besteht – allein solange diese nicht erreichbar ist, wird sich ein Maximum von Liebesempfindung gerade da zeigen, wo die rein seelische Beziehung einen Zusatz und Vermittlung durch sinnliche Nähe und Anziehung erhält; so mag das Paradies das Wunder versprechen seiner Seligkeit darin erfüllen, daß das Bewußtsein derselben keines Sichabhebens von entgegengesetzten Empfindungen bedarf – so lange wir aber Menschen sind, können allein sonst vorhandene, leidvolle, indifferente oder herabgesetzte Gefühlszustände uns ein positives Glück, als Unterschiedsempfindung, eintragen. Wenn also auch in einer idealen Sozialverfassung ein ganz substanzloses Geld das absolut zweckmäßige Tauschmittel ist, so kann doch bis dahin seine relativ höchste Zweckmäßigkeit gerade von seiner Bindung an eine Substanz bedingt sein. Dieser letztere Umstand bedeutet also keine Ablenkung des unendlichen Weges, der zur Auflösung des Geldes in einen bloß symbolischen Träger seiner reinen Funktion führt.

Ein besonderes Stadium des Scheidungsprozesses zwischen dem Funktions- und dem inneren Werte des Geldes zeigen die Fälle, wo für die Schätzung der Werte als Maßstab ein Geld angewandt wird, in dem die tatsächlichen Zahlungen gar nicht erfolgen. Den Tauschdienst kann das Geld nicht leisten, ohne zugleich Maßdienste zu leisten; wohl aber zeigen sich die letzteren in gewisser Hinsicht von jenem unabhängig. Im alten Ägypten wurden die Preise nach dem Uten, einem Stück gewundenen Kupferdrahts, bestimmt, während die Zahlungen in den verschiedensten Bedarfsartikeln erfolgten. Im Mittelalter wird vielfach der Geldpreis festgesetzt, während der [182] Käufer ihn zahlen darf, in quo potuerit. An vielen Stellen Afrikas wird heute der Güteraustausch nach einer, manchmal recht komplizierten, Geld-Valuta vollzogen, aber das Geld selbst ist meistens nicht vorhanden. Die Geschäfte der außerordentlich wichtigen Genueser Wechselmessen des 16. Jahrhunderts wurden nach der Werteinheit des Markenskudo (scudo de' marchi) abgewickelt. Diese war in keiner existierenden Münze ausgedrückt, war vielmehr rein imaginär: 100 Skudi galten so viel wie 99 der besten Goldskudi. Alle Verpflichtungen waren auf Markenskudi gestellt, wodurch die Meßwährung, eben wegen ihrer Idealität, eine vollkommen feste, aller Schwankung und Zerfahrenheit der Prägungen entzogene war. Auch die indische Kompagnie hat, um der Verschlechterung, dem Verschleiß und der Fälschung der indischen Münze zu begegnen, den rupee current eingeführt: eine überhaupt nicht geprägte Münze, die einem gewissen Quantum Silber entsprach und nur den Maßstab bildete, an dem der Wert der wirklichen, deteriorierten Münzen festgestellt wurde. Diese gewannen nun durch, ein solches festes ideelles Maß auch für sich einen festen relativen Wert. Damit war fast sehender Zustand er reicht, den ein Theoretiker von Anfang des 19. Jahrhunderts vor Augen hat. Indem er alles gemünzte oder in anderer Form den Verkehr vermittelnde Geld für eine Anweisung auf tauschbare Güter erklärt, kommt er schließlich zu einer Negation aller Realität des Geldes: er stellt dem Gelde im eigentlichen Sinne die Münze gegenüber und erklärt nur die letztere für jene »Anweisung«, die nach dem Geld berechnet wäre, während das Geld selbst nur der ideale Maßstab für alle Vermögenswerte wäre. Hier ist also das Prinzip des Markenskudo zu einer allgemeinen Theorie geworden, das Geld ist so sehr zu einer reinen Form und Verhältnisbegriff idealisiert, daß es überhaupt mit keiner greifbaren Wirklichkeit mehr identisch ist, sondern zu dieser sich nur noch verhält, wie das abstrakte Gesetz zu einem empirischen Fall. In den oben angeführten Vorkommnissen hat die Funktion des Wertmessers sich von dem substanziellen Träger gelöst: die Rechenmünze tritt wie in einen absichtlichen Gegensatz zu der Metallmünze, um ihre Stellung jenseits dieser festzulegen. In der hier fraglichen Beziehung tut das ideale Geld dieselben Dienste wie das gute Geld, denn auch dieses ist hier eben gutes nur wegen seiner Funktion: der Sicherheit der Wertabmessungen, die sich mit Hilfe seiner vollziehen.

Dies führt nun weiter auf die Vertretung des Geldwertes durch Äquivalente, insoweit diese die Mobilisierung der Werte als einen der wesentlichen Dienste des Geldes hervortreten lassen. Je mehr die Bedeutung des Geldes als Tauschmittel, Wertmaß, Aufbewahrungsmittel [183] usw. aus ihrer ursprünglichen Geringfügigkeit zum Übergewicht über seinen sogenannten Substanzwert aufwächst, desto mehr Geld kann auch in anderer als gerade in Metallform in der Welt zirkulieren. Und dieselbe Entwicklung, die von der eingeschränkten Starrheit und substanziellen Festgelegtheit des Geldes zu diesen Vertretungen führt, macht sich auch weiterhin innerhalb dieser Selbst geltend. So etwa in der Entwicklung von dem von Person zu Person lautenden Schuldschein zu dem Inhaberpapier. Die Stufen dieser Entwicklung sind noch zu verfolgen. Die Klausel des Schuldanerkenntnisses, daß der Inhaber desselben und nicht nur der eigentliche Ausleiher zur Einziehung berechtigt sei, kommt zwar schon im Mittelalter vor; aber nicht um seinen Wert zu übertragen, sondern um die Einziehung durch einen Vertreter des Gläubigers zu erleichtern. Diese bloß formale Mobilisierung des Papiers wurde eine mehr tatsächliche in dem französischen billet en blanc, das an der Lyoner Börse kursierte. Dasselbe wies seiner Fassung nach noch auf einen individuellen Gläubiger an, dessen Name aber nicht ausgefüllt war; wurde ein solcher indes an die leere Stelle eingefügt, so war nun der Gläubiger individuell bestimmt. Der eigentliche Handelsverkehr mit reinen Inhaberpapieren begann im 16. Jahrhundert in Antwerpen; wir wissen, daß anfänglich denselben, wenn sie ohne besondere Zession in Zahlung gegeben waren, oft die Einlösung am Verfallstage verweigert wurde, so daß eine kaiserliche Verordnung ihre prinzipielle Gültigkeit feststellen mußte. Hier haben wir eine sehr deutliche Stufenfolge. Der fragliche Wert ist durch den individuell bestimmten Schuldschein sozusagen zwischen Gläubiger und Schuldner festgeklemmt; er gewinnt seine erste Beweglichkeit, indem er wenigstens von einem anderen eingezogen werden kann, wenngleich für Rechnung des ursprünglichen Gläubigers; die? erweitert sich, indem das Blankopapier die personale Bestimmtheit des Gläubigers zwar nicht aufhebt, aber doch beliebig hinausschiebt, bis schließlich in dem reinen Inhaberpapier, das wie eine Münze von Hand zu Hand gehen kann, der Wert völlig mobilisiert ist. Dies erscheint als der Revers oder die gleichsam subjektive Wendung der oben an den staatlichen Schatzassignationen beobachteten Entwicklung. Indem dieselben statt auf einzelne bestimmte Kroneinkünfte schließlich auf die Staatseinkünfte überhaupt lauteten, verloren sie nach der Seite des Schuldners hin ihre individuelle Fixiertheit, gingen aus ihrer substanziellen Eingeschränktheit in die Bewegungen der allgemeinen Staatswirtschaft über und wurden, schon weil die Prüfung ihrer besonderen Qualität jetzt wegfiel, unendlich viel beweglichere Träger des Wertes, den sie darstellten.

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An der allgemeinen Zirkulationsbeschleunigung der Werte entwickelt sich nun auch unmittelbar das Verhältnis von Substanz und Funktion des Geldes. Gegenüber einer einseitigen Auffassung des Verhältnisses zwischen Geld und Geldsurrogaten hat man hervorgehoben, daß diese letzteren – Schecks, Wechsel, Warrants, Giro – das Geld nicht verdrängen, sondern nur zu schnellerer Umsetzung veranlassen. Diese Funktion gerade der Vertretungen des Geldes zeigt sich recht daran, daß die Noten von ihren großen und also schwerer beweglichen Werten zu immer geringeren herabsteigen: bis 1759 gab englische Bank keine kleineren Noten aus als zu 20 Pfund, die Bank von Frankreich bis 1848 nur solche von 500 Fr. Indem jene Surrogate an die Stelle der Barzahlung treten, ersparen sie es dem Einzelnen zwar, einen größeren Geldbestand in seiner Kasse zuhaltet, allein der Vorteil davon liegt doch nur darin, daß das so frei werdende Geld anderwärts bzw. bei der Scheckbank arbeiten kann. Was erspart wird, ist also nicht eigentlich das Geld, sondern nur sein passives Daliegen als Kassenbestand. So ist auch sonst zu beobachten, daß Kredit- und Bargeld sich keineswegs nur einfach gegenseitig ersetzen, sondern daß eines das andere gerade in lebhaftere Bewegung bringt. Wenn das meiste bare Geld am Markte ist, steigt auch oft die Kredit wirtschaft ins Taumelhafte und bis zu pathologischen Erscheinungen: so im 16. Jahrhundert, das an die großen Metallimporte die größten und unsolidesten Kredite knüpfte, bis zu dem Gründungsfieber der Fünf-Milliardenzeit in Deutschland. Daß so Geld und Kredit ihre Bedeutung gegenseitig steigern, bedeutet nur ihr Berufensein zu demselben funktionellen Dienst; so daß, wenn er an der Entwicklung des einen stärker hervortritt, auch das andere zu der gleichen Lebhaftigkeit der Bewegung veranlaßt wird. Dies widerspricht also gar nicht der anderen Relation zwischen ihnen, wonach der Kredit das bare Geld überflüssig macht: so hören wir, daß in England schon 1838 trotz der ungeheuer gestiegenen Produktion weniger bares Geld vorhanden gewesen sei als 50 Jahre früher, ja in Frankreich weniger als vor der Revolution. Zwischen zwei Erscheinungen, die demselben Grundmotiv entsprießen, ist dieses Doppelverhältnis: sich einerseits gegenseitig zu steigern, sich andrerseits zu verdrängen und zu ersetzen – durchaus begreiflich und keineswegs selten. Ich erinnere daran, wie das Fundamentalgefühl der Liebe sich sinnlich und geistig äußern kann, und zwar derart, daß diese Erscheinungsweisen sich gegenseitig stärken, aber auch so, daß eine von ihnen die andere auszuschließen strebt, und daß oft gerade ein Wechselspiel zwischen diesen beiden Möglichkeiten das Grundgefühl am tiefsten und lebendigsten verwirklicht; ich erinnere daran, wie die [185] verschiedenen Betätigungen des Erkenntnistriebes, sowohl wenn sie sich gegenseitig hervorrufen, wie wenn sie sich gegenseitig verdrängen, gleichmäßig die Einheit des grundlegenden Interesses bekunden; endlich, die politischen Energien in einer Gruppe verdichten sich je nach dem Naturell und Milieu der Einzelnen zu divergenten Parteien, aber sie zeigen ihr Kraftmaß ebenso in der Leidenschaft des Kampfes zwischen diesen, wie darin, daß das Interesse des Ganzen sie gelegentlich zu gemeinsamer Aktion zu vereinheitlichen imstande ist. So weist die Bedeutung des Kredits: einerseits mit der Bargeld-Zirkulation in einem Verhältnis gegenseitiger Anregung zu stehen, andrerseits dieselbe zu ersetzen, nur auf die Einheit des Dienstes hin, den beide zu leisten haben.

Nun tritt an die Stelle der Vermehrung der Geldsubstanz, die durch die Steigerung des Umsatzes erfordert scheint, immer mehr die Vermehrung seiner Umlaufsgeschwindigkeit. Ich führte früher an, daß schon im Jahre 1890 die französische Bank auf Kontokorrent das 135fache der tatsächlich darauf eingezahlten Gelder umgesetzt hat (54 Milliarden auf 400 Millionen Francs), die deutsche Reichsbank sogar das 190fache. Man macht sich im allgemeinen selten klar, mit wie unglaublich wenig Substanz das Geld seine Dienste leistet. Die auffällige Erscheinung, daß bei Ausbruch eines Krieges oder sonstiger Katastrophen das Geld verschwindet, als ob es in die Erde gesunken wäre, bedeutet doch nur die Stockung der Zirkulation, die durch die Ängstlichkeit des Einzelnen, sich auch nur momentan von seinem Gelde zu trennen, veranlaßt oder verstärkt ist. In normalen Zeiten läßt die Schnelligkeit der Zirkulation seine Substanz viel ausgedehnter erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist – wie ein glühendes Fünkchen, das im Dunkeln rasch im Kreise bewegt wird, als ein ganzer glühender Kreis erscheint, – um in dem Augenblick, wo seine Bewegung aufhört, sofort wieder in seine substanzielle Minimität zusammenzuschmelzen. Am heftigsten tritt dies bei einem schlechten Gelde auf. Denn das Geld gehört in jene Kategorie von Erscheinungen, deren Wirksamkeit sich bei regulärer Form und Verlauf in angebbaren Grenzen und determiniertem Umfang hält, während sie bei Ablenkungen und Verschlimmerungen einen unübersehbaren und kaum begrenzten Schaden anrichten. Die Typen dafür sind die Mächte des Wassers und des Feuers. Da das gute Geld nicht mit so vielen Nebenwirkungen belastet ist wie das schlechte und deshalb nicht so viel Erwägungen, Vorsicht und sekundäre Maßregeln bei seiner Benutzung verlangt, so kann es leichter und flüssiger als dieses kursieren. In je präziserer Form es die Dienste des bloßen Geldes leistet, desto geringer braucht sein Quantum zu sein, desto leichter [186] ist es durch seine Bewegung zu ersetzen. Auch kann die Vermehrung der Umsätze statt durch eine Vermehrung der kursierenden Geldsubstanz durch Verkleinerung der Stücke erzielt werden. Die Entwicklung der Münze geht im allgemeinen von großen zu kleinen Stücken und ich erwähne aus derselben hier des bezeichenden Falles: in England war lange Zeit der Farthing (gleich 0,12 gr Silber) das geringste Münzstück; erst von 1843 an wurden halbe Farthings geschlagen. Bis dahin waren also alle Werte, die unter ein Farthing galten, vom Geldverkehr ausgeschlossen, und für alle, die zwischen zwei ganzen Zahlen von Farthings standen, der Verkehr erschwert. Ein Reisender erzählt aus Abessinien (1882), wie außerordentlich es den Handel behindere, daß nur eine ganz bestimmte Münze, der Maria-Theresia-Taler von 1780, anerkannt werde, das Kleingeld aber so gut wie ganz fehle. Wenn jemand also für einen halben Taler Gerste kaufen wolle, so müsse er für den Rest des Geldes irgend sonstige Gegenstände in Kauf nehmen. Wogegen aus Bornu in den sechziger Jahren von einem besonders leichten Verkehr berichtet wird, da der Wert jenes Talers in zirka 4000 Kaurimuscheln zerlegt sei und der Arme deshalb ein Geld für die kleinsten Warenmengen besitze. Freilich hat die Verkleinerung der Münze die Folge, daß nicht mehr so viel umsonst geleistet wird, das Leihen und Aushelfen, das in primitiven Verhältnissen Regel ist, fällt fort, sobald für den allerkleinsten Dienst ein Geldäquivalent zur Verfügung steht und eben deshalb auch gefordert wird. Aber jene Hingabe ohne Äquivalent, die zuerst soziale Notwendigkeit, dann moralische Pflicht oder freie Freundlichkeit ist, bedeutet noch keine eigentliche und entwicklungsfähige Wirtschaft, sowenig wie umgekehrt der Raub. Zu dieser wird die Hingabe erst mit der Objektivation des Verkehrs und seiner Gegenstände. Jenes subjektive Verfahren ist sicher von hohem, auch ökonomischem Werte – aber es setzt der Wirtschaft sehr enge Grenzen; und diese können erst durch die Maßregeln gesprengt werden, die freilich jene Werte unmittelbar vernichten und zu denen die Einführung möglichst kleiner Münze gehört. Die Verflüchtigung des Geldstoffes sozusagen in Atome hebt den Verkehr außerordentlich; indem sie das Tempo der Geldumsätze beschleunigt, vermehrt sie ihre Zahl; d.h. also, die bestimmte Art, in der das Geld funktioniert, ist imstande, die quantitativen Mehrungen seiner Substanz zu ersetzen.

Auch haben nun endlich gewisse Leistungen des Geldes von vornherein einen Sinn, der dem Wesen einer Substanz heterogen ist. Es gehört zu den Funktionen des Geldes, die ökonomische Bedeutung der Dinge in der ihm eigenen Sprache nicht nur überhaupt darzustellen, [187] sondern zu kondensieren. In der Einheit der Geldsumme, mit der ein Gegenstand bezahlt wird, verdichten sich ebenso die Werte aller, vielleicht durch einen langen Zeitraum hin erstreckten Momente seiner Nutznießung, wie die Sonderwerte seiner räumlich auseinanderliegenden Teile, wie die Werte aller vorbereitenden und in ihm mündenden Kräfte und Substanzen. Ein Geldpreis, aus wie vielen Münzeinheiten er auch bestehe, wirkt doch als eine Einheit; dank der völligen Ununterscheidbarkeit seiner Teile, die seinen Sinn ausschließlich in seiner quantitativen Höhe bestehen läßt, bilden diese Teile eine so völlige Einheit, wie sie auf praktischem Gebiet sonst kaum besteht. Wenn man selbst von einem hochwertigen und vielverzweigten Objekt, etwa einem Landgut, sagt, es gelte eine halbe Million Mark, so wird durch diese Summe, auf wie viele einzelne Voraussetzungen und Erwägungen sie sich auch fundamentiere, doch der Wert des Gutes in einen ganz einheitlichen Begriff zusammengezogen, nicht anders, als wenn man eine auch in sich einheitliche Sache durch einen in sich einheitlichen Münzbegriff schätzt, also etwa: eine Arbeitsstunde gelte eine Mark. Man könnte dies höchstens mit der Einheit des Begriffes vergleichen, der das Wesentliche einer Anzahl individueller Gestaltungen zusammenschließt; wenn ich z.B. den Allgemeinbegriff Baum bilde, so liegen die Merkmale desselben, die ich aus ihren sehr verschiedenartigen Verwirklichungen an den einzelnen Bäumen heraus abstrahiere, nicht mehr nebeneinander, sondern durchdringen sich zu einer einheitlichen Wesenheit. Wie es der tiefere Sinn des Begriffes ist, nicht ein bloßes Zusammen von Merkmalen zu sein, sondern die ideale Einheit, in der diese Merkmale trotz aller ihrer Verschiedenheiten sich begegnen, und in die sie sich einschmelzen – so läßt der Geldpreis alle vielfache und extensiv-ökonomische Bedeutung des Objekts in eine gleichsam unausgedehnte Einheit konvergieren. Es scheint zwar, als ob jener Charakter reiner Quantität dies gerade verhindern müßte: niemals könne eine Mark mit einer zweiten eine solche Einheit bilden wie die Elemente eines organischen Körpers oder einer sozialen Vereinigung, die Verschlingung ineinander fehle ihnen, sie blieben ewig an die Form des Nebeneinander gebunden. Allein dies gilt tatsächlich nicht für den Fall, daß die Geldsumme den Wert eines Objektes ausdrückt. Eine halbe Million Mark sind an und für sich freilich ein bloßes additionales Konglomerat zusammenhangsloser Einheiten; dagegen als Wert eines Landgutes sind sie das einheitliche Symbol, Ausdruck oder Äquivalent seiner Werthöhe und so wenig ein bloßes Nebeneinander einzelner Markeinheiten, wie, wenn man die Lufttemperatur mit 20° bezeichnet, damit nicht eine Summe von 20 einzelnen [188] Graden, sondern vielmehr ein in sich völlig einheitlicher Wärmezustand gemeint ist. Dies entspricht der erwähnten Leistung des Geldes, Werte zu kondensieren; mit dieser schließt es sich den großen Kulturmächten an, deren Wesen es ist, überall in einem kleinsten Punkt die größte Kraft zu sammeln und vermöge der Form der Konzentrierung der Energien die passiven und aktiven Widerstände gegen unsere Zwecke zu überwinden. Hier ist vor allem an die Maschine zu erinnern, und zwar nicht nur nach der auf der Hand liegenden Seite, daß sie die Naturkräfte in konzentrierter Weise in die Bahnen uns erwünschter Betätigung lenkt; sondern auch nach der hin, daß jede Verbesserung der Maschine und Erhöhung ihrer Geschwindigkeit den Arbeiter zu erhöhter Intensifikation seines Krafteinsatzes zwingt. Das eben ist der Grund, weshalb Fortschritt der maschinellen Technik und Verkürzung der Arbeitszeit so oft Hand in Hand gehen kann und muß: weil die verbesserte Maschinerie nicht nur die Naturkräfte, sondern auch die Menschenkräfte in zusammengedrängterer, gleichsam porenloserer Form in den Dienst unserer Zwecke stellt. Ich sehe die gleiche Kulturtendenz sich an der Herrschaft des Naturgesetzes innerhalb unseres Weltbildes verwirklichen: gegenüber dem Haften an der einzelnen Erscheinung, der Zufälligkeit und der Isoliertheit primärer Empirie, ist das Naturgesetz eine ungeheure Kondensierung des Erkennens; es faßt in eine kurze Formel die Erscheinungsart und Bewegung endloser Einzelfälle zusammen, der Geist komprimiert mit ihm die räumliche und zeitliche Extensität des Geschehens in eine überschaubare Systematik, in der sozusagen die ganze Welt latent enthalten ist. An einem ganz anderen Pol der Erscheinungen zeigt die Ablösung der Handwaffen durch die Feuerwaffen dieselbe Entwicklungsform. Im Pulver liegt die enorme Kraftverdichtung, die mit einem Minimum von Muskelleistung eine unmittelbar gar nicht erzielbare Extensität der Wirkung entfesselt. Ja vielleicht ist die Wichtigkeit und die Differenzierung der Persönlichkeit innerhalb der historischen Bewegung, die an die Stelle der Gentil-, Familien-, Genossenschaftsorganisationen tritt, dem gleichen Prinzip Untertan. Indem die bewegenden Kräfte von immer individualisierteren, äußerlich enger begrenzten Trägern ausstrahlen, erscheinen sie komprimierter als vorher, die Schicksalsfaktoren, die bei enger Einschmelzung des einzelnen in seine Gruppe durch diese hin verteilt sind, konzentrieren sich jetzt in ihm selbst; das Selbstbestimmungsrecht des modernen Menschen hätte zweckmäßigerweise nicht aufkommen können, wenn nicht in der engen Form personaler Existenz ein sehr gestiegenes Quantum von Wirkungsmöglichkeiten zusammengebunden wäre. Und dem widerstreitet [189] es durchaus nicht, daß zugleich die Funktionen jener engen Gemeinschaften zum großen Teil an den so viel extensiveren Großstaat übergegangen sind. Denn auf die wirklichen Leistungen angesehen, ist die Lebensform des modernen Staates mit seiner Beamtenorganisation, seinen Machtmitteln, seiner Zentralisierung, eine unendlich viel intensivere, als die der kleinen und primitiven Gemeinwesen. Der moderne Staat beruht auf einem ungeheuren Zusammennehmen, Ineinanderflechten und Vereinheitlichen aller politischen Kräfte; so daß man direkt sagen kann: gegenüber den Kraftverschwendungen, die die Zerfällung einer Nation in jene selbständigen, in sich zentralisierten Gemeinwesen von geringster Extensität bewirkt, stellt sowohl die freie und differenzierte Persönlichkeit, wie andrerseits der moderne Großstaat ein unvergleichliches Zusammennehmen der Kräfte dar; die sozialen Spannkräfte sind hiermit in eine derartig kompendiöse Form gebracht, daß jeder einzelnen Anforderung gegenüber mit einem Minimum von neuem Energieaufwand ein Maximum von Leistung erzielt werden kann. Es ist nun interessant zu ersehen, wie das Geld sich nicht nur diesen Beispielen der historischen Tendenz auf Kraftverdichtung anschließt, indem es die Werte der Dinge auf die kürzeste und komprimierteste Weise ausdrückt, sondern dies auch noch so bestätigt, daß es zu vielen jener gleichgerichteten, aber ganz anderen Gebieten zugehörigen Beispiele ein direktes Verhältnis hat. In der Epoche der aufkommenden Feuerwaffen wurde pecunia nervus belli, das Pulver entwand dem Ritter und dem Bürger die Waffe und drückte sie dem Söldner in die Hand, machte ihren Besitz und ihre Benutzung also zum Privileg der Geldbesitzer. Wie eng das Aufkommen und die Fortschritte der Maschinentechnik mit dem Geldwesen verbunden sind, bedarf keines Nachweises. Dagegen werde ich später einen solchen dafür zu führen haben, daß jene Entwicklung der primären Gruppenbildung zur Befreiung der Individualität einerseits und die Erweiterung zum Großstaat andrerseits die innigste innere Beziehung zu dem Aufkommen der Geldwirtschaft hat. So sehen wir die Kulturtendenz der Kondensierung der Kräfte in vielerlei direkten und vermittelten Zusammenhängen mit der Geldform der Werte. Alle jene indirekten Bedeutungen seiner für die anderweitigen Seiten des Kulturprozesses hängen an seiner wesentlichen Leistung, daß der ökonomische Wert der Dinge mit ihm den gedrängtesten Ausdruck und eine Vertretung von absoluter Intensität gewonnen hat. Wenn man hergebrachterweise unter die Hauptdienste des Geldes rechnet, daß es Wertaufbewahrungs- und Werttransportmittel ist, so sind dies nur die groben und sekundären Erscheinungen jener grundlegenden Funktion. Sie aber hat ersichtlich gar keine [190] innere Beziehung zu dem Gebundensein des Geldes an eine Substanz, ja an ihr tritt am empfindbarsten hervor, daß das Wesentliche des Geldes Vorstellungen sind, die, weit über die eigene Bedeutung seines Trägers hinaus, in ihm investiert sind. Je größer die Rolle des Geldes als Wertkondensator wird – und das wird sie nicht durch Wertsteigerung seines einzelnen Quantums, sondern durch die Erstreckung dieser seiner Funktion auf immer mehr Objekte, durch die Verdichtung immer verschiedenartigerer Werte in seiner Form – desto weiter wird es von der notwendigen Bindung an eine Substanz fortrücken; denn in ihrer mechanischen Immergleichheit und Starrheit muß diese der Fülle, dem Wechsel, der Mannigfaltigkeit der Werte immer inadäquater werden, die auf ihre Vorstellung projiziert und in ihr kondensiert werden.

Man könnte dies als eine steigende Vergeistigung des Geldes bezeichnen. Denn das Wesen des Geistes ist, der Vielheit die Form der Einheit zu gewähren. In der sinnlichen Wirklichkeit ist alles nebeneinander, im Geist allein gibt es ein Ineinander. Vermittels des Begriffes gehen dessen Merkmale, vermittels des Urteils gehen Subjekt und Prädikat in eine Einheit ein, zu der es in der Unmittelbarkeit des Anschaulicher gar keine Analogie gibt. Der Organismus, als die Brücke von der Materie zum Geist, ist freilich ein Ansatz dazu, die Wechselwirkung schlingt seine Elemente ineinander, er ist ein fortwährendes Streben nach einer ihm unerreichbaren vollkommenen Einheit. Erst im Geiste wird die Wechselwirkung der Elemente ein wirkliches Sich durchdringen. Den Werten bereitet die Wechselwirkung im Tausche diese geistige Einheit. Darum kann das Geld, die Abstraktion der Wechselwirkung, an allem Räumlich-Substanziellen nur ein Symbol finden, denn das sinnliche Außereinander desselben widerstrebt seinem Wesen. Erst in dem Maß, in dem die Substanz zurücktritt, wird das Geld wirklich Geld, d.h. wird es zu jenem wirklichen Ineinander und Einheitspunkte wechselwirkender Wertelemente, der nur die Tat des Geistes sein kann.

Wenn so die Leistungen des Geldes sich teils neben seiner Substanz, teils unabhängig von ihrem Quantum vollziehen können, und wenn deshalb sein Wert sinken muß – so bedeutet dies durchaus nicht, daß der Wert des Geldes überhaupt, sondern nur, daß der des einzelnen konkreten Geldquantums herabgesetzt ist. Beides fällt so wenig zusammen, daß man geradezu sagen kann: je weniger das einzelne Geldquantum wert ist, desto wertvoller ist das Geld überhaupt. Denn nur dadurch, daß das Geld so billig, jede bestimmte Summe seiner so viel wertloser geworden ist, kann es diejenige allgemeine Verbreitung, rasche Zirkulation, überall hindringende Verwendbarkeit [191] gewinnen, die ihm seine jetzige Rolle sichert. Innerhalb des Individuums spielt sich dasselbe Verhältnis zwischen den einzelnen Geldquanten und ihrer Totalität ab. Gerade diejenigen Personen, die sich vom Geld, wenn es eine einzelne Ausgabe betrifft, am leichtesten und verschwenderischsten trennen, pflegen vom Gelde überhaupt am abhängigsten zu sein. Auch dies ist eine der Bedeutungen der Redensart, daß man das Geld nur verachten könne, wenn man sehr viel hätte. In ruhigen Zeiten und Orten, mit ökonomisch langsamerem Lebenstempo, wo das Geld viel länger an einer Stelle liegt, wird sein einzelnes Quantum viel höher gewertet als in der ökonomischen Jagd der großstädtischen Gegenwart. Die schnelle Zirkulation erzeugt eine Gewohnheit des Weggebens und Wiedereinbekommens, macht jedes einzelne Quantum psychologisch gleichgültiger und wertloser, während es als Geld überhaupt – da das Geldgeschäft den Einzelnen hier viel intensiver und extensiver berührt als in jenem unbewegteren Dasein – immer größere Bedeutung gewinnt. Es handelt sich hier um den sehr weit erstreckten Typus: daß der Wert eines Ganzen sich in demselben Verhältnis hebt, in dem der seiner individuellen Teile sinkt. Ich erinnere daran, daß Maß und Bedeutung einer sozialen Gruppe oft um so höher steigt, je geringer das Leben und die Interessen ihrer Mitglieder als Individuen eingeschätzt werden; daß die objektive Kultur, die Vielseitigkeit und Lebendigkeit ihrer sachlichen Inhalte ihren höchsten Grad durch eine Arbeitsteilung erreichen, die den einzelnen Träger und Anteilhaber dieser Kultur oft in eintöniges Spezialistentum, Beschränktheit und Verkümmerung bannt: das Ganze ist um so vollkommener und harmonischer, je weniger der Einzelne noch ein harmonisches Ganzes ist. Dieselbe Form stellt sich auch sachlich dar. Der besondere Reiz und die Vollendung gewisser Gedichte besteht darin, daß die einzelnen Worte durchaus keinen selbständigen Sinn, außer dem, der dem beherrschenden Gefühl oder dem Kunstzweck des Ganzen dient, psychologisch mitanklingen lassen, daß der Gesamtkreis der Assoziationen, der die eigene Bedeutung des Wortes ausmacht, ganz zurücktritt, und nur die dem Zentrum des Gedichtes zugewandten für das Bewußtsein beleuchtet sind; so daß das Ganze in demselben Maße kunstvollendeter ist, in dem seine Elemente ihre individuelle, für sich seiende Bedeutung einbüßen. Und endlich ein ganz äußerlicher Fall. Der Herstellungs- wie der Kunstwert eines Mosaikbildes ist um so höher, je kleiner seine einzelnen. Sternchen sind; die Farben des Ganzen sind die treffendsten und nuanciertesten, wenn der einzelne Bestandteil eine möglichst geringfügige, einfache und für sich bedeutungslose Farbenfläche darbietet. Es ist also ein [192] im Gebiete der Wertungen keineswegs unerhörter Fall, daß die Werte des Ganzen und die seiner Teile sich in umgekehrter Proportionalität zueinander entwickeln, und zwar nicht durch ein zufälliges Zusammentreffen von Umständen, sondern durch direkte Verursachung: daß jede einzelne angebbare Geldsumme jetzt weniger wert ist als vor Jahrhunderten, ist die unmittelbare Bedingung für die ungeheuer gesteigerte Bedeutung des Geldes. Und diese Bedingung hängt ihrerseits wieder von dem Steigen des Funktionswertes des Geldes auf Kosten seines Substanzwertes ab. Das zeigt sich nicht nur am Geld im allgemeinen, sondern auch an den einzelnen davon abzweigenden Erscheinungen: der Zinsfuß stand außerordentlich hoch, so lange es teils wegen der kirchlichen Wucherlehre, teils wegen der naturalwirtschaftlichen Verhältnisse überhaupt wenig verzinsliche Darlehen gab; eine je größere Bedeutung der Zins im wirtschaftlichen Leben erhielt, desto geringer wurde er.

Und auch von dem allerprinzipiellsten Standpunkte aus wäre es das schwerste Mißverständnis der Entwicklung von der Substanz zur Leistung, wenn man sie auf ein »Wertlos«-Werden des Geldes deutete, und als sei ihm damit ungefähr so viel genommen wie einem Menschen mit der Seele – nämlich alles. Diese Auffassung geht schon deshalb an der Hauptsache vorbei, weil die Funktionen, in die das Geld sich auflöst, selbst wertvolle sind, wodurch ihm ein Wert zu wächst, der beim Metallgeld ein additioneller, beim Zeichengeld der einzige ist; so sicher aber ist er ein reeller Wert, wie die Lokomotive durch das Ausüben ihrer Transportfunktionen einen Wert hat, der mehr ist als der Wert ihres Materials. Freilich kann es zunächst die Geldfunktionen ausüben, weil es ein Wert ist; dann aber wird es ein Wert, weil es sie übt. Den Wert des Geldes in seinen Substanzwert setzen, heißt den Wert der Lokomotive in den ihres Eisengewichts, etwa noch um den darin steckenden Arbeitswert erhöht, setzen. Aber gerade diese Analogie scheint die Annahme eines besonderen, aus der Funktion erwachsenden Wertes zu widerlegen. Der Preis einer Lokomotive – wir brauchen in diesem Zusammenhange nicht zwischen Wert und Preis zu unterscheiden – besteht allerdings aus Materialwert + Formwert, d.h. + Wert der darin investierten Arbeitskraft. Daß die Lokomotive wie das Geld den Austausch von Objekten bewirkt, das sei zwar die Veranlassung, sie überhaupt zu werten, davon hänge aber das Maß dieser Wertung keineswegs ab – wie auch sonst die Nützlichkeit unzähliger Objekte bewirke, daß sie überhaupt einen Marktpreis haben, die Höhe dieses aber von ganz anderen Momenten bestimmt werde; die Nützlichkeit gebe bei solchen Objekten allenfalls eine Grenze an, über die der Preis nicht [193] steigen darf, aber sie könne hier dessen positive Größe nicht erzeugen. Gilt dieser Vergleich, so scheint der Wert des Geldes doch wieder von seinen Funktionen auf seine Substanz zurückgewiesen zu werden. Allein an einem entscheidenden Punkte gilt er eben nicht. Daß eine Lokomotive nur nach ihrem Materialwert und Formungswert bezahlt wird, hängt ausschließlich daran, daß jeder Beliebige Lokomotiven bauen darf, und deshalb die Idee, ohne die Material + Arbeitskraft niemals eine Lokomotive ergeben würden, keinen Einfluß auf die Preisbildung besitzt. Sobald es ein Patent auf Lokomotiven gäbe, würde sich in dem erhöhten Preise, den man für sie bewilligte, der Wert zeigen, den sie über die Summe von Materialwert und Arbeitswert hinaus besitzen; sobald die Idee Gemeingut ist, haben ihre Verwirklichungen insoweit keine »Seltenheit«, und erst diese würde ihrer Funktionsbedeutung einen besonderen Ausdruck im Preise verschaffen. Nun aber besteht am Gelde etwas, was dem Patente entspricht: das Prägerecht der Regierungen, das jeden Unlegitimierten die Idee des Geldes zu verwirklichen hindert; auf diesem Monopol der Regierung ruht die »Seltenheit« des Geldes entweder teilweise, wenn es aus Edelmetall besteht, oder völlig, wenn es Papier oder Scheidemünze ist. Ein chinesisches Gesetz drückt im ersteren Falle das Monopol der Regierung dadurch mit charakteristischer Schärfe aus, daß es den Falschmünzer, der aus echtem Metall münzt, schwerer bestraft als den, der es aus minderwertigem tut: weil, so wird dies begründet, er gerade damit in unziemlichere Konkurrenz mit der Regierung träte und in ihre Prärogative tiefer eingriffe, als im letzteren Fall! Wenn jeder Beliebige Geld prägen könnte, so würde sein Wert allerdings auf Materialwert + Formwert sinken, – womit denn jenes Monopol mit seinen Vorteilen hinwegfiele. Deshalb ist von ethnologischer Seite bemerkt worden, daß, wo jeder selbst Geld beliebig herstellen kann, wie beim Muschelgeld, die Machtstellung der Reichen und der Häuptlinge sehr leicht erschüttert wird. Umgekehrt hat an dem Privileg des Staates für die Herstellung des Geldes jeder Geldbesitzer pro rata teil – wie der Käufer eines patentierten Gegenstandes an dem Patent des Erfinders. Vermöge des der Zentralgewalt vorbehaltenen Prägerechts, das dem Geld die stete Möglichkeit, wirklich als Geld zu funktionieren, garantiert – gewinnen diese Funktionen nun ihrerseits die Möglichkeit, dem Material- und Formwert des Geldes ein weiteres wirksames Wertquantum hinzuzufügen, oder, wo jene fortfallen, ihm überhaupt einen Wert zu verschaffen. Sehr bezeichnend ist hierfür eine Norm des römischen Rechts, schon aus der republikanischen Zeit. Seit der Einführung der geprägten Münze statt des gewogenen Kupfergeldes [194] haben die Römer darauf gehalten, daß dieselbe rechtlich für ihren konventionellen Wert akzeptiert werde, gleichviel, ob ihr Effektivwert damit stimmte oder nicht. Diese Unabhängigkeit vom Metall aber fordert sogleich die Zusatzbestimmung: Geld sei überhaupt nur eben diese Münze, jede andere sei bloße Ware; nur bei Forderung auf jene kann man mit der strengen Geldschuldklage vorgehen, alle sonstigen Geldschulden sind, wie Warenschulden, nur auf den wirklichen also durch ihr Nominal als Geld nicht beeinflußten Wert (quanti ea tes est) einzuklagen. Das heißt also, der Wert des anderen Geldes war nicht Geldwert, sondern Stoffwert, weil man der legalen Münze die Funktion des Geldes vorbehielt. Eben dadurch erhielt sie den Wert, den die anderen Münzen nur durch ihren Gehalt erreichen konnten, und rechtfertigte es, daß sie unabhängig von ihrem inneren Werte galt. Wie ein Litermaß wirtschaftlichen Wert hat, nicht weil es Material und Form enthält – denn wenn es nicht durch diese zu einem außerhalb ihrer liegenden Zwecke verwendbar wäre, so würde kein Mensch ihm nachfragen – sondern weil es die Funktion des Messens zweckmäßig erfüllt, so hat auch das Geld seinen Wert im Dienst des Messens und den anderen, die es leistet. Nur daß man diesen auch wieder nur in Geld mit hinreichender Allgemeinheit ausdrücken kann, verhindert, dies so ohne weiteres zu erkennen wie bei dem Litermaß, dessen Wert man in etwas anderem, als es selbst ist, ausdrückt. Die Dienste des Geldes bilden seinen »Gebrauchswert«, der doch in seinem »Tauschwert« irgendwie zum Ausdruck kommen muß; es ist eines der Objekte, in deren »Gebrauchswert«, da er an die Prägung durch die Regierung gebunden ist, der »Seltenheitswert«, den diese Prägung, wie ich zeigte, involviert, zugleich enthalten ist. Die Substanztheorie des Geldes wehrt sich gegen die doch unvermeidliche Erkenntnistendenz, die Bedeutung der Dinge aus ihrem terminus a quo in ihren terminus ad quem zu verlegen: nicht was das Geld ist, sondern wozu es ist, verleiht ihm seinen Wert, so daß, wenn auch ein ursprünglicher Wert des Geldes es zu seinen Funktionen disponiert hat, es seinen Wert dann durch die Ausübung dieser Funktionen erhält und damit auf höherer Stufe zurückgewinnt, was es auf niederer aufgegeben hat.

Wenn nun in den oben geschilderten Entwicklungen das Geld einem Punkte zustrebt, wo es, zum reinen Symbol geworden, ganz in seinen Tausch- und Meßzweck aufginge, so zeigen mannigfache Parallelen die allgemeine geistesgeschichtliche Tendenz, die es in jene Richtung führt. Das Interesse, das wir primärer und unbefangener Weise an den Erscheinungen nehmen, pflegt dieselben als ungeschiedene Ganze zu umfassen: wie sie uns als Einheit von Form [195] und Inhalt entgegentreten, so knüpft sich unser Wertgefühl auch an ihre Form, weil sie die Form dieses Inhalts, an ihren Inhalt, weil er der Inhalt dieser Form ist. Auf höheren Stufen sondern sich diese Elemente, und es wenden sich besondere Schätzungsweisen an die Funktion als bloße Form. Die Mannigfaltigkeit des Inhalts, die von dieser getragen wird, erscheint ihr gegenüber oft irrelevant. So schätzen wir z.B. die religiöse Stimmung, unter Gleichgültigkeit gegen ihren dogmatischen Inhalt. Daß diese bestimmte Erhebung, Spannung und Versöhnung der Seele überhaupt vorhanden sei, die, als ein Allgemeines, die unendliche Verschiedenheit der historischen Glaubensinhalte trägt, – empfinden wir als wertvoll. So flößt uns die Kraftbewährung als solche oft einen Respekt ein, den wir ihren Ergebnissen versagen müssen. So wendet sich das verfeinerte ästhetische Interesse immer mehr dem zu, was am Kunstwerk bloß Kunst ist, der Kunstform im weitesten Sinne, unter wachsender Gleichgültigkeit gegen seine Materie, d.h. gegen seinen Vorwurf und gegen die ursprünglichen Gefühle, in deren Sublimierung und Objektivierung erst die eigentlich ästhetische Funktion, in Produktion wie Konsumtion, verläuft. So empfinden wir die Erkenntnis als wertvoll, rein als die formale Funktion des Geistes, die Welt in sich zu spiegeln, und insoweit gleichgültig dagegen, ob die Gegenstände und Resultate des Erkennens erfreuliche oder unerfreuliche, verwertbare oder rein ideelle sind. Diese Differenzierung der Wertgefühle hat nun eine weitere bemerkenswerte Seite. Die ganze Entwicklung des modernen naturalistischen Geistes geht auf die Entthronung der Allgemeinbegriffe und die Betonung des Einzelnen als des allein legitimen Vorstellungsinhaltes. In der Theorie wie in der Praxis des Lebens wird das Allgemeine als bloß Abstraktes behandelt, das seine Bedeutung nur an seinem Stoffe, d.h. an greifbaren Einzelheiten finden kann; indem man sich über diese erhebt, glaubt man ins Leere zu fallen. Dennoch aber ist das Gefühl für die Bedeutsamkeit des Allgemeinen, das einst in Plato seinen Höhepunkt erreichte, nicht verschwunden, und eine völlig befriedigende Stellung zur Welt würden wir erst gewinnen, wenn jeder Punkt unseres Bildes von ihr die stoffliche Realität des Singulären mit der Tiefe und Weite des Formal-Allgemeinen versöhnte. So ist der Historismus und die soziale Weltanschauung ein Versuch, das Allgemeine zu bejahen und doch seine Abstraktheit zu verneinen; ein Erheben über das Einzelne, ein Ableiten des Einzelnen aus einem Allgemeinen, das doch volle und gediegene Wirklichkeit besitzt; denn die Gesellschaft ist das Allgemeine, das nicht abstrakt ist. In dieser Richtung liegt nun auch jene Wertung der Funktion in ihrer Sonderung vom Inhalte. Die Funktion ist das [196] Allgemeine gegenüber dem speziellen Zweck, dem sie dient: das religiöse Gefühl ist das Allgemeine gegen über seinem Glaubens Inhalte, das Erkennen das Allgemeine gegenüber seinen einzelnen Objekten, jede Kraft überhaupt das Allgemeine gegenüber den speziellen Aufgaben, zu deren Mannigfaltigkeit sie sich als die immer gleiche verhält – gleichsam eine Form und Fassung, die die verschiedenartigsten Stoffe aufnimmt. An dieser Entwicklungstendenz scheint das Geld teilzunehmen, wenn das daran geknüpfte Wertgefühl sich von seinem Stoffe unabhängig macht und auf seine Funktion übergeht, die ein Allgemeines und doch kein Abstraktes ist. Die Schätzung, welche anfangs den in bestimmter Weise funktionierenden Stoff als Einheit betraf, differenziert sich, und während das Edelmetall als solches immer weiter geschätzt wird, gewinnt nun auch seine Funktion, die jedem ihrer stofflichen Träger gegenüber ein Überindividuelles ist, eine besondere und selbständige Wertung. Daß das Geld Tausche vermittelt und Werte mißt, ist gleichsam die Form, in der es für uns existiert; indem das Metall diese Form annimmt, wird es Geld – wie Vorstellungen über das Überirdische zur Religion werden, indem die religiöse Gefühlsfunktion sie aufnimmt, und wie der Marmorblock zum Kunstwerk wird, wenn die künstlerische Produktivität ihm die Form verleiht, die nichts anderes als eben diese Funktion in räumlichem Festgewordensein ist. Die Verfeinerung des Wertempfindens löst dies ursprüngliche Ineinander und läßt die Form oder Funktion sich zu einem selbständigen Werte für uns entwickeln. Gewiß muß auch dieser Wert des Geldes einen Träger haben; aber das Entscheidende ist, daß er nicht mehr aus seinem Träger quillt, sondern umgekehrt der Träger das ganz Sekundäre ist, auf dessen an sich seiende Beschaffenheit es nur noch aus technischen, jenseits des Wertempfindens liegenden Gründen ankommt.

 


 

[197]

Drittes Kapitel.Das Geld in den Zweckreihen.

I.

Der große Gegensatz aller Geistesgeschichte: ob man die Inhalte der Wirklichkeit von ihren Ursachen oder von ihren Folgen aus ansieht und zu begreifen sucht – der Gegensatz der kausalen und der teleologischen Denkrichtung – findet sein Urbild an einem Unterschiede innerhalb unserer praktischen Motivationen. Das Gefühl, das wir Trieb nennen, erscheint als an einen physiologischen Vorgang gebunden, in dem gespannte Energien auf ihre Lösung drängen; indem jene sich in ein Tun umsetzen, endet der Trieb; wenn er wirklich ein bloßer Trieb ist, so ist er »befriedigt«, sobald er durch das Tun sozusagen sich selbst los geworden ist. Diesem gradlinigen Kausalvorgange, der sich im Bewußtsein als das primitivste Triebgefühl spiegelt, stehen diejenigen Aktionen gegenüber, deren Ursache, soweit sie sich als Bewußtseinsinhalt kundgibt, in der Vorstellung ihres Erfolges besteht. Wir empfinden uns hier gleichsam nicht von hinten getrieben, sondern von vorn gezogen. Das Befriedigungsgefühl tritt infolgedessen hier nicht durch das bloße Tun ein, in dem der Trieb sich auslebt, sondern erst durch den Erfolg, den das Tun hervorruft. Wenn etwa eine ziellose innere Unruhe uns zu einer heftigen Bewegung treibt, so liegt ein Fall der ersten Kategorie vor; der zweiten, wenn wir uns die gleiche Motion machen, um einen bestimmten hygienischen Zweck damit zu erreichen; das Essen ausschließlich aus Hunger gehört in die erste, das Essen ohne Hunger, nur um des kulinarischen Genusses willen, in die zweite Kategorie; die Sexualfunktion, im Sinne des Tieres ausgeübt, in die erste, die in der Hoffnung eines bestimmten Genusses gesuchte in die zweite. Dieser Unterschied scheint mir nun nach zwei Seiten hin wesentlich zu sein. Sobald wir aus bloßem Triebe heraus, also im engeren Sinne [198] rein kausal bestimmt handeln, so bestellt zwischen der psychischen Verfassung, die als Ursache des Handelns auftritt, und dem Resultat, in das sie ausläuft, keinerlei inhaltliche Gleichheit. Der Zustand, dessen Energien uns in Bewegung setzen, hat insofern zu der Handlung und ihrem Erfolge so wenig qualitative Beziehungen, wie der Wind zu dem Fall der Frucht, die er vom Baum schüttelt. Wo da gegen die Vorstellung des Erfolges als Veranlassung gefühlt wird, da decken sich Ursache und Wirkung ihrem begrifflichen oder anschaubaren Inhalte nach. Die Ursache der Aktion ist indes auch in diesem Falle die reale – wenn auch wissenschaftlich nicht näher formulierbare – Kraft der Vorstellung bzw. ihres physischen Korrelats, die von ihrem Gedankeninhalt durchaus zu trennen ist. Denn dieser Inhalt, der ideelle Sachgehalt des Handelns oder Geschehens, ist an und für sich absolut kraftlos, er hat nur eine begriffliche Gültigkeit und kann nur insoweit in der Wirklichkeit sein, als er der In halt einer realen Energie wird: sowie die Gerechtigkeit oder die Sittlichkeit als Ideen niemals eine Wirksamkeit in der Geschichte üben, das vielmehr erst können, wenn sie von konkreten Mächten als Inhalt des Kraftmaßes derselben aufgenommen werden. Der Kompetenzstreit zwischen Kausalität und Teleologie inner halb unseres Handelns schlichtet sich also so: indem der Erfolg, seinem Inhalte nach, in der Form psychischer Wirksamkeit da ist, bevor er sich in die der objektiven Sichtbarkeit kleidet, wird der Strenge der Kausal Verbindung nicht der geringste Abbruch getan; denn für diese kommen die Inhalte nur, wenn sie Energien geworden sind, in Betracht, und insofern sind Ursache und Erfolg durchaus geschieden, während die Identität, die die ideellen Inhalte beider zeigen, wiederum mit der realen Verursachung überhaupt nichts zu tun hat.

Von tieferer Bedeutung für die jetzige Aufgabe ist die andere Differenz, durch die sich das triebhafte und das vom Zweck geleitete Wollen gegeneinander charakterisieren. Sobald unser Handeln nur kausal (im engeren Sinne) bestimmt wird, ist der ganze Vorgang mit der Umsetzung der drängenden Energien in subjektive Bewegung beendet, das Gefühl der Spannung, des Getriebenwerdens ist gehoben, sobald die Aktion als Folge des Triebes eingetreten ist. Der Trieb lebt sich mit der ihm natürlichen Fortsetzung in Bewegung vollständig aus, so daß der gesamte Vorgang innerhalb des Subjekts beschlossen bleibt. Ganz anders verläuft der Prozeß, der durch das Bewußtsein des Zweckes geleitet ist. Dieser geht zunächst auf einen bestimmten objektiven Erfolg des Tuns und erreicht seinen Abschluß durch die Reaktion dieses auf das Subjekt bzw. des Subjekts auf ihn. Die prinzipielle Bedeutung des Zweckhandelns liegt also in der [199] Wechselwirkung, die es zwischen dem Subjekt und Objekt stiftet. Indem schon die bloße Tatsache unserer Existenz uns in diese Wechselwirkung verwebt, hebt das zweckbestimmte Handeln sie in die Innerlichkeit des Geistes. Durch eben dies stellt sich unser Verhältnis zur Welt gleichsam als eine Kurve dar, die vom Subjekt aus auf das Objekt geht, es in sich einbezieht und wieder zum Subjekt zurückkehrt. Und während freilich jede zufällige und mechanische Berührung mit den Dingen äußerlich dasselbe Schema zeigt, wird es als Zweckhandeln von der Einheit des Bewußtseins durchströmt und zusammengehalten. Als Naturwesen betrachtet sind wir in fortwährender Wechselwirkung mit dem natürlichen Dasein um uns herum, aber in völliger Koordination mit diesem; erst im Zweckhandeln differenziert sich das Ich als Persönlichkeit von den Naturelementen außerhalb (und innerhalb) seiner. Oder, anders angesehen: erst auf der Grundlage solcher Scheidung eines persönlich wollenden Geistes und der rein kausal betrachteten Natur ist jene Einheit höherer Stufe zwischen beiden möglich, die sich in der Zweckkurve ausdrückt. Dieses prinzipielle Verhältnis wiederholt sich, mit gewissen Abschwächungen, an dem Unterschied, den man zwischen der Arbeit des Kulturmenschen und des Naturmenschen zu finden meint: jene gehe regelmäßig und methodisch, diese unregelmäßig und stoßweise vor sich; das heißt, die erstere fordere eine willenshafte Überwindung der Widerstände, die unser Organismus der Arbeit entgegensetze, während die andere nur die Auslösung der in den psychischen Zentren angehäuften Nervenkraft sei.

Das ist nun nicht so gemeint, als ob der eigentliche Zweck jedes Zweckhandelns im handelnden Subjekt selbst liegen müßte, als ob der Grund, um dessentwillen irgendein Objektives verwirklicht wird, immer in dem Gefühle bestünde, das es rückwirkend in uns erregt. Wenn dies in den eigentlich egoistischen Handlungen stattfindet, stehen daneben doch unzählige, in denen jene Inhaltsgleichheit zwischen Motiv und Erfolg nur den Erfolg im Sinne des Objekts, des außer-subjektiven Geschehens betrifft; unzählige Male nimmt die innere Energie, aus der unser Handeln hervorgeht, ihrer Bewußtseinsseite nach nur ihren sachlichen Erfolg in sich auf und läßt die auf uns selbst zurückkehrende Weiterwirkung desselben ganz außerhalb des teleologischen Prozesses. Zwar, wenn nicht der Erfolg unseres Tuns schließlich ein Gefühl in uns auslöste, so würde von seiner Vorstellung nicht die bewegende Kraft ausgehen, die ihn zu verwirklichen strebt. Allein dieses unentbehrliche Endglied des Handelns ist darum noch nicht sein Endzweck; unser teleologisch bestimmtes Wollen macht vielmehr sehr oft an seinem sachlichen Erfolge [200] halt und fragt bewußt nicht über diesen hinaus. Suchen wir also die Formel des Zweckprozesses in seinem Gegensatz zu dem kausal-triebhaften – wobei dahingestellt bleibt, ob dieser Gegensatz etwa nur ein solcher der Betrachtungsweise, sozusagen ein methodologischer ist – so ist es die, daß das Zweckhandeln die bewußte Verflechtung unserer subjektiven Energien mit einem objektiven Dasein bedeutet, und daß diese Verflechtung in einem doppelten Ausgreifen der Wirklichkeit in das Subjekt hinein besteht: einmal in der Antizipation ihres Inhaltes in der Form der subjektiven Absicht und zweitens in der Rückwirksamkeit ihrer Realisierung in der Form eines subjektiven Gefühls. Aus diesen Bestimmungen entwickelt sich die Rolle des Zweckes im Lebenssystem.

Es geht zunächst daraus hervor, daß sogenannte unmittelbare Zwecke einen Widerspruch gegen den Begriff des Zweckes selbst bedeuten. Wenn der Zweck eine Modifikation innerhalb des objektiven Seins bedeutet, so kann dieselbe doch nur durch ein Tun realisiert werden, welches die innere Zwecksetzung mit dem ihr äußeren Dasein vermittelt; unser Handeln ist die Brücke, über welche der Zweckinhalt aus seiner psychischen Form in die Wirklichkeitsform übergeht. Der Zweck ist seinem Wesen nach an die Tatsache des Mittels gebunden. Hierdurch unterscheidet er sich einerseits vom bloßen Mechanismus – und seinem psychischen Korrelat, dem Trieb –, in dem die Energien jedes Momentes sich in dem unmittelbar folgenden vollständig entladen, ohne über diesen hinaus auf einen nächsten zu weisen; welcher nächste vielmehr nur von dem unmittelbar vorhergehenden ressortiert. Die Formel des Zweckes ist dreigliedrig, die des Mechanismus nur zweigliedrig. Andrerseits unterscheidet sich der Zweck durch sein Angewiesensein auf das Mittel auch von demjenigen Handeln, das man sich als das göttliche denken mag. Für die Macht eines Gottes kann unmöglich ein zeitliches oder sachliches Intervall zwischen dem Willensgedanken und seiner Verwirklichung bestehen. Das menschliche Handeln, zwischen diese beiden Momente eingeschoben, ist nichts als das Überwinden von Hemmungen, die für einen Gott nicht bestehen können; wenn wir ihn nicht nach dem Bilde irdischer Unvollkommenheit denken, so muß sein Wille unmittelbar als solcher schon Realität des Gewollten sein. Von einem Endzweck, den Gott mit der Welt hätte, kann man nur in einem sehr modifizierten Sinne reden, nämlich als dem zeitlich letzten Zustand, der ihre Schicksale abschließt. Verhielte sich aber für den göttlichen Ratschluß jener zu diesen vorhergehenden, wie sich ein menschlicher Zweck zu seinen Mitteln verhält: nämlich als das allein Wertvolle und Gewollte – so wäre nicht abzusehen, weshalb Gott [201] ihn nicht unmittelbar und mit Übergehung jener wertlosen und hemmenden Zwischenstadien sollte herbeigeführt haben; denn er bedarf doch nicht der technischen Mittel, wie wir, die wir der selbständigen Welt mit sehr beschränkten, auf Kompromisse mit ihren Hemmungen und auf Allmählichkeit des Durchsetzens angewiesenen Kräften gegenüberstehen. Oder anders ausgedrückt: für Gott kann es keinen Zweck geben, weil es für ihn keine Mittel gibt.

Aus dieser Gegenüberstellung wird die eigentliche Bedeutung des oben Betonten ersichtlich, daß der Zweckprozeß eine Wechselwirkung zwischen dem persönlich wollenden Ich und der ihm äußeren Natur bedeutet. Der Mechanismus, der zwischen dem Willen und seiner Befriedigung steht, ist einerseits Verbindung, andrerseits aber auch Trennung beider. Er bedeutet die Unmöglichkeit für den Willen, aus sich selbst heraus zu seiner Befriedigung zu gelangen, er stellt die Hemmung dar, die er überwindet. Zweckmäßigkeit ist also ihrem Wesen nach ein relativer Begriff, weil sie immer das an sich Zweckfremde voraussetzt, in dessen Umformung sie besteht. Wenn es dieser letzteren nicht bedürfte, der Wille vielmehr als solcher schon seine Erfüllung in sich trüge, so käme es gar nicht zu einer Zwecksetzung. Das eigene Tun, in das der zweckbestimmte Wille sich fortsetzt, ist der erste Fall, an dem wir dieses Doppelcharakters des Mittels inne werden: an ihm fühlen wir ganz nahe den Widerstand des äußerseelischen Seins unser selbst und die dirigierende Energie, die ihn überwindet – eines am anderen bewußtwerdend und sein spezifisches Wesen gewinnend. Wenn nun das Tun den äußeren Gegenstand des Zweckes nicht unmittelbar erzeugen kann, sondern dazu erst ein anderes äußeres Ereignis einleiten muß, das seinerseits das erwünschte Resultat bewirkt, so ist das dazwischengeschobene Geschehen unserem eigenen Handeln hier wesensgleich: beides ist gleichmäßig Mechanismus, aber beides auch gleichmäßig vom Geist zum Geiste führender Mechanismus; beides setzt sich kontinuierlich aneinander an, um die Kurve zu bilden, deren Anfangs- und Endpunkte in der Seele liegen; die durchschnittliche Gliederzahl dieser Kurve innerhalb eines bestimmten Lebensstiles zeigt nun die Kenntnis und Beherrschung der Natur wie die Weite und Verfeinerung der Lebensführung an. Und hier setzen die gesellschaftlichen Komplikationen an, die in der Schaffung des Geldes gipfeln.

Zunächst ist folgender Zusammenhang klar. Wenn ein Zweck D erreicht und dazu eine Kette mechanischer Vorgänge A B C produziert werden soll, derart, daß B durch A, C durch B und D erst durch C veranlaßt wird, so ist diese in ihrem Inhalt und ihrer Richtung durch D bestimmte Reihe von der Erkenntnis des Kausalzusammenhanges [202] zwischen ihren Gliedern abhängig. Wenn ich nicht schon wüßte, daß C imstande ist, D hervorzurufen, B ebenso C usw., so würde ich mit meinem Verlangen nach D ganz hilflos dastehen. Niemals kann also eine teleologische Kette erwachsen, ohne daß die umgekehrt gerichteten, kausalen Verbindungen ihrer Glieder bekannt wären. Der Zweck vergilt dies, indem er gewöhnlich seinerseits die psychologische Anregung gibt, überhaupt nach kausalen Zusammenhängen zu forschen. Die teleologische Kette findet also ihre inhaltliche, logische Möglichkeit in der kausalen, diese aber ihr Interesse, d.h. ihre regelmäßige psychologische Möglichkeit in dem Wollen eines Zwecks. Die so bezeichnete Wechselwirkung, die, ganz allgemein gesprochen, das Verhältnis von Theorie und Praxis bedeutet, hat ersichtlich zur folge, daß die Vertiefung des kausalen Bewußtseins mit der des teleologischen Hand in Hand geht. Die Länge der Zweckreihen hängt von der Länge der Kausalreihen ab; und andrerseits, der Besitz der Mittel erzeugt unzählige Male nicht nur die Verwirklichung, sondern erst den Gedanken des Zwecks.

Um diese Verwebung des natürlichen und des geistigen Seins in ihrer Bedeutung einzusehen, muß man sich das scheinbar Selbstverständliche vor Augen halten, daß wir mit vielgliedrigen Reihen von Mitteln mehr und wesentlichere Zwecke erreichen können als mit kurzen. Der primitive Mensch, dessen Kenntnis der natürlichen Ursächlichkeiten sehr beschränkt ist, ist dadurch in seinen Zwecksetzungen ebenso beschränkt. Die Zweckkurve wird bei ihm als Mittelglieder kaum mehr als das eigene physische Tun und die unmittelbare Einwirkung auf je ein Objekt enthalten; wenn nun von diesem nicht die erhoffte Rückwirkung auf ihn erfolgt, so wird die Einschiebung einer magischen Instanz, von der er durch irgendein Beeinflussen die Bewirkung des gewünschten Erfolges erhofft, doch weniger als Verlängerung der teleologischen Reihe, denn als Beweis für die Untunlichkeit derselben erscheinen. Wo jene kurze Reihe also nicht ausreicht, wird er entweder auf den Wunsch verzichten, oder, unendlich häufiger, ihn überhaupt nicht ausbilden. Die Verlängerung der Reihe bedeutet, daß das Subjekt die Kräfte der Objekte in steigendem Maße für sich arbeiten läßt. Je mehr die primitiven Bedürfnisse schon befriedigt sind, desto mehr Glieder pflegt die teleologische Reihe zu fordern, und erst einer sehr verfeinerten Kausalerkenntnis gelingt dann manchmal die Reduktion der Gliederzahl, indem sie unmittelbarere Zusammenhänge, kürzere Wege innerhalb der natürlichen Ordnung der Dinge entdeckt. Dies kann sich bis zu einer Umkehrung des natürlichen Verhältnisses steigern: in relativ primitiven Zeiten werden die einfachen Lebensbedürfnisse noch durch [203] einfache Zweckreihen beschafft, während es für die höheren und differenzierten vielgliedriger Umwege bedarf; die vorgeschrittene technische Kultur dagegen pflegt gerade für die letzteren relativ einfachere, direktere Herstellungsarten zu besitzen, wogegen die Gewinnung der fundamentalen Erfordernisse des Lebens auf immer größere Schwierigkeiten stößt, die durch immer kompliziertere Mittel überwunden werden müssen. Die Kulturentwicklung geht, mit einem Wort, auf Verlängerung der teleologischen Reihen für das sachlich Naheliegende und Verkürzung derselben für das sachlich Fernliegende. Und hier tritt der äußerst wichtige Begriff des Werkzeugs in unsere Erwägung des Zweckhandelns ein. Die primäre Form jener teleologischen Kurve ist doch die, daß unser Tun ein äußeres Objekt zu Reaktionen veranlaßt, die, gemäß der eigenen Natur desselben verlaufend, an den Punkt der erwünschten Einwirkung auf uns gelangen. Das Werkzeug bedeutet nun die Einschiebung einer Instanz zwischen dem Subjekt und diesem Objekt, die nicht nur zeitlich-räumlich, sondern auch inhaltlich eine Mittelstellung zwischen ihnen einnimmt. Denn es ist einerseits zwar ein äußeres Objekt von bloß mechanischer Wirksamkeit, andrerseits aber auch eins, auf das nicht nur, sondern mit dem – wie mit der Hand – gewirkt wird. Das Werkzeug ist das potenzierte Mittel, denn seine Form und sein Dasein ist schon durch den Zweck bestimmt, während bei dem primären teleologischen Prozeß die natürlichen Existenzen erst nachträglich in den Dienst des Zweckes gestellt werden. Wer einen Samen in die Erde steckt, um später die Frucht des Gewächses zu genießen, statt sich mit der wild wachsenden zu begnügen, handelt teleologisch, aber die Erscheinung des Zweckes mündet an der Grenze seiner Hand; wenn aber bei dieser Gelegenheit Hacke und Spaten verwendet werden, so ist der Punkt, von dem an die natürlichen Prozesse sich selbst überlassen sind, weiter hinausgeschoben, das subjektiv bestimmte Moment ist dem objektiven gegenüber verlängert. Mit dem Werkzeug fügen wir der Zweckreihe allerdings ein neues Glied freiwillig zu, damit aber nur beweisend, daß keineswegs jeder Weg in dem Maße der kürzere ist, in dem er der gerade ist. Das Werkzeug ist der Typus dessen, was man in der Außenwelt unser Geschöpf nennen könnte, indem es, gleichsam an dem einen Ende, ganz von unseren Kräften geformt wird und am anderen ganz in unsere Zwecke eingeht; gerade dadurch, daß es selbst nicht Zweck ist, fehlt ihm jene relative Selbständigkeit, die der Zweck besitzt, sei es, daß er uns als absoluter Wert an sich selbst gelte, sei es, daß wir von ihm eine Wirkung auf uns erwarten: es ist das absolute Mittel. Das Werkzeug-Prinzip ist nun keineswegs nur an [204] Physischem wirksam. Vielmehr dort, wo das Interesse nicht unmittelbar der materiellen Produktion gilt, sondern geistige Bedingungen und Seiten derselben oder überhaupt immaterielle Geschehnisse in Frage stehen, gewinnt das Werkzeug eigentlich eine noch reinere Form, insofern es nun wirklich ganz das Geschöpf unseres Willens ist und sich nicht mit der Besonderheit und inneren Zweckfremdheit einer Materie abzufinden hat. Den ausgeprägtesten Typus bilden hier vielleicht die sozialen Institutionen, durch deren Benutzung der Einzelne Zwecke erreichen kann, zu denen sein bloß persönliches Können niemals zureichen würde. Ganz abgesehen von dem Allerallgemeinsten: daß das Teilhaben am Staat durch den äußeren Schutz, den er gewährt, überhaupt die Bedingung für die Mehrzahl individueller Zweckhandlungen ist – so verschaffen etwa die besonderen Einrichtungen des Zivilrechts dem Wollen des Einzelnen Realisierungsmöglichkeiten, die ihm sonst völlig versagt blieben. Indem sein Wille den Umweg über die Rechtsform des Vertrags, des Testaments, der Adoption usw. einschlägt, benutzt er ein von der Allgemeinheit hergestelltes Werkzeug, das seine eigene Kraft vervielfältigt, ihre Wirkungslinien verlängert, ihre Resultate sichert. Aus den Wechselwirkungen der vielen entstehen, indem das Zufällige sich gegenseitig abschleift und die Gleichmäßigkeit der Interessen eine Summierung der Beiträge gestattet, objektive Einrichtungen, die gleichsam die Zentralstation für unzählige teleologische Kurven der Individuen bilden und diesen ein völlig zweckmäßiges Werkzeug für die Erstreckung derselben auf sonst Unerreichbares bieten. So verhält es sich auch mit dem kirchlichen Kultus: er ist ein von der Gesamtheit der Kirche bereitetes, die für dieselbe typischen Empfindungen objektivierendes Werkzeug – gewiß ein Umweg für die innen und oben gelegenen Endziele der Religiosität, aber der Umweg über ein Werkzeug, das, im Unterschiede von allen materiellen Werkzeugen, sein ganzes Wesen darin hat, bloß Werkzeug zu jenen Zielen zu sein, die das Individuum für sich allein, d.h. auf direktem Wege, nicht glaubt gewinnen zu können.

Und damit ist endlich der Punkt erreicht, an dem das Geld in den Verwebungen der Zwecke seinen Platz findet. Ich muß mit Allbekanntem beginnen. Beruht aller wirtschaftliche Verkehr darauf, daß ich etwas haben will, was sich zur Zeit im Besitze eines anderen befindet, und daß er es mir überläßt, wenn ich ihm dafür etwas überlasse, was ich besitze und er haben will: so liegt auf der Hand, daß das letztgenannte Glied dieses zweiseitigen Prozesses sich nicht immer einstellen wird, wenn das erste auftaucht; unzähligemal werde ich den Gegenstand a begehren, der sich im Besitz von A befindet, während [205] der Gegenstand oder die Leistung b, die ich gern dafür hingäbe, für A völlig reizlos ist; oder aber, die gegenseitig angebotenen Güter werden wohl beiderseitig begehrt, allein über die Quanta, in denen sie sich gegenseitig entsprechen, läßt sich durch unmittelbares Aneinanderhalten eine Einigung nicht erzielen. Deshalb ist es für die höchstmögliche Erreichung unserer Zwecke von größtem Werte, daß ein Mittelglied in die Kette der Zwecke eingefügt werde, in welches ich b jederzeit umsetzen und das sich seinerseits ebenso in a umsetzen kann – ungefähr wie jede beliebige Kraft, des fallenden Wassers, der erhitzten Gase, der windgetriebenen Mühlenflügel, wenn sie in die Dynamomaschine geleitet ist, mittels dieser in jede beliebige Kraftform umgesetzt werden kann. Wie meine Gedanken die Form der allgemein verstandenen Sprache annehmen müssen, um auf diesem Umwege meine praktischen Zwecke zu fördern, so muß mein Tun oder Haben in die Form des Geldwertes eingehen, um meinem weitergehenden Wollen zu dienen. Das Geld ist die reinste Form des Werkzeugs, und zwar von der oben bezeichneten Art: es ist eine Institution, in die der einzelne sein Tun oder Haben einmünden läßt, um durch diesen Durchgangspunkt hindurch Ziele zu erreichen, die seiner auf sie direkt gerichteten Bemühung unzugängig wären. Die Tatsache, daß jedermann unmittelbar mit ihm arbeitet, läßt seinen Werkzeugcharakter noch deutlicher hervortreten, als es in den vorhin erwähnten Typen geschieht – obgleich das Geld ja sein Wesen und seine Wirksamkeit nicht in dem Stück, das ich in der Hand habe, erschöpft, sondern dieselben an der sozialen Organisation und den übersubjektiven Normen hat, die es, über seine materielle Begrenztheit, Geringfügigkeit und Starrheit hinaus, eben zum Werkzeug unbegrenzt mannigfaltiger und weitreichender Zwecke werden lassen. Für die Gebilde des Staates und des Kultus war bezeichnend, daß sie, ausschließlich aus geistigen Kräften gebildet und zu keinem Kompromiß mit der Eigengesetzlichkeit äußerer Materie gezwungen, ihren Zweck in der Ganzheit ihres Wesens restlos ausdrückten. Aber sie stehen dabei ihren spezifischen Zwecken so nahe, daß sie eigentlich schon in sie hinabreichen, und daß das Gefühl sich oft gegen ihre Werkzeugsqualität – nach der sie an sich selbst wertlose, durch den dahinterstehenden Willen jedesmal erst zu belebende Mittel wären – sträubt und sie für sittliche Endwerte erklärt. Das Geld steht einer solchen Verdunkelung seines Mittelscharakters sehr fern. Im Unterschied, gegen jene Institutionen hat es inhaltlich gar keine Beziehungen zu dem einzelnen Zweck, zu dessen Erlangung es uns verhilft. Es steht völlig indifferent über den Objekten, da es von ihnen noch durch das Moment des Tausches geschieden ist: denn [206] was das Geld als Ganzes vermittelt, das ist ja nicht der Besitz des Objekts, sondern der Austausch der Objekte untereinander. Das Geld in seinen vollkommenen Formen ist das absolute Mittel, indem es einerseits völlige teleologische Bestimmtheit besitzt und jede aus anders gearteten Reihen stämmende abweist, andrerseits sich aber auch dem Zweck gegenüber auf das reine Mittel- und Werkzeugsein beschränkt, durch keinen Einzelzweck in seinem Wesen präjudiziert wird und sich der Zweckreihe als völlig indifferenter Durchgangspunkt darbietet. Es ist vielleicht der entschiedenste Beweis und Ausdruck dafür, daß der Mensch das »werkzeugmachende« Tier ist, was freilich damit zusammenhängt, daß er das »zwecksetzende« Tier ist. Die Idee des Mittels bezeichnet überhaupt die Weltstellung des Menschen: er ist nicht wie das Tier an den Mechanismus des Trieblebens und die Unmittelbarkeit von Wollen und Genießen gebunden, er hat aber auch nicht die unmittelbare Macht wie wir sie an einem Gotte denken –, daß sein Wille schon an und für sich Verwirklichung des Gewollten sei. Er steht in der Mitte zwischen beiden, indem er zwar weit über den Augenblick hinaus wollen, aber dieses Wollen nur auf dem Umweg über eine gegliederte teleologische Reihe verwirklichen kann. Wenn für Plato die Liebe ein mittlerer Zustand zwischen Haben und Nicht-Haben ist, so ist sie in der subjektiven Innerlichkeit dasselbe, was das Mittel im Objektiven und Äußerlichen ist. Und wie für den Menschen, den immer strebenden, niemals dauernd befriedigten, immer erst werdenden, die Liebe in jenem Sinne der eigentlich menschliche Zustand ist, so ist nach der anderen Seite hin das Mittel und seine gesteigerte Form, das Werkzeug, das Symbol des Typus Mensch: es zeigt oder enthält die ganze Größe des menschlichen Willens, zugleich aber die Form, die ihn begrenzt. Die praktische Notwendigkeit, den Zweck um eine dazwischen gestellte Mittelreihe weit von uns abzurücken, hat vielleicht die ganze Vorstellung der Zukunft erst hervorgebracht – wie die Fähigkeit des Gedächtnisses die Vergangenheit – und damit dem Lebensgefühl des Menschen seine Form: auf der Wasserscheide zwischen Vergangenheit und Zukunft zu stehen, seine Ausdehnung und seine Beschränkung, gegeben. Im Geld aber hat das Mittel seine reinste Wirklichkeit erhalten, es ist dasjenige konkrete Mittel, das sich mit dem abstrakten Begriffe desselben ohne Abzug deckt: es ist das Mittel schlechthin. Und darin, daß es als solches die praktische Stellung des Menschen – den man, mit etwas paradoxer Kürze, das indirekte Wesen nennen könnte – zu seinen Willensinhalten, seine Macht und Ohnmacht ihnen gegenüber verkörpert, aufgipfelt, sublimiert – darin liegt die ungeheure Bedeutung des Geldes für das Verständnis [207] der Grundmotive des Lebens. Nach dieser, von ihm zu der Ganzheit des Lebens hingehenden Richtung – betrachte ich es aber hier nur so weit, als dieselbe die umgekehrte, die vorläufig unser Zweck ist, gangbar macht: das Wesen des Geldes aus den inneren und äußeren Verhältnissen zu erkennen, die in ihm ihren Ausdruck, ihr Mittel oder ihre Folge gewinnen. Von den Bestimmungen, zu denen sich die bisherige Feststellung seiner entfaltet, schließe ich eine sogleich hier an, weil sie mit besonderer Unmittelbarkeit zeigt, in wie praktische Wirklichkeiten sich jener abstrakte Charakter des Geldes umsetzt.

Ich habe oben erwähnt, daß keineswegs immer nur ein bereits feststehender Zweck die Vorstellung und Beschaffung der Mittel bedingt, daß vielmehr die Verfügung über Substanzen und Kräfte uns oft genug erst dazu anregt, uns gewisse, durch sie vermittelbare Zwecke zu setzen: nachdem der Zweck den Gedanken des Mittels geschaffen hat, schafft das Mittel den Gedanken des Zweckes, in dem Werkzeug, das ich als die gesteigertste Art des Mittels bezeichnete, wird dies Verhältnis in eine zwar oft modifizierte, aber dafür gleichsam chronische Form übergeführt. Während das Mittel in seiner gewöhnlichen und einfachen Gestalt sich an der Realisierung des Zweckes völlig ausgelebt hat, seine Kraft und sein Interesse als Mittel nach geleistetem Dienste einbüßt, ist es das Wesen des Werkzeugs, über seine einzelne Anwendung hinaus zu beharren, oder: zu einer im voraus überhaupt nicht feststellbaren Anzahl von Diensten berufen zu sein. Dies gilt nicht nur für tausend Fälle der täglichen Praxis, wofür es keines Beispiels bedarf, sondern auch in sehr komplizierten; wie oft sind militärische Organisationen, ausschließlich zu Werkzeugen äußerer Machtentfaltung bestimmt, in den Dienst innerpolitischer Zwecke der Dynastie gestellt worden, die denen ihres Ursprungs völlig entgegengesetzt waren; vor allem: wie oft wächst ein Verhältnis zwischen Menschen, das zu bestimmten Einzelzwecken gestiftet wurde, zum Träger sehr viel weitergehender, ganz anders charakterisierter Inhalte aus; so daß man wohl sagen kann, jede dauernde Organisation zwischen Menschen – familiärer, wirtschaftlicher, religiöser, politischer, geselliger Art – hat die Tendenz, sich Zwecke anzubilden, zu denen sie von vornherein nicht bestimmt war. Nun liegt einerseits auf der Hand, daß ein Werkzeug – ceteris paribus – um so bedeutsamer und wertvoller sein wird, zu einer je größeren Anzahl von Zwecken es eventuell dienen kann, ein je größerer Kreis von Möglichkeiten seine Wirklichkeit umgibt; andrerseits, daß das Werkzeug in eben demselben Maß an sich indifferenter, farbloser, allem einzelnen gegenüber objektiver werden und in [208] weiterer Distanz von jedem besonderen Zweckinhalt stehen muß. Indem das Geld als das Mittel schlechthin die letztere Bedingung in vollkommenem Maße erfüllt, gewinnt es aus dem ersteren Gesichtspunkt eine sehr gesteigerte Wichtigkeit. Man kann das zunächst so formulieren, daß der Wert des einzelnen Geldquantums über den Wert jedes einzelnen bestimmten Gegenstandes hinausragt, der dafür einzutauschen ist: denn es gewährt die Chance, statt dieses Gegenstandes irgendeinen ändern aus einem unbegrenzt großen Kreiße zu wählen. Freilich kann es schließlich nur für einen verwandt werden; aber die Möglichkeit der Wahl ist ein Vorteil, der im Werte des Geldes eskomptiert werden muß. Indem das Geld überhaupt keine Beziehung zu irgendeinem einzelnen Zweck hat, gewinnt es eine solche zu der Gesamtheit der Zwecke. Es ist dasjenige Werkzeug, in dem die Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Verwendungen auf ihr Maximum gekommen ist und das dadurch den maximalen, auf diese Weise überhaupt erreichbaren Wert gewonnen hat. Die bloße Möglichkeit unbegrenzter Verwendung, die das Geld wegen des absoluten Mangels an eigenem Inhalt nicht sowohl hat als ist, spricht sich positiv darin aus, daß es nicht ruhen mag, sondern wie von sich aus fortwährend zum Verwendetwerden drängt. Wie für wortarme Sprachen, z.B. die französische, gerade die Notwendigkeit, vielerlei verschiedenes mit demselben Ausdruck zu bezeichnen, eine besondere Fülle von Anspielungen, Beziehungen, psychologischen Obertönen ermöglicht, und man so sagen kann, ihr Reichtum bestünde gerade in ihrer Armut, so bewirkt die innere Bedeutungsleere des Geldes die Fülle seiner praktischen Bedeutungen, ja, drängt dahin, die begriffliche Unendlichkeit seines Bedeutungskreises mit fortwährenden Neubildungen zu erfüllen, der bloßen Form, die es darstellt, immer neue Inhalte einzubilden, da sie für keinen ein Haltepunkt, sondern für jeden nur ein Durchgang ist. Schließlich sind alle mannigfaltigsten Waren nur gegen den einen Wert: Geld –, das Geld aber gegen alle Mannigfaltigkeit der Waren umzusetzen. Gegenüber der Arbeit nimmt dies die besondere Form an, daß das Geldkapital fast immer von einer Verwendung auf eine andere – höchstens mit einem gewissen Verlust, oft aber mit Gewinn – übertragen werden kann, die Arbeit aber fast niemals, und zwar um so weniger, je höher sie sich über die unqualifizierte erhebt. Der Arbeiter kann seine Kunst und Geschicklichkeit so gut wie nie aus seinem Gewerbe herausziehen und in einem ändern investieren. In bezug auf Wahlfreiheit und ihre Vorteile steht er also dem Geldbesitzer ebenso benachteiligt gegenüber wie der Warenhändler. Deshalb ist der Wert einer gegebenen Geldsumme gleich dem Werte jedes einzelnen Objekts, dessen Äquivalent sie [209] bildet, plus dem Werte der Wahlfreiheit zwischen unbestimmt vielen derartigen Objekten – ein Plus, für das es innerhalb des Waren oder Arbeitskreises kaum annähernde Analogien gibt.

Das so entstehende Wertplus des Geldes erscheint tiefer begründet und höher gesteigert, wenn man die Entscheidung erwägt, zu welcher diese Wahlchance sich in Wirklichkeit zuspitzt. Man hat hervorgehoben, daß ein mehrfach verwendbares, quantitativ aber nur zu einer seiner möglichen Verwendungen hinreichendes Gut nach dem Interesse geschätzt würde, das der Besitzer an der wichtigsten Verwendung hat; die Herbeiführung aller anderen, minder wichtigen Verwendungen gelte als unwirtschaftlich und unvernünftig. Wie also eine Gütermasse, die zu allen ihr möglichen Verwendungen zureicht oder mehr als zureicht – wo also das Gut um seine Verwendungen konkurriert – nach dem Maße der wertlosesten derselben geschätzt wird, so wird hier, wo die Verwendungen um das Gut konkurrieren, die wertvollste derselben zum Wertmaßstab für jenes Gut. Nirgends aber kann dies vollständiger und wirkungsvoller hervortreten als am Geld. Denn da es zu jeglicher wirtschaftlichen Beschaffung verwendbar ist, so kann man mit jeder gegebenen Summe das subjektiv bedeutendste aller im Augenblick in Frage kommenden Bedürfnisse decken. Die Wahl, die es bietet, ist nicht wie bei allen anderen Gütern spezifisch begrenzt; und, bei der Grenzenlosigkeit des menschlichen Wollens, konkurriert immer eine Vielzahl möglicher Verwendungen um jedes disponible Geldquantum; so daß, da die Entscheidung doch vernünftigerweise immer das je begehrteste Gut treffen wird, die Schätzung des Geldes in jedem gegebenen Moment gleich der des wichtigsten, momentan empfundenen Interesses sein muß. Ein Holzvorrat oder eine Baustelle, die nur zu einer unter verschiedenen erwünschten Verwendungen zureichen, und die deshalb nach der wertvollsten unter diesen geschätzt werden, können dennoch in ihrer Bedeutung nicht über die sozusagen provinzielle Beschränktheit ihres ganzen Gebietes hinausgehen; das Geld aber ist von einer solchen frei und sein Wert entspricht deshalb dem höchsten überhaupt vorhandenen Interesse, das mit der verfügbaren Summe ihrem Quantum nach zu decken ist.

Nun betrifft ferner diese Wahlchance, die das Geld als abstraktes Mittel besitzt, nicht nur die gleichzeitig angebotenen Waren, sondern auch die Zeitpunkte, in denen es verwendet werden kann. Der Wert eines Gutes bestimmt sich keineswegs nur an der realen Bedeutung, die es im Augenblick seiner Verwendung entfaltet. Vielmehr, die größere oder geringere Freiheit der Wahl, wann man diesen Augenblick eintreten lassen will, stellt einen Koeffizienten dar, der die [210] Schätzung des Gutes seiner inhaltlichen Bedeutung nach sehr erheblich steigern oder senken kann. War das oben Besprochene die Chance, die aus einem großen Kreise nebeneinander liegender Verwendungsmöglichkeiten hervorging, so die jetzige diejenige, die aus den nacheinander liegenden folgt. Dasjenige Gut ist – alles übrige gleichgesetzt – das wertvollere, das ich sogleich verwenden kann, aber nicht sogleich verwenden muß. Die Reihe der konkreten Güter entfaltet sich zwischen den beiden, ihren Wert modifizierenden und mannigfaltigst abgestuften Extremen: im Falle des einen kann das Gut zwar jetzt, aber nicht später, im Falle des anderen zwar später, aber nicht jetzt genossen werden. Wenn also z.B. im Sommer eben gefangene Fische gegen ein erst im Winter zu tragendes Fell eingetauscht werden, so wird der Wert der ersteren dadurch gehoben, daß ich sie sogleich konsumieren kann, während der des letzteren darunter leidet, daß der Aufschub seiner Benutzung allen Chancen der Beschädigung, des Verlustes, der Entwertung Raum gibt; andrerseits wird der erstere herabgesetzt, weil der Gegenstand schon morgen verdorben ist, der letztere gesteigert, weil er eine hinausschiebbare Verwendung gewährt. Je mehr nun ein als Tauschmittel benutztes Objekt die beiden wertsteigernden Momente in sich vereinigt, desto mehr Geldqualität besitzt es: denn das Geld als reines Mittel überhaupt stellt ihre höchsterreichbare Synthese dar; weil es keine konkrete, seine Verwendung präjudizierende Eigenschaft besitzt, sondern nur das Werkzeug zur Erlangung konkreter Werte ist, so ist die Freiheit seiner Verwendung ebenso groß in bezug auf die Zeitmomente, in denen, wie auf die Gegenstände, für die es ausgegeben wird.

Aus diesem besonderen Wert des Geldes, der seiner völligen Beziehungslosigkeit zu allen Besonderungen von Dingen und Zeitmomenten, der völligen Ablehnung jedes eigenen Zweckes, der Abstraktheit seines Mittelscharakters entstammt – fließt das Übergewicht dessen, der das Geld gibt, über denjenigen, der die Ware gibt. Die Ausnahmen hiervon: Verweigerungen des Verkaufs aus affektiven Wertungen, bei Boykottierungen, Ringbildungen usw. entstehen, wenn die für Geld begehrten Dingwerte der individuellen Sachlage nach durchaus nicht durch andere ersetzbar sind. Dann freilich fällt die Wahlchance, die das dafür offerierte Geld seinem jetzigen Besitzer bietet, fort – und damit dessen Sondervorteil – weil eben statt der Wahl eine eindeutige Bestimmtheit des Willens besteht. Im allgemeinen aber genießt der Geldbesitzer jene zweiseitige Freiheit, und für das Aufgeben derselben zugunsten des Warenbesitzers wird er ein besonderes Äquivalent fordern. Dies tritt [211] z.B. an dem wirtschafts-psychologisch sehr interessanten Prinzip der »Zugabe« hervor. Beim Einkauf von wäg- und meßbaren Waren erwartet man, der Kaufmann werde »gut messen«, d.h. wenigstens einen Teilstrich darüber geben, was auch fast durchgängig geschieht. Es kommt hier freilich dazu, daß beim Messen der Waren ein Irrtum näher liegt als beim Zählen des Geldes. Allein das Charakteristische ist, daß der Geldgeber die Macht hat, die Deutung dieser Chance, die doch an sich für beide Parteien die gleich günstige oder gleich ungünstige ist, nach der ihm vorteilhaften Seite zu erzwingen. Bezeichnenderweise verbleibt dieser Vorteil dem »Käufer«, auch wenn sein Gegenpart gleichfalls Geld gibt. Von dem Bankier erwartet der Kunde, von der Versicherungsgesellschaft der Versicherte im Schadensfalle, daß sie »kulant« verfahren, d.h. ein Weniges mehr als das absolut rechtlich Erzwingbare, mindestens in der Form, leisten werden. Auch der Bankier und die Versicherungsgesellschaft gibt nur Geld, und ihr Kunde denkt seinerseits nicht daran, ihnen gegenüber liberal, kulant zu verfahren, er leistet absolut nur die vorbestimmte Leistung. Denn Geldquanten, die von beiden Seiten eingesetzt werden, haben eben verschiedene Bedeutung; für den Bankier und die Versicherungsgesellschaft ist das Geld, mit dem sie operieren, ihre Ware; nur für den Kunden ist es »Geld« in dem hier fraglichen Sinne, d.h. der Wert, den er zwar für das Börsengeschäft oder die Versicherung verwenden kann, aber keineswegs muß; während jene gar keine Wahl haben, sondern das Geld, das ihre Ware ist, nur in der einen bestimmten Richtung verwenden können. Jene Verwendungsfreiheit gibt dem Gelde des Kunden ein Übergewicht, für das die »Kulanz« seiner Gegenpartei das Äquivalent bildet. Wo aber eine »Zugabe« von seiten des Geldgebers geschieht: gewisse Formen des Trinkgeldes, etwa bei der Bezahlung des Kellners oder des Droschkenkutschers – da drückt sich das Übergewicht des Geldgebers in der sozialen Bevorzugtheit aus, die die Voraussetzung des Trinkgeldes ist. Wie alle Erscheinungen des Geldwesens, ist auch diese keine innerhalb des Lebenssystems isolierte, sondern bringt gleichfalls einen Grundzug desselben nur zur reinsten und zugleich äußerlichsten Erscheinung; den nämlich, daß in jedem Verhältnis derjenige im Vorteil ist, dem weniger als dem anderen an dem Inhalt der Beziehung liegt. So ausgesprochen erscheint dies als ganz paradox, denn gerade um so intensiveres Verlangen uns zu einem Besitz oder einem Verhältnis zieht, desto tiefer und leidenschaftlicher ist doch auch sein Genuß – da ja die erwartete Höhe dieses die Stärke des Wollens bestimmt! Aber gerade dies Einzuräumende bewirkt und rechtfertigt den Vorteil des weniger stark Begehrenden. [212] Denn es ist in der Ordnung, daß dieser, der von dem Verhältnis weniger hat als der andere, durch irgendwelche Konzessionen seitens des letzteren dafür entschädigt wird. Das macht sich schon in den feinsten und intimsten Beziehungen geltend. In jedem auf Liebe gestellten Verhältnis ist der weniger Liebende, äußerlich genommen, im Vorteil; denn der andere verzichtet von vornherein mehr auf die Ausnutzung des Verhältnisses, ist der Opferwilligere, der für das größere Maß seiner Befriedigungen auch ein größeres Maß von Hingebungen bietet. So stellt sich doch eine Gerechtigkeit her: weil das Maß des Begehrens dem Maß der Beglückung entspricht, ist es gerecht, daß die Gestaltung des Verhältnisses dem weniger intensiv Begehrenden irgendeinen Sondervorteil einräume – den er auch in der Regel erzwingen kann, weil er der Abwartende, Reservierte, seine Bedingungen Stellende ist. Der Vorteil des Geldgebers ist deshalb kein schlechthin ungerechter; da in der Waren-Geld-Transaktion er der minder Begehrende zu sein pflegt, so kommt die Ausgleichung beider Seiten gerade dadurch zustande, daß der intensiver Begehrende ihm einen Vorteil über die objektive Äquivalenz der Tauschwerte hinaus einräumt. Wobei schließlich auch zu bedenken ist, daß erden Vorteil nicht genießt, weil er das Geld hat, sondern weil er es fortgibt.

Der Vorteil, den das Geld aus seiner Gelöstheit von allen spezifischen Inhalten und Bewegungen der Wirtschaft zieht, äußert sich noch in anderen Erscheinungsreihen, deren Typus es ist, daß bei noch so starken und ruinösen Erschütterungen der Wirtschaft die eigentlichen Geldleute unverändert, ja in erhöhtem Maße zu profitieren pflegen. So viele Zusammenbrüche und Existenzvernichtungen die Folge sowohl der Preisstürze wie der besinnungslosen Haussen auf dem Warenmarkte sein mögen – die Erfahrung hat als die Regel gezeigt, daß die großen Bankiers aus diesen entgegengesetzten Gefahren für Verkäufer oder Käufer, Gläubiger oder Schuldner ihren gleichmäßigen Gewinn ziehen. Das Geld, als das völlig indifferente Werkzeug der ökonomischen Bewegung, läßt sich seine Dienste bei jeder Richtung und jedem Tempo derselben bezahlen. Für diese Freiheit muß es freilich auch seine Steuer entrichten: die Parteilosigkeit des Geldes bewirkt, daß an den Geldgeber leicht Ansprüche von verschiedenen, einander feindseligen Seiten gestellt werden und er leichter in den Verdacht des Verrates gerät, als irgend jemand, der mit qualitativ bestimmten Werten operiert. Im Beginn der Neuzeit, als die großen Geldmächte der Fugger, der Welser, der Florentiner und Genuesen in die politischen Entscheidungen eintraten, insbesondere in den gewaltigen Kampf der habsburgischen [213] und der französischen Macht um die europäische Hegemonie, wurden sie von jeder Partei mit stetem Mißtrauen betrachtet, selbst von derjenigen, der sie ungeheure Summen geliehen hatten. Der Geldleute war man eben nie sicher, das bloße Geldgeschäft legte sie nie auch nur für den nächsten Augenblick unzweideutig fest, und der Gegner, dessen Bekämpfung sie soeben unterstützt hatten, sah darin gar kein Hindernis, nun seinerseits mit Forderungen oder Anerbietungen an sie heranzutreten. Das Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man mit dem negativen Begriffe der Charakterlosigkeit bezeichnet. Dem Menschen, den wir charakterlos nennen, ist es wesentlich, nicht durch die innere und inhaltliche Dignität von Personen, Dingen, Gedanken sich bestimmen zu lassen, sondern durch die quantitative Macht, mit der das Einzelne ihn beeindruckt, vergewaltigt zu werden. So ist es der von allen spezifischen Inhalten gelöste und in reiner Quantität bestehende Charakter des Geldes, der ihm und den nur nach ihm gravitierenden Menschen die Färbung der Charakterlosigkeit einträgt – die fast logisch notwendige Schattenseite jener Vorteile des Geldgeschäftes und der spezifischen Höherwertung des Geldes gegenüber qualitativen Werten. Dieses Übergewicht des Geldes drückt sich zunächst in der angeführten Erfahrung aus, daß der Verkäufer interessierter und beeiferter ist als der Käufer. Denn es verwirklicht sich hier eine für unser ganzes Verhalten zu den Dingen äußerst bedeutsame Form: daß von zwei Wertklassen, die einander gegenüberstehen und als Ganze betrachtet werden, die erste der zweiten entschieden überlegen ist, daß aber der einzelne Inhalt oder Exemplar der zweiten einem entsprechenden der ersten gegenüber den Vorzug hat. So würden wir, vor die Wahl zwischen der Gesamtheit aller materiellen und aller idealen Güter gestellt, uns wohl für die ersteren entscheiden müssen, weil der Verzicht auf sie das Leben überhaupt, mitsamt seinen idealen Inhalten, verneinen würde; während wir nicht schwanken mögen, jedes einzelne herausgegriffene materielle Gut für irgendein ideales dahinzugehen. So sind wir in unseren Beziehungen zu verschiedenen Menschen gar nicht im Zweifel, wieviel wertvoller und unentbehrlicher, als Ganzes empfunden, uns die eine als die andere ist; dennoch, in den einzelnen Momenten und Seiten des Verhältnisses mag uns das als Ganzes wertlosere das erfreulichere und bestechendere sein. So also verhält es sich zwischen dem Geld und den konkreten Wertobjekten: die Wahl zwischen der Gesamtheit der letzteren und der des ersteren würde sogleich dessen innere Wertlosigkeit offenbaren, da wir dann bloß ein Mittel, aber keinen Zweck, dem es diene, mehr hätten; dagegen, das einzelne Geldquantum gegen das einzelne Warenquantum [214] gehalten, wird der Austausch des letzteren gegen das erstere in der Regel mit sehr viel größerer Intensität als der umgekehrte begehrt. Auch besteht dieses Verhältnis nicht nur zwischen den Gegenständen überhaupt und dem Gelde über haupt, sondern auch zwischen diesem und einzelnen Warenkategorien. Die einzelne Stecknadel ist fast wertlos, Stecknadeln überhaupt aber sind fast unentbehrlich und »gar nicht mit Geld aufzuwiegen«. Unzählige Warenarten verhalten sich so: die Möglichkeit, für Geld das einzelne Exemplar ohne weiteres zu beschaffen, entwertet dasselbe prinzipiell dem Gelde gegenüber, das Geld erscheint als die herrschende Macht, die über den Gegenstand verfügt; dagegen die Warenart als Ganze ist in ihrer Bedeutung für uns mit Geld ganz inkommensurabel und hat ihm gegenüber jenen selbständigen Wert, den die leichte Wiederbeschaffbarkeit des singulären Exemplars so oft für unser Bewußtsein überdeckt. Da das praktisch ökonomische Interesse sich aber fast aus schließlich an das einzelne Stück, bzw. eine begrenzte Summe von Stücken, heftet, so hat die Geldwirtschaft es wirklich zustande gebracht, daß unser Wertgefühl den Dingen gegenüber ein Maß an ihrem Geldwert zu finden pflegt. Das aber steht ersichtlich in Wechselwirkung mit jenem überwiegenden Interesse, das Geld statt des Gegenstandes in Händen zu haben.

Und dies läuft schließlich in eine allgemeine Erscheinung aus, die man das Superadditum des Reichtums nennen und dem unearned profit der Bodenrente vergleichen könnte. Der Reiche genießt Vorteile, noch über den Genuß desjenigen hinaus, was er sich für sein Geld konkret beschaffen kann. Der Kaufmann handelt mit ihm solider und billiger als mit dem Armen, jedermann, auch der gar nichts von seinem Reichtum profitiert, begegnet ihm zuvorkommender, als dem Armen, es schwebt eine ideale Sphäre fragloser Bevorzugtheit um ihn. Allenthalben kann man beobachten, wie dem Käufer der kostspieligeren Warengattung, dem Benutzer der höheren Eisenbahnklasse usw. allerhand kleine Bevorzugungen eingeräumt werden; mit dem von ihm bezahlten Sachwert haben diese eigentlich so wenig zu tun, wie das freundlichere Lächeln, mit dem der Kaufmann die teurere Ware verkauft, mit dieser, sondern sie bilden eine Gratisbeilage, die nur dem Konsumenten des Billigeren versagt bleibt, ohne daß er doch – und das ist gewissermaßen das Härteste dabei – über sachliche Übervorteilung zu klagen berechtigt wäre. Am eigentümlichsten vielleicht zeigt dies eine an sich sehr minime Erscheinung. In den Trambahnen einiger Städte gibt es zwei Klassen, die verschiedene Preise kosten, ohne daß die höhere irgendeinen sachlichen Vorteil oder größere Bequemlichkeit böte. Allein man [215] erkauft mit dem höheren Preise das ausschließliche Zusammensein mit Personen, die einen solchen nur anlegen, um von den billiger Fahrenden abgeschlossen zu sein. Hier kann sich der Wohlhabendere einen Vorteil ganz unmittelbar dadurch, daß er mehr Geld bezahlt – nicht erst vermöge eines sachlichen Äquivalents für seinen Aufwand – verschaffen. Äußerlich genommen liegt damit das Gegenteil des Superadditums vor, denn es wird dem Wohlhabenden für sein Geld nicht relativ mehr, sondern relativ weniger geleistet als dem Armen. Allein dennoch ist das Superadditum des Geldes hier sozusagen in negativer, aber besonders reiner Gestalt gegeben: der Wohlhabende gewinnt seinen Vorteil ohne Umweg über eine Sache und ausschließlich dadurch, daß andere nicht so viel Geld aufwenden können wie er. Ja sogar als eine Art moralischen Verdienstes gilt der Reichtum; was sich nicht nur in dem Begriff der Respectability oder in der populären Bezeichnung wohlhabender Leute als »anständiger«, als »besseres Publikum« ausdrückt, sondern auch in der Korrelaterscheinung: daß der Arme behandelt wird, als hätte er sich etwas zuschulden kommen lassen, daß man den Bettler im Zorne davonjagt, daß auch gutmütige Personen sich zu einer selbstverständlichen Überlegenheit über den Armen legitimiert glauben. Wenn für die Straßburger Schlossergesellen im Jahr 1536 bestimmt wird, der Montag Nachmittag solle für alle die arbeitsfrei sein, die über acht Kreuzer Lohn hätten, so wird damit den materiell besser Situierten eine Wohltat erwiesen, die nach der Logik der Moral gerade den Dürftigen hätte zukommen sollen. Aber gerade zu so perversen Erscheinungen steigert sich mehr als einmal das Superadditum des Reichtums: der praktische Idealismus, etwa äußerlich unbelohnter wissenschaftlicher Arbeit, wird für gewöhnlich an einem reichen Manne mit größerem Respekt betrachtet, als ethisch hervorragender verehrt, als an einem armseligen Schulmeister! Dieser Wucherzins des Reichtums, diese Vorteile, die er seinem Besitzer zuwachsen läßt, ohne daß dieser etwas dafür aufzuwenden hätte, ist an die Geldform der Werte geknüpft. Denn alles dies ist offenbar Ausdruck oder Reflex jener unbegrenzten Freiheit der Verwendung, die das Geld allen anderen Werten gegenüber auszeichnet. Hierdurch kommt zustande, daß der Reiche nicht nur durch das wirkt, was er tut, sondern auch durch das, was er tun könnte: weit über das hinaus, was er nun wirklich mit seinem Einkommen beschafft, und was andere davon profitieren, wird das Vermögen von einem Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkeiten umgeben, wie von einem Astralleib, der sich über seinen konkreten Umfang hinausstreckt: darauf weist unzweideutig hin, daß die Sprache erheblichere Geldmittel als »Vermögen« [216] – d.h. als das Können, das Imstandesein schlechthin – bezeichnet. Alle diese Möglichkeiten, von denen freilich nur ein ganz geringer Teil Wirklichkeit werden kann werden dennoch psychologisch saldiert, sie gerinnen zu dem Eindruck einer nicht genau bestimmbaren, jede Festlegung ihres erreichbaren Erfolges ablehnenden Macht, und zwar in um so umfänglicherer und eindrucksvollerer Art, je beweglicher das Vermögen, je leichter es zu jedem möglichen Zweck verfügbar ist, d.h. also, je vollständiger jeder Vermögensbestand Geld oder in Geld umsetzbar ist und je reiner das Geld selbst zum Werkzeug und Durchgangspunkt ohne jede eigene teleologische Qualifikation wird. Die reine Potentialität, die das Geld darstellt, insofern es bloß Mittel ist, verdichtet sich zu einer einheitlichen Macht- und Bedeutungsvorstellung, die auch als konkrete Macht und Bedeutung zugunsten des Geldbesitzers wirksam wird – ungefähr wie dem Reize eines Kunstwerkes nicht nur sein Inhalt und die mit sachlicher Notwendigkeit damit verbundenen seelischen Reaktionen zugerechnet werden, sondern all die zufälligen, individuellen, indirekten Gefühlskombinationen, die es, hier so und dort anders, anklingen läßt und deren unbestimmte Summe doch erst das Ganze seines Wertes und seiner Bedeutsamkeit für uns umschreibt.

In dem Wesen dieses Superadditums, wenn es so richtig gedeutet ist, liegt es, daß es um so stärker hervortreten muß, je vollständiger jene Chance und Wahlfreiheit seiner Verwendung vermöge der Gesamtlage seines Besitzers realisierbar wird. Dies ist am wenigsten bei dem Armen der Fall: denn dessen Geldeinkommen ist, weil es nur für die Notdurft des Lebens ausreicht, von vorn herein determiniert und läßt der Auswahl unter seinen Verwendungsmöglichkeiten nur einen verschwindend kleinen Spielraum. Derselbe erweitert sich mit steigendem Einkommen, so daß jeder Teil des letzteren das Superadditum in dem Maß erwirbt, in dem er von den zur Befriedigung des Notdürftigen, Generellen und Vorherbestimmten erforderlichen Teilen absteht; d.h. also, jeder zu der bereits bestehenden Einnahme hinzukommende Teil besitzt einen höheren Zusatz jenes Superadditums – natürlich unterhalb einer sehr hoch gelegenen Grenze, oberhalb welcher jeder Einkommensteil in dieser Hinsicht gleichmäßig qualifiziert ist. An diesem Punkte kann man die fragliche Erscheinung in einer speziellen Konsequenz ergreifen, und zwar auf Grund einer, wie mir scheint, auch sonst folgenreichen Überlegung. Viele Güter sind in solcher Masse vorhanden, daß sie von den zahlungsfähigsten Elementen der Gesellschaft nicht konsumiert werden können, sondern, um überhaupt abgesetzt [217] zu werden, auch den ärmeren und ärmsten Schichten angeboten werden müssen. Deshalb dürfen derartige Waren nicht teurer sein, als diese Schichten im äußersten Falle zu zahlen imstande sind. Dies könnte man als Gesetz der konsumtiven Preisbegrenzung bezeichnen: eine Ware kann niemals teurer sein, als die unbemitteltste soziale Schicht noch bezahlen kann, der sie wegen ihrer vorhandenen Menge noch angeboten werden muß. Man möchte hierin eine Wendung der Grenznutzentheorie aus dem Individuellen in das Soziale erblicken: statt des niedrigsten Bedürfnisses, das noch mit einer Ware gedeckt werden kann, wird hier das Bedürfnis des Niedrigsten für die Preisgestaltung maßgebend. Diese Tatsache bedeutet einen ungeheuren Vorteil für den Wohlhabenden. Denn dadurch stehen auch ihm nun gerade die unentbehrlichsten Güter zu einem weit niedrigeren Preise zur Verfügung, als er dafür erlegen würde, wenn man es ihm nur abverlangte; dadurch, daß der Arme die einfachen Lebensmittel kaufen muß, macht er sie für den Reichen billig. Wenn dieser selbst einen proportional ebenso großen Teil seines Einkommens an die primärsten Bedürfnisse (Nahrung, Wohnung, Kleider) wenden müßte, wie der Arme, so würde er noch immer, absolut genommen, mehr für Luxuswünsche übrig behalten als dieser. Allein er hat dazu noch den additionellen Vorteil, daß er seine nötigsten Bedürfnisse mit einem relativ viel kleineren Teil seines Einkommens decken kann. Mit dem darüber hinausreichenden nun hat er die Wahlfreiheit in der Verwendung des Geldes, die ihn zum Gegenstand jener, sein tatsächliches ökonomisches Können überragenden Achtung und Bevorzugung macht. Die Geldmittel des Armen sind nicht von dieser Sphäre unbegrenzter Möglichkeiten umgeben, weil sie von vornherein ganz unmittelbar und zweifellos in sehr bestimmte Zwecke einmünden. In seiner Hand sind sie also gar nicht in demselben reinen und abstrakten Sinne »Mittel«, wie in der des Reichen, weil der Zweck schon sogleich in sie hineinreicht, sie färbt und dirigiert, weshalb denn auch unsere Sprache sehr feinfühlig erst den mit erheblichen Geldmitteln Ausgestatteten überhaupt als »bemittelt« bezeichnet. Die mit diesen verbundene Freiheit führt noch nach anderen Seiten hin zu einem Superadditum. Wo öffentliche Funktionäre nicht besoldet werden, ist der Erfolg der, daß nur wohlhabende Leute führende Stellen bekleiden können; so mußte etwa der General des achäischen Bundes nicht weniger als – wenigstens bis vor kurzem – ein englisches Parlamentsmitglied ein wohlhabender Mann sein, und so bildet sich in Ländern, die ihre Beamten sehr niedrig bezahlen, oft eine völlige Plutokratie, eine Art Erblichkeit der hohen Ämter in wenigen Familien heraus. Während [218] die Unbesoldetheit der Stellungen das Geldinteresse von dem Interesse des Dienstes scheint lösen zu sollen, wird so gerade die Beamtenstellung mit allen Ehren, Macht und Chancen, die sie bietet, zu einem Annex des Reichtums. Und daß sich dies an die Geldform desselben knüpft, liegt nahe, weil nur diese wegen ihrer teleologischen Indifferenz der Persönlichkeit die ganz freie Disposition über ihre Zeit, Aufenthaltsort und Betätigungsrichtung läßt. Wenn der Reichtum, wie wir oben sahen, an sich schon Ehrungen erwirbt und, den Doppelsinn des »Verdienstes« mißbrauchend, sich einer Art moralischer Schätzung erfreut, so verdichtet sich dies bei unbesoldeten Staatsfunktionen zu dem, dem Armen unerreichbaren, Machtbesitz der führenden Ämter. Und mit diesen ist nun wieder das weitere Superadditum des Ruhmes patriotischer Aufopferung verbunden, der sicher oft verdient ist, aber auch auf ganz andere als ethische Motive hin dem bloßen Geldbesitz sozusagen auf rein technischem Wege zu Gebote steht. Das Gleiche noch eine Stufe höher hinaufverfolgend, sehen wir, wie Ende des Mittelalters, z.B. in Lübeck, wohlhabende Leute sich gern an mehreren Bruderschaften beteiligten, um dadurch um so sichrer für ihr Seelenheil zu sorgen. Die mittelalterliche Kirche stellte auch für den Gewinn der religiösen Güter technische Wege zur Verfügung, die nur für den Reichen gangbar waren und zunächst einmal noch jenseits ihres transzendenten Zieles ein Quantum irdischen Ansehens und Vorteils, wie jene Teilhaberschaft an mehrerlei Bruderschaften, als ihre unbezahlte Zugabe mit sich brachten. Mehr nach einer rein psychologischen Seite hin zeitigt das Überschreiten der vorhin bezeichneten Vermögensgrenze das folgende Superadditum. Bei einem oberhalb ihrer stehenden Vermögen spielt die Frage, was ein begehrter Gegenstand kostet, in vielen Fällen überhaupt keine Rolle mehr. Das besagt viel mehr und tieferes, als der gewöhnliche Sprachgebrauch mit diesem Ausdruck verbindet. So lange nämlich das Einkommen noch in der angedeuteten Weise irgendwie für bestimmte Verwendungen festgelegt ist, ist jede Ausgabe unvermeidlich mit dem Gedanken der für sie erforderten Geldaufwendung belastet; für die Mehrzahl der Menschen schiebt sich zwischen Wunsch und Befriedigung noch die Frage: was kostet es? und bewirkt eine gewisse Materialisierung der Dinge, die für den wirklichen Geldaristokraten ausgeschaltet ist. Wer Geld über ein bestimmtes Maß hinaus besitzt, gewinnt damit noch den zusätzlichen Vorteil, es verachten zu können. Die Lebensführung, die nach dem Geldwert der Dinge überhaupt nicht zu fragen braucht, hat einen außerordentlichen ästhetischen Reiz, sie kann sich über Erwerbungen nach nur sachlichen, ausschließlich von dem [219] Inhalt und der Bedeutung der Objekte abhängigen Gesichtspunkten entscheiden. In so vielen Erscheinungen die Herrschaft des Geldes auch die Eigenartigkeit der Dinge und deren Bewußtsein herabsetzen mag, so sind doch auch die anderen unverkennbar, in denen das Geld diese steigert: Qualitäten der Objekte haben mindestens die psychologische Chance – so selten sie realisiert sein mag um so individueller hervorzutreten, je mehr das ihnen Gemeinsame, der ökonomische Wert, auf ein außer ihnen stehendes Gebilde projiziert und in ihm lokalisiert Ist. Indern nun jene Lebensführung nach dem Geld nicht fragt, entgeht sie den Ablenkungen und den Schatten, die der rein sachlichen Qualität und Wertung der Dinge durch die dieser innerlich ganz fremde Beziehung auf ihren Geldpreis kommen. Wo also selbst der etwas weniger Bemittelte denselben Gegenstand kaufen kann, wieder ganz Reiche, genießt dieser noch das psychologische Superadditum einer Leichtigkeit, Unmittelbarkeit, Unabgelenktheit des Erwerbes und Genusses, die jenem durch die vor- und mittönende Geldopferfrage getrübt wird. Wenn wir nachher sehen werden, daß die Blasiertheit gerade umgekehrt die Abstumpfung gegen die Besonderheiten und sachlichen Reize der Dinge zum Schatten des Geldreichtums macht, so ist dies kein Beweis gegen jenen Zusammenhang, sondern nur einer für das Wesen des Geldes: durch seine Entfernung von jeder eigenen Bestimmtheit die völlig entgegengesetzt verlaufenden Fäden des inneren und äußeren Lebens aufzunehmen und jedem in der ihm eigenen Richtung ein Werkzeug entschiedenerer Herausbildung und Darstellung zu sein. Darin liegt die unvergleichliche Bedeutung des Geldes für die Entwicklungsgeschichte des praktischen Geistes; mit ihm ist die bisher äußerste Verminderung der Besonderheit und Einseitigkeit aller empirischen Gebilde erreicht. Was man die Tragik der menschlichen Begriffsbildung nennen könnte: daß der höhere Begriff die Weite, mit der er eine wachsende Anzahl von Einzelheiten umfaßt, mit wachsender Leere an Inhalt bezahlen muß, gewinnt im Gelde sein vollkommenes praktisches Gegenbild, d.h. die Daseinsform, deren Seiten Allgemeingültigkeit und Inhaltslosigkeit sind, ist im Geld zu einer realen Macht geworden, deren Verhältnis zu aller Entgegengesetztheit der Verkehrsobjekte und ihrer seelischen Umgebungen gleichmäßig als Dienen wie als Herrschen zu deuten ist, Das Superadditum des Geldbesitzes ist nichts als eine einzelne Erscheinung dieses, man möchte sagen, metaphysischen Wesens des Geldes, daß es über jede Einzelverwendung seiner hinausreicht und, weil es das absolute Mittel ist, die Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt.

[220]

Aus dem Wirkungsbereich dieses Verhältnisses will ich nur noch eine zweite Reihe herausheben. Die über alle spezifischen Zwecke erhabene Mittelsbedeutung des Geldes hat zur Folge, daß es das Interessenzentrum und die eigentliche Domäne solcher Individuen und Klassen wird, deren soziale Stellung sie von vielerlei persönlichen und spezifischen Zielen ausschließt. Daß den römischen Freigelassenen die volle bürgerliche Stellung mit allen ihren Chancen fehlte, bewirkte es, daß sie sich mit Vorliebe auf das Geldgeschäft warfen; und schon in Athen hatte, bei dem ersten Aufkommen reinen Geldhandels im 4. Jahrhundert, der reichste Bankier, Pasion, seine Laufbahn als Sklave begonnen. In der Türkei sind die Armenier, ein verachteter und oft verfolgter Volksstamm, vielfach die Händler und Geldleute – gerade wie es in Spanien unter ähnlichen Verhältnissen die Moriskos waren. In Indien sind diese Erscheinungen häufig: einerseits sind die sozial sehr zurückgedrängten und sonst mit scheuer Zurückhaltung auftretenden Parsen meistens Wechsler oder Bankiers, andrerseits, in manchen Teilen Südindiens, sind die Geldgeschäfte und Reichtümer in den Händen der Tschettis, einer Mischkaste, die wegen mangelnder Kastenreinheit ein sehr geringes Ansehen hat. So warfen sich die Hugenotten in ihrer exponierten und eingeengten Stellung mit größter Intensität auf den Gelderwerb, wie die Quäkerin England. Vom Gelderwerb als solchem kann man, weil eben alle möglichen Wege gleichmäßig zu ihm führen, am wenigsten jemanden prinzipiell ausschließen. Vom reinen Geldgeschäft deshalb nicht, weil es weniger technischer Vorbedingungen bedarf, als jeder andere Erwerb, und sich deshalb leichter der Kontrolle und dem Eingriff entzieht, und zudem, weil der Geldbedürftige in der Regel in einer Notlage ist, in der er schließlich auch die sonst verachtetste Persönlichkeit und den sonst gemiedensten Schlupfwinkel aufsucht. Und weil der in irgendeinem Sinne Rechtlose gerade vom Gebiet der bloßen Geldinteressen nicht fernzuhalten ist, entsteht zwischen beiden Bestimmungen eine Assoziation, die in mehrfachen Richtungen wirksam wird: so droht einerseits dem bloßen Geldmenschen leicht eine soziale Deklassierung, deren Fühlbarkeit er oft nur durch seine Macht und Unentbehrlichkeit entgeht, und so wurde andrerseits den fahrenden Leuten des Mittelalters, die allenthalben schlechtes Recht hatten, doch in Geldsachen unparteilich Recht gemessen. Eben derselbe Erfolg muß eintreten, wenn die Ausschließung sozialer Elemente von den Rechten und Genüssen der Vollbürger nicht mehr durch juristische oder ihnen sonst oktroyierte Bestimmungen, sondern durch freiwilligen Verzicht ihrerseits geschieht. Als die Quäker schon die volle politische Gleichberechtigung [221] hatten, schlössen sie sich selbst von den Interessen der anderen aus: sie schwuren nicht, konnten also keine öffentlichen Ämter übernehmen, sie verschmähten alles, was mit dem Schmuck des Lebens zusammenhängt, sogar den Sport, sie mußten sogar den Landbau aufgeben weil sie den Kirchenzehnten verweigerten. So waren sie, um überhaupt noch ein äußeres Lebensinteresse zu haben, auf das Geld hingewiesen, als auf das einzige, zu dem sie sich den Zugang nicht versperrt hatten. Ganz entsprechend hat man über das herrenhuterische Leben bemerkt, daß ihm aller ideale Gehalt von Wissenschaften, Künsten, heiterer Geselligkeit fehle, und es so neben dem religiösen Interesse nur noch die nackte Erwerbslust als praktischen Impuls bestehen lasse. Die Betriebsamkeit und Habsucht vieler Herrenhuter und Pietisten sei deshalb kein Anzeichen von Heuchelei, sondern von einem kranken, vor den Kulturinteressen flüchtigen Christentum, von einer Frömmigkeit, die nichts irdisch Hohes neben sich duldet, sondern eher noch ein irdisch Niedriges. Ja selbst für die entgegengesetzten Stufen der sozialen Skala bleibt es verhängnisvoll, daß nach Wegfall aller anderen Interessen das am Gelde noch immer als letzte, zäheste, überlebendste Interessenschicht beharrt. Daß der französische Adel des ancien régime sich von seinen sozialen Pflichten zurückzog, lag an der wachsenden Zentralisierung des Staates, der die Verwaltung des bäuerlichen Gebietes selbst in die Hand genommen hatte. Indem der Staat dem Adel alle inhaltlich wertvollen Herrschaftsfunktionen abnahm, hatte für diesen der Güterbesitz keine andere Bedeutung mehr, als: möglichst viel Geld herauszuschlagen. Dies war der letzte, ihm nicht wegzunehmende Interessenpunkt, und auf ihn reduzierte sich deshalb alles, was sonst an lebendiger Verbindung zwischen Adel und Bauer bestanden hatte und wovon der erstere nun abgedrängt war. Macht aber jene nicht zu raubende Möglichkeit schon das Geldgeschäft zur ultima ratio sozial benachteiligter und bedrückter Elemente, so wirkt für sie positiv noch die Macht des Geldes, Stellungen, Einfluß, Genüsse noch da zu gewinnen, wo man von gewissen direkten Mitteln des sozialen Ranges: der Beamtenqualität, bestimmten, ihnen vorenthaltenen Berufen, der Persönlichkeitsentfaltung, ausgeschlossen ist. Denn weil das Geld zwar bloßes Mittel, dieses aber auch in absolutem Maße ist, und so jede Präjudizierung durch irgendeine sachliche Bestimmtheit ablehnt, so ist es ebenso der unbedingte terminus a quo zu allem hin, wie es der unbedingte terminus ad quem von allem her ist. Darum treten ganz entsprechende Erscheinungen auf, wo kein Ausschluß einer Gruppenabteilung von den Zweckreihen der anderen vorliegt, sondern die gleiche teleologische Formung sich auf die [222] ganze Gruppe erstreckt. Von den Spartanern, denen alle eigentlich ökonomischen Interessen untersagt waren, wird doch eine auffallende Geldgier berichtet. Es scheint, daß die Leidenschaft nach einem Besitz, dessen Verteilung die lykurgische Verfassung unpraktisch geordnet hatte, gerade da herausbrach, wo er am wenigsten spezifischen Charakter trug und seine Einschränkung also am undurchführbarsten war. Auch wird erwähnt, daß in bezug auf den realen Genuß des Besitzes in. Sparta lange kein Unterschied zwischen Arm und Reich war, daß die Reichen nicht besser lebten als die Armen: um so mehr mußte sich die Pleonexie auf den bloßen Besitz des Geldes werfen! Auf ganz andere Momente hin ist die gleiche Grundkonstellation wirksam, wenn ein Fragment des Ephoros besagt, Ägina wäre deshalb ein solcher Haupthandelsplatz geworden, weil die Unfruchtbarkeit des Bodens die Einwohner auf den Handel hingewiesen hätte und Ägina war die erste Stelle im eigentlichen Hellas, wo überhaupt Geldmüntzen geprägt wurden! Weil das Geld der gemeinsame Schnittpunkt der Zweckreihen ist, die von jedem Punkt der ökonomischen Welt zu jedem anderen laufen, so nimmt es jeder von jedem. Zu der Zeit, als der Fluch der »Unehrlichkeit« am schwersten auf bestimmten Berufen lastete, nahm man dennoch Geld sogar vom Henker, wenngleich man möglichst einen Ehrlichen suchte, von dem man es zuerst anfassen ließ! Von der Einsicht in diese alles überwindende Macht aus verteidigte Macaulay die Emanzipation der Juden damit, daß es ein Widersinn wäre, ihnen die politischen Rechte vorzuenthalten, da sie vermöge ihres Geldes die Substanz derselben doch besäßen. Sie könnten Wähler kaufen, Könige lenken, als Gläubiger ihre Schuldner beherrschen, so daß politische Rechte nichts als die formale Vollendung von dem wären, was sie schon hätten. Um ihnen das politische Recht wirklich zu nehmen, müßte man sie ermorden und berauben; ließe man ihnen aber ihr Geld, so we may take away the shadow, but we must leave them the substance – ein für die teleologische Drehung des Geldbegriffes höchst charakteristischer Ausdruck; denn rein inhaltlich möchte man die soziale, politische, personale Position doch als einen realen und substanziellen Wert, das Geld aber, die an sich leere Symbolisierung anderweitiger Werte, als den bloßen Schatten bezeichnen!

Es braucht nicht betont zu werden, daß jene ganze Korrelation zwischen Zentralität des Geldinteresses und sozialer Gedrücktheit an den Juden ihr umfänglichstes Beispiel hat. Ich will deshalb in Hinsicht ihrer nur zwei Gesichtspunkte bezeichnen, als für die hier fragliche Wesensbedeutung des Geldes besonders erheblich. Weil der Reichtum der Juden in Geld bestand, waren sie ein so besonders [223] gesuchtes und fruchtbares Ausbeutungsobjekt; denn kein anderer Besitz läßt sich so schnell, einfach und verlustlos mit Beschlag belegen. Wie man die wirtschaftlichen Güter in Hinsicht ihres Erwerbes durch Arbeit in eine Skala größerer oder geringerer Zweckmäßigkeit reihen, kann, so in Hinsicht ihres Erwerbes durch Raub. Wenn man jemandem sein Land fortnimmt, so kann man den Vorteil davon – außer wenn man es eben gleich wieder in Geld umsetzt -nicht ohne weiteres realisieren, Zeit, Mühe, Aufwendungen werden erfordert. Praktischer verhalten sich natürlich schon Mobilien, so viele hier wirksame Unterschiede auch unter ihnen bestehen: im mittelalterlichen England war z.B. die Wolle in dieser Hinsicht das zweckmäßigste, sie war a sort of circulating medium, in dem das Parlament den Königen Auflagen bewilligte, und an das diese sich zuerst hielten, wenn sie von den Kaufleuten Geld erpressen wollten. Das Geld bildet den äußersten Punkt dieser Skala. Derselbe von aller spezifischen Bedingtheit gelöste Charakter, der das Geld den Juden in ihrer Pariastellung zum geeignetsten und am wenigsten versagbaren Erwerbszwecke machte, ließ es auch zum geeignetsten und unmittelbarsten Anreiz werden, sie auszuplündern. Es ist durchaus kein Gegenbeweis, sondern zeigt die auf Grund eben dieser Züge dem Gelde zuwachsende Macht nur von der anderen Seite, wenn wir von den mittelalterlichen Judenaustreibungen hören, in einigen Städten seien es die reichen Juden, in anderen aber gerade die armen gewesen, auf die sich die Verfolgung richtete.

Die Beziehung der Juden zum Geldwesen äußert sich weiterhin in einer soziologischen Konstellation, die jenen Charakter des Geldes ebenso zum Ausdruck bringt. Die Rolle, die der Fremde innerhalb der sozialen Gruppe spielt, weist ihn von vornherein auf die durch Geld vermittelten Beziehungen zu ihr an, zunächst wegen der Transportfähigkeit und der über die Gruppengrenzen hinausreichenden Verwertbarkeit des Geldes. Die Relation zwischen dem Geldwesen und dem Fremden als solchem kündigt sich schon in einer Erscheinung bei einigen Naturvölkern an. Das Geld besteht dort aus Zeichen, die von auswärts eingeführt werden, so daß es z.B. auf den Salomoinseln wie in Ibo am Niger eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder sonst Geldzeichen herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in benachbarten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren. Das erinnert an die Mode, die so oft gerade wenn sie von außen importiert ist, besonders geschätzt und mächtig ist. Geld und Mode sind Ausgestaltungen sozialer Wechselwirkungen, und es scheint, als ob die Sozialelemente manchmal wie die Augenachsen am besten auf einen nicht zu nahe [224] gelegenen Punkt konvergierten. Der Fremde als Person aber ist aus demselben Grunde, der das Geld dem sozial Entrechteten so wertvoll macht, dafür vor allem interessiert: weil es ihm Chancen gewährt, die dem Vollberechtigten, bzw. dem Einheimischen auf spezielleren, sachlichen Wegen und durch persönliche Beziehungen zugängig sind; es wird betont, daß die Fremden es waren, die vor dem babylonischen Tempel den einheimischen Mädchen das Geld in den Schoß warfen, für das diese sich prostituierten. Der Zusammenhang zwischen der soziologischen Bedeutung des Fremden und der des Geldes hat aber noch eine weitere Vermittlung. Das reine Geldgeschäft ist nämlich ersichtlich etwas Sekundäres; das zentrale Geldinteresse äußert sich vielmehr zunächst und hauptsächlich im Handel. Aus sehr triftigen Gründen ist aber der Händler, am Anfang der wirtschaftlichen Bewegungen, ein Fremder. So lange die Wirtschaftskreise noch kleine sind und keine raffinierte Arbeitsteilung besitzen, genügt unmittelbarer Tausch oder Kauf zu der erforderlichen Verteilung; des Händlers bedarf es erst für das Herbeischaffen der in der Ferne produzierten Güter. Nun aber zeigt sich die Entschiedenheit dieses Verhältnisses auch sofort an seiner Umkehrbarkeit: nicht nur der Händler ist ein Fremder, sondern auch der Fremde ist dazu disponiert, ein Händler zu werden. Das tritt hervor, sobald der Fremde nicht nur vorübergehend anwesend ist, sondern sich niederläßt und dauernden Erwerb innerhalb der Gruppe sucht: in Platos »Gesetzen« wird den Bürgern aller Gold- und Silberbesitz verboten und aller Handel und Gewerbebetrieb prinzipiell den Fremden vorbehalten. So lag, daß die Juden ein Handelsvolk wurden, außer an ihrer Unterdrückung, auch an ihrer Zerstreuung durch alle Länder. Erst während des letzten babylonischen Exils wurden die Juden in die Geldgeschäfte eingeweiht, die ihnen bis dahin unbekannt gewesen waren: und nun wird sogleich hervorgehoben, es seien besonders die Juden der Diaspora gewesen, die sich diesem Beruf in größerer Anzahl widmeten. Zersprengte Leute, in mehr oder weniger geschlossene Kulturkreise hineindringend, können schwer Wurzel schlagen, eine freie Stelle in der Produktion finden und sind deshalb zunächst auf den Zwischenhandel angewiesen, der viel elastischer ist als die Urproduktion selbst, dessen Spielraum durch bloß formale Kombinationen fast unbegrenzt zu erweitern ist und der deshalb von außen kommende, nicht von der Wurzel her in die Gruppe hineingewachsene Elemente am ehesten aufnehmen kann. Der tiefe Zug der jüdischen Geistigkeit: sich viel mehr in logisch-formalen Kombinationen als in inhaltlich schöpferischer Produktion zu bewegen, [225] wegen, muß mit dieser wirtschaftsgeschichtlichen Situation in Wechselwirkung stehen. Daß der Jude ein Fremder war, ohne organische Verbindung mit seiner Wirtschaftsgruppe, das wies ihn auf den Handel und dessen Sublimierung im reinen Geldgeschäft hin. Mit einer sehr merkwürdigen Einsicht in die Lage der Juden gestattete ihnen ein Statut von Osnabrück um 1300 ausnahmsweise wöchentlich einen Pfennig von der Mark Zinsen zu nehmen, also jährlich 36 1/9%, während sonst höchstens 10% genommen wurden. Spezifisch wichtig wurde es, daß der Jude nicht nur der Stammfremde, sondern auch der Religionsfremde war. Weil für ihn deshalb das mittelalterliche Verbot des Zinsennehmens nicht galt, war er die indizierte Persönlichkeit für die Geldleihe. Es ist eben die Gelöstheit vom Boden, die die hohen Zinsen für die Juden begründete: denn Grundschulden waren ihnen nie sicher und ferner mußten sie immer fürchten, daß eine höhere Gewalt ihre Forderungen für aufgehoben erklärte (so König Wenzel für das Land Franken 1390, Karl IV. 1347 für den Burggrafen von Nürnberg, Herzog Heinrich von Bayern 1338 für die Bürger von Straubing usw.). Der Fremde braucht für seine Unternehmungen und Ausleihen eine höhere Risikoprämie. – Dieser Zusammenhang gilt aber nicht nur für die Juden, sondern er ist so tief im Wesen des Handels und des Geldes begründet, daß er eine Reihe anderer Erscheinungen nicht weniger beherrscht. Ich erwähne hier nur einige neuzeitliche. Die Weltbörsen des 16. Jahrhunderts, Lyon und Antwerpen, erhielten ihr Gepräge durch die Fremden, und zwar auf Grund der fast unbeschränkten Handelsfreiheit, die der fremde Kaufmann gerade an diesen Plätzen genoß. Und das steht wieder mit dem Geldverkehrscharakter dieser Plätze in Zusammenhang: Geldwirtschaft und Handelsfreiheit haben tiefe innere Beziehungen, wie oft diese auch durch historische Zufälligkeiten und irrige Regierungsmaximen verdunkelt sein mögen. Die geldgeschäftliche Rolle des Fremden zeigt so recht ihre Verknüpfung. Die finanzielle Bedeutung mancher Florentiner Familien, in der Mediceerepoche, beruhte gerade darauf, daß sie von den Mediceern verbannt oder ihrer politischen Macht beraubt und infolgedessen darauf angewiesen waren, durch Geldgeschäfte in der Fremde – da sie in der Fremde eben keine anderen treiben konnten – von neuem zu Kraft und Bedeutung zu gelangen. Es ist der Betrachtung nicht unwert, wie danebenherlaufende, scheinbar entgegengesetzte Erscheinungen, genau angesehen, eben dasselbe Verhältnis erweisen. Als Antwerpen im 16. Jahrhundert der unbestrittene Welthandelsplatz war, ruhte seine Bedeutung auf den Fremden, den Italienern, [226] Spaniern, Portugiesen, Engländern, Oberdeutschen, die sich dort niedergelassen hatten und ihre Waren umsetzten. Die eingeborenen Antwerpener spielten bei dem Warenhandel eine sehr geringe Rolle und waren hauptsächlich als Kommissionäre und im Geldgeschäft als Bankiers tätig. In dieser internationalen und durch die Interessen des Welthandels vereinheitlichten Gesellschaft spielte eben der Eingeborene die Rolle, die sonst vielfach der Fremde spielt: das Entscheidende ist hier das soziologische Verhältnis zwischen einer großen Gruppe und einzelnen, ihr fremd gegenüberstehenden Individuen; diese werden eben durch die Beziehungslosigkeit zu den konkreteren Interessen auf das Geldgeschäft mit jenen hingewiesen. Gewiß wird in den meisten Fällen dieses Verhältnis sich zwischen Eingeborenen und Fremden herstellen; aber schon als die Angelsachsen die britische Bevölkerung, soweit sie nicht verjagt war, in sich aufgenommen hatten, nannten sie sie »die Fremden«; und wo, wie es in Antwerpen stattfand, die Fremden die große zusammenhängende Gruppe und die Eingeborenen die dazwischen versprengte Minorität bilden, da zeigt sich an dem Ergebnis, daß die gleiche soziologische Ursache die gleiche Folge, hat, während die Frage, welches der Elemente gerade an der Lokalität eingeboren und welches fremd ist, an sich hierfür bedeutungslos ist. Weit über die sozusagen privaten Gründe hinaus, aus denen der einzelne Fremde innerhalb einer Gruppe zum Handel und zuhöchst zum Geldhandel designiert scheint, begegnen uns die ersten großen Transaktionen der neuzeitlichen Bankiers, im 16. Jahrhundert, als durchaus im Ausland sich abspielend. Das Geld ist von der lokalen Beschränktheit der meisten teleologischen Reihen emanzipiert, weil es das Mittelglied von jedem beliebigen Ausgangspunkt zu jedem beliebigen Endpunkt ist; und wenn, so möchte man fast sagen, jedes Element des historischen Seins diejenige Wirkungsform sucht, in der es sein Spezifisches, die gerade ihm eigentümliche Stärke am reinsten ausdrücken kann, so drängt dieses früheste moderne Großkapital, wie in dem Expansionsstreben jugendlichen Übermutes, zu einer Verwendung, in der ihm seine raumüberspringende Macht, seine Überall-Verwendbarkeit, seine Parteilosigkeit zum stärksten Bewußtsein kam. Der Haß des Volkes auf die großen Finanzhäuser hing wesentlich damit zusammen, daß ihre Besitzer und meistens auch ihre Vertreter Fremde zu sein pflegten: es war der Haß des nationalen Empfindens gegen das Internationale, der Einseitigkeit, die sich ihres spezifischen Wertes bewußt ist, und sich dabei von einer indifferenten, charakterlosen Macht vergewaltigt fühlt, deren Wesen ihr im Fremden als solchem personifiziert wurde; es entspricht dies ganz [227] der Aversion der konservativen athenischen Volksmasse gegen den Intellektualismus der Sophisten und des Sokrates, gegen dieses neue, unheimliche Machtmittel des Geistes, das, neutral und herzlos wie das Geld, seine aller überlieferten Schranken spottende Macht zuerst so oft im Niederreißen zeigte. Dazu kam, diese Tendenz des Geldes gleichsam objektivierend, daß die ungeheure Ausdehnung der Geldgeschäfte damals den unendlichen Kriegen entstammte, zwischen dem Kaiser und dem französischen König, den Religionskriegen in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich usw. Der Krieg, der unmittelbar nur reine unproduktive Bewegung ist, bemächtigte sich der Geldmittel vollständig und bewirkte eine völlige Überwucherung des soliden Warenhandels – der stets mehr lokal gebunden ist – durch den Geldhandel. Ja, der Weg des Großkapitals ins Ausland wurde auf diesem Umwege direkt landesverräterisch. Die französischen Könige haben lange mit Hilfe von Florentiner Bankiers Krieg gegen Italien geführt, sie haben Lothringen und später Elsaß unter dem Beistand deutschen Geldes vom Deutschen Reich losreißen können, die Spanier haben sich der italienischen Geldmächte bedienen dürfen, um Italien zu beherrschen. Erst das 17. Jahrhundert hat in Frankreich, England, Spanien diesem Umherflattern des Geldkapitals, in dem es die Losgebundenheit seines reinen Mittelscharakters offenbarte, ein Ende zu machen und das Kapitalbedürfnis der Regierungen im eigenen Lande zu decken gestrebt. Und wenn die Finanz der modernsten Zeit wieder in vieler Hinsicht international geworden ist, so hat dies doch ganz andere Bedeutung: »Fremde« in jenem alten Sinne gibt es eben heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr Recht haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich vereinheitlichenden Organismus gebildet. Das Geld hat den Charakter, der es ehemals zur Domäne des Fremden machte, nicht verloren, sondern sogar durch die Vermehrung und Variierung der in ihm gekreuzten teleologischen Reihen immer mehr ins Abstrakte und Farblose gesteigert. Der Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen den Einheimischen und den Fremden bestand, ist nur deshalb fortgefallen, weil die einst von ihm getragene Geldform des Verkehrs die Gesamtheit des Wirtschaftskreises ergriffen hat. Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem Rate, den ich einmal geben hörte: man solle mit zwei Menschen niemals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde. Die indifferente Objektivität des Geldgeschäftes tritt in dem einen Fall in einen fast niemals ganz zu glättenden Konflikt mit der Personalität [228] des Verhältnisses, in dem anderen gibt eben derselbe Umstand feindseligen Absichten weiten Spielraum, in tiefem Zusammenhange damit, daß unsere geldwirtschaftlichen Rechtsformen nirgends präzise genug sind, um böswillige Schädigung mit Sicherheit auszuschließen. Der indizierte Partner für das Geldgeschäft – in dem, wie man mit Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört – ist die uns innerlich völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.

[229]

II.

In dem Vorhergehenden ist eine Tatsache des Wertgefühls vorausgesetzt worden, deren Selbstverständlichkeit für uns leicht über ihre Bedeutsamkeit hinwegtäuschen kann. Das Geld ist uns wertvoll, weil es das Mittel zur Erlangung von Werten ist; aber ebenso gut könnte man doch sagen: obgleich es nur das Mittel dazu ist. Denn logisch notwendig erscheint es keineswegs, daß der Ton des Wertes, der auf den Endzwecken unseres Handelns ruht, sich auch auf die Mittel übertrage, die an sich und ohne Einstellung in die teleologische Reihe völlig wertfremd wären. Daß diese Wertübertragung, auf Grund rein äußerer Zusammenhänge, stattfindet, ordnet sich in eine sehr allgemeine Form unserer geistigen Bewegungen ein, die man die psychologische Expansion der Qualitäten benennen könnte. Wenn nämlich eine sachliche Reihe von Gegenständen, Kräften, Geschehnissen ein Glied enthält, das bestimmte subjektive Reaktionen in uns auslöst: Lust oder Unlust, Liebe oder Haß, positive oder negative Wertgefühle – so scheint uns dieser Wert nicht nur auf seinem unmittelbaren Träger zu haften, sondern wir lassen auch die anderen, an sich nicht ebenso ausgezeichneten Glieder der Reihe an ihm teilhaben: dies ist keineswegs nur bei teleologischen Reihen der Fall, deren Endglied seine Bedeutung auf alle Ursachen seiner Verwirklichung ausstrahlt, sondern auch bei anders laufenden Verknüpfungen der Elemente: alle Mitglieder einer Familie partizipieren an der Ehrung oder Degradierung eines einzelnen von ihnen; die unbedeutendsten Produkte eines großen Dichters genießen, weil andere bedeutend sind, eine ihnen an sich nicht zukommende Schätzung; Neigung oder Haß des Einzelnen, aus politischer Parteistellung entsprungen, erstreckt sich auf diejenigen Punkte der Parteiprogramme, denen an und für sich er gleichgültig oder mit entgegengesetzten Gefühlen gegenüberstehen würde; die Liebe zu einem Menschen, von dem sympathischen Gefühl für eine seiner Wesensseiten ausgehend, umfaßt schließlich seine Gesamtpersönlichkeit und damit vielerlei Eigenschaften und Äußerungen mit der gleichen Leidenschaft, auf die diese ohne solchen Zusammenhang keinen Anspruch erheben würden. Kurz, wo nur immer Mehrheiten von Menschen [230] und Dingen sich durch irgendwelche Verknüpfung als Einheiten darbieten, fließt das Wertgefühl, das ein einzelnes Element hervorruft, gleichsam durch die zusammenhaltende Wurzel des Systems hindurch auch auf die anderen über, die an sich jenem Gefühle fremd sind. Gerade weil die Wertgefühle nichts mit der Struktur der Dinge selbst zu tun, sondern ihr unüberschreitbares Gebiet jenseits dieser haben, halten sie sich nicht streng an ihre logischen Begrenzungen, sondern entfalten sich mit einer gewissen Freiheit über die objektiv gerechtfertigten Beziehungen zu den Dingen hinaus. Wenn es an sich etwas irrationales hat, daß die relativen Höhepunkte des Seelenlebens ihre benachbarten, an sich aber nicht in jene Qualitäten hinaufreichenden Momente färben, so offenbart dies dennoch den ganzen beglückenden Reichtum der Seele, ihr von innen her bestimmtes Bedürfnis, die einmal empfundenen Bedeutsamkeiten und Werte auch nach dem vollen Maße ihrer inneren Resonanz an den Dingen auszuleben, ohne ängstlich nach dem Rechtsgrund zu fragen, nach dem jedes seinen Anteil beanspruchen könnte.

Die rationellste und einleuchtendste von allen Formen solcher Expansion der Qualitäten ist sicher die der Zweckreihe. Sachlich allerdings erscheint auch diese nicht unbedingt notwendig; denn die Bedeutung, die das an sich gleichgültige Mittel dadurch erhält, daß es einen wertvollen Zweck verwirklicht, brauchte keineswegs in einem darauf übertragenen Werte zu bestehen, sondern könnte eine eigenartige Kategorie sein, die auf die außerordentliche Häufigkeit und Wichtigkeit dieser Konfiguration hin wohl hätte entstehen können. Allein tatsächlich hat nun einmal die psychologische Expansion die Wertqualität ergriffen und nur den Unterschied bestehen lassen, nach dem man den Wert des Endzwecks als absoluten, den der Mittel als relativen bezeichnen kann. Absolut – in dem hier fraglichen, praktischen Sinne – ist der Wert der Dinge, an denen ein Willensprozeß definitiv haltmacht. Dieses Haltmachen braucht natürlich keine zeitlich ausgedehnte Fermate zu sein, sondern nur der Abschluß einer Innervationsreihe, so daß, wenn diese sich in dem Befriedigungsgefühl ausgelebt hat, das Weiterleben des Wollens sich in neuen Innervationen kundgeben muß. Relativ wertvoll dagegen ist ein Objekt, wenn das Fühlen seiner als eines Wertes dadurch bedingt ist, daß seine Verwirklichung die eines absoluten Wertes bedingt; es zeigt seine Relativität darin, daß es seinen Wert in dem Augenblick einbüßt, in dem ein anderes Mittel zu demselben Zweck als das wirksamere oder erreichbarere erkannt wird. Mit dem oben behandelten Gegensatz des objektiven und des subjektiven Wertes fällt der des absoluten und relativen so wenig zusammen, daß sowohl [231] innerhalb der subjektiven wie der objektiven Wertsetzungen der letztere Gegensatz sich entfalten kann. – Ich habe hier die Begriffe des Wertes und des Zweckes ziemlich ungeschieden gebraucht; tatsächlich sind beide in diesem Zusammenhange nur verschiedene Seiten einer und derselben Erscheinung: die Sachvorstellung, die nach ihrer theoretisch-gefühlsmäßigen Bedeutung ein Wert ist, ist nach ihrer praktisch-willensmäßigen ein Zweck.

Die seelischen Energien nun, die die eine und die andere Art der Werte und Zwecke setzen, sind sehr verschiedener Natur. Die Kreierung eines Endzwecks ist unter allen Umständen nur durch eine spontane Willenstat möglich, während einem Mittel sein relativer Wert ebenso unbedingt nur vermittels theoretischer Erkenntnis zuerkannt werden kann. Die Setzung des Zieles erfolgt aus dem Charakter, der Stimmung, dem Interesse; den Weg aber schreibt uns die Natur der Dinge vor; die Formel, die über so viele Lebensverhältnisse mächtig ist: daß das Erste uns freisteht und wir beim Zweiten Knechte sind, gilt deshalb nirgends ausgedehnter als auf dem teleologischen Gebiet. Allein diese Entgegengesetztheit, in der sich das sehr mannigfaltige Verhältnis unserer inneren Kräfte zum objektiven Sein offenbart, verhindert keineswegs, daß einer und derselbe Inhalt aus der einen Kategorie in die andere übertrete. Gerade die Spontaneität der Endzwecksetzung, zusammen mit der Tatsache, daß die Mittel psychologisch an dem Werte ihres Zieles teilhaben, ermöglicht die Erscheinung, daß das Mittel für unser Bewußtsein völlig den Charakter eines definitiven, für sich befriedigenden Wertes annehmen kann. Obgleich dies nur durch die Unabhängigkeit der letzten Willensinstanz in uns von aller verstandesmäßigen logischen Begründung möglich ist, so kann die Tatsache selbst, so sehr sie der Zweckmäßigkeit zuwiderzulaufen scheint, derselben dennoch dienen. Es ist nämlich keineswegs ausgemacht, kann vielmehr nur bei ganz flüchtigem Hinsehen gelten, daß wir unsere Zwecke am besten erreichen, wenn sie uns am klarsten als solche bewußt sind. So schwierig und unvollkommen nämlich der Begriff des »unbewußten Zweckes« auch sei – die damit ausgedrückte Tatsache: daß unser Handeln in der genauesten Anpassung an gewisse Endziele verläuft und ohne irgendwelche Wirksamkeit derselben völlig unverständlich ist, während in unserem Bewußtsein von ihrer Wirksamkeit nichts zu finden ist – diese Tatsache wiederholt sich so unendlich oft und so unsere ganze Daseinsart bestimmend, daß wir eine besondere Bezeichnung für sie gar nicht entbehren können. Wir müßten sie nur mit dem Ausdruck des unbewußten Zweckes nicht erklärt, sondern nur benannt haben wollen. Das Problem wird durchsichtiger, wenn [232] wir uns das Selbstverständliche immer vor Augen halten, daß unser Handeln nie durch einen Zweck als durch etwas, was sein wird, verursacht ist, sondern immer nur durch ihn als eine physisch-psychische Energie, die vor dem Handeln besteht. Daraufhin läßt sich nun der folgende Sachverhalt vermuten. Unsere gesamten Betätigungen werden einerseits durch zentrale, aus unserem innerlichsten Ich entspringende Kräfte, andrerseits durch die Zufälligkeiten von Sinneseindrücken, Launen, äußeren Anregungen und Bedingtheiten gelenkt, und zwar in sehr mannigfaltigen Mischungen beider. Unser Handeln ist in demselben Maß zweckmäßiger, in dem der erstere Faktor überwiegt, in dem die aus dem geistigen Ich im engeren Sinne stammenden Energien alles mannigfaltig Gegebene in ihre eigene Richtung lenken. Wenn ein erhebliches Quantum gespannter Energie in uns einheitlich gesammelt ist, derart, daß ihre allmähliche Entladung eben jene unentwegte, alles Äußerliche von dem Ausgangspunkt her beherrschende Richtung einhält – eine Konstellation, die sich formal identisch auch an nebensächlichen und verwerflichen Interessen verwirklicht – so heißt diese reale, physisch-psychische Potentialität, wenn sie sich im begrifflichen Bewußtsein spiegelt, eben Zweck. Ist dieser nun als Bewußtseinsvorgang der seelische Reflex der so bezeichneten Energiespannung, so ist klar, wieso er, bei der tatsächlichen weiteren Entwicklung derselben, als bewußter fortfallen kann: denn eben sein reales Fundament ist ja in der Auflösung begriffen; es setzt sich allmählich in wirkliche Aktionen um und lebt nur noch in seinen Wirkungen fort. Und obgleich, nach der Struktur unseres Gedächtnisses, die einmal entstandene Zweckvorstellung, jene reale Grundlage überlebend, im Bewußtsein weiterbestehen kann, so ist dies doch für die Aktionen, die von ihr durchdrungen und gelenkt erscheinen, nicht erforderlich. Vielmehr, wenn diese Konstruktion richtig ist, so bedarf es, damit wir in teleologischen Reihen handeln, nur des Vorhanden-Gewesenseins jener Energieeinheit, also der einmaligen Existenz des Zweckes überhaupt. Was an ihm wirkliche Kraft war, lebt sich in dem daraufhin eintretenden Handeln aus, dieses bleibt von seinem Ausgangspunkt, dem Zwecke, gelenkt, gleichviel ob dieser als fortbestehender Bewußtseinsinhalt die praktische Reihe noch länger begleitet oder nicht.

Nun ist aber weiterhin klar, daß, wenn das Bewußtsein des Zweckes lebendig bleibt, es nichts rein ideelles, sondern auch seinerseits ein Prozeß ist, der organische Kraft und Bewußtseinsintensität verbraucht. Die allgemeine Lebenszweckmäßigkeit wird also dahin streben, ihn auszuschalten, da er ja zu der teleologischen Lenkung unseres Handelns prinzipiell (von allen Komplikationen und Ablenkungen [233] abgesehen) nicht mehr nötig ist. Und dies scheint nun endlich die Erfahrungstatsache durchsichtig zu machen: daß das Endglied unserer praktischen Reihen, nur durch die Mittel realisierbar, um so sicherer von diesen hervorgebracht wird, je vollständiger unsere Kräfte auf die Hervorbringung der Mittel gerichtet und konzentriert sind. Eben diese Herstellung der Mittel ist die eigentlich praktische Aufgabe; je gründlicher sie gelöst ist, desto mehr wird der Endzweck der Willensbemühung entraten können und sich als der mechanische Erfolg des Mittels einstellen. Dadurch, daß der Endzweck immerzu im Bewußtsein ist, wird eine bestimmte Summe von Kraft verbraucht, die der Arbeit an den Mitteln entzogen wird. Das praktisch Zweckmäßigste ist also die volle Konzentrierung unserer Energien auf die nächst zu verwirklichende Stufe der Zweckreihe; d.h., man kann für den Endzweck nichts Besseres tun, als das Mittel zu ihm so zu behandeln, als wäre es er selbst. Die Verteilung der psychologischen Akzente, deren es mangels unbeschränkt verfügbarer Kräfte bedarf, folgt also durchaus nicht der logischen Gliederung: während für diese das Mittel etwas völlig Gleichgültiges ist und alle Betonung auf dem Zweck liegt, verlangt die praktische Zweckmäßigkeit die direkte psychologische Umkehrung dieses Verhältnisses. Was die Menschheit dieser scheinbar so irrationellen Tatsache verdankt, ist nicht auszusagen. Wir würden wahrscheinlich über die primitivsten Zwecksetzungen nie hinausgekommen sein, wenn unser Bewußtsein immer an diesen hängen und so für den Bau mannigfaltigerer Mittel nur unvollkommen frei sein würde; oder wir würden eine unerträgliche und lähmende Zersplitterung erfahren, wenn wir bei der Arbeit an jedem untergeordneten Mittel die ganze Reihe darüber gebauter weiterer Mittel mit dem schließlichen Endzweck fortwährend im Bewußtsein haben müßten; wir würden endlich für die Aufgabe des Augenblicks oft überhaupt weder Kraft noch Lust haben, wenn wir uns ihre Minimität gegenüber den letzten Zielen immer mit logischer Gerechtigkeit vor Augen hielten und nicht alle Kräfte, die dem Bewußtsein überhaupt entsprechen, gesammelt in den Dienst des vorläufig Notwendigen stellten. – Es liegt auf der Hand, daß diese Metempsychose des Endzwecks um so häufiger, und gründlicher stattfinden muß, je komplizierter die Technik des Lebens wird. Mit steigendem Wettbewerbe und steigender Arbeitsleistung werden die Zwecke des Lebens immer schwerer zu erreichen, d.h. es bedarf für sie eines immer höheren Unterbaues von Mitteln. Ein ungeheurer Prozentsatz der Kulturmenschen bleibt ihr Leben lang in dem Interesse an der Technik, in jedem Sinne des Wortes, befangen; die Bedingungen, die die Verwirklichung ihrer Endabsichten [234] tragen, beanspruchen ihre Aufmerksamkeit, konzentrieren ihre Kräfte derart auf sich, daß jene wirklichen Ziele dem Bewußtsein völlig entschwinden, ja, oft genug schließlich in Abrede gestellt werden. Das wird durch den Umstand begünstigt, daß in kulturell ausgebildeten Verhältnissen das Individuum schon in ein sehr vielgliedriges teleologisches System hineingeboren wird (z.B. in Hinsicht äußerer Sitten, nach deren Ursprung als Bedingungen sozialer Zwecke niemand mehr fragt, die vielmehr als kategorische Imperative gelten), daß er in die Mitarbeit an längst feststehenden Zwecken hineinwächst, daß sogar seine individuellen Ziele ihm vielfach als selbstverständliche aus der umgebenden Atmosphäre entgegenkommen und mehr in seinem tatsächlichen Sein und Sich-Entwickeln als in deutlichem Bewußtsein zur Geltung gelangen. Alle diese Um stände helfen dazu, die Endziele nicht nur des Lebens überhaupt, sondern auch innerhalb des Lebens nur unvollständig über die Schwelle des Bewußtseins steigen zu lassen und die ganze Zuspitzung desselben auf die praktische Aufgabe, die Realisierung der Mittel, zu richten.

Es bedarf wohl keines besonderen Nachweises, daß diese Vordatierung des Endzwecks an keiner Mittelinstanz des Lebens in solchem Umfange und so radikal stattfindet als am Geld, Niemals ist ein Objekt, das seinen Wert ausschließlich seiner Mittlerqualität, seiner Umsetzbarkeit in definitivere Werte verdankt, so gründlich und rückhaltslos zu einer psychologischen Absolutheit des Wertes, einem das praktische Bewußtsein ganz ausfüllenden Endzweck aufgewachsen. Auch wird diese abschließende Begehrtheit des Geldes gerade in dem Maße steigen müssen, in dem es immer reineren Mittelscharakter annimmt. Denn dieser bedeutet, daß der Kreis der für Geld beschaffbaren Gegenstände sich immer weiter ausdehnt, daß die Dinge sich immer widerstandsloser der Macht des Geldes ergeben, daß es selbst immer qualitätsloser, aber eben deshalb jeder Qualität der Dinge gegenüber gleich mächtig wird. Seine wachsende Bedeutung hängt daran, daß alles, was nicht bloß Mittel ist, aus ihm herausgeläutert wird, weil erst so die Reibungen mit den spezifischen Charakteren der Objekte hinwegfallen. Indem sein Wert als Mittel steigt, steigt sein Wert als Mittel, und zwar so hoch, daß es als Wert schlechthin gilt und das Zweckbewußtsein an ihm definitiv haltmacht. Die innere Polarität im Wesen des Geldes: das absolute Mittel zu sein und eben dadurch psychologisch für die meisten Menschen zum absoluten Zweck zu werden, macht es in eigentümlicher Weise zu einem Sinnbild, in dem die großen Regulative des praktischen Lebens gleichsam erstarrt sind. Wir sollen das Leben [235] so behandeln, als ob jeder seiner Augenblicke ein Endzweck wäre, jeder soll so wichtig genommen werden, als ob das Leben eigentlich um seinetwillen bis zu ihm gereicht hätte; und zugleich: wir sollen das Leben so führen, als ob überhaupt keiner seiner Augenblicke ein definitiver wäre, an keinem soll unser Wertgefühl stillhalten, sondern jeder hat als ein Durchgang und Mittel zu höheren und immer höheren Stufen zu gelten. Diese scheinbar widerspruchsvolle Doppelforderung an jeden Lebensmoment, ein schlechthin definitiver und ein schlechthin nicht definitiver zu sein, quillt aus den letzten Innerlichkeiten, in denen die Seele ihr Verhältnis zum Leben gestaltet – und findet, wunderlich genug, eine gleichsam ironische Erfüllung am Gelde, dem äußerlichsten, weil jenseits aller Qualitäten und Intensitäten stehenden Gebilde des Geistes.

Der Umfang, in dem sich das Geld für das Wertbewußtsein verabsolutiert, hängt von der großen Wendung des wirtschaftlichen Interesses von der Urproduktion zum industriellen Betrieb ab. Die neuere Zeit und etwa das klassische Griechentum nehmen dem Gelde gegenüber hauptsächlich daraufhin so verschiedene Stellungen ein, weil es damals nur der Konsumtion, jetzt aber wesentlich auch der Produktion dient. Dieser Unterschied ist von der äußersten Wichtigkeit für die teleologische Rolle des Geldes, das sich auch hier als der treue Index der Wirtschaft überhaupt zeigt: denn auch das allgemeine ökonomische Interesse war damals viel mehr der Konsumtion als der Produktion zugewandt; die letztere war eben hauptsächlich agrarischer Art, und deren einfache und traditionell feststehende Technik fordert keine so erhebliche Aufwendung wirtschaftlichen Bewußtseins wie die fortwährend variierende Industrie, und läßt dieses deshalb sich mehr auf die andere Seite der Wirtschaft, die Konsumtion, richten. Die Entwicklung der Arbeit überhaupt zeigt dies Schema; bei den Naturvölkern ist sie fast nur eine solche, die um des unmittelbar folgenden Verbrauches willen geschieht, nicht um des Besitzes willen, der die Staffel zu weiterem Erwerbe abgäbe, weshalb denn auch die als sozialistisch zu bezeichnenden Bestrebungen und Ideale des Altertums wohl auf eine Organisierung der Konsumtion, aber nicht der produktiven Arbeit gehen; so daß sich hierin Platos Idealstaat ohne weiteres mit der athenischen Demokratie begegnet, zu deren Bekämpfung er gerade bestimmt war. Eine Stelle bei Aristoteles beleuchtet dies besonders scharf. Sobald für die politischen Funktionen ein Sold eingeführt wird, so bewirke dies in der Demokratie ein Übergewicht der Armen über die Reichen. Denn jene seien durch Privatgeschäfte weniger in Anspruch genommen als diese und haben deshalb mehr Zeit, ihre öffentlichen Rechte [236] auszuüben, was sie denn auch um des Soldes willen tun. Es ist hier also schlechthin selbstverständlich, daß die Armen die Beschäftigungsloseren sind. Ist dies aber, im Gegensatz zu späteren Zeiten, nichts Zufälliges, sondern ein prinzipiell in jener Wirtschaftsform Begründetes, so folgt, daß das Interesse der Massen eben nur darauf gehen konnte, unmittelbar zu leben zu haben: eine soziale Struktur, die die Arbeitslosigkeit der Armen voraussetzt, muß im wesentlichen ein konsumtives statt eines produktiven Interesses haben. Die sittlichen Vorschriften, die sich bei den Griechen über das ökonomische Gebiet finden, betreffen fast niemals den Erwerb – freilich schon deshalb, weil an die numerisch weit überragenden Urproduzenten, die Sklaven, sich überhaupt kein soziales oder ethisches Interesse knüpfte. Nur die Verwendung, nicht die Beschaffung gebe, wie Aristoteles meint, Gelegenheit zur Entfaltung positiver Sittlichkeit. Das harmoniert völlig mit seiner und Platos Meinung über das Geld, in dem beide nur ein notwendiges Übel erblicken. Denn wo die Wertbetonung ausschließlich auf der Konsumtion liegt, enthüllt das Geld seinen indifferenten und leeren Charakter besonders deutlich, weil es mit dem Endzweck der Wirtschaft unmittelbar konfrontiert wird; als Produktionsmittel rückt es von jenem weiter ab, es wird rings von anderen Mitteln umgeben, gegen die gehalten es eine ganz ändere relative Bedeutung besitzt. Dieser Unterschied in dem Sinne des Geldes geht auf die letzten Entscheidungen in dem Geiste der Epochen zurück. Das Bewußtseins – Übergewicht des konsumtiven Interesses über das produktive ging, wie eben erwähnt, von dem Vorwiegen agrarischer Produktion aus; der Grundbesitz, die relativ unverlierbare und durch das Gesetz geschützteste Substanz, war der einzige, der dem Griechen das Beharren und die Einheit seines Lebensgefühls gewährleisten konnte. Darin war der Grieche doch noch Orientale, daß er sich die Kontinuität des Lebens nicht anders vorstellen konnte, denn als die Ausfüllung der Zeitreihe mit festen und beharrenden Inhalten: das war das Haften am Substanzbegriff, das die ganze griechische Philosophie charakterisiert. Keineswegs freilich ist damit die Wirklichkeit des griechischen Lebens bezeichnet, sondern gerade sein Versagtes, seine Sehnsucht und Erlösung: das ist die ungeheure Spannweite des griechischen Geistes, daß er seine Ideale nicht nur in der Fortsetzung und Komplettierung der Gegebenheit suchte, wie es bei weniger großen und schwungvollen Volksnaturellen geschieht; sondern daß ihre leidenschaftliche, gefährdete, durch fortwährende Parteiungen und Kämpfe zerrissene Realität ihre Vollendung in ihrem Anderen suchte, in der festen Begrenztheit und den ruhigen Formen ihres Denkens und Bildens. Völlig entgegengesetzt [237] ist die moderne Anschauung, die die Einheit und den Zusammenhang des Lebens in dem Kräftespiel und der gesetzlichen Aufeinanderfolge der inhaltlich abwechslungsvollsten Momente erblickt. Die ganze Mannigfaltigkeit und Bewegtheit unseres Lebens hebt uns nicht das Gefühl seiner Einheit auf – wenigstens prinzipiell nicht, sondern nur in Fällen, die wir selbst als Abirrungen oder Unzulänglichkeiten empfinden – ja gerade von jener wird es getragen, zu stärkstem Bewußtsein gebracht. Aber diese dynamische Einheit war den Griechen fremd; derselbe Grundzug, der ihre ästhetischen Ideale in den Formen der Architektur und der Plastik gipfeln ließ, der ihre Weltanschauung zu der Begrenztheit und Abrundung des Kosmos und zur Perhorreszierung der Unendlichkeit führte – eben dieser ließ sie die Kontinuität des Daseins nur als eine substanzielle anerkennen, die sich an den Grundbesitz anlehnt und an ihm verwirklicht, wie jene moderne am Geld mit seiner fließenden, sich stets aus sich heraussetzenden, die Gleichheit des Wesens an der höchsten und abwechselndsten Mannigfaltigkeit der Äquivalente darstellenden Natur. Dazu kam, um das eigentliche, auf das Geld basierte Handelsgeschäft bei den Griechen zu diskreditieren, daß dasselbe immer etwas Langsichtiges hat und mit der Berechenbarkeit der Zukunft operiert; ihnen aber erschien die Zukunft prinzipiell als etwas Unberechenbares, die Hoffnung auf sie als etwas äußerst Trügerisches, ja Vermessenes, durch das man den Zorn der Götter herausfordern konnte. All diese inneren und äußeren Momente der Lebensgestaltung sind so wechselwirkende, daß man kaum eines als das zeitlich fundamentale, unbedingt veranlassende bezeichnen kann. Der Charakter einer agrarischen Wirtschaft, mit ihrer Zuverlässigkeit, mit ihrer geringen und wenig variabeln Zahl der Mittelglieder, mit ihrem Betonen der Konsumtion gegenüber der Produktion einerseits, die auf die Substanzialität der Dinge gerichtete Sinnesart, die Scheu vor allem Unberechenbaren, bloß Labilen und Dynamischen andrerseits sind doch wohl nur verschiedenartige, durch das Medium differenzierter Interessen gebrochene Strahlen einer einheitlichen historischen Grundbeschaffenheit, die wir freilich mit unserem auf das Zerlegen angelegten Verstande nicht unmittelbar greifen und benennen können – oder sie gehören jenen Bildungen an, zwischen denen die Frage nach der Priorität überhaupt falsch gestellt ist, weil ihr Wesen von vornherein in der Wechselwirkung besteht, eines sich auf das andere und das andere auf das eine und so ins Unendliche aufbaut, in einem Zirkel, der für die Einzelheiten des Erkennens fehlerhaft, für seine grundlegenden Momente aber wesentlich und unvermeidlich ist. Wie sich das nun aber auch deuten lasse, die [238] Tatsache war, daß bei den Griechen Mittel und Zwecke der Wirtschaft nicht so weit auseinandertraten wie später, daß die ersteren deshalb nicht dasselbe psychologische Eigenleben gewannen wie später, und daß das Geld nicht so selbstverständlich und ohne innere Widerstände zu finden, zu einem selbständigen Werte aufwuchs.

Die Bedeutung des Geldes, das größte und vollendetste Beispiel für die psychologische Steigerung der Mittel zu Zwecken zu sein tritt erst in ihr volles Licht, wenn das Verhältnis zwischen Mittel und Endzweck noch näher beleuchtet wird. Ich habe vorhin schon eine Reihe von Veranlassungen erwähnt, die die wirklichen Ziele unseres Handelns vor uns selbst verbergen, so daß unser Wollen in Wirklichkeit auf ganz andere hingeht, als es uns selbst scheint. Wenn es aber so durchaus legitim ist, über die Zwecke innerhalb unseres Bewußtseins hinaus nach weiteren zu fragen wo liegt die Grenze für dieses Hinaustragen? Wenn überhaupt einmal die teleologische Reihe nicht mit ihrem letzten momentan bewußten Gliede abschließt, ist dann nicht der Weg für ihren Weiterbau ins Unendliche eröffnet, ist es nicht geradezu erforderlich, uns mit keinem gegebenen Endzweck, auf den unser Handeln führe, zu begnügen, sondern für jeden eine noch weitere Begründung in einem noch darüber gelegenen zu suchen? Es tritt hinzu, daß kein erreichter Gewinn oder Zustand jene endgültige Befriedigung gewährt, die mit dem Begriff eines Endzweckes logisch verbunden ist, daß vielmehr jeder erreichte Punkt eigentlich nur als Durchgangsstadium zu einem darüber hinaus liegenden Definitivum empfunden wird im Gebiete des Sinnlichen, weil dieses in ununterbrochenem Fluß ist, der an jedes Genießen ein neues Bedürfen kontinuierlich ansetzt, im Gebiet des Idealen, weil die Forderungen desselben durch keine empirische Wirklichkeit gedeckt werden. Nimmt man dies alles zusammen, so scheint das, was wir den Endzweck nennen, über den teleologischen Reihen zu schweben, zu diesen sich verhaltend wie der Horizont zu den irdischen Wegen, die immer auf ihn zugehen, aber ihn nach der längsten Wanderung nicht näher als an ihrem Beginn vor sich haben. Denn nicht das steht in Frage, daß der Endzweck etwa nur unerreichbar, sondern daß er eine überhaupt nicht mit einem Inhalt zu erfüllende Vorstellungsform ist. Die teleologischen Reihen, soweit sie sich überhaupt auf irdisch Realisierbares richten, kommen nicht nur ihrer Verwirklichung, sondern schon ihrer inneren Struktur nach nicht zum Stehen, und statt des testen Punktes, den eine jede derselben in ihrem Endzweck zu besitzen schien, bietet sich dieser gerade nur als das heuristische, regulative Prinzip dar: daß man kein einzelnes Willensziel für das letzte ansehe, sondern [239] jedem die Möglichkeit offen halte, die Stufe zu einem höheren zu werden. Der Endzweck ist sozusagen nur eine Funktion oder eine Forderung; als Begriff angesehen ist er nichts als die Verdichtung der Tatsache, die er zunächst gerade aufzuheben schien: daß der Weg des menschlichen Wollens und Wertens ins Unendliche führt und kein auf ihm erreichter Punkt sich dagegen wehren kann, so sehr er gleichsam von vorn gesehen als Definitivum erschien, von rückwärts gesehen, als bloßes Mittel zu gelten. Damit rückt jenes Aufsteigen der Mittel zu der Würde des Endzwecks in eine viel weniger irrationelle Kategorie. Für den einzelnen Fall zwar ist die Irrationalität nicht wegzuräumen, aber die Gesamtheit der teleologischen Reihen trägt ein anderes Wesen als die beschränkten Abschnitte: daß die Mittel zu Zwecken werden, rechtfertigt sich dadurch, daß im letzten Grunde auch die Zwecke nur Mittel sind. In den endlosen Reihen möglicher Wollungen, sich entwickelnder Handlungen und Befriedigungen ergreifen wir fast willkürlich ein Moment, um es zum Endzweck zu designieren, zu dem alles Vorhergehende nur Mittel sei, während ein objektiver Beobachter oder wir selbst später die eigentlich wirksamen und gültigen Zwecke weit darüber hinaus verlegen müssen, ohne daß auch diese gegen das gleiche Schicksal gesichert wären. An diesem Punkt der äußersten Spannung zwischen der Relativität unserer Bestrebungen und der Absolutheit der Endzweckidee tritt das Geld wieder bedeutsam und eine vorherige Andeutung weiter entwickelnd hervor. Indem es einerseits Ausdruck und Äquivalent des Wertes der Dinge ist, andrerseits aber doch reines Mittel und indifferentes Durchgangsstadium, symbolisiert es treffend das eben Ausgemachte: daß auch die erstrebten und empfundenen Werte sich schließlich als Mittel und Vorläufigkeiten enthüllen. Und indem das sublimierteste Mittel des Lebens für unendlich viele Menschen der sublimierteste Zweck des Lebens wird, bildet es den unzweideutigsten Beleg dafür, daß es nur auf den Standpunkt ankommt, ob man ein teleologisches Moment als Mittel oder als Zweck gelten lassen will – einen Beleg, dessen extreme Entschiedenheit die These mit der Restlosigkeit eines Schulbeispiels deckt.

Wenngleich es nun keine Zeit gegeben hat, in der die Individuen nicht gierig nach Geld gewesen wären, so kann man doch wohl sagen, daß die maximale Zuspitzung und Ausbreitung dieses Verlangens in die Zeiten fällt, in denen ebenso die anspruchslosere Befriedigung an den einzelnen Lebensinteressen wie die Erhebung zu dein Religiös-Absoluten, als dem Endzweck des Daseins, ihre Kraft verloren hat; denn weit über die innere Verfassung des Einzelnen hinaus ist in der Gegenwart wie in der Verfallszeit Griechenlands und Roms – [240] der Gesamtaspekt des Lebens, die Beziehungen der Menschen untereinander, die objektive Kultur durch das Geldinteresse gefärbt. Es kann als eine Ironie der historischen Entwicklung erscheinen, daß in dem Augenblick, wo die inhaltlich befriedigenden und abschließenden Lebenszwecke atrophisch werden, gerade derjenige Wert, der ausschließlich ein Mittel und weiter nichts ist, in ihre Stelle hineinwächst und sich mit ihrer Form bekleidet. Allein in Wirklichkeit hat das Geld, als das absolute Mittel und dadurch als der Einheitspunkt unzähliger Zweckreihen, in seiner psychologischen Form bedeutsame Beziehungen gerade zu der Gottesvorstellung, die freilich die Psychologie nur aufdecken kann, weil es ihr Privilegium ist, keine Blasphemien begehen zu können. Der Gottesgedanke hat sein tieferes Wesen darin, daß alle Mannigfaltigkeiten und Gegensätze der Welt in ihm zur Einheit gelangen, daß er nach dem schönen Worte des Nikolaus von Kusa die Coincidentia oppositorum ist. Aus dieser Idee, daß alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins in ihm ihre Einheit und Ausgleichung finden, stammt der Friede, die Sicherheit, der allumfassende Reichtum des Gefühls, das mit der Vorstellung Gottes und daß wir ihn haben, mitschwebt. Unzweifelhaft haben die Empfindungen, die das Geld erregt, auf ihrem Gebiete eine psychologische Ähnlichkeit mit diesen. Indem das Geld immer mehr zum absolut zureichenden Ausdruck und Äquivalent aller Werte wird, erhebt es sich in abstrakter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der Objekte, es wird zu dem Zentrum, in dem die entgegengesetztesten, fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren; damit gewährt tatsächlich auch das Geld jene Erhebung über das Einzelne, jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips, uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblick gewähren, sich gleichsam wieder in dieses umsetzen zu können. Hat man doch die besondere Eignung, und das Interesse der Juden für das Geldwesen in Beziehung zu ihrer »monotheistischen Schulung« gesetzt; ein Volksnaturell, seit Jahrtausenden daran gewöhnt, zu einem einheitlichen höchsten Wesen aufzublicken, an ihm – insbesondere, da es nur eine sehr relative Transzendenz besaß – den Ziel- und Schnittpunkt aller einzelnen Interessen zu haben, müsse auch auf dem wirtschaftlichen Gebiete sich vorzugsweise dem Wert hingeben, der sich als die zusammenfassende Einheit und der Punkt gemeinsamer Zuspitzung aller Zweckreihen darbietet. Auch widerspricht die wilde Jagd nach dem Gelde, die Leidenschaftlichkeit, die es im Unterschied gegen andere zentrale Werte, z.B. den Grundbesitz, dem wirtschaftlichen, ja dem Leben überhaupt mitteilt, durchaus nicht der abschließenden Beruhigung, in der die Wirkung [241] des Geldes sich der religiösen Stimmung nähert. Denn nicht nur, daß die ganze Aufregung und Anspannung im Kampfe um das Geld die Bedingung für die selige Ruhe im Besitz des Erkämpften bildet; sondern jene Meeresstille der Seele, die die religiösen Güter gewähren, jenes Gefühl, im Einheitspunkte des Daseins zu stehen, erreicht doch seinen höchsten Bewußtseinswert erst als Preis des Suchens und Ringens nach Gott. Und wenn Augustin vom Geschäftsleben sagt: Merito dictum negotium, quia negat otium, quod malum est neque quaerit veram quietem quae est Deus – so gilt dies mit Recht von der Geschäftigkeit, die, Erwerbsmittel an Erwerbsmittel knüpfend, zu dem Endziel des Geldgewinnes aufsteigt; es gilt aber nicht von diesem Endziel selbst, das eben nicht mehr negotium, sondern die Mündung desselben ist. Die Feindseligkeit, mit der die religiöse und kirchliche Gesinnung oft dem Geldwesen gegenübersteht, mag auch auf den Instinkt für diese psychologische Formähnlichkeit zwischen der höchsten wirtschaftlichen und der höchsten kosmischen Einheit zurückgehen und auf die erfahrene Gefährlichkeit der Konkurrenz, die gerade das Geldinteresse dem religiösen Interesse bereitet – eine Gefährlichkeit, die sich nicht nur, wo die Substanz des Lebens eine ökonomische, sondern auch wo sie eine religiöse ist, gezeigt hat. In der kanonistischen Verwerfung des Zinses spricht sich die Perhorreszierung des Geldes überhaupt aus, denn der Zins macht das Geldgeschäft in seiner abstrakten Reinheit aus. Das Zinsprinzip als solches enthält für sich noch nicht das volle Maß der Sündhaftigkeit – hat man diese doch im Mittelalter vielfach zu vermeiden geglaubt, wenn man den Zins in Waren statt in Geld abstatten ließ – sondern daß es der Zins des Geldes und in Geld war, so daß man mit der Abschaffung jenes das Geldwesen überhaupt an seiner Wurzel zu treffen meinte. Das Geld tut sich eben gar zu leicht als Endzweck auf, es schließt bei gar zu vielen die teleologischen Reihen endgültig ab und leistet ihnen ein Maß von einheitlichem Zusammenschluß der Interessen, von abstrakter Höhe, von Souveränität über den Einzelheiten des Lebens, das ihnen das Bedürfnis abschwächt, die Steigerung eben dieser Genugtuungen in der religiösen Instanz zu suchen. Aus all diesen Zusammenhängen heraus sind also doch mehr als die auf der Hand liegenden Vergleichungspunkte wirksam, wenn Hans Sachs schon einen Vertreter der allgemeinen Meinung den Schluß ziehen läßt: Gelt ist auff erden der irdisch got. Der ganze Umfang derselben geht auf das Grundmotiv für die Stellung des Geldes zurück: daß es das absolute Mittel ist, das eben dadurch zu der psychologischen Bedeutung eines absoluten Zweckes aufsteigt. Man hat, mit einer freilich nicht völlig [242] konsequenten Formulierung, gesagt, das einzig Absolute sei die Relativität der Dinge; und dafür allerdings ist das Geld das stärkste und unmittelbarste Symbol. Denn es ist die Relativität der Wirtschaftswerte in Substanz, es ist die Bedeutung jedes einzelnen, die es als Mittel für den Erwerb eines anderen hat – aber wirklich diese bloße Bedeutung als Mittel, losgelöst von ihrem singulären konkreten Träger. Aber eben deshalb kann es psychologisch zu einem absoluten Werte werden, weil es nicht die Auflösung in Relatives zu fürchten hat, derentwegen so viele, von vornherein substanzielle Werte den Anspruch auf Absolutheit nicht aufrechterhalten konnten. In dem Maße, in dem das Absolute des Daseins (von dem ideellen Sinn der Dinge rede ich hier nicht) sich in Bewegung, Beziehung, Entwicklung auflöst, treten auch für unsere Wertbedürfnisse diese an die Stelle jenes. Das Gebiet der Wirtschaft hat in dem psychologisch absoluten Wertcharakter des Geldes diesen geschichtlichen Typus restlos exemplifiziert – wobei, wie populären Mißverständnissen gegenüber bemerkt werden mag, mit der formalen Gleichheit dieser Entwicklung auf allen Gebieten durchaus nicht die Gleichheit ihrer Erfreulichkeit behauptet werden soll. –

Wenn der Endzweckcharakter des Geldes für ein Individuum diejenige Intensität übersteigt, in der er der angemessene Ausdruck für die Wirtschaftskultur seines Kreises ist, so entstehen die Erscheinungen der Geldgier und des Geizes. Ich betone ausdrücklich die Abhängigkeit dieser Begriffe von den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen, weil eben dasselbe absolute Maß von Leidenschaft im Erwerben und im Festhalten des Geldes bei einer gewissen Bedeutung des Geldes durchaus normal und adäquat sein, bei einer ändern aber jenen hypertrophischen Kategorien angehören mag. Im allgemeinen wird die Grenze für den Beginn der eigentlichen Geldgier bei sehr entwickelter und lebhafter Geldwirtschaft sehr hoch liegen, auf primitiveren Stufen aber verhältnismäßig tief, während es sich mit dem Geiz umgekehrt verhält: wer in engen und wenig geldwirtschaftlich bewegten Verhältnissen als sparsam und rationell in Geldausgaben gilt, wird in den großen Verhältnissen des schnellen Umsatzes, des leichten Verdienens und Ausgebens bereits als geizig erscheinen. Schon daran zeigt sich, was später noch deutlicher werden wird, daß Geldgier und Geiz keineswegs zusammenfallende Erscheinungen sind, wenn sie auch die gleiche Grundlage, die Wertung des Geldes als absoluten Zweckes, teilen. Beide stellen, wie alle vom Geld ressortierenden Erscheinungen, nur besondere Ausbildungsstufen von Tendenzen dar, deren niedere oder höhere Staffeln auch an anderweitigen Inhalten sichtbar werden. Beide zeigen sich konkreten Objekten [243] gegenüber und ohne Beziehung auf deren Geldwert an der psychologisch sehr merkwürdigen Sammelsucht jener Persönlichkeiten, die das Volk den Hamstern vergleicht: Menschen, die kostbare Sammlungen jeglicher Art aufspeichern, ohne von den Gegenständen selbst einen Genuß zu ziehen, ja oft sogar, ohne sich überhaupt noch weiter um sie zu kümmern. Nicht der subjektive Reflex des Habens, um dessentwillen sonst erworben und besessen wird, trägt hier den Wert, sondern die ganz objektive, von keinen persönlichen Konsequenzen begleitete Tatsache, daß diese Dinge eben in ihrem Besitze sind, ist für solche Persönlichkeiten wertvoll. Diese Erscheinung, die in eingeschränkter und weniger extremer Form sehr häufig ist, pflegt einfach als Egoismus behandelt zu werden, mit dessen gewöhnlichen Formen sie allerdings die negative Seite teilt, den Ausschluß aller anderen von dem eigenen Besitz; dennoch unterscheidet sie sich von diesen durch eine Nuance, die auf folgendem Umweg darzustellen ist.

Es muß immer wieder hervorgehoben werden, daß der Gegensatz von Egoismus und Altruismus die Motivierungen unseres Handelns keineswegs vollständig umfaßt. Wir haben tatsächlich auch ein objektives Interesse daran, daß gewisse Ereignisse oder Dinge wirklich oder nicht wirklich werden, und zwar völlig ohne Rücksicht auf irgendwelche, ein Subjekt treffenden Folgen derselben. Es ist uns wichtig, daß in der Welt eine Harmonie, eine Ordnung nach Ideen, eine Bedeutsamkeit – die keineswegs in die üblichen Schemata des Ethischen oder Ästhetischen hineinzupassen braucht – herrsche, und wir fühlen uns zur Mitwirkung dazu aufgefordert, ohne doch immer danach zu fragen, ob dies irgendeiner Persönlichkeit, dem Ich oder einem Du, zur Freude oder Förderung gereicht. Auf dem religiösen Gebiet kommen die drei Motivierungen in einer Weise zusammen, die die Stellung der hier fraglichen besonders durchsichtig macht. Die Erfüllung religiöser Gebote kann aus rein egoistischen Gründen geschehen, sei es in ganz grober Weise aus Furcht oder Hoffnung, sei es, etwas feiner, um des guten Gewissens oder des inneren Befriedigungsgefühles willen, das diese Erfüllung mit sich bringt. Sie kann ferner altruistischen Wesens sein: die Liebe zu Gott die Hingabe des Herzens an ihn läßt uns seinen Geboten gehorchen, wie wir die Wünsche eines geliebten Menschen erfüllen, weil seine Freude und Genugtuung unser höchster Lebenswert ist. Endlich aber kann uns dazu ein Gefühl für den objektiven Wert einer Weltordnung bewegen, in der der Wille des höchsten Prinzips sich widerstandslos in dem Willen aller einzelnen Elemente fortsetzt, das sachliche Verhältnis zwischen Gott und uns kann diesen Gehorsam als seinen adäquaten Ausdruck oder seine innerlich notwendige Folge von uns [244] fordern, ohne daß irgendein Erfolg für uns selbst, oder eine Freude und Zufriedenheit Gottes in diese Motivation einträte. So macht in vielerlei Fällen das Zweckbewußtsein an einer objektiven Wirklichkeit halt und entlehnt deren Wert nicht erst aus ihren subjektiven Reflexen. Ich lasse jede psychologische oder erkenntnistheoretische Deutung dieser, jenseits des Persönlichen stehenden Motivierung hier dahingestellt, jedenfalls ist sie eine psychologische Tatsache, die nun mit den Zweckreihen persönlicher Färbung die mannigfaltigsten Kombinationen eingeht. Der Sammler, der seine Kostbarkeiten anderen verschließt und sie selbst gar nicht genießt, aber ihren Besitz dennoch auf das eifersüchtigste hütet und wertet, färbt all seinen Egoismus durch einen Beisatz jener übersubjektiven Wertungsweise. Im ganzen ist es doch der Sinn des Besitzes, genossen zu werden, und wir stellen ihm nicht nur die Objekte gegenüber, an denen man, wie an den Sternen, Freude hat, ohne sie zu begehren, sondern auch diejenigen, deren Wert man von aller subjektiven Freude prinzipiell unabhängig macht, wie die Schönheit, Ordnung und Bedeutsamkeit des Kosmos als etwas des Genossenwerdens Unbedürftiges und dennoch in seinem Werte Beharrendes erscheint. In dem Fall jener Besitzsüchtigen liegt nun eine mittlere oder Mischerscheinung vor: es bedarf hier schon des Besitzes, aber dieser schreitet nicht zu seinem regulären subjektiven Erfolge vor, sondern wird auch ohne diesen als etwas Wertvolles, als ein des Erstrebens würdiges Ziel empfunden. Nicht die Qualität der Sache ist hier der eigentliche Träger des Wertes; sondern, so unentbehrlich sie ist und so sehr sie das Maß des Wertes bestimmt – das eigentlich Motivierende ist die Tatsache ihres Besessenwerdens, die Form des Verhältnisses, in dem das Subjekt zu ihr steht. Daß diese Form – die freilich nur an einem Inhalt wirklich werden kann –, daß dieser Besitz des Subjekts als rein objektive Tatsache da ist, das ist das Wertvolle, an dem die teleologische Reihe haltmacht.

In sehr eigentümlicher Weise zeigt sich die Verabsolutierung eines ökonomischen Wertes, das Abbrechen der teleologischen Reihe, bevor sie zum Subjekt zurückgekehrt ist, an einer gewissen Bedeutung des Grundbesitzes, die sich mit seiner eigentlich ökonomischen Bedeutung in mannigfaltiger Weise – oft freilich nur wie ein Oberton mitschwebend – mischt. So sicher nämlich der Grundbesitz kein Wert geworden wäre, wenn er nicht dem Eigentümer subjektive Nutzerfolge einbrächte, so erschöpft sich doch sein. Wert nicht völlig in diesen angebbaren Wertfaktoren: in dem Ertrage, in der größeren Sicherheit des Immobiliarbesitzes, in der sozialen Macht, die er verleiht usw. Sondern darüber hinaus verbindet sich mit ihm vielfach [245] ein gewissermaßen idealer Wert und die Empfindung, es sei an sich wertvoll, daß der Mensch dieses Herrschaftsverhältnis zum Boden habe, daß er zu der Grundlage menschlicher Existenz überhaupt eine so enge und sie gleichsam in das Ich hineinziehende Beziehung besitze. Der Grundbesitz hat und verleiht so eine gewisse Dignität, die ihn vor allen ändern Besitzarten selbst dann auszeichnet, wenn der Nutzerfolg dieser für den Besitzer ein gleicher oder auch größerer ist, so daß er oft genug unter Opfern festgehalten worden ist, wie man sie in ähnlicher Weise nur für ein objektives Ideal bringt. Es steckt also in der Bedeutung des Grundbesitzes ein Element absoluten Wertes, die Vorstellung begleitet ihn – oder hat ihn wenigstens begleitet –, es sei eben wertvoll, Grundbesitzer zu sein, und selbst dann, wenn dieser Wert nicht in einem Nutzen zum Ausdruck komme. So kann die Bindung an den Grundbesitz eine religiöse Färbung annehmen, der sie sich z.B. in der besten Zeit Griechenlands näherte. Die Veräußerung des Grundbesitzes erschien als ein Vergehen nicht nur gegen die Kinder, sondern auch gegen die Ahnen, da sie die Familienkontinuität unterbrach; ja, gerade auch der Umstand, daß er nicht leicht vermehrbar war, begünstigte seine Funktion als Träger der überindividuellen, religiös geheiligten Familieneinheit. Insbesondere aber im Mittelalter hatte der Grundbesitz viel mehr den Rang eines absoluten Wertes, als er ihn jetzt hat; denn wenn er auch selbstverständlich zunächst um seines Ertrages und des Genusses desselben willen gesucht und insofern ein relativer Wert war, so hatte er an und für sich doch gegenüber seiner Rolle in der Geldwirtschaft eine eigenartige Bedeutung, weil er nicht immerzu in Geld umgesetzt und nach Geld taxiert wurde. Er hatte sozusagen kein Äquivalent; die Wertreihe, in der er stand, schloß mit ihm ab. Mobilien mochte man gegeneinander vertauschen, der immobile Besitz war, cum grano salis, etwas Unvergleichliches, der Wert schlechthin, der unbewegte Grund, über dem sich die eigentliche ökonomische Bewegung erst vollzog, und der an sich jenseits dieser stand. So war es doch wohl nicht nur das ökonomisch-relativistische Interesse, aus dem die Kirche ihn sich anzueignen strebte: soll doch anfangs des 14. Jahrhunderts fast die Hälfte des englischen Grundes und Bodens und zur Zeit Philipps II. mehr als die Hälfte des spanischen in den Händen des Klerus gewesen sein – wie noch jetzt im Kirchenstaat Tibet zwei Drittel aller produktiven Ländereien dem Klerus gehören! Wie die Kirche dem mittelalterlichen Leben die festen, scheinbar für die Ewigkeit gegründeten Normen seines Verlaufes gab, so mußte es im realen wie im symbolischen Sinn angemessen scheinen, daß sie auch jenen fundamentierenden Wert aller Werte in ihrer Hand umschloß. [246] Die Unveräußerlichkeit des kirchlichen Grundbesitzes war nur die bewußte und gesetzmäßige Festlegung dieses inneren Charakters seiner. Sie dokumentierte nur, daß die Wertbewegung hier an ihren Endpunkt gekommen, daß hier das Äußerste und Definitive im ökonomischen Gebiet erreicht war. Kann man so die Tote Hand mit der Höhle des Löwen vergleichen, in die alle Fußspuren hinein-, aus der aber keine herausführen, so ist sie doch auch ein Symbol der allumfassenden Absolutheit und der Ewigkeit des Prinzips, auf dem die Kirche sich gründete.

Dieses Auswachsen von Gütern zu einem Endzweck, dessen absoluter Wert also über die bloße Nutznießung hinausreicht, findet in jenen pathologischen Ausartungen des Geldinteresses, dem Geiz und der Geldgier, seinen reinsten und entschiedensten Fall, ja denjenigen, der die ändern Fälle desselben Typus mehr und mehr in sich hineinzieht. Denn sogar schon solche Güter, die an sich gar nicht ökonomischer Natur sind, läßt das zum Endzweck gewordene Geld nicht als ihm koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen, sondern indem es dies tut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu Mitteln für sich herabzudrücken. Um wieviel mehr wird diese Umordnung bei eigentlich ökonomischen Gütern stattfinden, deren unbedingtes Festhalten, als seien sie unvergleichliche Werte, töricht erscheinen muß, sobald man sie jederzeit für Geld wiederhaben kann, und vor allem: sobald die restlose Ausdrückbarkeit ihres Wertes in Geld sie ihrer individuellen und außerhalb der reinen indifferenten Wirtschaft stehenden Bedeutung beraubt hat. Der abstrakte Charakter des Geldes, die Entfernung, in der es sich an und für sich von jedem Einzelgenuß hält, begünstigen eine objektive Freude an ihm, das Bewußtsein eines Wertes, der über alle einzelne und persönliche Nutznießung weit hinübergreift. Wenn das Geld zunächst nicht mehr in dem Sinne Zweck ist, wie irgendein sonstiges Werkzeug, nämlich um seiner Erfolge willen, sondern dem Geldgierigen als Endzweck gilt, so ist es nun weiter nicht einmal in dem Sinne Endzweck, wie ein Genuß es ist, sondern für den Geizigen hält es sich jenseits dieser persönlichen Sphäre, es ist ihm ein Gegenstand scheuer Achtung, der für ihn selbst tabu ist. Der Geizige liebt das Geld, wie man einen sehr verehrten Menschen liebt, in dessen bloßem Dasein und darin, daß wir ihn wissen und unser Mit-ihm-sein empfinden, schon Seligkeit liegt, auch ohne daß unser Verhältnis zu ihm in die Einzelheit konkreten Genießens einginge. Indem der Geizige von vornherein und [247] bewußterweise darauf verzichtet, das Geld als Mittel zu irgendwelchen Genüssen zu benutzen, stellt er es zu seiner Subjektivität in eine brückenlose Distanz, die er dennoch durch das Bewußtsein seines Besitzes immerfort zu überwinden sucht.

Bewirkt so der Mittelscharakter des Geldes, daß es als die abstrakte Form von Genüssen, die man dennoch nicht genießt, auftritt, so hat die Schätzung seines Besitzes, insoweit es unausgegeben bewahrt wird, eine Färbung von Sachlichkeit, es umkleidet sich mit Jenem feinen Reize der Resignation, der alle objektiven Endzwecks begleitet und die Positivität und Negativität des Genießens in eine einzigartige und mit Worten nicht weiter ausdrückbare Einheit zusammenschließt. Beide Momente erreichen im Geize ihre äußerste Spannung gegeneinander, weil das Geld als das absolute Mittel auf unbegrenzte Möglichkeiten des Genießens hinaussieht und zugleich als das absolute Mittel in seinem unausgenützten Besitz den Genuß noch völlig unangerührt läßt. Nach dieser Seite hin fällt die Bedeutung des Geldes mit der der Macht zusammen; wie diese ist es ein bloßes Können, das die Reize einer nur subjektiv antizipierbaren Zukunft in der Form einer objektiv vorhandenen Gegenwart sammelt. Tatsächlich enthält die Vorstellung der »Möglichkeit« zwei, in der Regel nicht hinreichend auseinandergehaltene Motive. Wenn man irgend etwas zu »können« behauptet, so bedeutet dies keineswegs nur die gedankliche Vorwegnahme eines zukünftigen Geschehens, sondern einen schon jetzt wirklichen Zustand von Spannkräften, physischen oder psychischen Koordinationen, bestimmt gerichteten Lagerungen vorhandener Elemente; wer klavierspielen »kann«, unterscheidet sich, auch wenn er es nicht tut, von jemandem, der es nicht kann, keineswegs nur in einem zukünftigen Momente, wo er es tun wird, dieser aber nicht, sondern schon in dem gegenwärtigen durch eine ganz konkrete, gegenwärtige Verfassung seiner Nerven und Muskeln. Dieser Zustand des Könnens, der an sich gar nichts von Zukunft enthält, führt aber nun, zweitens, zu der Wirklichkeit des »Gekonnten« nur durch das Zusammentreffen mit gewissen weiteren Bedingungen, deren Eintreten wir nicht ebenso gewiß vorherwissen. Dieses Unsicherheitsmoment und jenes Gefühl oder Wissen einer jetzt schon aktuellen Kraft oder Zustandes, bilden die Elemente des Könnens, und zwar in quantitativ sehr mannigfaltigen Mischungen, anhebend etwa von dem: ich kann klavierspielen – wo das Moment des Wirklichen sehr überwiegt und die Unsicherheit über die außerdem erforderlichen Bedingungen minimal ist, bis zu dem: der nächste Wurf kann alle Neun sein – wo die gegebenen und bekannten zuständlichen Bedingungen im Augenblick völlig in der Minderzahl [248] sind gegenüber den für jenen Erfolg noch außerdem erforderlichen, aber völlig unsicheren Momenten. Hier stellt nun das Können, das im Gelde gleichsam geronnen und Substanz geworden ist, eine ganz einzigartige Kombination dar. Was man an ihm wirklich besitzt, ist, in seiner Beschränkung auf den Augenblick des Besitzes, gleich Null; das Entscheidende dafür, daß es sich zu wertvollen Ergebnissen entwickle, liegt vielmehr ganz außerhalb seiner. Aber die Sicherheit, daß dieses Anderweitige auch wirklich im richtigen Momente dasein werde, ist ungeheuer groß. Während in der Regel das im »Können« enthaltene Maß von Festigkeit und Unzweideutigkeit in dem gegenwärtig vorhandenen und Tatsächlichen liegt, alles – Künftige aber unsicher ist, ist dem Gelde gegenüber diese letztere Unsicherheit völlig verschwunden, dagegen aber ist das schon Gegenwärtige, aktuell Besessene als solches völlig belanglos. Dadurch ist der spezifische Ton des Könnens an ihm auf das äußerste zugespitzt: es ist wirklich bloßes Können, im Sinne einer Zukunft, an der das Gegenwärtige, das wir in der Hand haben, allein seine Bedeutung hat; aber es ist auch wirkliches Können im Sinne völliger Gewißheit über die Realisierbarkeit solcher Zukunft.

Die Sicherheit der Befriedigung steigert sich hier noch durch die Besonderheit des Verhältnisses zwischen Wunsch und Erfüllung, die das Geld gegenüber den übrigen Gegenständen unseres Interesses besitzt. Die subjektiven Folgen eines erreichten Wunsches bilden keineswegs immer das genaue Komplement des Entbehrungszustandes, der ihn entstehen ließ. Das Entbehren eines Gegenstandes ist nicht wie ein Loch, das sein Besitz genau ausfüllte, so daß nun alles wäre wie vor dem Wunsch. So stellt es freilich Schopenhauer dar, für den deshalb alle Beglückung nur etwas Negatives ist, nur die Beseitigung des Schmerzzustandes, den die Entbehrung uns bereitet hat. Wenn man aber das Glück als etwas Positives gelten läßt, so ist doch die Erreichung unserer Wünsche nicht, nur das Aufheben eines negativen Zustandes durch den genau entsprechenden positiven, vermehrt um ein mitschwebendes Glücksgefühl. Vielmehr, das Verhältnis des Wunsches zu seiner Erfüllung ist ein unendlich mannigfaltiges, weil der Wunsch fast nie alle Seiten des Gegenstandes, d.h. seiner Wirkung auf uns berücksichtigt. An seiner Wirklichkeit haben wir fast niemals das, was er uns unter der Kategorie der Möglichkeit, des Habenwollens, bedeutete. Die triviale Weisheit hat recht, daß der Besitz des Gewollten uns in der Regel enttäuscht, und zwar nach der guten wie nach der schlimmen Seite, wie auch so, daß das Anderssein des Habens nur als ein tatsächliches, aber von keinem Gefühl begleitetes bewußt wird. Das Geld indes [249] nimmt hier eine Sonderstellung ein: Einerseits treibt es freilich jene Inkommensurabilität zwischen dem Wunsch und seinem Objekt auf den Gipfel. Die Bestrebung, die sich zunächst auf das Geld gerichtet hat, findet an ihm nur ein ganz bestimmungsloses Etwas, von dem ein Begehren, so lange es rationell ist, absolut nicht befriedigt werden kann, und das sich seinem völlig leeren Wesen nach jedem eigentlichen Verhältnis zu uns entzieht; wenn der Wunsch also nicht darüber hinaus zu einem konkreten Ziel schreitet, so muß eine tödliche Enttäuschung eintreten; wie sie denn auch unzählige Male da erfahren wird, wo der leidenschaftlich und als fraglose Beglückung ersehnte Geldreichtum sich nach seiner Erreichung als das enthüllt, was er wirklich ist: als ein bloßes Mittel, dessen, Hinaufschraubung zu einem Endzweck seine Erreichung nicht überstehen konnte. Während hier also die fürchterlichste Diskrepanz zwischen Wunsch und Erfüllung besteht, findet genau das Umgekehrte statt, sobald der psychologische Endzweckcharakter des Geldes sich für die Dauer gefestigt hat und die Geldgier also ein chronischer Zustand geworden ist. In diesem Fall nämlich, wo die begehrte Sache überhaupt nichts gewähren soll als ihren Besitz, und wo diese Beschränkung des Wunsches nicht nur eine vorübergehende Selbsttäuschung ist, da ist auch jeder Enttäuschung vorgebeugt. Alle Dinge, die wir sonst zu besitzen begehren, sollen uns doch mit ihrem Besitz etwas leisten, und in der unzulänglichen Vorberechnung dieser Leistung liegt die ganze, oft tragische, oft humoristische Inkommensurabilität zwischen Wunsch und Erfüllung, von der ich eben sprach. Das Geld aber soll dem Geizhals von vornherein nichts über seinen bloßen Besitz hinaus leisten. Das Geld als solches kennen wir genauer, als wir irgendeinen Gegenstand sonst kennen; weil nämlich überhaupt nichts an ihm zu kennen ist, so kann es uns auch nichts verbergen. Als absolut qualitätloses Ding kann es nicht, was doch sonst das armseligste Objekt kann: Überraschungen oder Enttäuschungen in seinem Schöße bergen. Wer also wirklich und definitiv nur Geld will, ist vor diesen absolut sicher. Die allgemeine menschliche Unzulänglichkeit, daß das Gewonnene anders aussieht als das Ersehnte, erreicht einerseits ihren Gipfel in der Geldgier, sobald diese das Zweckbewußtsein pur in illusionärer und nicht haltbarer Weise erfüllt; sie ist aber andrerseits völlig ausgelöscht, sobald der Wille wirklich definitiv am Geldbesitz haltmacht. Wenn man die menschlichen Lose in das Schema der Verhältnisse zwischen dem Wunsch und seinem Gegenstand fassen will, so muß man sagen, daß je nach dem Haltpunkt der Zweckreihe das Geld zwar der inadäquateste, aber auch der adäquateste Gegenstand unseres Begehrens ist.

[250]

Übrigens muß der Machtcharakter des Geldes, auf den ich jetzt noch einmal komme, fast am fühlbarsten, wenigstens am unheimlichsten da hervortreten, wo die Geldwirtschaft noch nicht vollkommen durchgedrungen und selbstverständlich ist, sondern wo das Geld seine zwingende Macht an Verhältnissen zeigt, die ihm, ihrer eigentlichen Struktur nach, nicht von selbst gehorchen. Daß gerade in der höchst ausgebildeten Kultur das Geld seinen Machthöhepunkt erreicht zu haben scheint, liegt daran, daß in ihr freilich unendlich viele, früher überhaupt unbekannte Objekte ihm zur Verfügung stehen; aber sie sind von vornherein auf den Gehorsam gegen das Geld angelegt; es kommt nicht zu jener Reibung, die die ganze Art und Wertungsweise naturalerer Verhältnisse dem ihnen heterogenen Geldwesen entgegensetzen, und deren Überwindung erst das Bewußtsein der Macht besonders zuspitzen muß. Wie das Geld der Wert der Werte ist, so nennt ein Kenner des indischen Lebens den indischen Dorfbankier, den Geldleiher: the man of all men in the village; sein indischer Name bedeute: the great man! Es wird hervorgehoben, daß, als im 13. Jahrhundert zuerst wieder größere Kapitalvermögen aufkamen, das Kapital ein Machtmittel war, das der Masse des Volkes noch unbekannt war und zu dessen Wirkung deshalb noch der psychologische Zuschlag des Unerhörten und sozusagen Überempirischen trat. Ganz abgesehen davon, daß Kirche und Volk damals das Geldgeschäft überhaupt verwerflich fanden – zu dem kirchlichen Grundsatz: mercator sine peccamine vix esse potest, bekannte sich sogar ein Kölner Patrizier des 13. Jahrhunderts – mußte die Ausnutzung einer so mystischen und unberechenbaren Macht, wie das Kapital war, als etwas sittlich Bedenkliches, als ein vergewaltigender Mißbrauch erscheinen. Und wie so oft irrige Vorurteile den davon Betroffenen in ihre Bewahrheitung hineintreiben, so verfielen die handelsaristokratischen Geschlechter dieser Zeit tatsächlich dem gewissenlosen Mißbrauch ihrer Macht, dessen Art und Umfang eben durch die Neuheit des Geldkapitals und die Frische seines Eindrucks auf ganz anders konstruierte Verhältnisse möglich war. Damit hängt es zusammen, daß das niedere Volk – vom Mittelalter an bis in das 19. Jahrhundert hinein – sich die Entstehung großer Vermögen als mit nicht ganz rechten Dingen zugegangen und ihre Besitzer als etwas unheimliche Persönlichkeiten zu denken pflegt: über den Ursprung des Vermögens der Grimaldi, der Medici, der Rothschild waren die ärgsten Schauermärchen verbreitet, und zwar nicht nur im Sinne moralischer Zweideutigkeit, sondern in abergläubischer Weise, als wäre eine dämonische Macht im Spiel. Indem die auseinandergesetzte Art des im Geld verkörperten [251] Könnens ihm ein sublimiertes Machtgefühl gerade vor seinem Ausgegebenwerden zuwachsen läßt – der »fruchtbare Moment« ist in ihm gleichsam zum Stehen gekommen –, ist der Geiz eine Gestaltung des Willens zur Macht, und zwar, den Charakter des Geldes als des absoluten Mittels beleuchtend, so, daß die Macht wirklich nur Macht bleibt und sich nicht in ihre Ausübungen und deren Genuß umsetzt. Dies ist ein wichtiges Erklärungsmoment für den Geiz des hohen Lebensalters. Gewiß ist diese Tendenz als Fürsorge für die nächste Generation zweckmäßig – so wenig dieses Motiv gerade dem Geizhals bewußt zu sein pflegt, der vielmehr, je älter er wird, um so weniger an die Trennung von seinen Schätzen denken mag. Subjektiv ist vielmehr wohl der Umstand wesentlich, daß im Alter einerseits die sinnlichen Seiten des Lebens ihren Reiz oder die Möglichkeit des Genossenwerdens verlieren, andrerseits die Ideale durch Enttäuschungen und Mangel an Schwung ihre erregende Kraft einbüßen; so bleibt als letztes Willensziel und Lebensreiz oft nur noch die Macht übrig, die sich zum Teil in der Neigung des Alters, zu tyrannisieren, offenbart, und darin, daß Personen höherer Stellungen im Alter oft eine krankhafte Sucht nach »Einfluß« zeigen; zum Teil aber im Geize, für den eben dieselbe abstrakte »Macht« sich im Geldbesitz verkörpert. Ich halte es für einen Irrtum, wenn man sich jeden Geizigen mit der Ausmalung aller ihm zur Verfügung stehenden Genüsse, all der reizvollen Verwendungsmöglichkeiten des Geldes beschäftigt denkt. Die reinste Form des Geizes ist vielmehr die, in der der Wille wirklich nicht über das Geld hinausgeht, es auch nicht einmal in spielenden Gedanken als Mittel für anderes behandelt, sondern dir Macht, die es gerade als nicht ausgegebenes repräsentiert, als definitiven und absolut befriedigenden Wert empfindet. Für den Geizigen liegen alle sonstigen Güter in der Peripherie des Daseins und von jedem derselben führt ein eindeutig gerichteter Radius seinem Zentrum, dem Gelde zu, und es hieße das ganze spezifische Lust- und Machtgefühl verkennen, wenn man diese Richtung umdrehen und sie von ihrem Endpunkt auch nur innerlich wieder auf die Peripherie zurückleiten wollte. Denn indem die Macht, die in jenem Zentrum ruht, in das Genießen konkreter Dinge umgesetzt würde, ginge sie als Macht verloren. Unser Wesen ist auf die Zweiheit von Herrschen und Dienen angelegt, und wir schaffen uns Beziehungen und Gebilde die beiden einander ergänzenden Trieben in mannigfaltigsten Mischungen genugtun. Im Gegensatz zu der Macht, die das Geld verleiht, erscheint das Unwürdige des Geizes von einem Dichter des 15. Jahrhunderts erschöpfend ausgedrückt: wer dem Geld dient, der sei »seines Knechtes Knecht«. Tatsächlich enthält der Geiz, indem [252] er uns vor einem gleichgültigen Mittel wie vor einem höchsten Zwecke knien läßt, die sublimierteste, man könnte sagen: karikierte Form inneren Unterworfenseins, wie ihn auf der anderen Seite das sublimierteste Machtgefühl trägt. Das Geld zeigt auch hier sein Wesen, unseren antagonistischen Strebungen ein gleichmäßig entschiedenstes und reinstes Sichdarstellen zu gewähren. In ihm hat sich der Geist das Gebilde der größten Spannweite geschaffen, das, gleichsam als reine Energie wirkend, die Pole jenes um so weiter auseinandertreibt, je einheitlicher – d.h., als bloßes Geld, jede Sonderbestimmtheit ablehnend – es sich selbst darstellt.

Es ist nun für die Herrschaft, die das Geld über die allgemeine Denkart gewonnen hat, sehr bezeichnend, daß man eine Reihe von Erscheinungen als Geiz – im Sinne des Geldgeizes – zu bezeichnen pflegt, die in Wirklichkeit das genaue Gegenteil desselben sind. Es handelt sich um die Menschen, die ein abgebranntes Streichholz nochmals benutzen, leere Briefseiten sorgfältig abreißen, kein Stückchen Bindfaden wegwerfen und auf jede verlorene Stecknadel eine Mühe des Suchens verwenden. Man nennt solche Personen geizig, weil man sich gewöhnt hat, den Geldpreis der Dinge ganz unbefangen als ihren Wert anzusehen. Tatsächlich aber denken sie nicht in den Geldwert jener Objekte, die Stärke ihres Gefühls gilt gerade dem sachlichen Wert derselben, auf den ihr Geldwert gar keine irgend proportionierte Hinweisung gibt. Wenigstens in sehr vielen Fällen sind es durchaus nicht die Bruchteile eines Pfennigs, um deren Rettung es sich für jene Sparsamen handelt; gerade sie sind von der Rücksicht auf das Geld, durch das die Objekte ohne weiteres wieder beschaffbar sind, oft genug unabhängig und werten eben bloß die Sache selbst. In diese Kategorie gehören auch die sonderbaren, aber nicht allzu seltenen Menschen, die ohne Bedenken hundert Mark, aber nur mit wahrer Selbstüberwindung einen Bogen Papier aus ihrem Schreibvorrat oder ähnliches verschenken. Hier liegt also das direkte Gegenteil des Geizes vor: dem Geizigen sind die Dinge gerade gleichgültig – außer insoweit sie Geldwert darstellen –, weil das Geld sie ihres Endzweckcharakters beraubt hat, während das Verhalten jener ganz sinnlos wäre, wenn es durch den Geldwert der Dinge bestimmt wäre; freilich kann es durch das völlige Außerachtlassen desselben auch wieder unvernünftig werden. Sie vergessen über den Zweck das Mittel, das ihn jederzeit wieder erreichbar macht, während der Geizige über das Mittel den Zweck vergißt, der jenem allein Bedeutung gibt. Es begegnen ferner Erscheinungen, die, in der äußeren Form mit jenen sachlichen Sparsamkeiten übereinstimmend, durch ihre innere Diskrepanz gegen sie den teleologischen [253] Charakter des Geldes weiter klären helfen. Viele »sparsame« Menschen halten darauf, daß alles, was einmal bezahlt ist, auch konsumiert werde. Und zwar keineswegs nur dann, wenn damit eine anderenfalls erforderliche Ausgabe erspart würde, sondern Luxusgenüssen gegenüber, von denen man sich inzwischen überzeugt hat, daß sie keine Genüsse sind; der Zweck ist nun einmal verfehlt, aber um diese Verfehlung zu realisieren, bringt man ein weiteres Opfer; denn der Typus dieser Erscheinungen ist: »Lieber den Magen verrenkt als dem Wirt einen Kreuzer geschenkt.« Daß eine sparsame Mutter von ihren Kindern damit geneckt wurde, sie nähme die Medizinreste, die nach Krankheiten in der Familie unverbraucht geblieben waren, um sie nicht umkommen zu lassen, – zeichnet nur die Karikatur eines von vielen Menschen sehr ernsthaft betriebenen Verfahrens. Die Konsumtion des Gegenstandes ist nach der Voraussetzung indifferent oder schlimmer als indifferent; ihr Motiv kann also nicht sein, daß der Gegenstand nicht umkommen soll; denn er ist umgekommen, indem die Genußseite seiner, die seine Bedeutung für das Subjekt bildete, in Wegfall gekommen ist. Es wird in Wirklichkeit also gar nicht derjenige Gegenstand konsumiert, auf den die Absicht gerichtet war, sondern ein anderer, dem die motivierende Eigenschaft gerade fehlt. Das Motiv kann demnach nur dies sein, daß mit der Konsumierung wenigstens die Geldaufwendung ihr Äquivalent gefunden hat. Das Geld ist so zu seinem nächsten Zwecke gekommen, und damit ist eine Beruhigung des Gefühls und ein Höhepunkt der teleologischen Reihe erreicht, neben der die Verfehlung ihres subjektiven Endzwecks, als eine Sache für sich und jene Befriedigung nicht herabsetzend, steht. Diese banale und inhaltlich uninteressante Erscheinung offenbart so eine ganz eigenartige teleologische Konstellation des Geldwertes. Obgleich sie nicht an sehr erheblichen Objekten hervorzutreten pflegt und deshalb etwas Kleinbürgerliches und Unscheinbares hat, ist sie doch vielleicht der extremste Ausdruck für die Überwucherung der wirklichen Endzwecke durch die Mittelinstanz des Geldes; denn es fällt hierbei nicht nur, wie auch beim Geize, der eigentliche Sinn alles Wirtschaftens weg, sondern auch noch der Reiz der Macht und der Möglichkeiten, der bei jenem den zu nichts verwendeten Geldbesitz schmückte: das Objekt, aus dem alles, was irgendwie Sinn und Zweck seiner Konsumtion sein könnte, hinweggefallen ist, wird unter Unbequemlichkeiten und Schädlichkeiten konsumiert, bloß weil das dafür ausgegebene Geld ihm einen absoluten Wert verliehen hat. Der Zweckprozeß ist hier also nicht nur an der Geldinstanz erstarrt, sondern er wird noch darüber hinaus sozusagen rückläufig und pervers, indem [254] die an sich nicht-zweckmäßige Wertung durch direkt unzweckmäßiges Verfahren realisiert wird.

Die Stellung des Geldes, insoweit sie seinen Charakter über das bloße Mittlertum hinaus zu einem selbständigen Interesse steigert, will ich nun noch nach zwei negativen Instanzen hin verfolgen. Die Verschwendung ist nach mehr als einer Richtung dem Geize verwandter als die Entgegengesetztheit ihrer Erscheinungen zu verraten scheint. Es ist hier zu bemerken, daß in Zeiten naturaler Wirtschaft die geizige Konservierung der Werte mit deren Natur, mit der sehr begrenzten Aufhebbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte, nicht vereinbar ist. Wo daher deren Umsetzung in das unbegrenzt aufhebbare Geld nicht tunlich oder wenigstens nicht selbstverständlich ist, findet man selten ein eigentlich geiziges Aufhäufen derselben; wo Bodenprodukte unmittelbar gewonnen und konsumiert werden, besteht meistens eine gewisse Liberalität, besonders etwa Gästen und Bedürftigen gegenüber, wie sie das zum Sammeln viel mehr einladende Geld weniger nahe legt; so daß Petrus Martyr die Kakaosäcke rühmt, die den alten Mexikanern als Geld dienten, weil sie nicht lange aufgehäuft und verborgen aufbewahrt werden konnten und also keinen Geiz gestatteten. Ganz entsprechend beschränken naturale Verhältnisse die Möglichkeit und den Reiz der Verschwendung. Die verschwenderische Konsumtion und leichtsinnige Vergeudung innerhalb derselben haben doch, abgesehen von sinnloser Zerstörung, an, der Aufnahmefähigkeit des eigenen und fremder Subjekte ihre Grenze. Die Hauptsache aber ist, daß die Verschwendung des Geldes überhaupt einen ganz an deren Sinn, eine ganz neue Nuance gegenüber der Verschwendung konkreter Gegenstände enthält: die letztere bedeutet, daß der Wert für die vernünftigen Zweckreihen des Individuums schlechthin vernichtet ist, die erstere, daß er in unzweckmäßiger Weise in andere Werte umgesetzt ist. Der Typus des Verschwenders in der Geldwirtschaft und derjenige, der allein eine geldphilosophisch bedeutsame Erscheinung bietet, ist nicht jemand, der das Geld in natura sinnlos verschenkt, sondern der es zu sinnlosen bzw. seinen Verhältnissen nicht angemessenen Käufen verwendet. Die Lust am Verschwenden, die genau von der Lust etwa an dem flüchtigen Genuß der Gegenstände, an dem damit verbundenen Protzentum, an dem anregenden Wechsel zwischen Erwerb und Verbrauch der Objekte zu unterscheiden ist, die vielmehr die reine Funktion des Verschwendens, ohne Rücksicht auf ihren substanziellen Inhalt und ihre Begleiterscheinungen betrifft – heftet sich also an den Moment des Geldausgebens für irgendwelche Gegenstände; der Reiz dieses Momentes überdeckt beim Verschwender die sachgemäße [255] Schätzung des Geldes einerseits, der Gegenstände andrerseits. Hiermit wird die Stellung des Verschwenders der Zweckreihe gegenüber deutlich bezeichnet. Wenn das Endglied derselben der Genuß aus dem Besitz des Objekts ist, so ist ihre erste uns hier wesentliche Mittelstufe, daß man das Geld besitze, die zweite, daß man es für den Gegenstand ausgebe. Für den Geizigen nun wächst jene erste zu einem für sich lustvollen Selbstzweck aus, für den Verschwender die zweite. Das Geld ist für ihn kaum weniger wesentlich als für jenen, nur nicht in der Form des Habens, sondern in der des Ausgebens. Sein Wertgefühl baut sich in dem Augenblick des Überganges des Geldes in andere Wertformen an und zwar mit solcher Intensität, daß er sich den Genuß dieses Augenblicks um den Preis erkauft, alle definitiveren Werte damit zu vergeuden.

Es ist deshalb sehr deutlich zu beobachten, daß die Gleichgültigkeit gegen den Geldwert, der das Wesen und den Reiz der Verschwendung ausmacht, dies eben doch nur dadurch kann, daß dieser Wert als etwas Empfundenes und Geschätztes vorausgesetzt wird. Denn offenbar würde das Wegwerfen des Indifferenten selbst etwas ganz Indifferentes sein. Für die wahnsinnigen Verschwendungen des ancien régime ist der folgende Fall typisch: als der Prinz Conti einen 4-5000 Fr. werten Diamanten, den er einer Dame geschickt hatte, von ihr zurückerhielt, ließ er denselben zerstoßen und benutzte ihn als Streusand für ein Billett, das er der Dame über die Angelegenheit schrieb. Dieser Erzählung fügt Taine die Bemerkung über die damalige Anschauungsweise hinzu: on est d'autant plus un homme du monde que l'on est moins un homme d'argent. Allein hierin lag doch eine Selbsttäuschung. Denn gerade das bewußte und betonte negative Verhalten zum Gelde hat, wie durch einen dialektischen Prozeß, das gegenteilige zur Grundlage, aus der allein jenem irgendein Sinn und Reiz kommen kann. Dasselbe ist auch bei jenen, in Großstädten hier und da bestehenden Geschäften der Fall, die gegenüber den durch Billigkeit wirkenden, gerade umgekehrt mit einer gewissen prahlerischen Selbstgefälligkeit betonen, daß sie die höchsten Preise haben. Sie sprechen damit die Anwartschaft auf das beste Publikum aus, das nicht nach dem Preise fragt. Nun ist aber das Bemerkenswerte dabei, daß sie nicht sowohl die Hauptsache – die Sache – akzentuieren, sondern dieses negative Korrelat, daß es auf den Preis nicht ankommt, und dadurch unbewußterweise doch wieder den Geldpunkt, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, in den Vordergrund des Interesses rücken. Wegen ihrer engen Beziehung zum Gelde gewinnt die Verschwendungssucht so leicht einen ungeheueren Beschleunigungszuwachs und raubt dem davon Befallenen [256] alle vernünftigen Maßstäbe: weil die Regulierung fehlt, die durch das Maß der Aufnahmefähigkeit konkreten Objekten gegenüber gegeben ist.

Das ist die genau gleiche Maßlosigkeit, die die geizige Geldgier charakterisiert:, die bloße Möglichkeit, die sie statt des Genusses der Wirklichkeiten sucht, geht an und für sich ins Unendliche und findet nicht wie dieser, äußere und innere Gründe ihrer Einschränkung. Wo der Habsucht die ganz positiven, von außen kommenden Fixierungen und Haltpunkte fehlen, pflegt sie sich ganz formlos und mit wachsender Heftigkeit zu ergießen. Das ist der Grund der besonderen Maßlosigkeit und Erbitterung von Erbschaftsstreitigkeiten. Weil hier keine Arbeit oder sachlich begründete Abmessung den Anspruch des Einzelnen festlegt, ist a priori keiner geneigt, den Anspruch des anderen anzuerkennen, so daß dem eignen jede Hemmung fehlt und jeder Eingriff in denselben als ein ganz besonders grundloses Unrecht empfunden wird. Diese innere Beziehungslosigkeit zwischen dem Wunsche und irgendeinem Maße seines Objekts, die bei der Erbschaftsstreitigkeit aus der personalen Struktur des Erbverhältnisses hervorgeht, entstammt bei der Geldgier der Struktur des Objekts. Sehr bezeichnend scheint mir für die Prinzipienlosigkeit, der diese letztere Raum gibt und die die Ansprüche gar keinen Grund zu ihrer Beschränkung finden läßt, ein Braunschweiger Münzaufstand von 1499. Die Obrigkeit wollte, daß künftig allem die gute Münze gelten sollte, neben der bisher die schlechte bestanden hatte. Und nun revoltierten dieselben Menschen, welche für ihre Produkte und auf ihre Löhne nur gute Pfennige nehmen wollten, in gewalttätiger Weise, weil man ihre Zahlungen in schlechter Münze nicht mehr akzeptierte! Gerade dies häufige Nebeneinander von guter und schlechter Münze gibt der inneren Maßlosigkeit der Geldsucht – der gegenüber auch die intensivsten sonstigen Leidenschaften immer etwas psychologisch Lokalisiertes haben – die reichsten Möglichkeiten. Sogar aus China wissen wir von Revolutionen, weil die Regierung in schlechtem Gelde zahlte, ihre Steuern aber in gutem einforderte. Ich möchte rein hypothetisch annehmen, daß diese Tendenz zur Maßlosigkeit, die in dem bloßen Geldinteresse als solchem liegt, auch die verborgene Wurzel der eigentümlichen, an den Börsen festgestellten Erscheinung bildet: daß die kleinen Getreidespekulanten, die Outsiders, fast ausnahmslos à la hausse gehen. Ich glaube, daß die logisch zwar unleugbare, für die Praxis aber ganz irrelevante Tatsache: daß der Gewinn bei der Baissespekulation überhaupt eine Grenze hat, bei der Hausse aber nicht – den psychologischen Anreiz für diese Seite bewirkt. Während die großen Getreidespekulanten, [257] für die die wirkliche Lieferung des Objekts in Frage kommt, die Chancen nach beiden Seiten hin berechnen, ist der reinen Geldspekulation, wie das Differenzgeschäft sie darstellt, die Richtung adäquat, die formell ins Grenzenlose geht. Eben diese Richtung, die die innere Bewegungsform des Geldinteresses ausmacht, liegt als das Schema der folgenden Tatsache noch näher. Die deutsche Landwirtschaft hat in der Periode von 1830-80 dauernd steigende Erträge geliefert. Dadurch entstand die Vorstellung, dies sei ein ins Unendliche gehender Prozeß; so daß die Güter nicht mehr nach dem Preise gekauft wurden, der dem momentanen Ertrage, sondern der dem künftig zu erwartenden, nach der bisher beobachteten Proportion gesteigerten entsprach – der Grund der jetzigen Notlage der Landwirtschaft. Es ist die Geldform des Ertrages, die die Wertvorstellung so auf die schiefe Ebene lockt; wo er nur als »Gebrauchswert«, nur seinem unmittelbaren konkreten Quantum nach in Frage kommt, findet die Idee seiner Steigerung eher eine besonnene Grenze, während die Möglichkeit und Antizipation des Geldwertes ins Unendliche geht. Hierauf gründet sich das Wesen von Geiz und Verschwendung, weil sie beide prinzipiell die Wertbemessung ablehnen, die allein der Zweckreihe Halt und Grenze gewähren kann, nämlich die an dem abschließenden Genüsse der Objekte. Indem der eigentliche Verschwender – der nicht mit dem Epikureer und dem bloß Leichtsinnigen zu verwechseln ist, so sehr in der individuellen Erscheinung all diese Elemente sich mischen mögen – gegen das Objekt, wenn es einmal in seinem Besitz ist, gleichgültig wird, ist sein Genießen mit dem Fluche behaftet, nie Rast und Dauer zu finden; der Augenblick seines Eintritts enthält zugleich seine Aufhebung in sich, das Leben hat hier dieselbe dämonische Formel wie das des Geizigen: daß jeder erreichte Moment den Durst nach seiner Steigerung weckt, der aber nie gelöscht werden kann; denn die ganze Bewegung sucht die Befriedigung, wie sie aus einem Endzweck fließt, innerhalb einer Kategorie, die sich ja von vornherein den Zweck versagt und sich auf das Mittel und den vordefinitiven Moment beschränkt hat. Der Geizige ist der abstraktere von beiden; sein Zweckbewußtsein macht in noch größerer Distanz vor dem Endzweck halt; der Verschwender geht immerhin noch näher an die Dinge heran, er verläßt die auf das rationelle Ziel gerichtete Bewegung an einer späteren Station, um sich an ihr, als sei sie selbst das Endziel, anzubauen. Einerseits diese formale Gleichheit bei vollständiger Entgegengesetztheit des sichtbaren Erfolges, andrerseits das Fehlen eines regulierenden substanziellen Zweckes, das bei der gleichmäßigen Sinnlosigkeit beider Tendenzen ein launenhaftes [258] Spiel zwischen ihnen nahe legt – erklärt es, daß Geiz und Verschwendung sich oft an derselben Persönlichkeit finden, sei es in Verteilung auf verschiedene Interessenprovinzen, sei es in Zusammenhang mit wechselnden Lebensstimmungen; Kontraktion und Expansion derselben drücken sich in Geiz und Verschwendung, wie in derselben, nur jedesmal mit anderem Vorzeichen versehenen Bewegung aus.

Beiderlei Bedeutungen des Geldes für unseren Willen gehen auf die Synthese zweier Bestimmungen zurück, die sich im Geld vollzieht. So dringlich und allgemein nämlich auch Nahrung und Kleidung begehrt werden, so ist das Verlangen nach ihnen doch naturgemäß begrenzt; gerade von dem Notwendigen und deshalb zunächst mit der größten Intensität Begehrten kann es genug geben. Der Bedarf nach Luxusgütern ist dagegen unserer Natur nach unbegrenzt; das Angebot wird hier niemals die Nachfrage übersteigen; z.B. also haben die Edelmetalle, insoweit sie Schmuckmaterial sind, eine innere Unbeschränktheit der Verwendung, die die Folge ihrer primären Überflüssigkeit ist. Je näher die Werte an dem Lebenszentrum stehen, je mehr sie Bedingung der unmittelbaren Selbsterhaltung sind, desto stärker ist zwar ihr unmittelbares Begehrtwerden, aber desto begrenzter ist eben dieses in quantitativer Hinsicht, desto eher gelangt man ihnen gegenüber an einen Sättigungspunkt. Umgekehrt dagegen, je weiter sie von jener primären Dringlichkeit abstehen, desto weniger findet ihre Begehrtheit ihr Maß an einem natürlichen Bedürfnis, und jedes gewährte Quantum läßt dieselbe ziemlich unverändert fortleben. Zwischen diesen Polen also bewegt sich die Skala unserer Bedürfnisse; sie sind entweder von unmittelbarer Intensität, aber dann doch naturgemäß begrenzt – oder sie sind Luxusbedürfnisse, die für die mangelnde Notwendigkeit eine grenzenlose Möglichkeit ihrer Expansion eintauschen. Während nun die Mehrzahl der Kulturgüter sich in einer gewissen Mischung dieser Extreme bewegt, so daß der Annäherung an das eine die Entfernung vom ändern entspricht, vereinigt das Geld die Höhepunkte beider. Denn indem es sowohl die unentbehrlichsten wie die entbehrlichsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen dient, gesellt es der intensiven Dringlichkeit des Verlangens seine extensive Unbegrenztheit zu. Es trägt an sich selbst die Struktur des Luxusbedürfnisses, indem es jede Begehrungsgrenze ablehnt – die nur durch die Beziehungen bestimmter Quantitäten zu unserer Aufnahmefähigkeit möglich wären –, aber es braucht diese Schrankenlosigkeit des Begehrens nicht durch jenen Abstand von dem unmittelbaren Bedürfen auszugleichen, wie es die Edelmetalle als Schmuckmaterial müssen, da es [259] das Korrelat auch der unmittelbarsten Lebensnotdurft geworden ist. Geiz und Verschwendung stellen diesen merkwürdig kombinierten Begehrungscharakter des Geldes gleichsam abgelöst dar, es ist für sie in sein reines Begehrtwerden aufgegangen; sie zeigen nach der schlimmen Seite hin, was wir auch nach der guten am Geld beobachten: daß es den Durchmesser des Kreises erweitert, in dem unsere antagonistischen psychischen Bewegungen schwingen. Nur daß der Geiz in gleichsam substanzieller Erstarrung zeigt, was die Verschwendung in der Form des Fließens und der Expansion offenbart.

Nach einer anderen Dimension hin, als die Verschwendung es tut, steht der Geldgier und dem Geize eine zweite negative Erscheinung gegenüber: die Armut als definitiver Wert, als für sich befriedigender Lebenszweck. Das Auswachsen eines Gliedes der Zweckreihe zu absoluter Bedeutung hat sich hier in eine ganz andere Richtung derselben verpflanzt, als beim Geiz und der Verschwendung; denn während diese bei den Mitteln zu Endzwecken stehen blieben, verharrt die Armut bei dem Ausbleiben der Mittel oder rückt in den hinter dem Endzweck liegenden Teil, insoweit sie sich als der Erfolg abgelaufener Zweckreihen einstellt. Ähnlich wie jene beiden tritt Armut in ihrer reinsten und spezifischen Erscheinung nur bei irgendeinem Maße von Geldwirtschaft auf. In naturalen Verhältnissen, die noch nicht geldwirtschaftlich bestimmt sind, so lange also die Bodenprodukte noch nicht als bloße Waren, d.h. unmittelbar als Geldwerte figurieren, kommt es nicht so leicht zu absoluter Bedürftigkeit Einzelner: noch bis in die letzte Zeit hinein hat man sich in Rußland gerühmt, daß die wenig geldwirtschaftlich entwickelten Bezirke daselbst keine persönliche Armut kennten. Als allgemeine Erscheinung liegt das nicht nur an der leichteren Zugängigkeit des unmittelbar Nötigen, zu dem es nicht erst der Beschaffung des Geldmittels bedarf, sondern auch daran, daß die humanen und sympathischen Gefühle der Armut gegenüber in jenen Verhältnissen leichter erweckt werden, als wenn das, was dem Armen fehlt und womit man ihm helfen soll, gar nicht das ihm unmittelbar Nötige ist. Das Mitgefühl hat in reinen Geldverhältnissen erst einen Umweg zu machen, ehe es auf den Punkt seines eigentlichen Interesses kommt. Auf diesem Umwege erlahmt es oft. Dem entspricht es, daß gerade praktisch hilfreiche und mitleidige Menschen dem Armen lieber mit Nahrung und Kleidung als mit Geld zu Hilfe kommen. Sobald die Armut als sittliches Ideal auftaucht, ist es deshalb auch der Besitz an Geld, den sie als die schlimmste Versuchung, als das eigentliche Übel verabscheut.

[260]

Wo das Heil der Seele als Endzweck empfunden wird, da er scheint zu ihm die Armut in manchen Doktrinen als ein ganz positives und unerläßliches Mittel, das sich aus dieser Stellung dann zu der Würde eines durch sich selbst bedeutungsvollen und gültigen Wertes erhebt. Das kann auf verschiedenen Staffeln der Zweckreihen und von verschiedenen Motiven aus geschehen. Zunächst wird die bloße Gleichgültigkeit gegen alles irdische Genießen und Interessiertsein dahin führen. Von der Seele, die zum Höchsten aufstrebt, fällt dieser Ballast wie von selbst ab, ohne daß es eines besonders darauf gerichteten Willens bedürfte. So mögen sich vielfach die ersten Christen verhalten haben: nicht direkt feindselig und aggressiv den Gütern der Sichtbarkeit gegenüber, sondern einfach ohne Beziehung zu ihnen, wie zu Dingen, für deren Wahrnehmung man kein Organ besitzt. Deshalb ist der – äußerst sporadische Kommunismus des Urchristentums den Bestrebungen des modernen Kommunismus im tiefsten Wesen entgegengesetzt: jener aus der Gleichgültigkeit gegen die irdischen Güter, dieser gerade der allerstärksten Wertung derselben entsprungen. Eine Mischform beider liegt auch zeitlich zwischen ihnen: die sozialistisch-revolutionären Bewegungen am Ende des Mittelalters waren zwar durchaus begehrlicher Natur, aber doch wurden sie teilweise von asketischen Strömungen, mit ihrem Ideal völliger Bedürfnislosigkeit, genährt. In Hinsicht auf das Geld freilich müssen diese letzteren aus dem bloßen Jenseits der materiellen Interessen herabsteigen und entschiedenere und positivere Formen annehmen, da man auf dem Wege auch zum Unentbehrlichsten ihm immerwährend begegnet und da der Erwerb seiner mehr Aufmerksamkeit und Willensbeschäftigung fordert, als die daraufhin erfolgende Beschaffung des Unterhaltes selbst. Wer gegen diesen so abgestumpft sein sollte, daß er wie jener Kirchenvater Wagenschmiere für Butter aß, ohne es zu merken, kann den noch, wenn er in einer Zeit des Geldverkehrs überhaupt existieren will, für den Erwerb auch der bescheidensten Summe sein Bewußtsein nicht in derselben Weise ablenken lassen. Deshalb wird, wo prinzipiell nur Gleichgültigkeit gegen alles Äußere herrscht, diese gerade dem Gelde gegenüber leicht in wirklichen Haß übergehen. Darauf wirkt, zweitens, der versucherische Charakter des Geldes noch entschiedener ein. Weil es in jedem Augenblick zur Verwendung bereit ist, ist es der schlimmste Fallstrick der schwachen Stunden, und da es alles zu beschaffen dient, so bietet es der Seele das ihr jeweilig Verführerischste dar; und alles dies ist von um so unheimlicherer. Gefährlichkeit, als das Geld, so lange es wirklich bloß als Geld in unseren Händen ist, das indifferenteste und unschuldigste [261] Ding von der Welt ist. So wird es für asketische Empfindungsweisen das richtige Symbol des Teufels, der uns in der Maske der Harmlosigkeit und Unbefangenheit verführt; so daß dem Teufel wie dem Gelde gegenüber die einzige Sicherung im absoluten Fernhalten liegt, in der Ablehnung jeglicher Beziehung, wie ungefährlich sie auch scheine. In der frühesten Gemeinde Buddhas ist dies zum prinzipiellen Ausdruck gekommen. Der Mönch, der in die Gemeinde eintritt, gibt eben damit seinen Besitz überhaupt auf, wie er seine Familienbeziehungen und seine Gattin aufgibt, und darf, gelegentliche Ausnahmen abgerechnet, nichts weiteres als die kleinen Gegenstände des täglichen Bedarfs besitzen, und auch diese eigentlich nur, wenn sie ihm als Almosen zufließen. Wie fundamental diese Bestimmung war, zeigt der Name, mit dem sich die Mönche bezeichneten: die Gemeinde der Bettler. Indem sie täglich erbettelten – und nicht einmal durch ausgesprochene Bitten, sondern das Almosen stillschweigend erwartend – was sie täglich bedurften, war die Bindung an jegliches Eigentum soweit gelöst, wie es überhaupt möglich war. Wie es bei gewissen arabischen Nomadenstämmen durch Gesetz verboten war, Getreide zu säen, ein Haus zu bauen und ähnliches, damit keine Verführung zur Seßhaftigkeit den Einzelnen den Lebensbedingungen des Stammes untreu mache, so galt dasselbe in innerlicher Wendung von den buddhistischen Mönchen. Sie, die sich den Vögeln vergleichen, die nichts mit sich tragen, als die Flügel, wohin sie auch fliegen, dürfen kein Ackerland, kein Vieh, keine Sklaven zum Geschenk nehmen. Am strengsten aber ist dies Verbot in bezug auf Gold und Silber. Der Wohltäter, der den Mönchen ein Geldgeschenk zugedacht hat, darf es nicht ihnen geben, sondern einem Handwerker oder Händler, der dann den Mönchen dafür die Naturalien liefert, die sie annehmen dürfen. Hat aber dennoch ein Bruder Gold oder Silber angenommen, so muß er vor der Gemeinde Buße tun und das Geld wird, wenn ein gutgesonnener Laie in der Nähe ist, diesem zum Einkauf von Lebensmitteln gegeben; selbst darf kein Mönch dies besorgen. Ist aber keiner gleich zur Hand, so wird das Geld einem Mönche zum Fortwerfen überliefert, und zwar einem, »der frei ist von Begehren, frei ist von Haß, frei von Verblendung« – und der so die Garantie gibt, daß er es auch wirklich wegwirft. Hier ist – wenn auch mit der eigentümlichen anämischen Gedämpftheit dieser gleichsam in einem Gedanken erstarrten Seelen – das Geld zu einem Gegenstand der Furcht und des Abscheus, die Armut zu einem eifersüchtig gehüteten Besitz, zu einem kostbaren Stück in dem Wertinventar dieses, aller Mannigfaltigkeit und Interessiertheit der Weltabgewandten Daseins geworden. Im [262] Gelde war der einheitliche Wert gegeben, mit dessen Ablehnung gerade alle Vielheit der Welt abgelehnt war.

Die innere Formung, die sich zum absoluten Werte der Armut aufgipfelt, wird nun mit reinster Entschiedenheit und unvergleichlicher Leidenschaft von den ersten Franziskanermönchen dargestellt. Hier gilt es nicht nur eine Reaktion gegen jene furchtbare Verweltlichung der italienischen Kirche des 12. und 13. Jahrhunderts, die in der Simonie ihren gedrängtesten Ausdruck gefunden hatte: auf Geld war alles gestellt und für Geld alles zu haben, von der Papstwahl bis zur Einsetzung des armseligsten Landpfarrers, von der großartigsten Klostergründung bis zum Aussprechen der Formel, durch die Florentiner Priester den Wein, in dem Mäuse ertrunken waren, wieder sühnten und genießbar machten! Die Reformbewegung hiergegen, die seit dem fünften Jahrhundert nie völlig unterbrochen war, hatte freilich schon sonst die Armut als die ideale Forderung für den Geistlichen laut werden lassen, weil damit der Verweltlichung der Kirche so Wurzel wie Krone abgeschnitten wäre. Allein zu einem selbständigen Werte oder zu einem Korrelat der tiefsten inneren Bedürfnisse wurde die Armut doch erst bei den Franziskanern. Von der ersten Zeit des Ordens sagt ein Spezialhistoriker: »In der Armut hatte die gente poverella Sicherheit, Liebe und Freiheit gefunden: was Wunder, daß alles Dichten und Trachten der neuen Apostel einzig der Bewahrung dieses köstlichen Schatzes galt. Ihre Verehrung kannte keine Grenzen; mit der vollen Glut bräutlicher Liebe warben sie täglich aufs neue um die Freundin ihres Herzens.« Die Armut wurde hier zu einem positiven Besitz, der einerseits gleichsam den Erwerb der höchsten Güter vermittelte, ihnen gegenüber das leistete, was das Geld den irdischen Verächtlichkeiten gegenüber; wie dieses war sie das Reservoir, in das die praktischen Wertreihen mündeten und aus dem sie sich wieder nährten. Andrerseits aber war die Armut schon ganz unmittelbar eine Seite oder ein Ausdruck davon, daß dem Entsagenden die Welt in einem höheren, dem höchsten Sinne gehörte; er war eigentlich kein Entsagender, sondern in der Armut besaß er den reinsten, feinsten Extrakt der Dinge, wie der Geizige ihn im Gelde besitzt. Wie die buddhistischen Mönche sagten: »In hoher Freude leben wir, die wir nichts besitzen; Fröhlichkeit ist unsere Speise, wie den Göttern des Lichtreichs« – so charakterisierte man die Franziskaner als nihil habentes, omnia possidentes. Die Armut hat hier ihr asketisches Wesen verloren: die inneren Güter, zu deren Gewinn sie die negative Bedingung bildete, sind zu ihr selbst herabgestiegen, der Verzicht auf das Mittel, das der Welt sonst als der volle Repräsentant ihrer Endzwecke gilt, [263] hat die gleiche Steigerung zu einem definitiven Werte erfahren. Die ungeheure und ausgreifende Macht des Prozesses, durch den das Geld aus seiner Mittlerstellung zu der Bedeutung eines Absoluten aufsteigt, kann durch nichts ein schärferes Licht erhalten als dadurch, daß die Verneinung seines Sinnes sich zu der gleichen Form steigert.

Den Kreis dieser Erscheinungen, die das Wesen des Geldes durch seine Reflexe beleuchten und durchsichtig machen sollen, schließe ich mit zwei, auf den Höhen der Geldkultur fast endemischen Vorkommnissen: dem Zynismus und der Blasiertheit – beides Ergebnisse der Reduktion auf den Mittelwert des Geldes, die sich die spezifischen Werte des Lebens gefallen lassen müssen; sie bilden gleichsam den Revers der Erscheinungen von Geiz und Geldgier, indem jene Reduktion sich mit diesen in dem Aufwachsen eines neuen Endwertes, mit Zynismus und Blasiertheit aber in dem Herabsetzen aller alten offenbart. In ihnen vollendet sich die Negativität der teleologischen Reihen, die das Geld schon in der Verschwendung und der Lust an der Armut zustande gebracht hat – sie vollendet sich, indem sie jetzt nicht nur die Einzelheit der Werte, die bloß im Gelde kristallisiert sind, sondern die Tatsache der Werte überhaupt ergreift. So wenig das, was wir heute Zynismus nennen, der fundamentalen Gesinnung nach etwas mit der griechischen Lebensphilosophie, von der sein Name stammt, zu tun hat, so besteht doch eine, wenn auch sozusagen perverse Beziehung zwischen beiden. Der antike Zynismus hatte ein ganz positives Lebensideal: die unbedingte Seelenstärke und sittliche Freiheit des Individuums. Dies war ihm ein so unbedingter Wert, daß ihm gegenüber alle Unterschiede sonst anerkannter Werte zunichte wurden: ob jemand Herr oder Sklave ist, ob er seine Bedürfnisse auf ästhetische oder unästhetische Weise befriedigt, ob er ein Vaterland hat oder keins, ob er die Familienpflichten erfüllt oder nicht – das sei für den Weisen völlig gleichgültig, und zwar nicht nur im Vergleich mit jenem absoluten Werte, sondern in dieser Gleichgültigkeit offenbare sich gerade dessen Vorhandensein. Für die jetzt als zynisch bezeichnete Gesinnung scheint es mir entscheidend, daß auch für sie keine Höhendifferenzen der Werte bestehen, und das im allgemeinen Hochgewertete seine einzige Bedeutung darin hat, auf das Niveau des Niedrigsten herabgezogen zu werden – daß aber der positive und ideelle sittliche Endzweck dieser Nivellierung weggefallen ist. Was für jene paradoxen Abkömmlinge sokratischer Lebensweisheit ein Mittel oder ein sekundäres Ergebnis war, ist hier das Zentrum geworden und hat sich dadurch in seiner Bedeutung völlig geändert. Der Zyniker – nun immer in dem jetzigen Sinne – offenbart sein Wesen am deutlichsten im [264] Gegensatz zu dem sanguinischen Enthusiasten. Während bei diesem die Kurve der Wertbewegung von unten nach oben geht und auch niedere Werte zu der Bedeutung der höheren zu heben strebt, ist sie beim Zyniker umgekehrt gerichtet: sein Lebensgefühl ist erst adäquat ausgedrückt, wenn er die Niedrigkeit auch der höchsten Werte, den Illusionismus der Wertunterschiede theoretisch und praktisch erwiesen hat. Dieser Stimmung kann nichts wirksamer entgegenkommen, als die Fähigkeit des Geldes, die höchsten wie die niedrigsten Werte gleichmäßig auf eine Wertform zu reduzieren und sie dadurch, um so verschiedene Arten und Maße derselben es sich auch handeln mag, auf dasselbe prinzipielle Niveau zu bringen. Auf keinem anderen generellen Gebiete findet der Zyniker eine so triumphierende Rechtfertigung, als hier, wo die feinsten, idealsten, persönlichsten Güter nicht nur für jeden, der das nötige Geld hat, verfügbar sind, sondern, noch viel bezeichnender, dem Würdigsten versagt bleiben, wenn er mittellos ist, und wo die Bewegungen des Geldes die unsinnigsten Kombinationen zwischen den personalen und den Sachwerten bewirken. Die Pflanzstätten des Zynismus sind deshalb die Plätze des großen, namentlich des Börsenverkehrs, wo das Geld in Massen vorhanden ist und leicht den Besitzer wechselt. Je mehr hier das Geld selbst zum alleinigen Interessenzentrum wird, je mehr man Ehre und Überzeugungen, Talent und Tugend, Schönheit und das Heil der Seele dagegen eingesetzt sieht, eine um so spöttischere und frivolere Stimmung wird diesen höheren Lebensgütern gegenüber entstehen, die für dasselbe Wertquale feil sind wie die Güter des Wochenmarkts, und so schließlich auch einen »Marktpreis« erhalten. Der Begriff des Marktpreises für Werte, die ihrem Wesen nach jede Schätzung außer der an ihren eigenen Kategorien, und Idealen ablehnen, ist die vollendete Objektivierung dessen, was der Zynismus in subjektivem Reflex darstellt.

Die andere Bedeutung der Nivellierung, die nicht sowohl die Verschiedenwertigkeit, als die Verschiedenartigkeit der Dinge trifft indem die zentrale Stellung des Geldes das Interesse an das ihnen Gemeinsame, im Gegensatz zu ihrer individuellen Ausbildungshöhe, heftet – findet ihren personalen Ausdruck in der Blasiertheit. Während der Zyniker sich durch das Wertgebiet doch noch zu einer Reaktion bewegen läßt, wenn auch in dem perversen Sinn, daß er in der Bewegung der Werte von oben nach unten einen Lebensreiz findet, ist der Blasierte, seinem freilich nie ganz realisierten Begriffe nach, den Unterschieden des Wertempfindens überhaupt abgestorben, er fühlt alle Dinge in einer gleichmäßig matten und grauen Tönung, nicht wert, sich dadurch zu einer Reaktion, insbesondere [265] des Willens, aufregen zu lassen. Die entscheidende Nuance ist hier also nicht die Entwertung der Dinge überhaupt, sondern die Indifferenz gegen ihre spezifischen Unterschiede, da aus diesen gerade die ganze Lebhaftigkeit des Fühlens und Wollens quillt, die sich dem Blasierten versagt. Über wen erst einmal die Tatsache, daß man alle möglichen Mannigfaltigkeiten des Lebens für eben dieselbe Geldsumme haben kann, innerlich Macht gewonnen hat, der muß eben blasiert werden. In der Regel gelten erschöpfende Genüsse als die Ursache der Blasiertheit, und mit Recht, indem die allzu starken Reize schließlich alle Reaktionsfähigkeit aus den Nerven herauspumpen. Allein damit ist der Kreis der Blasiertheitserscheinungen noch nicht abgeschlossen. Die Reize der Dinge nämlich sind keineswegs nur die Ursachen der praktischen Betätigungen zu ihrem Gewinne, sondern auch umgekehrt, Art und Maß der praktisch erforderten Bemühung um sie bestimmen oft ihrerseits gerade die Tiefe und Lebhaftigkeit ihres Reizes für uns. Alle Individualisierungen des Strebens, alle Verschlingungen der Wege, alle besonderen Anforderungen, die der Erwerb des Gegenstandes stellt, werden auf diesen selbst als Besonderheiten seines Wesens und seines Verhältnisses zu uns übertragen, werden als Reize in ihm investiert; umgekehrt, auf je mechanischere und in sich gleichgültigere Weise der Erwerb des Gegenstandes gelingt, desto farb- und interesseloser erscheint er selbst – wie eben allenthalben nicht nur das Ziel den Weg, sondern auch der Weg das Ziel bestimmt. Deshalb muß der immer gleiche, keinem Gegenstande eine besondere Art der Beschaffung vorbehaltende Erwerb für Geld seine Objekte vergleichgültigen, und zwar offenbar um so gründlicher, je mehr der Reichtum diese praktische Reduktion der Wertunterschiede auf immer mehr Gegenstände erstreckt. So lange wir nicht in der Lage sind, die Dinge zu kaufen, wirken sie noch mit ihren ganzen, ihren Besonderheiten entsprechenden Reizen auf uns; so bald wir sie, vermöge unseres Geldbesitzes, ganz selbstverständlich auf jede Anregung hin erwerben, verblassen jene Reize nicht nur auf Grund des Besitzes und Genusses selbst, sondern auch wegen des indifferenten, ihren spezifischen Wert verlöschenden Weges zu ihrem Erwerb. Dieser Einfluß ist natürlich im einzelnen Fall unmerklich klein. In dem Verhältnis aber, das der Reiche zu den für Geld erwerbbaren Objekten hat, ja, vielleicht schon in der Gesamtfärbung, die der öffentliche Geist jetzt diesen Objekten allenthalben erteilt, ist er zu einer sehr merkbaren Größe angehäuft. So sind Zynismus und Blasiertheit nur die Antworten zweier verschiedener, manchmal auch gradweise gemischter Naturelle auf die gleiche Tatsache: bei zynischer Disposition erregt die Erfahrung, [266] wie vieles für Geld zu haben, ist, und der Induktionsschluß, daß schließlich Alles und Alle käuflich sind, ein positives Lustgefühl, während für den zur Blasiertheit Neigenden eben dasselbe Bild der – Wirklichkeit ihr die letzten Möglichkeiten raubt, ihm zum Reize zu werden. Wahrend deshalb der Zyniker seine innere Lage in der Regel gar nicht abzuändern wünscht, ist dies beim Blasierten doch oft genug der Fall: das Gattungsmäßige in ihm verlangt nach den Lebensreizen, die seine individuelle Verfassung ihm unfühlbar macht. Daher die Begierde der Gegenwart nach An- und Aufregungen, nach extremen Eindrücken, nach der größten Raschheit ihres Wechsels – einer jener typischen Versuche, den Gefahren oder Leiden einer Situation durch quantitative Exaggerierung ihres Inhaltes abzuhelfen; wodurch freilich eine augenblickliche Ablenkung von ihrer sachlichen Bedeutung, nach kurzem aber das alte Verhältnis, jetzt erschwert durch das gestiegene Maß seiner Elemente, eintritt. Wesentlicher aber ist, daß die moderne Wertung des »Anregenden« als solchen an Eindrücken, Beziehungen, Belehrungen – ohne daß man zu betonen für nötig hielte, wozu es uns denn anrege – auch nur jenes charakteristische Befangensein in den Mitteln verrät: man begnügt sich mit diesem Vorstadium der eigentlichen Wertproduktion. Da nun die Sucht nach bloßen Anregungen als solchen die Folge der überhandnehmenden Blasiertheit ist, der die natürliche Erregbarkeit mehr und mehr schwindet, und da diese ihrerseits aus der Geldwirtschaft, mit ihrer Entfärbung aller spezifischen Werte durch einen bloßen Mittelwert, entspringt – so haben wir hier einen der interessanten Fälle, in denen die Krankheit dem Heilmittel ihre eigene Form mitgeteilt hat. Die Geldkultur bedeutet ein solches Befangensein des Lebens in seinen Mitteln, daß auch die Erlösung aus seinen Müdigkeiten wie selbstverständlich in einem bloßen, seine Endbedeutung verschweigenden Mittel: in der Tatsache des »Anregenden« schlechthin – gesucht wird.

[267]

III.

Ich habe oben einmal erwähnt, daß Geldgier und Geiz, so sehr sie in der Mehrzahl der Fälle vereinigt auftreten, dennoch begrifflich und psychologisch genau zu unterscheiden sind. Und tatsächlich gibt es auch Erscheinungen, die sie in Sonderung zeigen; das Tempo des Weges zum Gelde hin zeigt vielfach eine völlige Unabhängigkeit von dem des Weges vom Gelde weg, und zwar keineswegs nur da, wo Geldgier und Geiz im engeren Sinne in Frage stehen, sondern schon auf den Stufen, auf denen die inneren Bewegungen poch nicht die Grenze des Normalen überschritten haben. Das wird hauptsächlich durch jene illegitime Höhersetzung des Geldes in der Zweckreihe bewirkt, die, weil sie kein sachliches Maß in sich hat, ihre Bedeutung vielfach ändert, so daß das Geld, solange es noch zu gewinnen ist, ganz andere Wertgefühle weckt, als wenn es sich um seine Weggabe für weitere Objekte handelt. Die Spannung des Wertgefühls dem Gelde gegenüber, die den Weg zu ihm begleitete, läßt mit seiner Erreichtheit nach, was man so ausgedrückt hat, daß die meisten Menschen als Konsumenten das Gesetz der Wirtschaftlichkeit nicht so genau beobachten, wie sie es als erwerbende Geschäftsleute tun. Aus dieser Erfahrung heraus, daß wir im Erwerben strenger, exakter, weniger leichtsinnig sind, als im Ausgeben, stammt vielleicht eine Bestimmung des altjüdischen Rechtes. Nach ihm hat im allgemeinen bei Geldstreitigkeiten stets der Verklagte zu schwören. Nur dem Krämer wird an einer Stelle im Talmud ausnahmsweise zugestanden, den betreffenden Vermerk seines Ladenbuches zu beschwören. In gewissen Verhältnissen tritt jener Wechsel von Kontraktion und Remission der Geldwertung an Fürsten hervor, die, wie Ludwig XI. und viele andere, im Eintreiben ihrer Einkünfte von äußerster Strenge, im Ausgeben derselben aber durchaus liberal sind. Im großen und ganzen wird indessen eine Proportion zwischen dem Tempo des Erwerbens und dem des Ausgebens nicht zu leugnen sein. Deshalb gibt niemand das Geld leichter und leichtsinniger aus als der Spieler, der Goldgräber und die Demi-Monde; und die ruinöse Finanzwirtschaft Spaniens seit Karl V. hat man auf die relative Arbeitslosigkeit geschoben, mit der die Edelmetalle Amerikas den Spaniern anheimfielen. Jenes: »wie gewonnen, so zerronnen« weist nicht nur auf die [268] objektive Struktur der Wirtschaft hin, die allerdings die Sicherheit des Erworbenen nur als Preis einer gewissen Solidität des Erwerbes zu setzen pflegt: die Berufe des besonders leichten und schnellen Erwerbes enthalten in ihren objektiven Umständen auch schon die Kanäle, durch die das Erworbene wieder abzufließen die natürliche Tendenz und Chance hat. Seine wirksamere Begründung aber hat das Sprichwort in der psychologischen Verfassung: je schneller die teleologische Reihe bis zum Punkte des Geldgewinnes abläuft, desto weniger Gefühle von Kraftaufwand und Bedeutsamkeit sind in ihm summiert, desto oberflächlicher und deshalb leichter lösbar haftet er also im Wertzentrum, desto eher also lassen wir ihn wieder aus der Hand. Wenn aber auch so der aufwärts und der abwärts füllende Abschnitt der Reihe einen gemeinsamen Charakter größerer oder geringerer Spannung tragen, so bleibt doch zwischen ihnen selbst die Differenz, daß das Geld, solange es noch nicht gewonnen ist, den Wert eines Endzwecks besitzt, den es zu verlieren pflegt, sobald es nun wirklich gewonnen und in seinem bloßen Mittelscharakter wo der Geiz dies nicht verhindert – empfunden ist.

Ich habe diesen Wendepunkt zwischen den beiden Abschnitten der teleologischen Reihe hervorgehoben, weil an ihm ein äußerst wesentlicher Zug des Geldes eine sehr entschiedene Sichtbarkeit erreicht. Solange nämlich das Geld als nächstes und einziges Strebensziel das Bewußtsein erfüllt, hat es für dieses gewissermaßen noch eine Qualität. Wir wüßten zwar nicht recht zu sagen, was für eine, allein die Interessiertheit des Willens, die Konzentrierung der Gedanken darauf, die Lebhaftigkeit der daran geknüpften Hoffnungen und Bewegungen strahlen es mit einer Wärme an, die ihm selbst sozusagen einen farbigen Schimmer leiht und uns den Begriff des Geldes überhaupt, noch abgesehen von der Frage nach dem Wieviel, bedeutsam macht. So entwickeln sich alle unsere praktischen Wünsche: solange sie unerreicht vor uns stehen, reizt uns das ganze Genus als solches, so daß wir uns sogar oft genug der Täuschung hingeben, irgendein noch so geringfügiges Maß desselben, insofern es eben nur diese Sache ist, diesen Begriff darstellt, werde uns dauernd befriedigen. Unsere Begehrung geht zunächst auf das Objekt seinem qualitativen Charakter nach, und das Interesse an der Quantität, in der jene Bestimmtheit sich darstellt, macht in der Regel seine Wichtigkeit erst geltend, wenn die Qualität schon in irgendeinem Maße verwirklicht und empfunden ist. Diese typische Entwicklung unserer Interessen ergreift das Geld in einer besonders modifizierten Weise. Da es nichts ist, als das an sich gleichgültige Mittel zu konkreten und grenzenlos mannigfaltigen Zwecken, so ist allerdings seine [269] Quantität die einzige, vernünftigerweise uns wichtige Bestimmtheit seiner; ihm gegenüber steht die Frage nicht nach dem Was und Wie, sondern nach dem Wieviel. Dieses Wesen oder diese Wesenlosigkeit des Geldes tritt aber wie gesagt in voller psychologischer Reinheit in der Regel erst hervor, wenn es erlangt ist; nun, bei dem Umsatz in definitive Werte, macht sich erst ganz geltend, wie über die Bedeutung des Geldes, d.h. über seine Mittlerkraft, ausschließlich sein Quantum entscheidet. Bevor die teleologische Reihe an diesen Punkt gelangt und so lange das Geld ein bloßer Gegenstand des Verlangens ist, tritt vermöge der Gefühlsbetonung, die ihm als einem allgemeinen Begriff gilt, sein reiner Quantitätscharakter vor seinem generellen und gewissermaßen qualitativ empfundenen Wesen zurück – ein Verhältnis, das beim Geize chronisch wird, weil er die teleologische Reihe nicht über diesen kritischen Punkt hinausgelangen läßt, so daß der Geizige allerdings an das Geld dauernd Gefühle wie an ein Wesen von qualitativen und spezifischen Reizen knüpft. Die Beschränkung des Geldinteresses aber auf die Frage des Wieviel, anders ausgedrückt: daß seine Qualität ausschließlich in seiner Quantität besteht, hat vielerlei für uns wichtige Folgen.

Zunächst die, daß die Quantitätsunterschiede des Geldbesitzes für den Besitzer die erheblichsten qualitativen Unterschiede bedeuten. Das ist eine so triviale Tatsache der Erfahrung, daß ihre Hervorhebung sinnlos wäre, wenn nicht immer wieder die Versuchung wirkte, den reinen Quantitätscharakter des Geldes gerade umgekehrt auszulegen, seine Bedeutungen und Wirksamkeiten mechanisch, d.h. die höheren durch Multiplikationen der niederen, vorzustellen. Ich will zunächst einen ganz äußerlichen Fall als Beweis dafür erwähnen, wie tief eingreifend nach der Seite qualitativer Folgen hin quantitative Unterschiede in den Kondensierungen des Geldes sind. Die Ausgabe kleiner Banknoten hat einen ganz anderen Charakter, als die großer. Die kleinen Leute, die hauptsächlich die Inhaber der kleinen Note sind, sind nicht so leicht imstande, sie zur Einlösung zu präsentieren, wie die Besitzer großer Noten, während andrerseits, wenn einmal eine Panik ausbricht, sie ungestümer und besinnungsloser auf Rückzahlung drängen, oder ihre Noten à tout prix fortgeben. In derselben Beweisrichtung wirkt die folgende, mehr prinzipielle Überlegung.

Alle Geldaufwendungen zu Erwerbszwecken zerfallen in zwei Kategorien: mit Risiko und ohne Risiko. Abstrakt betrachtet sind zwar in jeder einzelnen beide Formen enthalten, wenn man etwa vom reinen Hazardspiel absieht; denn auch die wildeste sonstige Spekulation muß zwar mit einer sehr starken Entwertung, aber doch nicht der Nullifizierung des Spekulationsobjektes rechnen, während andrerseits [270] auch das solideste Erwerbsgeschäft immer irgendeinen Risikozusatz birgt. Praktisch aber kann in sehr vielen Fällen der letztere einfach als unendlich kleine Größe vernachlässigt werden, so daß man von jedem Geschäft sagen kann, es sei mit ihm entweder nichts riskiert, oder ein bestimmter Teil des Anlagekapitals, bzw. des Vermögens des Subjekts stehe auf dem Spiele. Nun scheint es vernünftig, die Größe dieses eventuell verlierbaren Einsatzes durch die beiden objektiven Faktoren bestimmen zu lassen: den Wahrscheinlichkeitsbruch des Verlustes und die Höhe des eventuellen Gewinnes. Es ist offenbar irrationell, 100 Mk. an ein Geschäft zu wagen, bei dem die Verlustchance = 1/2 ist und der höchstmögliche Gewinn 25 Mk. beträgt; es scheint aber unter allen Umständen rationell, unter den gleichen Bedingungen 20 Mk. zu wagen. Allein diese objektive Berechnung reicht tatsächlich nicht aus, die Vernunft oder Unvernunft in dem Risiko einer bestimmten Summe auszumachen. Es tritt viel mehr noch ein personaler Charakter hinzu: innerhalb jeder ökonomischen Lage gibt es einen gewissen Bruchteil des Besitzes, der vernünftigerweise überhaupt nicht riskiert werden darf, gleichgültig, eine wie hohe und wie wahrscheinliche Gewinnchance dafür einzutauschen wäre. Jenes verzweifelte Aufs-Spiel-Setzen des Letzten, das damit begründet zu werden pflegt, daß man »nichts mehr zu verlieren habe«, zeigt durch diese Begründung, daß man auf Rationalität des Verfahrens ausdrücklich verzichtet habe. Setzt man eine solche aber voraus, so tritt die Frage nach der objektiven Wahrscheinlichkeit des Gelingens einer Spekulation erst jenseits eines bestimmten Teilstriches innerhalb jedes Vermögens in ihr Recht. Das Quantum unterhalb dieser Grenze darf vernünftigerweise auch nicht um eine große zu gewinnende Summe und bei einer sehr geringen Verlustwahrscheinlichkeit aufs Spiel gesetzt werden, so daß diese objektiven, sonst das Recht des Risikos begründenden Faktoren hier ganz gleichgültig werden. Die Geldform der Werte verführt leicht zu einem Verkennen dieser wirtschaftlichen Forderung, weil sie jene in sehr kleine Abschnitte zerlegt und dadurch auch den Minderbegüterten in ein Risiko hineinlockt, in das er prinzipiell nicht eintreten dürfte. Dies hat sich z.B. äußerst charakteristisch an den Goldaktien über ein Pfund Wert gezeigt, die Minengesellschaften Transvaals und Westaustraliens ausgegeben haben. Durch ihren relativ sehr geringen Betrag und die sehr große Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise gedrungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fernbleiben mußten; einigermaßen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie, während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr für den Volkswohlstand durch die Festsetzung [271] eines ziemlich hohen Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe usw. in sehr kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügigkeit derselben, d.h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Gesamtbetrage leicht darüber, daß sie subjektiv, d.h. im Verhältnis zu dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere Tatsache, daß mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein spekulativer Gewinn zu machen ist, läßt manchen vergessen, daß seine Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das Tragische dabei ist, daß Leute, deren Einkommen nur das Existenzminimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften, solchen Versuchungen gerade am stärksten unterworfen sind. Nicht nur der auf Wahrscheinlichkeit basierte Gewinn ist demjenigen, dessen Lage einen solchen eigentlich am nötigsten macht, gerade durch die Logik dieser Lage versagt, sondern auch die auf Wahrscheinlichkeit basierte Sicherung gegen Verluste, die gerade diese Lage am wenigsten ertragen kann. Von der Versicherung der Dienstherrschaften, durch die sie sich die gesetzliche Verpflegung der Dienstboten in Krankheitsfällen für eine relativ kleine Prämie abkaufen, machen gerade ärmere Familien oft keinen Gebrauch. Ihnen zwar ist die Versorgung der erkrankten Dienstboten besonders schwer, und doch lassen sie es gerade darauf ankommen, weil bei sehr geringem Einkommen der sichere Aufwand einer kleinen Summe unerträglicher erscheint, als die bloße Chance eines viel höheren – so irrationell dies auch rein rechnerisch sein mag. Ersichtlich liegt innerhalb des Einkommens oder Vermögens jene Grenze, von der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger, d.h. sie läßt einen um so größeren Teil für spekulative Zwecke frei, je besser die Persönlichkeit situiert ist – und zwar nicht nur einen absolut größeren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen relativ, d.h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen größeren. Auch besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums – denn offenbar hat ein Vermögen um so größere Chance, sich zu vermehren, ein je größerer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz des Besitzers spekulativ angelegt werden kann – sondern es zeigt auch, wie das Geld durch die bloßen Unterschiede seiner Quantität einen ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirtschaftliche Geldwesen [272] qualitativ ganz verschiedenen Formen unterstellt. Die ganze äußere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist eine andere, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschließlich davon ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.

Dies ordnet sich schließlich einer sehr allgemeinen Form des Verhaltens der Dinge ein, die ihre auffälligste Erfüllung auf psychologischem Gebiet findet. Es handelt sich darum, daß quantitative Steigerungen von Erscheinungen, die als Ursachen wirken, nicht immer die gleichmäßige, entsprechende Steigerung ihrer Folgen hervorrufen. Vielmehr, derjenige Stärkezuwachs der Ursache, der einen bestimmten Zuwachs der Folge veranlaßte, kann auf höheren Stufen derselben Skala nicht mehr zu dem gleichen zureichen, sondern es wird bei absolut gesteigerten Maßen einer sehr gesteigerten Einwirkung bedürfen, um nur den gleichen Effekt zu erzielen. Ich erinnere etwa an die häufige Erscheinung, daß Betriebsmittel, die auf einem neu erschlossenen Erwerbsgebiet ein bestimmtes Erträgnis geben, später sehr vermehrt werden müssen, um eben dasselbe zu erzielen; oder an die Wirkung von Medikamenten, die sich anfangs durch eine geringe Erhöhung der Dosierung erheblich steigern läßt, während spätere, objektiv gleiche Vermehrungen nur sehr verminderte Wirkungen ausüben; oder an die Beglückung, die in beengten Vermögensverhältnissen ein Gewinn hervorruft, nach dessen kontinuierlicher Fortsetzung schließlich dem gleichen Gewinnquantum gar keine Glücksreaktion mehr entspricht. Das häufigst behandelte Beispiel betrifft die sogenannte Schwelle des Bewußtseins: äußere Reize, die unsere Nerven treffen, sind unterhalb einer gewissen Stärke überhaupt nicht merkbar; mit Erreichung derselben lösen sie plötzlich Empfindungen aus, ihre bloß quantitative Steigerung schlägt in eine Wirkung von äußerst qualitativer Bestimmtheit um; in mancherlei Fällen aber erreicht die Steigerung auch wieder in bezug auf diese Wirkung eine obere Grenze, so daß die einfache Fortsetzung der Reizverstärkung über diese hinaus die Empfindung wieder verschwinden läßt. Hiermit ist schon auf die zugespitzteste Form jener Diskrepanz zwischen Ursache und Wirkung hingewiesen, die durch die bloß quantitative Steigerung der ersteren veranlaßt wird: auf das direkte Umspringen der Wirkung in ihr Gegenteil. An dem obigen Beispiel der Medikamente findet auch dies statt: insbesondere durch homöopathische Versuche steht es fest, daß durch rein quantitative Abänderungen der Dosierung [273] bei einem und demselben Patienten eine direkte Gegensätzlichkeit der Wirkungen erzielt werden kann; auch bei Elektrisationen ist beobachtet, daß häufigere Wiederholungen den Erfolg in sein Gegenteil und wieder in das Gegenteil des Gegenteiles umschlagen ließen. Daß fast alle lustbringenden Sinnesreize durch bloße Häufung und Verstärkung nach einer anfänglichen Hebung des Lustgefühles zu einer Aufhebung desselben und zu positiven Schmerzen führen können, ist eine alltägliche Erfahrung von großer und typischer Bedeutung. Endlich zeigt sich die Inkommensurabilität zwischen dem objektiven, veranlassenden Reize und der subjektiven Empfindung, die er auslöst, auch in folgender Weise. Sehr niedrige ökonomische Werte, die aber zweifellos Werte sind, regen uns dennoch oft nicht zu demjenigen Verhalten an, das sonst dem ökonomischen Wert als solchem entspricht. Es gibt geldwerte Objekte, deren Geldwert vielfach überhaupt nicht gerechnet wird, gar nicht als Faktor in die Operation mit ihnen eintritt, z.B. Postmarken. Man mutet fremden Leuten, von denen man sonst nicht für einen Pfennig Wert verlangen dürfte oder würde, Antwort auf Anfragen zu, an denen sie selbst gar kein Interesse haben, und das Hinzufügen der Antwortmarke wird man einem Gleichstehenden gegenüber kaum wagen. Auch wer sonst mit Groschen überlegt sparsam umgeht, pflegt an eine Briefmarke oder auch einen Straßenbahngroschen weniger Sparsamkeitsbedenken zu knüpfen, als an vieles andere Gleichwertige. Es scheint eine freilich nach dem Vermögen und dem Temperament des Subjekts sehr verschieden liegende Schwelle des ökonomischen Bewußtseins zu geben, derart, daß ökonomische Reize, welche unterhalb derselben bleiben, gar nicht als ökonomische empfunden werden. Dies ist wohl eine Erscheinung, die allen höheren Gebieten gemeinsam ist. Denn diese entstehen doch, indem sonst schon vorhandene und merkbare Elemente zu einer neuen Form zusammengehen und dadurch zu einer Bedeutung erhoben werden, die sie bisher nicht kannten: so werden die Dinge zu Gegenständen des Rechts, des ästhetischen Genusses, der philosophischen Betrachtung – Dinge, deren längst bekanntem Inhalt so eine neue Seite zuwächst. Dazu aber, daß dies geschieht, wird in vielen Fällen ein bestimmtes Quantum solcher Elemente vorausgesetzt; bleiben sie unterhalb desselben, so steigen sie nicht zu den höheren und relativ schwer reizbaren Schichten des Bewußtseins auf, in denen jene Kategorien wohnen. So mögen z.B. gewisse Farben oder Farbenkombinationen mit voller Deutlichkeit wahrgenommen werden – aber ein ästhetisches Gefallen erregen sie doch nicht, wenn die von ihnen eingenommenen Flächen nicht eine [274] erheblichere Ausdehnung haben; vorher sind es einfache Tatsächlichkeiten, die zwar die Schwelle des sinnlichen Bewußtseins, aber nicht die des ästhetischen überschreiten. So gibt es eine historische Schwelle, die die merkwürdige Unproportionalität zwischen personalen Energien und ihren historischen Erfolgen bewirkt. Es hat viele indische Asketen gegeben, die ganz ähnliches wie Gotama lehrten aber nur dieser ist der Buddha geworden; sicher vielerlei jüdische Lehrer, deren Predigten nicht viel von der Jesu abwichen – aber nur dieser hat die Weltgeschichtebestimmt. Und so überall: die Bedeutungen der Persönlichkeiten bilden eine kontinuierliche Skala, aber es gibt in ihr einen Punkt, oberhalb dessen erst die geschichtliche Wirkung einer Persönlichkeit einsetzt, während die unterhalb dieser Bedeutsamkeitsschwelle verbleibenden nicht eine entsprechend geringere, sondern nun überhaupt keine Wirkung ausüben und völlig verschallen. Noch höher hinauf vielleicht liegt die Schwelle des philosophischen Bewußtseins. Dieselben Erscheinungen, die in minimer Quantität zu den verfließenden Gleichgültigkeiten des Tages gehören, in etwas höherer vielleicht ästhetische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können in gewaltigen und erregenden Dimensionen zu Gegenständen philosophischer oder religiöser Reflexion werden. Ähnlich hat auch das Gefühl des Tragischen eine Quantitätsschwelle. Vielerlei Widersprüche, Unzulänglichkeiten, Enttäuschungen, die als Einzelheiten täglichen Lebens gleichgültig sind oder gar einen humoristischen Zug haben, gewinnen ein tragisches und tief beängstigendes Wesen, sobald wir ihre ungeheure Verbreitung, die Unvermeidlichkeit ihrer Wiederholung, die Färbung nicht nur dieses, sondern jedes Tages durch sie uns zum Bewußtsein bringen. Auf dem Gebiete des Rechts wird die Tatsache der Schwelle durch das Prinzip: minima non curat praetor – markiert. Der Diebstahl einer Stecknadel ist etwas quantitativ zu Geringfügiges – so entschieden er qualitativ und für das logische Bewußtsein eben doch Diebstahl ist –, um den komplizierten psychologischen Mechanismus des Rechtsbewußtseins in Bewegung zu setzen: auch dieses hat also eine Schwelle, so daß unterhalb derselben verbleibende Reizungen, obgleich sie andere Bewußtseinsprovinzen sehr wohl erregen mögen, keinerlei psychisch-juridische Reaktion – ganz abgesehen von der staatlichen – wecken. Aus der Tatsache, daß auch das ökonomische Bewußtsein mit einer spezifischen Schwelle ausgestattet ist, erklärt sich die allgemeine Neigung, statt einer einmaligen größeren Aufwendung lieber eine fortlaufende Reihe kleinerer zu machen, deren einzelne man »nicht merkt«. Wenn daher schon Pufendorf dem Fürsten vorschlägt, er solle lieber auf viele Gegenstände je eine geringe [275] Steuer legen, statt auf einen einzigen eine hohe, da das Volk sich sehr schwer vom Gelde trenne (fort dur à la desserre sei), so macht diese Begründung ihren Angelpunkt gar nicht namhaft; denn das Geld hergeben muß das Volk in der einen Form so gut wie in der anderen; nur daß die einzelne Hergabe in der einen unterhalb der Schwelle des ökonomischen Bewußtseins bleibt und so die einzelne hergegebene Summe nicht ebenso in die Kategorie des wirtschaftlichen Rechnens, Empfindens, Reagierens aufsteigt – gerade wie zwei Gewichte, deren jedes unterhalb der Schwelle des Druckbewußtseins bleibt, nacheinander auf die Hand gelegt, gar keine Empfindung auslösen, dies aber sogleich tun, wenn sie gleichzeitig wirken.

Läßt sich dies als ein passiver Widerstand an unseren einfachen oder komplizierten Empfindungen denken, nach dessen Überwindung sie den Einfluß erst dem Bewußtsein übermitteln, so kann nun dieser Widerstand auch ein aktiverer werden. Man kann sich vorstellen, unsere aufnehmenden physisch-psychischen Organe befänden sich in jedem gegebenen Moment in einem Zustand von Bewegtheit bestimmter Richtung und Stärke, so daß die Wirkung eines eintretenden Reizes von dem Verhältnis abhängt, das die von ihm ausgehende innere Bewegung zu jener vorgefundenen besitzt: sie kann sich dieser gleichgerichtet einordnen, so daß sie ungehemmte Ausbreitungsmöglichkeit gewinnt, sie kann ihr auch zuwiderlaufen, so daß sie in ihrer Wirkung ganz oder teilweise aufgehoben wird und sozusagen das empfindende Organ erst nach Überwindung eines positiven Widerstandes in der ihr eigenen Richtung zu bewegen vermag. Das durch diese Vorstellung bezeichnete Verhalten begegnet nun der weiteren Tatsache, die wir als Unterschiedsempfindlichkeit bezeichnen: wir besitzen in der Empfindung kein Maß für absolute, sondern nur für relative Größen, d.h. nur durch den Unterschied einer Empfindung von der ändern können wir jeder ein Maß bestimmen. Diese Erfahrung – deren Modifikationen hier außer acht bleiben können und die für uns nur soweit, wie auch ihre Kritiker sie zugeben, zu gelten braucht – ist ersichtlich das Fundament der ganzen oben besprochenen Erscheinungsreihe. Denn wenn – so hat man dies an einem einfachsten Beispiel ausgedrückt – eine Bewegung im Tastnerven von der Stärke 1 um 1/3 zugenommen hat, so ist dies das nämliche, wie wenn eine Bewegung von der Stärke 2 um 2/3 zugenommen hätte. Die Tatsache also, daß wir die gleiche Reaktion an den relativ gleichen Unterschied von dem gegebenen Empfindungszustand knüpfen, bewirkt es, daß die objektiv gleichen Reize sehr verschiedene subjektive Folgen haben. Je weiter die Empfindung, die ein neuer Reiz fordert, von der vorgefundenen Verfassung [276] des Empfindens abweicht, als desto stärker und merklicher wird sie zum Bewußtsein kommen. Dies kreuzt sich nun, wie erwähnt, mit der Tatsache, daß der Reiz oft erst eine, seiner Richtung entgegenstehende Stimmung unserer physisch-psychischen Organe zu überwinden hat, ehe er sich für unser Bewußtsein geltend machen kann. Denn während gemäß jener Unterschiedsempfindlichkeit der Reiz um so merklicher ist, je weiter er von dem vorhergehenden Zustand absteht, so ist er nach dem ändern Prinzip – bis zu einer gewissen Grenze – um so unmerklicher, je differenter seine Richtung von der der bestehenden inneren Bewegungen ist. Das hängt mit der Beobachtung zusammen, daß Empfindungen bei gleichbleibendem Reize eine gewisse, wenn auch sehr kurze Zeit brauchen, ehe sie auf ihre Höhe gelangen. Während die erstere Erscheinungsreihe auf die Tatsache der Ermüdung zurückgeht – der Nerv antwortet auf den zweiten gleichartigen Reiz eben nicht mehr mit gleicher Energie, weil er durch den ersten ermüdet ist – zeigt die letztere, daß sich die Ermüdung keineswegs unmittelbar an die Reizreakti on anschließt, sondern daß zunächst diese Reaktion sich bei unverändertem Reize wie aus sich selber akkumuliert – vielleicht aus dem angeführten Grunde, daß erst ein Widerstand der perzipierenden Organe überwunden werden muß, ehe der Reiz die Höhe erreicht, von der er freilich durch die nun eintretende Ermüdung wieder herabsinkt. Dieser Dualismus der Wirkungen tritt auch an den komplizierten Erscheinungen sehr deutlich hervor. Eine Veranlassung zu Freude z.B., in das Leben eines im ganzen unglücklichen Individuums eintretend, wird von demselben mit einer leidenschaftlichen Reaktion, unverbrauchten eudämonistischen Energien, stärkstem Sich abheben gegen den dunklen Hintergrund seiner sonstigen Existenz empfunden werden; andrerseits aber bemerken wir, daß auch zur Freude eine gewisse Gewöhnung gehört, daß der Glücksreiz gar nicht recht aufgenommen wird, wenn die Seele sich schon an fortwährend entgegengesetzte Erfahrungen angepaßt hat. Insbesondere feinere Lebensreize prallen zunächst wirkungslos von einem inneren, durch Not und Leid bestimmten Lebensrhythmus ab, und die Stärke ihres Empfundenwerdens, die gerade der Gegensatz zu jenem voraussetzen ließ, stellt sich erst nach längerer Summierung der eudämonistischen Momente ein. Wenn diese nun andauert und die gesamte Verfassung der Seele schließlich in die ihr entsprechende Rhythmik oder Struktur übergeführt hat, so wird das Reizquantum, zu dessen voller Perzeption es damals nicht kam, derselben auch jetzt, und zwar aus der gerade entgegengesetzten Konstellation heraus, entbehren: weil jetzt eine derartige eudämonistische Gewöhnung eingetreten ist, daß der [277] zur Merklichkeit erforderte Unterschied mangelt. Diese Antinomie äußert ihre große teleologische Bedeutung auch im wirtschaftlichen Leben; die Unterschiedsempfindlichkeit treibt uns aus jedem gegebenen Zustand zum Erwerb neuer Güter, zur Produktion neuer Genießbarkeiten; die Begrenzung der Unterschiedsempfindlichkeit durch den zu überwindenden passiven oder aktiven Widerstand der bestehenden organischen Verfassung zwingt uns, diese neue Richtung auch mit andauernder Energie zu verfolgen und den Gewinn der Güter bis zu erheblicherer Quantität fortzusetzen. Dieser Steigerung aber setzt die Unterschiedsempfindlichkeit wieder ihre obere Grenze, indem die Gewöhnung an diesen bestimmten Reiz ihn abschwächt und schließlich den Zuwachs nicht mehr empfinden läßt, sondern zu qualitativ neuen forttreibt. In derselben Weise wie hier die Steigerung der Objektquanten, gleichmäßig fortschreitend, eine Alternierung innerer Folgen bewirkt, können die Geldwerte der Dinge durch ihre einfache Erhöhung zu einem Umschlagen der Begehrungen ihnen gegenüber führen. Zunächst wird ein Gegen stand, der gar nichts oder nur ein Minimum kostet, sehr oft eben deshalb überhaupt nicht gewertet und begehrt; sobald sein Preis steigt, entsteht dann auch seine Begehrenswürdigkeit und hebt sich eine Weile mit jenem bis zu einem äußersten Reizpunkte. Wird dann der Preis immer noch weiter gesteigert, so daß die Erwerbung für den Betreffenden außer Frage tritt, so wird das erste Stadium dieses Verzichts vielleicht die größte Leidenschaft des Verlangens zeigen, dann aber wird eine Anpassung an ihn, ein Niederkämpfen der unnützen Sehnsucht eintreten, ja, nach dem Typus der »sauren Trauben« eine direkte Aversion gegen das doch nicht Erreichbare. Auf sehr vielen Gebieten knüpft sich ein solcher Wechsel des positiven und negativen Verhaltens an die quantitative Änderung der ökonomischen Forderung. Der Steuerdruck, der auf dem russischen Bauern lastet, wird als Ursache seiner schlechten, primitiven und wenig intensiven Wirtschaft angegeben: der Fleiß lohne sich für ihn nicht, da er doch nichts übrig behalte als das nackte Leben. Offenbar würde ein etwas geringerer Druck, der ihm bei sehr fleißiger Arbeit einen Gewinn ließe, ihn gerade zu möglichst intensiver Bewirtschaftung veranlassen; sänken aber die Abgaben noch mehr, so würde er vielleicht wieder zu seiner früheren Trägheit zurückkehren, wenn er nun schon mit dieser einen Ertrag hätte, der allen Bedürfnissen seines Kulturniveaus genügte. Oder ein anderes Beispiel: wenn eine Klasse oder ein Individuum zu niedriger Lebenshaltung gezwungen ist und deshalb nur rohe und gemeine Freuden und Erholungen kennt, so führt ein etwas erhöhtes Einkommen nur dazu, diese Genüsse häufiger [278] und ausgedehnter zu suchen; wird es nun aber sehr erheblich höher, so steigen die Ansprüche an den Genuß in eine generell andere Sphäre. Wo z.B. die Schnapsflasche die Hauptfreude bildet, werden erhöhte Löhne zu gesteigertem Schnapsverbrauch führen; werden sie aber noch weiter und bedeutend erhöht, so wird sich das Bedürfnis nach ganz anderen Kategorien von Genüssen einstellen. Endlich kommt es hier zu einer aller Analyse spottenden Komplikation durch den Umstand, daß die Bewußtseinsschwellen für die verschiedenen Lust- und Schmerzgefühle offenbar ganz verschieden hoch liegen. Auf physiologischem Gebiet zunächst haben neuere Untersuchungen den immensen Unterschied der Schmerzempfindlichkeit ergeben, der zwischen den Nerven verschiedener Körperteile besteht und für einige das Sechshundertfache des Schwellenwertes anderer aufweist, und zwar charakteristischerweise so, daß der Schwellenwert für die Druckempfindlichkeit eben derselben Stellen gar kein konstantes Verhältnis zu jenem besitzt. Nun ist es allerdings äußerst mißlich, die Schwellenwerte für verschiedenartige höhere und nicht-sinnliche Gefühle zu vergleichen, weil ihre veranlassenden Momente ganz heterogen und nicht so nach ihren Quanten zu vergleichen sind wie mechanische oder elektrische Reize der Sinnesnerven. Trotzdem hiermit jede Messung ausgeschlossen erscheint, wird man die ungleichmäßige Reizbarkeit auch der höheren Gefühlsprovinzen zugeben und damit – da die bisher fraglichen Lebenssituationen immer eine Vielheit solcher betreffen – die ungeheuere und für die Theorie undurchdringliche Mannigfaltigkeit der Verhältnisse zwischen äußeren Bedingungen und innerer Gefühlsfolge.

Gerade die durch den Geldbesitz bestimmten Gefühlsschicksale mögen allein einen annähernden Einblick in diese Schwellenwerte und Proportionalitäten gestatten. Denn das Geld wirkt als Reiz auf alle möglichen Gefühle und kann dies, weil sein qualitätloser, unspezifischer Charakter es von jedem in eine so große Entfernung stellt, daß es zu allen eine Art gleichmäßigen Verhältnisses gewinnt; freilich wird dies Verhältnis nur selten ein unmittelbares sein, sondern vermittelnder Objekte bedürfen, die nach einer Seite hin unspezifisch sind – insoweit sie nämlich für Geld zu haben sind –, nach der ändern Seite hin aber spezifisch, indem sie bestimmte Gefühle auslösen. Dadurch, daß wir am Geld die Genußwerte der damit beschaffbaren spezifischen Objekte vorempfinden, daß der Reiz derselben auf das Geld übertragen und von ihm vertreten wird – haben wir am Geld den einzigen Gegenstand, in bezug auf den die Schwellenwerte der einzelnen Genußempfindlichkeiten eine Art von Vergleichbarkeit [279] erhalten. Der Grund, der hier dennoch ein gegenseitiges Messen auszuschließen scheint, liegt auf der Hand: die außerordentliche Verschiedenheit in den Geldwerten derjenigen Dinge, die auf den verschiedenen Gebieten das als gleich beurteilte Genußquantum erzeugen. Wenn die Genußschwelle in der aufsteigenden Geldreihe für einen Gourmand, einen Büchersammler, einen Sportsman ganz verschiedene Höhen zeigt, so liegt dies nicht daran, daß die hierbei ins Spiel kommenden Genußenergien verschieden reizbar wären, sondern daß die Gegenstände, die sie in gleichem Maße reizen, sehr verschieden teure sind. Dennoch wäre es denkbar, daß die Zufälligkeit der Schwellenwerte zwischen Geldquanten und eudämonistischen Erfolgen einer Ausgleichung zustrebte, mindestens in dem Sinn, daß es für die Individuen (oder auch für die Typen) charakteristisch wird, welchen Geldwert die erkaufbaren Objekte oder Eindrücke besitzen, die für sie die Genußschwelle überschreiten. Diese Entwicklung wird durch die Tatsache eingeleitet, daß, zunächst für unsere gefühlsmäßige Taxierung, Angemessenheit oder Unangemessenheit des Preises eines Objekts sich nicht nur an dem anderweitig geforderten Preise des gleichen ergibt, sondern auch an den ganz ändern absoluten Preisen von qualitativ ganz ändern Warengattungen; die Ausgleichung hiervon bedeutet das Aufwachsen eines gleichmäßigen Geldpreisstandards, der sicher erst das Endergebnis sehr vieler subjektiver und zufälliger Schwankungen ist. Soweit wir z.B. die ökonomischen Verhältnisse der früheren palästinischen Juden kennen, frappieren sie durch außerordentliche Billigkeit gewisser Artikel und enorme Preise für andere. Das Verhältnis zu den jetzigen Preisen ist ein so schwankendes, nicht auf einen rationalen Ausdruck zu bringendes, daß man nicht sagen kann (und vielleicht von keiner Periode des Altertums), der allgemeine Geldwert sei um so und so viel anders als der jetzige gewesen. Denn es hat einen solchen damals überhaupt nicht gegeben. Diese Erscheinung will man durch die ökonomische Kluft zwischen Reichen und Armen erklären, die durch keine Ambitionen der letzteren in bezug auf Lebenshaltung verringert wurde: die unteren Stände seien eben von einer sehr großen und stabilen Genügsamkeit gewesen, so daß gewisse Waren von ihnen prinzipiell nicht begehrt wurden; es hätten sich also zwei ganz verschiedene Geldpreisstandards herausgebildet: für das, was die Armen bezahlen konnten und wollten, und das, was die Domäne der Reichen war, denen es auf das Geld nicht ankam; das sei vielleicht bei allen älteren Völkern mehr oder weniger der Fall gewesen. Im Anschluß daran wird nun betont, daß gemäß den sozialen Anschauungen der neueren Zeit die mittleren Stände es in Bezug auf Kleidung, Nahrung, [280] Bequemlichkeiten, Vergnügungen den höheren gleichtun wollen und die niederen den mittleren. Dies erst habe die Möglichkeit eines einheitlichen und allgemeinen Geldwertes ergeben. Man könnte nach dieser Richtung hin den Weg der ökonomischen Kultur so formulieren: sie gehe dahin, das ursprünglich Billige zu verteuern und das ursprünglich Teure zu verbilligen. Diese Ausgleichung zeigt sich zunächst nach der objektiven Seite hin und findet ihre wahrhaft wunderbare Erscheinung in der »Durchschnittsprofitrate«. Durch eine fast unglaubliche und gar nicht als bewußter Verlauf nachzuweisende Anpassung aller wirtschaftlichen Faktoren aneinander ist erreicht, daß die nach ihrem Material, ihren Arbeitsbedingungen, ihren Erträgnisquanten verschiedenartigsten und voneinander unabhängigsten Betriebe in der ausgebildeten Wirtschaft den in ihnen investierten Kapitalien dennoch die – ceteris paribus – gleiche Rente liefern! Daß eine ebensolche Ausgleichung für die subjektiv-eudämonistischen Erfolge der Geldwerte sich herstelle, kommt natürlich angesichts der individuellen Differenziertheit der Menschen nicht in Frage, wohl aber könnte, vermöge der allmählichen Ausdrückbarkeit aller Objekte in Geld und der allmählichen Herstellung eines durchgehenden Geldpreisstandards, einer gleichmäßigen Bedeutung des Geldes für alle Waren – vermöge dieser könnte der Kulturprozeß sich einem verwandten Zustand nähern: auf der Quantitätsskala des Geldes könnten eventuell gewisse Punkte als Äquivalente derjenigen Objekte hervortreten, die für ein bestimmtes Individuum oder einen Typus entweder die ökonomische Schwelle oder die Genußschwelle oder die Blasiertheitsschwelle bezeichnen. Auf diesem, durch seine Komplikation und seine Individualisiertheiten schwierigsten Gebiet der Schwellenerscheinungen zeigt sich immerhin das Geld als das einzige Objekt, das, durch seinen rein quantitativen Charakter und sein gleichmäßiges Verhalten zu allen Verschiedenheiten der Dinge, noch am ehesten die Möglichkeit gibt, die mannigfaltigsten Reizbarkeiten in eine einheitliche Reihe zusammenzuordnen. Außerdem aber weisen gewisse Vorkommnisse auf eine ganz unmittelbare Bedeutung hin, die das Geld für die Schwelle des ökonomischen Bewußtseins hat, und zwar derart, daß das Bewußtsein überhaupt erst auf einen geldmäßigen Reiz hin als spezifisch ökonomisches reagiert. Spießbürgerliche Engherzigkeit lehnt die Zumutung altruistischer Hingabe eines Objekts oft mit der Begründung ab, der Gegenstand habe doch Geld gekostet – dies wird wirklich als rechtfertigende Begründung dafür empfunden, daß man hier nach dem hart egoistischen Prinzip bloßer Ökonomie verfahre! Ebenso suchen törichte Eltern ihre Kinder von mutwilligen Zerstörungen dadurch zurückzuhalten, [281] daß sie betonen, die Dinge hätten doch Geld gekostet! Statt den Kindern den Wert der Objekte selbst klarzumachen, beginnen sie die ökonomische Reaktion erst auf die Vorstellung des aufgewendeten Geldes hinein sehr bezeichnender Weise tritt dies bei zwei äußerlich ganz entgegengesetzten Erscheinungen hervor. Geschenke werden von vielen Seiten erst als voll gerechnet, wenn der Schenker Geld dafür ausgegeben hat; zu schenken, was man selbst besitzt, erscheint als schäbig, illegitim, unzureichend. Nur bei ganz feinsinnigen und hochstehenden Menschen begegnet es, daß sie ein Geschenk am höchsten schätzen, das der andere selbst besessen hat. Das Bewußtsein also, daß der Geber ein Opfer für ihn gebracht hat, tritt dort bei dem Beschenkten erst ein, wenn dieses Opfer in Geldform gebracht ist. Andrerseits wirkt doch gerade ein Geldgeschenk in höheren Kreisen direkt deklassierend, und auch dienende Personen, Kutscher, Boten usw. sind oft weit erkenntlicher für eine Zigarre als für ein Trinkgeld, das vielleicht den dreifachen Wert jener hat. Hier ist das Entscheidende, daß die Gabe eben nicht als ökonomische wirken darf oder daß wenigstens das Zurücktretenlassen ihres ökonomischen Charakters als besondere Kordialität wirkt. In dem ersteren wie in diesen Fällen reizt also der Wert erst in der Geldform das Bewußtsein als ökonomisches, und je nach den Empfindungen, die dies weiterhin auslöst, wird das gleiche Verfahren erwünscht oder perhorresziert sein. In eine so kontinuierliche Reihe die ausgebildete Geldwirtschaft die wirtschaftlichen Objekte fügen mag – zwischen diesen und dem Geld selbst schafft sie (was Warengeldepochen weniger tun werden) einen so generellen Unterschied, daß das Entstehen einer gerade nur auf den Geldwert reagierenden Bewußtseinsschwelle durchaus erklärlich wird.

Ein anderer Grund, der die Erscheinungen der Bewußtseinsschwelle in besonders merkbare Beziehung zum Gelde setzt, ist dieser. Das Bestehen und die Summierung von Ursachen, deren eigentlich proportionale Wirkung ausbleibt, um erst oberhalb einer gewissen Grenze einzutreten, wird um so ausgedehnter sein und diese Grenze um so höher hinaufrücken lassen, je unbewegter, in sich stabiler das ganze System ist, in dem der Vorgang sich abspielt: so kann man bekanntlich Wasser bis erheblich unter den Nullpunkt abkühlen, ohne daß es gefriert, wenn man es nur vor jeder Bewegung bewahrt, während die leiseste Erschütterung es sofort zu Eis werden läßt; so kann man die Hand in allmählich erhitztem Wasser halten, weit über den sonst erträglichen Grad hinaus, wenn man nur jede Bewegung ihrer oder des Wassers vermeiden kann; so rufen, auf höheren und komplizierten Gebieten, vielerlei Einflüsse und Verhältnisse die ihnen entsprechende [282] Gefühlsreaktion erst dann hervor, wenn unser ganzes Wesen, vielleicht von einem ganz anderen Punkte her, aufgerüttelt wird; sowohl der Besitz von Werten wie die Entbehrung derselben oder die Unwürdigkeit gewisser Situationen können lange bestehen und sich sogar allmählich steigern, ehe wir uns der Bedeutung davon bewußt werden; es muß erst ein Anstoß erfolgen, der die inneren Elemente sich gleichsam aneinander reiben läßt, so daß wir uns ihrer wirklichen Stärke gerade an ihren jetzt erst bemerkten Relationen oder Unterschieden gegen alle anderen bewußt werden. Ja, Gefühle wie Liebe und Haß können lange in uns leben und gleichsam unterirdisch sich akkumulieren und gewisse verkleidete Wirkungen üben, bis irgendein Anstoß, meistens eine Unterbrechung der äußeren Regelmäßigkeit der Beziehungen, jene Gefühle in das Bewußtsein hinein explodieren läßt und ihnen nun erst die ihnen zukommende Ausbreitung und Folgenreichtum verschafft. Nach demselben Typus verlaufen auch soziale Entwicklungen. Sinnlosigkeiten und Mißbrauche schleichen sich nicht nur in einmal konsolidierte Verfassungen ein, sondern sie häufen und steigern sich unterhalb der Schwelle des sozialen Bewußtseins, oft bis zu einem Grade, dessen Ertragenwerden man von dem Augenblick an nicht mehr begreift, in dem ein allgemeines Aufräumen, oft auf ganz andersartige Anregungen hin, jene Mißstände zum Bewußtsein gebracht hat. Oft sind es bekanntlich erst die Erschütterungen durch einen äußeren, Krieg, die die Widersprüche und eingerotteten Schäden eines Staates offenbar machen. Dies begründet z.B. die schon sonst hervorgehobene Beobachtung, daß sehr krasse soziale Unterschiede, unversöhnliche Höhenabstände der Klassen voneinander, in der Regel mit sozialem Frieden Hand in Hand gehen. Der Ruf nach ausgleichenden Reformen oder Revolutionen pflegt sich erst zu erheben, wenn die Starrheit der Klassenschranken sich gemildert hat und lebhaftere Bewegungen innerhalb der Gesellschaft gewisse vermittelnde und Übergangserscheinungen, eine Seh- und Vergleichungsnähe zwischen den Ständen erzeugt haben. Sobald dies aber geschehen ist, tritt den unteren Klassen ihre Unterdrücktheit, den oberen teils die sittliche Verantwortung dafür, teils der Trieb, ihren Besitzstand zu verteidigen, ins Bewußtsein, und der soziale Friede ist unterbrochen. Innerhalb der Geldwirtschaft nun ist die Bewegtheit des Lebenssystems, durch die das Bewußtsein zu Unterschieds- und Schwellenempfindungen gereizt wird, eine ganz besonders verbreitete und lebhafte. Die Fixierung von Verhältnissen, die den gesteigerten Veranlassungen zu Bewußtseinsreaktionen diese Folge vorenthält, wird bei ihrer Begründung auf Geld immerzu unterbrochen, weil alle solche etwas Labiles [283] und der Ruhelage Widerstrebendes haben, und zwar insbesondere, weil das Geld keine sachliche Beziehung zu Persönlichkeiten hat und nicht, wie eine Rangstufe oder eine Deklassierung, wie ein Beruf oder ein moralischer Wert, eine Gefühlsbeziehung oder eine Tätigkeit, gleichsam an jene anwächst. Alle auf solche Lebensinhalte gegründeten Verhältnisse haben wegen der relativen Festigkeit, mit der sie den Personen zugehören, eine Art von Stabilität und setzen dem Einfluß abändernder Elemente eine gewisse Trägheit entgegen, die erst bei einer erheblichen Summierung jener ihnen die ganz proportionierte Folge verschafft. Das Geld dagegen, das wegen seiner Qualitätlosigkeit auch zu keiner qualitativ bestimmten Persönlichkeit als solcher eine Beziehung hat, gleitet ohne innere Widerstände von der einen ab und zur anderen hin, so daß die darauf gegründeten Verhältnisse und Zustände jeder Veranlassung zu Änderungen leicht und adäquat nachgeben, oder, unser jetziges Interesse genauer ausdrückend: daß die Summierungserscheinungen des Geldes, die den Charakter bloßer Quantität am reinsten an sich darstellen, zugleich am häufigsten und deutlichsten ihre Wirkungen auf die inhaltliche Bestimmtheit des Lebens fühlbar machen werden. Die am Geld so häufig auftretenden Schwellenerscheinungen machen aber nur die Gesamtbestimmung seiner deutlicher, zu der jenes Superadditum gehörte, ja, dieses ist im Grunde nur eine einzelne aus den so charakterisierten Erscheinungen. Denn es sagt doch aus, daß die Bedeutung von mehr Geld nicht nur in einem proportionalen Vielfachen der Bedeutung von weniger Geld besteht, sondern daß dieser Bedeutungsunterschied, trotz der rein quantitativen Änderung seines Substrates, ein Umschlagen in qualitativ neue, ja entgegengesetzte Folgeerscheinungen darbietet.

Diese Tatsache hat eine zwar selbstverständliche, aber der Erörterung dennoch bedürftige Voraussetzung. Man kann jene selbst doch so ausdrücken: jede Geldsumme hat, auf eine Mehrheit von Personen verteilt, eine andere qualitative Bedeutung, als wenn sie sich in einer Hand befindet. Die Einheit der Persönlichkeit ist also das Korrelat oder die Bedingung für alle Quantitätsunterschiede des Besitzes und ihre Bedeutung; das Vermögen juristischer Personen steht ersichtlich wegen der Einheitlichkeit seiner Verwaltung in der hier fraglichen funktionellen Hinsicht auf derselben Stufe. Auch wo man von einem Volksvermögen spricht, ist das nur möglich, insofern man das Volk als ein einheitliches besitzendes Subjekt denkt, bzw die auf die einzelnen Bürger verteilten Besitze durch die Wechselwirkung, die sie innerhalb der nationalen Wirtschaft eingehen, als so einheitlich vorstellt, wie das Vermögen eines Individuums durch [284] solche Wechselwirkungen (Einteilung, Rücksichten der Einzelaufwendung auf das Ganze, Balance zwischen Einnahme und Ausgabe usw.) zu einer praktischen Einheit zusammengeht. Das Geld, als ein nur seiner Quantität nach bedeutsamer Wert, tritt an sich in einem extensiven Nebeneinander auf, so daß jede Summe, um eine zu sein, um als Einheit zu wirken, eines ihr äußerlichen Prinzips bedarf, das die einzelnen Teilquanten in Zusammenhang und Wechselwirkung, kurz, in eine Einheit zwingt. Wie die einzelnen Vorstellungsinhalte dadurch das Bild einer Welt ergeben, daß sie sich in einer persönlichen Bewußtseinseinheit zusammenfinden, und wie eben dadurch die Summe der Weltelemente mehr als eine bloße Summe wird, jeder Teil und das Ganze eine neue Bedeutung über das bloße Nebeneinander hinaus erhält: so wirkt die Einheit des persönlichen Besitzers auf das Geld und verleiht dem durch sie zusammengehaltenen Quantum erst jene Möglichkeit, sein Mehr oder Weniger in qualitative Bedeutung umzusetzen. Der Erkenntniswert hiervon wird vielleicht im Anschluß an eine Bestimmung der Grenznutzentheorie deutlicher. Man kann dieselbe doch etwa folgendermaßen kurz zusammenfassen. Jegliches Teilquantum eines Gütervorrates hat den Wert des am niedrigsten bewerteten, d.h. zur entbehrlichsten Nutzung verwandten Teiles. Denn wenn ein beliebiger Teil verloren ginge, so würde man vernünftigerweise mit dem Rest alle wichtigeren Bedürfnisse decken und nur das unwichtigste ungedeckt lassen; welcher Teil also auch entbehrt werden müßte, es wäre der unwichtigste. Der Wert eines Gütervorrates ist also nicht bestimmt durch den Nutzen, den man tatsächlich aus ihm zieht, d.h. nicht durch die Summe der sehr verschieden hohen Nutzungen seiner einzelnen Bestandteile, sondern durch den Nutzen des am wenigsten nutzbaren Teiles, multipliziert mit der Anzahl solcher gleich großen Teile überhaupt. Von dieser Theorie wird nun ganz allgemein eine Ausnahme zugegeben, nämlich da, wo eine Summe von Gütern eine Einheit bildet und als solche einen gewissen Nutzeffekt entfaltet, der nicht gleich der Summe der Nutzungen ihrer einzelnen Teile ist. Es habe z.B., so hören wir, der Bestand eines Waldes einen Einfluß auf Klima und Witterung, damit auf die Bodenfruchtbarkeit, die Gesundheit der Bewohner, die Beständigkeit eines Teiles des Volksreichtums usw., kurz, er habe als ganzer einen Wert, von dem kein noch so geringer; Bruchteil gerechnet werde, wenn man den Nutzen des einzelnen Baumes anschlüge. So sei auch der Wert einer Armee nicht nach dem Grenznutzen des einzelnen Soldaten, der eines Flusses nicht nach dem Grenznutzen der einzelnen Wassertropfen zu beurteilen. Der hiermit gezeichnete Unterschied ist auch derjenige, der für das [285] Vermögen eines Individuums gilt. Eine Million, im Besitz eines Menschen, verschafft ihm nicht nur ein Ansehen und eine soziale Qualifikation, die etwas ganz anderes ist, als das tausendmalige Vielfache der entsprechenden Bedeutung eines Besitzers von tausend Mark; sondern, diese subjektive Folge begründend, ist der objektive wirtschaftliche Wert einer Million nicht aus dem Grenznutzen etwa ihrer tausend Teile zu tausend Mark zu berechnen, sondern bildet eine darüber stehende Einheit, wie der Wert eines einheitlich handelnden Lebewesens über dem seiner einzelnen Glieder. Ich habe im vorigen Kapitel ausgeführt, daß der Geldpreis eines Gegenstandes, aus wie vielen Münzeinheiten er auch bestehe, dennoch als eine Einheit wirke: eine Million Mark, sagte ich, seien zwar an und für sich ein bloß additionales Konglomerat zusammenhangsloser Einheiten; dagegen als Wert etwa eines Landgutes seien sie das einheitliche Symbol, Ausdruck oder Äquivalent seiner Werthöhe und absolut nicht ein bloßes Nebeneinander einzelner Werteinheiten. Diese sachliche Bestimmung findet hier nun ihr personales Korrelat: die Beziehung auf die Einheit einer Person verwirklicht die Quantität des Geldes als Qualität, seine Extensität als Intensität, die aus dem bloß summierenden Nebeneinander seiner Bestandteile nicht erzielbar wäre.

Vielleicht läßt sich das auch so ausdrücken. Das Geld, als das rein arithmetische Zusammen von Werteinheiten, kann als absolut formlos bezeichnet werden. Formlosigkeit und reiner Quantitätscharakter sind eines und dasselbe; insofern Dinge nur auf ihre Quantität angesehen werden, wird von ihrer Form abgesehen – was am deutlichsten geschieht, wenn man sie wägt. Deshalb ist das Geld als solches der fürchterlichste Formzerstörer: denn welche Formungen der Dinge a, b und c auch der Grund sein mögen, daß sie alle den Preis m kosten, so wirkt die Unterschiedenheit derselben, also die spezifische Form eines jeden, in den 30 fixierten Wert ihrer nicht mehr hinein, sie ist in dem m, das nun a, b und c gleichmäßig vertritt, untergegangen und macht innerhalb der wirtschaftlichen Schätzung gar keine Bestimmtheit dieser mehr aus. Sobald das Interesse auf den Geldwert der Dinge reduziert ist, wird ihre Form, so sehr sie diesen Wert veranlaßt haben mag, so gleichgültig, wie sie es für ihr Gewicht ist. In dieser Richtung liegt auch der Materialismus der modernen Zeit, der selbst in seiner theoretischen Bedeutung irgendeine Wurzelgemeinschaft mit ihrer Geldwirtschaft haben muß: die Materie als solche ist das schlechthin Formlose, das Widerspiel aller Form, und wenn sie als das alleinige Prinzip der Wirklichkeit gilt, so ist an dieser ungefähr der gleiche Prozeß vollzogen, wie ihn die Reduktion auf den Geldwert an den Gegenständen unseres praktischen [286] Interesses zuwege bringt. Ich werde noch öfters davon zu sprechen haben, wie – in tiefem Zusammenhang mit der Schwellenbedeutung der Geldquanten – das Geld in außerordentlich hohen Summen eine besondere, der leeren Quantitätshaftigkeit sich enthebende, gleichsam individuellere Gestalt gewinnt. So nimmt, auch schon rein äußerlich, seine Formlosigkeit mit steigender Masse relativ ab: die kleinen Stücke des frühesten italischen Kupfergeldes blieben ungeformt oder erhielten höchstens eine rohe runde oder kubische Gestalt; dagegen die größten wurden durchgängig in viereckige Barrenform gegossen und gewöhnlich auf beiden Seiten mit einer Marke versehen. In der prinzipiellen Formlosigkeit eben des Geldes als Geldes schlechthin aber wurzelt die Feindseligkeit zwischen der ästhetischen Tendenz und den Geldinteressen. Jene geht so sehr auf die bloße Form, daß man bekanntlich den eigentlich ästhetischen Wert z.B. aller bildenden Künste in die Zeichnung gesetzt hat, die als reine Form sich in jedem beliebigen stofflichen Quantum unverändert ausdrücken könne. Das ist nun zwar als Irrtum zugegeben, ja, noch viel weitergehend, als es bisher anerkannt ist, wird man sagen müssen, daß die absolute Größe, in der eine Kunstform sich darstellt, ihre ästhetische Bedeutung aufs erheblichste beeinflusse, und daß diese letztere durch jede kleinste Änderung der quantitativen Maße, bei absoluter Formgleichheit, sogleich modifiziert werde. Aber darum bleibt doch der ästhetische Wert der Dinge nicht weniger auf ihrer Form, d.h. auf dem Verhältnis ihrer Elemente zueinander, haften, wenngleich wir jetzt wissen, daß der Charakter und die Wirkung dieser Form durch das Quantum, an dem sie wirklich wird, sehr wesentlich mitbestimmt wird. Es ist vielleicht bezeichnend, daß zwar außerordentlich viele Sprichwörter, aber von den unzähligen Volksliedern nur wenige sich mit dem Gelde, trotz seiner lebenbeherrschenden Bedeutung, zu befassen scheinen und daß selbst, wo um einer Münzveränderung willen ein Aufstand ausbrach, die bei dieser Gelegenheit entstehenden und im Volke verbreiteten Lieder die Münzsache selbst meistens beiseite lassen. Es bleibt immer der unversöhnliche und für alle ästhetischen Interessen entscheidende Antagonismus der Betonung: ob man die Dinge nach dem Wert ihrer Form oder nach dem Wieviel ihres Wertes fragt, sobald dieser Wert ein bloß quantitativer, alle Qualität durch eine bloße Summe gleichartiger Einheiten ersetzender ist.

Man. kann sogar direkt sagen, daß, je mehr der Wert eines Dinges in seiner Form beruht, sein Wieviel um so gleichgültiger wird. Wenn die größten Kunstwerke, die wir besitzen, etwa der delphische Wagenlenker und der Praxitelische Hermes, der Frühling von Botticelli [287] und die Mona Lisa, die Mediceergräber und Rembrandts Altersporträts – in tausend völlig ununterscheidbaren Exemplaren existierten, so wäre das zwar für das Glück der Menschheit ein großer Unterschied, aber der ideale, objektiv ästhetische, oder wenn man will: kunstgeschichtliche Wert wäre dadurch absolut nicht über denjenigen Grad hinaus gesteigert, den das eine, jetzt vorhandene Exemplar darstellt. Anders ist es schon mit kunstgewerblichen Gegenständen, bei denen die ästhetische Form eine völlige Einheit mit dem praktischen Gebrauchszweck bildet, so daß oft sogar die vollendetste Herausarbeitung dieses letzteren als der eigentliche ästhetische Reiz wirkt. Hier ist es für den ganzen so geschaffenen Wert wesentlich, daß der Gegenstand auch gebraucht werde, und deshalb wächst seine ideale Bedeutung mit seiner Verbreitung: in dem Maße, in dem das Objekt außer seiner Form noch anderen Wertelementen Raum gibt, wird auch das Wievielmal seiner Verwirklichung wichtig. Das ist auch der tiefste Zusammenhang zwischen der ethischen Werttheorie Nietzsches und der ästhetischen Stimmung seines Wesens: der Rang einer Gesellschaft bestimmt sich ihm nach der überhaupt in ihr erreichten Höhe der Werte, wie einsam sie auch sei, nicht aber nach dem Verbreitungs maß von schätzbaren Qualitäten – wie der Rang einer Kunstepoche nicht von der Höhe und dem Quantum guter Durchschnittsleistungen, sondern nur von der Höhe der höchsten Leistungen abhängt. So neigt der Utilitarier, dem es allein auf die ganz greifbaren Ergebnisse des Handelns ankommt, zum Sozialismus, mit seiner Betonung der Vielen und der Verbreitung erwünschter Lebensmomente, während der idealistische Ethiker, dem die mehr oder weniger ästhetisch ausdrückbare – Form des Tuns am Herzen liegt, eher Individualist ist oder wenigstens, wie Kant, die Autonomie des Einzelnen vor allem betont. So ist es doch auch auf dem Gebiet des subjektiven Glückes. Von den äußersten Aufgipfelungen des Lebensgefühles, die gleichsam für das Ich seine vollste Ausprägung in dem Stoff des Daseins bedeuten, empfinden wir oft, daß sie sich gar nicht zu wiederholen brauchen. Dies einmal genossen zu haben, gibt dem Leben einen Wert, der durch das Noch-Einmal eben desselben durchaus nicht verhältnismäßig gesteigert wird. Gerade solche Augenblicke, in denen das Leben ganz individuelle Zuspitzung geworden ist und den Widerstand der Materie – im weitesten Sinne – seinem Fühlen und Wollen völlig unterworfen hat, bringen eine Atmosphäre mit sich, die man als Seitenstück der Zeitlosigkeit, der species aeternitatis bezeichnen könnte: eine Erhebung über die Zahl, wie dort über die Zeit. Und wie ein Naturgesetz seine Bedeutung für Charakter und Zusammenhang der Welt nicht von der Zahl seiner [288] Verwirklichungsfälle entlehnt, sondern von der Tatsache, daß es überhaupt da ist, daß es, und kein anderes, gilt – so haben die Momente der höchsten Erhebung des Ich ihren Sinn für unser Leben darin, daß sie überhaupt einmal da waren, ohne daß eine Wiederholung, die ihrem Inhalt nichts hinzufügte, diesen Sinn vermehren könnte. Kurz, allenthalben macht die Zuspitzung der Wertgefühle auf die Form gegen ihre Quantitätsmomente gleichgültiger, während ihre Formlosigkeit gerade auf diese als wert entscheidende hinweist. –

Solange noch nicht so grenzenlos viele Zweckreihen sich im Geld schneiden, wie auf den Höhen der geldwirtschaftlichen Kultur, und noch nicht fortwährendes Zerbröckeln und Wieder-Summieren jede Eigenstruktur seiner atomisiert und in absolute Flexibilität übergeführt hat – begegnen Erscheinungen, in denen das Geld noch spezifische Form zeigt. Das ist da der Fall, wo eine höhere Summe nicht durch addierte kleinere ersetzt werden kann. Ansätze dazu zeigt schon der Naturaltauschverkehr: bei manchen Völkern darf etwa Vieh nur gegen Eisen und Zeuge, nicht aber gegen – sonst tauschwertvollen – Tabak vertauscht werden. Anderwärts, z.B. auf der Insel Yap, haben die außerordentlich mannigfaltigen Geldsorten (Knochen, Perlmutterschalen, Steine, Glasstücke usw.) eine Rang Ordnung. Trotzdem nämlich feststeht, ein wie Vielfaches der niederen Geldsorten die höheren gelten, so dürfen doch gewisse wertvollere Dinge, wie Boote oder Häuser, nicht etwa mit entsprechend vielen niederen Geldstücken, sondern müssen mit einer für jedes Objekt bestimmten, im Range hochstehenden Geldsorte bezahlt werden. Für den Kauf von Frauen finden wir gleichfalls diese Beschränkung auf eine bestimmte Geldqualität, die nicht durch eine Quantität anderer ersetzbar ist, in Gültigkeit. Und auch in umgekehrter Richtung gilt eben dieselbe: an einigen Stellen wird das Gold nie verwendet, um größere Quanten geringerer Waren, sondern ausschließlich um besonders kostbare Dinge einzukaufen. Dieser Erscheinungskreis entspricht nicht etwa der Bestimmung unserer Goldwährung, nach der Zahlungen oberhalb einer gewissen Höhe in Gold verlangt werden können, während man für niedere anderes Metall annehmen muß; der prinzipielle und technische Unterschied zwischen Wertmünze und Scheidemünze, auf den dies zurückgeht, scheint für jene Usance nicht zu bestehen, sondern die Geldsorten scheinen eine einheitliche Reihe zu bilden, in der nur die höheren Glieder ihren quantitativen Inhalt zu einem besonderen, quantitativ nicht ausdrückbaren Formwert zusammenschließen. Dies ist ein vortreffliches Mittel, der Trivialisierung der Geldfunktion vorzubeugen, die die unvermeidliche Folge des bloßen Quantitätscharakters ist, und ihr den sakralen Charakter [289] zu erhalten, den sie anfänglich so oft trägt. Aber es ist auch der Hinweis, daß solche Form- oder Qualitatsbedeutungen des Geldes einer Primitivepoche angehören, in der es eben noch nicht bloß Geld, sondern außerdem noch etwas ist. Sehr viel schwächer, gleichsam verhallend, klingt dieser Ton noch in spärlichen Erscheinungen der höchsten Entwicklungsstufen mit. So muß etwa die folgende ursprünglich auf eine Formbedeutung des Geldes zurückgehen: das französische Volk sagt lieber 20 Sous statt 1 Fr., lieber pièce de cent sous statt 5-Fr.-Stück usw.; auch kann man nicht gut: halber Franc sagen, sondern drückt diese Summe durch Sous oder Centimes aus. Die gleiche Summe scheint also, in dieser Form vorgestellt, einigermaßen andere Gefühlsreaktionen zu wecken, als in anderer. Es hat denselben Sinn, wenn das Volk statt des abstrakten Wortes Geld gern einen Münzennamen, also eine bestimmte Formung des Geldes, verwendet, auch wo ausschließlich Geld seinem Quantum nach gemeint ist: »Kein Kreuzer, keine Schweizer«, »Wo mit dem Taler geläutet wird, gehen alle Türen auf«, usw. Auch sonst ist bemerkt, daß das mit niederen Werten rechnende Volk bestimmte Größen lieber durch Addition von unten her als durch Teilung von oben her bezeichnet. Die Summe, die aus der Vervielfältigung der vertrauten Einheit hervorgegangen ist, scheint nicht nur ihre Bedeutung überschaubarer und vernehmlicher auszudrücken, sondern dieses subjektive Moment objektiviert sich in ein Gefühl, als sei die Summe, so ausgedrückt, auch an sich etwas Größeres und Volleres, als wenn sie sich in anderen Faktoren darstellt. Unterschiede in dieser Art waren in Norddeutschland zu beobachten, als an die Stelle der Taler die Markrechnung trat. In der Übergangszeit waren »dreihundert Mark« vielfach von ganz anderen psychischen Obertönen begleitet als »hundert Taler«, die neue. Form, in der der identische Inhalt sich ausdrückte, erschien umfänglicher, reichlicher als die andere, diese dagegen als konziser, bestimmter in sich geschlossen. Dieser Art also sind die Erscheinungen, in denen die in allen anderen Dingen so wesentliche Form sich am Gelde wenigstens andeutet und die ihm sonst eigene unbedingte Identität der Summe, welche Form man ihr auch leihen mag, einigermaßen unterbricht.

Was man im übrigen und im allgemeinen am Gelde dennoch als Form bezeichnen könnte, kommt ihm aus der Einheit der Persönlichkeit, die das Nebeneinander der Teile eines Vermögensbesitzes in ein Miteinander und eine Einheit verwandelt. Deshalb hat auch ein Vermögen, namentlich ein erheblicheres, nicht die ästhetische Mißlichkeit des Geldes im allgemeinen. Und zwar liegt das nicht nur an den ästhetischen Möglichkeiten, die der Reichtum gewährt; sondern [290] teils neben diesen, teils sie fundamentierend, besteht das Bild eines Vermögens als die Form, die das Geld durch seine Beziehung zu einem persönlichen Zentrum gewinnt, die es von der abstrakten Vorstellung des Geldes überhaupt scheidet und ihren Charakter als Form durch den Unterschied einer solchen Vermögenseinheit gegen die gleiche, aber auf viele Personen verteilte Summe deutlich aufzeigt. Wie sehr die Personalität des Besitzes seine Formbestimmtheit als solche trägt und betont, zeigt sich keineswegs nur am Geld. Die Hufe des altgermanischen Vollfreien war ein unteilbarer Besitz, weil sie mit seiner Mitgliedschaft in der Markgenossenschaft solidarisch war, der Besitz floß aus der Person und hatte deshalb die gleiche Qualität der Einheit und Unteilbarkeit. Und wenn man über den englischen Grundbesitz im Mittelalter vermutet hat, daß völlige Gleichheit der Lose immer auf unfreien Besitz, auf eine rationelle Landverteilung an Hintersassen seitens eines Herrn Anweisung gäbe, – so wäre es doch auch hier die einheitliche Persönlichkeit, wenngleich die unindividuelle und unfreie, die dem Besitz seine Umschriebenheit und Formbestimmtheit verleiht. Die Verdinglichung des Besitzes, seine Lösung von der Person bedeutete zugleich einerseits die Möglichkeit, die Landstücke Vieler in einer Hand zu vereinigen, andrerseits das einzelne beliebig zu zerschlagen. Mit der Personalität des Landbesitzes ging ebenso die Festigkeit wie die Wichtigkeit seiner Form verloren, er wurde ein Fließendes, dessen Formung von Moment zu Moment durch sachliche Verhältnisse (in die natürlich fortwährend personale eingehen) aufgelöst und wieder gebildet wird, während die Solidarität des Besitzes mit der Person denselben mit der von innen kommenden Formeinheit des Ich durchdrungen hatte. – Das Leben früherer Zeiten erscheint viel mehr an fest gegebene Einheiten gebunden, was ja nichts anderes bedeutet, als die hervorgehobene Rhythmik desselben, die die moderne Zeit in ein beliebig abteilbares Kontinuum auflöst. Die Inhalte des Lebens – wie sie mehr und mehr durch das absolut kontinuierliche, unrhythmische, von sich aus jeder festumschriebenen Form fremde Geld ausdrückbar sind – werden gleichsam in so kleine Teile zerlegt, ihre abgerundeten Totalitäten so zerschlagen, daß jede beliebige Synthese und Formung aus ihnen möglich ist. Damit erst ist das Material für den modernen Individualismus und die Fülle seiner Erzeugnisse geschaffen. Ersichtlich leistet die Persönlichkeit, mit dem so gestalteten, oder eigentlich nicht gestalteten Stoffe neue Lebenseinheiten schaffend, ebendasselbe mit größerer Selbständigkeit und Variabilität, was sie in dem früheren Falle in enger Solidarität mit stofflichen Einheiten geleistet hatte.

[291]

Durch sein so charakterisiertes Wesen wird das Geld innerhalb der historisch-psychologischen Gebiete der vollendetste Repräsentant einer Erkenntnistendenz der modernen Wissenschaft überhaupt: der Reduktion qualitativer Bestimmungen auf quantitative. Hier denkt man zunächst an die Schwebungen indifferenter Medien, die als die objektive Veranlassung unserer Farben- und Tonempfindungen gelten. Rein quantitative Unterschiede der Oszillationen entscheiden darüber, ob wir so qualitativ Unterschiedenes wie grün oder violett sehen, oder wie das Contra-A oder das fünfgestrichene C hören. Innerhalb der objektiven Wirklichkeit, von der nur Fragmente, zufällig und zusammenhangslos, in unser Bewußtsein hineinwirken, ist alles nach Maß und Zahl geordnet, und den qualitativen Verschiedenheiten unserer subjektiven Reaktionen entsprechen quantitative ihrer sachlichen Gegenbilder. Vielleicht sind all die unendlichen Verschiedenheiten der Körper, die in ihren chemischen Beziehungen hervortreten, nur verschiedene Schwingungen eines und desselben Grundstoffes. Soweit die mathematische Naturwissenschaft dringt, hat sie das Bestreben, unter Voraussetzung gewisser gegebener Stoffe, Konstellationen, Bewegungsursachen die Strukturen und Entwicklungen durch bloße Maßformeln auszudrucken. In anderer Form und Anwendung ist dieselbe Grundtendenz in all den Fällen wirksam, wo man frühere Annahmen eigenartiger Kräfte und Bildungen auf die Massenwirkung auch sonst gekannter, unspezifischer Elemente zurückgeführt hat: so in bezug auf die Bildung der Erdoberfläche, deren Gestalt man statt aus plötzlichen und unvergleichbaren Katastrophen jetzt vielmehr aus den langsam summierten, unmerklich kleinen, aber in unermeßlicher Vielheit sich äußernden Wirkungen herleitet, die die fortwährend beobachtbaren Kräfte des Wassers, der Luft, der Pflanzendecke, der Wärme und Kälte ausüben. Innerhalb der historischen Wissenschaften ist dieselbe Gesinnung bemerkbar: Sprache, Künste, Institutionen, Kulturgüter jeder Art erscheinen als das Resultat unzähliger minimaler Beiträge, das Wunder ihres Entstehens wird nicht durch die Qualität heroischer Einzelpersönlichkeiten, sondern durch die Quantität der zusammengeströmten und verdichteten Aktivitäten der ganzen historischen Gruppe erklärt; als die Objekte der Geschichtsforschung erscheinen mehr die kleinen, alltäglichen Vorgänge des geistigen, kulturellen, politischen Lebens, die durch ihre Summierung das historische Dasein in seiner Breite und seinen Entwicklungen schaffen, als die spezifisch individuellen Taten der Führer; und wo eine Prominenz und qualitative Unvergleichlichkeit Einzelner den noch vorliegt, da wird sie als eine besonders glückliche Vererbung gedeutet, d.h. als eine [292] solche, die ein möglichst großes Quantum angehäufter Energien und Errungenschaften der Gattung einschließt und ausdrückt. Ja, selbst innerhalb einer ganz individualistischen Ethik wird diese ebenso zur Weltanschauung gesteigerte wie in die Innerlichkeit des Gemütes hinabsteigende demokratische Tendenz mächtig; denn es begegnet die Behauptung, daß die höchsten Werte in dem alltäglichen Dasein und jedem seiner Momente, aber nicht in dem Heroischen, Katastrophenhaften, den hinausragenden Taten und Erlebnissen liegen, als welche immer etwas Zufälliges und Äußerliches hätten; mögen wir alle großen Leidenschaften und unerhörten Aufschwünge durchkosten – ihr Ertrag sei doch nur, was sie für die stillen, namenlosen, gleichmäßigen Stunden zurücklassen, in denen allein das wirkliche und ganze Ich lebt. Endlich, die empiristische Neigung, die, trotz aller entgegengesetzten Erscheinungen und aller berechtigten Kritik, dennoch das Ganze der modernen Zeit am durchgehendsten charakterisiert und hier ihre Innerste Form- und Gesinnungsverbindung mit der modernen Demokratie offenbart, setzt die möglichst hohe Zahl von Beobachtungen an die Stelle der einzelnen, divinatorischen oder rationalen Idee, sie ersetzt das qualitative Wesen dieser durch die Quantität der zusammengebrachten Einzelfälle; und dieser methodischen Absicht entspricht ganz der psychologische Sensualismus, der die sublimsten und abstraktesten Gebilde und Fähigkeiten unserer Vernunft für eine bloße Häufung und Steigerung der alltäglichsten sinnlichen Elemente erklärt. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren, die das wachsende Übergewicht der Kategorie der Quantität über die der Qualität zeigen, oder genauer: die Tendenz, diese in jene aufzulösen, die Elemente immer mehr ins Eigenschaftslose zu rücken, ihnen selbst etwa nur noch bestimmte Bewegungsformen zu lassen und alles Spezifische, Individuelle, qualitativ Bestimmte als das Mehr oder Weniger, das Größer oder Kleiner, das Weiter oder Enger, das Häufiger oder Seltener jener an sich farblosen, eigentlich nur noch der numerischen Bestimmtheit zu gängigen Elemente und Bewußtheiten zu erklären – mag diese Tendenz auch mit irdischen Mitteln ihr Ziel nie absolut erreichen können. Das Interesse an dem Wieviel, so sehr es einen angebbaren realen Sinn nur in der Verbindung mit dem Was und Wie besitzt und für sich allein nur eine Abstraktion darstellt, gehört zu den Grundlagen unseres geistigen Wesens, es ist der Einschlag in den Zettel der Qualitätsinteressen; wenn also auch beide zusammen erst ein Gewebe ergeben und deshalb die ausschließliche Betonung des einen logisch nicht zu rechtfertigen ist, so ist sie doch psychologisch eine der großen Differenzierungen der Perioden, der Individuen, der [293] Seelenprovinzen. Was Nietzsche von allen sozialistischen Wertungen scheidet, kann sich nicht schärfer als darin zeichnen, daß ihm ausschließlich die Qualität der Menschheit eine Bedeutung besitzt, so daß nur das eine jeweilige höchste Exemplar über den Wert der Epoche entscheidet, während für den Sozialismus gerade nur das Verbreitungsmaß erwünschter Zustände und Werte in Frage kommt.

Die oben angeführten Beispiele der modernen Quantitätstendenz zeigen ersichtlich zwei Typen: erstens, die objektiven Substanzen und Ereignisse, die den qualitativ unterschiedenen subjektiven Vorstellungen zum Grunde liegen, sind ihrerseits nur quantitativ unterschieden; zweitens, auch im Subjektiven erzeugt die bloße Häufung der Elemente oder Kräfte Erscheinungen, deren Charakter sich von den quantitativ anders bedingten spezifisch und nach Wertgesichtspunkten unterscheidet. Nach beiden Richtungen hin erscheint das Geld als Beispiel, Ausdruck oder Symbol der modernen Betonung des Quantitätsmomentes. Die Tatsache, daß immer mehr Dinge für Geld zu haben sind, sowie die damit solidarische, daß es zum zentralen und absoluten Wert auswächst, hat zur Folge, daß die Dinge schließlich nur noch so weit gelten, wie sie Geld kosten, und daß die Wertqualität, mit der wir sie empfinden, nur als eine Funktion des Mehr oder Weniger ihres Geldpreises erscheint. Unmittelbar hat dieses Mehr oder Weniger die doppelte Folge: im Subjekt die entgegengesetzten Gefühle, das tiefste Leid und die höchste Beseligung samt allen Mittelgliedern zwischen diesen Polen hervorzurufen, wie es seitens Anderer in die nicht weniger reiche Skala zwischen verächtlicher Gleichgültigkeit und kniebeugender Verehrung einzustellen. Und in einer anderen Dimension strahlt das Geld sowohl nach der Seite des Viel wie des Wenig sogar gleichmäßige Wertbedeutungen aus: der typische moderne Mensch schätzt die Dinge, weil sie sehr viel kosten, und er schätzt sie, weil sie sehr wenig kosten. Daß die Geldbedeutung sich der Sachbedeutung substituiert, kann nicht radikaler ausgedrückt werden als durch die gleichsinnige – wenn auch natürlich nicht für jeden einzelnen Fall gleichsinnige – Wirkung des Viel und des Wenig des Geldes. Je zentraler ein Gedanke oder ein Wert seine Provinz beherrscht, von um so gleichmäßigerer Stärke wird die Wichtigkeit sein, die er sowohl mit positivem wie mit negativem Vorzeichen entfaltet. – Andrerseits, im Objektiven, bewirkt das Anwachsen der Geldquantität überhaupt wie seine Akkumulierung in einzelnen Händen eine Steigerung der sachlichen Kultur, eine Herstellung von Produkten, Genießbarkeiten und Lebensformen, von deren Qualitäten bei geringeren oder anders verteilten [294] Geldquantitäten gar nicht die Rede hätte sein können. Ja, man möchte sogar jene Quantitätstendenz am Geld radikaler verwirklicht meinen als auf irgendeinem anderen, diesseits der Metaphysik liegenden Gebiete.. Denn wo immer wir qualitative Tatsächlichkeiten auf quantitative Verhältnisse zurückgliedern, bleiben die Elemente – physischer, personaler, psychischer Art –, deren Mehr oder Weniger den besonderen Erfolg entscheidet, an sich selbst doch in irgendeinem Maße qualitativ charakterisiert; man mag diese Bestimmtheit immer weiter zurückschieben, so daß die gestern noch unauflösliche Qualität des Elementes heute ihrerseits als eine Modifikation nach Maß und Zahl erkennbar wird, dieser Prozeß aber geht ins Unendliche und läßt in jedem gegebenen Augenblick noch eine qualitative Bestimmtheit der Elemente bestehen, um deren Wieviel es sich handelt. Nur der Metaphysik mag die Konstruktion absolut eigenschaftsloser Wesenheiten gelingen, die, nach rein arithmetischen Verhältnissen zusammengeordnet und bewegt, das Spiel der Welt erzeugen. Im Gebiet der Erscheinungen aber erreicht nur das Geld diese Freiheit von allem Wie, diese alleinige Bestimmtheit nach dem Wieviel. Während wir nirgends das reine Sein oder die reine Energie ergreifen können, um aus ihren quantitativen Modifikationen die Besonderheit der Erscheinungen her vorgehen zu lassen, vielmehr zu allen spezifischen Dingen ihre Elemente und Ursachen schon irgendeine Beziehung (wenngleich nicht immer Ähnlichkeit) haben – ist das Geld von den entsprechenden Beziehungen zu dem, was darüber und dadurch wird, völlig gelöst; der reine ökonomische Wert. hat einen Körper gewonnen, aus dessen Quantitätsverhältnissen nun alle möglichen eigenartigen Gebilde hervorgehen, ohne daß er etwas anderes als eben seine Quantität dafür einzusetzen hätte. So erreicht auch hier eine der großen Tendenzen des Lebens – die Reduktion der Qualität auf die Quantität – im Geld ihre äußerste und allein restlose Darstellung; auch hier erscheint es als der Höhepunkt einer geistesgeschichtlichen Entwicklungsreihe, der die Richtung derselben erst unzweideutig festlegt.

 




 

Synthetischer Teil

[297]

Viertes Kapitel.
Die individuelle Freiheit.

I.

Man kann die Entwicklung jedes menschlichen Schicksals von dem Gesichtspunkte aus darstellen, daß es in einer ununterbrochenen Abwechslung von Bindung und Lösung, von Verpflichtung und Freiheit verläuft. Dieser erste Überschlag indes stellt eine Scheidung dar, deren Schroffheit die nähere Betrachtung mildert. Was wir nämlich als Freiheitempfinden, ist tatsächlich oft nur ein Wechsel der Verpflichtungen; indem sich an die Stelle der bisher getragenen eine neue schiebt, empfinden wir vor allen Dingen den Fortfall jenes alten Druckes, und weil wir von ihm frei werden, scheinen wir im ersten Augenblick überhaupt frei zu sein – bis die neue Pflicht, die wir zuerst gleichsam mit bisher geschonten und deshalb besonders kräftigen Muskelgruppen tragen, mit der allmählichen Ermüdung derselben ihr Gewicht geltend macht und nun der Befreiungsprozeß ebenso an sie ansetzt, wie er vorher in ihr gemündet hatte. Dieses Schema vollzieht sich nicht an allen Bindungen mit quantitativer Gleichheit: es gibt vielmehr gewisse, mit welchen der Ton der Freiheit länger, intensiver, bewußter, verbunden ist als mit anderen; manche Leistungen, die nicht weniger streng gefordert werden als andere und im ganzen die Kräfte der Persönlichkeit nicht weniger beanspruchen, scheinen dennoch dieser ein besonders großes Maß von Freiheit zu gewähren. Der Unterschied der Verpflichtungen, der diesen Unterschied der damit verträglichen Freiheit zur Folge hat, weist folgenden Typus auf. Jeder Verpflichtung, die – nicht einer bloßen Idee gegenüber besteht, entspricht das Forderungsrecht eines anderen: weshalb denn die Moralphilosophie allenthalben die sittliche Freiheit mit denjenigen Verpflichtungen identifiziert, die ein ideeller oder gesellschaftlicher Imperativ oder die das eigne Ich uns auferlegt. Der Anspruch des anderen kann das persönliche Tun und Leisten, des Verpflichteten zum Inhalt haben; oder er kann wenigstens das unmittelbare Ergebnis der persönlichen Arbeit betreffen; oder es kann sich endlich bloß um einbestimmtes Objekt handeln, auf [298] dessen Genuß der Berechtigte Anspruch hat, während er auf den Weg, auf dem der Verpflichtete dasselbe beschafft, keinen Einfluß mehr besitzt. Diese Skala ist zugleich die der Freiheitsgrade, die mit der Leistung zusammen bestehen. Gewiß werden im ganzen alle Verpflichtungen durch das persönliche Tun des Subjektes solviert; allein es ist ein großer Unterschied, ob das Recht des Berechtigten sich unmittelbar auf die leistende Persönlichkeit erstreckt, oder nur auf das Produkt ihrer Arbeit; oder endlich auf das Produkt an und für sich, gleichviel durch welche Arbeit und ob überhaupt durch eigene, der Verpflichtete dazu gekommen ist. Selbst bei objektiv gleich großen Vorteilen des Berechtigten wird der erste dieser Fälle die Freiheit des Verpflichteten völlig binden, der zweite ihr schon etwas größeren, der dritte sehr erheblichen Spielraum gewähren. Das extremste Beispiel des ersten Falles ist die Sklaverei; hier betrifft die Verpflichtung über haupt nicht eine irgendwie objektiv bestimmte Leistung, sondern den Leistenden selbst; sie umschließt die Betätigung aller überhaupt vorhandenen Spannkräfte des Subjektes. Wenn in modernen Verhältnissen derartige Pflichten, welche die Leistungskraft überhaupt, aber nicht das objektiv bestimmte Resultat derselben betreffen – wie bei gewissen Arbeiterkategorien, Beamten, Dienstboten – dennoch der Freiheit keine allzu große Gewalt antun, so folgt dies entweder aus der zeitlichen Beschränkung der Leistungsperioden oder aus der Möglichkeit der Wahl zwischen den Personen, denen man sich verpflichten will, oder aus der Größe der Gegenleistung, die den Verpflichteten sich doch zugleich als einen Berechtigten fühlen läßt. Auf jener Stufe befinden sich ferner die Hörigen, solange sie schlechthin und mit ihrer gesamten Arbeitskraft dem Herrnhofe angehören, bzw. solange ihre Dienste »ungemessen« sind. Der Übergang zur zweiten vollzieht sich, indem die Dienste zeitlich beschränkt werden (womit nicht gesagt sein soll, daß diese Stufe historisch immer die spätere war; im Gegenteil, die Verschlechterung der bäuerlichen Freiheit führt sehr oft von dem zweiten zum ersten Verhältnis). Vollständig wird diese zweite Stufe erreicht, wenn anstatt der bestimmten Arbeitszeit und Kraft ein bestimmtes Arbeitsprodukt verlangt wird. Innerhalb dieser Stufe ist nun die Graduierung zu beobachten: daß der herrschaftliche Untertan entweder einen aliquoten Teil der Bodenerträge – etwa die zehnte Korngarbe – abzuliefern hat, oder ein ein für allemal fixiertes Quantum an Getreide, Vieh, Honig usw. Obgleich der letztere Modus unter Umständen der härtere – und schwierigere sein kann, so läßt er doch andrerseits dem Verpflichteten auch wieder größere individuelle Freiheit, denn er macht den Grundherrn gleichgültiger gegen die Wirtschaftsart des [299] Bauern: wenn er nur soviel produziert, daß jene bestimmte Abgabe herauskommt, so hat jener kein Interesse an dem Gesamtertrage, was bei der aliquoten Abgabe sehr erheblich der Fall ist und zu Beaufsichtigungen, Zwangsmaßregeln, Bedrängungen führen muß. Die Fixierung der Abgaben auf ein absolutes statt eines relativen Quantums ist schon eine Übergangserscheinung, die auf die Geldablösung hinweist. Freilich könnte, prinzipiell betrachtet, auf dieser ganzen Stufe schon vollständige Freiheit und Lösung der Persönlichkeit als solcher aus dem Pflichtverhältnisse gegeben sein; denn dem Berechtigten kommt es nur darauf an, daß er die bestimmte objektive Abgabe erhält, der Pflichtige mag sie hernehmen, wo er will. Allein tatsächlich kann er sie bei dieser Wirtschaftsführung nirgends hernehmen als aus der eigenen Arbeit, und auf dieser Grundlage ist auch das Verhältnis errichtet. Die Betätigung der Persönlichkeit war durch ihre Verpflichtungen eindeutig bestimmt. Und dies ist der allgemeine Typus, wo nur immer in der Naturalwirtschaft Leistung zu Gegenleistung verpflichtet: Leistung und Persönlichkeit tritt allerdings bald soweit auseinander, daß der Verpflichtete prinzipiell das Recht haben würde, seine Persönlichkeit ganz aus der Leistung zurückzuziehen und diese rein objektiv, etwa durch die Arbeit eines anderen hergestellt, zu prästieren. Aber in Wirklichkeit schließt die ökonomische Verfassung dies so gut wie aus, und durch das schuldige Produkt hindurch und in ihm bleibt das Subjekt selbst verpflichtet, die persönliche Kraft in einer bestimmten Richtung gebunden. Wie sehr immerhin das Prinzip der Sachlichkeit gegenüber dem der Persönlichkeit eine Wendung zur Freiheit bedeutet, zeigt z.B. die im 13. Jahrhundert sehr vorschreitende Lehnsfähigkeit der Ministerialen. Durch diese nämlich wurde ihre bisher persönliche Abhängigkeit in eine bloß dingliche verwandelt und sie dadurch in allen anderen als Lehnsangelegenheiten unter das Landrecht, d.h. in die Freiheit, gestellt. Es ist genau in demselben Sinn, wenn begabte Persönlichkeiten, die zur Lohnarbeit genötigt sind, es heutzutage vorziehen, einer Aktiengesellschaft mit ihrem streng objektiven Betriebe, als einem Einzelunternehmer zu dienen; oder wenn der Dienstbotenmangel daher entsteht, daß die Mädchen die Fabrikarbeit dem Dienst bei einer Herrschaft vorziehen, in dem sie zwar materiell besser gestellt sind, aber sich in der Unterordnung unter subjektive Persönlichkeiten weniger frei fühlen. – Die dritte Stufe, bei der aus dem Produkt die Persönlichkeit wirklich ausgeschieden ist und der Anspruch sich gar nicht mehr in diese hineinerstreckt, wird mit der Ablösung der Naturalabgabe durch die Geldabgabe erreicht. Man hat es deshalb gewissermaßen als eine magna Charta der persönlichen Freiheit im Gebiete [300] des Privatrechts bezeichnet, wenn das klassische römische Recht bestimmte, jeder beliebige Vermögensanspruch dürfe bei Verweigerung seiner Naturalerfüllung in Geld solviert werden; das ist also das Recht, jede persönliche Verpflichtung mit Geld abzukaufen. Der Grundherr, der ein Quantum Bier oder Geflügel oder Honig von seinem Bauern fordern darf, legt dadurch die Tätigkeit desselben in einer bestimmten Richtung fest, sobald er nur Geldzins erhebt, ist der Bauer insoweit völlig frei, ob er Bienenzucht, Viehzucht oder was sonst treiben will. Auf dem Gebiete persönlicher Arbeitsdienste vollzieht sich der formal gleiche Prozeß mit der Berechtigung, einen Ersatzmann zu stellen, den die andre Partei, wenn er sachlich einwandfrei ist, akzeptieren muß. Diese Berechtigung, die das Verhältnis seinem Sinne nach auf eine ganz neue Basis stellt, muß wie die Geldablösung oft erst erkämpft werden, weil man wohl fühlt, daß sie, wie auch die Geldablösung, der Weg zur Lösung der Verpflichtung überhaupt ist. Die Verfasser des Domesday Survey wählten charakteristischerweise für die Bauern, die ihre Frohnden durch regelmäßige Geldleistungen ersetzten. Ausdrücke, die bezeichnen sollten, daß sie weder ganz frei, noch ganz Untertan wären. Nur an den Namen der Geldzinse haftete noch lange ihr Ursprung aus Naturallieferungen: es wurden Küchensteuer, Faßpfennige, Herbergsgelder (statt der Beherbergung der umherreisenden Herren und ihrer Beamten), Honigpfennige usw. erhoben. Als Übergangsstufe tritt oft ein, daß die ursprüngliche Naturalabgabe in Geld taxiert und dieser Betrag als stellvertretend für sie gefordert wurde. Diese vermittelnde Erscheinung findet sich auch in Verhältnissen, die von dem hier behandelten Beispiel weit abliegen: in Japan wurden noch 1877 alle Zinsen und Steuern entweder in Reis bezahlt oder in Reis kalkuliert und in Geld bezahlt – entsprechend wie unter der Königin Elisabeth bei der Vermietung gewisser, den Universitäten gehöriger Ländereien der Pachtschilling in Korn vereinbart, obgleich offenbar in Silber erlegt wurde. Damit wird wenigstens die Identität des Wertquantums der Pflicht noch betont, während sie schon jede durch Inhaltsbestimmtheit bewirkte persönliche Bindung abgestreift hat. Wenn das ins primae noctis wirklich irgendwo bestanden hat, so nimmt es seine Entwicklung über analoge Stufen; jenes Recht des Grundherrn hatte das Ganze der verpflichteten Persönlichkeit, die Hingabe ihres zentralsten Habens oder vielmehr Seins zum Inhalt gehabt: dies wäre der Preis gewesen, um den er der Untertanin das Recht zur Eheschließung einräumte. Die nächste Stufe ist, daß er dieses Recht – das er jederzeit noch versagen kann – gegen Zahlung einer Geldsumme gibt; die dritte, daß sein Einspruchsrecht [301] überhaupt fortfällt, daß der Untertan vielmehr frei ist, sich zu verheiraten, sobald er dem Herrn eine festgesetzte Summe: Brautgeld, Ehegeld, Frauengeld oder ähnliches zahlt. Die Befreiung der Persönlichkeit wird also auf der zweiten Stufe zwar schon auf Geld gestellt, aber doch nicht ausschließlich, indem immerhin noch die Einwilligung des Grundherrn gewonnen werden mußte, die man nicht erzwingen konnte. Das Verhältnis wird erst vollständig entpersonalisiert wenn gar kein anderes Moment als das der Geldzahlung darüber entscheidet. Höher kann die persönliche Freiheit vor dem Wegfall jedes bezüglichen Rechtes des Grundherrn nicht steigen, als wenn die Verpflichtung des Untertanen in eine Geldabgabe verwandelt ist, die der Grundherr annehmen muß. Deshalb hat denn auch vielfach die Verringerung und die schließlich völlige Ablösung der bäuerlichen Dienste und Lieferungen ihren Weg über ihre Umwandlung in Geldbezüge genommen. Dieser Zusammenhang zwischen Geldleistung und Befreiung kann unter Umständen von dem Berechtigten als so wirksam vorgestellt werden, daß er selbst das lebhafteste Interesse an barem Gelde übertönt. Die Umwandlung der bäuerlichen Frohnden und Naturallieferungen in Geldzinse hatte in Deutschland seit dem 12. Jahrhundert begonnen; und gerade dadurch wurde sie unterbrochen, daß der Kapitalismus im 14. und 15. Jahrhundert auch die Grundherren ansteckte. Denn sie erkannten, daß die naturalen Leistungen außerordentlich viel dehnbarer und willkürlich vermehrbarer waren als die Geldzinsungen, an deren quantitative, zahlenmäßige Bestimmtheit nicht mehr zu rühren war. Dieser Vorteil der Naturalleistungen erschien ihnen groß genug, um ihre Habgier gerade in dem Augenblick daran festhalten zu lassen, in dem im übrigen die Geldinteressen bei ihnen herrschend wurden. Es ist eben dieser Grund, aus dem man überhaupt den Bauer nicht will zu Gelde kommen lassen. Der englische Hintersasse durfte ganz allgemein kein Stück Vieh ohne besondere Erlaubnis seines Lords verkaufen. Denn durch den Viehverkauf bekam er Geld in die Hand, mit dem er anderswo Land erwerben und sich den Verpflichtungen gegen seinen bisherigen Herrn entziehen konnte. – Der äußerste Grad des Befreiungsprozesses wird durch eine Entwicklung innerhalb der Geldabgabe selbst erreicht: indem statt des periodischen Zinses eine einmalige Kapitalzahlung erfolgt. Wenngleich der objektive Wert in beiden Formen der identische sein mag, so ist doch der Reflex auf das Subjekt ein. ganz verschiedener. Die einzelne Zinszahlung läßt zwar, wie hervorgehoben, dem Pflichtigen völlige Freiheit in bezug auf das eigene Tun, wenn er nur das erforderliche Geld erwirbt; allein die Regelmäßigkeit der Abgaben zwingt dieses Tun in ein bestimmtes, [302] ihm von einer fremden Macht aufgedrungenes Schema, und so wird denn erst mit der Kapitalisierung der Abgaben diejenige Form jeglicher Verpflichtungen erreicht, die zugleich der größten persönlichen Freiheit entspricht. Erst mit der Kapitalzahlung ist die Verpflichtung restlos in Geldleistung übergegangen, – während die Zinszahlung durch ihre regelmäßige Periodizität noch ein wenigstens formelles Element von Gebundenheit über das bloße Wertquantum hinaus enthält. Dieser Unterschied tritt etwa so hervor: im 13. Jahrhundert und noch später votierte das englische Parlament öfters, daß die Shires eine bestimmte Anzahl von Soldaten oder Arbeitern für den König zu liefern hätten; regelmäßig aber lösten die Repräsentanten-Versammlungen der Shires die Gewähr von Menschen gegen eine Geldleistung ab. So viel personale Freiheit damit aber auch gerettet war –: es unterscheidet sich doch wesentlich von jenen Rechten und Freiheiten, die das englische Volk seinen Königen durch einmalige Geld votierungen abkaufte. Wenn derjenige, der das Kapital erhält, damit all den Unsicherheiten enthoben ist, denen er bei einzelnen Zinsungen unterliegt, so ist das entsprechende Äquivalent dafür auf der Seite des Leistenden, daß seine Freiheit nun aus der labilen Form, die sie bei immer wiederholter Zinsung aufweist, in die stabile übergeht. Die Freiheit des englischen Volkes seinen Königen gegenüber beruht zum Teil darauf, daß es sich durch Kapitalzahlungen ein für allemal in Bezug auf bestimmte Rechte mit ihnen auseinandersetzte: pro hac concessione, sagt z.B. eine Urkunde Heinrichs III., dederunt nobis quintam decimam partem omnium mobilium suorum. Nicht trotzdem, sondern gerade weil eine solche Handelschaft um die Freiheiten des Volkes einen etwas brutalen, äußerlichen, mechanischen Charakter trägt, bedeutet sie ein reinliches Sichabfinden miteinander, den völligsten Gegensatz gegen die Empfindung des Königs, daß sich »kein Blatt Papier zwischen ihn und sein Volk drängen sollte« – aber eben deshalb auch eine radikale Beseitigung aller der Imponderabilien gemütvollerer Beziehungen, die bei. einem weniger geldgeschäftsmäßigen Erwerb von Freiheiten oft die Handhabe bieten, sie zurückzunehmen oder illusorisch zu machen. Ein gutes Beispiel der stufenweisen Entwicklung, in der die Geldablösung der Naturalleistung die Befreiung des Individuums trägt, vollzieht sich an der Verpflichtung der Untertanen, Bürger und Hintersassen, ihre Landesherren bzw. Beamte, Schirmvögte, Gerichtsherren bei ihren Reisen zu beherbergen und zu verpflegen. Diese Last stammte aus dem alten Königsdienste und erlangte im Mittelalter eine sehr bedeutende Ausdehnung. Es ist der erste Schritt zur Sachlichkeit und Unpersönlichkeit dieser Verpflichtung, wenn dieselbe streng umgrenzt [303] wird; so finden wir schon früh genau vorgeschrieben, wie viele Ritter und Knechte beherbergt werden müssen, wie viele Pferde und Hunde mitgebracht werden dürfen, wieviel Brot, Wein, Fleisch, Schüsseln, Tischtücher usw. zu liefern sind. Immerhin, sobald unmittelbar Beherbergung und Atzung stattfand, mußten einerseits die Grenzen der Leistungen leicht ins Schwanken geraten, andrerseits trugen sie entschieden den Charakter der persönlichen Beziehung. Demgegenüber ist es die entwickeltere Stufe, wenn wir hören, daß bloße Lieferungen von Naturalien ohne Beherbergung stattfanden; dabei konnten die Abmessungen des Quantums viel genauer sein, als wenn die Personen beherbergt und satt gemacht werden sollten. So heißt es, der Graf von Rieseck sollte eine bestimmte Abgabe Korn erhalten: »Davon sul man syme gesinde brot backen, wan er in dem Dorf zu Crotzenburg ist, off daz er die arme lüde in dem dorff nit furter besweren oder schedigen solle.« Diese Entwicklung führt weiter dahin, daß feste Geldleistungen gelegentlich der Anwesenheit der hohen Herren bei ihren Reisen und Gerichtssitzungen stipuliert werden. Und endlich wird auch das hierin noch liegende variable und personale Moment beseitigt, indem diese Leistungen in ständige Abgaben übergeführt werden, die als Atzgeld, Herrentaggeld, Reisigvogtgeld, auch dann erhoben wurden, als die alten Amtsreisen der Richter usw. durch ganz andere Organisationen ersetzt wurden. Das war der Weg, auf dem die Leistungen solcher Art schließlich ganz fortfielen und in der allgemeinen Steuerleistung der Untertanen aufgingen, der sozusagen jede spezifische Formung fehlt und die deshalb das Korrelat der persönlichen Freiheit der Neuzeit ist.

In solchen Fällen von Ablösung der naturalen Leistungen durch Geldzahlungen pflegt der Vorteil auf beiden Seiten zu sein. Dies ist eine sehr merkwürdige und zur Einstellung in größere Zusammenhänge auffordernde Tatsache. Wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß das zum Genuß verfügbare Güterquantum ein begrenztes ist; daß es den vorhandenen Ansprüchen nicht genügt; daß endlich »die Welt weggegeben ist«, das heißt, daß im allgemeinen jedes Gut seinen Besitzer hat – so folgt daraus, daß, was dem einen gegeben wird, dem anderen genommen werden muß. Zieht man hier nun alle die Fälle ab, in denen dies ersichtlich nicht gilt, so bleiben doch immer noch unzählig viele, in denen die Bedürfnisbefriedigung des einen nur auf Kosten des anderen erfolgen kann. Wollte man dies als das oder ein Charakteristikum oder Fundament unseres Wirtschaftens ansehen, so würde es sich in alle jene Weltanschauungen einordnen, die überhaupt das Quantum der der Menschheit beschiedenen Werte – der Sittlichkeit, des Glückes, der Erkenntnis – für ein seiner oder [304] ihrer Natur nach unveränderliches halten, so daß nur die Formen und die Träger desselben wechseln können. Schopenhauer neigt sich der Annahme zu, daß jedem Menschen sein Maß von Leiden und Freuden von vornherein durch seine Wesensart bestimmt ist; es könne weder überfüllt werden noch leer bleiben, und alle äußeren Umstände, auf die wir unser Befinden zu schieben pflegen, stellten nur einen Unterschied in der Form, jenes unveränderliche Lust- und Leidquantum zu empfinden, dar. Erweitert man diese individualistische Vorstellung auf die menschliche Gesamtheit, so erscheint all unser Glücksstreben, die Entwicklung aller Verhältnisse, aller Kampf um Haben und Sein als ein bloßes Hin- und Herschieben von Werten, deren Gesamtsumme dadurch nicht verändert werden kann, so daß aller Wechsel in der Verteilung nur die fundamentale Erscheinung bedeutet, daß der eine jetzt besitzt, was der andere freiwillig oder nicht – weggegeben hat. Diese Erhaltung der Werte entspricht ersichtlich einer pessimistisch-quietistischen Weltansicht; denn je weniger man uns imstande glaubt, wirklich neue Werte hervorzubringen, um so wichtiger ist es, daß auch keiner wirklich verloren gehe. In paradoxer Konsequenz lehrt das die in Indien verbreitete Vorstellung, daß, wenn man einen heiligen Asketen zu Falle bringe, sein Verdienst auf den Versucher übergehe!

Aber auch direkt gegenteilige Erscheinungen sind zu beachten. Mit allen jenen Gemütsverhältnissen, deren Glück nicht nur in dem Gewinnen, sondern ebenso in dem eigenen Sichhingeben liegt, und wo jeder wechselseitig und gleichmäßig durch den anderen bereichert wird, erwächst ein Wert, dessen Genuß nicht durch die Entbehrung einer Gegenpartei erkauft wird. Ebensowenig bedeutet die Mitteilung intellektueller Güter, daß dem einen genommen werden muß, was der andere genießen soll; wenigstens kann nur eine an das Pathologische streifende Empfindungssubtilität sich wirklich beraubt fühlen, wenn irgendein objektiver geistiger Inhalt nicht mehr subjektiv-ausschließliches Eigentum ist, sondern von anderen nachgedacht wird. Im ganzen kann man vom geistigen Besitz, wenigstens soweit er sich nicht in ökonomischen fortsetzt, sagen, daß er nicht auf Kosten eines anderen gewonnen wird, weil er nicht aus einem Vorrat genommen ist, sondern selbst bei aller Gegebenheit seines Inhaltes doch schließlich aus dem eigenen Bewußtsein des Erwerbers erzeugt werden muß. Diese Versöhnung der Interessen, die hier aus der Natur des Objektes hervorgeht, gilt es nun offenbar auch auf denjenigen ökonomischen Gebieten herzustellen, wo die Konkurrenz um die Befriedigung des einzelnen Bedürfnisses jeden nur auf Kosten eines anderen bereichert. Es gibt zwei Typen von Mitteln, um diesen [305] Zustand in jenen vollkommneren überzuführen: das nächstliegende ist die Ablenkung des Kampfes gegen den Mitmenschen in den Kampf gegen die Natur. In dem Maße, in dem man weitere Substanzen und Kräfte aus dem noch unokkupierten Vorrat der Natur in die menschlichen Nutznießungen hineinzieht, werden die bereits okkupierten von der Konkurrenz um sie entlastet. Die Sätze von der Erhaltung des Stoffes und der Energie gelten glücklicherweise nur für das absolute Ganze der Natur, nicht aber für denjenigen Ausschnitt derselben, den das menschliche Zweckhandeln für sich designiert; dies relative Ganze ist allerdings ins unbestimmte vermehrbar, indem wir immer mehr Stoffe und Kräfte in die für uns zweckmäßige Form bringen, gleichsam annektieren können. Selbst aus demjenigen, was seinem Umfange nach bereits okkupiert ist, lehrt uns fortschreitende Technik immer weitere Nutzungen gewinnen: der Übergang von der extensiven zur intensiven Wirtschaft vollzieht sich keineswegs nur auf dem Gebiete der Bodenkultur, sondern an jeder Substanz, die in immer feinere Teile zu immer spezielleren Nutzungen zerlegt, oder deren latente Kräfte immer vollständiger entbunden werden. Die so nach verschiedenen Dimensionen gehende Ausdehnung des menschlichen Machtgebietes, die es zur Unwahrheit macht, daß die Welt weggegeben ist, und die die Bedürfnisbefriedigung nicht erst an einen, Raub irgend welcher Art knüpft – könnte man den substanziellen Fortschritt der Kultur nennen. Neben diesem steht nun, zweitens, was man als den funktionellen Fortschritt bezeichnen dürfte. Bei diesem handelt es sich darum, für den Besitzwechsel bestimmter gegebener Objekte die Formen zu finden, welche denselben für beide Parteien vorteilhaft machen: zu einer solchen Form kann es ursprünglich nur dann gekommen sein, wenn der erste Besitzer die physische Macht besaß, den von anderen begehrten Gegenstand festzuhalten, bis ihm ein entsprechender Gegenvorteil geboten wurde; denn anderenfalls würde ihm der Gegenstand einfach weggenommen werden. Der Raub, vielleicht das Geschenk erscheint als die primitivste Stufe des Besitzwechsels, auf der also der Vorteil noch ganz auf der einen, die Last ganz auf der anderen Seite ruht. Wenn sich über dieser nun die Stufe des Tausches als Form des Besitzwechsels erhebt, zunächst, wie gesagt, als bloße Folge der gleichen Macht der Parteien, so ist dies einer der ungeheuersten Fortschritte, die die Menschheit überhaupt machen konnte. Angesichts der bloßen Gradunterschiede, die nach so vielen Seiten hin zwischen den Menschen und den niederen Tieren bestehen, hat man bekanntlich oft versucht, die spezifische Differenz festzustellen, die den Menschen unverkennbar und eindeutig von der übrigen Tierreihe abscheidet: [306] als das politische Tier, das werkzeugmachende Tier, das zwecksetzende Tier, das hierarchische Tier, ja – seitens eines ernsthaften Philosophen – als das vom Größenwahn befallene Tier hat man ihn definiert. Vielleicht kann man dieser Reihe hinzufügen, der Mensch sei das tauschende Tier; und das ist freilich nur eine Seite oder Form der ganz allgemeinen Charakteristik, in der das Spezifische des Menschen zu bestehen scheint: der Mensch ist das objektive Tier. Nirgends in der Tierwelt finden wir auch nur Ansätze zu demjenigen, was man Objektivität nennt, der Betrachtung und Behandlung der Dinge, die sich jenseits des subjektiven Fühlens und Wollens stellt.

Ich habe schon angedeutet, wie dies die Menschheitstragödie der Konkurrenz mindert. Das ist die eigentliche Versittlichung durch den Kulturprozeß, daß immer mehr Lebensinhalte in transindividueller Gestalt objektiviert werden: Bücher, Kunst, ideale Gebilde wie Vaterland, allgemeine Kultur, die Formung des Lebens in begrifflichen und ästhetischen Bildern, das Wissen von tausenderlei Interessantem und Bedeutsamem – alles dies kann genossen werden, ohne daß einer es dem anderen wegnimmt. Je mehr die Werte in solche objektive Form übergehen, um so mehr Platz ist in ihnen, wie in Gottes Hause, für jede Seele. Vielleicht wäre die Wüstheit und Erbitterung der modernen Konkurrenz überhaupt nicht erträglich, wenn ihr nicht diese wachsende Objektivierung von Daseinsinhalten, in ihrer Unberührsamkeit von allem ôte-toi que je m'y mette, zur Seite ginge. Es ist wohl von tieferer Bedeutung, daß eben dasselbe, was den Menschen rein tatsächlich-psychologisch von der niederen Tierreihe scheidet: die Fähigkeit der objektiven Betrachtung, des Absehens vom Ich mit seinen Impulsen und Zuständen zugunsten der reinen Sachlichkeit – daß eben dies dem geschichtlichen Prozeß zu seinem vielleicht edelsten, veredelndsten Ergebnis verhilft, zu dem Aufbau einer Welt, die ohne Streit und gegenseitige Verdrängung aneigenbar ist, zu Werten, deren Erwerb und Genuß seitens des einen den anderen nicht ausschließt, sondern tausendmal dem anderen den Weg zu dem gleichen öffnet. Der Lösung dieses Problems, die der Welt des Objektiven gleichsam in substanzieller Form gelingt, nähert sich der Tausch in funktioneller. Gegenüber dem einfachen Wegnehmen oder der Schenkung, in denen sich der rein subjektive Impuls auslebt, setzt der Tausch, wie wir früher sahen, eine objektive Abschätzung, Überlegung, gegenseitige Anerkennung, eine Reserve des unmittelbar subjektiven Begehrens voraus. Daß diese ursprünglich keine freiwillige, sondern durch die Machtgleichheit der anderen Partei erzwungene sein mag, ist dafür ohne Belang; denn das Entscheidende, spezifisch Menschliche ist eben, daß die Machtgleichheit [307] nicht zum gegenseitigen Raub und Kampf, sondern zu dem abwägenden Tausch führt, in dem das einseitige und persönliche Haben und Habenwollen in eine objektive, aus und über der Wechselwirkung der Subjekte sich erhebende Gesamtaktion eingeht. Der Tausch, der uns als etwas ganz Selbstverständliches erscheint, ist das erste und in seiner Einfachheit wahrhaft wunderbare Mittel, mit dem Besitzwechsel die Gerechtigkeit zu verbinden; indem der Nehmende zugleich Gebender ist, verschwindet die bloße Einseitigkeit des Vorteils, die den Besitzwechsel unter der Herrschaft eines rein impulsiven Egoismus oder Altruismus charakterisiert; welche letztere übrigens keineswegs immer die zeitlich erste Stufe der Entwicklung ausmacht.

Allein die bloße Gerechtigkeit, die der Tausch bewirkt, ist doch nur etwas Formales und Relatives: der eine soll nicht mehr und nicht weniger haben als der andere. Darüber hinaus aber bewirkt er eine Vermehrung der absoluten Summe empfundener Werte. Indem jeder nur in den Tausch gibt, was ihm relativ überflüssig ist, und in den Tausch nimmt, was ihm relativ nötig ist, gelingt es durch ihn, die zu jedem gegebenen Zeitpunkt der Natur abgewonnenen Werte zu immer höherer Verwertung zu bringen. Angenommen, die Welt wäre wirklich »weggegeben« und alles Tun bestünde wirklich in einem bloßen Hin- und Herschieben innerhalb eines objektiv unveränderlichen Wertquantums, so bewirkte dennoch die Form des Tausches gleichsam ein interzellulares Wachstum der Werte. Die objektiv gleiche Wertsumme geht durch die zweckmäßigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in eine subjektiv größere, in ein höheres Maß empfundener Nutzungen über. Das ist die große kulturelle Aufgabe bei jeder Neuverteilung von Rechten und Pflichten, die doch immer einen Austausch enthält; selbst bei scheinbar ganz einseitiger Verlegung des Vorteils wird ein wirklich soziales Verfahren sie nicht vernachlässigen. So war es z.B. bei der Bauernbefreiung des 18. und 19. Jahrhunderts die Aufgabe, die Herrschaften nicht einfach das verlieren zu lassen, was die Bauern gewinnen sollten, sondern einen Verteilungsmodus von Besitz und Rechten zu finden, der zugleich die Totalsumme der Nutzungen vergrößerte.

Hier sind es nun zwei Eigenschaften des Geldes, die nach dieser Richtung hin den Tausch von Waren oder Leistungen gegen dasselbe als den vollkommensten erscheinen lassen: seine Teilbarkeit und seine unbeschränkte Verwertbarkeit. Die erstere bewirkt, daß überhaupt eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung stattfinden kann. Naturale Objekte lassen sich in ihrem Werte selten so bestimmen und abstufen, daß ihr Austausch von jeder der beiden Parteien als ein völlig gerechter anerkannt werden muß; [308] erst das Geld, weil es selbst nichts anderes ist als die Darstellung des Wertes anderer Objekte und weil es fast unbegrenzt zu teilen und zu summieren ist, gibt die technische Möglichkeit für genaue Gleichheit der Tauschwerte. Allein mit dieser wird, wie ich hervorhob, erst die erste Stufe der von der Einseitigkeit des Besitzwechsels aufwärts führenden Entwicklung erreicht. Die zweite erhebt sich über der Tatsache, daß der Naturaltausch selten beiden Teilen gleichmäßig erwünschte Objekte zuführen bzw. sie von gleichmäßig überflüssigen befreien wird. In der Regel wird der lebhaftere Wunsch auf seiten des Einen sein, und der Andere entweder nur gezwungen oder gegen ein unverhältnismäßig hohes Entgelt auf den Tausch eingehen. Beim Tausch von Leistungen für Geld dagegen erhält der Eine den Gegenstand, den er ganz speziell braucht; der Andere etwas, was jeder ganz allgemein braucht. Vermöge seiner unbeschränkten Verwertbarkeit und daraus folgenden jederzeitigen Erwünschtheit kann es – wenigstens prinzipiell – jeden Tausch zu einem solchen machen, der beiden Teilen gleichmäßig vorteilhaft ist: der Eine, der das naturale Objekt nimmt, tut es sicher nur, weil er jetzt gerade dessen bedarf; der Andere, der das Geld nimmt, bedarf dessen ebenso gerade jetzt, weil er seiner überhaupt in jedem Augenblick bedarf. Damit ermöglicht der Tausch um Geld beiden Parteien eine Erhöhung ihres Befriedigungsniveaus, während bei naturalem Tausch sehr häufig nur die eine das spezifische Interesse am Erwerben oder Loswerden des Objekts haben wird. So ist er die bisher vollendetste Form für die Lösung des großen Kulturproblems, das sich über den einseitigen Vorteil des Besitzwechsels hinweg erhebt: das objektiv gegebene Wertquantum durch bloßen Wechsel seiner Träger zu einem höheren Quantum subjektiv empfundener Werte zu gestalten. Dies ist, neben dem ursprünglichen Schaffen der Werte, für die soziale Zweckmäßigkeit offenbar die Aufgabe schlechthin, der von ihr zu lösende Teil der allgemein menschlichen: durch die Form, die man den Lebensinhalten gibt, ein Maximum des in ihnen latenten Wertes zu entbinden. Die Fälle, in denen wir das Geld dieser Aufgabe dienen sehen, zeigen also die technische Rolle, die das Geld daraufhin spielt, daß der Tausch die wesentliche soziale Art ist, jene Aufgabe zu lösen, und daß der Tausch selbst im Gelde Körper geworden ist.

Die Vermehrung des Genußquantums, die der Waren-Geld-Tausch, unter allen seinen eudämonistischen Herabsetzungen durch anderweitige Erfolge, doch prinzipiell immer ermöglicht, ruht nicht allein in den subjektiven Zuständen des einen und des anderen Kontrahenten. Es hängt nämlich ersichtlich auch die objektiv-wirtschaftliche Fruchtbarkeit, das intensive und extensive Wachstum des Güterkreises [309] selbst für die Zukunft davon ab, in welcher Weise jenes gegebene Güterquantum in einer Gegenwart verteilt ist. Je nach den Händen, in die seine Teilquantitäten gelangen, wird es sich zu äußerst verschiedenen wirtschaftlichen Ergebnissen weiterentfalten. Der bloße Übergang von Gütern aus einer Hand in die andere kann das aus ihnen entwickelte Güterquantum der Folgezeit erheblich nach oben wie nach unten modifizieren. Man kann direkt sagen: das gleiche Güterquantum in verschiedenen Händen bedeutet ein verschiedenes Güterquantum, wie derselbe Same in verschiedenen Böden. Diese Folge der Verteilungsverschiedenheiten scheint ihre größte Ausdehnung am Gelde zu gewinnen. So wechselnde ökonomische Bedeutungen ein Landgut oder eine Fabrik je nach ihren wechselnden Besitzern haben mögen, so tragen diese Ertragsschwankungen, jenseits ganz geringfügiger Maße, den Charakter der Zufälligkeit und Innormalität. Daß da gegen die gleiche Summe in der Hand des Börsenspekulanten oder des Rentiers, des Staates oder des Großindustriellen außerordentlich differente Ertragsbedeutungen habe das ist hier das Normale, entsprechend dem unvergleichlichen Entfaltungsspielraum, den gerade der Geldbesitz den objektiven und subjektiven, den guten und schlechten Faktoren seiner Verwertung bietet. Am wenigsten kann man dem Gesamt-Geldbesitz einer Gruppe gegenüber sagen, daß die Ungleichheit und der Wechsel seiner Verteilung nur ein Formwechsel, bei gleichbleibender Bedeutung des Ganzen sei; eben dieser Formwechsel entwickelt an diesem Material die wesentlichsten Unterschiedsfolgen für die Totalität von Wirtschaft und Reichtum. Auch handelt es sich hier nicht nur um quantitative Differenzen, sondern – für unser Problem höchst wesentlich und andrerseits auch wieder in die Quantitätsfrage zurückführend – um qualitative. Das gleiche Sachgut in verschiedenen Händen bedeutet wirtschaftlich im allgemeinen nur eine quantitative Verschiedenheit des Geldertrages; dasselbe Geldgut aber in verschiedenen Händen bedeutet zunächst eine qualitative Verschiedenheit seiner sachlichen Bewirkungen. Die zweifellos hier eingreifende soziale Zweckmäßigkeit macht es erklärlich, weshalb moderner Reichtum so viel kürzer in einer und derselben Familie zu verbleiben pflegt, als früherer, der nicht geldwirtschaftli cher Natur war. Das Geld sucht sozusagen die fruchtbarere Hand, und das ist um so auffallender und muß um so tieferen Notwendigkeiten entsprießen, als man scheinbar auf dem Geldbesitz ruhiger, sicherer, passiver sitzen kann, als auf irgendeinem anderen. Da das Geld durch seine bloße Verteilung in einem gegebenen Augenblicke ein Minimum wie ein Maximum wirtschaftlicher Fruchtbarkeit entfaltet, und zudem sein BesitzWechsel [310] nicht soviel Reibungs- und Interregnumsverluste mit sich zu bringen pflegt, wie der anderer Objekte, so hat die ökonomische Zweckmäßigkeit ihm gegenüber ein besonders reiches Feld für ihre Aufgabe, durch die Verteilungsart des Besitzes ein Maximum seiner Gesamtbedeutung zu erreichen.

Es handelt sich nun hier im speziellen um die Wiederaufnahme der unterbrochenen Untersuchung, inwieweit die Geldwirtschaft imstande ist, das Gut der individuellen Freiheit seiner Gesamtsumme nach zu erhöhen, d.h. es aus jener primären Form der sozialen Werte zu erlösen, in der dem einen genommen werden muß, was dem anderen gegeben werden soll. Es zeigen zunächst ganz an der Oberfläche liegende Erscheinungen der Geldwirtschaft diese Doppelseitigkeit ihrer Vorteile. Der gewöhnliche Warentausch, bei dem die Ware unmittelbar besichtigt und übergeben wird, verpflichtet den Käufer in seinem Interesse zu einer sehr genauen und sachkundigen Prüfung derselben, weil der Verkäufer, sobald er zu solcher die Gelegenheit gegeben hat, jede spätere Reklamation abweisen kann. Entwickelt sich der Handel dahin weiter, daß nach Proben gekauft wird, so geht die Last auf den Verkäufer über; er ist nicht nur für die genaue Übereinstimmung der Lieferung mit der Probe verantwortlich, sondern von jedem Irrtum, der ihm etwa zu seinen Ungunsten in der Qualität der Probe begegnet ist, wird natürlich der Käufer rücksichtslos profitieren. Das Geschäft an unseren heutigen Produktenbörsen hat nun eine Form, die beide Teile von diesen Verantwortlichkeiten entlastet, indem es nicht nach Probe, sondern nach einem ein für allermal festgestellten, allgemein gültigen Standard erfolgt. Nun ist der Käufer nicht mehr an vorherige Prüfung des Ganzen oder der Probe mit all ihren Irrtumschancen gebunden, während auch der Verkäufer nicht mehr nach der individuellen, relativ zufälligen und allerhand Gefahren für ihn einschließenden Probe zu liefern hat; beide wissen jetzt vielmehr genau, wenn sie über eine bestimmt benannte Qualität von Weizen oder Petroleum abschließen, daß sie an eine objektiv fixierte, jenseits aller persönlichen Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten stehende Norm der Ware gebunden sind. So ist also auf dem Gipfel der Geldwirtschaft ein Handelsmodus möglich geworden, der, durch die Überführung des subjektiven Fundamentes des Geschäfts in ein objektives, beiden Parteien ihre Verantwortlichkeiten erleichtert und dem Vorteil der einen keinerlei Nachteil der anderen gegenüberstellt. Eine genaue Paralelle dazu zeigt das Kreditgeschäft. Im Mittelalter war es sehr schwierig, die Kreditwürdigkeit des einzelnen Kaufmanns zu ermitteln, wodurch dieser selbst ebenso wie der Geldgeber in ihren Aktionen gehemmt und herabgesetzt wurden. Erst [311] an den Börsen des 16. Jahrhunderts, besonders Lyons und Antwerpens, kam es dahin, daß die Wechsel gewisser Häuser von vornherein als »gut« galten, es entstand der Begriff einer nicht abgestuften Kreditwürdigkeit schlechthin, die die Obligation zu einem objektiven, fungibeln, von der persönlichen Abwägung der Kreditwürdigkeit unabhängigen Werte machte; die Häuser mochten sonst noch recht verschieden qualifiziert sein, für ihre Verpflichtungen aber waren sie gut, und damit wurden diese, für den sachlichen Zweck genügend, von den sonstigen individuellen Bestimmtheiten gelöst. Wie allenthalben die Börse das Geldwesen zu seiner reinsten Form steigert, so hat sie hier durch Kreierung des allgemeinen und sachlichen Begriffes des »Gutseins« in typischer Weise eine Entlastung nach einer Seite hin geschaffen, der keine Belastung nach der anderen gegenübersteht, sondern durch Überführung individuell schwankender Taxierungen in eine objektiv gültige Qualität sowohl dem Kreditgeber wie dem Kreditnehmer gleichmäßige Erleichterungen gewährt.

Die Bedeutung der Geldwirtschaft für die individuelle Freiheit vertieft sich nun, wenn wir nach der Formfragen, welche die bei ihr noch fortbestehenden Abhängigkeitsverhältnisse eigentlich haben; sie ermöglicht nicht nur, wie nach dem bisherigen, eine Lösung, sondern eine besondere Art der gegenseitigen Abhängigkeit, die einem gleichzeitigen Maximum von Freiheit Raum gibt. Zunächst stiftet sie, äußerlich angesehen, eine Reihe sonst ungekannter Bindungen. Seit in den Boden, um ihm das erforderliche Früchtequantum abzugewinnen, ein erhebliches Betriebskapital versenkt werden muß, das meistens nur durch hypothekarische Beleihung aufkommt; seit die Geräte nicht mehr unmittelbar aus den Rohstoffen, sondern auf dem Wege über soundso viele Vorbearbeitungen hergestellt werden; seit der Arbeiter im wesentlichen mit Produktionsmitteln arbeitet, die ihm selbst nicht gehören – hat die Abhängigkeit von dritten Personen ganz neue Gebiete ergriffen. Von je mehr sachlichen Bedingungen vermöge der komplizierteren Technik das Tun und Sein der Menschen abhängig wird, von desto mehr Personen muß es notwendig abhängig werden. Allein diese Personen erhalten ihre Bedeutung für das Subjekt ausschließlich als Träger jener Funktionen, Besitzer jener Kapitalien, Vermittler jener Arbeitsbedingungen; was sie außerdem als Personen sind, steht in dieser Hinsicht gar nicht in Frage.

Diese allgemeine Tatsache, deren Bedeutung das Folgende darstellen wird, hat die Entwicklung zur Voraussetzung, durch die die Person überhaupt zur bestimmten Persönlichkeit wird. Dies geschieht [312] offenbar erst dadurch, daß eine Mehrzahl von Qualitäten, Charakterzügen, Kräften sich in ihr zusammenfinden. Sie ist freilich relative Einheit, aber diese Einheit wird doch nur wirklich und wirksam, indem sie verschiedene Bestimmungen vereinheitlicht. Wie der physische Organismus darin sein Wesen hat, daß er aus einer Vielheit materieller Teile die Einheit des Lebensprozesses bildet, so beruht auch die innere persönliche Einheit des Menschen auf der Wechselwirkung und dem Zusammenhang vielfacher Elemente und Bestimmungen. Jedes einzelne derselben, isoliert betrachtet, trägt objektiven Charakter, d.h. es ist an und für sich noch nichts eigentlich Persönliches. Weder Schönheit noch Häßlichkeit, weder das physische noch das intellektuelle Kraftmaß, weder Berufstätigkeit noch Neigungen, noch all die anderen unzähligen Züge des Menschlichen legen als vereinzelte eine Persönlichkeit unzweideutig fest; denn jede von ihnen kann mit beliebigen anderen, einander ganz entgegengesetzten Eigenschaften verbunden sein und sich als die immer gleiche in dem Bilde unbegrenzt vieler Persönlichkeiten finden. Erst indem mehrere von ihnen sich gleichsam in einem Brennpunkt treffen und aneinander haften, bilden sie eine Persönlichkeit, welche nun ihrerseits zurückwirkend jeden einzelnen Zug als einen persönlich-subjektiven charakterisiert. Nicht daß er dieses oder jenes ist, macht den Menschen zu der unverwechselbaren Persönlichkeit, sondern daß er dieses und jenes ist. Die rätselhafte Einheit der Seele ist unserem Vorstellen nicht unmittelbar zugängig, sondern nur, wenn sie sich in eine Vielheit von Strahlen gebrochen hat, durch deren Synthese sie dann erst wieder als diese eine und bestimmte bezeichenbar wird.

Die so bedingte Personalität nun wird in den geldwirtschaftlichen Verhältnissen fast gänzlich aufgelöst. Der Lieferant, der Geldgeber, der Arbeiter, von denen man abhängig ist, wirken gar nicht als Persönlichkeiten, weil sie in das Verhältnis nur nach der je einen Seite eintreten, daß sie Waren liefern, Geld geben, Arbeit leisten, und anderweitige Bestimmtheiten ihrer gar nicht in Betracht kommen, deren Hinzutreten zu jenen doch allein ihnen die persönliche Färbung verleihen würde; womit natürlich nur der absolute Endpunkt der sich jetzt vollziehenden, aber an vielen Punkten noch unvollendeten Entwicklung bezeichnet wird – denn die Abhängigkeiten der Menschen voneinander sind tatsächlich heute noch nicht völlig objektiviert, die persönlichen Momente noch nicht vollkommen ausgeschlossen. Die allgemeine Tendenz aber geht zweifellos dahin, das Subjekt zwar von den Leistungen immer mehrer Menschen abhängig, von den dahinterstehenden Persönlichkeiten als solchen aber immer unabhängiger zu machen. Beide Erscheinungen hängen in der Wurzel [313] zusammen, bilden die sich gegenseitig bedingenden Seiten eines und desselben Vorgangs: die moderne Arbeitsteilung läßt ebenso die Zahl der Abhängigkeiten wachsen, wie sie die Persönlichkeiten hinter ihren Funktionen zum Verschwinden bringt, weil sie eben nur eine Seite derselben wirken läßt, unter Zurücktreten aller anderen, deren Zusammen erst eine Persönlichkeit ergäbe. Die soziale Gestaltung, die sich bei restloser Ausführung dieser Tendenz einstellen müßte, würde eine entschiedene formale Beziehung zum Sozialismus, mindestens zu einem extremen Staatssozialismus aufweisen. Denn für diesen handelt es sich zu äußerst darum, jedes sozial zu berücksichtigende Tun in eine objektive Funktion zu verwandeln; wie heute schon der Beamte eine »Stellung« einnimmt, die objektiv präformiert ist und nur ganz bestimmte einzelne Seiten oder Energien der Persönlichkeit in sich aufnimmt, so würde sich in einem absolut durchgeführten Staatssozialismus über der Welt der Persönlichkeiten gleichsam eine Welt objektiver Formen des sozial wirksamen Tuns erheben, welche den Kräften jener nur ganz genau und sachlich bestimmte Äußerungen gestattet und vorschreibt; diese Welt verhielte sich zu der ersteren etwa wie die geometrische Figur zu den empirischen Körpern. Die subjektiven Tendenzen und das Ganze der Persönlichkeiten könnten sich dann nicht anders in äußeres Tun umsetzen, als in der Beschränkung auf eine der einseitigen Funktionsweisen, in welche die notwendige gesellschaftliche Gesamtaktion zerlegt, fixiert, objektiviert ist. Die Qualifizierung des Tuns der Persönlichkeit wäre damit von dieser als dem terminus a quo völlig auf die sachliche Zweckmäßigkeit, den terminus ad quem, übergegangen; und die Formen des menschlichen Tuns stünden dann über der vollen psychologischen Wirklichkeit des Menschen, wie das Reich der platonischen Ideen über der realen Welt. Ansätze zu einer solchen Gestaltung sind, wie gesagt, vielfach vorhanden, oft genug hat sich die arbeitsteilige Funktion als ein selbständiges ideelles Gebilde ihren Trägern gegenübergestellt, so daß diese, nicht mehr voneinander individuell unterschieden, nun gleichsam nur durch sie hindurch passieren, ohne in dieser festumschriebenen Einzelforderung das Ganze ihrer Persönlichkeit unterbringen zu können oder zu dürfen; die Persönlichkeit ist vielmehr als bloßer Träger einer Funktion oder einer Stellung so gleichgültig, wie die des Gastes in einem Hotelzimmer. In einer nach dieser Richtung hin ganz vollendeten Gesellschaftsverfassung würde der Einzelne unendlich abhängig sein; die einseitige Bestimmtheit der ihm zugewiesenen Leistung würde ihn auf die Ergänzung durch den Komplex aller anderen anweisen, und die Befriedigung der Bedürfnisse würde nur sehr unvollkommen aus dem eigensten [314] Können des Individuums, sondern würde aus einer ihm gleichsam gegenüberstehenden, rein sachlichen Gesichtspunkten folgenden Arbeitsorganisation hervorgehen. Wenn es je einen seiner Grundidee adäquaten Staatssozialismus geben könnte, so würde er diese Differenzierung der Lebensform ausprägen.

Die Geldwirtschaft aber zeichnet die Skizze derselben auf dem Gebiet der privaten Interessen, indem das Geld einerseits durch seine unendliche Biegsamkeit und Teilbarkeit jene Vielheit ökonomischer Abhängigkeiten ermöglicht, andrerseits durch sein indifferentes und objektives Wesen die Entfernung des personalen Elementes aus den Beziehungen zwischen Menschen begünstigt. Mit dem modernen Kulturmenschen verglichen ist der Angehörige irgendeiner alten oder primitiven Wirtschaft nur von einem Minimum von Menschen abhängig; nicht nur ist der Kreis unserer Bedürfnisse ein sehr erheblich weiterer, sondern selbst die elementaren Notwendigkeiten, die uns mit jenen gemeinsam sind (Nahrung, Kleidung, Obdach), können wir nur mit Hilfe eines viel größeren Apparates und durch viel mehr Hände hindurch befriedigen; und nicht nur verlangt die Spezialisierung unserer Tätigkeit einen unendlich ausgedehnteren Kreis anderer Produzenten, mit denen wir die Produkte austauschen, sondern die unmittelbare Tätigkeit selbst ist auf eine wachsende Zahl von Vorarbeiten, Hilfskräften, Halbprodukten angewiesen. Nun aber war der relativ ganz enge Kreis, von dem der Mensch einer wenig oder gar nicht entwickelten Geldwirtschaft abhängig war, dafür viel mehr personal festgelegt. Es waren diese bestimmten, persönlich bekannten, gleichsam unauswechselbaren Menschen, mit denen der altgermanische Bauer oder der indianische Gentilgenosse, der Angehörige der slavischen oder der indischen Hauskommunion, ja vielfach noch der mittelalterliche Mensch in wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen stand; um je wenigere aufeinander angewiesene Funktionen es sich handelt, um so beharrender und bedeutsamer waren ihre Träger. Von wie vielen »Lieferanten« allein ist dagegen der geldwirtschaftliche Mensch abhängig! Aber von dem einzelnen, bestimmten derselben ist er unvergleichlich unabhängiger und wechselt leicht und beliebig oft mit ihm. Wir brauchen noch jetzt nur die Lebensverhältnisse in einer kleinen Stadt mit denen einer großen zu vergleichen, um diese Entwicklung, zwar herabgesetzt, aber doch noch unverkennbar vor uns zu haben. Während der Mensch der früheren Stufe die geringere Anzahl seiner Abhängigkeiten mit der Enge persönlicher Beziehung, oft persönlicher Unersetzbarkeit derselben bezahlen mußte, werden wir für die Vielheit unserer Abhängigkeiten durch die Gleichgültigkeit gegen die dahinter stehenden [315] Personen und durch die Freiheit des Wechsels mit ihnen entschädigt. Und wenn wir durch die Kompliziertheit unserer Bedürfnisse einerseits, die Spezialisiertheit unserer Fähigkeiten andrerseits von dem Ganzen der Gesellschaft sehr viel abhängiger sind als der primitive Mensch, der sich allenfalls mit seiner ganz engen isolierten Gruppe durchs Leben schlagen konnte – so sind wir dafür von jedem bestimmten Elemente dieser Gesellschaft außerordentlich unabhängig, weil seine Bedeutung für uns in die einseitige Sachlichkeit seiner Leistung übergegangen ist, die deshalb viel leichter auch von soundso viel anderen und persönlich verschiedenen Menschen produziert werden kann, mit denen uns nichts als das in Geld restlos ausdrückbare Interesse verbindet.

Dies ist nun die günstigste Lage, um innere Unabhängigkeit, das Gefühl individuellen Fürsichseins, zustande zu bringen. Denn der bloßen Isolierung anderen gegenüber gelingt die positive, hiermit gemeinte Verfassung noch nicht; rein logisch formuliert: die Unabhängigkeit ist noch etwas anderes als die bloße Nicht-Abhängigkeit – wie etwa Unsterblichkeit noch etwas anderes ist als Nicht-Sterblichkeit; denn nicht sterblich ist auch der Stein oder das Metall, die man indes nicht unsterblich nennen dürfte. Ist doch schon an der anderen Bedeutung des Isoliertseins, der Einsamkeit, der Anschein reiner Negativität ein irriger. Auch diese, wenn sie eine psychologische Wirksamkeit und Betonung hat, meint keineswegs nur die Abwesenheit jeder Gesellschaft, sondern gerade ihr ideelles und dann erst verneintes Dasein; sie ist eine Fernwirkung der Gesellschaft, die positive Bestimmung des Individuums durch negative Vergesellschaftung. Falls die bloße Isolierung nicht eine Sehnsucht nach anderen oder ein Glück des Fernseins von ihnen, kurz eine Abhängigkeit des Gefühls erzeugt, so stellt sie den Menschen überhaupt jenseits der Frage von Abhängigkeit oder Freiheit und läßt die tatsächliche Freiheit zu keinem Bewußtseinswert kommen, weil ihr der Gegensatz, die Reibung, Versuchung, Nähe des Unterschiedes fehlt. Wenn die Entwicklung der Individualität, die Überzeugung, mit allem einzelnen Wollen und Fühlen den Kern unseres Ich zu entfalten, als Freiheit gelten soll, so tritt sie unter diese Kategorie nicht als bloße Beziehungslosigkeit, sondern gerade als eine ganz bestimmte Beziehung zu Anderen. Diese Anderen müssen zunächst doch da sein und empfunden werden, damit sie einem gleichgültig sein können. Die individuelle Freiheit ist keine rein innere Beschaffenheit eines isolierten Subjekts, sondern eine Korrelationserscheinung, die ihren Sinn verliert, wenn kein Gegenpart da ist. Wenn jedes Verhältnis zwischen Menschen aus Elementen der Annäherung und [316] Elementen der Distanz besteht, so ist Unabhängigkeit eines, in dem die letzteren zwar ein Maximum geworden, die ersteren aber so wenig ganz verschwunden sein können, wie aus der Vorstellung des Linken die des Rechten. Die Frage ist jetzt nur, welches die günstigste konkrete Gestaltung beider Elemente ist, um die Unabhängigkeit, sowohl als objektive Tatsache wie im subjektiven Bewußtsein, hervorzubringen. Eine solche scheint nun gegeben, wenn zwar ausgedehnte Beziehungen zu anderen Menschen da sind, aus denen aber alle Elemente eigentlich individueller Natur entfernt sind; Einflüsse, welche indes gegenseitig ganz anonym ausgeübt werden; Bestimmungen ohne Rücksicht darauf, wen sie treffen. Die Ursache wie die Wirkung derartiger objektiver Abhängigkeiten, bei denen das Subjekt als solches frei ist, liegt in der Auswechselbarkeit der Personen: in dem freiwilligen oder durch die Struktur des Verhältnisses bewirkten Wechsel der Subjekte offenbart sich jene Gleichgültigkeit des subjektiven Momentes der Abhängigkeit, die das Gefühl der Freiheit trägt. Ich erinnere an die Erfahrung, mit der ich dies Kapitel begann: daß der Wechsel der Verpflichtungen sehr oft von uns als Freiheit empfunden wird; es ist dieselbe Verhältnisform zwischen Bindungen und Freiheit, die sich hier nur in die einzelne Bindung hinein fortsetzt. Ein primitives Beispiel gibt die charakteristische Differenz des mittelalterlichen Vasallen vom Unfreien: jener konnte den Herrn wechseln, während dieser unwandelbar an einen einzigen gefesselt war. Das bedeutete, selbst wenn das Maß der Bindung dem Herrn gegenüber, an sich betrachtet, das gleiche gewesen wäre, für den einen ein unvergleichlich höheres Maß von Selbständigkeit als für den anderen. Nicht die Bindung überhaupt, sondern die an einen individuell bestimmten Herrn, ist der eigentliche Gegenpol der Freiheit. Noch das moderne Dienstbotenverhältnis ist dadurch bezeichnet, daß die Herrschaft zwar nach den Zeugnissen und dem persönlichen Eindruck den Dienstboten auswählt, dieser aber im allgemeinen zu einer entsprechenden Wahl seinerseits weder Möglichkeit noch Kriterien besitzt. Erst in der allerneuesten Zeit hat die Knappheit der Dienstboten in den größeren Städten ihnen hier und da die Chance gewährt, angebotene Stellen aus imponderabeln Gründen ablehnen zu können. Von beiden Seiten wird dies als ein gewaltiger Schritt zur Unabhängigkeit des Dienstboten empfunden, selbst wenn der schließlich angenommene Dienst ihn, seinen tatsächlichen Anforderungen nach, nicht weniger umfänglich als früher bindet. Darum ist es, die gleiche Form auf ein völlig anderes Gebiet übertragen, doch auch nur die Karikatur einer prinzipiell richtigen Empfindung, wenn eine wiedertäuferische Sekte die Vielzahl der angetrauten [317] Frauen und ihren häufigen Wechsel damit rechtfertigte, daß gerade so die innere Abhängigkeit von dem weiblichen Prinzip gebrochen würde. Unsere Gesamtlage setzt sich in jedem Augenblick aus einem Maß von Bindung und einem Maß von Freiheit zusammen innerhalb der einzelnen Lebensprovinz oft so, daß das eine sich mehr an ihrem Inhalt, das andere mehr an ihrer Form verwirklicht. Die Fesselung, die ein bestimmtes Interesse uns auferlegt, empfinden wir sogleich durch Freiheit gemildert, wenn wir sie gleichsam lokal umlagern können, d.h. ohne Herabsetzung des Abhängigkeitsquantums die sachlichen, idealen oder personalen Instanzen selbst auswählen können, denen gegenüber dies letztere sich verwirklicht. In dem Lohnarbeitertum der Geldwirtschaft kommt eine formal gleiche Entwicklung auf. Sieht man auf die Härte und Erzwungenheit der Arbeit, so scheint es, als wären die Lohnarbeiter nur umgekleidete Sklaven. Wir werden nachher sehen, wie die Tatsache, daß sie die Sklaven des objektiven Produktionsprozesses sind, als Übergang zu ihrer Befreiung gedeutet werden kann; die subjektive Seite davon aber ist, daß das Dienstverhältnis zu dem einzelnen Unternehmer früheren Arbeitsformen gegenüber ein unvergleichlich viel lockreres ist. Gewiß ist der Arbeiter an die Arbeit gefesselt wie der Bauer an die Scholle, allein die Häufigkeit, mit der die Geldwirtschaft die Unternehmer austauscht, und die vielfache Möglichkeit der Wahl und des Wechsels derselben, die die Form des Geldlohnes dem Arbeiter gewährt, geben diesem doch eine ganz neue Freiheit innerhalb seiner Gebundenheit. Der Sklave konnte selbst dann den Herrn nicht wechseln, wenn er bereit war, sehr viel schlechtere Lebensbedingungen auf sich zu nehmen – was der Lohnarbeiter in jedem Augenblick kann; indem so der Druck der unwiderruflichen Abhängigkeit von dem individuell bestimmten Herrn in Wegfall kommt, ist, bei aller sachlichen Bindung, doch der Weg zu einer personalen Freiheit beschritten. Diese beginnende Freiheit anzuerkennen, darf uns ihre häufige Einflußlosigkeit auf die materielle Lage des Arbeiters nicht verhindern. Denn hier wie auf anderen Gebieten besteht zwischen Freiheit und eudämonistischer Hebung keineswegs der notwendige Zusammenhang, den die Wünsche, die Theorien und die Agitationen ohne weiteres vorauszusetzen pflegen. Vor allem wirkt nach dieser Richtung, daß der Freiheit des Arbeiters auch eine Freiheit des Arbeitgebers entspricht, die bei gebundneren Arbeitsformen nicht bestand. Der Sklavenhalter wie der Gutsherr hat das persönliche Interesse, seine Sklaven oder seine frohnpflichtigen Bauern in gutem und leistungsfähigem Stande zu halten: sein Recht über sie wird um seines eigenen Vorteils willen zur Pflicht – [318] was für den Kapitalisten dem Lohnarbeiter gegenüber entweder nicht der Fall ist oder wo es dies doch ist, keineswegs immer eingesehen wird. Die Befreiung des Arbeiters muß sozusagen auch mit einer Befreiung des Arbeitgebers, d.h. mit dem Wegfall der Fürsorge, die der Unfreie genoß, bezahlt werden. Die Härte oder Unsicherheit seiner momentanen Lage ist also gerade ein Beweis für den Befreiungsprozeß, der mit der Aufhebung der individuell festgelegten Abhängigkeit beginnt. Freiheit im sozialen Sinne ist, ebenso wie Unfreiheit, ein Verhältnis zwischen Menschen. Die Entwicklung von dieser zu jener geht so vor sich daß das Verhältnis zunächst aus der Form der Stabilität und Unveränderlichkeit in die der Labilität und des Personentausches übergeht. Ist Freiheit die Unabhängigkeit von dem Willen anderer überhaupt, so beginnt sie mit der Unabhängigkeit von dem Willen bestimmter anderer. Nicht abhängig ist der einsame Siedler im germanischen oder amerikanischen Walde; unabhängig, im positiven Sinne des Wortes, ist der moderne Großstadtmensch, der zwar unzähliger Lieferanten, Arbeiter und Mitarbeiter bedarf und ohne diese ganz hilflos wäre, aber mit ihnen nur in absolut sachlicher und nur durch das Geld vermittelter Verbindung steht, so daß er nicht von irgendeinem einzelnen als diesem bestimmten abhängt, sondern nur von der objektiven, geldwerten Leistung, die so von ganz beliebigen und wechselnden Persönlichkeiten getragen werden kann. Indem nun die bloße Geldbeziehung den Einzelnen sehr eng an die Gruppe als – sozusagen abstraktes – Ganzes bindet, und zwar schon, weil gemäß unseren früheren Ausführungen das Geld der Repräsentant der abstrakten Gruppenkräfte ist, wiederholt das Verhältnis des einzelnen Menschen zu den anderen nur dasjenige, das er vermöge des Geldes auch zu den Dingen hat. Durch die rapide Vermehrung der Warenvorräte einerseits, durch die eigentümliche Herabsetzung und Verlust an Betonung, die die Dinge in der Geldwirtschaft erfahren, andrerseits, wird der einzelne Gegenstand gleichgültiger, oft fast wertlos. Dagegen behält die ganze Gattung eben dieser Gegenstände nicht nur ihre Bedeutung, sondern mit steigender Kultur werden wir immer mehr von. den Objekten und von immer mehr Objekten abhängig; so ist, wie uns schon früher wichtig wurde, die einzelne Stecknadel so gut wie wertlos, aber ohne Stecknadel überhaupt kann der moderne Kulturmensch nicht mehr auskommen. Und nach derselben Norm entwickelt sich endlich die Bedeutung des Geldes selbst: die ungeheuere Verbilligung des Geldes macht das einzelne Geldquantum immer wertloser und irrelevanter, aber die Rolle des Geldes überhaupt wird immer mächtiger und umfassender. In all diesen Erscheinungen werden innerhalb der Geldwirtschaft [319] die Objekte in ihrer Einzelheit und Individualität für uns immer gleichgültiger, wesenloser, auswechselbarer, während die sachliche Funktion, die die ganze Gattung übt, uns immer wichtiger wird, uns immer abhängiger macht.

Diese Entwicklung reiht sich in ein noch allgemeineres Schema ein, das für außerordentlich viele Inhalte und Beziehungen des Menschlichen gilt. In ungeschiedener Einheit des Sachlichen und des Persönlichen pflegen diese ursprünglich aufzutreten. Nicht als ob, wie wir es heute empfinden, die Inhalte des Lebens: Eigentum und Arbeit, Pflicht und Erkenntnis, soziale Stellung und Religion irgendein Fürsichsein, eine reale oder begriffliche Selbständigkeit besäßen und dann erst, von der Persönlichkeit aufgenommen, jene enge und solidarische Verbindung mit ihr eingingen. Vielmehr, der primäre Zustand ist eine völlige Einheit, eine ungebrochene Indifferenz, die überhaupt noch jenseits des Gegensatzes persönlicher und sachlicher Seiten des Lebens steht. So weiß z.B. das Vorstellungsleben auf seinen niedrigen Stufen gar nicht zwischen objektiver, logischer Wahrheit und subjektiven, nur psychologischen Gebilden zu unterscheiden: dem Kinde und dem Naturmenschen gilt das psychologische Gebilde des Augenblicks, das Phantasma, der subjektiv erzeugte Eindruck ohne weiteres als Wirklichkeit; das Wort und die Sache, das Symbol und das Symbolisierte, der Name und die Person fallen ihm zusammen, wie unzählige Tatsachen der Ethnologie und der Kinderpsychologie beweisen. Und zwar ist nicht dies der Vorgang, daß zwei an sich getrennte Reihen irrtümlich verschmelzen und sich verwirren; sondern die Zweiheit besteht überhaupt noch nicht, weder abstrakt noch in tatsächlicher Anwendung, die Vorstellungsinhalte treten von vornherein als völlig einheitliche Gebilde auf, deren Einheit nicht in einem Zusammengehen jener Gegensätze, sondern in der Unberührtheit durch den Gegensatz überhaupt besteht. So entwickeln sich Lebensinhalte, wie die vorhin genannten, unmittelbar in personaler Form; die Betonung des Ich einerseits, der Sache andrerseits geht erst als Erfolg eines langen, niemals ganz abzuschließenden Differenzierungsprozesses aus der ursprünglichen naiven Einheitsform hervor. Dieses Herausbilden der Persönlichkeit aus dem Indifferenzzustande der Lebensinhalte, der nach der anderen Seite hin die Objektivität der Dinge aus sich hervortreibt, ist nun zugleich der Entstehungsprozeß der Freiheit. Was wir Freiheit nennen, steht mit dem Prinzip der Persönlichkeit im engsten Zusammenhang, in so engem, daß die Moralphilosophie oft genug beide Begriffe als identisch proklamiert hat. Jene Einheit psychischer Elemente, jenes Zusammengeführtsein ihrer wie in einem [320] Punkt, jene feste Umschriebenheit und Unverwechselbarkeit des Wesens, die wir eben Persönlichkeit nennen – bedeutet doch die Unabhängigkeit und den Abschluß allem Äußeren gegenüber, die Entwicklung ausschließlich nach den Gesetzen des eigenen Wesens, die wir Freiheit nennen. In beiden Begriffen liegt gleichmäßig die Betonung eines letzten und tiefsten Punktes in unserem Wesen, der sich allem Dinglichen, Äußeren, Sinnlichen – sowohl außerhalb wie innerhalb unserer eigenen Natur – gegenüberstellt, beides sind nur zwei Ausdrücke für die eine Tatsache, daß hier dem natürlichen, kontinuierlichen, sachlich bestimmten Sein ein Gegenpart entstanden ist, der seine Besonderung nicht nur in dem Anspruch auf eine Ausnahmestellung diesem gegenüber, sondern ebenso in dem Ringen nach einer Versöhnung mit ihm zeigt. Wenn nun die Vorstellung der Persönlichkeit, als Gegenstück und Korrelat zu der der Sachlichkeit, im gleichen Maße wie diese erwachsen muß, so wird nun aus diesem Zusammenhang klar, daß eine strengere Ausbildung der Sachlichkeitsbegriffe mit einer ebensolchen der individuellen Freiheit Hand in Hand geht. So sehen wir die eigentümliche Parallelbewegung der letzten drei Jahrhunderte: daß einerseits die Naturgesetzlichkeit, die sachliche Ordnung der Dinge, die objektive Notwendigkeit des Geschehens immer klarer und exakter hervortritt, und auf der anderen Seite die Betonung der unabhängigen Individualität, der persönlichen Freiheit, des Fürsichseins gegenüber allen äußeren und Naturgewalten eine immer schärfere und kräftigere wird. Auch die ästhetische Bewegung der neueren Zeit setzt mit dem gleichen Doppelcharakter ein: der Naturalismus der van Eycks und des Quattrocento ist zugleich ein Herausarbeiten des Individuellsten in den Erscheinungen, das gleichzeitige Auftauchen der Satire, der Biographie, des Dramas in ihren ersten Formen trägt ebenso naturalistischen Stil, wie es auf das Individuum als solches angelegt ist – das geschah, beiläufig bemerkt, in der Zeit, in der die Geldwirtschaft ihre sozialen Folgen merkbar zu entfalten begann. Hat doch auch schon der Höhepunkt des Griechentums ein recht objektives, dem naturgesetzlichen nahes Bild der Welt als die eine Seite seiner Lebensanschauung hervorgebracht, deren andere Seite die volle innere Freiheit und Aufsichselbst-Gestelltheit der Persönlichkeit bildete; und soweit bei den Griechen eine Unvollkommenheit in der theoretischen Ausbildung des Freiheits- und Ichbegriffes bestand, entsprach ihr das gleiche Manko in der Strenge der naturgesetzlichen Theorien. Welche Schwierigkeiten auch die Metaphysik in dem Verhältnis zwischen der objektiven Bestimmtheit der Dinge und der subjektiven Freiheit des Individuums finde: als Kulturinhalte gehen ihre [321] Ausbildungen einander parallel und die Vertiefungen des einen scheinen, um das Gleichgewicht des inneren Lebens zu retten, die des anderen zu fordern.

Und hier mündet diese allgemeine Betrachtung in unser engeres Gebiet ein. Auch die Wirtschaft beginnt mit einer Ungeschiedenheit der personalen und der sachlichen Seite der Leistung. Die Indifferenz spaltet sich erst allmählich zum Gegensatz, aus der Produktion, dem Produkte, dem Umsatz tritt das personale Element mehr und mehr zurück. Dieser Prozeß aber entbindet die individuelle Freiheit. Wie wir eben sahen, daß diese sich in dem Maße entfaltet, in dem die Natur für uns objektiver, sachlicher, eigengesetzmäßiger wird – so steigert sie sich mit der Objektivierung und Entpersonalisierung des wirtschaftlichen Kosmos. So wenig in der wirtschaftlichen Einsamkeit einer unsozialen Existenz das positive Gefühl der individuellen Unabhängigkeit erwächst, so wenig in einem Weltbild, das von der Gesetzmäßigkeit und der strengen Objektivität der Natur noch nichts weiß; erst an diesem Gegensatz kommt, wie an jenem, das Gefühl einer eigentümlichen Kraft und eines eigentümlichen Wertes des Fürsichseins zustande. Ja, auch für das Verhältnis zur Natur scheint es, als ob in der Isolierung der Primitivwirtschaft – also in der Periode der Unkenntnis der Naturgesetzlichkeit im heutigen Sinne – eine um so stärkere Unfreiheit durch die abergläubische Auffassung der Natur geherrscht habe. Erst indem die Wirtschaft sich zu ihrer vollen Ausdehnung, Komplikation, innerlichen Wechselwirksamkeiten entwickelt, entsteht jene Abhängigkeit der Menschen untereinander, die durch die Ausschaltung des persönlichen Elementes den Einzelnen stärker auf sich zurückweist und seine Freiheit zu positiverem Bewußtsein bringt, als die gänzliche Beziehungslosigkeit es vermöchte. Das Geld ist der absolut geeignete Träger eines derartigen Verhältnisses; denn es schafft zwar Beziehungen zwischen Menschen, aber es läßt die Menschen außerhalb derselben, es ist das genaue Äquivalent für sachliche Leistungen; aber ein sehr inadäquates für das Individuelle und Personale an ihnen: die Enge der sachlichen Abhängigkeiten, die es stiftet, ist für das unterschiedsempfindliche Bewußtsein der Hintergrund, von dem sich die aus ihnen herausdifferenzierte Persönlichkeit und ihre Freiheit erst deutlich abhebt.

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II.

Unter den Bewegungen des Lebens, insbesondere soweit sie sich an äußere Gegenstände heften, pflegt man entweder das Erwerben, in dessen weiteren Sinn ich hier die Arbeit einbeziehe, oder das Genießen der Dinge zu verstehen. Das Besitzen ihrer erscheint dagegen nicht als Bewegung, sondern als ein ruhender, gleichsam substanzieller Zustand, zu jenen anderen sich verhaltend, wie das Sein zum Werden. Im Gegensatz dazu glaube ich, daß man auch das Besitzen als ein Tun bezeichnen muß, wenn man die ganze Tiefe und Breite seiner Bedeutung ergreifen will. Es ist eine falsche Gewöhnung, den Besitz als etwas passiv Hingenommenes zu betrachten, als das unbedingt nachgiebige Objekt, das, soweit es eben Besitz ist, keine Betätigung unsererseits mehr erfordert. Nur in das Reich des Ethischen, d.h. der frommen Wünsche, hat sich jene im Reiche des Seins verkannte Tatsache geflüchtet, wenn wir es als Ermahnung hören, daß wir erwerben sollen, was wir besitzen wollen, daß jeder Besitz zugleich Pflicht sei, daß man mit seinem Pfunde wuchern solle usw. Höchstens gibt man zu, daß man mit dem Besitze weiterhin etwas anzufangen habe, allein an und für sich sei er etwas Ruhendes, sei er der Endpunkt, vielleicht auch der Ausgangspunkt einer Aktion, aber nicht selbst Aktion. Sieht man näher zu, so zeigt sich dieser passivistische Eigentumsbegriff als eine Fiktion; was in gewissen primitiveren Verhältnissen besonders nachdrücklich hervortritt. Im alten Nord-Peru und ebenso im alten Mexiko war die Bearbeitung der – jährlich aufgeteilten – Felder eine gemeinsame; der Ertrag aber war individueller Besitz. Nicht nur aber durfte niemand seinen Anteil, verkaufen oder verschenken, sondern, wenn er freiwillig verreiste und nicht zur Bebauung seines Feldes zurückkehrte, so ging er seines Anteils überhaupt verlustig. Ganz ebenso bedeutete in den alten deutschen Marken der Besitz eines Stückes Land für sich selbst noch nicht, daß man auch wirklicher Markgenosse war: dazu mußte man den Besitz auch wirklich selbst bebauen, mußte, wie es in den Weistümern heißt, dort selbst Wasser und Weide genießen und seinen eigenen Rauch haben. Der Besitz, [323] der nicht irgendein Tun ist, ist eine bloße Abstraktion: der Besitz als der Indifferenzpunkt zwischen der Bewegung, die zu ihm hin, und der Bewegung, die über ihn fortführt, schrumpft auf Null zusammen; jener ruhende Eigentumsbegriff ist nichts als das in latenten Zustand übergeführte aktive Genießen oder Behandeln des Objektes und die Garantie dafür, daß man es jederzeit genießen oder etwas mit ihm tun kann. Das Kind will jeden Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt, »haben«, man soll ihn ihm »schenken«. Das bedeutet aber nur, daß es im Augenblick etwas damit anfangen, oft nur, es genau besehen und betasten will. Ebensowenig hat der Eigentumsbegriff niederer Völker die Dauer, ja, die prinzipielle Ewigkeit des unsrigen zum Kennzeichen, er enthält nur eine momentane Beziehung von Genuß und Aktion mit dem Dinge, das oft im nächsten Augenblick mit der größten Gleichgültigkeit verschenkt oder verloren wird. So ist der Besitz in seiner ursprünglichen Form vielmehr labil als stabil. Jede höhere Besitzform entwickelt sich daraus als bloß graduelle Steigerung der Dauer, Sicherheit, Stetigkeit der Beziehung zu dem Dinge, die bloße Momentaneität derselben verwandelt sich in eine beharrende Möglichkeit, in jedem Augenblick auf sie zurückzugreifen, ohne daß doch der In halt und die Realisierung derselben anderes oder mehr als eine Reihenfolge einzelner Vornahmen oder Fruktifizierungen bedeutete. Die Vorstellung, als sei der Besitz etwas qualitativ Neues und Substanzielles gegenüber den einzelnen Verfügungsakten über die Dinge, gehört in jene Kategorie typischer Irrtümer, die z.B. in der Geschichte des Kausalitätsbegriffes so wichtig geworden ist. Nachdem Hume darauf aufmerksam gemacht hatte, daß jene sachlich notwendige Verbindung, die wir als Ursache und Wirkung bezeichnen, niemals konstatierbar sei, daß das erfahrbare Wirkliche daran vielmehr nur die zeitliche Folge zweier Ereignisse sei, schien nachher Kant die Festigkeit unseres Weltbildes durch den Nachweis zu retten, daß die bloße sinnliche Wahrnehmung einer zeitlichen Folge noch gar nicht Erfahrung sei, diese vielmehr auch in dem Sinn des Empiristen eine wirkliche Objektivität und Notwendigkeit des kausalen Erfolgens voraussetzte. Mit anderen Worten, während dort die Erkenntnis auf bloß subjektive und einzelne Eindrücke beschränkt werden sollte, wurde hier die objektive Gültigkeit unseres Wissens nachgewiesen, die sich ganz über den einzelnen Fall und über das einzelne vorstellende Subjekt erhebt – gerade wie sich das Eigentum jenseits der einzelnen Nutznießung stellt. Es handelt sich hier um eine Anwendung eben derselben Kategorie, durch die wir im ersten Kapitel das Wesen des objektiven Wertes festzustellen suchten. Oberhalb der einzelnen Inhalte [324] unseres Bewußtseins: der Vorstellungen, Willensimpulse, Gefühle, steht ein Bezirk von Objekten, mit deren Bewußtsein der Gedanke mitschwebt, sie hätten eine dauernde, sachliche, jenseits aller Singularität und Zufälligkeit ihres Vorgestelltwerdens stehende Gültigkeit. Die beharrende Substanz der Dinge und die gesetzmäßige Ordnung ihrer Schicksale, der beständige Charakter der Menschen und die Normen der Sittlichkeit, die Forderungen des Rechtes und der religiöse Sinn des Weltganzen – alles dies hat eine sozusagen ideelle Existenz und Gültigkeit, die sprachlich nicht anders zu bezeichnen ist als durch die Unabhängigkeit von den einzelnen Vorgängen, in denen jene Substanz und Gesetzlichkeit sich darstellt oder in denen jenen Forderungen und Normen genügt oder nicht genügt wird. Wie wir den beharrenden Charakter einer Person von den einzelnen Handlungen unterscheiden, in denen er sich ausprägt oder die ihm auch widersprechen, so besteht etwa der sittliche Imperativ in ganz ungebrochener Würde, ob ihm im Empirischen gehorcht wird oder nicht; wie der geometrische Satz gilt, unabhängig von den einzelnen Figuren, die ihn genau oder ungenau repräsentieren, so bestehen die Stoffe und Kräfte des Weltganzen, gleichviel welche Teile davon das menschliche Vorstellen abwechselnd für sich herauslöst.

Gewiß muß die Erkenntnistheorie das ewige Naturgesetz von der zeitlichen Summe seiner Verwirklichungen unterscheiden; allein ich sehe nicht ein, was es innerhalb der Praxis des Erkennens noch außer der Bestimmung jeder überhaupt je eintretenden einzelnen Verwirklichung leisten soll. Gewiß ist der objektive Gegenstand im gleichen Sinn zu unterscheiden von den subjektiven Wahrnehmungen, in denen er sich darstellt; allein seine Bedeutung besteht doch nur darin, jede überhaupt mögliche Wahrnehmung seiner eindeutig zu bestimmen; gewiß steht die sittliche Norm jenseits der einzelnen Handlungen, auf die sie positive oder negative Anwendung findet, aber sie hat doch nur den Sinn, jeder dergleichen Handlung ihren Wert zu bestimmen, und wenn es überhaupt keine Einzelhandlungen gäbe noch geben könnte, mit denen sie sich berührt, so würde ihre reale Bedeutung gleich Null sein. Kurz, wovon die Kategorie jener Substanzen und Werte sich allerdings generell unterscheidet, ist jeder Einzelfall als solcher und die noch so große relative Summe der Einzelfälle; ihre absolute Summe aber ist ihr restloses Äquivalent, sie sind, von ihrem metaphysischen Sinne abgesehen, nur der abgekürzte Ausdruck für die Totalität der einzelnen Ereignisse, Vorstellungen, Aktionen. Und daran darf man sich nicht durch die Tatsache irre machen lassen, daß allerdings keine empirische Reihe von [325] Einzelheiten – als welche immer unvollständig und relativ ist – die Inhalte jener Kategorien deckt oder erschöpft.

Dies ist nun die Formel, in die der Eigentumsbegriff sich einstellt. Gewiß ist das Eigentum begrifflich und juristisch von den einzelnen Rechten und Nutznießungen an der Sache zu unterscheiden. Und was jemand mit seinem Eigentum vornehmen wird, läßt sich niemals von vornherein so bestimmen, daß man sagen könnte: diese Summe von Aktion und Genuß decke sich mit seinem Eigentum an der Sache. Allein die Gesamtheit der überhaupt möglichen und je wirklichen Benutzung deckt sich doch damit. So sehr sich die iura in re aliena von dem Eigentum unterscheiden mögen, so ist doch inhaltlich zwischen beiden nur ein gradueller Unterschied: in etwas anderem als einer Summe von Rechten über das Objekt kann kein Eigentum bestehen; selbst ein so einheitlich und geschlossen erscheinender Besitz wie der römische Prinzipat ist rechtshistorisch der Eintritt in eine Reihe auf verschiedene Weise erworbener Ämter, gerade wie, daß der Gutsherr den untertänigen Bauern als »Eigentum« besaß, doch nur die Summiertheit einzelner, allmählich angewachsener Rechte über ihn bedeutete. Nur daß das Eigentum nicht eine relative, sondern prinzipiell die absolute Summe der Rechte an der Sache ausdrückt und garantiert. Eben deshalb hat das Eigentum als Wirklichkeit, wenn auch nicht als begriffliche Abstraktion, die Aktion des Eigentümers zum notwendigen Korrelat. Nur in der ideellen Nachwirkung der Prozesse, die zu ihm führten, und in der ideellen Vorwegnahme künftigen Genießens oder Verwertens besteht der ruhende Besitz; zieht man diese Erscheinungen, die man fälschlich für nur begleitende anzusehen pflegt, von ihm ab, so bleibt nichts von ihm übrig.

Nun aber sind die wechselnden Arten dieser subjektiven Bewegung, die Besitz heißt, in irgendeinem Maße von der Eigenart des Objekts abhängig, an dem sie sich vollzieht; das Geld aber ist dasjenige Besitzobjekt, bei dem diese Abhängigkeit die geringste ist. Erwerb und Fruktifizierung von Besitzobjekten, die nicht Geld sind, ist von bestimmten Kräften, spezifischen Eigenschaften und Bemühungen abhängig. Daraus ergibt sich aber unmittelbar, daß umgekehrt der eigenartige Besitz auch auf die Qualität und Betätigung des Besitzers Einfluß üben muß. Wer ein Landgut oder eine Fabrik besitzt, soweit er den Betrieb nicht anderen überläßt und ausschließlich Rentenempfänger ist; wer als zentrales Besitzstück eine Gemäldegalerie oder einen Rennstall besitzt, der ist in seinem Sein nicht mehr vollkommen frei; und das bedeutet nicht nur, daß seine Zeit in einem bestimmten Maß und Art beansprucht ist, sondern vor [326] allem, daß eine bestimmte Qualifikation seiner dazu vorausgesetzt wird. Der spezifische Sachbesitz enthält gleichsam eine rückwärtsgewendete Prädestination; der Besitz von Verschiedenem ist ein verschiedenes Besitzen, sobald nicht nur der juristische Sinn des Eigentums in Frage steht. Der Besitz eines besonders charakterisierten Objektes, der mehr als jenen abstrakten Eigentumsbegriff bedeuten will, ist nichts, was jeder Persönlichkeit ohne weiteres und wie von außen angeheftet werden könnte: er besteht vielmehr aus einer Wechselwirkung zwischen den Kräften oder Qualitäten des Subjekts und denen des Objekts, und diese Wechselwirkung kann nur bei einem bestimmten Verhältnis beider, d.h. bei einer bestimmten Qualifikation auch des Subjektes entstehen. Es ist nur der Revers dieser Überlegung, daß die Wirkung des Besitzes auf den Besitzer diesen bestimmt. Wie der Besitz besonderer Objekte um so mehr ein echter und aktiver ist, je entschiedener und unzweideutiger das Subjekt dafür veranlagt ist, so umgekehrt: je gründlicher und eindringlicher der Besitz wirklich besessen, d.h. fruchtbar gemacht und genossen wird, um so entschiednere und determinierendere Wirkungen wird er auf das innere und das äußere Wesen des Subjekts ausüben. So geht eine Kette vom Sein zum Haben und vom Haben zurück zum Sein. Die Marxische Frage, ob das Bewußtsein der Menschen ihr Sein oder ihr Sein ihr Bewußtsein bestimme, findet für ein Teilgebiet hier ihre Antwort: denn unter das Sein im Sinne von Marx gehört das Haben der Menschen. Diese eigentümliche Verbindung aber, vermittels deren der Mensch durch eine spezifische Anlage auf einen bestimmten Besitz hingewiesen, durch diesen Besitz aber andrerseits in seinem Wesen bestimmt wird, ist straffer oder loser je nach dem Objekt, das ihren Drehpunkt bildet. Bei Gegenständen von rein ästhetischer Bedeutung, ökonomischen Werten von sehr arbeitsteiliger Bestimmtheit, Objekten von schwieriger Zugängigkeit und Verwertbarkeit wird jene Verbindung eine sehr stringente sein, und sie wird sich durch die Skala immer geringerer spezifischer Bestimmtheit der Objekte hindurch mehr und mehr lockern, bis sie schließlich beim Gelde ganz auseinanderzufallen scheint.

Die Unabhängigkeit des Seins vom Haben und des Habens vom Sein, die das Geld zuwege bringt, zeigt sich zunächst an seinem Erwerb. Denn vermöge des abstrakten Wesens des Geldes münden alle möglichen Anlagen und Betätigungen in ihm. Wie alle Wege nach Rom führen – indem Rom als die oberhalb jedes lokalen Interesses gelegene und im Hintergrunde jeder Einzelaktion stehende Instanz gedacht wird – so führen alle ökonomischen Wege auf Geld; und wie deshalb Irenäus Rom das Kompendium der Welt nannte, so [327] Spinoza das Geld omnium rerum compendium. Es ist mindestens das immer gleiche Nebenprodukt aller noch so ungleichen Produktionen. Das Geld hat die Eigentümlichkeit, daß es durch die Tüchtigkeit in der Behandlung anderer Dinge erworben wird. Viel Bodenfrüchte werden durch die Tüchtigkeit des Landwirts, viel Stiefel durch den Fleiß des Schuhmachers gewonnen, viel Geld aber durch die Tüchtigkeit in jedweder besonderen Tätigkeit. Zu seinem Gewinn bedarf es deshalb nicht jener speziellen Anlagen, die den Erwerb anderer Objekte sonst an das Sein des Subjekts knüpft. Es gibt allerdings Persönlichkeiten, die für die Behandlung der Geldseite alles Verkehrs besondere Begabung zeigen; allein da der Erfolg des wirtschaftlichen Verkehrs überhaupt sich jetzt in Geld ausdrückt, so wird sehr häufig allgemeine kaufmännische Beanlagung sich als Talent zum Geldverdienen darstellen. Umgekehrt aber wird die oben vorgetragene Deutung gerade dadurch bestärkt, daß gewisse Persönlichkeiten durch ihren Mangel an Verständnis für alles Geldwesen auffallen. Daß derartige Personen sich so charakteristisch abheben – ganz anders als solche, die etwa kein Talent für Landwirtschaft oder für literarische oder für technische Aufgaben haben – beweist gerade, daß der Gewinn von Geld an einen viel weiteren Kreis von Qualitäten appelliert, als der jedes anderen Wertes. Dadurch, daß das Geld seinen Ursprung, d.h. die spezifische Tätigkeit, durch die es, nicht nur im ökonomischen, sondern auch im moralischen Sinne des Wortes »verdient« wird, völlig abstreift, erklärt es sich, daß der Genuß auch des wohlverdientesten Vermögens leicht etwas Protziges hat und in dem Proletarier ein Haßgefühl erzeugt, wie es aus ändern Prärogativen – aus Geburt, Amt, Überlegenheit – nicht entspringt, falls nicht noch erschwerende, verbitternde Momente zu diesen hinzutreten.

Andrerseits mag sich eine entsprechende Ausnahme auf den höchsten Höhen der Geldwirtschaft beobachten lassen. An den Transaktionen des großen Finanziers oder Spekulanten kann der Kenner vielleicht die »Hand« der bestimmten Persönlichkeit erkennen, einen eigenen Stil und Rhythmus, der die Unternehmungen des einen von denen des anderen charakteristisch unterscheidet. Allein hier kommt erstens in Betracht, was noch an anderen Erscheinungen nachzuweisen sein wird, daß der bloße Quantitätscharakter des Geldes bei außerordentlich hohen Summen allerdings einer Nuance qualitativer Eigenheit Platz macht. Die Indifferenz, Abgeschliffenheit und Banalität, die das Los des fortwährend kursierenden Geldes bilden, reichen nicht in gleichem Maße an die seltenen und auffälligen Konzentrierungen ungeheurer Geldmittel in einer einzigen Hand heran. [328] Als das Wesentliche kommt hier hinzu, daß das Geld überhaupt in spezifischen »Geldgeschäften« ein ganz besonderes Wesen annimmt, d.h., wenn es nicht als Tauschmittel in bezug auf andere Objekte, sondern als zentraler Inhalt, als für jetzt nicht über sich hinausweisendes Objekt der Transaktion fungiert. In dem reinen zweiseitigen Finanzgeschäft ist das Geld nicht nur indem Sinne Selbstzweck, daß es ein zu einem solchen ausgewachsenes Mittel wäre, sondern es ist von vornherein das auf nichts anderes hinweisende Interessenzentrum, das also auch ganz eigene Normen ausbildet, gleichsam ganz autochthone Qualitäten entfaltet und eine nur von diesen abhängige Technik erzeugt. Unter diesen Umständen, wo es wirklich eine eigene Färbung und eigentümliche Qualifikation besitzt, kann sich in der Gebarung mit ihm viel eher eine Persönlichkeit ausdrücken, als wenn es das an sich farblose Mittel zu schließlich anders gearteten Zwecken ist. Vor allem: es gelangt in diesem Falle, wie erwähnt, zu einer ganz eigenartigen und tatsächlich sehr ausgebildeten Technik; und allenthalben ermöglicht nur eine solche den individuellen Stil der Persönlichkeit. Nur wo die Erscheinungen einer bestimmten Kategorie in solcher Fülle und inneren Abgeschlossenheit auftreten, daß eine besondere Technik zu ihrer Bewältigung erwächst, wird das Material eben durch diese so geschmeidig und bildsam, daß der Einzelne in der Handhabung desselben einen eigenen Stil zum Ausdruck bringen kann.

Die besonderen Bedingungen dieser Fälle, in denen zwischen dem Geld und der Persönlichkeit ein spezifisches Verhältnis aufwächst, lassen nicht zu, dieselben als Widerlegungen seiner behaupteten Funktion: Haben und Sein voneinander zu trennen – aufzufassen. Diese Funktion stellt sich nun, insbesondere von der Seite der Verwendung her, noch folgendermaßen dar. Wir hatten gesehen: was das Eigentum von der momentanen Nutznießung unterscheidet, ist die Garantie dafür, daß die Nutznießung in jedem Augenblick und nach jeder Richtung hin erfolgen kann. Die Tatsache des Eigentums einer Sache ist gleich der vollständigen Summe alles Benutzens und Genießens ihrer. Die Form, in der diese Tatsache in jedem einzelnen Augenblick uns gegenwärtig wird, ist eben die Gewährleistung aller künftigen Nutznießungen, die Sicherheit, daß kein Anderer ohne den Willen des Eigentümers dieses Objekt wird benutzen und genießen können. Solche Sicherheit nun wird in einem vorrechtlichen Zustande – ebenso natürlich in denjenigen Sphären kultivierter Zustände, die keiner direkten rechtlichen Regelung unterliegen – nur durch die Kraft des Eigentümers, sein Eigentum zu schützen, gegeben. Sobald diese erlahmt, kann er Andere nicht mehr [329] von dem Genuß seines bisherigen Eigentums ausschließen, und dieses wird ohne weiteres an einen Anderen übergehen, dem es gleichfalls so lange verbleibt, wie seine Kraft ausreicht, ihm die Ausschließlichkeit der Nutzungen des Objekts zu garantieren. Im rechtlichen Zustande bedarf es dieser persönlichen Kraft nicht mehr, indem die Gesamtheit dem Eigentümer den dauernden Besitz seines Eigentums und die Ausschließung aller Anderen davon sichert. Eigentum, so könnte man in diesem Falle sagen, sei die sozial garantierte Potenzialität der vollständigen Nutznießungen eines Objekts. Dieser Eigentumsbegriff nun erfährt gewissermaßen eine Steigerung, sobald er sich am Gelde verwirklicht. Denn indem jemand Geld besitzt, ist ihm durch die Verfassung des Gemeinwesens nicht nur der Besitz desselben, sondern eben damit der Besitz sehr vieler anderer Dinge zugesichert. Wenn jedes Eigentum an einer Sache nur die Möglichkeit derjenigen bestimmten Nutznießung bedeutet, die die Natur dieser Sache gestattet, so bedeutet Eigentum an Geld die Möglichkeit der Nutznießung unbestimmt vieler Sachen. In Bezug auf alles andere kann die öffentliche Ordnung dem Besitzer nichts anderes gewährleisten, als was die besondere Art des Objekts mit sich bringt: dem Landeigentümer, daß niemand außer ihm von seinem Felde Früchte gewinnen darf, daß er allein es bebauen oder brachliegen lassen darf, dem Waldbesitzer, daß er das Holz schlagen und das Wild jagen darf usw.; indem sie aber Geld prägt, garantiert sie damit dem Besitzer desselben, daß er für sein Geld Getreide, Holz, Wild usw. sich aneignen kann. Das Geld erzeugt so eine höhere Potenz des allgemeinen Eigentumsbegriffes; eine solche, in der schon durch die Rechtsverfassung der spezifische Charakter jedes sonstigen Sachbesitzes aufgelöst und das geldbesitzende Individuum einer Unendlichkeit von Objekten gegenübergestellt wird, deren Genuß ihm gleichmäßig durch die öffentliche Ordnung garantiert ist: es legt also von sich aus nicht seine weitere Ausnutzung und Fruktifizierung fest, wie einseitig bestimmte Objekte es tun. Vom Geldbesitz gilt absolut nicht, was man von Staaten gesagt hat: daß sie nur durch dieselben Mittel erhalten werden, durch die sie gegründet sind – was doch von so vielen anderen Besitzen, namentlich geistigen, aber auch sogar von vielfachem durch Geld erworbenem Besitz gilt, der ausschließlich durch dasselbe Interesse an der Sache erhalten werden kann, das zu seinem Erwerbe führte. Die völlige Unabhängigkeit des Geldes von seiner Genesis, sein eminent unhistorischer Charakter spiegelt sich nach vorwärts in der absoluten Unbestimmtheit seiner Verwendung. Darum empfinden wir als ganz unbegründet und verschroben die Vorstellung einer personalen Bedeutung seiner, wie sie [330] das kirchliche Zinsverbot erzeugte: ein Kaufmann, sogar noch im 16. Jahrhundert, sah es zwar für eine Sünde an, mit eigenem Gelde zu wuchern, aber nicht, es mit fremdem, geborgtem zu tun. Dieser Unterschied scheint allerdings nur dann möglich zu sein, wenn es überhaupt eine innere ethische Beziehung zwischen dem Geld und der Persönlichkeit gibt. Aber die Unmöglichkeit, ihn nachzuempfinden, beweist den Mangel dieser Beziehung. Und wo eine solche dennoch stattfindet, da knüpft sie sich eben nicht an das Geld überhaupt, sondern nur an Unterschiede seiner Quantität. Gewiß wird die Wirkung auch anderer Besitztümer auf den Besitzer und seine Wirkung auf jene eine verschiedene sein je nach ihrem in Frage kommenden Quantum; z.B. beim Grund und Boden der Unterschied zwischen bäuerlichem und Großgrundbesitz. Es bleibt aber selbst hier eine gewisse Gleichheit der Interessen und erforderten Beanlagung, durch welche sich die Qualität des Besitzes als das Band zwischen dem Haben und dem Sein des Besitzers erweist. Wo aber zwischen dem Menschen und dem Geldbesitz eine bestimmende Verbindung besteht, da ist es eben die reine Quantität des Geldes, die als charakteristische Ursache oder Folge auftritt; während bei anderen Besitzen gerade die bloße Qualität schon mit gewissen personalen Ursachen oder Folgen verbunden zu sein pflegt. So gibt etwa erst der Besitz eines ganz enormen Geldvermögens dem Leben von sich aus eine bestimmende Richtung, der sich der Reiche allerdings schwer entziehen kann. Es sind nur ganz spärliche und diffizile Erscheinungen, die sonst die Persönlichkeit in einem unmittelbaren Verhältnis zum Gelde zeigen. Man pflegt z.B. zu sagen, in jedem Menschen stecke ein Geiziger und ein Verschwender; das bedeutet, daß von der rein durchschnittlichen Art, mit der ein Kulturkreis sein Einkommen verwendet, jedes Individuum sowohl nach oben wie nach unten abweicht; fast unvermeidlich allerdings muß es dem Einzelnen von seinem subjektiven Empfinden der Werte aus scheinen, als ob jeder Andere für bestimmte Dinge zu viel oder zu wenig ausgäbe. Der auf der Hand liegende Grund: die Verschiedenheit in der Schätzung der konkreten, mit Geld zu bezahlenden Dinge, ist nicht der einzige; neben ihm steht vielmehr die individuelle Art, wie sich der Einzelne zum Gelde als solchem stellt: ob jemand leicht ein erheblicheres Geld auf einmal aufwendet oder ob er vielerlei kleinere Ausgaben zu machen vorzieht; ob der Gewinn einer größeren Summe ihn zur Verschwendung oder gerade zu doppelter Sparsamkeit anregt; ob er beim Geldausgeben leicht auf die schiefe Ebene gerät und jede Ausgabe die nächste psychologisch erleichtert, oder ob jede gleichsam eine innere Obstruktion hinterläßt, so daß selbst die gerechtfertigte Ausgäbe [331] jetzt nur zögernd erfolgt. Das alles sind individuelle Differenzen, die in die Tiefen der Persönlichkeit hinabreichen, aber erst innerhalb der Geldwirtschaft so prägnant oder über haupt in die Erscheinung treten. Indes ist doch auch hier das Material für diese Äußerung die bloße Quantität; diese ganzen, für das Individuum so bezeichnenden Unterschiede der Geldgebarung kommen doch auf solche des Mehr oder Weniger hinaus, ganz im Gegensatz zu den Unterschieden zwischen den Persönlichkeiten, die sich in ihrem sonstigen Verfahren mit Dingen und Menschen finden. Im allgemeinen wird es also dabei bleiben, daß jeder andere Besitz viel bestimmtere Forderungen an das Individuum stellt und viel bestimmtere Wirkungen auf dasselbe ausübt, somit als eine Determination oder Fesselung desselben erscheint; erst der Geldbesitz gibt, wenigstens unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze, nach beiden Seiten hin volle Freiheit.

Darum hat auch erst die Geldwirtschaft die Herausbildung derjenigen Berufsklassen ermöglicht, deren Produktivität sich inhaltlich ganz jenseits jeder wirtschaftlichen Bewegung stellt – die der spezifisch geistigen Tätigkeiten, der Lehrer und Literaten, der Künstler und Ärzte, der Gelehrten und Regierungsbeamten. Solange Naturalwirtschaft herrscht, erlangen diese überhaupt nur geringen Umfang und nur auf der Basis des Großgrundbesitzes, weshalb denn auch im Mittelalter die Kirche und, nach manchen Seiten hin, das Rittertum das geistige Leben trugen. Die bezeichnete Kategorie von Menschen erhält ihren Rang durch die Strenge der Frage, von der der ganze Wert ihrer Persönlichkeiten abhängt: ob sie sich oder ob sie die Sache suchen. Wo die erwerbende Tätigkeit prinzipiell kein Motiv außerhalb des Erwerbes selbst einzusetzen hat, fällt dieses Kriterium ganz fort und wird höchstens durch die Alternative zwischen rücksichtslosem Egoismus und anständiger Gesinnung – die aber hier wesentlich prohibitiv wirkt – ersetzt. Das Eigentümliche ist, daß das Geld, obgleich, oder vielmehr weil es der sublimierteste Wirtschaftswert ist, uns von der wirtschaftlichen Seite der Dinge am vollständigsten erlösen kann – freilich um den Preis, uns den Betätigungen, die ihren Sinn nicht in ihrem wirtschaftlichen Erfolge haben, mit jener unerbittlichen Frage gegenüberzustellen. Wie aber die der höheren Entwicklung eigene Differenzierung der Lebenselemente allenthalben bewirkt, daß sie als verselbständigte dann wiederum neue Synthesen bilden, so zeigt sich schon hier das später Auszuführende, daß die geldmäßige Fremdheit zwischen dem Besitz und dem Kern der Persönlichkeit doch einer neuen Bedeutung des einen für das andere Raum gibt.

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Denn das Wirken des Künstlers, des Beamten, des Predigers, des Lehrers, des Forschers mißt sich, seinem sachlichen Inhalt nach, zwar an einem objektiven Ideale und schafft nach der an diesem festgestellten Höhe die subjektive Befriedigung des Leistenden. Neben dem aber steht der wirtschaftliche Erfolg jener Tätigkeiten, der bekanntlich nicht immer eine stetige Funktion des sachlichen oder idealen ist. Und jener kann sich nicht nur, bei den niedrigsten Naturen, so in den Vordergrund drängen, daß er den anderen zu einem Mittel degradiert; sondern selbst für feinere und der Sache lebende Menschen kann in dem Gelingen der Leistung nach der ökonomischen Seite hin ein Trost, Ersatz, Rettung für die gefühlte Unzulänglichkeit nach der Seite des Haupterfolges hin liegen; zum mindesten etwas wie ein Ausruhen und eine momentane Verpflanzung des Interesses, die der Hauptsache schließlich gewachsene Kräfte zuführt. Viel schwieriger, klippenreicher ist das Los dessen, der mit seiner Leistung nicht zugleich Geld verdient, sondern diese ausschließlich an der Sache und ihren inneren Anforderungen messen darf. Ihm fehlt jene wohltätige Ableitung und Tröstung durch den Gedanken, wenigstens im wirtschaftlichen Sinne das Seinige getan und die Anerkennung dafür empfangen zu haben; er sieht sich ganz anders als jener vor ein: Alles oder Nichts – gestellt und muß über sich selbst nach einem Gesetzbuch richten, das keine mildernden Umstände kennt. So gleicht sich die Begünstigung derer aus, die darum beneidet werden, daß sie »nicht aufs Geld zu sehen brauchen«, nur der Sache leben können. Sie müssen das damit bezahlen, daß über den Wert ihres Tuns jetzt nur ein einziger Erfolg entscheidet, bei dessen Verfehlen sie nicht den wie auch geringen Trost haben, daß wenigstens ein greifbarer Nebenerfolg geglückt ist. Daß dieser gerade in der Form des verdienten Geldes auftritt, erleichtert ihm außerordentlich das Gewinnen solcher Bedeutung. Es wird darin erstens in der unzweideutigsten Form ausgewiesen, daß die Leistung, trotz ihres Zurückbleibens hinter dem eigenen oder dem sachlichen Endwerte, doch für andere Menschen etwas wert sein muß; ferner macht die Struktur des Geldes es so besonders geeignet, als relativ befriedigender Ersatz für einen ausgebliebenen idealen Haupterfolg zu funktionieren, weil es durch seine Greifbarkeit und nüchtern quantitative Bestimmtheit einen gewissen Halt und psychische Erlösung gegenüber dem Schwanken und Fließen qualitativer Lebenswerte gewährt, insbesondere wenn diese sich erst im Zustande des Erobertwerdens befinden; endlich wird durch die völlige innere Fremdheit des Geldes gegen die idealen Werte einer Verwirrung des Wertempfindens, die für feinere Naturen höchst beängstigend sein [333] müßte, vorgebeugt, die beiden. Erfolge bleiben in unbedingter Getrenntheit bestehen, der eine kann wohl einmal eine gewisse innere Bedeutung erlangen, wenn die des anderen versagt, aber sich doch nicht mit dieser mischen. So gelingt es dem Gelde, nachdem es durch die Scheidung von Haben und Sein die rein geistigen Berufe geschaffen hat, durch neue Synthese des Differenzierten, die Produktion rein geistiger Werte sozusagen nicht nur auf der absoluten, sondern auch auf den relativen Stufen – dort, wo man der Unbedingtheit jener Entscheidung nicht gewachsen ist – zu tragen.

Eben durch jene fundamentale Scheidung hilft die Geldwirtschaft einen der Betrachtung nicht unwerten Begriff der Freiheit zu verwirklichen. Die Unfreiheit des Menschen ist damit, daß er von äußeren Mächten abhängig ist, doch erst ganz oberflächlich bezeichnet. Diese äußere Abhängigkeit findet ihr Gegenbild in jenen inneren Verhältnissen, die ein Interesse oder ein Tun der Seele mit anderen so eng verflechten, daß die selbständige Bewegung und Entwicklung desselben verhindert wird. Die Unfreiheit nach außen hin setzt sich sehr oft in das Innere fort; sie verleiht einer psychischen Provinz oder Energie eine überwuchernde Betonung, so daß diese sich in die Entwicklung anderer gleichsam hineinmischt und das freie Sich-Selbst-Gehören derselben stört. Diese Konstellation kann natürlich auch auf andere Ursachen als die einer äußeren Bindung hin eintreten. Wenn die Moralphilosophie die sittliche Freiheit als die Unabhängigkeit der Vernunft von den sinnlich-egoistischen Impulsen zu definieren pflegt, so ist dies doch nur ein einseitiger Fall des ganz allgemeinen Ideals der Freiheit, das in der gesonderten Entfaltung, dem unabhängigen Sich-Ausleben einer Seelenenergie allen anderen gegenüber besteht; auch die Sinnlichkeit ist »frei«, wenn sie mit den Normen der Vernunft nicht mehr verbunden, also nicht mehr durch sie gebunden ist, das Denken ist frei, wenn es nur seinen eigenen, ihm innerlichen Motiven folgt und sich von den Verknüpfungen mit Gefühlen und Wollungen gelöst hat, die es auf einen Weg, der nicht sein eigener ist, mitziehen wollen. So kann man Freiheit in diesem Sinne als innere Arbeitsteilung definieren, als eine gegenseitige Lösung und Differenzierung der Triebe, Interessen, Fähigkeiten. Der Mensch ist als ganzer frei, innerhalb dessen jede einzelne Energie ausschließlich ihren eigenen Zwecken und Normen gemäß sich entwickelt und auslebt. Darin ist die Freiheit im gewöhnlichen Sinne, als Unabhängigkeit von äußeren Mächten, einbegriffen. Denn die Unfreiheit, die wir durch solche erleiden, bedeutet, genau angesehen, nichts anderes, als daß die für sie in Bewegung gesetzte innere Kraft, die zu einem oktroyierten Zweck engagierte Seelenprovinz andere [334] Energien und Interessen in eine Richtung mit hineinzieht, die diese, sich selbst überlassen, nicht nehmen würden. Eine uns aufgezwungene Arbeit würden wir nicht als Unfreiheit empfinden, wenn sie uns nicht an anderweitigem Tun oder Genießen hinderte; eine uns auferlegte Entbehrung niemals als Unfreiheit, wenn sie nicht andere, normale oder erwünschte Empfindungsenergien abböge oder unterdrückte. Jener alte Satz, daß Freiheit bedeutet, der eigenen Natur gemäß zu leben, ist nur der zusammenfassende und abstrakte Ausdruck für das, was hier in konkreter Einzelheit gemeint ist; da der Mensch aus einer Anzahl von Qualitäten, Kräften und Impulsen besteht, so bedeutet Freiheit die Selbständigkeit und nur dem eigenen Lebensgesetz folgende Entfaltung jedes derselben.

Nun kann diese Lösung der einzelnen psychischen Reihen von gegenseitiger Beeinflussung niemals eine absolute werden; sie findet vielmehr ihre Grenze an den tatsächlichen und unentbehrlichen psychischen Zusammenhängen, vermöge deren der Mensch schließlich in aller Mannigfaltigkeit seines Seins und Tuns als eine relative Einheit erscheint. Die vollständige Differenziertheit oder Freiheit einer inneren Reihe ist ein unvollziehbarer Begriff. Die Formel des in dieser Hinsicht Erreichbaren dürfte die sein, daß die Verschlingungen und Bindungen immer weniger die einzelnen Punkte der Reihen betreffen: wo eine Reihe mit einem anderen psychischen Gebiet unvermeidlich verbunden ist, wird sie ihre selbständigste Ausbildung erreichen, wenn sie mit diesem Gebiet nur im allgemeinen, nicht aber mit seinen Elementen ganz im einzelnen verbunden ist. Während z.B. die Intelligenz im engen Zusammenhang mit dem Willen steht, derart, daß ihre größten Vertiefungen und Leistungen nur bei der energischsten Lebendigkeit des letzteren zustande kommen wird das Denken sogleich von seinen eigenen Normen, von der Unabhängigkeit seiner inneren Folgerichtigkeit abgebogen, sobald der Wille, der es treibt, eine spezifische Färbung, einen speziellen Inhalt besitzt. Die Intelligenz bedarf durchaus der Verschmelzung mit der allgemeinen Lebensenergie; je mehr sie aber mit besonderen Ausgestaltungen der letzteren: religiösen, politischen, sinnlichen usw. verschmilzt, um so mehr kommt sie in Gefahr, ihre eigene Wesensrichtung nicht mehr unabhängig entwickeln zu können. So ist die künstlerische Produktion in Stadien besonderer Verfeinerung und Vergeistigung an ein höheres Maß intellektueller Ausbildung gebunden; aber nur dann wird sie dies ausnützen, ja ertragen können, wenn es nicht spezialistisch zugespitzt ist, sondern seinen Umfang und seine Vertiefungen nur auf allgemeineren Gebieten entfaltet; anderenfalls wird die Selbständigkeit und rein künstlerische Motivierung [335] der Produktion Abbiegungen und Beengungen erfahren. So wird das Gefühl der Liebe freilich die genaueste Kenntnis der geliebten Person zur Ursache wie zur Wirkung oder zur Begleiterscheinung haben können; dennoch wird die Steigerung des Gefühls zu seiner Höhe und sein Verbleiben auf ihr leicht dadurch gehindert, daß das Bewußtsein sich mit einseitiger Zuspitzung auf irgendeine einzelne Eigenschaft des Anderen richtet; vielmehr, nur wenn das allgemeine Bild desselben, wie unter Ausgleich alles Einzelnen und Einseitigen, was man von ihm weiß, das Bewußtsein über ihn ausmacht, ist es eine Grundlage, auf der das liebende Gefühl seine Kraft und Innigkeit am ungestörtesten und gleichsam nur auf sich selber hörend entfalten kann. So scheint allenthalben die unvermeidliche Verschmelzung der psychischen Energien die freie, nur der eigenen Norm folgende Entwicklung der einzelnen nur dann nicht zu behindern, wenn sie nicht mit einer spezialisierten Seite oder Ausbildungsstadium der anderen, sondern mit dem ganz Allgemeinen derselben verbunden ist; nur so scheint die Distanz zwischen beiden herstellbar, die je der einen von ihnen eine differenzierte Entfaltung ermöglicht.

Diesem Typus gehört wohl auch der Fall an, der uns hier beschäftigt. Die rein geistigen Reihen der psychischen Prozesse sind von denen, die die ökonomischen Interessen tragen, nicht völlig zu trennen; der fundamentale Charakter der letzteren verhindert das zwar nicht im einzelnen und in Ausnahmefällen, wohl aber in den durchgängigen Zusammenhängendes individuellen und sozialen Lebens. Wenn dies nun die absolute Ungestörtheit und Freiheit der bloß geistigen Arbeit einschränkt, so wird es das doch um so weniger tun, je weniger die Bindung ein speziell bestimmtes ökonomisches Objekt betrifft. Wenn es gelingt, die ökonomische Interessenreihe in dieser Hinsicht nur auf das ganz Allgemeine ihrer zu stellen, so gewinnt die geistige Reihe eine Distanz von ihr, die sie, bei der Zuspitzung jener auf ein spezifisches und deshalb spezifische Aufmerksamkeit erforderndes Objekt, nicht einhalten könnte. Die nach dieser Richtung geeignetste Besitzart war lange Zeit hindurch, wie erwähnt, der Grundbesitz. Die Art seines Betriebes, die unmittelbare Verwendbarkeit seiner Produkte einerseits, die gleichmäßige Absetzbarkeit derselben andrerseits gestattet der intellektuellen Energie eine relative Differenziertheit und Ungestörtheit; aber erst die Geldwirtschaft vermochte dies so zu steigern, daß jemand nun bloß geistiger Arbeiter und sozusagen weiter nichts sein konnte. Das Geld ist so sehr nur wirtschaftlicher Wert überhaupt, es steht von jeder ökonomischen Einzelheit soweit ab, daß es, innerhalb der psychologischen [336] Zusammenhänge, der rein geistigen Betätigung die meiste Freiheit läßt; die Ablenkung dieser wird so ein Minimum, die Differenzierung zwischen den inneren Reihen, die man auch hier als Sein und Haben bezeichnen kann, wird ein Maximum, so daß jene völlige Konzentration des Bewußtseins auf die immateriellen Interessen, jenes arbeitsteilige Sich-Selbst-Gehören der Intellektualität möglich wird, das sich in der Entstehung der oben genannten Klassen der bloß geistigen Produktion ausspricht. Man hat die geistige Blüte von Florenz, gegenüber den doch auch reichen und mit Talenten gesegneten Genua und Venedig, teilweise dem Umstande zugeschrieben, daß diese beiden während des Mittelalters wesentlich als Warenhändler, die Florentiner aber schon seit dem 13. Jahrhundert hauptsächlich als Bankiers reich geworden waren. Die Natur dieses Erwerbes fordere weniger Einzelarbeit, und so habe sie ihnen mehr Freiheit für die Ausbildung höherer Interessen gelassen! – Eine Erscheinung, die auf den ersten Blick dieser befreienden Wirksamkeit des Geldes entgegengesetzt ist, weil sie es immer enger an die Person herandrängt, hat schließlich dennoch den gleichen Sinn: die Entwicklung der direkten Steuer. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war dieselbe allenthalben an das Objekt geknüpft: der Grund und Boden, Gebäude, Gewerbe, der Besitz jeder Art trug die Steuer, gleichviel in welchen persönlichen Verhältnissen sich der Besitzer oder Gewerbetreibende befand, ob er verschuldet war, ob er wirklich den normalen Ertrag herauswirtschaftete. Zur Individualität als solcher verhält sich diese Steuerform nicht viel adäquater als die Kopfsteuer, die freilich von allen bekannten Steuerformen die unpersönlichste ist; denn selbst die Realsteuer trifft doch eben den Besitzer des Objekts, der durch diesen Besitz irgendwie individuell bestimmt und von anderen, die keinen genau gleichen zu eigen haben, unterschieden ist. So hatten sich schon im deutschen Mittelalter die unfreien und die besser berechtigten Zinsbauern unterschieden; jene zahlten einen Kopfzins, jedes Mitglied des Hofes oder Bezirkes den gleichen, für diese galten individuell verabredete, je nach der objektiven Lage differenzierte Zinsleistungen. Der Objektsteuer, die zwar nicht in der Zeitfolge, aber doch sozusagen systematisch die zweite, dem Personalismus zustrebende Stufe bildet, folgte nun historisch die Klassensteuer. Hier gab allerdings auch noch nicht das wirkliche individuelle Einkommen des Bürgers das Fundament ab, sondern es wurden nach den hauptsächlichsten sozialen und ökonomischen Unterschieden große Klassen gebildet, in deren weiter Grenze der einzelne, aber immerhin doch nach seiner sozialen und wirtschaftlichen Gesamtlage, eingestellt wurde. Erst die heutige Staatssteuer [337] faßt das genaue personale Einkommen, so daß alles einzelne Objektive zu einem bloßen Element und für sich nichts entscheidenden Material herabgesetzt ist. Genau angesehen ist dieses mit steigender Geldwirtschaft immer präzisere Anschmiegen der Steuer an die persönliche Situation eine steigende Freiheit der Person. Denn es gehört zu jener Differenzierungsform der Lebensreihen, durch die jede einzelne, streng inner halb ihres eigenen Gebietes verbleibend, auch jede andere möglichst sich selbst gehören läßt. Gerade das objektivste Prinzip, die Kopfsteuer, durchschneidet am rücksichtslosesten die persönliche Verschiedenheit der Verhältnisse, und auch jede andere Steuer, die nicht eine genaue Funktion des individuellen Einkommens ist, greift, da sie doch von diesem entrichtet werden muß, über ihr eigentliches Gebiet hinaus und in andere ein, in die sie, streng genommen, nicht gehört. Es wiederholt sich nur, wie so oft, zwischen den Elementen der Wirtschaft derselbe Prozeß, den wir zwischen den wirtschaftlichen und den übrigen Lebenselementen beobachteten. Dieser Zusammenhang ist wirksam, wenn man im 18. Jahrhundert schon beim ersten Aufdämmern der liberalen Ideen verlangte, die Steuer solle das Existenzminimum des Einzelnen freilassen, und dieses Existenzminimum beiden verschiedenen Ständen verschieden ansetzte: auch hier also die Tendenz, daß die Steuer sich zunächst negativ, in dem, was sie verschonte, den besonderen Verhältnissen anschmiege und die rein personale Existenz ganz unangegriffen lasse. Und wenn neuerdings Vermögenssteuern diese Entwicklung wieder etwas umbiegen, indem sie von Geld- und Sachwerten, gleichgültig gegen deren Einkommensertrag, erfordert werden, so geht dies eben von sozialen Gesichtspunkten aus, denen das Interesse an der individuellen Freiheit als solches fernliegt. So zeigen positive wie negative Instanzen, daß mit der steigenden Bedeutung des Geldes auch der Schatten des Besitzes, die Steuer, sich in immer differenzierterer Weise in der ihr genau zukommenden Reihe lokalisiert und eben durch das biegsame Anschmiegen an dieselbe den anderen, der Totalität des wirtschaftlichen und sonstigen Seins, möglichste Freiheit läßt.

Daß überhaupt durch die Steuern das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern wesentlich geldwirtschaftlich bestimmt wird, gehört einer Korrelation an, die für die jetzige Zusammenfassung wichtig und auf dem folgenden Wege darstellbar ist. Wenn die Stände sich in der Hauptsache nach ihrem Geldeinkommen scheiden, so ist eine mit den Ständen als ganzen rechnende Politik sehr eingeschränkt, weil die allerverschiedensten sachlichen Interessen doch mit dem gleichen Geldeinkommen verbunden sind, und deshalb jede im Interesse [338] eines Standes ergriffene Maßregel zugleich innerhalb desselben unvermeidlich vielerlei Interessen verletzt. So kann es z.B. eine einheitliche Mittelstandspolitik gar nicht geben, wenn man unter Mittelstand die Einkommensstufen etwa von 1200-3000 Mk. versteht. Denn die darunter begriffenen Kaufleute, Arbeiter, Bauern, Handwerker, Angestellten, Rentiers, Beamten – haben fast in bezug auf keinen einzigen Punkt der Gesetzgebung parallele Interessen. Die Fragen der Zollpolitik, des Arbeiterschutzes, des Koalitionsrechtes, der Begünstigung von Groß- oder Kleinhandel, der Gewerbeordnung, bis zu denen des Unterstützungswohnsitzes und der Sonntagsheiligung werden innerhalb dieses Komplexes auf das entgegengesetzteste beantwortet werden. Ebenso liegen die Dinge zwischen Großindustrie und Großgrundbesitz, die ihrem Einkommen nach demselben Stande, ihren politischen Bedürfnissen nach oft in völlig geteilte Lager gehören. So verlieren die Verschmelzungen zu je einem Stande, nach dem formalen Kriterium des Geldeinkommens vollbracht, überhaupt an praktisch-politischer Bedeutung. Dadurch aber wird der Staat mehr auf Maßregeln hingewiesen, die für die Gesamtheit und Mannigfaltigkeit der Interessen passend sind. Diese Entwicklung mag von unzähligen Gegenkräften abgelenkt und überdeckt werden – im Prinzip hat die Verdrängung der Gruppierung nach Beruf und Geburt durch die nach Einkommensquanten zur Folge, daß die quantitativ nicht ausdrückbaren Interessenqualitäten die äußere Bedeutung der Standeskomplexe zerstören und die Politik insoweit auf eine objektive Höhe, jenseits jener Klassifizierungen überhaupt, hinweisen. Dies gehört nun einer ganz typischen Korrelation an: zwischen der vollkommensten Objektivität und der vollkommensten Berücksichtigung des Subjektiven – die sich an der dargelegten Entwicklung der Steuer offenbart hatte.

Ich zeige nun weiter, wie das Geld die technische Möglichkeit für die Herstellung dieser Korrelation auch weiterhin in sozialen Grundverhältnissen gewährt. Ich hatte mehrfach die mittelalterliche Theorie hervorgehoben, die jeder Ware einen gerechten, d.h. sachlich angemessenen, in der arithmetischen Gleichheit von Geldwert und Sachwert bestehenden Preis zusprach und denselben gegen Erhöhungen wie Herabdrückungen gesetzlich festzulegen suchte. Was dabei herauskam, mußte doch im schlechten Sinne subjektiv sein: willkürliche, unzulängliche, die momentane Konstellation zu Fesseln künftiger Bewegung festschmiedende Wertsetzungen. Statt durch so unmittelbare Gleichsetzung näherte man sich vielmehr der inhaltlich gerechten Angemessenheit der Preise erst, als man die Gesamtlage der Wirtschaft, die mannigfaltigen Kräfte von Angebot und [339] Nachfrage, die fluktuierende Produktivität der Menschen und der Dinge als Bestimmungsgründe der Preise anerkannte. Obgleich dies nun eine die Individuen bindende Festlegung der Preise ausschloß und die Berechnung der immerfort wechselnden Situation den Einzelnen überlassen mußte, so wurde doch hiermit die Preisgestaltung durch viel mehr tatsächlich wirksame Momente bestimmt und war seitdem eine objektiv angemessenere und gerechtere. Diese Entwicklung läßt sich nun noch vervollkommnet denken. Ein weitergehendes Gerechtigkeitsideal würde die Preise gestalten, wenn nicht nur die Komplikationen und Wandlungen der überindividuellen Momente, sondern auch die persönliche Vermögenslage des Konsumenten ihre Höhe mitbestimmten. Die Verhältnisse der Individuen sind doch auch objektive Tatsachen, die für den einzelnen Kaufvollzug sehr bedeutsam sind, aber jetzt in der Preisgestaltung prinzipiell gar nicht zum Ausdruck kommen. Daß man es dennoch gelegentlich beobachten kann, nimmt der Idee ihre erste Paradoxität. Unter den Erscheinungen, die ich früher als das Superadditum des Reichtums zusammenfaßte, begegnete es uns in einer freilich sehr outrierten Weise: der Arme bezahlte die gleiche Ware teurer als der Reiche. Allein vielfach liegt es doch auch umgekehrt: oft versteht der Unbemittelte allerdings seine Bedürfnisse billiger und doch nicht schlechter zu befriedigen als jener. Mit einer gewissen Betonung tritt die Preisregulierung nach den Verhältnissen des Konsumenten bei dem Ärztehonorar auf; es ist innerhalb bestimmter Grenzen legitim, daß der Patient den Arzt »nach seinen Verhältnissen« bezahlt. Dies ist freilich dadurch besonders gerechtfertigt, daß der Kranke sich in einer Zwangslage befindet; er muß den Arzt haben und dieser muß sich deshalb von vornherein auf ungleiche Entgelte für gleiche Leistungen einrichten. In solcher Zwangslage aber befindet sich auch der Bürger dem Staate gegenüber, dessen Dienste er nicht entbehren, ja selbst, wenn er wollte, nicht abweisen kann. Deshalb ist es in der Ordnung, daß der Staat von dem Armen ein geringeres Entgelt für seine Dienste, geringere Steuern nimmt, und zwar nicht nur, weil er dem Reicheren größeren Nutzen gewährt als diesem. Diese äußerliche Objektivität in der Ausgleichung von Dienst und Gegendienst ist längst als unzutreffend erkannt und an ihre Stelle das Prinzip der Leistungsfähigkeit getreten. Die neue Gleichung ist nicht weniger objektiv als die alte, nur daß sie die personalen Verhältnisse als ihre Elemente in sich aufgenommen hat; ja, sie hat eine viel angemessenere Objektivität, weil das Ausschalten der wirtschaftlichen Gesamtlage des Individuums aus der Preisgestaltung – insbesondere wo es sich um Unentbehrlichkeiten handelt – dieser [340] letzteren etwas Willkürliches und die Sachlage nicht genau Treffendes verleiht. In dieser Richtung liegt auch schon die Honorierung des Rechtsanwalts nach der Höhe des Streitobjekts. Wer um 20 Mark prozessieren muß, darf von dem Rechtsanwalt dieselbe Bemühung für wenige Mark verlangen, wie wer in der Lage ist, Prozesse um das Tausendfache zu führen. So wird auch der Rechtsanwalt »nach den Verhältnissen« bezahlt, wenn dieselben sich auch an etwas Objektiverem äußern, wie gegenüber dem Arzte. Dies Prinzip liegt nun weiteren Vorschlägen zugrunde: so dem noch später zu behandelnden, daß das Gesetz Geldstrafen nicht nach absoluten Höhen, sondern nach Einkommensquoten fixiere; oder daß die Höhe des Streitobjekts, von der an die Anrufung der höchsten Gerichtsinstanz zulässig ist, nicht mehr, wie bisher, eine absolute Summe, sondern ein bestimmter Teil vom Jahreseinkommen des Beschwerdeführers sei. Ja, man hat neuerdings das System der ungleichen, den Kaufmitteln der Konsumenten entsprechenden Preise zum Allheilmittel der Sozialpolitik erklärt, das die Vorteile des Sozialismus ohne seine Nachteile gewähren würde. Hier interessiert uns nicht die Richtigkeit, sondern nur die Tatsache dieses Vorschlags, der einen eigenartigen Abschluß der wirtschaftlichen Verkehrsentwicklung markiert. Mit rein subjektiv-personalen Besitzwechseln sahen wir diese beginnen: mit dem Geschenk und dem Raub. Der Tausch, der statt der Menschen die Dinge untereinander in Relation setzt, schafft damit die Stufe der Objektivität. Diese ist zunächst eine formalistisch-starre, indem sie entweder durch feststehende naturalistische Tauschquanten oder gesetzliche Preistaxen verwirklicht und so bei aller objektiven Form doch inhaltlich ganz subjektiv-zufällig ist. Der freiere Handelsverkehr der Neuzeit erweiterte diese Sachlichkeit, indem er alle variabeln und der zufälligen Sachlage entspringenden Momente in die Preisbestimmung aufnahm: die Objektivität des Verkehrs wurde elastischer und dadurch ausgreifender. Jener Vorschlag endlich sucht auch noch die individuellsten Momente zu objektivieren: die wirtschaftliche Lage des einzelnen Käufers soll den Preis des Gegenstandes modifizieren können, dessen er bedarf. Das wäre das Gegenstück oder wenigstens die Ergänzung zur Kostentheorie; diese behauptet: der Preis hängt von den Bedingungen der Produktion ab; jene: er soll von den Bedingungen der Konsumtion abhängen oder wenigstens diesen gemäß variiert werden. Blieben bei einem Zustand der letzteren Art die Interessen des Produzenten gewahrt – was logisch nicht ausgeschlossen, wenn auch utopisch ist –, so würde nun wirklich der Preis bei jedem Kauf alle individuellen Verhältnisse, [341] die ihm zugrunde liegen, adäquat ausdrücken; alles Subjektive wäre zu einem objektiv-legalen Moment der Preisgestaltung geworden. Diese Entwicklung ginge etwa der eines philosophischen Weltbildes parallel, das alle ursprünglichen objektiven Gegebenheiten als subjektive Gebilde erkennte: aber eben durch diese absolute Zurückführung auf das Ich verliehe es ihnen erst die Einheit, Zusammenhang, Greifbarkeit, die den eigentlichen Sinn und Wert dessen, was wir die Objektivität nennen, ausmacht. Wie hier das Subjekt über seinen Gegensatz zum Objekt hinaus wäre, weil es dieses völlig in sich aufgenommen und aufgehoben hat, so ist er in jenem Falle dadurch überwunden, daß das objektive Verhalten alles Subjektive in sich eingezogen hat, ohne einen Rückstand zu lassen, an dem der Gegensatz noch weiter leben könnte.

Für unseren Zusammenhang handelt es sich darum, daß diese Idealbildung und die fragmentarischen Annäherungen der Wirklichkeit an sie durch den Geldbegriff ermöglicht werden. Die Gesamtheit der wirtschaftlichen Situationsmomente wird erst dann restlos für die Preisbestimmung verwendet werden können, wenn für sie alle ein gleichmäßiger Wertausdruck besteht. Erst die Reduktion auf einen gemeinsamen Nenner stiftet die Einheit zwischen allen Elementen der individuellen Lagen, die ihre Zusammenwirksamkeit, nach gerechten Maßen, zu der Bestimmung der Preise gestattet. Es ist die großartige Leistung des Geldes, durch die Nivellierung des Mannigfaltigsten gerade jeder individuellen Komplikation die angemessenste Ausprägung und Wirksamkeit zu ermöglichen – als müßten alle spezifischen Formen erst in das allen gemeinsame Urelement zurückgebildet werden, um die völlige Freiheit zu individueller. Neugestaltung zu gewähren; diese Leistung ist die Voraussetzung für einen Entwicklungsgang, der aus den Preisen der Dinge alles Starre, die Einzelsituation Vergewaltigende hinwegläutern will und dies mit einer gewissen Vehemenz in dem Sozialprinzip der ungleichen Preise ausdrückt – die aber im Verhältnis zu der Lage der Konsumenten gerade relative Gleichheit haben und damit die subjektiven Bedingungen, durch die Totalität ihres Einbezogenseins, nach einem Prinzip von völliger Objektivität formen. Alle Objektivität beginnt für das Bewußtsein mit dem unbedingten Gegensatz gegen das Subjekt, die Unterscheidung kann gar nicht scharf genug sein, um das Objekt aus seiner naiven oder verworrenen Einheit mit dem Subjekt zu erlösen; die höhere Entwicklungsstufe des Geistes zeitigt dann erst wieder den umfassenden Begriff der Objektivität, der das Subjekt in sich einbezieht; er braucht diesen Gegensatz in seiner [342] Unmittelbarkeit nicht mehr, um in sich fest und eindeutig zu sein, sondern macht im Gegenteil das Subjekt selbst zum Bestandteil eines objektiven Bildes der Welt oder eines ihrer Aspekte.

Die frühere Formulierung, in die auch diese Entwicklung einzustellen ist: daß das Geld Haben und Sein gegeneinander verselbständigt – läßt das Geld doch nur einen Prozeß am entschiedensten ausdrücken und vergleichsweise abschließen, der sich schon auf ändern Stufen des geschichtlichen Lebens vollzieht. Solange die Gentilverfassung bestand, war ohne weiteres eine unerschütterte Verbindung des Einzelnen mit dem Grund und Boden gegeben. Denn die Gens war einerseits die Obereigentümerin des Bodens und schmolz andrerseits den Einzelnen völlig in ihre Interessen ein; sie bildete so das Band, das sein Sein mit seinem Haben, das allerdings noch kein individualistisches war, verband. Die darauf folgende Verwandlung des Bodens in Privateigentum, so sehr sie gerade Person und Besitz zu verbinden schien, löste dennoch jenen prinzipiellen Zusammenhang zwischen ihnen, indem nun jede beliebige Aktion mit dem Besitz möglich wurde. Die eindringende Geldwirtschaft hat zu erst in den mittelalterlichen Städten bewirkt, daß man den Boden belasten, Renten auf ihn aufnehmen konnte, ohne daß die Person des Besitzers dadurch betroffen und in ihrer sozialen Stellung herabgesetzt worden wäre. Die Geldwirtschaft trieb den Boden und den Eigentümer als Person so weit auseinander, daß eine Beschränkung des vollen Eigen, wie sie in der Hypothek lag, nicht mehr wie früher als eine Deteriorierung des Eigentümers empfunden wurde. Die Hypothezierung und der Verkauf erscheinen nur als die äußersten und allerdings erst durch das Geld möglichen Folgen jener Trennung zwischen der Person und dem Grund und Boden; begonnen aber hatte dieser Prozeß schon vor dem Gelde und mit dem Augenblick, als die Gentilverfassung sich löste. Ähnlich liegt es mit der späteren Entwicklung, die die patriarchalische Verfassung in den Rechtsstaat mit Gleichberechtigung aller Bürger vor dem Gesetz überführte. Auch sie bedeutet eine Lösung des Seins vom Haben und des Habens vom Sein: die Stellung wird nicht mehr durch den Landbesitz bestimmt, der Besitz andrerseits nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu der adligen Klasse. Eine ganze Anzahl von gesellschaftlichen Bewegungen drängt auf dieses Resultat: die Schwächung des Adels durch den quantitativen Zuwachs der unteren Stände, die Arbeitsteilung in diesen, die einerseits eine Art Aristokratie unter ihnen erzeugt, andrerseits sie dem Landadel unentbehrlicher macht, die größere Bewegungsfreiheit der nicht an den Grundbesitz gebundenen Stände usw. All diese Kräfte mußten z.B. am Ende des »griechischen Mittelalters« [343] wirksam werden, als zudem Seehandel und Kolonialbewegung sich entwickelt und Athen seit dem 7. Jahrhundert die wirtschaftliche Oberhand gewinnt lindem nun die Geldwirtschaft hinzukommt, vollendet sie nur diesen Prozeß; der Grundbesitzer bedarf nun gleichfalls des Geldes, um mit den reichen Emporkömmlingen in einer Reihe zu bleiben, das Geld, als Hypothek, als Erlös der Produkte oder gar des Landes selbst schiebt sich zwischen ihn und seinen Besitz, und indem es ihn so von der qualitativen Bestimmtheit dieses unabhängiger macht, eben damit auch dem Besitz seine personale Färbung nimmt, bewirkt es zugleich eine wachsende Gleichberechtigung zwischen ihm und den ändern Ständen. Das Prinzip des gleichen Rechtes für alle, wie es in den griechischen Demokratien schließlich herrschend wurde, spricht so die Lösung jener besonderen Bestimmtheit aus, die sonst vom Haben auf das Sein und umgekehrt ausstrahlte; aber auch hier stellt sich die Geldwirtschaft nur dar als der mächtigste, gleichsam als der bewußteste Faktor und Ausdruck einer auf viel breiterer Basis angelegten Bewegung. Und in den germanischen Verhältnissen sehen wir für die älteste Zeit, daß der Landbesitz nicht ein unabhängiges Objekt betraf, sondern die Folge der persönlichen Zugehörigkeit des Einzelnen zu seiner Markgemeinde war. Das Land war nicht an und für sich ein derart qualifiziertes Objekt, daß mit seinem Besitz sich nun das Individuum seine Bedeutungen und Folgen angeeignet hätte: sondern weil die Persönlichkeit diese bestimmte Bedeutung hatte, wurde ein bestimmter Landbesitz an sie geknüpft. Diese personale Bindung aber war schon im 10. Jahrhundert verschwunden, und an ihre Stelle war eine Selbständigkeit des Grundes und Bodens getreten, die man fast als eine Personifikation desselben bezeichnen könnte. Damit war die Tendenz eingeleitet, ihn zu zerschlagen und in alle Ruhelosigkeit des wirtschaftlichen Lebens hineinzuziehen; und als diese Tendenz schließlich ihre Grenze an der von seinem Wesen untrennbaren Stabilität fand, trat das Geld, das der Persönlichkeit fremdeste Wirtschaftsobjekt, an seine Stelle. Aber es war doch eben nur die geeignetste Substanz für den restlosen Ausdruck jener Trennung zwischen Sein und Haben, die sich schon vorher an den Verhältnissen des Bodenbesitzes auszuprägen begonnen hatte. Endlich zeigt das 13. Jahrhundert dieselbe Erscheinung von der ändern Seite her und am ändern Ende der sozialen Leiter. Diese Zeit hat die bäuerliche Freiheit auf einen sehr hohen Stand gehoben, wesentlich im deutschen Osten, dessen Kolonisation mit freien Bauern geschah, und zwar in engem Zusammenhange mit der damals relativ hoch ausgebildeten Geldwirtschaft. Nach kurzer Zeit indessen erfolgte ein Umschwung: [344] die Grundherrschaft breitete sich aus, insbesondere im Osten der Elbe, und strebte mit Erfolg dahin, den Bauer an die Scholle zu binden; zugleich aber wurden die geldwirtschaftlichen wieder durch naturalwirtschaftliche Verhältnisse verdrängt. Die Fesselung des Bauern an seine ökonomische Stellung, seines Seins an sein Haben, geht hier dem Sinken der Geldwirtschaft parallel. Und wenn dies letztere Phänomen auch als Ursache des ersteren angesprochen worden ist, so ist es doch sicher nur die hervorstechendste des ganzen Komplexes von Ursachen, die damals zur Bildung der Grundherrschaften führten. Wenn das Geld an und für sich, als Besitzobjekt betrachtet, gleichsam durch eine Isolierschicht vom Sein des Besitzenden getrennt ist, so stellt es in der historischen Beziehung zwischen Haben und Sein das entschiedenste und entscheidendste, ich möchte sagen symptomatischste unter den Momenten dar, die den weltgeschichtlichen Wechsel zwischen Kontraktion und Lockerung jener Beziehung veranlassen. –

Wenn also Freiheit den Sinn hat. Sein und Haben voneinander unabhängig zu machen, und wenn der Geldbesitz die Bestimmtheit des einen durch das andere am entschiedensten lockert und durchbricht – so steht dem ein anderer und positiverer Begriff der Freiheit gegenüber, der das Sein und das Haben auf einer anderen Stufe wiederum enger verbindet, darum aber nicht weniger am Geld seine energischste Verwirklichung findet. Ich knüpfe an die obige Bestimmung an, daß der Besitz nicht, wie es oberflächlich scheint, ein passives Aufnehmen von Objekten ist, sondern ein Tun an und mit ihnen. Nichts anderes kann der Besitz, auch der umfassendste und unbeschränkteste, mit den Dingen tun, als den Willen des Ich an ihnen ausprägen: denn das eben heißt eine Sache besitzen, daß sie meinem Willen keinen Widerstand entgegensetzt, daß er sich ihr gegenüber durchsetzen kann: und wenn ich von einem Menschen sage, daß ich ihn »besitze«, so bedeutet dies, daß er meinem Willen nachgibt, daß natürliche Harmonie oder suggestive Vergewaltigung mein Sein und Wollen sich gleichsam an ihm fortsetzen lassen. Wie mein Körper deshalb mein ist und in höherem Maße »mein« als jedes andere Objekt, weil er unmittelbarer und vollständiger als jedes andere meinen psychischen Impulsen gehorcht, und diese sich relativ vollständig in ihm ausdrücken: so ist jedes Ding in demselben Maße mein, in dem dies von ihm gilt. Daß man mit einer Sache »machen kann, was man will«, das ist nicht erst eine Folge des Besitzens, sondern das eben heißt es, sie zu besitzen. So wird das Ich von seinem gesamten »Besitz« wie von einem Bereich umgeben, in dem seine Tendenzen und Charakterzüge sichtbare Wirklichkeit gewinnen, er [345] bildet eine Erweiterung des Ich, das nur das Zentrum ist, von dem aus Fulgurationen in die Dinge hineingehen; und die Dinge sind eben mein, wenn sie sich dem Recht und der Kraft meines Ich ergeben, sie nach seinem Willen zu gestalten. Diese enge Beziehung zum Ich, die den Besitz gleichsam als dessen Sphäre und Ausdruck erscheinen läßt, knüpft sich keineswegs nur an ihn, soweit er dauert und behalten wird. Es stimmt vielmehr mit unserer Vorstellung vom Besitz als einer Summe von Aktionen durchaus überein, daß gerade das Fortgeben von Werten, sei es im Tausch, sei es als Geschenk, eine gewisse Steigerung des Persönlichkeitsgefühls mit sich führen kann – den Reiz, der mit der Selbstentäußerung, Selbstopferung verbunden ist und der auf dem Umwege über eine Verminderung eine Erhöhung des Selbst bedeutet. Oft empfindet man erst im Fortgeben den Besitz, ganz wie man ein Körperelement am energischsten im Moment der Exstirpation fühlt. Der Reiz des Habens spitzt sich im Augenblick des Fortgebens so stark zu – schmerzlich oder genießend – wie es ohne diesen Preis nie stattfindet. Dieser Augenblick ist – genau wie der des Gewinnens – ein eminent »fruchtbarer Moment«, das Können der Persönlichkeit, das der Besitz darstellt, erscheint in dieser äußersten Verfügung über ihn am fühlbarsten aufgegipfelt – wie es mit einer gewissen Modifikation auch in der Wollust des Zerstörens geschieht. Wenn deshalb von den arabischen Beduinen berichtet wird, daß bei ihnen Betteln, Schenken und Plündern Wechselbegriffe und notwendig zusammenhängende Handlungen sind, so beweist dies, insbesondere in Anbetracht des stark individualistischen Charakters jener Stämme, wie alle diese verschiedenen Aktionen mit dem Besitz doch nur, mit verschiedenen Vorzeichen und nach verschiedenen Richtungen hin, einen und denselben Sinn und Grundwert aller Besitzobjekte aussprechen: daß die Persönlichkeit sich in ihnen auslebt, ausprägt, ausbreitet. So ist das Entscheidende für das Verständnis des Besitzes, daß die scharfe Grenzsetzung zwischen ihm und dem Ich, zwischen dem Inneren und dem Äußeren als eine ganz oberflächliche erkannt und für eine tiefere Betrachtung verflüssigt werde. Einerseits liegt die ganze Bedeutung des Besitzes darin, gewisse Gefühle und Impulse in der Seele auszulösen, andrerseits erstreckt sich die Sphäre des Ich über diese äußerem Objekte und in sie hinein, wie sich in der Bewegung des Violinbogens oder des Pinsels doch der Vorgang in der Seele des Geigers oder des Malers kontinuierlich fortsetzt. Wie jedes äußere Objekt als Besitz sinnlos wäre, wenn es nicht zu einem psychischen Wert würde, so würde das Ich gleichsam ausdehnungslos in einen Punkt zusammenfallen, wenn es nicht äußere Objekte um sich herum [346] hätte, die seine Tendenzen, Kraft und individuelle Art an sich ausprägen lassen, weil sie ihm gehorchen, d.h. gehören. Es ist mir auch deshalb wahrscheinlich, daß die Entwicklung des Privateigentums nicht gerade die Arbeitsprodukte als solche am ehesten und intensivsten ergriffen habe, sondern die Arbeitswerkzeuge, einschließlich der Waffen. Denn gerade die Werkzeuge funktionieren am unmittelbarsten als Verlängerungen der Körperglieder, erst an ihrem Endpunkt pflegt der Widerstand der Dinge gegen unsere Impulse empfunden zu werden; so ist das Aktivitätsmoment an ihrem Besitze größer als an anderweitigem und sie werden deshalb nächst dem Körper am gründlichsten in das Ich einbezogen. Diese Deutung des Besitzes erst zeigt auf den Weg, auf dem die Weltanschauung des Idealismus und der Freiheit ihre Ergänzung durch ihr Gegenbild findet: die Dinge müssen in das Ich, aber auch das Ich in die Dinge eingehen.

Man könnte sagen, das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persönlichkeit über das Maß des Individuums hin aus – wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat. In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphäre über die Grenze hinaus, die sie ursprünglich bezeichnete, das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Außer-Sich, das dennoch im weiteren Sinne »sein« ist. Bei einigen malaiischen Stämmen gehören dem Vater nur diejenigen Kinder, welche nach Bezahlung des Brautpreises geboren werden, während die vorher – aber zweifellos in derselben Ehe – geborenen der Familie der Mutter gehören. Der Grund dieser Bestimmung ist natürlich der rein äußerliche: daß die Kinder Wertgegenstände darstellen, die man durch die Verheiratung der Tochter an den Mann fortgibt, an die man sich aber hält, bis der Preis für die Mutter selbst bezahlt ist. Dennoch offenbart sie jene tief gelegene Beziehung zwischen dem Besitz und der Proliferation. Der Mann hat gleichsam die Wahl, ob er seine Machtsphäre durch den Besitz seiner Kinder oder durch Einbehalten der schuldigen Vermögensstücke erweitern will. In den Veden heißt es über die frühesten brahmanischen Mönche: »Sie lassen davon ab, nach Söhnen zu trachten und nach Habe zu trachten. Denn was das Trachten nach Söhnen ist, das ist auch das Trachten nach Habe. Trachten ist das eine wie das andere.« Dies will freilich an sich noch nicht die Identität beider Bestrebungen ihrem Inhalte nach aussagen; aber das Bezeichnende ist doch, daß gerade sie als Beispiele gewählt sind, um die Identität alles Strebens zu beweisen. In der Erzeugung von Seinesgleichen setzt sich das Ich ebenso über seine ursprüngliche [347] Beschränkung auf sich selbst fort, wie wenn es, in der Verfügung über Besitz, diesem die Form seines Willens einprägt. Dieser Begriff des Besitzes als einer bloßen Erweiterung der Persönlichkeit erfährt keine Widerlegung, sondern gerade eine tiefere Bestätigung durch die Fälle, in denen das Persönlichkeitsgefühl gleichsam den Zentralpunkt des Ich verlassen und sich auf jene umgebenden Schichten, den Besitz, übertragen hat – gerade wie die Deutung der Proliferation und Familienbildung als Expansion des Ich dadurch nicht gestört wird, daß die direkten Ichinteressen schließlich hinter die Interessen der Kinder zurücktreten können. Im mittelalterlichen England galt es als das Zeichen unfreier Stellung, wenn man nicht ohne die Einwilligung des Lords eine Tochter verheiraten und einen Ochsen verkaufen durfte. Ja, wer dazu ohne weiteres berechtigt war, wurde sogar oft als frei angesehen, auch wenn er persönliche Frohndienste zu leisten hatte. Daß das Ichgefühl so seine unmittelbaren Grenzen überschritten und sich in Objekten, die es doch nur mittelbar berühren, angesiedelt hat, beweist gerade, wie sehr der Besitz als solcher nichts anderes bedeutet, als daß die Persönlichkeit sich in jene hinein erstreckt und in der Herrschaft über sie ihre Ausdehnungssphäre gewinnt. Daher die eigentümliche Erscheinung, daß gelegentlich gerade die Totalität des Habens als Äquivalent der Totalität des Seins erscheint. Im mittelalterlichen Frankreich gab es eine bestimmte Klasse von Leibeigenen, für die die Rechtsbestimmung galt: sie durften in den Stand der Freiheit treten, wenn sie ihre gesamte Habe dem Herrn überließen.

Dies hat nun mannigfache Folgen für das Verständnis der Besitzarten. Wenn Freiheit bedeutet, daß der Wille sich ungehindert verwirklichen kann, so scheinen wir also um so freier zu sein, je mehr wir besitzen; denn das hatten wir als den Sinn des Besitzens erkannt, daß wir mit seinem Inhalt »machen können, was wir wollen«; mit dem Besitz eines Anderen oder demjenigen, was sich überhaupt dem Besessenwerden entzieht, haben wir keine »Freiheit« mehr, zu schalten, wie wir wollen: darum hat. genau im Sinn unserer Auffassung der Freiheit, die lateinische und lange Zeit auch die deutsche Sprache mit dem Wort Freiheit die Bedeutung des Vorrechts, der besonderen Begünstigung, verbunden. Die Freiheit findet nun ihre Grenze an der Beschaffenheit des besessenen Objektes selbst. Das wird schon demjenigen Objekt gegenüber sehr fühlbar, das wir doch am unbeschränktesten zu besitzen glauben, unserem Körper. Auch er gibt den psychischen Impulsen nur innerhalb der eigenen Gesetze seiner Konstitution nach, und gewisse Bewegungen und Leistungen kann unser Wille nicht mit irgend welchem Erfolge von ihm verlangen. [348] Und so mit allen anderen Objekten. Die Freiheit meines Willens gegenüber einem Stück Holz, das ich besitze, geht freilich so weit, daß ich allerlei Geräte daraus schnitzen kann; aber sie erlahmt, sobald ich solche davon herstellen will, die die Biegsamkeit des Gummis oder die Härte des Steins verlangen. Was unser Wille mit dem Dinge machen kann, gleicht doch schließlich nur dem, was der Künstler seinem Instrumente entlocken kann. So tief sein Fühlen und Können sich auch in das Instrument einbohren mögen und sowenig die Grenze, bis zu der er es sich unterwerfen kann, auch vorherzubestimmen sei; irgendwo muß sie liegen; von irgendeinem Punkt an gestattet seine Struktur keine weitere Nachgiebigkeit gegen die Seele; das ist der Punkt, von dem an die Dinge uns nicht mehr »gehören«. Diese prinzipielle Schranke des Besitzens zu übersehen, liegt freilich der jetzigen Epoche nahe, in der unterbrochene Anpassungen und gleichzeitiger ungezügelter Freiheits- und Besitzdrang unzähliges von den Dingen verlangen lassen, was sie uns ihrer und unserer Natur nach nicht geben können. Ich erinnere an die – erst ganz neuerdings einigermaßen sich korrigierende – Verständnislosigkeit für das Material in der Kunst; und daran, daß man Glück und Frieden der Seele immer mehr von den äußeren Lebensbedingungen erwartet, von den Fortschritten der Technik wirkliche Kultur, von der objektiven Struktur der Gesellschaft Zufriedenheit und Vollkommenheit des Individuums.

Im Großen und Ganzen ist der Wille unseren Lebensbedingungen so angepaßt, daß er von den Dingen nicht verlangt, was sie nicht leisten können, daß die Beschränkung unserer Freiheit durch die eigenen Gesetze des Besitzes ihnen gegenüber nicht zu positiver Empfindung gelangt; dennoch ließe sich eine Skala der Objekte aufstellen, von der Frage aus, wie weit das Wollen sich im allgemeinen ihrer bemächtigen kann und von wo an sie diesem nicht mehr durchdringbar sind, wie weit sie also wirklich »besessen« werden können. Die äußerste Stufe einer solchen Skala würde das Geld darstellen. Hier ist jenes Ungewinnbare, das die Objekte gleichsam für sich reservieren und das sich auch einem noch so unumschränkten Besitz ihrer versagt, völlig verschwunden. Es fehlt ihm ganz jene eigene Struktur, durch die die anderen, bestimmt qualifizierten Dinge, so sehr wir sie auch im juristischen Sinne besitzen mögen, sich unserem Willen verweigern, es fügt sich mit unterschiedsloser Leichtigkeit jeder Form und jedem Zweck, den dieser in ihm ausprägen will; nur aus den Dingen, die hinter ihm stehen, mögen uns Hemmnisse quellen; es selbst gibt jeder Direktive, auf welches Objekt, auf welches Maß der Verteilung, auf welches Tempo des Hingebens oder [349] Reservierens immer, gleichmäßig nach. So gewährt es denn dem Ich die entschiedenste und restloseste Art, sich in ein Objekt hinein auszuleben – freilich innerhalb der Grenzen, die es dem durch seine Qualitätslosigkeit steckt, die so aber eben bloß negative sind und nicht wie bei allen anderen Objekten aus seiner positiven Natur hervorgehen. Alles, was es ist und hat, gibt es vorbehaltlos dem menschlichen Willen hin, es wird völlig von diesem aufgesogen, und wenn es ihm nicht mehr leistet, als der Fall ist, so liegt jenseits dieser Grenze nicht wie bei allen anderen Objekten ein vorbehaltener und unnachgiebiger Teil seiner Existenz, sondern schlechthin nichts.

Wir haben am Geld das formal nachgiebigste, aber, aus eben dem Grunde, der es dazu macht, nämlich durch seine völlige Leerheit, zugleich unnachgiebigste Objekt: indem das Geld, das wir besitzen, uns von vornherein und wie mit einem Schlage auch wirklich absolut und vorbehaltlos gehört, können wir ihm nun auch sozusagen nichts weiter entlocken. Im allgemeinen muß man sagen: nur indem ein Objekt etwas für sich ist, kann es etwas für uns sein; nur also, indem es unserer Freiheit eine Grenze setzt, gibt es ihr Raum. Diese logische Entgegengesetztheit, in deren Spannung sich dennoch die Einheit unseres Verhaltens zu den Dingen realisiert, erreicht am Gelde ihr Maximum: es ist mehr für uns, als irgendein Besitzstück, weil es uns ohne Reserve gehorcht – und es ist weniger für uns, als irgendeines, weil ihm jeglicher Inhalt fehlt, der über die bloße Form des Besitzes hinaus aneigenbar wäre. Wir haben es mehr als alles andere, aber wir haben weniger an ihm, als an allem ändern.

Jene Nachgiebigkeit des Geldes findet, wie so viele seiner Wesensfolgen überhaupt, ihren reinsten und gesteigertsten Ausdruck an der Börse, in der die Geldwirtschaft ebenso zu einem selbständigen Gebilde kristallisiert ist, wie die politische Organisation im Staate. Die Kursschwankungen nämlich zeigen vielfach subjektiv-psychologische Motivierungen, wie sie in dieser Kraßheit und dieser Unabhängigkeit von aller objektiven Begründung ganz unvergleichlich sind. Zwar wäre es oberflächlich, dafür anzuführen, daß den Kursbewegungen nur selten reale Veränderungen in der Güte des einzelnen, das Papier fundierenden Objektes genau entsprechen. Denn diese Güte, in ihrer Bedeutung für den Markt, besteht doch nicht bloß in den inneren Qualitäten des Staates oder der Brauerei, des Bergwerkes oder der Bank, sondern in dem Verhältnis derselben zu den gesamten sonstigen Inhalten des Marktes und ihrer Lage. Es entbehrt deshalb nicht der sachlichen Begründung, wenn z.B. große Insolvenzen in Argentinien den Kurs der chinesischen Rente drücken, [350] obgleich die Sicherheit derselben sowenig durch jenes Ereignis, wie durch eines auf dem Monde alteriert wird. Denn die Wertbedeutung jener hängt, bei aller äußeren Ungeändertheit, doch von der Gesamtlage des Marktes ab, deren Erschütterung von irgendeinem Punkte her z.B. die Weiterverwertung jener Erträgnisse ungünstiger gestalten kann. Jenseits dieser, wenn auch die Synthese des Einzelobjekts mit anderen voraussetzenden, so doch objektiven Verursachung der Kursänderungen steht aber diejenige, die von der Spekulation selbst ausgeht: denn diese Wetten über den künftigen Kursstand eines Papiers haben auf diesen Kursstand selbst den erheblichsten Einfluß. Sobald z.B. eine mächtige Finanzgruppe aus Gründen, die mit der Qualität des Papiers gar nichts zu tun haben, sich in ihm engagiert, so treibt dies den Kurs desselben in die Höhe: umgekehrt ist auch die Baissepartei imstande, durch bloße Börsenmanöver den Kurs eines Papiers fast beliebig zu senken. Hier erscheint also der reale Wert des Objekts als der bloße, an sich irrelevante Untergrund, über dem sich die Bewegung des Marktwertes erhebt, weil sie sich doch an irgendeine Substanz, richtiger: an irgendeinen Namen knüpfen muß; die Proportion zwischen dem sachlichen und schließlichen Wert des Objekts und seiner Vertretung durch das Börsenpapier hat jede Stetigkeit verloren. Damit also zeigt sich die unbedingte Nachgiebigkeit der Wertform, die die Dinge mit dem Geld gewonnen haben und die sie von ihrer sachlichen Grundlage ganz gelöst hat; jetzt folgt der Wert relativ widerstandslos den psychologischen Impulsen der Laune, der Habsucht, der unbegründeten Meinungen, und zwar in um so auffälligerer Weise, als doch reale Verhältnisse da sind, welche durchaus treffende Maßstäbe der Bewertung bilden könnten. Aber seiner eigenen Wurzel und Substanz gegenüber hat der zu einem Geldgebilde gewordene Wert sich verselbständigt, um sich nun subjektiven Energien vorbehaltlos auszuliefern. Hier, wo die Wette selbst den Gegenstand der Wette in seinem Schicksal zu bestimmen vermag, und zwar in Unabhängigkeit von vorhandenen sachlichen Gründen, hat die Durchdringbarkeit und Bildsamkeit der Geldform der Werte durch die Subjektivität in ihrem engsten Sinne den triumphierendsten Ausdruck gefunden.

Nach alledem ist die Ausdehnung des Ich, die der Geldbesitz bedeutet, eine sehr eigenartige – in gewissem Sinne die vollständigste, die uns von einem Objekt überhaupt kommen kann, in anderem gerade die beschränkteste, weil seine Nachgiebigkeit doch schließlich nur die eines absolut flüssigen Körpers ist, der freilich jegliche Form annimmt, keine aber sozusagen in sich selbst ausprägt, sondern jede Bestimmtheit derselben erst von dem umschließenden Körper erhält. [351] Aus dieser Konstellation erklären sich psychologische Tatsachen des folgenden Typus. Jemand sagte mir, er hätte das Bedürfnis, alle Dinge, die ihm sehr gefallen, zu kaufen, wenn auch nicht für sich und um sie zu besitzen; es käme ihm nur darauf an, seinem Gefallen an den Dingen damit einen aktiven Ausdruck zu geben, sie durch sich durchgehen zu lassen und ihnen so irgendwie den Stempel seiner Persönlichkeit aufzudrücken. Hier ermöglicht also das Geld eine ganz eigenartige Expansion der Persönlichkeit, sie sucht sich nicht mit dem Besitz der Dinge selbst zu schmücken, die Herrschaft über diese ist ihr gleichgültig; es genügt ihr vielmehr jene momentane Macht über sie, und während es scheint, als ob dieses Sich-Fernhalten von jeder qualitativen Beziehung zu ihnen der Persönlichkeit gar keine Erweiterung und Befriedigung gewähren könne, wird doch gerade der Aktus des Kaufens als eine solche empfunden, weil die Dinge ihrer Geldseite nach sozusagen absolut gehorsam sind; wegen der Vollständigkeit, mit der das Geld und die Dinge als Geldwerte dem Impulse der Persönlichkeit gehorchen, wird diese schon durch ein Symbol derjenigen Herrschaft über sie befriedigt, die sonst nur in dem wirklichen Besitze liegt. Der Genuß dieser bloßen Symbolik des Genusses kann sich nahe an das Pathologische hin verirren, wie in dem folgenden Falle, den ein französischer Romancier offenbar der Wirklichkeit nacherzählt. Gewissen Pariser Boheme-Kreisen habe ein Engländer angehört, dessen Lebensgenuß darin bestand, daß er die tollsten Orgien mitmachte, nie aber selbst etwas genoß, sondern immer nur für alle bezahlte; er tauchte auf, sprach nichts, tat nichts, bezahlte alles und verschwand. Die eine Seite der fraglichen Vorgänge, das Bezahlen, muß für das Gefühl dieses Mannes zu ihrem Ganzen geworden sein. Es ist wohl anzunehmen, daß hier eine jener perversen Befriedigungen vorliegt, von denen neuerdings in der Sexual-Pathologie häufig die Rede ist; der gewöhnlichen Verschwendungssucht gegenüber, die auch an der Vorstufe des Besitzens und Genießens, dem bloßen Geldausgeben, haltmacht, ist das Verfahren jenes Mannes deshalb so besonders auffällig, weil die Genüsse, die hier durch ihr Äquivalent vertreten werden, ihm so sehr nahekommende und unmittelbar verführerische sind. Das Fernbleiben von dem positiven Haben und Ausschöpfen der Dinge einerseits, die Tatsache andrerseits, daß schon ihr bloßer Kauf als ein Verhältnis zwischen der Persönlichkeit und ihnen und als eine persönliche Befriedigung empfunden wird, erklärt sich aus der Expansion, die die bloße Funktion des Geldaufwandes der Persönlichkeit gewährt. Das Geld baut eine Brücke zwischen dem so empfindenden Menschen und den Dingen, über die hinschreitend die Seele den [352] Reiz ihres Besitzes auch dann empfindet, wenn sie zu diesem selbst gar nicht gelangt.

Dieses Verhältnis bildet ferner eine Seite der sehr komplexen und oben schon wichtig gewordenen Erscheinung des Geizes. Indem der Geizige in dem Besitz des Geldes seine Seligkeit findet, ohne zum Erwerb und Genuß einzelner Gegenstände vorzuschreiten, muß sein Machtgefühl tiefer und wertvoller sein, als alle Herrschaft über bestimmt qualifizierte Dinge ihm sein könnte. Denn jeder Besitz eines solchen, so sahen wir, hat seine Schranke in sich. Die begierige Seele, die restlose Befriedigung trinken und das Letzte, Innerste, Absolute der Dinge mit sich durchdringen will, erfährt von ihnen schmerzlichste, Zurückweisungen, sie sind und bleiben etwas für sich, was ihrer völligen Einschmelzung in die Sphäre des Ich Widerstand leistet und so gerade den leidenschaftlichsten Besitz in Unbefriedigung ausklingen läßt. Der Besitz des Geldes ist von diesem geheimen Widerspruch alles sonstigen Habens frei. Um den Preis, an die Dinge selbst nicht heranzukommen und auf alle spezifischen, an Einzelnes geknüpften Freuden zu verzichten, kann das Geld ein Herrschaftsgefühl gewähren, das aber weit genug von den eigentlich empfindbaren Objekten absteht, um sich an den Schranken des Besitzens ihrer nicht zu stoßen. Das Geld allein besitzen wir ganz und ohne Reserve, es allein geht völlig in der Funktion auf, die wir mit ihm vornehmen. So müssen die Freuden des Geizigen den ästhetischen ähnlich sein. Denn auch diese stellen sich jenseits der undurchdringlichen Realität der Welt und halten sich an ihren Schein und Schimmer, der dem Geiste völlig durchdringlich ist, wie er ohne Rückstand in ihn eingeht. Indes sind auch hier die an das Geld geknüpften Erscheinungen nur die reinsten und durchsichtigsten Stufen einer Reihe, die das gleiche Prinzip auch an anderen Inhalten verwirklicht. Ich lernte einen Mann kennen, der, nicht mehr ganz jung, Familienvater, in guten Verhältnissen, seine gesamte Zeit damit ausfüllte, alle möglichen Dinge zu lernen. Sprachen, ohne sie je praktisch anzuwenden, vollendet tanzen, ohne es auszuüben, Fertigkeiten jeder Art, ohne einen Gebrauch von ihnen zu machen oder auch nur machen zu wollen. Dies ist vollkommen der Typus des Geizhalses: die Befriedigung an der voll besessenen Potenzialität, die niemals an ihre Aktualisierung denkt. Aber auch hier muß deshalb der dem Ästhetischen verwandte Reiz vorhanden sein: die Beherrschung gleichsam der reinen Form und Idee der Dinge oder des Handelns, der gegenüber jedes Vorschreiten zur Wirklichkeit durch deren unvermeidliche Hindernisse, Rückstöße, Unzulänglichkeiten nur ein Herabsteigen sein könnte, und das Gefühl, die Objekte durch das [353] Können absolut zu beherrschen, einschränken müßte. Die ästhetische Betrachtung – die als bloße Funktion jeglichem Gegenstande gegenüber möglich und dem »Schönen« gegenüber nur besonders leicht ist – beseitigt am gründlichsten die Schranke zwischen dem Ich und den Objekten; sie läßt die Vorstellung der letzteren so leicht, mühelos, harmonisch abrollen, als ob sie von den Wesensgesetzen des ersteren allein bestimmt wären. Daher das Gefühl der Befreiung, das die ästhetische Stimmung mit sich führt, die Erlösung von dem dumpfen Druck der Dinge, die Expansion des Ich mit all seiner Freude und Freiheit in die Dinge hinein, von deren Realität es sonst vergewaltigt wurde. Das muß die psychologische Färbung der Freude am bloßen Geldbesitz sein. Die eigentümliche Verdichtung, Abstraktion, Antizipation des Sachbesitzes, die er bedeutet, läßt dem Bewußtsein eben jenen freien Spielraum, jenes ahnungsvolle Sicherstrecken durch ein widerstandsloses Medium hindurch, jenes In-Sich-Einziehen aller Möglichkeiten, ohne Vergewaltigungen und Dementierungen durch die Wirklichkeit – wie es alles dem ästhetischen Genießen eigen ist. Und wenn man die Schönheit als une promesse de bonheur definiert hat, so weist auch dies auf die psychologische Formgleichheit zwischen dem ästhetischen Reiz und dem des Geldes hin; denn worin anders kann dieser letztere bestehen als in dem Versprechen der Freuden, die uns das Geld vermitteln soll? – Es gibt übrigens Versuche, jenen Reiz des noch ungeformten Wertes mit dem Reiz der Formung zu vereinigen: das ist eine der Bedeutungen des Schmuckes und der Pretiosen. Der Besitzer davon erscheint als Repräsentant und Herr einer, unter Umständen sehr hohen. Wertsumme, die gleichsam eine verdichtete Macht in seiner Hand darstellt, während andrerseits die absolute Flüssigkeit und bloße Potenzialität, die diese Bedeutung sonst bedingt, doch zu einer gewissen Formbestimmtheit und spezifischen Qualität geronnen ist. Besonders schlagend tritt dieser Vereinigungsversuch im folgenden hervor: in Indien war es lange üblich, Geld in Form von Schmucksachen aufzubewahren, bzw. zu sparen: d.h., man ließ die Rupien einschmelzen, zu Schmuck verarbeiten (was nur einen sehr geringen Wertverlust erzeugte) und thesaurierte diesen, um ihn im Notfall wieder als Silber auszugeben. Offenbar wirkt der Wert so zugleich kondensierter und qualitätenreicher. Diese Vereinigung läßt ihn, indem er so selbst eigenartiger und seine atomistische Struktur aufgehoben ist, gewissermaßen der Persönlichkeit enger zugehörig erscheinen; so sehr ist dies der Fall, daß die fürstlichen Thesaurierungen von Edelmetallen in Gerätform seit Salomons Zeiten von dem trügerischen Glauben getragen wurden, in dieser Form sei der Schatz [354] am engsten der Familie verbunden und vor den Griffen der Feinde am gesichertsten. Die unmittelbare Verwendung der Münzen als Schmuck hat vielfach den Sinn, daß man das Vermögen fortwährend an sich, also unter Aufsicht, haben will. Der Schmuck, der eine Bestrahlung der Persönlichkeit ist, wirkt als eine Ausstrahlung derselben, und darum ist es wesentlich, daß er etwas Wertvolles ist: der ideale, wie jener praktische Sinn seiner erheben sich auf seiner engen Zugehörigkeit zum Ich. Für den Orient ist hervorgehoben, die Bedingung alles Reichtums sei, daß man ihn flüchten könne, sozusagen also ihn dem Besitzer und seinen Schicksalen absolut folgsam mache. Andrerseits aber enthält auch schon die Freude am Geldbesitz zweifellos ein idealistisches Moment, dessen Hervorhebung nur deshalb paradox erscheint, weil einerseits die Mittel, zu ihm zu gelangen, an solchen Momenten meistens Mangel leiden, und weil andrerseits diese Freude in dem Augenblick, wo sie als Äußerung aus dem Subjekt heraustritt, dies gleichfalls in ganz anderer als idealistischer Form zu tun pflegt; das darf aber nicht die Tatsache verdecken, daß die Freude am Geldbesitz bloß als solchem eine der abstraktesten, von aller sinnlichen Unmittelbarkeit entferntesten, am ausschließlichsten durch einen Prozeß des Denkens und der Phantasie vermittelten ist. So gleicht sie der Freude am Siege, die bei manchen Naturen so stark ist, daß sie gar nicht danach fragen, was sie denn eigentlich durch den Sieg gewinnen.

Diese eigentümliche Art, in der der Geldbesitz die Erweiterung der Persönlichkeit, wie sie in jedem Besitz liegt, darstellt, findet eine Bestätigung oder Ergänzung in der folgenden Überlegung. Jede Sphäre von Objekten, die ich mit meiner Persönlichkeit erfülle, indem sie meinen Willen sich in ihr ausprägen läßt, fand ihre Grenze an den eigenen Gesetzen der Dinge, die mein Wille nicht brechen kann. Allein diese Grenze setzt nicht nur der passive Widerstand der Objekte, sondern, von der anderen Seite her, die Beschränktheit in der Expansionsfähigkeit des Subjekts. Der Kreis der Objekte, die dem Willen gehorchen, kann so groß sein, daß das Ich seinerseits nicht mehr imstande ist, ihn zu erfüllen. Wenn wir sagen, daß Besitz so viel ist als Freiheit, wenn meine Freiheit, das Sich-Durchsetzen meines Willens, sich nach dem Quantum des mir Gehörenden steigert, so geschieht dies tatsächlich nur bis zu einer gewissen Grenze, von der an das Ich seine potenzielle Herrschaft über die Dinge nicht mehr verwirklichen und genießen kann. Die Habgier kann natürlich über diesen Punkt hinausführen, aber sie offenbart ihre Sinnlosigkeit in der Unbefriedigung, die selbst ihrer Erfüllung eigen ist, ja in der gelegentlichen Bindung und Beengung, mit der das [355] Übermaß des Besitzes in das Gegenteil seines eigentlichen Charakters und Zweckes umschlägt. Das ergibt Erscheinungen, wie die des unfruchtbaren Besitzes, weil die Tätigkeit des Besitzers nicht ausreicht, ihn zu befruchten; des Despoten, der es müde wird, über Sklaven zu herrschen, weil an der unbedingten Unterwerfung unter seinen Willen auch der Wille zur Macht endet und ihm der Reibungswiderstand fehlt, an dem er sich seiner erst eigentlich bewußt wird; des Eigentümers der weder Zeit noch Kraft für den Genuß seines Eigentums übrig hat, weil dessen Verwaltung und Fruktifizierung beide bis zu ihrer äußersten Grenze verbraucht. Die Objekte unterscheiden sich nun an der Frage, welches Quantum von Persönlichkeit sie gleichsam absorbieren, d.h., von welchem Maße an ihr Besitz sinnlos wird, weil nur bis zu diesem noch das Ich imstande ist, ihn mit sich zu erfüllen. Auch hier nimmt das Geld eine besondere Stellung ein. Man kann sagen, daß zu seiner Verwaltung, Beherrschung, Genuß weniger Persönlichkeit eingesetzt zu werden braucht, als anderen Besitzobjekten gegenüber, und daß deshalb das Maß des Besitzes, das man wirklich erfüllen und zur wirtschaftlichen Persönlichkeitssphäre machen kann, ein größeres ist, als bei anderen Besitzformen.

Abgesehen sogar von dem wirklichen Genießen ist in der Regel schon die Begierde nach allen anderen Dingen durch die Aufnahmefähigkeit des Subjektes begrenzt, sowenig die Grenzen beider auch zusammenfallen und in so weitem Kreise die erstere auch die letztere umgeben mag. Das Geld allein enthält – wie früher schon ein anderer Zusammenhang ergab – jenes innere Maß nicht, das sich schließlich auch als Begrenzung der Begierde nach dem Objekt geltend macht. Alles dies ist natürlich um so mehr der Fall, je mehr das Geld wirklich bloßes »Geld« ist, d.h. reines Tauschmittel ohne unmittelbar zu genießenden Eigenwert. Solange als Geld noch Vieh, Eßwaren, Sklaven usw., also eigentlich Konsumwaren, fungieren, bedeutet sein Besitz weniger, daß er ausgedehnte Kaufkraft, als reiche Fülle des eigenen Konsumierens verleiht. Hier sind sozusagen zwei verschiedene Formeln für die Ausdehnung der Persönlichkeit nahegelegt. In dem primitiveren, naturalwirtschaftlichen Fall besteht sie in dem Sich-Aneignen der Objekte durch unmittelbaren Genuß, man könnte sagen: das Ich dehnt sich von seinem Zentrum her kontinuierlich aus – während mittels des abstrakten Metallgeldes oder gar des Kredites diese näheren Stufen gleichgültig und übersprungen werden. Im Gegensatz zu dem »reichen« Manne der Naturalwirtschaft kann der moderne Reiche das bescheidenste, eingeschränkteste, im unmittelbaren Sinne genußloseste Leben führen; man kann z.B. auf kulinarischem Gebiet, wie ich glaube, als Folge der vorschreitenden [356] Geldwirtschaft die zweiseitige Entwicklungstendenz feststellen, daß die Reichen immer einfacher essen – von Festlichkeiten abgesehen – und der Mittelstand immer besser – wenigstens in den Städten. Durch die Fernwirkungen des Geldes kann das Ich seine Macht, seinen Genuß, seinen Willen an entferntesten Objekten ausleben, indem es die nächstgelegenen Schichten vernachlässigt und übergeht, die jener primitivere Reichtum ihm allein zur Verfügung stellt. Die Expansionsfähigkeit des Subjekts, die durch seine Natur selbst beschränkt ist, zeigt dem bloßen Gelde gegenüber eine größere Weite und Freiheit als an jedem anderen Besitz. So ist der Unterschied gegen die vorige Überlegung der: dort war es der eigene Charakter der Dinge selbst, an dem sich die Expansion des Ich brach; hier ist es die eigene Beschränkung der Persönlichkeitskräfte, die selbst bei völliger Nachgiebigkeit der Dinge von einem gewissen Besitzquantum dieser an erlahmen muß, eine Erscheinung, die, wie sich zeigte, am spätesten eintritt, wenn der Besitz nicht die Form spezifischer Objekte, sondern die des Geldes aufweist.

[357]

III.

Innerhalb der Geistesgeschichte begegnet uns eine Entwicklung, die, so einfach ihr Schema ist, durch ihre umfassende und tiefgreifende Verwirklichung zu dein bedeutsamsten Formen der geistigen Realität gehört. Wir finden nämlich gewisse Gebiete zuerst von je einem Charakterzuge uneingeschränkt beherrscht; die Entwicklung zerspaltet die Einheitlichkeit des einzelnen in mehrere Teilgebiete, von welchen nun eines den Charakter des Ganzen im engeren Sinne und im Gegensatz gegen die anderen Teile repräsentiert. Oder, anders ausgedrückt: bei allem relativen Gegensatz zweier Elemente eines Ganzen können doch beide den Charakter des einen von ihnen, aber in absoluter Form, gemeinsam tragen. So könnte z.B. der moralphilosophische Egoismus recht haben, daß wir überhaupt nicht anders als im eigenen Interesse und um persönlicher Lust willen handeln können. Dann aber müßte weiterhin zwischen einem Egoismus im engeren und einem im weiteren Sinne unterschieden werden; wer seinen Egoismus an dem Wohlergehen anderer, etwa unter Aufopferung des eignen Lebens, befriedigt, den würden wir zweifellos weiter einen Altruisten nennen und ihn von demjenigen unterscheiden, dessen Handeln nur auf Schädigung und Unterdrückung anderer geht; diesen müssen wir als den Egoisten schlechthin bezeichnen, so sehr der Egoismus, in seiner absoluten und weitesten Bedeutung sich mit jedem Handeln als solchem deckend, auch jenen ersteren einschließen mag. – Ferner: die erkenntnistheoretische Lehre, daß alles Erkennen ein rein subjektiver, ausschließlich im Ich verlaufender und vom Ich bestimmter Prozeß ist, mag ihre Richtigkeit haben; dennoch unterscheiden wir nun solche Vorstellungen, die objektiv wahr sind, von den nur subjektiv, durch Phantasie, Willkür, Sinnestäuschung erzeugten – wenngleich, absolut genommen, auch jene objektiveren Erkenntnisse bloß subjektiver Provenienz sein mögen. Die Entwicklung geht auf immer gründlichere, bewußtere Scheidung zwischen den objektiven und den subjektiven Vorstellungen, die sich ursprünglich in einem unklaren psychologischen Indifferenzzustand bewegten. An dem Verhältnis des Menschen zu seinem Besitz scheint sich diese Fortschrittsform zu wiederholen. Prinzipiell angesehen ist jeder Besitz eine Erweiterung des Ich, eine Erscheinung innerhalb des subjektiven Lebens, und sein ganzer Sinn besteht in dem Bewußtseins- [358] bzw. Gefühlsreflex, den die durch ihn bezeichnete Beziehung zu den Dingen in der Seele auslöst. In dem gleichen Sinne ist alles, was mit den Besitzgegenständen geschieht, eine Funktion des Subjekts, das sich selbst, seinen Willen, sein Gefühl, seine Denkart in sie ausströmt und an ihnen ausprägt. Historisch indes stellt sich, worauf ich schon früher hindeutete, diese absolute Bedeutung des praktischen Besitzes, gerade wie die des intellektuellen Besitzes, zunächst in einem Indifferenzzustand dar, der das Ich und die Dinge verschmilzt – und jenseits des Gegensatzes zwischen beiden steht. Die altgermanische Verfassung, die den Besitz unmittelbar an die Person knüpfte, der spätere Feudalismus, der umgekehrt die Person an den Besitz band; die enge Verbindung mit der Gruppe überhaupt, die jedes Mitglied a priori in seine ökonomische Stellung hineinwachsen läßt; die Erblichkeit der Berufe, durch welche Tätigkeit und Position einerseits, die familiäre Persönlichkeit andrerseits, zu Wechselbegriffen werden; jede ständische oder zunftartige Verfassung der Gesellschaft, die ein organisches Verweben der Persönlichkeit mit ihrem ökonomischen Sem und Haben bedingt – dies alles sind Zustände von Undifferenziertheit zwischen Besitz und Person; ihre ökonomischen Inhalte oder Funktionen und diejenigen, welche das Ich im engeren Sinne ausmachen, stehen in sehr unmittelbarer gegenseitiger Bedingtheit. Ersichtlich wirkt diese Gefühlsweise, wenn in primitiven Zeiten dem Toten seine eigentlich persönlichen Besitzstücke ins Grab mitgegeben werden – nicht weniger aber, wenn der angelsächsische König, während dieser Usus besteht, doch beim Tod des Dienstmannes das Anspruchsrecht auf dessen Rüstung hat; denn diese bleibt dem König als Rudiment und Ersatz der Persönlichkeit, die mit ihr verbunden war. Ganz allgemein: wie das Denken des primitiven Menschen keine gesonderten Kategorien für die bloß subjektive Einbildung und die objektiv wahre Vorstellung besitzt, so unterscheidet seine Praxis auch nicht klar zwischen der eigenen Gesetzmäßigkeit der Dinge:(wo er diese anerkennt, nimmt sie leicht wieder die personifizierende Gestalt eines göttlichen Prinzips an) und der nach innen konzentrierten, von dem Äußeren unabhängigen Persönlichkeit. Die Entwicklung über dieses Stadium hinaus besteht nun in der Sonderung jener Elemente. Alle höhere wirtschaftliche Technik beruht auf einer Verselbständigung der ökonomischen Prozesse: sie werden von der Unmittelbarkeit der personalen Interessen gelöst, sie fuktionieren, als ob sie Selbstzwecke wären, ihr mechanischer Ablauf wird immer weniger von den Unregelmäßigkeiten und Unberechenbarkeiten des personalen Elementes gekreuzt. Und auf der ändern Seite differenziert sich eben dieses zu wachsender Selbständigkeit, [359] das Individuum erhält eine Ausbildungsfähigkeit, die zwar nicht von seiner ökonomischen Lage überhaupt, wohl aber von den apriorischen Bestimmtheiten derselben immer unabhängiger wird. Bei dieser sondernden Entwicklung der objektiven und der subjektiven Momente der Lebenspraxis bleibt natürlich die oben bezeichnete Tatsache unbewußt, daß im letzten Grunde und absolut genommen, die Gesamtheit dieser Praxis doch nur menschlich-subjektiver Natur ist; die Einrichtung einer Maschine oder einer Fabrik, so sehr sie den Gesetzen der Sache gemäß ist, wird doch schließlich auch von den persönlichen Zwecken, von der subjektiven Denkfähigkeit des Menschen umfaßt. Aber dieser allgemeine und absolute Charakter hat sich im relativen Sinne auf eines der Elemente konzentriert, in die das Ganze des Gebietes auseinandergegangen ist.

Wenn wir die Rolle des Geldes in diesem Differenzierungsprozeß untersuchen, so fällt zunächst auf, daß derselbe sich an die räumliche Entfernung zwischen dem Subjekt und seinem Besitz knüpft. Der Aktieninhaber, der mit der Geschäftsführung der Gesellschaft absolut nichts zu tun hat; der Staatsgläubiger, der das ihm verschuldete Land nie betreten hat; der Großgrundbesitzer, der seine Ländereien in Pacht ausgetan hat – sie alle überlassen ihre Besitzquanten einem rein technischen Betriebe, dessen Früchte sie allerdings ernten, mit dem an und für sich sie aber gar nichts zu schaffen haben. Und das eben ist ausschließlich durch das Geld möglich. Erst wenn der Ertrag des Betriebes eine Form annimmt, in der er ohne weiteres an jeden Punkt übertragbar ist, gewährt er, durch die Entfernung zwischen Besitz und Besitzer, beiden jenes hohe Maß von Unabhängigkeit, sozusagen von Eigenbewegung: dem einen die Möglichkeit, ausschließlich nach den inneren Anforderungen der Sache betrieben zu werden, dem anderen die Möglichkeit, sein Leben ohne Rücksicht auf die spezifischen Anforderungen seines Besitzes einzurichten. Die Fernwirkung des Geldes gestattet dem Besitz und dem Besitzer so weit auseinanderzutreten, daß jedes seinen eigenen Gesetzen ganz anders folgen kann, als da der Besitz noch in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Person stand, jedes ökonomische Engagement zugleich ein persönliches war, jede Wendung in der persönlichen Direktive oder Stellung zugleich eine solche innerhalb der ökonomischen Interessen bedeutete. So äußert sich, wie schon angeführt, die Solidarität zwischen Person und Besitz bei sehr vielen Naturvölkern aller Erdteile darin, daß der letztere, soweit er ganz individuell, erobert oder erarbeitet ist, mit dem Besitzenden ins Grab geht. Es liegt auf der Hand, wie sehr hierdurch auch die objektive Kultur hintangehalten wird, deren Fortschritt gerade auf dem [360] Weiterbauen auf ererbten Produkten ruht. Erst durch die Vererbung erstreckt sich der Besitz über die Grenze des Individuums hinaus und beginnt, eine sachliche und für sich entwickelbare Existenz zu führen. Für jenes personale, dem Eigener gleichsam angewachsene Wesen des Besitzes ist es bezeichnend, daß im frühgermanischen Recht jede Schenkung im Falle der Undankbarkeit des Beschenkten und in einigen anderen Fällen widerrufbar war. Weniges zeigt so scharf den ganz personalen Charakter jener frühen Besitzformen: eine rein individuell-ethische Beziehung zwischen Schenker und Beschenktem hat eine unmittelbare rechtlich-ökonomische Folge. Schon äußerlich widerstrebt die Geldwirtschaft der hiermit ausgedrückten Empfindungsweise; das naturale Geschenk kann wirklich in natura zurückgegeben werden, das Geldgeschenk aber, nach ganz kurzer Zeit, nicht mehr als »dasselbe«, sondern nur dem gleichen Werte nach. Damit ist die Beziehung geschwächt oder vernichtet, die für das Gefühl noch zwischen dem naturalen Geschenk und seinem Geber fortbestehen und die Rückforderbarkeit begründen mochte; die Geldform des Geschenks entfernt und entfremdet es ihm sehr viel definitiver. Wegen dieses Auseinandertreibens von Sache und Person sind auch Zeitalter der ausgebildetsten und ganz objektiv gewordenen Technik zugleich solche der individualisiertesten und subjektivsten Persönlichkeiten: der Beginn der römischen Kaiserzeit und die letzten 100-150 Jahre sind beides Zeiten intensivster Geldwirtschaft. Der technisch verfeinerte Charakter der Rechtsbegriffe stellt sich gleichfalls erst als Korrelat jenes abstrakten Individualismus her, der mit der Geldwirtschaft Hand in Hand geht. Bevor, zugleich mit dieser, das römische Recht in Deutschland rezipiert wurde, kannte das deutsche Recht keine Stellvertretung in Rechtssachen, nicht die Institution der juristischen Person, nicht das Eigentum als Gegenstand freier individueller Willkür, sondern nur als Träger von Rechten und Pflichten. Ein mit solchen Begriffen arbeitendes Recht ist nicht mehr möglich, wo das Individuum sich von der Verschmelzung mit besonderen Bestimmtheiten des Besitzes, der sozialen Position, der materialen Inhalte des Seins gelöst hat und jenes völlig freie und auf sich gestellte, aber von allen speziellen Daseinstendenzen begrifflich geschiedene Wesen geworden ist, das allein in die Geldwirtschaft hineingehört und so jene Lebensinteressen, als rein sachlich gewordene, der logisch-abstrakten römischen Rechtstechnik überlassen kann. Das Verhältnis zwischen dem Grund und Boden und dem Besitzer hat in Deutschland die Stadien durchgemacht, daß zuerst der Grundbesitz aus der personalen Stellung in der Gemeinde geflossen war, und dann umgekehrt die Person durch ihren Besitz bestimmt war, bis schließlich [361] die Verselbständigung des Grundbesitzes einen ganz anderen Sinn annimmt, einen solchen, in dem sie gleichsam am anderen Ende die Persönlichkeit als völlig selbständige hervortreten läßt. In der Urzeit hatte die Personalität die dinglichen Beziehungen überdeckt und verschlungen, in der Patrimonialzeit diese umgekehrt jene. Die Geldwirtschaft differenziert beides, Sachlichkeit bzw. Besitz und Persönlichkeit werden gegeneinander selbständig. Die Aufgipfelung, die dieser formale Prozeß am Gelde selbst erlebt, kann nicht schärfer als durch den Ausdruck der ausgebildetsten Geldwirtschaft bezeichnet werden: daß das Geld »arbeitet«, d.h. seine Funktionen nach Kräften und Normen übt, die mit denen seiner Besitzer keineswegs identisch, sondern von diesen relativ unabhängig sind. Wenn Freiheit bedeutet, nur den Gesetzen des eigenen Wesens zu gehorchen, so gibt die durch die Geldform des Ertrages ermöglichte Entfernung zwischen Besitz und Besitzer beiden eine sonst unerhörte Freiheit: die Arbeitsteilung zwischen der Subjektivität und den Normen der Sache wird eine vollkommene, jedes hat nun seine Aufgaben, wie sie sich aus seinem Wesen ergeben, für sich zu lösen, in Freiheit von der Bedingtheit durch das ihm innerlich fremde andere.

Diese Differenzierung durch das Geld und diese individuelle Freiheit durch die Differenzierung betrifft aber nicht nur den Rentenempfänger; das Arbeitsverhältnis entwickelt Ansätze, freilich schwerer erkennbare, in der gleichen Richtung. Die ökonomische Organisation der früheren Jahrhunderte, jetzt die zurückgebliebenen Formen derselben, Handwerk und Kleinhandel, ruhen auf dem Verhältnis persönlicher Unterordnung des Gesellen unter den Meister, des Angestellten unter den Ladenbesitzer usw. Auf diesen Stufen vollzieht sich die Wirtschaft durch ein Zusammenwirken von Faktoren, das durchaus persönlich-unmittelbarer Natur ist und in jedem einzelnen Fall im Geiste der leitenden Persönlichkeit und mit Unterordnung der übrigen unter deren Subjektivität verläuft. Dieses Verhältnis nimmt einen anderen Charakter an durch das steigende Übergewicht der objektiven und technischen Elemente über die personalen. Der Leiter der Produktion und der niedrigere Arbeitender Direktor und der Verkäufer im großen Magazin, sind nun gleichmäßig einem objektiven Zweck Untertan, und erst innerhalb dieses gemeinsamen Verhältnisses besteht die Unterordnung fort als technische Notwendigkeit, in der die Anforderungen der Sache, der Produktion als eines objektiven Prozesses, zum Ausdruck kommen. Wenn nun auch dieses Verhältnis nach manchen persönlich sehr empfindlichen Seiten für den Arbeiter härter sein mag als das frühere, so enthält es doch ein Element der Freiheit, indem seine Unterordnung [362] nicht mehr subjektiv-personaler, sondern technischer Natur ist. Zunächst wird klar, daß schon jene prinzipielle Befreiung, die im Übergang der Unterordnung in die objektive Form liegt, aufs engste an die unbedingtere Wirksamkeit des Geldprinzips gebunden ist. Solange das Lohnarbeitsverhältnis als ein Mietsvertrag angesehen wird, enthält es wesentlich ein Moment der Unterordnung des Arbeiters unter den Unternehmer: denn der arbeitende Mensch wird gemietet, wie es heute noch am schroffsten bei unseren Dienstboten ausgebildet ist, wo wirklich der Mensch mit dem ganzen, sachlich gar nicht genau umschriebenen Komplex seiner Kräfte gemietet wird und so als ganze Person in das Verhältnis der Unfreiheit und Unterordnung unter einen anderen Menschen eintritt. Sobald der Arbeitsvertrag aber, die Geldwirtschaftlichkeit in ihre letzten Konsequenzen verfolgend, als Kauf der Ware Arbeit auftritt, so handelt es sich um die Hingabe einer völlig objektiven Leistung, die, wie man es formuliert hat, als Faktor in den kooperativen Prozeß eingestellt wird und in diesem sich mit der Leistung des Unternehmers, ihr gewissermaßen koordiniert, zusammenfindet. Das gewachsene Selbstgefühl des modernen Arbeiters muß damit zusammenhängen: er empfindet sich nicht mehr als Person untertänig, sondern gibt nur eine genau festgestellte – und zwar auf Grund des Geldäquivalentes so genau festgestellte – Leistung hin, die die Persönlichkeit als solche gerade um so mehr freiläßt, je sachlicher, unpersönlicher, technischer sie selbst und der von ihr getragene Betrieb ist. Für den Betriebsleiter selbst zeitigt die durchgedrungene Geldwirtschaft das gleiche Resultat von der Seite her, daß er nun seine Produkte für den Markt herstellt, d.h. für gänzlich unbekannte und gleichgültige Konsumenten, die nur durch das Medium des Geldes mit ihm zu tun haben. Dadurch wird die Leistung in einer Weise objektiviert, die die individuelle Persönlichkeit viel weniger in sie verflicht und von ihr abhängig macht, als da noch lokale und persönliche Rücksichten auf den bestimmten Abnehmer – insbesondere wenn man mit ihm im naturalen Austauschverhältnis stand – die Arbeit beeinflußten. Die Entwicklung des oben berührten Dienstbotenverhältnisses zu persönlicher Freiheit nimmt ihren Weg ebenso über die vergrößerte Wirkung des Geldes. Jene persönliche Bindung, die sich in den »ungemessenen« Diensten des Dienstboten ausspricht, knüpft sich wesentlich an die Hausgenossenschaft desselben. Daraus, daß er im Hause der Herrschaft wohnt und beköstigt, gelegentlich auch bekleidet wird, ergibt es sich unvermeidlich, daß sein Quantum von Diensten sachlich unbestimmt ist und ebenso den wechselnden Ansprüchen der Hausvorkommnisse folgt, wie er sich überhaupt der Hausordnung [363] fügen muß. Nun scheint die Entwicklung allmählich dahin zu gehen, daß die häuslichen Dienste mehr und mehr außerhalb wohnenden Personen arbeitsteilig übertragen werden, so daß diese nur ganz Bestimmtes zu leisten haben und ausschließlich mit Geld abgelohnt werden. Die Auflösung der naturalwirtschaftlichen Hausgemeinschaft würde damit einerseits zu einer objektiven Fixierung und einem mehr technischen Charakter der Dienste führen, in unmittelbarer Konsequenz davon aber zu einer völligen Unabhängigkeit und Auf-sichselbst-Stehen der leistenden Person.

Wenn die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses in dieser durch das Geld ermöglichten Linie fortschreitet, so erreicht sie vielleicht die Aufhebung gewisser Übel, die man gerade der modernen Geldwirtschaft zum besonderen Vorwurf gemacht hat. Das Motiv des Anarchismus liegt in der Perhorreszierung der Über- und Unterordnung zwischen den Menschen, und wenn innerhalb des Sozialismus dieses sozusagen formale Motiv durch mehr materiale ersetzt wird, so gehört es doch auch zu seinen Grundtendenzen, die Unterschiede der menschlichen Lagen zu beseitigen, durch welche der eine ohne weiteres befehlen kann, der andere ohne weiteres gehorchen muß. So sehr für die Denkweisen, denen das Maß der Freiheit zugleich das Maß alles sozial Notwendigen ist, die Beseitigung von Über- und Unterordnung eine durch sich selbst begründete Forderung ist, so Wäre doch die auf Über- und Unterordnung ruhende Gesellschaftsordnung an und für sich nicht schlechter als eine Verfassung völliger Gleichheit, wenn nicht mit jener Gefühle von Unterdrückung, Leid, Entwürdigung verbunden wären. Würden jene Theorien psychologische Klarheit über sich selbst besitzen, so müßten sie einsehen, daß die Gleichstellung der Individuen ihnen gar nicht das absolute Ideal, gar nicht der kategorische Imperativ ist, sondern das bloße Mittel, um gewisse Leidgefühle zu beseitigen, gewisse Befriedigungsgefühle zu erzeugen; wobei nur von jenen abstrakten Idealisten abgesehen wird, für die die Gleichheit ein formal-absoluter und selbst um den Preis aller möglichen inhaltlichen Nachteile, ja, des Pereat mundus, erforderter Wert ist. Wo aber eine Forderung ihre Bedeutung nicht in sich, sondern von ihren Folgen zu Lehen trägt, da ist es prinzipiell stets möglich, sie durch eine andere zu ersetzen: denn die gleiche Folge kann durch sehr verschiedene Ursachen hervorgerufen werden. Diese Möglichkeit ist im vorliegenden, Falle deshalb sehr wichtig, weil alle bisherige Erfahrung gezeigt hat, welches ganz unentbehrliche Organisationsmittel die Über- und Unterordnung ist, und daß mit ihr eine der fruchtbarsten Formen der gesellschaftlichen Produktion verschwände. Die Aufgabe ist also, [364] die Über- und Unterordnung, soweit sie diese Folgen hat, beizubehalten und zugleich jene psychologischen Folgen, um derentwillen sie perhorresziert wird, zu beseitigen. Diesem Ziele nähert man sich offenbar in dem Maße, in welchem alle Über- und Unterordnung eine bloß technische Organisationsform wird, deren rein objektiver Charakter gar keine subjektiven Empfindungen mehr hervorruft. Es kommt darauf an, die Sache und die Person so zu scheiden, daß die Erfordernisse der ersteren, welche Stelle im gesellschaftlichen Produktions- oder Zirkulationsprozesse sie auch der letzteren anweisen, die Individualität, die Freiheit, das Innerste Lebensgefühl derselben ganz unberührt lassen. Eine Seite dieser Verfassung ist innerhalb eines Standes schon verwirklicht – im Offiziersstand. Die blinde Subordination unter den Vorgesetzten wird hier nicht als Entwürdigung empfunden, weil sie nichts als das technisch unumgängliche Erfordernis für die militärischen Zwecke ist, denen auch jeder Vorgesetzte selbst in nicht weniger strenger, aber auch nicht weniger objektiver Weise unterworfen ist. Die persönliche Ehre und Würde steht ganz jenseits dieser Über- und Unterordnung, diese haftet sozusagen nur der Uniform an und ist nur eine Bedingung der Sache, von der kein Reflex auf die Person fällt. In anderer Wendung tritt diese Differenzierungserscheinung bei rein geistigen Beschäftigungen auf. Zu allen Zeiten hat es Persönlichkeiten gegeben, die sich bei völliger Untergeordnetheit und Abhängigkeit der äußeren Lebensstellung absolute geistige Freiheit und individuelle Produktivität gewahrt haben, insbesondere allerdings in Zeiten, wo sehr festgewordene soziale Ordnungen durch einströmende Bildungsinteressen gekreuzt werden und jene bestehen bleiben, während diese ganz neue innere Rangierungen und Kategorien schaffen – wie etwa in der Epoche des Humanismus und in der letzten Zeit des ancien régime. Es ließe sich nun denken, daß, was in diesen Fällen ganz einseitig ausgebildet ist, zur sozialen Organisationsform überhaupt würde. Über- und Unterordnung in allen möglichen Gestalten ist jetzt die technische Bedingung für die Gesellschaft, ihre Zwecke zu erreichen; allein sie wirft einen Reflex auch auf die innerliche Bedeutung des Menschen, auf die Freiheit seiner Ausbildung, auf sein rein menschliches Verhältnis zu anderen Individuen. Indem diese Verquickung gelöst, alles Oben- und Untenstehen, alles Befehlen und Gehorchen eine bloß äußerliche Verfassungstechnik würde, welche auf die individuelle Stellung und Entwicklung in allem übrigen weder Licht noch Schatten werfen kann, würden alle jene Leidgefühle schwinden, um derentwillen man heute, wo das Äußerliche und bloß Zweckmäßige der sozialen Hierarchie doch noch mit dem Persönlich-Subjektiven [365] des Individuums allzueng assoziert ist, nach einer Beseitigung jener Hierarchie überhaupt rufen kann. Man würde durch diese Objektivierung des Leistens und seiner organisatorischen Bedingungen alle technischen Vorteile der letzteren behalten und ihre Benachteiligungen der Subjektivität und Freiheit vermeiden, auf die sich heute der Anarchismus und teilweise der Sozialismus gründet. Das aber ist die Richtung der Kultur, die, wie wir oben sahen, die Geldwirtschaft anbahnt. Die Trennung des Arbeiters von seinem Arbeitsmittel, die als Besitzfrage für den Knotenpunkt des sozialen Elends gilt, würde sich in einem anderen Sinne gerade als eine Erlösung zeigen: wenn sie die personale Differenzierung des Arbeiters als Menschen von den rein sachlichen Bedingungen bedeutete, in die die Technik der Produktion ihn stellt. So würde das Geld eine jener nicht seltenen Entwicklungen vollziehen, in denen die Bedeutung eines Elementes direkt in ihr Gegenteil umschlägt, sobald sie aus ihrer ursprünglichen beschränkten Wirksamkeit sich zu einer durchgehenden, konsequenten, überall hindringenden entfaltet hat. Indem das Geld gleichsam einen Keil zwischen die Person und die Sache treibt, zerreißt es zunächst wohltätige und stützende Verbindungen, leitet aber doch jene Verselbständigung beider gegeneinander ein, in der jedes von beiden seine volle, befriedigende, von dem ändern ungestörte Entwicklung finden kann.

Wo die Arbeitsverfassung, bzw. das allgemeine soziale Verhältnis aus der personalen in die sachliche Form – und, parallel damit, aus der naturalwirtschaftlichen in die geldwirtschaftliche – übergeht, finden wir zunächst oder partiell eine Verschlechterung in der Stellung des Untergeordneten. Die Entlohnung des Arbeiters in Naturalien hat, gegenüber dem Geldlohn, neben all ihren Gefahren sicher manche Vorteile. Denn die Geldleistung bezahlt ihre größere äußere Bestimmtheit, sozusagen ihre logische Präzision, mit der größeren Unsicherheit ihres schließlichen Wertquantums. Brot und Wohnung haben für den Arbeiter einen, man möchte sagen, absoluten Wert, der als solcher zu allen Zeiten derselbe ist; die Wertschwankungen, denen nichts Empirisches sich entziehen kann, fallen hier dem Arbeitgeber zur Last, der sie dadurch für den Arbeiter ausgleicht. Der gleiche Geldlohn dagegen kann heute etwas völlig anderes bedeuten als vor einem Jahre, er verteilt die Chancen der Schwankungen zwischen Geber und Empfänger. Allein diese Unsicherheit und Ungleichmäßigkeit, die oft genug recht empfindlich sein mag, ist doch das unvermeidliche Korrelat der Freiheit. Die Art, auf die die Freiheit sich darstellt, ist Unregelmäßigkeit, Unberechenbarkeit, Asymmetrie; weshalb denn – wie später noch ausführlich [366] zu erörtern ist – freiheitliche politische Verfassungen, wie die englische, durch ihre inneren Anomalien, ihren Mangel an Planmäßigkeit und systematischem Aufbau charakterisiert sind, während despotischer Zwang allenthalben auf symmetrische Strukturen, Gleichförmigkeit der Elemente, Vermeidung alles Rhapsodischen ausgeht. Die Schwankungen der Preise, unter denen der Geldlohn empfangende Arbeiter ganz anders als der in Naturalien entlohnte leidet, haben so einen tiefen Zusammenhang mit der Lebensform der Freiheit, die dem Geldlohn ebenso entspricht, wie die Naturalentlohnung der Lebensform der Gebundenheit. Gemäß der Regel, die weit über die Politik hinaus gilt: wo eine Freiheit ist, da ist auch eine Steuer – zahlt der Arbeiter in den Unsicherheiten des Geldlohnes die Steuer für die durch diesen bewirkte oder angebahnte Freiheit. – Ganz Entsprechendes nehmen wir wahr, wo umgekehrt die Leistungen des sozial Tieferstehenden aus der naturalen in die Geldform übergehen. Die Naturalleistung schafft ein gemütlicheres Verhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten. In dem Korn, dem Geflügel, dem Wein, die der Grundholde in den Herrenhof liefert, steckt unmittelbar seine Arbeitskraft, es sind gleichsam Stücke von ihm, die sich von seiner Vergangenheit und seinem Interesse noch nicht völlig gelöst haben; und entsprechend werden sie unmittelbar von dem Empfänger genossen, er hat ein Interesse an ihrer Qualität und sie gehen sozusagen ebenso in ihn persönlich ein, wie sie von jenem persönlich ausgehen. Es wird damit also eine viel engere Verbindung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem hergestellt, als durch die Geldleistung, in der die personalen Momente von beiden Seiten her verschwinden. Deshalb hören wir, daß im frühen mittelalterlichen Deutschland durchaus die Sitte herrschte, die Leistungen der Hörigen durch kleine Gefälligkeiten zu mildern; allenthalben erhielten sie bei der Entrichtung der Abgaben eine kleine Gegengabe, mindestens Speise und Trank. Diese wohlwollende, sozusagen anmutige Behandlung der Verpflichteten hat sich in dem Maße verloren, in dem an die Stelle der Naturalleistungen mehr und mehr Geldleistungen und an die Stelle der unter ihren Grundholden lebenden Grund- und Landesherren die härteren Beamten traten. Denn diese Einsetzung der Beamten bedeutete die Objektivierung des Betriebes: der Beamte leitete ihn nach den unpersönlichen Anforderungen der Technik, die ein möglichst großes objektives Erträgnis liefern sollte. Er stand mit derselben entpersonalisierenden Wirkung zwischen dem Hörigen und dem Herrn, wie sich das Geld zwischen die Leistung des einen und den Genuß des ändern schob, eine trennende Selbständigkeit der Mittelinstanz, die sich auch darin zeigte, daß die Verwandlung der [367] Naturalfronen in Geldzinsung dem Gutsverwalter ganz neue Gelegenheiten zu Unredlichkeiten gegenüber dem fernen Herrn gab. So sehr der Bauer von dem Persönlichkeitscharakter des Verhältnisses profitiert und nach dieser Seite hin unter seiner Versachlichung und Zugeldesetzung zunächst leiden mag, so war dieses doch, wie ich oben auseinandersetzte, der unumgängliche Weg, der zur Aufhebung der Leistungen der Hörigen überhaupt führte.

Neben der skizzierten Phänomenenreihe, welche auf dieses Endziel hinaussieht, steht eine andere, die auf den ersten Blick die genau entgegengesetzte Konsequenz zeigt. Es scheint z.B., als ob der Stücklohn dem bisher charakterisierten Fortschritt der Geldkultur mehr entspräche, als der Stundenlohn. Denn der letztere steht dem Indienstnehmen des ganzen Menschen, mit seinen gesamten, aber nicht sicher bestimmbaren Kräften, viel näher, als der Stücklohn, wo die einzelne, genau bestimmte, aus dem Menschen völlig herausobjektivierte Leistung vergolten wird. Dennoch ist augenblicklich der Stundenlohn dem Arbeiter im allgemeinen günstiger – außer wo technische Umstände, z.B. rasche Änderung der Maschinen im Sinne der Produktivitätssteigerung, für den Stücklohn sprechen –, gerade weil sich die Entlohnung hier nicht mit derselben Strenge wie beim Stücklohn nur nach der vollbrachten Leistung richtet; sie bleibt dieselbe, auch wenn Pausen, Verlangsamungen, Versehen, ihr Resultat irgendwie alterieren. So erscheint der Stundenlohn menschenwürdiger, weil er ein größeres Vertrauen voraussetzt, und er gibt innerhalb der Arbeit doch etwas mehr tatsächliche Freiheit, als der Stücklohn, trotzdem (oder hier vielmehr: weil) der Mensch als ganzer in das Arbeitsverhältnis eintritt und so die Unbarmherzigkeit des rein objektiven Maßstabes gemildert wird. Die Steigerung dieses Verhältnisses ist in der »Anstellung« zu erblicken, in der die einzelne Leistung noch viel weniger den unmittelbaren Maßstab der Entlohnung abgibt, sondern die Summe derselben, die Chance aller dazwischentretenden menschlichen Unzulänglichkeiten einschließend, bezahlt wird. Am deutlichsten wird dies bei der Stellung des höheren Staatsbeamten, dessen Gehalt überhaupt keine quantitative Beziehung zu seinen einzelnen Leistungen mehr hat, sondern ihm nur die standesgemäße Lebenshaltung ermöglichen soll. Als kürzlich auf einen Gerichtsbeschluß hin einem preußischen Beamten, der durch eigenes schweres Verschulden längere Zeit an seiner Funktionierung verhindert war, ein Teil seines Gehaltes für diese Zeit einbehalten wurde, hob das Reichsgericht das Urteil auf: denn das Gehalt eines Beamten sei keine pro rata geltende Gegenleistung für seine Dienste, sondern eine »Rente«, welche dazu bestimmt sei, ihm die Mittel zu seinem, [368] dem Amte entsprechenden standesgemäßen Unterhalt zu geben. Hier wird die Entlohnung also prinzipiell gerade auf das personale Element unter Ausschluß einer genauen objektiven Äquivalenz gerichtet. Freilich sind diese Gehälter immer auf längere Perioden hinaus festgelegt, und bei dem Schwanken des Geldwertes in diesen wird gerade durch die Stabilität des Einkommens die Stabilität der Lebenshaltung verhindert, während die Bezahlung der Einzelleistung viel leichter den Veränderungen des Geldwertes folgt. Allein das entkräftet meine Deutung dieses Verhältnisses so wenig, daß es vielmehr die Unabhängigkeit des persönlichen Elementes von dem ökonomischen, auf die es ankommt, erst recht hervorhebt. Daß die Honorierung hier nur ganz im allgemeinen erfolgt und sich nicht den einzelnen Wechselfällen der ökonomischen Entwicklung anschmiegt, bedeutet ja gerade die Absonderung der Persönlichkeit als eines Ganzen von der Einzelheit ökonomisch bewertbarer Leistungen; und der stabile Gehalt verhält sich zu der wechselnden Höhe seiner Einzelverwertungen, wie die ganze Persönlichkeit zu der unvermeidlich wechselnden Qualität ihrer einzelnen Leistungen. – Die äußerste, wenngleich nicht immer als solche erkennbare Stufe dieser Phänomenenreihe liegt in der Honorierung jener idealen Funktionen, deren Inkommensurabilität mit irgendwelchen Geldsummen jede »angemessene« Bezahlung illusorisch macht. Die Bedeutung der Bezahlung kann hier nur sein, daß man das Entsprechende beiträgt, um dem Leistenden die angemessene Lebenshaltung zu ermöglichen, nicht aber, daß sie und die Leistung sich sachlich entsprächen. Deshalb wird dem Portraitmaler das Honorar gleichmäßig bezahlt, ob das Bild ganz gelungen ist oder nicht, dem Konzertgeber das Eintrittsgeld, auch wenn er nachher schlecht spielt, dem Arzt seine Taxe, ob der Patient geheilt wird oder stirbt – während auf niedrigeren Gebieten das Ob und Wieviel der Zahlung viel direkter und genauer von dem Ausfall der Leistung abhängt. Wie sehr der sachliche Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Äquivalent hier durchbrochen ist, lehrt auf den ersten Blick das Mißverhältnis ihrer Quantitäten. Wer für ein Gemälde, Theater, Belehrung noch einmal so viel Geld aufwendet, als für andere, und in beiden Fällen angemessen gezählt zu haben glaubt, kann doch nicht sagen: dieses Bild ist genau noch einmal so schön wie das andere, diese Belehrung genau doppelt so tief und wahr wie die andere. Und selbst, wenn man die Bezahlung jenseits der objectiven Schätzung und auf die verschiedenen Quanten des subjektiven Genusses stellen wollte, würde man, auf je höhere Gebiete man kommt, um so weniger die genauen Verhältnisse zwischen jenen behaupten wollen, auf die die Geldäquivalente [369] logische Anweisung geben. Schließlich tritt die völlige Beziehungslosigkeit des Entlohnungsquantums zu der Leistung etwa am schärfsten hervor, wenn man für das Spiel eines Musikvirtuosen, das uns zu den höchsten Stufen der in uns entwickelbaren Empfindungen gehoben hat, ein paar Mark bezahlt. Einen Sinn erhält ein derartiges Äquivalent nur von dem Standpunkt aus, daß es sich überhaupt gar nicht mit der einzelnen Leistung dem Werte nach decken, sondern nur zu demjenigen Unterhalt des Künstlers beitragen soll, der ein geeignetes Fundament für seine Leistung bildet. So scheint also gerade bei den höchsten Produktionen die Entwicklung umzubiegen: das Geldäquivalent gilt nicht mehr der einzelnen Leistung, unter Beziehungslosigkeit zu der dahinterstehenden Person, sondern gerade dieser Person als ganzer, unter Beziehungslosigkeit zu ihrer einzelnen Leistung.

Sieht man aber näher zu, so strebt diese Erscheinungsreihe doch demselben Punkte zu, wie jene andere, die ihr Ideal in der reinen Sachlichkeit der ökonomischen Stellung fand. Beide münden gleichmäßig an einer völligen gegenseitigen Verselbständigung der ökonomischen Leistung und der Persönlichkeit. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Beamte oder der Künstler nicht für seine einzelne Leistung honoriert wird, sondern wenn es der Sinn seines Honorars ist, ihm eine gewisse persönliche Lebenshaltung zu ermöglichen. Allerdings ist hier, im Gegensatz zu der früheren Reihe, das Persönliche mit dem ökonomischen in Verbindung gesetzt; aber doch so, daß innerhalb des Komplexes der Persönlichkeit selbst die Leistungen, für welche allerdings im letzten Grunde das Äquivalent gegeben wird, sich gerade sehr scharf gegen die Gesamtpersönlichkeit, als die Grundlage jener Leistungen, absetzen. Die Befreiung der Persönlichkeit, die in ihrer Differenzierung von der objektiven Leistung liegt, wird in gleicher Weise vollzogen: ob nun von der wachsenden Objektivierung der Leistung ausgehend, die schließlich für sich allein in die ökonomische Zirkulation eintritt und die Persönlichkeit ganz draußen läßt – oder anhebend von der Honorierung bzw. Unterhaltung der Persönlichkeit als ganzer, aus der dann die einzelne Leistung ohne direktes und singuläres ökonomisches Äquivalent hervorgeht. In beiden Fällen wird die Persönlichkeit von dem Zwange befreit, den ihre unmittelbare ökonomische Verkettung mit der einzelnen objektiven Leistung ihr auferlegt.

Nun erscheint freilich die zu zweit behandelte Reihe weniger geldwirtschaftlich bedingt als die erste. Wo die gegenseitige Verselbständigung zwischen Person und Leistung von der Betonung der letzteren ausgeht, muß das Geld eine größere Rolle spielen, als wo [370] umgekehrt die Persönlichkeit sozusagen das aktive Element in dem Prozesse ist, sie von der Leistung zu sondern; denn das Geld hat vermöge seines unpersönlichen Charakters und seiner unbedingten Nachgiebigkeit eine besonders starke Wahlverwandtschaft zu der einzelnen Leistung als solcher und eine besondere Kraft, sie hervorzuheben: wogegen jene Höhe und Sicherheit der Lebenshaltung, mit der der Persönlichkeit als ganzer das Äquivalent für ihre Bewährungen geboten wird, ebensogut auch in den primitiveren Wirtschaftsformen, durch Belohnung mit einem Stück Land oder mit Regalien irgendwelcher Art eintreten konnte. Die spezifische Bedeutung des Geldes innerhalb dieser Reihe geht nicht von der Seite des Empfangenden, sondern des Gebenden aus. Denn es ermöglicht, jenes Gesamtäquivalent für das Lebenswerk eines Arbeitenden aus den Beiträgen vieler zusammenzusetzen, mögen dies nun die Eintrittsgelder von Konzertbesuchern sein, oder die Aufwendungen der Bücherkäufer, oder die Steuern der Bürger, aus denen die Beamtengehälter gezahlt werden. Das tritt recht an dem Zusammenhang hervor, den die Geldwirtschaft ersichtlich mit dem Aufkommen mechanischer Reproduktionen hat. Sobald der Buchdruck erfunden ist, wird für das elendeste Machwerk derselbe Bogenpreis bezahlt wie für die erhabenste Dichtung, sobald es Photographien gibt, ist eine solche der Bella di Tiziano nicht teurer als die einer Chansonettensängerin, sobald mechanische Herstellungsweisen von Geräten bestehen, ist eines im edelsten Stil nicht kostbarer als manches im geschmacklosesten. Wenn der Schöpfer des einen mehr Geld verdient, als der des anderen, so bewirkt dies nur die größere Anzahl derer, von denen jeder für das Produkt dennoch nur ebensoviel zahlt, wie jeder Abnehmer des anderen. Liegt hierin schon an und für sich der demokratische Charakter des Geldes, gegenüber den Ausstattungen der zu honorierenden Persönlichkeiten durch Einzelpersonen in den Formen des Feudalismus oder des Mäcenatentums, so dient diese Anonymität des Geldgebers, im Gegensatz zu den genannten anderen Formen, sicherlich der subjektiven Unabhängigkeit und freien Entwicklung der die Leistung anbietenden Person. Insbesondere das Überhandnehmen der mechanischen Reproduktionsweisen mit jener Folge, den Geldpreis von der Qualität unabhängig zu machen, zerschneidet das Band, das die spezifische Bezahlung für die spezifische Leistung zwischen Abnehmern und Produzenten geknüpft hatte. So tut in dem Differenzierungsprozesse zwischen Person und Leistung das Geld seinen Dienst für die Unabhängigkeit des Leistenden schließlich ebenso, wenn die Lösung jener ehemals verschmolzenen Elemente von der [371] Verselbständigung der Person, wie wenn sie von der Verselbständigung der Leistung ausging.

Sehen wir hier auf den Anfang dieser Überlegungen zurück, so zeigt sich der ganze beschriebene Sonderungsprozeß zwischen der Person und der Sache im genauen Sinne doch als eine Differenzierung innerhalb der ersteren: es sind die verschiedenen Interessen und Betätigungssphären der Persönlichkeit, die durch die Geldwirtschaft ihre relative Selbständigkeit erhalten. Wenn ich sagte, daß das Geld die ökonomische Leistung aus dem Ganzen der Persönlichkeit herauslöst, so bleibt, absolut genommen, jene doch immer ein Teil der Persönlichkeit, diese andrerseits bedeutet jetzt nicht mehr ihr absolutes Ganze, sondern nur noch die Summe derjenigen psychischen Inhalte und Energien, die nach Aussonderung der ökonomischen übrig bleiben. So kann man die Wirkung des Geldes als eine Atomisierung der Einzelpersönlichkeit bezeichnen, als eine innerhalb ihrer vor sich gehende Individualisierung. Dies ist doch aber nur eine in das Individuum hinein fortgesetzte Tendenz der ganzen Gesellschaft: wie das Geld auf die Elemente des Einzelwesens, so wirkt es vor allem auf die Elemente der Gesellschaft, auf die Individuen. Der letztere, der Tatsache nach oft betonte Erfolg der Geldwirtschaft heftet sich zunächst daran, daß das Geld eine Anweisung auf die Leistungen anderer ist. Während in vorgeldwirtschaftlichen Zeiten der Einzelne unmittelbar auf seine Gruppe angewiesen war und der Austausch der Dienste jeden eng mit der Gesamtheit verband, trägt nun jeder seinen Anspruch auf die Leistungen von anderen in verdichteter, potenzieller Form mit sich herum. Er hat die Wahl, wann und wo er ihn geltend machen will, und löst damit die Unmittelbarkeit der Beziehungen, die die frühere Austauschform gestiftet hatte. Diese äußerst bedeutsame Kraft des Geldes, dem Individuum eine neue Selbständigkeit den unmittelbaren Gruppeninteressen gegenüber zu verleihen, äußert sich keineswegs nur gelegentlich des fundamentalen Gegensatzes zwischen Natural- und Geldwirtschaft, sondern auch innerhalb der letzteren. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts schrieb der italienische Publizist Botero: »Wir haben in Italien zwei blühende Republiken, Venedig und Genua. Die Venetianer, welche sich mit reellem Warenhandel beschäftigen, sind zwar als Privatleute nur mäßig reich geworden, haben aber dafür ihren Staat außerordentlichgroß und reich gemacht. Die Genuesen dagegen haben sich ganz dem Geldgeschäft ergeben und hierdurch ihren Privatbesitz sehr vermehrt, während ihr Staatswesen verarmt ist.« Indem die Interessen auf das Geld gestellt werden und soweit der Besitz in Geld besteht, muß der Einzelne die Tendenz und das Gefühl einer [372] selbständigeren Bedeutung dem sozialen Ganzen gegenüber bekommen, er verhält sich zu diesem nun wie Macht zu Macht, weil er frei ist, sich seine Geschäftsbeziehungen und Kooperationen überall, wo er will, zu suchen; das Warengeschäft dagegen, selbst wenn es sich räumlich so weit erstreckt wie das der Venetianer, muß vielmehr Mitwirkende und Angestellte im nächsten Kreise suchen, seine umständlichere und substanziellere Technik legt ihm überhaupt lokale Bedingungen auf, von denen das Geldgeschäft frei ist. Noch entschiedener tritt dies natürlich an dem Unterschied zwischen Gründend Geldbesitz hervor. Es beweist die Tiefe dieses soziologischen Zusammenhanges, daß man hundert Jahre nach jener Äußerung Boteros gerade an sie die Betrachtung geknüpft hat, welche Gefahr es für den Staat wäre, wenn das Hauptvermögen der herrschenden Klasse aus Mobiliarbesitz besteht, den man in Zeiten der öffentlichen Not in Sicherheit bringen kann, während die Grundbesitzer durch ihr Interesse unlösbar mit dem Vaterlande verbunden sind. In England ist das steigende Übergewicht des industriellen Reichtums über den in Grundbesitz angelegten dafür verantwortlich gemacht worden, daß das kommunal-soziale Interesse der obersten Klasse sich verloren hat. Das alte Self-Government ruhte auf der persönlichen Staatstätigkeit der letzteren, die jetzt immer mehr direkten Staatsorganen Platz macht. Die bloße Geldsteuer, mit der man sich jetzt abfindet, dokumentiert den Zusammenhang, der zwischen der gewachsenen Geldmäßigkeit aller Verhältnisse und dem Niedergang jener alten Sozialverpflichtungen stattfindet.

Nun macht das Geld nicht nur die Beziehung der Einzelnen zur Gruppe überhaupt zu einer viel unabhängigeren, sondernder Inhalt der speziellen Assoziationen und das Verhältnis der Teilnehmer zu ihnen unterliegt einem ganz neuen Differenzierungsprozeß. Die mittelalterliche Korporation schloß den ganzen Menschen in sich ein: eine Zunft der Tuchmacher war nicht eine Assoziation von Individuen, welche die bloßen Interessen der Tuchmacherei pflegte, sondern eine Lebensgemeinschaft in tariflicher, geselliger, religiöser, politischer und vielen sonstigen Hinsichten. Um so sachliche Interessen sich eine solche Assoziation auch gruppieren mochte, sie lebte doch ganz unmittelbar in ihren Mitgliedern und diese gingen restlos in ihr auf. Im Gegensatz zu dieser Einheitsform hat nun die Geldwirtschaft unzählige Assoziationen ermöglicht, die entweder von ihren Mitgliedern nur Geldbeiträge verlangen oder auf ein bloßes Geldinteresse hinausgehen: zuhöchst die Aktiengesellschaft, bei der der Vereinigungspunkt der Teilhaber ausschließlich in dem Interesse an der Dividende liegt; so ausschließlich, daß es wohl jedem Einzelnen [373] ganz gleichgültig ist was die Gesellschaft denn eigentlich produziert. Die sachliche Zusammenhangslosigkeit des Subjekts mit dem Objekt, an dem es ein bloßes Geldinteresse hat, spiegelt sich in seiner personalen Zusammenhangslosigkeit mit den anderen Subjekten, mit denen ihn ein ausschließliches Geldinteresse verbindet. Hiermit ist nun eine der wirkungsvollsten kulturellen Formungen gegeben: die Möglichkeit des Individuums, sich an Assoziationen zu beteiligen, deren objektiven Zweck es fördern oder genießen will, ohne daß für die Persönlichkeit im übrigen die Verbindung irgendeine Bindung mit sich brächte. Das Geld hat es bewirkt, daß man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen. Das ist der fundamentale, unsäglich bedeutungsvolle Unterschied gegen die mittelalterliche Einungsform, die zwischen dem Menschen als Menschen und dem Menschen als Mitglied einer Vereinigung nicht unterschied; sie zog das gesamtwirtschaftliche wie das religiöse, das politische wie das familiäre Interesse gleichmäßig in ihren Kreis. Die dauernde Vereinigung kennt in jenem urwüchsigen Stadium noch nicht die Form des bloßen »Beitrage«, am wenigsten die Herstellung ihrer ganzen Substanz aus solchen und aus »beschränkten Haftungen«. Wie man wohl im großen und ganzen und mit den bei so allgemeinen Behauptungen nötigen Reserven sagen kann, daß die Verhältnisse der Menschen untereinander früher entschiedenere waren, weniger durch Vermittlungen, Mischungen, Vorbehalte undeutlich gewordene, daß es weniger problematische und »halbe« Verhältnisse gab: so stand die Beziehung des Einzelnen zur Assoziation viel mehr unter dem Zeichen des Ganz oder Garnicht, sie duldete nicht eine Zerlegbarkeit, durch die ein bloßes Partikelchen der im übrigen unabhängigen Persönlichkeit in sie hinein gegeben werden kann und die in der Hingabe und Entnahme von Geld als dem einzigen assoziativen Bande ihre absolute Vollendung findet. Und dies gilt nicht nur für Einzelne, sondern auch für Kollektivindividuen. Die Geldform des Gemeininteresses gewährt auch Vereinigungen die Möglichkeit zu einer höheren Einheit zusammenzutreten, ohne daß die einzelne auf ihre Unabhängigkeit und Sonderart zu verzichten braucht. Nach 1848 bildeten sich in Frankreich Syndikate von Arbeiter-Assoziationen desselben Gewerkes, derart, daß jede ihren unteilbaren Fonds an dieses Syndikat ablieferte und so eine unteilbare gemeinsame Kasse zustande kam. Diese sollte namentlich Engros-Einkäufe ermöglichen, Darlehen gewähren usw. Die Syndikate hatten aber durchaus nicht den Zweck, die teilhabenden Assoziationen zu einer einzigen zu vereinigen, sondern jede sollte ihre besondere Organisation [374] beibehalten. Dieser Fall ist deshalb so bezeichnend, weil die Arbeiter damals in einer wahren Leidenschaft der Assoziationsbildung, befangen waren. Lehnten sie nun die hier so naheliegende Verschmelzung ausdrücklich ab, so müssen sie besonders starke Gründe für gegenseitige Reserve gehabt haben – und fanden dabei die Möglichkeit, die dennoch vorhandene Einheit ihrer Interessen in jener Gemeinsamkeit des bloßen Geldbesitzes wirksam werden zu lassen. Ja, auf Grund dieser vollen subjektiven Freiheit, die die bloße Geldbeteiligung den – Mitgliedern der Assoziation läßt, sind gewisse Vereinigungen überhaupt erst möglich geworden. Der Gustav-Adolf-Verein, jene große Gemeinschaft zur Unterstützung bedürftiger evangelischer Gemeinden, hätte gar nicht zur Existenz und Wirksamkeit kommen können, wenn nicht der Charakter (oder vielmehr die Charakterlosigkeit) der Geldbeiträge die konfessionellen Unterschiede der Beitragenden verwischt hätte. Zu keiner anderen Einungsform wären Lutheraner, Reformierte, Unierte zu bewegen gewesen. Dasselbe gilt, wenn das gemeinsame Geldinteresse sozusagen ein passives wird. Der englische Klerus bildete bis ziemlich tief in das Mittelalter hinein durchaus keine Einheit; insbesondere gehörten die Bischöfe, als Feudalherren, zu den Lords, in sozialer und politischer Absonderung von dem niederen Klerus. Dies fand namentlich solange statt, als nur der Grundbesitz, an dem letzterer nicht teil hatte, besteuert wurde. Sobald aber besondere Besteuerungen des gesamten. geistlichen Einkommens aufkamen, war durch Opposition dagegen oder durch Bewilligung ein gemeinsames Interesse für den ganzen Stand geschaffen, das der beste Kenner jener Zeit für eins der Hauptbindemittel hält, die überhaupt den Klerus erst als einheitlichen Stand schufen. Schon die Anfänge der Geldwirtschaft zeitigen Entwicklungen der wirtschaftlichen Vereinigung aus demselben Grundmotiv heraus. Die Vermehrung und vermehrte Bedeutung des Kapitals erzeugte vom 14. Jahrhundert an das Bedürfnis, dasselbe in der Familie ungeteilt zu erhalten. Denn indem die Anteile aller Erben einheitlich zusammenblieben, übten sie weit reichere Wirkungen zugunsten eines jeden, als er bei ihrer Aufteilung erreichen konnte. Es begann also in Deutschland der Eintritt aller Erben in die ungeteilte Erbschaft und der Weiterbestand des alten Geschäfts zu gesamter Hand. Daran knüpften sich nun zwei Konsequenzen. Es entstand innerhalb der Familie die Trennung von Hauswirtschaft und Geschäft, so daß Familienmitglieder mit getrennter Hauswirtschaft und separatem Vermögen doch Teilhaber der einen ungeteilten »Firma« bleiben konnten; während die Bedeutung des Geldkapitals die alte Familienwirtschaft überhaupt gesprengt hatte, schuf es nun doch über dieser [375] Trennung eine neue Vereinigung, in deren reine Sachlichkeit die von den eigentlichen Privatinteressen gelösten, ausschließlichen Vermögensinteressen eingingen. Und zweitens, wurde dieser Gemeinsamkeitsmodus nun auch von solchen nachgeahmt, welche nicht einmal in einer ursprünglichen Familienbeziehung standen; nachdem einmal aus der Hauswirtschaft sich das »Geschäft« herausgelöst hatte, wurde es auch von Nichtverwandten als Vereinigungsform der bloßen arbeitenden Kapitalien gewählt, so daß schon anfangs des 15. Jahrhunderts die offene Handelsgesellschaft gebräuchlich wird. Zu einer reinen Vermögensgenossenschaft, d.h. einer solchen, in der das gemeinsam besessene Vermögen sich zu einer selbständigen, jenseits der Einzelanteile stehenden Einheit und Rechtspersönlichkeit objektiviert hat und der Teilhaber nur mit einem bestimmten Teile seines Vermögens und sonst überhaupt nicht mit seiner Person beteiligt ist – ist es erst seit dem Durchdringen der Geldwirtschaft gekommen. Das Geld allein konnte solche Gemeinsamkeiten zustande bringen, die das einzelne Mitglied überhaupt nicht präjudizieren: es hat den Zweckverband zu seinen reinen Formen entwickelt, jene Organisationsart, die sozusagen das Unpersönliche an den Individuen zu einer Aktion vereinigt und uns die bisher einzige Möglichkeit gelehrt hat, wie sich Personen unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Spezifischen vereinigen können. – Die zersetzende und isolierende Wirkung des Geldes ist nicht nur ganz im all gemeinen Bedingung und Korrelat dieser versöhnenden und verbindenden; sondern in einzelnen historischen Verhältnissen übt das Geld zugleich die auflösende und die vereinigende Wirkung. So z.B. im Familienleben, dessen organische Einheit und Enge einerseits durch die Folgen der Geldwirtschaft zerstört worden ist, während man andrerseits gerade unter Anerkennung hiervon hervorgehoben hat, daß die Familie fast nichts mehr sei, als eine Organisation der Erbfolge. Wenn unter mehreren Interessen, die die Vereinigung eines Kreise? ausmachen, das eine auf alle anderen zerstörend wirkt, so wird natürlich dieses selbst die anderen überleben und schließlich noch die einzige Verbindung zwischen den Elementen darstellen, deren sonstige Zusammenhänge es zernagt hat. Nicht nur auf Grund seines immanenten Charakters, sondern gerade weil es auf so viele andere Verbindungsarten der Menschen destruktiv wirkt, sehen wir das Geld den Zusammenhang zwischen sonst ganz zusammenhangslosen Elementen herstellen. Und es gibt heute vielleicht keine Assoziation von Menschen mehr, die nicht, als Ganzes, irgendein Geldinteresse einschlösse, und sei es nur die Saalmiete einer religiösen Korporation.

Durch den Charakter des Zweckverbandes aber, den das [376] Einungsleben deshalb mehr und mehr annimmt, wird es mehr und mehr entseelt; die ganze Herzlosigkeit des Geldes spiegelt sich so in der sozialen Kultur, die von ihm bestimmt wird. Vielleicht, daß die Kraft des sozialistischen Ideals zum Teil einer Reaktion auf diese entstammt; denn indem es dem Geldwesen den Krieg erklärt, will es die Isolierung des Individuums seiner Gruppe gegenüber, wie sie in der Form des Zweckverbandes verkörpert ist, aufheben und appelliert zugleich an alle innigen und enthusiastischen Gefühle für die Gruppe, die sich in dem Einzelnen erwecken lassen. Freilich ist der Sozialismus auf eine Rationalisierung des Lebens gerichtet, auf die Beherrschung seiner zufälligen und einzigartigen Elemente durch die Gesetzmäßigkeiten und Berechnungen des Verstandes; allein zugleich ist er den dumpfen kommunistischen Instinkten wahlverwandt, die als Erbschaft längst verschollener Zeiten noch in den abgelegeneren Winkeln der Seelen ruhen. In dieser Zweiheit von Motivierungen, deren psychische Standorte einander polar entgegengesetzt sind, und die ihn einerseits als das äußerste Entwicklungsprodukt der rationalistischen Geldwirtschaft, andrerseits als die Verkörperung des undifferenziertesten Instinktes und Gefühlslebens zeigen, liegt wohl die Eigenart seiner Anziehungskraft: er ist Rationalismus und Reaction auf den Rätionalismus. Der Sozialismus hat an der alten Gentilverfassung mit ihrer kommunistischen Gleichheit sein begeisterndes Ideal gefunden, während das Geldwesen das Individuum auf sich rückwärts konzentriert und ihm als Objekte der persönlichen und Gemütshingabe einerseits nur die allerengsten individuellen Beziehungen, wie Familie und Freundschaft, andrerseits nur den weitesten Kreis, etwa des Vaterlandes oder der Menschheit überhaupt, übrig gelassen hat – beides soziale Bildungen, die sich, wenn auch aus verschiedenen Gründen, der objektiven Vereinigung zu isolierten Zwecken völlig fremd gegenüberstellen. Hier wird nun eine der umfassendsten und tiefgreifendsten soziologischen Normen wirksam. Zu den wenigen Regeln nämlich, die man mit annähernder Allgemeinheit für die Form der sozialen Entwicklung aufstellen kann, gehört wohl diese: daß die Erweiterung einer Gruppe Hand in Hand geht mit der Individualisierung und Verselbständigung ihrer einzelnen Mitglieder. Die Evolution der Gesellschaften pflegt mit einer relativ kleinen Gruppe zu beginnen, welche ihre Elemente in strenger Bindung und Gleichartigkeit hält, und zu einer relativ großen vorzuschreiten, die ihren Elementen Freiheit, Fürsichsein, gegenseitige Differenzierung gewährt. Die Geschichte der Familienformen wie die der Religionsgemeinden, die Entwicklung der Wirtschaftsgenossenschaften wie die der politischen Parteien zeigt allenthalben diesen Typus. Die Bedeutung des [377] Geldes für die Entwicklung der Individualität steht deshalb in engstem Zusammenhange mit der, die es für die Vergrößerung der sozialen Gruppen besitzt. Für diese letztere bedarf es hier keines ausführlichen Beweises mehr: die Wechselwirkung zwischen der Geldwirtschaft und der Größe des Wirtschaftskreises habe ich früher aufgezeigt. Je mehr Menschen miteinander in Beziehung treten, desto abstrakter und allgemeingültiger muß ihr Tauschmittel sein; und umgekehrt, ist erst einmal ein solches geschaffen, so gestattet es eine Verständigung auf sonst unzugängliche Entfernungen hin, eine Einbeziehung der allermannigfaltigsten Persönlichkeiten in die gleiche Aktion, eine Wechselwirkung und damit Vereinheitlichung von Menschen, die wegen ihres räumlichen, sozialen, personalen und sonstigen Interessenabstandes in gar keine andere Gruppierung zu bringen wären.

In wie enger Korrelation Geldwirtschaft, Individualisierung und Vergrößerung des sozialen Kreises stehen, offenbart zunächst der Charakter des Handelsgewerbes, das einerseits mit dem Vordringen der Geldwirtschaft, andrerseits mit der Erweiterung der Beziehungen, dem Hinausgreifen über die enge, sich selbst genügende Gruppe der Primitivzeit in offensichtlichem Zusammenhang steht. Und nun hat der Handel dadurch individuellen Charakter, daß er – von seinen höchsten Stufen abgesehen – keine so komplizierte Technik wie das Handwerk und keine so traditionell festgelegte wie der Landbau besitzt. Der Handeltreibende ist deshalb nicht in dem Maße, wie es in den anderen Erwerbstypen gilt, auf Unterweisung – die immer engeren Zusammenhang mit der unmittelbaren Umgebung involviert –, auf personale und objektive Tradition – die die individuelle Sonderart nivelliert –, auf Erblichkeit – die das frühere Handwerk und noch jetzt der Landbesitz voraussetzt – angewiesen. Aus Indien wird berichtet, daß die Erblichkeit der Berufe in dem Handelsgewerbe nicht so entschieden sei, wie in den industriellen. Es ist die Technik des Handels, die es dem wandernden, die Gruppengrenzen durchbrechenden Kaufmann, dem Pionier der Geldwirtschaft, erleichtert, sich jenen Vergleichmäßigungen und Verschmelzungen der anderen Berufe zu entziehen und sich auf sein individuelles Können und Wagen zu stellen. Ich zeige die gleiche Korrelation an einem etwas abseits liegenden Fall. Ob der Sieger eines Wettbewerbes durch einen Ehrenpreis oder einen Geldpreis ausgezeichnet wird, ist innerlich ein größer Unterschied. Mit dem Geldpreis ist er abgefunden, er hat seinen Lohn dahin; der Ehrenpreis wirkt weiter, er gibt der ganzen Persönlichkeit ein Relief (das natürlich unter gewissen Umständen, aber nicht dem Grundgedanken nach, auch zu [378] dem Geldpreise noch hinzutreten kann): der Geldpreis bezieht sich auf die Leistung, der Ehrenpreis auf den Leistenden. Nun aber ist eine Ehrung in dem letzteren Sinne meistens nur innerhalb eines relativ kleinen Kreises möglich. Schon diejenige Ehre, die keine Auszeichnung des Individuums bedeutet, entsteht nur innerhalb einer kleineren Gruppe, welche durch die bestimmt umschriebene Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder sich gegen ihre Umgebung geschlossen, kräftig, unangreifbar erhält: so die Offiziersehre, die Kaufmannsehre, die Familienehre, ja sogar die oft hervorgehobene Spitzbubenehre. Jede Ehre ist ursprünglich Standes- oder Klassenehre, und die allgemein menschliche oder ganz individuelle Ehre enthält nur diejenigen Anforderungen an den Einzelnen, in denen alle kleineren Gruppen innerhalb einer größeren übereinstimmen. Die Ehre nun, welche ihren Träger nicht Anderen einordnen, sondern unter ihnen hervorheben soll, bedarf nicht weniger einer gewissen Enge und Solidarität des Kreises; der Name des olympischen Siegers hallte durch das ganze, kleine und in diesem Interesse eng zusammengehörige Griechenland. Der Geldpreis trägt den egoistischen Charakter, den sehr große Kreise ihren Individuen nahelegen; den unegoistischen, der der Solidarität des kleineren entspricht, symbolisiert es aufs schönste, daß der goldene Kranz, den der athenische Rat der Fünfhundert für gute Amtsführung erhielt, alsdann in einem Tempel aufbewahrt wurde. Innerhalb kleinerer und geschlossener Interessenkreise, z.B. bei einigen Sportangelegenheiten, Industriefächern usw. ist noch jetzt der Ehrenpreis völlig gerechtfertigt. In dem Maße aber, in dem die Einschränkung und Homogeneität des Kreises einer Weite und gegenseitigen Fremdheit seiner Elemente Platz macht, muß an die Stelle des Ehrenpreises, der auf die Mitwirkung der gesamten Gruppe rechnet, der Geldpreis treten, der die abschließende, über sich nicht hinausweisende Anerkennung der Leistung darstellt. Die Vergrößerung des sozialen Kreises fordert so den Übergang zum geldmäßigen Ausdruck des Verdienstes, weil sie unweigerlich die Atomisierung eben dieses Kreises bedeutet; die Unmöglichkeit, die gleiche Stimmung in derselben Weise, wie es bei einem kleinen Kreise möglich ist, durch einen großen fortzupflanzen, macht die Belohnung durch ein Mittel notwendig, bei dem der zu Belohnende nicht mehr auf eine Übereinstimmung und Bereitwilligkeit der ganzen Gruppe angewiesen ist.

Man kann in diesem Zusammenhang betonen, daß die Beziehung des Geldes zur Ausdehnung der sozialen Gruppe eine ebenso enge ist, wie nach unseren früheren Ausmachungen zur Objektivierung der Lebensinhalte. Dieser Parallelismus ist kein zufälliger. Was wir die [379] objektive Bedeutung der Dinge nennen, das ist in praktischer Hinsicht ihre Gültigkeit für einen größeren Kreis von Subjekten; indem sie aus ihrer ersten Bindung an das Einzelsubjektoder einen kleinen Kreis, aus der Zufälligkeit subjektiver Deutung herauswachsen, wird die Vorstellung oder Gestaltung ihrer eine für immer weitere Kreise gültige und bedeutsame (auch wenn die Hindernisse der Lage es zu dieser Anerkennung durch die Gesamtheit in Wirklichkeit nicht kommen lassen), und eben damit erreichen sie, was wir ihre objektive Wahrheit oder Ihre sachlich angemessene Gestaltung nennen – so sehr die ideelle Gültigkeit, auf die die letzteren Begriffe hindeuten, in ihrem Fürsichsein alle Beziehung auf Anerkannt oder Nicht-Anerkanntwerden ablehnen mag. Die Bedeutung des Geldes nach beiden Seiten hin bestätigt die Enge dieser Korrelation, die sich auf vielerlei speziellen Gebieten geltend macht. Das Handelsrecht des deutschen Mittelalters war ursprünglich nur das Genossenschaftsrecht der einzelnen Kaufmannskollegien gewesen. Es bildete sich zu einem gemeinen Rechte unter der universalistischen Vorstellung, daß der gesamte Kaufmannsstand des Reiches, ja, der Welt eigentlich eine große Gilde bilde. Und damit entwickelte sich das gemeine Recht des Handelsstandes zu einem gemeinen Recht der Handelsgeschäfte. Hier tritt sehr klar hervor, wie das Recht, indem es von einem engeren zu einem absolut weiten Kreise vorschreitet, sich überhaupt von der Beziehung auf bloße Personen löst und zu einem Rechte der objektiven Transaktionen wird. Und eben dieselbe Entwicklung war es, die von einer immer gründlicheren Durchführung des Geldverkehres ebenso getragen wurde, wie sie andrerseits diese trug.

Schon die technische Schwierigkeit, die Werte der Naturalwirtschaft auf weithin zu transportieren, muß diese auf relative Kleinheit der einzelnen Wirtschaftskreise beschränken, während das Geld gerade durch seine absolute Beweglichkeit das Band bildet, das die größte Ausdehnung des Kreises mit der Verselbständigung der Persönlichkeiten verbindet. Der vermittelnde Begriff für diese Korrelation zwischen dem Geld einerseits und der Vergrößerung des Kreises wie der Differenzierung der Individuen andrerseits ist oft das Privateigentum überhaupt. Der kleine und naturalwirtschaftliche Kreis neigt zu Gemeineigentum. Jede Vergrößerung desselben drängt auf Aussonderung der Anteile; bei sehr gewachsener Zahl von Genossen wild die Verwaltungstechnik des Gemeinbesitzes so kompliziert und konfliktsreich, die Entstehungswahrscheinlichkeit unverträglicher oder über die kommunistische Enge hinausdrängender Individuen wächst so sehr, die dem Gemeinbesitz widerstrebende Arbeitsteilung [380] und Intensität der Ausnutzung wird zu einer solchen Notwendigkeit, daß man den Privatbesitz als eine direkte Folge der quantitativen Mehrung der Gruppe bezeichnen kann. Eine irländische Handschrift des 12. Jahrhunderts berichtet, daß die Aufteilungen des Bodens wegen der zu groß gewordenen Zahl der Familien stattfanden; und in Rußland, wo sich der Übergang vom Gesamt- zum Sondereigentum noch beobachtbar vollzieht, ist es ganz deutlich, daß die bloße Vermehrung der Bevölkerung ihn trägt oder beschleunigt. Das Geld aber ist ersichtlich das geeignetste Substrat der privaten und persönlichen Besitzform. Die gesonderte Verteilung, die Fixierung der Vermögensrechte, die Realisierung der einzelnen Ansprüche ist erst durch das Geld ohne weiteres möglich geworden. Das primäre und reinste Schema der Quantitätserweiterung des wirtschaftlichen Lebenskreises ist der Tausch überhaupt; mit ihm greift das Individuum ganz prinzipiell – viel mehr als mit Raub und Geschenk über seine solipsistische Peripherie hinaus. Tausch aber ist, seiner Idee nach, erst bei Privateigentum möglich; aller Kollektivbesitz enthält eine Tendenz zur »Toten Hand«, während die spezifischen Wünsche des Einzelnen und seine Ergänzungsbedürftigkeit ihm den Tausch nötig machen. Der Besitz muß sicherst auf das Individuum konzentriert haben, um von da aus wieder sich durch den Tausch zu verbreiten. Das Geld, als der absolute Träger Und Verkörperung des Tausches, wurde durch diese Vermittlung des Privateigentums, mit seiner Angewiesenheit auf den Austausch, zum Vehikel jener Erweiterung der Wirtschaft, jenes Hineinbeziehens unbegrenzt vieler Kontrahenten durch das Hin und Her des Tausches. Darum wehrt sich aber das Geld auch – und dies ist die Kehrseite eben derselben Tatsache – gegen gewisse kollektivistische Verfügungen, die sich innerhalb der Naturalwirtschaft von selbst ergeben. Im Mittelalter galt die Theorie, daß eine Geldleistung nur von demjenigen zu fordern wäre, der sie persönlich versprochen hätte; die Mitglieder der Stände, die in der bewilligenden Versammlung nicht gegenwärtig waren, versagten deshalb oft die Leistung. Anfangs des 13. Jahrhunderts steht es in England noch nicht formell fest, daß der Beschluß des Supreme Council der Ständevertretung alle Untertanen in Sachen der Besteuerung auch gegen den Willen des Einzelnen binden solle. Und als in Deutschland am Ende des Mittelalters die Landstände vielfach dem Landesherrn gegenüber eine als Einheit wirkende Körperschaft bildeten und ihre Aktionen nicht die summierten Aktionen von Einzelnen, sondern solche der Gesamtheit der Stände waren, da erhielt sich doch die erstere Vorstellung noch am längsten bei der Steuerbewilligung; hier schien am längsten die [381] Gesamtheit nur die Summe der Einzelnen zu vertreten, so daß jeder Einzelne sich dem gemeinsamen Beschluß entziehen konnte. Das gleiche Motiv macht sich unter sehr veränderten Umständen geltend, indem bei zunehmender Zentralisation der Staatsverwaltung dennoch den lokalen Verbänden eine relative Freiheit der Finanzgebarung gelassen wird. Die deutsche Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte z.B. scheint dahin zu neigen, die sozialen, politischen, ethischen Aufgaben der Kommunen als solcher einzuengen und sie zu lokalen Organen des Regierungswillens herabzudrücken; wogegen man Ihnen innerhalb der Vermögensverwaltung erhebliche Autonomie einräumt. Es ist in demselben Sinn, wenn man es als den Hauptnachteil der Geldstrafe hervorgehoben hat, daß das Geld im Besitze des Staates lange nicht so wirtschaftlich fruchtbar zu machen ist, wie es in den Händen des Individuums wäre. Deshalb ist es schon eine technische Zweckmäßigkeit in bezug auf die Geldgebarung, demjenigen eine gewisse Freiheit zu lassen, den man in allen übrigen Beziehungen beschränkt – eine etwas verkleidete praktische Folge und Wendung der Schwierigkeit, der die kollektivistische Verfügung über Geld begegnet.

Eine solche Schwierigkeit besteht nämlich trotz der Eignung des Geldes, das zusammenhaltende Interesse für Vereinigungen sonst unvereinbarer Individuen abzugeben. Beides geht schließlich auf eine und dieselbe Wirkung seiner zurück: Sonderung und gegenseitige Unabhängigkeit den Elementen zu gewähren, die vorher in ursprünglicher Lebenseinheit bestanden haben. Diese Zersetzung trifft einerseits die Einzelpersönlichkeiten und ermöglicht dadurch, daß sich ihre gleichartigen Interessen, wie unabhängig von dem Divergenten und Unversöhnlichen an ihnen, zu einem Kollektivgebilde zusammentun. Sie trifft aber auch andrerseits die Gemeinschaften und erschwert den nun scharf differenzierten Individuen die innere und äußere Vergemeinsamung. Das Schema dieses Widerspruchs, weit über diesen Fall hinausgreifend, durchzieht das ganze gesellschaftliche Leben. Es stammt daher, daß das Individuum einerseits ein bloßes Element und Glied der sozialen Einheit ist, andrerseits aber doch selbst ein Ganzes, dessen Elemente eine relativ geschlossene Einheit bilden. Die Rolle, die ihm als bloßem Organ zukommt, wird deshalb häufig mit derjenigen kollidieren, die es als ganzer und eigener Organismus spielen kann oder will. Derselbe Einfluß, der das aus Individuen zusamengegliederte soziale Ganze trifft und außerdem das Individuum als ein Ganzes selbst, löst an beiden formal gleiche Wirkungen aus, die eben deshalb, da das Individuum jene zwei völlig heterogenen Bedeutungen repräsentiert, oft genug in inhaltliche Gegensätze auslaufen. [382] Darum ist es zwar ein praktischer, aber durchaus kein logischer, theoretisch unauflösbarer Widerspruch, daß das Geld, an der Gesellschaft ebenso wie an den Einzelnen auf Differenzierung der Elemente wirkend, in der einen Hinsicht Erschwerung, in der anderen Erleichterung ebendesselben Geschehens mit sich bringt. Die angedeutete Erschwerung der kollektivistischen Verfügung über Geld hängt min, ganz im allgemeinen, so zusammen. Jeder andere Besitz weist, wie oben betont wurde, durch seine technischen Bedingungen auf eine gewisse Art seiner Verwendung hin, die Freiheit der Disposition über ihn hat vermöge dieser eine sachliche Schränke. Wogegen der Verwendung des Geldes eine solche völlig fehlt, also die gemeinsame Disposition Mehrerer darüber den dissentierenden Tendenzen einen weitesten Spielraum gibt. Damit aber setzt sich die Geldwirtschaft in entschiedenen Gegensatz gegen die Lebensbedingungen der kleinen Wirtschaftskreise, die so vielfach gerade auf gemeinsame Verfügungen, einheitliche Maßregeln angewiesen sind. Man kann, freilich mit sehr starker Verkürzung, sagen, daß der kleine Kreis sich durch Gleichheit und Einheitlichkeit, der große durch Individualisierung und Arbeitsteilung erhält. Indem das Geld als ein abstraktes Gebilde sich aus den wirtschaftlichen Wechselwirkungen eines relativ großen Kreises herstellt, indem es andrerseits durch seinen bloßen Quantitätscharakter den genauesten mechanischen Ausdruck jedes Sonderanspruchs, jedes Wertes individueller Leistung, jeder personalen Tendenz gestattet, vollendet es im Wirtschaftlichen erst jene allgemeine soziologische Korrelation zwischen der Ausdehnung der Gruppe und der Ausbildung der Individualität.

Die Beziehung des Geldes zum Privateigentum und damit zur freien Ausbildung der Persönlichkeit heftet sich, wie gesagt, vor allem an seine Beweglichkeit und wird deshalb an seinem Gegensatz, dem Besitz des Bodens, besonders durchsichtig. Das Grundeigentum strebt in zwei Richtungen über die Bindung an das Individuum hinaus: gleichsam nach der Breitendimension, indem es sich mehr als alles andere zum Kollektivvermögen einer Gruppe eignet, nach der Tiefendimension, indem es das vorzüglichste Objekt der Vererbung ist. Wenn das Gesamteigen der primitiven Gruppe aus Grundstücken besteht, so führt die Entwicklung wiederum in zwei hauptsächlichen Richtungen darüber hinaus. Zunächst dadurch, daß die Nahrung aus einem Besitz beweglicheren Charakters gewonnen wird; sobald dies geschieht, ist auch sogleich das Sondereigen da. Bei Nomadenvölkern finden wir durchgehends, daß das Land zwar Gemeingut der Sippe ist und den einzelnen Familien nur zur Benutzung angewiesen wird; allein das Vieh ist überall Privateigentum dieser einzelnen [383] Familien. Die nomadische Sippe ist, so viel wir wissen, in bezug auf den Herdenbesitz niemals kommunistisch gewesen. Tatsächlich sind auch sonst in vielen Gesellschaften die Mobilien schon Sondereigentum gewesen, als der Boden noch lange Gemeinbesitz war. Andrerseits knüpft sich die Entstehung des Privateigens an diejenigen Tätigkeiten, welche nicht des Grundes und Bodens als Materiales bedürfen. In dem Rechte der indischen Geschlechtsgenossenschaft entsteht der Gedanke, daß dasjenige, was nicht vermittels des Familienvermögens – das eben vorzüglich aus Grundstücken gebildet ist – erworben wird, auch nicht in dieses zu fließen habe. Der Erwerb einer persönlichen Geschicklichkeit also, wie das Erlernen eines Handwerks, wird als das hauptsächlichste Mittel zum Gewinn eines Sondergutes und zur Selbständigkeit der Persönlichkeit genannt. Der Handwerker, der seine Geschicklichkeit überallhin mit sich nimmt, hat eben in ihr jenes bewegliche Gut, das, gerade wie in anderer Weise der Viehbesitz, den Einzelnen von dem Bodenbesitz mit seinem Kollektivcharakter loslöste. Endlich: die Überführung der gemeinschaftlichen Lebensform in eine individualistische ist ein zweckmäßiges Mittel, um bei sich auflösender Naturalwirtschaft die bisher auf sie gegründete Genossenschaft so weit wie möglich zu konservieren. Bis zum 13. Jahrhundert bestand das Vermögen der kirchlichen Genossenschaften wesentlich in Grundbesitz, und ihre Geschäftsführung beruhte auf dem Prinzip der Gemeinwirtschaft. Das Sinken der naturalwirtschaftlichen Erträge schuf ihr seitdem große Not; aber eben die zur Herrschaft gelangende Geldwirtschaft, die dies verschuldete, bot zugleich ein gewisses Heilmittel. Man zerschlug nämlich die Einnahmen der Stifter und sogar der Klöster mehr oder weniger weitgehend in einzelne Gehälter, Pfründen, und konnte nun mehrere derselben, aus ganz getrennten Orten, vermöge der Geldform des Ertrages einer einzigen Person zusprechen. Dadurch war es möglich, bei sinkenden Gesamteinnahmen doch wenigstens das Einkommen der führenden und repräsentierenden Persönlichkeiten der Genossenschaften auf gleicher Höhe zu halten – so sehr dies auf Kosten der niederen Kleriker geschah, die nun ihrerseits als Mietlinge den Dienst an der Gemeinde versahen. Dieser Vorgang zeigt sehr deutlich, wie die zurücktretende Bedeutung des Bodens selbst so eng auf Zusammenschluß und Einheit angelegte Gruppen, wie die kirchlichen, aus der kollektivistischen Lebensform in die individualistische hineintreibt, und wie die eindringende Geldwirtschaft ebensowohl Ursache als – durch die Zerlegung und Mobilisierung der Grundstücke – das Mittel dieses Prozesses bildet. Daß heute gerade der Bauer als der entschiedenste Gegner sozialistischer [384] Bestrebungen gilt, hat wohl zunächst den Grund, daß er, in zweckmäßiger Anpassung an die Technik seines Betriebes, äußerst konservativ ist: da nun einmal individuelles Eigentum besteht, so hält er an demselben ebenso fest, wie er vor Jahrhunderten an der gemeinen Mark, ja noch vor viel kürzerer Zeit wenigstens an der Gemengelage festgehalten hat. Auch hat der moderne Sozialismus ein Hauptmotiv, das jener alten Kollektivität des Grundbesitzes als etwas völlig Heterogenes gegenübersteht und ihn der Innersten Lebensrichtung des Landwirts völlig entfremdet: die restlose Beherrschung der Produktion durch den Verstand, den Willen, die organisierende Berechnung des Menschen. Die Verfassung der Fabrik und die Konstruktion der Maschine stellt dem Industriearbeiter täglich vor Augen, daß zweckmäßige Bewegungen und Wirkungen mit absoluter Zuverlässigkeit zustande gebracht, persönliche und aus dem Innern der Dinge hervorbrechende Störungen völlig vermieden werden können. Diese Erreichung der Zwecke vermöge eines durchsichtigen und dirigierbaren Mechanismus arbeitet einem sozialen Ideal vor, das die Gesamtheit mit dem souveränen Rationalismus der Maschine, unter Ausschaltung aller privaten Impulse, organisieren will. Dagegen sind die Arbeit des Bauern und ihre Erfolge von ebenso unbeeinflußbaren wie unberechenbaren Kräften abhängig, seine Gedanken gehen auf die Gunst eines nicht zu rationalisierenden Faktors und auf das jeweilige Ausnutzen irregulärer Bedingungen. So bilden sich seine Ideale dem sozialistischen entgegengesetzt, das nicht die Gunst, sondern das Ausschalten aller Zufälligkeit und eine Organisation der Lebenselemente anstrebt, die, was bei den bäuerlichen Interessen gar nicht in Frage kommt, jedes derselben berechenbar macht. Jene absolute Beherrschung der Gesamtproduktion durch Verstand und Willen ist technisch freilich nur bei absoluter Zentralisierung der Produktionsmittel – in der Hand der »Gesellschaft« – möglich, aber es liegt auf der Hand, wie weit die alte naturalwirtschaftliche Kollektivität in ihrem Kern und Sinn von dieser sozialistischen absteht, deren Idee sich deshalb auch gerade über der geldwirtschaftlichsten und mobilisiertesten Eigentumsgestaltung erheben konnte so sehr, wie ich oben erwähnte, jener primitive Kommunismus als Instinkt und nebelhaftes Ideal zu den Triebkräften des Sozialismus beisteuern mag.

Historisch besteht jedenfalls die Korrelation zwischen Naturalwirtschaft und Kollektivität, der auf der anderen Seite die zwischen Mobilisierung des Besitzes und Individualisierung desselben entspricht. Deshalb trägt, in enger Beziehung zu seinem Charakter als Kollektivgut, der Boden auch einen besonderen Charakter als Erbgut. [385] Wenn wir die Familienverfassungen in ihren wirtschaftlichen Gestaltungen verfolgen, so sehen wir oft, daß der Unterschied des Erbgutes gegen das selbsterworbene Gut sich mit dem des unbeweglichen gegen das bewegliche Vermögen deckt. In den nordwestlichen Distrikten von Indien ist es ein und dasselbe Wort (jalm), das einerseits das Recht der Erstgeburt, andrerseits, im engeren Sinne, das Eigentum an Grund und Boden bedeutet. Umgekehrt kann das mobile Gut einen so engen Zusammenhang mit der Persönlichkeit haben, daß bei ganz primitiven und oft gerade ganz armen Völkern die Erbschaften an solchen Dingen überhaupt nicht angetreten, sondern, wie aus den verschiedensten Weltgegenden mitgeteilt wird, die Gebrauchsgegenstände des Toten vernichtet werden. Gewiß sind hierzu mystische Vorstellungen wirksam: als ob der Geist des Verstorbenen durch diese Gegenstände angelockt und rückkehrend allerlei Schaden anrichten würde. Allein das beweist ja gerade die enge Verbindung, die zwischen jenen und der Persönlichkeit besteht, so daß der Aberglaube durch sie seinen speziellen Inhalt erhält! Von den Nikobaren wird berichtet, daß es dort als Unrecht gilt, einen Verwandten zu beerben, und deshalb seine Hinterlassenschaft zerstört wird – ausgenommen Bäume und Häuser. Diese tragen den Charakter des immobilen Besitzes, so daß ihre Verbindung mit dem Individuum eine lockere ist und sie zum Übergang auf Andere geeigneter sind. Wir empfinden den Dingen gegenüber das doppelte Verhältnis: der Mensch bleibt und die Dinge wechseln und: die Dinge bleiben und die Menschen wechseln. Wo nun das erstere überwiegt, im Mobiliarbesitz, fällt unvermeidlich der Bedeutsamkeitston auf den Menschen, die Vorstellung neigt dazu, das Individuum als das Wesentliche zu betonen. Wo umgekehrt die Objekte dem Menschen gegenüber beharren und überleben, tritt das Individuum zurück; der Grund und Boden erscheint als der Fels, an dem das Leben des Einzelnen wie die Welle aufrauscht und abfließt. Damit schafft der Immobiliarbesitz begreiflich die Disposition zu dem Zurücktreten des Einzelnen, das hier dessen Verhältnis zu der Kollektivität als eine Analogie seines Verhältnisses zu den Dingen erscheinen läßt. Daher nun auch die enge Beziehung, die der Grundbesitz gerade zu der auf das Prinzip der Erblichkeit gegründeten Aristokratie hat. Ich erinnere an das früher Erwähnte, wie sehr das aristokratische Prinzip der Familienkontinuität im alten Griechenland in religiös getesteter Wechselwirkung mit der zentralen Stellung des Grundbesitzes stand: die Veräußerung des Grundbesitzes war nicht nur eine Pflichtverletzung gegen die Kinder, sondern, in noch betonterem Maße, den Ahnen gegenüber! Man hat ferner hervorgehoben, daß, [386] wo die königlichen Lehen rein naturalwirtschaftlicher Art waren, wie im frühen mittelalterlichen Deutschland – während in Ländern, die der Geldwirtschaft etwas näher standen. Lehensverhältnisse leicht auf andere als dingliche Benefizien gegründet werden konnten – sie auf aristokratischen Charakter der ganzen Institution hinwirkten. Das Erbprinzip aber steht im großen und ganzen im Gegensatz zum Individualprinzip. Es bindet den Einzelnen in die Reihe der nacheinander lebenden Personen, wie das Kollektivprinzip ihn in die der nebeneinander lebenden bindet; so garantiert auch im Biologischen die Vererbung die Gleichheit der Generationen. An der Schranke des Vererbungsprinzips macht die wirtschaftliche Individualisierung Halt. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte sich zwar die deutsche Einzelfamilie wirtschaftlich vom »Geschlecht« emanzipiert und trat als selbständiges Vermögenssubjekt auf. Aber damit war auch die Differenzierung beendet. Weder der Hausvater, noch Frau oder Kinder hatten scharf bestimmte individuelle Rechte an das Vermögen; es verblieb als Stock der Familiengenerationen. Die einzelnen Familienglieder waren nach dieser Richtung hin noch nicht individualisiert. Die Herausbildung der wirtschaftlichen Individualität beginnt hier also an dem Punkte, wo der Erbgang endet: an der Einzelfamilie, und hört dort wieder auf, wo er noch herrscht: innerhalb der Einzelfamilie; erst wo, wie in der Neuzeit, die Vererbung wesentlich bewegliches Vermögen betrifft, wird dieser Inhalt ihrer mit seinen individualistischen Konsequenzen freilich Herr über ihr formal antiindividualistisches Wesen. Ja selbst die Forderungen der Praxis können dieses oft nicht überwinden, wo es an dem Charakter des Grundbesitzes seine Stütze findet. Es könnte nämlich mancher Schattenseite unseres bäuerlichen Erbrechts in einzelnen Fällen abgeholfen werden, wenn die Bauern testierten. Allein das tun sie sehr selten. Das Testament ist zu individuell gegenüber der Intestaterbfolge. Die Verfügung über den Besitz nach ganz persönlichem, von der Üblichkeit und Allgemeinheit abweichendem Belieben ist ein zu starker Anspruch an die Differenziertheit des Bauern. So dokumentiert sich überall die Immobilität des Besitzes, mag sie mit seiner Kollektivität oder seiner Erblichkeit verbunden sein, als das Hemmnis, dessen Zurückweichen einen proportionalen Fortschritt der Differenzierung und persönlichen Freiheit gestattet. Insofern das Geld das beweglichste unter allen Gütern ist, muß es den Gipfel dieser Tendenz darstellen und ist nun auch tatsächlich derjenige Besitz, der die Lösung des Individuums von den vereinheitlichenden Bindungen, wie sie von anderen Besitzobjekten ausstrahlen, am entschiedensten bewirkt.

 


 

[387]

Fünftes Kapitel.
Das Geldäquivalent personaler Werte.

I.

Die Bedeutung des Geldes im System der Wertschätzungen ist an der Entwicklung der Geldstrafe meßbar. Zuerst tritt uns auf diesem Gebiet, als seine auffälligste Erscheinung, die Sühnung des Totschlags durch Geldzahlung entgegen – eine in primitiven Kulturen so häufige Tatsache, daß sich, wenigstens für ihre einfache und direkte Form, einzelne Beispiele er übrigen. Weniger beachtet indes als ihre Häufigkeit ist die Intensität, mit der der Zusammenhang von Wert des Menschen und Geldwert oft die rechtlichen Vorstellungen beherrscht. Im ältesten angelsächsischen England war auch für die Tötung des Königs ein Wergeld festgesetzt; ein Gesetz bestimmte es auf 2700 sh. Nun war eine solche Summe für die damaligen Verhältnisse ganz imaginär und überhaupt nicht aufzutreiben. Ihre reale Bedeutung war, daß, um sie einigermaßen zu ersetzen, der Mörder und seine ganze Verwandtschaft in Sklaverei verkauft werden mußten, wenn nicht auch dann noch, wie ein Interpret jenes Gesetzes sagt, die Differenz so groß blieb, daß sie – als bloße Geldschuld! – nur durch den Tod ausgeglichen werden konnte. Erst auf dem Umwege über die Geldstrafe also hielt man sich an die Persönlichkeit, jene erscheint als der ideale Maßstab, an dem man die Größe des Verbrechens ausdrückt. Wenn innerhalb desselben Kulturkreises zur Zeit der sieben Königreiche das typische Wergeld für den gewöhnlichen Freeman 200 sh. betrug und das für andere Stände nach Bruchteilen oder Vielfachen dieser Norm gerechnet wurde, so offenbart dies nur in anderer Weise, eine wie rein quantitative Vorstellung vom Werte des Menschen das Geld ermöglicht hatte. Von eben dieser aus begegnet noch zur Zeit der Magna Charta die Behauptung, Ritter, Baron und Graf verhielten sich zu einander wie Schilling, Mark und Pfund – da dies die Proportion ihrer Lehensgefälle sei; eine Vorstellung, die um so bezeichnender ist, als die Begründung tatsächlich ganz ungenau war: denn sie beweist die Tendenz, den Wert des Menschen auf einen geldmäßigen Ausdruck [388] zu bringen, als eine so kräftige, daß sie sich selbst um den Preis einer sachlichen Unangemessenheit verwirklicht. Von ihr aus wird aber nicht nur das Geld zum Maß für den Menschen, sondern auch der Mensch zum Maß für das Geld. Die Summe, die für die Tötung eines Menschen gezahlt werden muß, begegnet uns hier und da als monetarische Einheit. Nach Grimm bedeutet das Perfektum skillan soviel wie: ich habe getötet oder verwundet; daher dann: ich bin bußpflichtig geworden. Nun war tatsächlich der Solidus der einfache Strafsatz, nach dem in den Volksrechten die Bußen berechnet wurden. Man hat deshalb in der Konsequenz jener Bedeutung von skillan angenommen, daß das Wort »Schilling« die Bedeutung von »Strafsimplum« hätte. Der Wert des Menschen erscheint hier also als Einteilungsgrund des Geldsystems, als Bestimmungsgrund des Geldwertes. Eben dies Motiv klingt an, wenn der Normalsatz des Wergeldes bei den Beduinen, das Mahomed in den Islam aufnahm, hundert Kamele, zugleich als typisches Lösegeld für den Gefangenen und als Brautgeld auftritt. Dieselbe Bedeutung des Geldes tritt auch da hervor, wo die Geldstrafe nicht nur für Mord, sondern für Vergehen überhaupt in Frage kommt. Im merovingischen Zeitalter wurde der Solidus nicht mehr wie bisher zu 40, sondern nur zu 12 Denaren gerechnet. Und zwar wird als Grund dafür vermutet: es sollten damals die nach Solidi bestimmten Geldstrafen herabgesetzt werden, und hierzu sei angeordnet, es sollen überall, wo ein Solidus bestimmt sei, nicht mehr 40, sondern nur 12 Denare bezahlt werden. Es habe sich daraus der Strafsolidus zu 12 Denaren gebildet, der schließlich der allgemein herrschende geworden sei. Und von den Palauinseln wird berichtet, daß dort jede Art von Bezahlung schlechthin Strafgeld heißt. Es gibt hier also nicht mehr die Bestimmtheit der Münze die Skala an, an der die relative Schwere des Vergehens sich mißt; sondern umgekehrt, die Taxierung des Vergehens schafft einen Maßstab für die Festsetzung der Geldwerte.

Dieser Vorstellungsweise – soweit sie sich auf die Mordsühne bezieht – liegt ein Gefühl von prinzipieller Erheblichkeit zum Grunde. Da das ganze Wesen des Geldes auf der Quantität beruht, Geld an und für sich ohne Bestimmtheit seines Wieviel ein völlig leerer Begriff ist, so ist es von größter Bedeutung und ganz unerläßlich, daß jedes Geldsystem eine Einheit besitzt, als deren Vielfaches oder deren Teil sich jeder einzelne Geldwert ergibt. Diese ursprüngliche Bestimmtheit, ohne die es überhaupt zu keinem Geldwesen kommen konnte, und die sich dann technisch zum »Münzfuß« verfeinert, ist gleichsam die absolute Grundlage der quantitativen Relationen, in denen der Geldverkehr verläuft. Nun wäre freilich, rein begrifflich [389] angesehen, die Größe dieser Einheit ganz gleichgültig, denn wie sie auch sei, durch Division oder Multiplikation lassen sich alle erforderlichen Größen aus ihr herstellen; über ihre Festsetzung werden denn auch wirklich, namentlich in späterer Zeit, nur teils historisch-politische, teils münztechnische Gründe entscheiden. Dennoch wird dasjenige Geldquantum, das einem als der Maßstab aller anderen vor Augen steht, sobald von Geld geredet wird, und sozusagen der Repräsentant des Geldes überhaupt ist – das wird wenigstens ursprünglich auch zu irgendeinem zentralen Wertgefühl des Menschen in Beziehung stehen müssen, als Äquivalent für irgendein im Vordergrund des Bewußtseins stehendes Objekt oder Leistung kreiert werden. Woraus sich übrigens die oft bemerkte Tatsache erklärt, daß in Ländern mit hoher Münzeinheit die Lebenshaltung teurer ist als in solchen mit minderer – also, ceteris paribus, in Dollarländern teurer als in Markländern, in Markländern teurer als in Frankländern. Vielerlei Lebensbedürfnisse scheinen eben diese Einheit, bzw. bestimmte Vielfache derselben zu kosten, gleichviel welches deren absolute Größe ist. Die Münzeinheit innerhalb eines sozialen Kreises, so irrelevant sie vermöge ihrer beliebigen Teilung und Multiplizierung zu sein scheint, hat dennoch, sowohl als Folge wie als Ursache, sehr tiefe Beziehungen zu dem ökonomisch ausdeutbaren Typus der Lebenswerte überhaupt. Es war noch ein Erfolg dieses Zusammenhanges, daß die erste französische Konstitution von 1791 als Wertmesser den Tagelohn annahm. Jeder vollberechtigte Bürger mußte eine direkte Steuer von mindestens 3 Journées de travail zahlen, um Wähler zu sein, bedurfte es eines Einkommens von 150-200 Journées. So ist die werttheoretische Meinung aufgetaucht, die Tagesexigenz, also dasjenige, was für den Menschen den unumgänglichsten Wert hat, sei der absolute Wertmesser, dem gegenüber die edlen Metalle und alles Geld überhaupt als Ware im Preise steigen oder fallen. Und in derselben Richtung, als die Werteinheit ein zentrales und durch ein wesentliches menschliches Interesse umgrenztes Objekt zu setzen, liegt der Vorschlag eines »Arbeitsgeldes«, dessen Grundeinheit gleich dem Arbeitswerte einer Stunde oder eines Tages sei. Demgegenüber möchte man es als einen nur quantitativen Unterschied bezeichnen, wenn das Äquivalent für den ganzen Menschen, das Wergeld, als das charakteristische Geldquantum überhaupt hervortritt.

Der Ursprung des Wergeldes ist offenbar rein utilitarisch, und wenn schon nicht rein privatrechtlich, so doch jenem Indifferenzzustand privaten und öffentlichen Rechtes zugehörig, mit dem allenthalben die soziale Entwicklung beginnt. Der Stamm, die Gens, die [390] Familie forderte einen Ersatz für den ökonomischen Verlust, den der Tod eines Mitgliedes für sie bedeutete, und ließ sich damit für die impulsiv naheliegende Blutrache abfinden. Diese Umwandlung fixiert sich schließlich in Fällen, wo die Blutrache, die abgelöst werden soll, selbst unmöglich wäre: bei den Goajiro-Indianern muß jemand, der sich selbst zufällig verletzt, der eigenen Familie einen Ersatz leisten, weil er das Blut der Familie vergossen hat. Sehr charakteristisch bezeichnet bei einigen Malaienvölkem das Wort für Blutgeld zugleich: aufstehen, sich aufrichten. Es gilt also die Vorstellung, daß mit dem erlegten Blutgeld der Erschlagene für die Seinigen wieder aufersteht, daß die Lücke, die sein Tod gerissen hat, nun ausgefüllt ist. Allein ganz abgesehen davon, daß neben der Zahlung an die Verwandten, wenigstens bei den Germanen, schon sehr früh auch eine besondere Buße für die Störung des Gemeinfriedens zu erlegen war; daß in einigen angelsächsischen Königreichen das der Familie zukommende Wergeld für den König noch einmal seitens des Volkes für das Leben seines Königs gefordert wird; daß das Wergeld in Indien überhaupt von der Familie auf die Brahmanen über ging abgesehen von solchen Weiterentwicklungen des Wergeldes, die es von seinem privatökonomischen Ursprung lösten, enthält doch schon dieser von vornherein ein objektiv-überindividuelles Element, indem seine Höhe durch Sitte oder Gesetz fixiert war, wenn auch für die verschiedenen Stände sehr verschieden hoch. So war jedem Menschen sein Wert von der Geburt an bestimmt, ganz gleichgültig, welchen Wert er dann in Wirklichkeit für seine Angehörigen repräsentierte. Damit wurde also nicht nur gleichsam der Mensch als Substanz im Unterschied von der Summe seiner konkreten Leistungen gewertet, sondern die Vorstellung eingeleitet, daß er an sich und nicht nur für andere so und so viel wert sei. Eine bezeichnende Übergangserscheinung von der subjektiv-ökonomischen zu einer objektiven Wertung ist die folgende. Im jüdischen Reiche etwa des dritten Jahrhunderts war der Normalpreis eines Sklaven 50, der einer Sklavin 30 Schekel (ca. 45 bzw. 27 Mark). Als Schadenersatz für die Tötung eines Sklaven oder einer Sklavin mußte man dennoch durchweg 30 Sela (ca. 73 Mark) geben, da man hierfür den pentateuchischen Ansatz von 30 Schekel festhielt und darin irrtümlich 30 Sela erblickte. Man hielt sich also nicht an die ganz sicher feststellbare wirtschaftliche Größe des zugefügten Schadens, sondern an eine aus ganz anderen als wirtschaftlichen Quellen stammende Bestimmung, die – sowohl durch ihre absolute Große wie durch den Mangel an Differenzierung – mit jener in einem auffallenden Gegensatz stand. So war damit zwar noch nicht die Vorstellung begründet, [391] daß dieser Sklave einen ganz bestimmten Wert, abgesehen von seiner Nützlichkeit für seinen Besitzer, hatte. Allein der Unterschied zwischen seinem Preise, der diese Nützlichkeit ausdrückte, und dem Sühnegeld für seine Tötung – wenn auch durch ein theologisches Mißverständnis hervorgerufen – wies doch darauf hin, daß eine ökonomische Wertbestimmtheit des Menschen aus einer objektiven Ordnung hervorgehen konnte, die seine Wertung aus der bloßen privaten Nützlichkeit für den Berechtigten durchbrach. Dieser Übergang wird in dem Maße erleichtert und bezeichnet, in dem das Wergeld eine rein staatliche Institution wird. An vielen Stellen wurde das Gewicht des gerichtlichen Eides der Höhe des Wergeldes proportional eingeschätzt. Und bezeichnenderweise kommt es vor, daß nur der Freie Wergeld hat, der Unfreie aber überhaupt nicht. Im florentiner Gebiet finden wir während des Mittelalters eine reiche Abstufung von Hörigen als coloni, sedentes, quilini, inquilini, adscripticii, censiti usw. – deren Bindungen wahrscheinlich im umgekehrten Verhältnis ihres Wergeldes zunahmen, so daß für die gänzlich Unfreien überhaupt kein Wergeld mehr bestand. Noch im 13. Jahrhundert wurde dieses an sich damals längst veraltete und rein formell gewordene Kriterium z.B. vor Gericht festgestellt, um die Bedeutung der Zeugenaussagen danach zu rangieren. Vom individualistischen Nützlichkeitsstandpunkte aus müßte umgekehrt das Wergeld um so entschiedener festgehalten werden, je mehr jemand das Eigentum eines Dritten ist. Daß es anders geschah, und daß jene Ordnung als Symbol für das Gewicht der persönlichen Aussage funktionierte, das zeigt den Punkt an, auf dem das Wergeld zum Ausdruck des objektiven Persönlichkeitswertes geworden war.

In der Entwicklung, die so von einer bloß utilitarischen zu einer sachlichen Preisschätzung des Menschen aufstieg, macht sich ein sehr allgemeiner Modus des Denkens geltend. Wenn alle Subjekte von einem Objekt einen und denselben Eindruck empfangen, so scheint das nicht anders erklärbar, als daß das Subjekt eben diese bestimmte Qualität, den Inhalt jenes Eindrucks, an sich besitze; ganz verschiedene Eindrücke mögen in ihrer Verschiedenheit aus den aufnehmenden Subjekten stammen, ihre Gleichheit aber kann, wenn man den unwahrscheinlichsten Zufall ausschließen will, nur daher stammen, daß sich das so qualifizierte Objekt in den Geistern spiegelt – zugegeben selbst, daß dies nur ein symbolischer und tieferer Ergänzung bedürftiger Ausdruck ist. Innerhalb der Wertsetzung wiederholt sich dieser Vorgang. Wenn dasselbe Objekt in verschiedenen Fällen und von verschiedenen Personen verschieden gewertet wird, so wird die ganze Schätzung seiner als ein subjektiver Prozeß erscheinen, [392] der infolgedessen je nach den persönlichen Umständen und Dispositionen verschieden ausfallen muß. Wird es indes von verschiedenen Personen immer genau gleich geschätzt, so scheint der Schluß unvermeidlich, daß es eben soviel wert ist. Wenn also etwa die Angehörigen der Erschlagenen ganz verschiedene Wergelder für sie forderten, war es klar, daß sie damit ihren persönlichen Verlust deckten; sobald aber die Höhe des Wergeldes für den bestimmten Stand ein für allemal festgesetzt und dieses bei den verschiedensten Personen und in den verschiedensten Fällen immer gleich geleistet wurde, so mußte sich daraufhin die Vorstellung ausbilden, der Mann sei eben an und für sich so und so viel wert. Diese Gleichgültigkeit gegen personale Unterschiede läßt den Wert des Menschen überhaupt nicht mehr in demjenigen bestehen, was andere Subjekte an ihm besitzen und verlieren, sie läßt ihn gleichsam als einen objektiven, in Geld ausdrückbaren, auf ihn selbst zurückströmen. Die im Interesse des sozialen Friedens und zur Vermeidung endloser Zwistigkeiten getroffene Fixierung des Wergeldes erscheint so als die psychologische Ursache, die die ursprünglich subjektiv-utilitarische Wertung des Menschenlebens in die objektive Vorstellung überführte, der Mensch habe eben diesen bestimmten Wert.

Dieser kulturhistorisch so eminent wichtige Gedanke, daß die Totalität eines Menschen mit Geld aufzuwiegen sei, findet sich tatsächlich nur in zwei oder drei Erscheinungen verwirklicht: eben im Blutgeld und in der Sklaverei, vielleicht auch in der Kaufehe, auf die ich nachher eingehe. Man könnte die ungeheure Differenz der Anschauungsweisen, die uns die Möglichkeit der Sklaverei und des Blutgeldes heute so fernrückt, nach rein ökonomischen Begriffen; dennoch als eine bloß graduelle, quantitative bezeichnen. Denn im Sklaven wird doch nur die Summe derjenigen Arbeitsleistungen mit Geld bezahlt, die wir in ihrer Vereinzelung auch heute nur mit Geld bezahlen. Das Äquivalent für das ausgegebene Geld ist heute wie damals die Arbeit des Menschen; nur daß sie damals in Bausch und Bogen erworben wurde und jetzt von Fall zu Fall, und daß sie nicht dem Arbeitenden, sondern einem anderen bezahlt wurde – von den Fällen freiwilligen Sich-Verkaufens in die Sklaverei abgesehen. Und in Hinsicht des Blutgeldes widerspricht es auch heute unseren Gefühlen nicht, daß eine Geldbuße auf geringere Verletzungen gesetzt wird, seien es solche körperlicher oder innerer Art, wie Ehrenkränkungen oder Bruch des Eheversprechens. Noch neuerdings werden Delikte bis zu recht erheblicher Schwere in einigen Strafgesetzgebungen nur mit Geld gesühnt: so im Staate New-York, in den Niederlanden, im modernen Japan. Auf dem bloß ökonomischen [393] Standpunkte verharrend, kann man die Tötung des Menschen als eine bloß graduelle Steigerung solcher partiellen Lahmlegungen und Herabsetzungen seiner Energien und Bewährungen ansehen, wie man ja auch physiologisch den Tod als eine Steigerung und Verbreiterung von Prozessen bezeichnet hat, die in niedrigem oder auf gewisse Körperprovinzen beschränktem Grade auch am »lebenden« Organismus stattfinden.

Allein diese ökonomische Betrachtungsart ist nicht die geltende. Tatsächlich ruht die ganze vom Christentum beherrschte Entwicklung der Lebenswerte auf der Idee, daß der Mensch einen absoluten Wert besitzt; jenseits aller Einzelheiten, aller Relativitäten, aller besonderen Kräfte und Äußerungen seines empirischen Wesens steht eben »der Mensch«, als etwas einheitliches und unteilbares, dessen Wert überhaupt nicht mit irgendeinem quantitativen Maßstab gewogen und deshalb auch nicht mit einem bloßen Mehr oder Weniger eines anderen Wertes aufgewogen werden kann. Das ist der Grundgedanke, der das ideelle Fundament des Blutgeldes wie der Sklaverei verneint, weil diese den ganzen und absoluten Menschen in ein Gleichungsverhältnis mit einem relativen und bloß quantitativ bestimmbaren Werte, dem Geld, bringen. Daß es zu dieser Aufgipfelung des Menschenwertes kam, ist wie gesagt dem Christentum gutzuschreiben, dessen Gesinnung freilich einerseits in mancherlei Ansätzen antizipiert worden ist, wie die historische Entwicklung dieser Konsequenz andrerseits lange auf sich warten ließ; denn die Kirche hat die Sklaverei keineswegs so energisch bekämpft, wie sie wohl verpflichtet gewesen wäre, und hat (allerdings um des öffentlichen Friedens willen und um Blutvergießen zu vermeiden) die Sühnung des Mordes durch Wergeld geradezu gefordert. Daß dennoch die Enthebung des Menschenwertes aus jeder bloßen Relation, jeder nur quantitativ bestimmten Reihe in der Denkrichtung des Christentums liegt, hängt so zusammen. Was jede höhere Kultur von den niederen scheidet, ist sowohl die Vielfachheit wie die Länge der teleologischen Reihen. Die Bedürfnisse des rohen Menschen sind gering an Zahl, und wenn sie überhaupt erreicht werden, gelingt es durch eine relativ kurze Kette von Mitteln. Steigende Kultur vermehrt nicht nur die Wünsche und Bestrebungen der Menschen, sondern sie führt den Aufbau der Mittel zu jedem einzelnen dieser Zwecke immer höher, und fordert schon für das bloße Mittel oft einen vielgliedrigen Mechanismus ineinandergreifender Vorbedingungen. Auf Grund dieses Verhältnisses wird sich die abstrakte Vorstellung von Zweck und Mittel erst in einer höheren Kultur erheben; erst in ihr wird wegen der Fülle der Zweckreihen, die eine Vereinheitlichung suchen, wegen des [394] immer weiteren Hinausrückens der eigentlichen Zwecke an eine immer längere Kette von Mitteln – die Frage nach dem absoluten Endzweck, der diesem ganzen Treiben Vernunft und Weihe gäbe, nach dem Wozu des Wozu auftauchen. Dazu kommt, daß das Leben und Handeln des Kulturmenschen sich durch eine ungeheure Anzahl von Zwecksystemen hindurchbewegt, von deren jedem er nur einen geringen Teil beherrschen, ja übersehen kann, und daß so gegenüber der Einfachheit primitiven Daseins eine beängstigende Differenziertheit der Lebenselemente entsteht; der Gedanke eines Endzwecks, in dem alles dies wieder seine Versöhnung fände, dessen es aber bei undifferenzierten Verhältnissen und Menschen gar nicht bedarf, steht als Frieden und Erlösung in der Zersplitterung und dem fragmentarischen Charakter der Kultur. Und mit je weiteren qualitativen Differenzen die Elemente der Existenz auseinanderliegen, in desto abstrakterer Höhe über jedem muß ersichtlich der Endzweck stehen, der das Leben als Einheit zu empfinden ermöglicht; nach dem die Sehnsucht nun keineswegs immer in bewußter Formulierung zu bestehen braucht, sondern auch, nicht weniger stark, als ein dumpfer Trieb, Sehnsucht, Unbefriedigtheit der Massen. Am Beginn unserer Zeitrechnung war offenbar die griechisch-römische Kultur auf diesen Punkt gekommen. Das Leben war ein so vielgliedriges und langsichtiges Zweckgewebe geworden, daß sich als sein Destillat und focus imaginarius mit ungeheurer Gewalt das Gefühl erhob; wo liegt nun der definitive Zweck dieses Ganzen, der endgültige Abschluß, der sich nicht mehr, wie alles, was wir sonst erstreben, schließlich als bloßes Mittel enthüllt? Der resignierte oder grollende Pessimismus jener Zeit, ihr besinnungsloses Genießen, das freilich in seinem Augenblicksdasein einen nicht über sich hinausfragenden Zweck fand, auf der einen Seite, ihre mystisch-asketischen Tendenzen auf der anderen – sie sind der Ausdruck jenes dunklen Suchens nach einem abschließenden Sinn des Lebens, jener Angst um den Endzweck der ganzen Mannigfaltigkeit und Mühsal seines Apparates von Mitteln. Diesem Bedürfnis nun brachte das Christentum eine strahlende Erfüllung. Zum erstenmal in der abendländischen Geschichte wurde hier den Massen ein wirklicher Endzweck des Lebens geboten, ein absoluter Wert des Seins, jenseits alles Einzelnen, Fragmentarischen, Widersinnigen der empirischen Welt: das Heil der Seele und das Reich Gottes. Nun war für jede Seele Platz in Gottes Hause, und indem sie der Träger ihres ewigen Heils war, wurde jede einzelne, die unscheinbarste und niedrigste wie die des Helden und Weisen, unendlich wertvoll. Durch ihre Beziehung zu dem einen Gott strahlte alle Bedeutung, alle Absolutheit, alle Jenseitigkeit seiner auf sie [395] zurück, so war sie durch den ungeheuren Machtspruch, der ihr ein ewiges Schicksal und eine grenzenlose Bedeutung verkündete, mit einem Schlage allem bloß Relativen, jedem bloßen Mehr oder Weniger der Würdigung enthoben. Nun hat freilich der Endzweck, an den das Christentum den absoluten Wert der Seele band, eine eigentümliche Entwicklung erfahren. Wie nämlich jedes Bedürfnis durch die Gewohnheit seiner Befriedigung fester wird, so hat das Christentum durch das so lange andauernde Bewußtsein eines absoluten Endzweckes das Bedürfnis danach außerordentlich fest einwurzeln lassen, so daß es denjenigen Seelen, denen gegenüber es jetzt versagt, das leere Sehnen nach einem definitiven Zweck des ganzen Daseins als seine Erbschaft hinterlassen hat: das Bedürfnis hat seine Erfüllung überlebt. Indem die Schopenhauersche Metaphysik als die Substanz des Daseins den Willen verkündete – der notwendig unerfüllt bleiben muß, weil er, als das Absolute, nichts außer sich hat, an dem er sich befriedige, sondern immer und überall nur sich selbst ergreifen kann – ist sie ausschließlich der Ausdruck dieser Lage der Kultur, die das heftigste Bedürfnis nach einem absoluten Endzweck überkommen, aber dessen überzeugenden Inhalt verloren hat. Die Schwächung des religiösen Empfindens und gleichzeitig das so lebhaft wiedererwachte Bedürfnis nach einem solchen sind das Korrelat der Tatsache, daß dem modernen Menschen der Endzweck abhanden gekommen ist. Aber was dessen Vorstellung für die Wertung der Menschenseele geleistet hat, ist nicht zugleich verloren gegangen und zählt zu den Aktiven jener Erbschaft. Indem das Christentum die Menschenseele für das Gefäß der göttlichen Gnade erklärte, wurde sie für alle irdischen Maßstäbe völlig inkommensurabel und blieb es; und so fern und fremd diese Bestimmung eigentlich für den empirischen Menschen mit seinen irdischen Schicksalen ist, so wenig kann doch eine Rückwirkung ihrer da ausbleiben, wo der ganze Mensch in Frage steht; sein einzelnes Schicksal mag gleichgültig sein, die absolute Summe derselben kann es doch nicht bleiben. In unmittelbarer Weise hat freilich schon das jüdische Gesetz die religiöse Bedeutung des Menschen gegen seinen Verkauf als Sklaven aufgerufen. Wenn ein Israelit sich wegen Verarmung einem Stammesgenossen in die Sklaverei verkaufen muß, so soll dieser – so befiehlt Jahve – ihn wie einen Lohnarbeiter halten und nicht wie einen Sklaven, »denn meine Knechte sind sie, die ich aus Ägypten weggeführt habe, sie dürfen nicht verkauft werden, wie man Sklaven verkauft«.

Der Wert der Persönlichkeit aber, der sie durch diese Vermittlung hindurch aller Vergleichbarkeit mit dem rein quantitativen Maßstab des Geldes entrückt, kann zwei wohl auseinanderzuhaltende Bedeutungen [396] haben; er kann den Menschen als Menschen überhaupt, und er kann den Menschen als dieses bestimmte Individuum betreffen. Sagte man etwa, die menschliche Persönlichkeit besitze den höchsten Seltenheitswert, weil sie kein irgend vertretbares Gut, sondern in ihrer Bedeutung schlechthin unersetzbar sei – so bleibt die Frage, gegen welche anderen Werte man sie auf diese Weise isoliere. Tragen die Qualitäten des Menschen seinen Wert, so bezieht sich jene Seltenheit, – da sie bei jedem andere sind – auf den einzelnen Menschen gegenüber allen anderen. Diese. Anschauung, die teilweise dem Altertum und dem modernsten Individualismus eigen ist, führt unvermeidlich auf eine Abstufung innerhalb der Menschenwelt, und nur in dem Maß, in dem die Träger der niedrigsten Werte sich noch mit denen der höchsten berühren, haben jene an der Absolutheit des Wertes dieser Teil; daher wiederholt sich die klassische Überzeugung von der Berechtigung der Sklaverei bei einigen der neuesten Individualisten. Ganz anders das Christentum, die Aufklärung des 18. Jahrhunderts (einschließlich Rousseau und Kant) und der ethische Sozialismus. Für diese Standpunkte ruht der Wert in dem Menschen, bloß weil er ein Mensch ist, es bezieht sich also der Seltenheitswert auf die Menschenseele überhaupt gegenüber dem, was nicht Seele ist; in bezug auf den entscheidenden, den absoluten Wert ist hier jeder Mensch jedem anderen gleich. Das ist also der abstrakte Individualismus – abstrakt, weil er den ganzen Wert, die ganze absolute Bedeutung an den Allgemeinbegriff Mensch heftet und ihn erst von diesem auf das einzelne Exemplar der Gattung überleitet. Ihm gegenüber hat das 19. Jahrhundert, seit den Romantikern, den Begriff des Individualismus mit einem ganz ändern Inhalt erfüllt; während der Gegensatz, aus dem das Individuum als solches seine spezifische Bedeutung zog, im 18. Jahrhundert die staatliche, kirchliche, gesellschaftliche, zünftige Kollektivität und Bindung war, so daß das Ideal in dem freien Fürsichsein der Einzelnen bestand ist der Sinn des späteren Individualismus der Unterschied zwischen den Einzelnen, ihre qualitative Besonderung gegeneinander. An der ersteren Anschauungsweise, auf deren Boden die »Menschenwürde« und die »Menschenrechte« gewachsen sind, markiert sich am entschiedensten die Entwicklung, die jeden Verkauf eines Menschen für Geld und die Sühnung seiner Tötung durch Geld innerlich unmöglich macht – eine Entwicklung, deren Anfänge da liegen müssen, wo die kollektivistischen Bande der frühesten Sozialformen sich lockern, wo das Individuum sich aus der Interessenverschmelzung mit seinen Gruppengenossen heraushebt und sein Fürsichsein betont.

Die Entwicklung der Mordsühne, die ich verfolgte, mündete an [397] dem Punkte, wo aus dem Ersatz des den Hinterbliebenen wirklich geschehenen Schadens durch die soziale Fixierung desselben hindurch sich die Vorstellung entwickelt hat, daß der Mensch, der Angehörige dieses bestimmten Standes, dieses bestimmte Wergeld wert wäre. Hier setzt nun die weitere Evolution an, infolge deren die Sühneleistung des Verbrechers nicht als eine Entschädigung für den von ihm vernichteten Wert, sondern als Strafe auftritt, und zwar nun nicht nur für den Mord, sondern auch für andere schwere Vergehen. Alle Strafe, als ein unter der Idee der Zweckmäßigkeit zugefügter Schmerz, kann, soviel ich sehe, nur zwei Ausgangspunkte haben: das Schutzbedürfnis der Gesellschaft und die Entschädigungspflicht für den oder die Beschädigten – so sehr ihre später erworbenen ideellen Bedeutungen sich über diese Ursprünge erheben. Denn wenn man die Strafe auf den Rachetrieb zurückgeführt hat, so scheint mir dieser selbst noch der Erklärung bedürftig, und sie darin zu finden, daß das Schutzbedürfnis die Menschen zwingt, den Schädiger unschädlich zu machen, was eben oft nur durch Schmerzzufügung oder Tötung geschehen kann – und daß diese Nützlichkeit und Notwendigkeit zu einem eigenen Triebe ausgewachsen ist: die Beschädigung des Beschädigers, ursprünglich ein bloßes Mittel, sich vor weiterer Schädigung zu schützen, hat ein selbständiges Lustgefühl, einen von seinen utilitarischen Wurzeln gelösten Trieb für sich erworben. Der Ursprung der Strafe aus der Rache würde also schließlich auch nur auf den Schutztrieb zurückgehen. Grade dieses macht es auch erklärlich, daß sehr zivilisierte Zeiten auf den Mord völlige Unschädlichmachung des Täters, rohere aber eine gelinde Abfindung setzen. Denn heute werden im ganzen doch Morde nur von völlig zuchtlosen und moralisch depravierten Individuen begangen, in roheren oder heroischeren Zeiten aber auch von ganz anders qualifizierten, deren Überlegenheit und Tatkraft die Gesellschaft zu konservieren alles Interesse hatte. Es ist also die Wesensverschiedenheit der Mörder auf den verschiedenen historischen Stufen, auf die hin die soziale Selbsterhaltung einmal auf Vernichtung, ein anderes Mal auf eine den Täter selbst konservierende Sühne hindrängt. Hier interessiert uns indes nur der andere Ursprung der Strafe, aus der Entschädigungspflicht. Solange oder insoweit die Konsequenz einer schädigenden Handlung für den Täter selbst von dem Beschädigten vollzogen wird, so wird sie – abgesehen von jenen Abwehr- und Racheimpulsen – sich auf eine Schadloshaltung dieses letzteren beschränken; ihn wird der subjektive Zustand des Täters nicht interessieren, seine Reaktion wird durch die Nützlichkeit für ihn selbst, nicht durch eine Rücksicht auf jenen bestimmt werden. Das [398] ändert sich, sobald eine objektive Macht, wie der Staat oder die Kirche, die Sühne der Missetat übernimmt. Weil nun die Schädigung des Beschädigten nicht mehr als persönliches Ereignis, sondern als Störung des öffentlichen Friedens oder als Verletzung eines ethischreligiösen Gesetzes das Motiv der Reaktion bildet, so wird der Zustand, den diese in dem Missetäter hervorruft, ihr definitiver Zweck, während er vorher für denjenigen, der nur seine Entschädigung suchte, ein gleichgültiges Akzidenz gewesen war; so daß man erst jetzt von Strafe im eigentlichen Sinne sprechen kann. Jetzt handelt es sich darum, das Subjekt selbst zu treffen, und alle Buße als äußerliches Geschehen ist das bloße Mittel dazu. Die Geldstrafe hat so einen ganz anderen Sinn als jener frühere Geldersatz für Verwundungen und Tötungen; sie soll nicht den angerichteten Schaden ausgleichen, sondern dem Täter ein Schmerz sein, weshalb sie denn auch in modernen Rechten, im Falle der Unbeitreibbarkeit, durch Freiheitsstrafe ersetzt wird, welche dem Staate nicht nur kein Geld bringt, sondern ihn noch erhebliches kostet. Indem die Geldstrafe so nur um ihres subjektiven Reflexes willen gehandhabt wird, mit dem der Missetäter sie empfindet, kann sie allerdings einen dem Geld als solchem fremden, individuellen Zug erhalten. Dieser dokumentiert sich in einigen Eigenschaften, die die Geldstrafe vor anderen Strafen voraus hat: in ihrer großen Abstufbarkeit, in ihrer eventuellen völligen Widerruflichkeit, endlich darin, daß sie nicht wie die Freiheitsstrafen oder gar wie die Verstümmelungsstrafen früherer Zeiten die Arbeitskraft des Delinquenten lahmlegt oder herabsetzt, sondern sie umgekehrt wegen des Ersatzes des Dahingegebenen gerade anstachelt. Dieses personale Moment, das der Geldstrafe zuwächst, wenn sie nicht mehr äußerlicher Ersatz, sondern subjektive Schmerzzufügung sein soll, reicht indes nicht sehr tief hinab. Das zeigt sich z.B. schon darin, daß heutzutage die Verurteilung zur höchsten Geldstrafe die gesellschaftliche Position des Betroffenen nicht entfernt so herabsetzt, wie die zur geringsten Gefängnisstrafe; nur wo das Persönlichkeitsgefühl überhaupt noch nicht sehr stark entwickelt ist, wie in der russischen Bauernschaft, konnte es vorkommen, daß vom Missetäter selbst die Prügelstrafe jeder Geldstrafe vorgezogen wird. Ferner zeigt sich die Schwäche des personalen Momentes in der Geldstrafe, wie sie wenigstens bis jetzt gehandhabt wird, darin, daß ihre prinzipielle Abstufbarkeit der wirklichen Individualität der Verhältnisse keineswegs folgt. Das Gesetz pflegt, wo es Geldstrafe setzt, dieselbe nach oben wie nach unten zu begrenzen; es ist aber kein Zweifel, daß selbst das Mindestmaß für den ganz Armen eine härtere Strafe bedeutet, als das Höchstmaß für den [399] ganz Reichen; während jener wegen einer Mark Strafe vielleicht einen Tag hungern muß, werden die paar Tausend Mark, zu denen dieser höchstens verurteilt werden kann, ihm nicht die geringste Entbehrung auferlegen., so daß der subjektive Strafzweck dort übertrieben, hier überhaupt nicht durch die Geldstrafe erreicht wird. Man hat deshalb eine wirkungsvollere Individualisierung durch den Vorschlag erreichen wollen, das Gesetz solle überhaupt nicht bestimmte Summen als Strafgrenzen fixieren, sondern prozentuale Quoten vom Einkommen des Schuldigen. Dagegen wird indes richtig eingewendet, daß die Strafe einer ganz geringfügigen Übertretung für einen vielfachen Millionär dann viele Tausende betragen müßte, was zweifellos als sachlich unangemessen empfunden wird. Dieser innere Widerspruch des Versuches, zu einer wirklichen Individualisierung der Geldstrafe zu gelangen, der bei sehr stark differenzierten Vermögensverhältnissen unvermeidlich scheint, beweist wiederum, wieviel geringer deren subjektive Angemessenheit bei einer hoch entwickelten (d.h. sehr krasse Differenzen enthaltenden) ökonomischen Kultur ist, als in primitiveren, also nivellierteren Verhältnissen. Insbesondere aber muß die Geldstrafe sich schließlich da als ganz unzutreffend erweisen, wo überhaupt nur die allerinnerlichsten Beziehungen des Menschen in Frage stehen: bei der Kirchenbuße, die vom 7. Jahrhundert an durch Geld ersetzt werden konnte. Die Kirche hatte einen großen Teil der Strafrechtspflege übernommen, die eigentlich dem Staate zufiel, und der umherreisende Bischof als Richter strafte die Sünder vom Gesichtspunkte der verletzten göttlichen Ordnung aus, so daß ihre sittliche Besserung, die Umkehr der Seele auf dem Sündenwege, das eigentliche Absehen war, von jener tiefstgelegenen und wirksamsten Tendenz der religiösen Moral aus: daß die definitive sittliche Pflicht des Menschen in dem Gewinn des eigenen Heils bestehe – während die weltliche Moral ihr letztes Ziel gerade aus dem Ich heraus in den Anderen und seine Zustände verlegt. Von diesem Gesichtspunkt der Verinnerlichung und Subjektivierung der Strafe aus wurden selbst Vergehen wie Mord und Meineid mit Fastenbuße bestraft. Diese kirchlichen Strafen aber konnten, wie gesagt, sehr bald durch Geldzahlung abgelöst werden. Daß dies im Lauf der Zeit als eine ganz unzulängliche und unzutreffende Buße empfunden wurde, ist kein Zeichen gegen, sondern für die gewachsene Bedeutung des Geldes; gerade weil es jetzt so sehr viel mehr Dinge aufwiegt und dadurch um so farb- und charakterloser ist, kann es nicht zur Ausgleichung in ganz besonderen und ausnahmsweisen Beziehungen dienen, in denen das Innerste und Wesentliche der Persönlichkeit getroffen werden soll; und nicht trotzdem man so gut wie [400] alles für Geld haben kann, sondern gerade weil man das kann, hörte es auf, die sittlich-religiösen Anforderungen, auf denen die Kirchenbuße ruhte, zu begleichen. Die steigende Wertung der Menschenseele, mit ihrer Unvergleichbarkeit und Individualisiertheit, trifft auf die entgegengesetzte Richtung in der Entwicklung des Geldes, wodurch der Erfolg jener für die Aufhebung der Geldbußen beschleunigt und gesichert wird. Den Charakter kühler Gleichgültigkeit, völliger Abstraktheit gegenüber allen spezifischen Werten erhält das Geld doch erst in dem Maß, in dem es zum Äquivalent für immer mehr und mehr Gegenstände und für immer verschiedenartigere wird. Solange es, erstens, überhaupt noch nicht so viel Gegenstände gibt, die eventuell um Geld erworben werden könnten, und solange, zweitens, von den vorhandenen ökonomischen Werten ein wesentlicher Teil dem Geldkauf entzogen ist (wie es sehr lange Perioden hindurch z.B. der Grundbesitz ist) – solange hat das Geld selbst noch einen mehr spezifischen Charakter, es steht noch nicht so indifferent über den Parteien; sogar das direkt entgegengesetzte Wesen, sakrale Würde, der Akzent eines Ausnahmewertes kann ihm in primitiven Verhältnissen zukommen. Ich erinnere an die früher angeführten strengen Normen, die gewisse Geldsorten ausschließlich für wichtige oder feierliche Transaktionen bestimmten, besonders aber an einen Bericht aus dem Karolinenarchipel. Die Insulaner, heißt es, bedürfen für den Lebensunterhalt keines Geldes, denn alle seien Selbstproduzenten. Dennoch spiele das Geld die Hauptrolle, denn der Erwerb einer Frau, die Zugehörigkeit zu dem staatlichen Verband, die politische Bedeutung der Gemeinde hänge ausschließlich von dem Geldbesitz ab. Aus solchen Verhältnissen heraus verstehen wir, weshalb das Geld nicht so gemein ist wie bei uns, wo es gerade die niedrigsten Bedürfnisse unmittelbarer als jene höheren deckt. Ja, die bloß quantitative Tatsache, daß es überhaupt noch nicht so viel Geld gibt und es einem nicht immerfort durch die Finger geht, läßt es in den. Perioden der Eigenbedarfs-Produktion zu jener herabsetzenden Selbstverständlichkeit und Abgeschliffenheit seiner nicht kommen, so daß es sich also eher dazu eignet, als befriedigender Ausgleich für einzigartige Objekte, wie das Menschenleben ist, zu dienen; die vorschreitende Differenzierung der Menschen und die ebenso vorschreitende Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes und schwerer Vergehen überhaupt durch Geld unmöglich zu machen.

Es ist interessant, daß das Gefühl für diese innere Inadäquatheit des Geldes sehr früh anklingt. Während schon in der ältesten jüdischen Geschichte Geld als Zahlmittel für Frauen und für Bußen auftritt, [401] müssen doch die Abgaben an den Tempel immer in natura geliefert werden. So muß z.B. derjenige, der wegen der weiten Entfernung vom Heiligtume seinen Zehnten in Geld mitbringt, an Ort und Stelle diesen wieder in Waren umsetzen, und dem entspricht es, daß in Delos, dem altgeweihten Heiligtum, ganz besonders lange nach dem Ochsen als offizieller Münzeinheit gerechnet wurde. Unter den mittelalterlichen Gesellenverbänden setzten die Bruderschaften, die die älteren waren und kirchliche Zwecke verfolgten, die Strafen für einzelne Vergehen in Wachs (zu Weihkerzen) fest, die weltlichen Gesellenschaften dagegen meistens in Geld. Derselbe Sinn beherrscht die altisraelitische Bestimmung, daß gestohlene Haustiere doppelt ersetzt werden müssen, aber wenn sie nicht mehr in natura vorhanden waren, und deshalb Geldzahlung an ihre Stelle trat, dieselbe den vier- bis fünffachen Wert derselben darstellen mußte: nur eine ganz unverhältnismäßig erhöhte Geldbuße konnte die Naturalbuße vertreten. Als in Italien das Viehgeld schon längst durch Metallgeld ersetzt war, wurden doch die Geldstrafen bis in die späteste Zeit hinein wenigstens formell noch nach Vieh berechnet. Und nachdem bei den Tschechen das Vieh am Anfang unserer Zeitrechnung Zahlmittel gewesen war, diente es noch lange nachher als Benennung für die Mordbuße. Es gehört derselben Erscheinungsreihe an, wenn bei den kalifornischen Indianern das Muschelgeld, nachdem es schon aus dem Verkehr verdrängt war, doch noch die Gabe blieb, die man den Toten für die Jagdgründe des Jenseits ins Grab legte. In diesen Bestimmungen ist es die religiöse Färbung der Buße oder Zahlung überhaupt, die, in ihrem archaistischen Wesen, schon auf dieser Stufe das kurrente Geld als etwas ihrer Weihe Unangemessenes empfinden läßt, so daß sie auf derselben Deklassierung des Geldes mündet, wie jene geschilderte Gegenbewegung, die auf der späteren Stufe den Wert des Menschen und den Wert des Geldes immer weiter auseinandertreibt und so einen der wichtigsten Entwicklungsmomente in der Bedeutung des Geldes herbeiführt. Hier will ich nur noch eine Erscheinung dieser Richtung betonen: die mittelalterlichen Zinsverbote ruhen auf der Voraussetzung, daß das Geld keine Ware sei; im Gegensatz zu einer solchen sei es nicht selbst fruchtbar oder produktiv, und sei es deshalb sündhaft sich für seine Benutzung wie für die einer Ware eine Vergütung zahlen zu lassen. Dieselben Epochen aber fanden es gelegentlich nicht im geringsten gottlos, einen Menschen als Ware zu behandeln. Vergleicht man dies mit den praktischen und theoretischen Vorstellungen der modernen Zeit, so mag diese Gegenüberstellung klar machen, wie die Begriffe des Geldes und des Menschen sich mit weiter vorschreitender Entwicklung nach direkt entgegengesetzten [402] Richtungen bewegen – deren Entgegengesetztheit eben dieselbe bleibt, ob sie sich, in bezug auf ein einzelnes Problem, aufeinander zu oder voneinander weg entwickeln.

Dem Abrücken des Persönlichkeitswertes vom Geldwert, der sich in dem Herabsinken der Geldstrafe zum niedrigsten Strafquale ausspricht, steht indes selbst nun wieder eine Gegenbewegung gegenüber. Die rechtlich vergeltende Reaktion auf Unrecht und Schädigungen nämlich, die einer dem anderen antut, beschränkt sich mehr und mehr auf diejenigen Fälle, in denen das Interesse des Geschädigten in Geld ausdrückbar ist. Dies wird, wenn wir die Reihe der Kulturstadien überblicken, bei einer ganz tiefen Stufe weniger der Fall sein, als bei einer etwas höheren; hier aber wieder mehr als auf einer noch höheren. Dies liegt etwa da besonders deutlich vor, wo städtische Verhältnisse gegenüber ländlichen dem Geld erhebliche Wichtigkeit zuwachsen lassen, während das Gesamtniveau beider ein relativ niedriges ist: so besteht im jetzigen Arabien die Blutrache unter den Wüstenbewohnern, während in den Städten Wergeld gezahlt wird. In dem wirtschaftlich interessierten städtischen Leben liegt es eben näher, die Bedeutung eines Menschen durch eine Geldsumme zu interpretieren. Wie sehr sich das nun dahin zuspitzt, gerade der im Geldwert abzumessenden Beschädigung einen besonderen Anspruch auf strafrechtliche Sühne zuzubilligen, das tritt jetzt besonders deutlich an dem Begriffe des Betruges hervor, den erst eine durchgehends auf Geld gestellte Ordnung des Lebens ganz eindeutig zu fixieren gestattete. Das deutsche Strafgesetzbuch läßt nämlich als strafwürdigen Betrug nur gelten, wenn jemand die Vorspiegelung falscher Tatsachen »in der Absicht, sich oder einem Anderen einer rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen« begeht. Die Untersuchung der anderen Fälle, in denen dies Gesetzbuch betrügerische Vorspiegelungen bestraft, ergibt nur noch zwei, höchstens drei, in denen die individuelle Schädigung des Betrogenen den Grund der Bestrafung ausmacht: die Verführung eines Mädchens unter der Vorspiegelung der Ehe, die Herbeiführung des Eheschlusses unter betrügerischem Verschweigen von Ehehindernissen, die wissentlich falsche Denunziation. Prüft man die übrigen Fälle, in denen betrügerische Vorgaben mit Strafe bedroht werden, so zeigen sie sich als solche, in denen kein individuelles, sondern prinzipiell nur das staatliche Interesse geschädigt wird: Meineid, Wahlfälschungen, falsche Entschuldigungen bei Schöffen, Zeugen und Geschworenen, Angaben falscher Namen und Titel zuständigen Beamten gegenüber usw.; ja selbst in diesem Fall des staatlichen Interesses wird die Strafe überhaupt oder ihre Höhe oft daran geknüpft, daß ein ökonomisches Interesse den Täter bestimmt [403] hat. So wird die Fälschung von Pässen, Dienstbüchern usw. mit dem Zusatz unter Strafe gestellt, daß sie »zum Zwecke des besseren Fortkommens« geschehe; so wird, ganz besonders charakteristisch, die Fälschung des Personenstandes (Kindesunterschiebung usw.) mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft, aber, »wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde«, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Wie nun eine Kindesunterschiebung zweifellos aus sehr viel unsittlicheren und verbrecherischeren Motiven als aus Gewinnsucht geschehen kann und so der schlimmere Verbrecher bloß, weil er kein Geldinteresse hatte, eine relativ große Milde der Bestrafung erfährt –, so ist es auch im allgemeinen kein Zweifel, daß unzählige betrügerische Vorspiegelungen das Glück, die Ehre und alle Güter von Menschen überhaupt vernichten können, ohne Strafe zu finden, es sei denn, daß der Betrüger dabei einen »Vermögensvorteil« gesucht hat. Indem das Vermögensinteresse so von vornherein in den Begriff des Betruges hineingelegt ist, wird zwar für die Kriminalpraxis jene Einfachheit und Klarheit gewonnen, die der Reduktion auf Geld allenthalben eigen ist – aber um den Preis, das Rechtsgefühl sehr unbefriedigt zu lassen. Aus dem ganzen Umkreis der Beschädigungen, die jemand durch Betrug erleiden kann, wird gerade nur die in Geld ausdrückbare zu strafrechtlicher Verfolgung herausgehoben und dadurch als diejenige bezeichnet, die allein eine Sühne vom Standpunkt der gesellschaftlichen Ordnung aus fordere. Da die Absicht des Gesetzes doch sein muß, alle betrügerische Vernichtung personaler Werte zu bestrafen, so kann es nur von der Voraussetzung ausgehen, daß alle auf diese Art zerstörbaren Werte ein Geldäquivalent besitzen. Es kommt hier also die Idee des Wergeldes, wenngleich in rudimentärer Form, wieder zur Geltung. Wenn dieser Idee gemäß eine Vernichtung personalen Wertes durch Hingabe von Geld an den Beschädigten ausgeglichen werden konnte, so war die Voraussetzung, daß dieser Wert eben auf Geld reduzierbar ist. Das moderne Strafrecht lehnt freilich die Konsequenz ab, daß die betrügerische Schädigung durch Geldhingabe des Täters an den Beschädigten hinreichend gesühnt sei; aber an dem Objekte der Tat läßt sie die Vorstellung haften, daß jeder durch Betrug entreißbare Wert sich in einer Geldsumme müsse darstellen lassen.

Hat das Bedürfnis nach möglichster Unzweideutigkeit der Rechtsnorm zu dieser ganz ungeheuerlichen Beschränkung der gegen Betrug zu schützenden personalen Werte auf die in Geld auszudrückenden geführt, und die anderen zu quantités négligeables herabgedrückt – so führt eben dasselbe zu entsprechenden Bestimmungen des Zivilrechts. Wortbruch und Chikane, durch die jemand [404] in die ärgsten Unannehmlichkeiten und Verluste verwickelt wird, berechtigen ihn nach deutschem Recht zu keinerlei Anspruch an den Schädiger, wenn er nicht imstande ist, den Geldwert der erlittenen Schädigung nachzuweisen. Ich nenne nur einige von Juristen selbst hervorgehobene Fälle: der Mieter, dem sein Hauswirt den Garten trotz seines kontraktlichen Mitbenutzungsrechtes verschließt, der Reisende, dem der Hotelier das schriftlich zugesagte Unterkommen verweigert, der Schulvorsteher, bei dem der engagierte Lehrer kontraktbrüchig wird, ohne daß er imstande wäre, gleich Ersatz für ihn zu beschaffen – alle diese Personen werden, obgleich ihr Recht auf Schadenersatz sonnenklar ist, diesen Anspruch nicht erheben können, weil ihr Schaden sich nicht einer bestimmten Summe gleichsetzen läßt. Wer wollte das Geldäquivalent jener inneren und äußeren Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen auf Heller und Pfennig nachweisen? Gelingt aber dieser Nachweis nicht, so sind die fraglichen Beschädigungen für den Richter eben auch quantités négligeables, sie existieren für ihn nicht. In einer ungeheueren Zahl von Lebensbeziehungen ist der Geschädigte schlechthin rechtlos, er hat weder die moralische Genugtuung, den Schädiger strafrechtlich verfolgt zu sehen, noch die ökonomische, einen Ersatz für seine Einbußen und Ärgernisse von ihm zu erlangen. Da nun aber, wie nochmals betont werden muß, die Präsumtion des Rechtes doch ist, alle Güter der Individuen gegen unrechtmäßige Beschädigung zu sichern; da diese Sicherung jetzt, wie sich ergibt, eine große Summe von Gütern, sobald ihr Wert nicht in Geld substanziiert werden kann, nicht umfaßt; so folgt als Voraussetzung dieser ganzen Rechtsanschauung, daß alle personalen Güter ein Geldäquivalent besitzen, – abgesehen natürlich von der Unverletztheit des Körpers und, in einigen Beziehungen, der Ehe, die das Recht gleichfalls garantiert. Die außerordentliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des Rechtssystems, die diese Reduktion auf das Geldinteresse mit sich bringt, im Verein mit dessen tatsächlicher Herrschaft, hat so zu der Fiktion seiner Alleinherrschaft geführt, ganz entsprechend der auch auf anderen Gebieten merkwürdigen praktischen Gleichgültigkeit gegen die nicht in Geld ausdrückbaren, wenngleich theoretisch als die höchsten anerkannten Werte.

Es ist interessant zu beobachten, wie entgegengesetzt sich das römische Recht, in seiner mittleren Periode, in dieser Hinsicht verhält. Die Geldkondemnation, die dasselbe im Zivilprozeß statuierte, war eine Buße, die über den Wert des Objektes hinaus an den Beschädigten entrichtet wurde, um denselben für die besondere Hinterlist oder Bosheit zu entschädigen, unter der der Beklagte ihn hatte [405] leiden lassen. Das böswillig abgeleugnete Depositum, die vom Vormund vorenthaltenen Mündelgelder und ähnliches wurden nicht einfach ersetzt, sondern außerdem war der Richter und unter Umständen der Kläger berechtigt, einen Schadenersatz festzusetzen nicht für den objektiven, einer bestimmten Geldsumme unmittelbar äquivalenten Schaden, sondern für die böswillige Verletzung der persönlichen Rechtssphäre überhaupt. Es wird hier also einerseits empfunden: die persönlichen Werte, die das Recht zu schützen hat, sind nicht durch den Geldwert ihres Objektes begrenzt, sondern ihre Verletzung fordert eine über diesen hinausgehende Buße; zugleich aber ist diese Buße nun wieder durch die Hingabe einer bestimmten Geldsumme geleistet: die jenseits des objektiven Geldinteresses erlittene Schädigung wird doch durch Geld ausgeglichen. Das Geld spielt hier also einerseits eine geringere, aber andrerseits eine größere Rolle als in dem gegenwärtigen Zustand. Eben deshalb zeigt dieser gegenwärtige Zustand doch eine Kombination der beiden typischen Richtungen, in die die wachsende Kultur die Entwicklung des Geldes treibt: sie verleiht ihm einerseits eine Wichtigkeit, durch die es gleichsam zur Weltseele des sachlichen Interessenkosmos wird und, den so erhaltenen Anstoß über seine zukommende Grenze fortsetzend, auch die personalen Werte überwuchert; sie entfernt es doch aber andrerseits von diesen, macht seine Bedeutung mit der alles eigentlich Persönlichen immer unvergleichbarer und unterdrückt eher die Geltendmachung personaler Werte, als daß sie ihnen ein so inadäquates Äquivalent zuspräche. Die Unbefriedigtheit des unmittelbaren Rechtsgefühls, durch die das momentane Resultat des Zusammenwirkens dieser Motive hinter jenem römischen Zustand zurücksteht, darf doch die Erkenntnis nicht verhindern, daß es sich hier wirklich um die Kombination weiter vorgeschrittener Kulturtendenzen handelt, die freilich die Entgegengesetztheit und Unversöhnlichkeit ihrer Richtungen in der Unzulänglichkeit und dem Tiefstande mancher Erscheinungen zeigen, in denen sie beide gleichzeitig zu Worte kommen. – Die Evolution des früheren Zustandes, in dem der ganze Mensch durch Geld aufgewogen wurde, findet einige Analogien in einer spezielleren, die sich an den Kauf der Frauen für Geld knüpfte. Die Kaufehe, ihre außerordentliche Häufigkeit in der Vergangenheit vorgeschrittener Völker und in der Gegenwart weniger zivilisierter, die Fülle ihrer Variationen und Formen sind bekannt genug. Es handelt sich hier nur um die Rückschlüsse, welche diese Tatsachen auf das Wesen der gekauften Werte gestatten. Das Gefühl von Entwürdigung, das der Kauf einer Person für Geld oder Geldeswert im modernen [406] Menschen hervorbringt, ist in seiner Beziehung auf frühere historische Verhältnisse nicht immer gerechtfertigt. Wir sahen: solange einerseits die Persönlichkeit noch mehr in den Gattungstypus eingesenkt ist, andrerseits der Geldwert noch nicht zu völliger Farblosigkeit verallgemeinert ist, stehen sozusagen beide sich näher, und die persönliche Würde der alten Germanen hat sicher nicht darunter gelitten, daß das Wergeld ihren Wert in Geld ausdrücken ließ. Entsprechend liegt die Sache beim Frauenkauf. Die ethnologischen Tatsachen zeigen nämlich, daß der Frauenkauf sich keineswegs nur oder vorzugsweise auf den niedrigsten Stufen der Kulturentwicklung findet. Einer der besten Kenner dieses Gebietes stellt fest, daß die unzivilisierten Völker, die die Kaufehe nicht kennen, meistens außerordentlich rohe Rassen sind. So erniedrigend der Kauf der Frau in höheren Verhältnissen erscheint, so erhöhend kann er in niedrigen wirken, und zwar aus zwei Ursachen. Zunächst findet der Frauenkauf niemals, soviel wir wissen, nach Art der individualistischen Wirtschaft statt. Strenge Formen und Formeln, Berücksichtigung der Familieninteressen, genaue Konventionen über Art und Höhe der Zahlung binden ihn selbst bei recht tiefstehenden Völkern. Die ganze Art seines Vollzuges trägt ausgesprochen sozialen Charakter; ich erwähne nur, daß der Bräutigam vielfach berechtigt ist, von jedem Stammesgenossen einen Beitrag zum Brautpreise zu fordern, und daß dieser selbst oft in dem Geschlechte der Braut verteilt wird – gerade wie z.B. bei den Arabern das Sühnegeld für einen Mord von der ganzen Kabile, dem Stammverband des Mörders, aufgebracht wurde. Bei einem indianischen Stamme wird dem Werber, der nur die Hälfte des geforderten Brautpreises besitzt, die »halbe Heirat« gestattet; d.h. statt die Frau als Sklavin in sein Haus zu führen, muß er bis zur Erlegung des ganzen Preises als Sklave in ihrem Hause leben. Überhaupt begegnet es an vielen Stellen, wo patriarchale und matriarchale Zustände nebeneinander bestehen (also die Frau in die Sippe des Mannes, aber auch der Mann in die Sippe der Frau übertritt), daß nur nach Bezahlung des Brautpreises die patriarchalische Form gilt, der Arme muß sich der matriarchalischen fügen. Gewiß wird durch diese Geschäftsmäßigkeit die Individualität der Personen und ihres Verhältnisses völlig vergewaltigt. Dennoch ist die Organisation der Eheangelegenheiten, wie sie im Frauenkauf vorliegt, ein ungeheurer Fortschritt gegenüber etwa den roheren Zuständen der Raubehe oder den ganz primären Sexualverhältnissen, die zwar wahrscheinlich nicht in völliger Promiskuität, aber ebenso wahrscheinlich auch ohne jenen festen normierenden Halt verliefen, den der sozial geregelte Kauf darbietet. Die Entwicklung der Menschheit gelangt [407] immer wie der zu Stadien, wo die Unterdrückung der Individualität der unausbleibliche Durchgangspunkt für ihre spätere freie Entfaltung, wo die bloße Äußerlichkeit der Lebensbestimmungen die Schule der Innerlichkeit wird, wo die vergewaltigende Formung eine Aufsammlung der Kräfte bewirkt, die später alle persönliche Eigenart tragen. Von dem Ideal der vollentwickelten Individualität aus erscheinen solche Perioden allerdings roh und würdelos, aber sie legen nicht nur die positiven Keime der späteren Höherentwicklung, sondern sie sind auch an und für sich schon Erweisungen des Geistes in seiner organisierenden Herrschaft über den Rohstoff fluktuierender Impulse, Betätigungen der spezifisch menschlichen Zweckmäßigkeit, die sich die Normen des Lebens – wie brutal, äußerlich, ja stupid auch immer – eben doch selbst gibt, statt sie von bloßen Naturgewalten zu empfangen. Es gibt heute extreme Individualisten, welche dennoch praktische Anhänger des Sozialismus sind, weil sie diesen als die unentbehrliche Vorbereitung und, wenn auch noch so harte, Schule für einen geläuterten und gerechten Individualismus ansehen. So ist jene relativ feste Ordnung und äußerliche Schematik der Kaufehe ein erster, sehr gewaltsamer, sehr unindividueller Versuch gewesen, die Eheverhältnisse sozusagen auf einen bestimmten Ausdruck zu bringen, der für rohe Stufen ebenso angemessen war, wie individuellere Eheformen für höher entwickelte. Diese Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt zeigt schon der Frauentausch, den man, als Naturaltausch, eine Vorstufe des Frauenkaufes nennen könnte. Bei den australischen Narinyeri findet die eigentliche, legale Eheschließung durch Austausch der Schwestern der Männer statt. Wenn statt dessen ein Mädchen mit ihrem Auserwählten davonläuft, so gilt sie nicht nur als sozial minderwertig, sondern sie verliert auch den Anspruch auf Schutz, den ihr im anderen Fall die Horde schuldet, in der sie geboren ist. Damit kommt die soziale Bedeutung dieser so eminent unindividuellen Art der Eheschließung zu klarem Ausdruck. Die Horde schützt das Mädchen nicht mehr, bricht ihre Beziehungen zu ihm ab, weil sie keinen Gegenwert für dasselbe erhalten hat.

Hiermit ist der Übergang zu dem zweiten kulturell erhöhenden Motiv der Kaufehe gegeben. Gerade daß die Frauen ein nutzbarer Besitzgegenstand sind, daß Opfer für ihren Erwerb gebracht sind, läßt sie schließlich als wertvoll erscheinen. Überall, so hat man gesagt, erzeugt der Besitz Liebe zum Besitz. Man bringt nicht nur Opfer für das, was man gern hat, sondern auch umgekehrt: man liebt das, wofür man Opfer gebracht hat. Wenn die Mutterliebe der Grund unzähliger Aufopferungen für die Kinder ist, so sind doch [408] auch die Mühen und Sorgen, die die Mutter für das Kind auf sich nimmt, ein Band, das sie immer fester an dieses knüpft; woraus man versteht, daß gerade kranke oder sonst zu kurz gekommene Kinder, die die aufopferndste Hingabe seitens der Mutter fordern, oft am leidenschaftlichsten von ihr geliebt werden. Die Kirche hat sich nie gescheut, die schwersten Opfer um der Liebe zu Gott willen zu verlangen, weil sie wohl wußte, daß wir um so fester und inniger an ein Prinzip gebunden sind, je größere Opfer wir dafür gebracht, ein je größeres Kapital wir sozusagen darin investiert haben. So sehr der Frauenkauf also unmittelbar auch die Unterdrückung, die Ausbeutung, den Sachencharakter der Frau zum Ausdruck brachte, so hat sie durch ihn doch erstens für ihre elterliche Gruppe, der sie den Kaufpreis eintrug, und zweitens für den Mann an Wert gewonnen, für den sie ein relativ hohes Opfer repräsentierte und der sie deshalb im eigenen Interesse schonend behandeln mußte. Für vorgeschrittene Begriffe ist diese Behandlung noch immer elend genug, ja die übrigen entwürdigenden Momente, die den Frauenkauf begleiten, können jenes Bessere so weit paralysieren, daß die Stellung der Frau die jammervollste und sklavenhafteste wird. Aber darum bleibt es nicht minder wahr, daß der Frauenkauf es zu sinnenfälligem und eindringlichem Ausdruck gebracht hat: die Frauen sind etwas wert – und zwar in dem psychologischen Zusammenhange, daß man nicht nur für sie bezahlt, weil sie etwas wert sind, sondern daß sie etwas wert sind, weil man für sie bezahlt hat. Deshalb ist es verständlich, wenn bei gewissen amerikanischen Stämmen das Fortgeben eines Mädchens ohne Preis als eine starke Herabminderung ihrer und ihrer ganzen Familie angesehen wird, so daß selbst ihre Kinder für nichts Besseres als Bastarde gehalten werden.

Und wenn der Frauenkauf auch immer eine polygamische Tendenz und schon insoweit eine Deklassierung der Frauen einschließt, so steckt andrerseits doch gerade die Notwendigkeit des Geldaufwandes jenen Neigungen meistenteils eine Grenze. Von dem heidnischen Dänenkönig Frotho wird berichtet, er habe den besiegten Ruthenen durch Gesetz jede andere Ehe, als die durch Kauf der Weiber geschlossene, verboten; damit habe er den herrschenden laxen Sitten einen Riegel vorschieben wollen, da er in dem Kaufe eine Bürgschaft der Beständigkeit erblickt habe. Auf dem Umwege also, daß er die polygynischen Instinkte, denen er prinzipiell nahesteht, dennoch notgedrungen zurückdämmt, muß der Kauf zu einer Höherschätzung der einen Frau, die man besitzt, führen. Denn, wie es entsprechend die Folge des unmittelbaren Kostenaufwandes ist: die Beständigkeit ist nicht nur die Folge der Schätzung der Frau, sondern auch umgekehrt [409] diese letztere die Folge einer auf irgend anderem Wege hervorgebrachten Beständigkeit. Es ist dabei von größter Wichtigkeit, daß die Verschiedenheit der Preise – sowohl der sozial fixierten wie der durch individuellen Handel zustande kommenden – zum Ausdruck bringt, daß die Frauen an Wert verschieden sind. Von den Kafferfrauen wird berichtet, daß sie ihr Verkauftwerden durchaus nicht als Entwürdigung empfinden, das Mädchen sei im Gegenteile stolz darauf, und je mehr Ochsen oder Kühe sie gekostet hat, um so mehr halte sie sich wert. Man wird vielfach bemerken, daß eine Kategorie von Objekten ein entschiedeneres Wertbewußtsein dann erwirbt, wenn jedes einzelne besonders gewertet werden muß und starke Unterschiede des Preises die Tatsache des Wertes immer neu und scharf empfinden lassen; während allerdings auf anderen Wertungsstufen, wie sich gelegentlich des Wergeldes ergab, gerade die Gleichheit der Entschädigung die objektive Bedeutung des Gegenwertes aufwachsen läßt. So enthält der Frauenkauf ein erstes, freilich äußerst rohes Mittel, den individuellen Wert der einzelnen Frau und – vermöge jener psychologischen Regel der Werte auch den Wert der Frauen überhaupt hervortreten zu lassen. Ja sogar, wo die Frau als Sklavin gekauft wird, ist ein stärkeres Variieren ihres Preises wahrscheinlich als beim männlichen Sklaven. Dieser, der bloß Arbeitstier ist, hat bei gleichem Alter dauernd ungefähr den gleichen konventionellen Preis (im alten Griechenland und in Irland = drei Kühen), während die Sklavin, da sie auch noch spezifischeren Zwecken, als denen der Arbeit dient, je nach ihren persönlichen Reizen an Wert wechselt – obgleich man sich den Einfluß dieses ästhetischen Umstandes bei primitiven Völkern nicht sehr groß vorstellen darf. Jedenfalls ist auch innerhalb des Frauenkaufes offenbar diejenige Stufe die niedrigste, wo der Preis durch Herkommen für alle gleichmäßig fixiert ist, wie bei einigen Afrikanern.

Was sich in diesem Falle mit äußerster Entschiedenheit geltend macht: daß die Frau als bloßes Genus behandelt wird, als ein unpersönliches Objekt – das ist nun freilich selbst, bei allen obenerwähnten Einschränkungen, das Kennzeichen der Kaufehe. Darum wird von einer Reihe von Völkerschaften, besonders in Indien, der Frauenkauf als etwas Schimpfliches betrachtet, und anderwärts findet er zwar statt, aber man scheut den Namen und bezeichnet den Preis als ein freiwilliges Geschenk an die Brauteltern. Der Unterschied eigentlichen Geldes gegen Leistungen andrer Art macht sich hier geltend. Von den Lappländern wird berichtet, daß sie ihre Töchter zwar gegen Geschenke hingeben, es aber für nicht anständig erklären, [410] Geld für sie zu nehmen. Zieht man die übrigen sehr komplizierten Bedingungen in Betracht, von denen die Stellung der Frauen abhängt, so scheint es, als ob der eigentliche Geldkauf sie viel tiefer herabdrücke, als die Hingabe gegen Geschenke oder gegen persönliche Dienstleistungen des Werbers für die Eltern der Braut. In dem Geschenke steckt wegen der größeren Unbestimmtheit seines Wertes und der – selbst bei sozialer Konvention darüber – individuelleren Freiheit seiner Auswahl etwas Persönlicheres, als in der dahingegebenen Geldsumme mit ihrer unbarmherzigen Objektivität. Zudem baut das Geschenk die Brücke zu jener vorgeschritteneren und zur Mitgift überführenden Form, bei der die Geschenke des Werbers durch Geschenke seitens der Brauteltern erwidert werden. Damit ist prinzipiell die Unbedingtheit der Verfügung über die Frau gebrochen, denn der Wert, den der Mann angenommen hat, schließt eine gewisse Verpflichtung in sich; er ist jetzt nicht mehr der allein Vorleistende und ein Forderungsrecht liegt auch auf der anderen Seite. Es ist ferner behauptet worden, daß der Erwerb der Frauen durch Arbeitsleistungen eine höhere Eheform darstellt als die durch direkten Kauf. Es scheint indes, daß dieselbe die ältere und unkultiviertere sei, was freilich nicht hindern würde, daß sie mit einer besseren Behandlung der Frauen verbunden ist. Denn überhaupt hat gerade die vorgeschrittenere und geldmäßige Wirtschaft die Lage dieser wie der Schwächeren überhaupt vielfach verschlimmert. Unter den jetzigen Naturvölkern finden wir beide Formen manchmal bei einem und demselben nebeneinander. Diese letztere Tatsache beweist, daß ein wesentlicher Unterschied für die Behandlung der Frauen nicht besteht, wenngleich im großen und ganzen das Einsetzen eines so persönlichen Wertes, wie die Dienstleistung ist, den Erwerb der Frau doch in ganz anderer Weise über den eines Sklaven stellen muß, wie ihr Kauf für Geld oder substanziellen Geldeswert. Nun gilt auch hier das allenthalben Hervorzuhebende: daß die Herabdrückung und Entwürdigung menschlichen Wertes durch solches Erkauftwerden eine geringere wird, wenn die Kaufsummen sehr groß sind. Denn in sehr hohen Summen besitzt der Geldeswert eine Seltenheit, die ihn individueller, unverwechselbarer färbt und ihn dadurch zum Äquivalent personaler Werte geeigneter macht. Bei den Griechen der heroischen Zeit finden sich Geschenke des Bräutigams an den Vater der Braut – die freilich keinen eigentlichen Kauf darzustellen scheinen – während die Stellung der Frauen eine ganz besonders gute ist. Allein es wird hervorgehoben, daß diese Gaben relativ sehr erhebliche waren. So herabsetzend es wirkt, wenn entweder die Innerlichkeit oder die Totalität des Menschen gegen Geld eingesetzt [411] wird, so kann doch, wie spätere Beispiele noch stärker beweisen werden, eine ungewöhnliche Höhe der ins Spiel kommenden Summen eine Art Ausgleichung, insbesondere in Rücksicht der sozialen Stellung des Betreffenden, schaffen. So hören wir, daß Eduard II. und III. ihre Freunde als Geiseln für die Rückzahlung ihrer Schulden fortgaben und 1340 sollte sogar der Erzbischof von Canterbury als Pfand – nicht als Bürge – für die Schulden des Königs nach Brabant verschickt werden. Die Größe der Summen, um die es sich hier handelte, wehrte von vornherein die Deklassierung ab, die durch ein derartiges Einsetzen von Personen um Geld auf diese, wenn es sich um Lappalien gehandelt hätte, gefallen wäre.

Der Übergang von dem Prinzip der Kaufehe, das wohl bei der Mehrzahl der Völker irgendwann geherrscht hat, zu dem entgegengesetzten: dem Prinzip der Mitgift, ist wahrscheinlich, wie angedeutet, so zustande gekommen, daß die Gaben des Bräutigams seitens der Eltern an die Braut weiter gegeben wurden, der man damit eine gewisse ökonomische Selbständigkeit sichern wollte; die Ausstattung der Frau durch die Eltern blieb dann bestehen und entwickelte sich weiter, auch nachdem ihr Ursprung, die vom Manne gezahlte Kaufsumme, in Wegfall gekommen war. Es interessiert hier nicht, diese sehr ungenau bekannte Evolution zu verfolgen. Aber man kann doch wohl behaupten, daß die Verallgemeinerung der Mitgift mit der steigenden Geldwirtschaft beginnt. Das mag so zusammenhängen. In den roheren Zuständen, wo der Frauenkauf herrscht, ist die Frau nicht nur ein Arbeitstier – das ist sie meistenteils auch noch später – sondern ihre Arbeit ist noch nicht in dem spezifischen Sinne »häuslich«, wie die der Frau in der Geldwirtschaft, die wesentlich die Konsumtion des männlichen Erwerbes innerhalb des Hauses zu leiten hat. So weit ist in jenen Epochen die Arbeitsteilung noch nicht vorgeschritten, die Frau beteiligt sich unmittelbarer an der Produktion und stellt deshalb für ihren Besitzer einen viel greifbareren Wirtschaftlichen Wert dar als später. Noch aus ganz später Zeit wird dieser Zusammenhang gelegentlich bestärkt: während Macauley in der Verrichtung der hauptsächlichen Feldarbeit in Schottland durch Frauen einen barbarischen Tiefstand des weiblichen Geschlechts erblickte, ist gerade von einem genauen Kenner betont worden, daß dies ihnen einen gewissen Grad von Unabhängigkeit und Ansehen bei den Männern gebe. Dazu kommt, daß in primitiven Verhältnissen die Kinder direkten wirtschaftlichen Wert für den Vater besitzen, während sie in höheren oft eine wirtschaftliche Last sind. Der ursprüngliche Besitzer, der Vater oder der Stamm, hat keinen Grund, diesen Wert einem anderen ohne Entgelt zu überlassen. Auf dieser Stufe [412] erwirbt die Frau nicht nur ihren eigenen Unterhalte sondern der Mann kann ihren Kaufpreis aus ihrer Arbeit unmittelbar herausschlagen. Das ändert sich, sobald die Wirtschaft ihren familienhaften Charakter und der Konsum seine Beschränkung auf die Eigenproduktion verliert. Damit scheiden sich die ökonomischen Interessen, vom Hause aus betrachtet, in eine zentrifugale und eine zentripetale Richtung. Die Produktion für den Markt und die Hauswirtschaft beginnen ihre Gegensätze, durch das Geld ermöglicht, zu entfalten und damit die schärfere Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern einzuleiten. Aus sehr naheliegenden Ursachen fällt der Frau die nach innen, dem Manne die nach außen gewandte Tätigkeit zu, und die erstere wird mehr und mehr eine Verwaltung und Verwendung der Erträgnisse der letzteren. Damit verliert der wirtschaftliche Wert der Frau sozusagen seine Substanzialität und Sinnenfälligkeit, sie erscheint jetzt als die Unterhaltene, die von der Arbeit des Mannes lebt. Es fällt also nicht nur der Grund fort, einen Preis für sie zu fordern und zu bewilligen, sondern sie ist – wenigstens für die gröbere Betrachtungsweise – eine Last, die der Mann auf sich nimmt und die er zu versorgen hat. So ist das Fundament für die Mitgift geschaffen, die sich demzufolge immer umfassender ausbilden muß, je mehr die Tätigkeitssphären von Mann und Frau sich in dem angegebenen Sinne scheiden. Unter einem Volke wie den Juden, bei denen auf Grund eines unruhigeren Temperamentes und anderer Ursachen die Männer sehr beweglich und, als notwendiges Korrelat dazu, die Frauen strenger auf das Haus angewiesen waren, finden wir die Mitgift als gesetzliche Vorschrift sogar schon vor ausgebildeter Geldwirtschaft, die sonst ihrerseits auf das gleiche Resultat führt. Sie erst ermöglicht der Produktion jene objektive Technik, jene Ausbreitung, jenen Beziehungsreichtum und zugleich jene arbeitsteilige Einseitigkeit, durch welche der frühere Indifferenzzustand von häuslichen Interessen und Erwerbsinteressen gespalten und ein besonderer Träger für diese, ein besonderer für jene verlangt wird. Wer das eine und das andere sein soll, kann zwischen Mann und Frau nicht zweifelhaft sein; und ebensowenig, daß damit der Brautpreis, für den der Mann die Produktivkraft der Frau gekauft hat, der Mitgift Platz machen muß, die ihn für den Unterhalt der nicht produzierenden Frau entschädigt oder die der Frau eine Unabhängigkeit und Sicherheit neben dem erwerbenden Manne gewähren soll.

Durch diesen engen Zusammenhang, den die Mitgift bei der Geldwirtschaft mit der ganzen Konstitution des Ehelebens hat – sei es um den Mann, sei es um die Frau zu sichern – ist es verständlich, daß schließlich sowohl in Griechenland wie in Rom die Mitgift [413] zum Kennzeichen der legitimen Gattin wurde, in ihrem Gegensatz zur Konkubine, die keinen weiteren Anspruch an den Mann hat, so daß dieser weder für einen solchen entschädigt, noch sie selber finden Fall der Nichterfüllung desselben sichergestellt zu werden braucht. Und dies leitet zur Prostitution über, die die Bedeutung des Geldes für das Verhältnis der Geschlechter wieder in ein neues Licht stellt. Während alle gelegentlich des Eheschlusses erfolgenden Gaben des Mannes für die Frau oder an die Frau selbst so auch die Morgengabe und das pretium virginitatis – ebensogut als Natural- wie als Geldgeschenk auftreten können und auftreten, entspricht der unehelichen Hingabe, für die überhaupt ein Preis gezahlt wird, in der Regel die Geldform desselben. Nur die Transaktion um Geld trägt jenen Charakter einer ganz momentanen Beziehung, die keine Spuren hinterläßt, wie er der Prostitution eigen ist. Mit der Hingabe von Geld hat man sich vollständiger aus der Beziehung gelöst, sich radikaler mit ihr abgefunden, als mit der Hingabe irgendeines qualifizierten Gegenstandes, an dem durch seinen Inhalt, seine Wahl, seine Benützung leichter ein Hauch der gebenden Persönlichkeit haften bleibt. Der momentan aufgegipfelten und ebenso momentan verlöschenden Begierde, der die Prostitution dient, ist allein das Geldäquivalent angemessen, das zu nichts verbindet und prinzipiell in jedem Augenblick zur Hand ist und in jedem Augenblick willkommen ist. Für ein Verhältnis zwischen Menschen, das seinem Wesen nach auf Dauer und innere Wahrheit der verbindenden Kräfte angelegt ist – wie das wirkliche Liebesverhältnis, so schnell es auch abgebrochen werde – ist das Geld niemals der adäquate Mittler; für den käuflichen Genuß, der jede über den Augenblick und über den ausschließlich sinnlichen Trieb hinausgehende Beziehung ablehnt, leistet das Geld, das sich mit seiner Hingabe absolut von der Persönlichkeit löst und jede weitere Konsequenz am gründlichsten abschneidet, den sachlich und symbolisch vollkommensten Dienst – indem man mit Geld bezahlt hat, ist man mit jeder Sache am gründlichsten fertig, so gründlich, wie mit der Prostituierten nach erlangter Befriedigung. Dadurch, daß die Beziehung der Geschlechter innerhalb der Prostitution ganz unzweideutig auf den sinnlichen Akt beschränkt ist, wird sie auf ihren rein gattungsmäßigen Inhalt herabgesetzt; sie besteht in demjenigen, was jedes Exemplar der Gattung leisten und empfinden kann und worin sich die sonst entgegengesetztesten Persönlichkeiten. begegnen und alle individuellen Differenzen aufgehoben erscheinen. Das ökonomische Seitenstück für diese Art von Beziehungen ist deshalb das Geld, das gleichfalls, jenseits aller individuellen Bestimmtheit stehend, gleichsam den Gattungstypus der ökonomischen [414] Werte bedeutet, die Darstellung dessen, was allen einzelnen Werten gemein ist. So empfindet man auch umgekehrt am Wesen des Geldes selbst etwas vom Wesen der Prostitution. Die Indifferenz, in der es sich jeder Verwendung darbietet, die Treulosigkeit, mit der es sich von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem eigentlich verbunden war, die jede Herzensbeziehung ausschließende Sachlichkeit, die ihm als reinem Mittel eignet – alles dies stiftet eine verhängnisvolle Analogie zwischen ihm und der Prostitution. Wenn Kant als Moralgebot aufstellt, man solle niemals einen Menschen als bloßes Mittel gebrauchen, sondern ihn jederzeit zugleich als Zweck anerkennen und behandeln – so zeigt die Prostitution das absolut entgegengesetzte Verhalten, und zwar auf beiden beteiligten Seiten. So ist sie von allen Verhältnissen der Menschen untereinander vielleicht der prägnanteste Fall einer gegenseitigen Herabdrückung zum bloßen Mittel; und dies mag das stärkste und tiefste Moment sein, das sie in so enge historische Verbindung mit der Geldwirtschaft, der Wirtschaft mit »Mitteln« im striktesten Sinne, setzt.

Hierauf gründet es sich, daß die fürchterliche, in der Prostitution liegende Entwürdigung in ihrem Geldäquivalent den schärfsten Ausdruck findet. Sicherlich bezeichnet es den Tiefpunkt der Menschenwürde, wenn eine Frau das Intimste und Persönlichste, das nur aus einem ganz individuellen Impuls geopfert und nur mit der gleichen personalen Hingabe des Mannes – so sehr diese eine andere Bedeutung haben dürfte als die der Frau – aufgewogen werden sollte, gerade um einer so ganz unpersönlichen, rein äußerlich-sachlichen Vergeltung willen dahingibt. Wir empfinden hier die völligste und peinlichste Unangemessenheit zwischen Leistung und Gegenleistung; oder vielmehr, das eben ist die Erniedrigung durch die Prostitution, daß sie den persönlichsten und auf die größte Reserve angewiesenen Besitz der Frau so herabsetzt, daß der allerneutralste, allem Persönlichen fernste Wert als angemessenes Äquivalent für ihn empfunden wird. Diese Charakterisiertheit der Prostitution durch die Geldentlohnung trifft indes auf einige gegenteilige Überlegungen, die erörtert werden müssen, um jene Bedeutung des Geldes ganz scharf hervortreten zu lassen.

Der ganz personale, intim-individuelle Charakter, den die sexuelle Hingabe der Frau tragen soll, scheint mit der oben betonten Tatsache nicht recht übereinzustimmen, daß die bloß sinnliche Beziehung zwischen, den Geschlechtern rein generellen Wesens sei, daß in ihr, als dem absolut Allgemeinen, und uns sogar mit dem Tierreich Gemeinsamen, gerade alle Personalität und individuelle Innerlichkeit ausgelöscht wäre. Wenn die Männer so sehr geneigt sind, über die [415] Frauen »im Plural« zu sprechen, über sie in Bausch und Bogen und alle gleichsam in einen Topf werfend zu urteilen, so ist allerdings einer der Gründe dafür sicherlich auch der, daß dasjenige, was insbesondere die Männer von roherer Sinnlichkeit an den Frauen interessiert, eben dasselbe an der Schneiderin wie an der Prinzessin ist. So scheint es ausgeschlossen, gerade in dieser Funktion einen eigentlichen Persönlichkeitswert zu finden; alle anderen von ähnlicher Allgemeinheit: Essen und Trinken, die regulären physiologischen, ja psychologischen Tätigkeiten, der Trieb der Selbsterhaltung und die typisch-logischen Funktionen, werden niemals mit der Persönlichkeit als solcher in solidarische Verbindung gesetzt, niemals empfindet man, daß jemand gerade in der Ausübung oder Darbietung dessen, was ihm mit allen Anderen ununterscheidbar gemeinsam ist, sein Innerstes, Wesentliches, Umfassendstes äußere oder fortgebe. Dennoch liegt bei der geschlechtlichen Hingabe der Frau diese Anomalie unleugbar vor: dieser ganz generelle, für alle Schichten der Menschen gleichmäßige Akt wird tatsächlich – wenigstens für die Frau – zugleich als ein allerpersönlichster, ihr Innerliches einschließender empfunden. Dies kann verständlich werden, wenn man sich der Meinung anschließt, daß die Frauen überhaupt noch tiefer in den Gattungstypus eingesenkt sind als die Männer, von denen sich der Einzelne differenzierter und individualisierter aus jenem heraushebt. Daraus würde zunächst folgen, daß bei der Frau das Gattungsmäßige und das Persönliche eher zusammenfallen kann. Hängen die Frauen wirklich noch enger und tiefer als der Mann mit dem dunkeln Urgrund der Natur zusammen, so wurzelt ihr Wesentlichstes und Persönlichstes eben auch noch kräftiger in jenen natürlichsten, allgemeinsten, die Einheit der Art garantierenden Funktionen. Und es folgt weiter, daß jene Einheitlichkeit des weiblichen Geschlechts, die das, was allen gemeinsam ist, weniger scharf von dem, was jede für sich ist, unterscheidet – daß diese sich in der größeren Einheitlichkeit des Wesens jeder einzelnen Frau für sich spiegeln muß. Die Erfahrung scheint zu bestätigen, daß die einzelnen Kräfte, Qualitäten, Impulse der Frau psychologisch unmittelbarer und enger zusammenhängen, als beim Manne, dessen Wesensseiten selbständiger ausgebildet sind, so daß Entwicklung und Schicksal jeder einzelnen von dem jeder anderen relativ unabhängig sind. Das Wesen der Frau aber lebt – so kann man wenigstens die allgemeine Meinung über sie zusammenfassen – viel mehr unter dem Zeichen des Alles oder Nichts, ihre Neigungen und Betätigungen stehen in engeren Assoziationen, und es gelingt leichter bei ihnen als bei Männern, die Gesamtheit des Wesens mit allen seinen Gefühlen, [416] Wollungen, Gedanken von einem Punkte aus aufzuregen. Wenn sich dies so verhält, so liegt eine gewisse Berechtigung in der Voraussetzung, daß die Frau mit dieser einen zentralen Funktion, mit der Hingabe dieses einen Teiles ihres Ich, wirklich ihre ganze Person vollständiger und unreservierter dahingegeben habe, als der differenziertere Mann es bei der gleichen Gelegenheit tut. Schon auf harmloseren Stufen des Verhältnisses zwischen Mann und Frau macht sich dieser Unterschied seiner Bedeutung für beide geltend; sogar Naturvölker normieren die Bußen, welche der Bräutigam, bzw. die Braut bei einseitiger Aufhebung des Verlöbnisses zu zahlen haben, für beide verschieden, und zwar so, daß z.B. bei den Bakaks diese fünf Gulden, jener aber zehn zu zahlen hat, bei den Bewohnern von Bengkulen der kontraktbrüchige Bräutigam vierzig, die Braut nur zehn Gulden. Die Bedeutung und die Folgen, welche die Gesellschaft an die sinnliche Beziehung zwischen Mann und Weib knüpft, stehen dementsprechend auch unter der Voraussetzung, daß die Frau ihr ganzes Ich, mit der Gesamtheit seiner Werte, jener dagegen nur einen Teil seiner Persönlichkeit in den Tausch gegeben habe. Sie spricht deshalb einem Mädchen, das sich einmal vergangen hat, die »Ehre« schlechthin ab, sie verurteilt den Ehebruch der Frau viel härter als den des Mannes, von dem man anzunehmen scheint, daß sich eine gelegentliche, rein sinnliche Extravaganz noch mit der Treue gegen seine Frau in allem Innerlichen und Wesentlichen wenigstens vertragen könne, sie deklassiert die Prostituierte ganz unrettbar, während der schlimmste Wüstling sich noch immer gleichsam an den übrigen Seiten seiner Persönlichkeit aus dem Sumpfe herausziehen und jegliche soziale Stellung erobern kann. In den rein sinnlichen Akt also, um den es sich bei der Prostitution handelt, setzt der Mann nur ein Minimum seines Ich, die Frau aber ein Maximum ein – freilich nicht in dem einzelnen Fall, wohl aber in allen Fällen zusammengenommen; ein Verhältnis, aus dem sowohl das Zuhältertum wie die als häufig angegebenen Fälle der lesbischen Liebe unter den Prostituierten verständlich werden: weil die Prostituierte aus ihren Beziehungen zu Männern, in welche diese niemals als wirkliche und ganze, Menschen eintreten, eine fürchterliche Leere und Unbefriedigtheit davontragen muß, sucht sie eine Ergänzung durch jene Verhältnisse, an denen doch wenigstens noch einige sonstige Seiten des Menschen beteiligt sind. Weder der Gedanke also, daß der Geschlechtsakt etwas Generelles und Unpersönliches wäre, noch die Tatsache, daß der Mann an demselben, äußerlich betrachtet, ebenso beteiligt ist wie die Frau, kann das behauptete Verhältnis umstoßen: daß der Einsatz der Frau ein unendlich persönlicherer, wesentlicherer, [417] das Ich umfassenderer ist, als der des Mannes, und daß das Geldäquivalent dafür also das denkbar Ungeeignetste und Unangemessenste ist, dessen Geben und Annehmen die tiefste Herabdrückung der Persönlichkeit der Frau bedeutet. – Das Entwürdigende der Prostitution für die Frau liegt an und für sich noch nicht in ihrem polyandrischen Charakter, noch nicht darin, daß sie sich vielen Männern hingibt; eigentliche Polyandrie verschafft sogar der Frau oft ein entschiedenes Übergewicht, z.B. bei der relativ hochstehenden Gruppe der Nairs in Indien. Allein das hier Wesentliche ist nicht, daß die Prostitution Polyandrie, sondern daß sie Polygynie bedeutet. Diese eben setzt allenthalben den Eigenwert der Frau unvergleichlich herab: sie verliert den Seltenheitswert. Äußerlich angesehen, vereinigt die Prostitution ja polyandrische mit polygynischen Verhältnissen. Allein der Vorsprung, den allenthalben derjenige, der das Geld gibt, vor demjenigen hat, der die Ware gibt, bewirkt es, daß nur die letzteren, die dem Manne ein ungeheures Übergewicht verleihen, der Prostitution den Charakter bestimmen. Auch in Verhältnissen, die mit Prostitution nicht das geringste zu tun haben, pflegen Frauen es als peinlich und entwürdigend zu finden, Geld von ihren Liebhabern anzunehmen, während dieses Gefühl sich oft auf gegenständliche Geschenke nicht erstreckt; wogegen es ihnen selbst Vergnügen und Genugtuung ist, jenen ihrerseits Geld zu geben; man sagte von Marlborough, der Grund seiner Erfolge bei Frauen sei gewesen, daß er Geld von ihnen angenommen habe. Die eben hervorgehobene Überlegenheit dessen, der das Geld gibt, über den, der es nimmt, eine Überlegenheit, die sich im Falle der Prostitution zu dem fürchterlichsten sozialen Abstand erweitert, bereitet in diesem umgekehrten Falle der Frau die Genugtuung, denjenigen von sich abhängig zu sehen, zu dem sie sonst aufzublicken gewohnt ist.

Nun aber begegnet uns die auffällige Tatsache, daß in vielen primitiveren Kulturen die Prostitution gar nicht als entwürdigend oder deklassierend empfunden wird. Es wird ebenso aus dem alten Asien berichtet, daß sich die Mädchen aller Klassen prostituieren, um eine Aussteuer oder eine Darbringung an den Tempelschatz zu erwerben, wie wir jetzt von gewissen Negerstämmen dieselbe Sitte um des ersteren Zweckes willen hören. Die Mädchen, zu denen in diesem Falle oft auch die Fürstentöchter gehören, verlieren weder in der öffentlichen Achtung, noch wird ihr späteres eheliches Leben dadurch in irgendeiner Weise präjudiziert. Dieser tiefe Unterschied gegen unsere Empfindungsweise bedeutet, daß die beiden Faktoren: weibliche Sexualehre und Geld – in prinzipiell verschiedenen Verhältnissen stehen müssen. Markiert sich die Stellung der Prostitution [418] bei uns an dem unüberbrückbaren Abstand, der völligen Inkommensurabilität zwischen jenen beiden Werten, so müssen dieselben in Verhältnissen, die eine ganz andere Ansicht von der Prostitution zeitigen, näher aneinander gerückt sein. Dies entspricht den Resultaten, in denen die Entwicklung des Wergeldes, der Geldbuße für die Tötung eines Menschen, geführt hat. Die steigende Wertung der Menschenseele und die sinkende Wertung des Geldes begegneten sich, um das Wergeld unmöglich zu machen. Ebenderselbe Kulturprozeß der Differenzierung, der dem Individuum eine besondere Betonung, eine relative Unvergleichbarkeit und Unaufwiegbarkeit verschafft, macht das Geld zum Maßstab und Äquivalent so entgegengesetzter Objekte, daß seine dadurch entstehende Indifferenz und Objektivität es zum Ausgleich personaler Werte immer ungeeigneter erscheinen läßt. Jene Unverhältnismäßigkeit zwischen Ware und Preis, die der Prostitution in unserer Kultur ihren Charakter gibt, besteht in niederen noch nicht im gleichen Maße. Wenn Reisende von sehr vielen rohen Stämmen berichten, daß die Frauen eine auffallende körperliche, oft auch geistige Ähnlichkeit mit den Männern zeigen, so fehlt ihnen eben jene Differenzierung, die der höher kultivierten Frau und ihrer Sexualehre selbst dann einen nicht mit Geld aufzuwiegenden Wert verleiht, wenn sie im Vergleich mit den Männern desselben Kreises als weniger differenziert und tiefer im Gattungstypus wurzelnd erscheint. Die Beurteilung der Prostitution zeigt so genau dieselbe Entwicklung, die man an der Kirchenbuße und am Blutgeld beobachten kann: die Totalität des Menschen wie seine inneren Werte sind in primitiven Epochen relativ unindividuellen Charakters, das Geld dagegen wegen seiner Seltenheit und geringen Verwendung relativ individueller. Indem die Entwicklung beides auseinandertreibt, macht sie das Aufwiegen des einen durch das andere entweder unmöglich oder, wo es doch weiterbesteht, wie in der Prostitution, führt es zu einer furchtbaren Herabdrückung des Persönlichkeitswertes. -

Von dem weiten Komplex von Erwägungen über die »Geldheirat«, die sich dem anschließen, scheinen mir die drei folgenden für die hier behandelte Bedeutungsentwicklung des Geldes wichtig. Heiraten, bei denen die ökonomischen Motive die allein wesentlichen sind, hat es nicht nur zu jeder Zeit und auf jeder Kulturstufe gegeben, sondern sie sind gerade in primitiveren Gruppen und Verhältnissen ganz besonders häufig, so daß sie in solchen keinerlei Anstoß zu erregen pflegen. Die Herabsetzung der persönlichen Würde, die heute mit jeder nicht aus individueller Neigung geschlossenen Ehe gegeben ist – so daß die schamhafte Verhüllung des ökonomischen Motives [419] als Anstandspflicht erscheint – wird in jenen einfacheren Kulturverhältnissen nicht empfunden. Der Grund dieser Entwicklung ist, daß die steigende Individualisierung es immer widerspruchsvoller und unwürdiger macht, rein individuelle Verhältnisse aus anderen als rein individuellen Gründen einzugehen; denn unter den sozialen Momenten der Ehe steht heute nicht mehr die Personenwahl (außer soweit sich der Gedanke der Nachkommenschaft als ein solches zeigen wird), diese vielmehr gehört ihrer bloß individuellen, nach innen gerichteten Seite an, soweit die Gesellschaft nicht etwa auf Standesgleichheit der Gatten hält – was immerhin eine große Latitude gibt und nur selten zu Konflikten zwischen dem individuellen und dem sozialen Interesse zu führen pflegt. In einer Gesellschaft mit relativ undifferenzierten Elementen mag es ebenso relativ gleichgültig sein, welches Paar sich zusammentut – gleichgültig nicht nur für das Zusammenleben der Gatten selbst, sondern auch für die Nachkommenschaft: denn wo im ganzen die Konstitutionen, der Gesundheitszustand, das Temperament, die inneren und äußeren Lebensformen und -richtungen in der Gruppe übereinstimmen, da wird das Geraten der Nachkommenschaft nicht von einer so diffizilen Auswahl des zueinander passenden und einander ergänzenden Elternpaares abhängen, wie in einer hoch differenzierten Gesellschaft. Deshalb ist es in jener durchaus natürlich und zweckmäßig, die Ehewahl noch durch andere Gründe, als solche rein individueller Herzensneigung bestimmen zu lassen. Wohl aber sollten solche in einer stark individualisierten Gesellschaft den Ausschlag geben, in der das Zueinanderpassen je zweier Individuen immer seltener wird: die abnehmende Heiratsfrequenz, die sich allenthalben in sehr verfeinerten Kulturverhältnissen findet, ist sicher teilweise dadurch veranlaßt, daß äußerst differenzierte Menschen überhaupt schwer die völlig sympathische Ergänzung ihrer selbst finden. Nun aber besitzen wir für diese absolut kein anderes Kriterium und Zeichen als die gegenseitige instinktive Zuneigung. Da das bloß persönliche Glück ein Interesse ist, das schließlich die Ehegatten mit sich allein auszumachen haben, so wäre zu jener streng durchgeführten offiziellen Erheuchelung des erotischen Motives keine zwingende Veranlassung, wenn die jetzige Gesellschaft nicht wegen des Geratens der Nachkommenschaft eigentlich auf der Alleinherrschaft dieses Motives bestehen müßte. Denn so häufig dasselbe auch täuschen mag – und zwar besonders in höheren Verhältnissen, deren Komplikationen gerade die reinsten Instinkte sich oft nicht gewachsen zeigen – und so sehr ein gedeihlicher Ausgang noch anderweitige Bedingungen dazu erfordert, so ist es in seinem Erfolge für die Züchtung jedenfalls dem durch den [420] Geldbesitz gegebenen Auswahlmomente unendlich überlegen, ja ihm gegenüber das schlechthin und einzig richtige. Die Geldheirat schafft direkt den Zustand der Panmixie – der auswahllosen, ohne Rücksicht auf die individuellen Qualitäten stattfindenden Paarung –, den die Biologie als die Veranlassung der unmittelbarsten und verderblichsten Entartung der Gattungen nachgewiesen hat. In der Geldheirat wird die Vereinigung des Paares durch ein Moment bestimmt, das mit der Rassenzweckmäßigkeit absolut nichts zu tun hat – gerade wie die Rücksicht auf Geld auch die eigentlich zusammengehörigen Paare oft genug auseinander hält –, und man muß sie in demselben Maße als ein Degenerationsmoment betrachten, in dein die entschiedenere Differenziertheit der Individuen gerade die Auswahl nach individuellem Zusammenpassen immer wichtiger macht. Es ist also auch in diesem Fall nichts anderes, als die gestiegene Individualisiertheit innerhalb der Gesellschaft, die das Geld zu einem immer ungeeigneteren Vermittler rein individueller Beziehungen macht.

Zweitens. Es wiederholt sich hier, in sehr veränderter Form, die Beobachtung über die Prostitution: daß sie zwar ebenso Polyandrie wie Polygynie ist, daß aber durch die soziale Übermacht des Mannes ausschließlich die Folgen des polygynischen, also die Frau deklassierenden Momentes in ihr wirksam werden. Es scheint nämlich, als müßte die Geldheirat als eine chronische Prostituierung, den durch das Geld bewogenen Teil, ob das nun der Mann oder die Frau ist, immer gleichmäßig innerlich entwürdigen. Allein normalerweise ist das nicht der Fall. Indem die Frau sich verheiratet, gibt sie allermeistens in dieses Verhältnis die Gesamtheit ihrer Interessen und Energien hin, sie setzt ihre Persönlichkeit, Zentrum und Peripherie, restlos ein; während nicht nur die Sitte auch dem verheirateten Manne eine viel größere Bewegungsfreiheit einräumt, sondern er den wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit, den der Beruf okkupiert, von vornherein nicht in die eheliche Beziehung hineingibt. Wie das Verhältnis der Geschlechter in unserer Kultur nun einmal liegt, verkauft der Mann, der um des Geldes willen heiratet, nicht so viel von sich, wie die Frau, die es aus demselben Grunde tut. Da sie mehr dem Manne gehört als er ihr, so ist es für sie verhängnisvoller, ohne Liebe in die Ehe zu treten. Ich möchte deshalb glauben – hier muß die psychologische Konstruktion an die Stelle hinreichender Empirie treten – daß die Geldheirat ihre tragischsten Folgen im wesentlichen, und. besonders, wenn feinere Naturen in Frage kommen, da entwickelt, wo die Frau die gekaufte ist. Hier wie in sehr vielen anderen Fällen zeigt es sich als die Eigentümlichkeit der durch Geld gestifteten [421] Beziehungen, daß ein eventuelles Übergewicht der einen Partei zu seiner gründlichsten Ausnutzung, ja Steigerung neigt. Von vornherein ist dies freilich die Tendenz jeglichen Verhältnisses dieser Art. Die Stellung des primus inter pares wird sehr leicht die eines primus schlechthin, der einmal gewonnene Vorsprung, auf welchem Gebiete immer, bildet die Stufe zu einem weiteren, den Abstand steigernden, der Gewinn begünstigter Sonderstellungen ist oft um so leichter, je höher man schon steht; kurz. Überlegenheitsverhältnisse pflegen sich in wachsenden Proportionen zu entwickeln, und die »Akkumulation des Kapitals« als eines Machtmittels ist nur ein einzelner Fall einer sehr umfassenden Norm, die auch auf allen möglichen, nicht-ökonomischen Machtgebieten gilt. Nun enthalten diese aber vielfach gewisse Kautelen und Gegengewichte, welche jener lawinenhaften Entwicklung der Überlegenheiten Schranken setzen; so die Sitte, die Pietät, das Recht, die mit der inneren Natur der Interessengebiete gegebenen Grenzen für die Expansion der Macht. Das Geld aber, mit seiner unbedingten Nachgiebigkeit und Qualitätlosigkeit, ist am wenigsten geeignet, einer solchen Tendenz Einhalt zu tun. Wo ein Verhältnis, in dem Übergewicht und Vorteil von vornherein auf der einen Seite? ist, von einem Geldinteresse ausgeht, wird es deshalb unter übrigens gleichen Umständen sich viel weitgehender, radikaler, einschneidender in seiner Richtung weiterentfalten können, als wenn andere Motive, sachlich bestimmter und bestimmender Art, ihm zugrunde liegen.

Drittens. Der Charakter der Geldheirat tritt sehr deutlich gelegentlich einer ganz partikularen Erscheinung: der Heiratsannonce, hervor. Daß die Heiratsan nonce eine so sehr geringe und auf die mittlere Gesellschaftsschicht beschränkte Anwendung findet, könnte verwunderlich und bedauerlich erscheinen. Denn bei aller hervorgehobenen Individualisierung der modernen Persönlichkeiten und der daraus hervorgehenden Schwierigkeit der Gattenwahl gibt es doch wohl noch für jeden noch so differenzierten Menschen einen entsprechenden des anderen Geschlechtes, mit dem er sich ergänzt, an dem er den »richtigen« Gatten fände. Die ganze Schwierigkeit liegt nur darin, daß die so gleichsam für einander Prädestinierten sich zusammenfinden. Die Sinnlosigkeit von Menschenschicksalen kann sich nicht tragischer zeigen, als in der Ehelosigkeit oder den unglücklichen Ehen zweier einander fremder Menschen, die sich nur hätten kennen zu lernen brauchen, um aneinander jedes mögliche Glück zu gewinnen. Kein Zweifel, daß die vollendete Ausbildung der Heiratsannonce das blinde Geratewohl dieser Verhältnisse rationalisieren könnte, wie die Annonce überhaupt dadurch einer der größten [422] Kulturträger ist, daß sie dem Einzelnen eine unendlich höhere Chance adäquater Bedürfnisbefriedigung verschafft, als wenn er auf die Zufälligkeit des direkten Auffindens der Objekte angewiesen wäre. Gerade die gesteigerte Individualisierung der Bedürfnisse macht die Annonce, als Erweiterung des Kreises von Angeboten, durchaus erforderlich. Wenn dennoch gerade in den Schichten der differenzierteren Persönlichkeiten, die prinzipiell am meisten auf die Heiratsannonce angewiesen scheinen, dieselbe gar nicht in Frage kommt, so muß diese Perhorreszierung einen ganz positiven Grund haben. Verfolgt man nun die tatsächlich erscheinenden Heiratsannoncen, so sieht man, daß darin die Vermögensverhältnisse der Suchenden oder Gesuchten den eigentlichen, wenn auch manchmal verhüllten Zentralpunkt des Interesses bilden. Und das ist sehr begreiflich. Alle ändern Qualitäten der Persönlichkeit nämlich lassen sich in einer Annonce nicht mit irgendwelcher genauen oder überzeugenden Bestimmtheit angeben. Weder die äußere Erscheinung, noch der Charakter, weder das Maß von Liebenswürdigkeit, noch von Intellekt können leicht so beschrieben werden, daß ein unzweideutiges und das individuelle Interesse erregendes Bild entsteht. Das Einzige, was in allen Fällen mit völliger Sicherheit bezeichnet werden kann, ist der Geldbesitz der Personen, und es ist ein unvermeidlicher Zug des menschlichen Vorstellens, unter mehreren Bestimmungen eines Objektes diejenige, welche mit der größten Genauigkeit und Bestimmtheit anzugeben oder zu erkennen ist, auch für die sachlich erste und wesentlichste gelten zu lassen. Dieser eigentümliche, sozusagen methodologische Vorzug des Geldbesitzes macht die Heiratsannonce gerade für diejenigen Stände, welche ihrer eigentlich am dringendsten bedürften, dadurch unmöglich, daß er ihr das Eingeständnis des bloßen Geldinteresses aufprägt.

Es macht sich übrigens für die Prostitution auch die Erscheinung geltend, daß das Geld über eine gewisse Quantität hinaus seine Würdelosigkeit und Unfähigkeit, individuelle Werte aufzuwiegen, verliert. Der Abscheu, den die moderne »gute« Gesellschaft vor der Prostituierten hegt, ist um so entschiedener, je elender und ärmlicher diese ist, und mindert sich mit der Höhe des Preises, um welchen sie sich verkauft, bis sie schließlich die Schauspielerin, von der jedermann weiß, daß sie von einem Millionär ausgehalten wird, oft genug in ihre Salons aufnimmt; während ein solches Frauenzimmer vielleicht viel blutsaugerischer, betrügerischer, innerlich verkommener ist, als manche Straßendirne. Hierzu wirkt schon die allgemeine Tatsache, daß man die großen Diebe laufen läßt und die kleinen hängt, und daß der große Erfolg als solcher, relativ unabhängig von seinem [423] Gebiet und Inhalt, einen gewissen Respekt erzeugt. Allein das Wesentliche und der tiefere Grund ist doch, daß der Verkaufspreis durch seine exorbitante Höhe dem Verkaufsobjekte die Herabdrückung erspart, die ihm sonst die Tatsache des Verkauftwerdens überhaupt bereitet. Zola spricht in einer seiner Schilderungen aus dem zweiten Kaiserreich von der Frau eines hochgestellten Mannes, die bekanntermaßen für 100-200000 Francs zu haben war. Er erzählt in dieser Episode, der sicher eine historische Tatsache zugrunde liegt, daß diese Frau nicht nur selbst in den vornehmsten Kreisen verkehrte, sondern daß es ein besonderes Renommee in der »Gesellschaft« verschafft habe, als ihr Geliebter bekannt zu sein. Die Kurtisane, die sich für einen sehr hohen Preis verkauft, erhält damit »Seltenheitswert« – denn nicht nur werden die Dinge hoch bezahlt, die Seltenheitswert besitzen, sondern auch umgekehrt erhalten ihn diejenigen Objekte, die aus irgendeinem sonstigen Grunde, sei es auch nur aus einer Laune der Mode, einen hohen Preis erzielen. Wie viele andere Gegenstände, ist auch die Gunst mancher Kurtisane nur deshalb sehr geschätzt und von vielen gesucht worden, weil sie den Mut hatte, ganz ungewöhnliche Preise zu fordern. Von einer entsprechenden Grundlage muß die englische Rechtsprechung ausgehen, wenn sie dem Ehemann einer verführten Frau eine Geldentschädigung zuspricht. Es gibt nichts, was unserem Gefühl mehr widerspräche, als dieses Verfahren, das den Ehemann zum Zuhälter seiner Frau herabdrückt. Allein diese Bußen sind außerordentlich hoch; ich weiß von einem Fall, in dem die Frau mit mehreren Männern Verhältnisse angeknüpft hatte, und jeder derselben zu einer Entschädigung von 50000 Mark an den Ehemann verurteilt wurde. Es scheint, daß man auch hier durch die Höhe der Summe die Niedrigkeit des Prinzips, einen derartigen Wert überhaupt durch Geld aufwiegen zu lassen, ausgleichen, ja daß man in sehr naiver Weise durch die Höhe der Summe gerade den Respekt vor dem Ehemann, je nach seiner sozialen Stellung, ausdrücken wollte: wenigstens wirft der Verfasser der Juniusbriefe einem Richter heftig vor, daß er in einem solchen Prozeß, der einen Prinzen und eine Lordsgemahlin betraf, bei der Entschädigung den Rang des verletzten Gemahls ganz außer acht gelassen habe! –

Dieser Gesichtspunkt zeigt seine Bedeutung am auffälligsten bei dem »Kauf« eines Menschen im sprachgebräuchlichsten Sinn dieses Wortes: bei der Bestechung. Zu der Erörterung derselben, in ihrer spezifisch geldmäßigen Form, gehe ich jetzt über. Schon der Diebstahl oder der Betrug um kleine Summen ist, nach der herrschenden sozialen Moral, um vieles verächtlicher als der Diebstahl großer. [424] Das hat in gewissem Sinne seine Berechtigung, nämlich wenn es sich um Personen in relativ guter ökonomischer Lage handelt. Dann schließt man nämlich, daß die Seele, die nicht einmal einer so kleinen Versuchung widerstehen kann, eine besonders elende und schwache sein muß, während einer sehr erheblichen zu unterliegen, immerhin auch einer stärkeren begegnen möchte! Entsprechend gilt das Bestochenwerden – der Verkauf der Pflicht oder der Überzeugung – als um so gemeiner, durch eine je kleinere Summe es geschieht. So wird die Bestechung tatsächlich als ein Kauf der Persönlichkeit empfunden, die danach rangiert, ob sie überhaupt »unbezahlbar« ist, ob sie teuer oder ob sie billig fortgegeben wird. Die soziale Schätzung erscheint hier in ihrer Richtigkeit dadurch garantiert, daß sie nur der Reflex der Eigenschätzung des Subjektes ist. Aus dieser Beziehung der Bestechung zur ganzen Persönlichkeit stammt jene eigentümliche Würde, die der Bestechliche zu bewahren oder wenigstens zu markieren pflegt, und die entweder als Unzugänglichkeit für kleine Summen auftritt, oder, wo nicht einmal diese besteht, als eine gewisse Grandezza, eine Strenge und Überlegenheit des Benehmens, die den Geber in die Rolle eines Empfangenden herabzudrücken scheint. Dieses äußere Gebaren soll die Persönlichkeit als eine unangreifbare, in ihrem Werte gefestete darstellen, und so sehr es eine Komödie ist, wirft es doch, insbesondere da die andere Partei wie durch eine stillschweigende Konvention darauf einzutreten pflegt, einen gewissen Reflex nach innen und schützt den Bestechlichen vor jener Selbstvernichtung und Selbstentwertung, die dem Einsatz seines Persönlichkeitswertes für eine Geldsumme sonst folgen müßte. Bei den alten Juden und jetzt noch oft im Orient findet Kauf und Verkauf unter der Höflichkeitsformel statt, daß der Käufer den Gegenstand als Geschenk annehmen möge. Also sogar bei 60 legitimen Transaktionen scheint es, als ob die eigentümliche Würde des Orientalen auf ein Verstecken des eigentlichen Geldinteresses hinwirkte.

Das derartige Verhalten des Bestechlichen und die ganze Tatsache der Bestechlichkeit überhaupt wird durch nichts so erleichtert und ausgedehnt, als durch die Geldform derselben. Ganz prinzipiell ermöglicht das Geld eine Heimlichkeit, Unsichtbarkeit, Lautlosigkeit des Besitzwechsels, wie keine andere Wertform. Seine Komprimierbarkeit gestattet, mit einem Stück Papier, das man in die Hand jemandes gleiten läßt, ihn zum reichen Manne zu machen; seine Formlosigkeit und Abstraktheit gestattet, es in den mannigfaltigsten und entferntesten Werten anzulegen und es dadurch dem Auge der nächsten Umgebung ganz zu entziehen; seine Anonymität und Farblosigkeit macht die Quelle unerkennbar, aus der es dem jetzigen Besitzer [425] geflossen ist: es trägt kein Ursprungszeugnis an sich, wie, klarer oder verhüllter, so viele konkrete Besitzgegenstände es tun. Während die Ausdrückbarkeit aller Werte in Geld dem Wirtschaftenden selbst die klarste und unverhüllteste Einsicht in den Stand seines Besitzes ermöglicht, erlaubt sie Anderen gegenüber eine Verstocktheit und Unkenntlichkeit des Besitzes und der Transaktionen, wie die Formen des extensiven Eigentums sie niemals zuließen. Die Versteckbarkeit des Geldes ist das Symptom oder die extreme Ausgestaltung seiner Beziehung zum Privatbesitz. Dadurch, daß man es von allen Gütern am meisten dem Anderen unsichtbar und wie nicht vorhanden machen kann, nähert es sich dem geistigen Besitz; und wie dessen privater, sozusagen solipsisäscher Charakter mit dem Schweigen-Können beginnt und zugleich sich vollendet, so findet das Private, Individualistische des Geldwesens seinen vollkommenen Ausdruck an jener Möglichkeit des Verheimlichens. Darin liegt nun freilich eine große Gefahr für diejenigen, welche Ansprüche und Interessen an einer Wirtschaftsführung haben, ohne sie selbst und unmittelbar kontrollieren oder beeinflussen zu können. Wenn die modernen Rechte die Öffentlichkeit für die Finanzgebarungen der Staaten wie der Aktiengesellschaften vorschreiben, so haben die Gefahren, die man so vermeiden will, einen ihrer wesentlichen Quellpunkte in der Geldform des Wirtschaftens, in der ihr eigenen Leichtigkeit des Verheimlichens, des irreführenden Ansatzes, der illegitimen Verwendung – Bedenklichkeiten für alle Außenstehenden, aber daran Interessierten, die nur durch prinzipielle Offenheit der Geschäftsführung einigermaßen zu paralysieren sind. Innerhalb und vermittels der Geldverhältnisse offenbart sich so eine allgemeine kulturelle Differenzierung: das öffentliche wird immer öffentlicher, das Private immer privater. Früheren und engeren Kreisen liegt diese Sonderling ferner; in ihnen können sich die privaten Verhältnisse des Einzelnen nicht so verbergen, sich nicht so gegen das Hineinsehen und Sich-Einmischen Anderer schützen, wie der Stil des modernen Lebens es gestattet, andrerseits ist in solchen Kreisen den Trägern der öffentlichen Interessen eine mystische Autorität und Verschleierung eher und zweckmäßigererweise eigen als in weiten Kreisen, wo ihnen schon durch die Ausdehnung ihres Herrschaftsbezirkes, durch die Objektivität ihrer Technik, durch ihre Distanz von jeder Einzelperson die Kraft und Würde zuwächst, die sie die Öffentlichkeit ihres Gebarens vertragen läßt. So verlieren die Politik, die Verwaltung, das Gericht in demselben Maße ihre Heimlichkeit und Unzugänglichkeit, in dem das Individuum die Möglichkeit immer vollständigeren Sich-Zurückziehens und Abschlusses seiner Privatangelegenheiten gegen alle [426] Draußenstehenden gewinnt; man braucht nur die englische Geschichte mit der deutschen zu vergleichen, oder die Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte in großen Zügen zu durchlaufen, um diese Korrelation zu erkennen. Ja, auch auf religiösem Gebiet ist dieser Differenzierungsprozeß, und zwar durch die Reformation, hervorgetreten. Während die katholische Kirche ihre Autorität in eine mystische, in absoluter Höhe über dem Gläubigen thronende Form hüllt, die diesem jedes Fragen, jede Kritik, jede Mitwirkung verweigert, gestattet sie ihm doch seinerseits kein ungestörtes religiöses Fürsichsein, sondern macht sich zur Mitwisserin und überall eingreifenden Instanz seiner religiösen Verhältnisse. Die Reformation nun gab der kirchlichen Organisation umgekehrt Öffentlichkeit, Zugängigkeit, Kontrollierbarkeit und lehnte prinzipiell alle Verschleierung und Verbarrikadierung vor den Augen des einzelnen Gläubigen ab. Dieser hingegen gewann zugleich eine viel ungestörtere Freiheit der religiösen Innerlichkeit, sein Verhältnis zu seinem Gott wurde ein privates, das er nur mit sich selbst auszumachen hatte.

Und nun kommen wir von der Privatheit und Heimlichkeit, die den ökonomischen Verhältnissen, in Übereinstimmung mit den allgemeinen Kulturtendenzen, durch die Geldwirtschaft zu eigen wird, zu dem Verkauf des Menschen: der Bestechung zurück, welche in der Geldwirtschaft, eben durch jene Eigenschaften derselben, ihre höchste Ausbildung erlangt. Eine Bestechung durch ein Stück Land oder eine Viehherde ist nicht nur vor den Augen der Umgebung nicht zu verheimlichen, sondern auch der Bestochene selbst kann sich nicht so scheinbar ignorierend, als ob gar nichts geschehen wäre, dagegen verhalten, wie die oben charakterisierte repräsentative Würde der Bestechlichkeit es mit sich bringt. Mit Geld dagegen kann man jemanden sozusagen hinter seinem eigenen Rücken bestechen, er braucht sich nichts davon wissen zu machen, weil es ihm eben nicht spezifisch und persönlich anhaftet. Die Heimlichkeit, die ungestörte Repräsentation, die Intaktheit aller sonstigen Lebensbeziehungen kann bei der Bestechung durch Geld noch vollständiger bestehen, als selbst bei der Bestechung durch Frauengunst. Denn so völlig und restlos diese sich in ihrem Momente erschöpfen mag, so daß, äußerlich betrachtet, von ihr noch weniger, als von einem Geldgeschenk, an der Persönlichkeit haften bleibt – so ist diese Spurlosigkeit doch insbesondere nach der Seite der inneren Konsequenzen nicht dieselbe wie bei der Bestechung durch Geld; denn das Bezeichnende für diese ist, daß mit dem gegebenen und genommenen Geld insoweit jegliche Beziehung zwischen den handelnden Personen zu Ende ist, während in [427] jenem Fall an die Stelle der momentanen Gefühlserregung viel eher Aversion, Reue oder Haß als bloße Gleichgültigkeit zu treten pflegt. Solcher Vorteil der Geldbestechung wird freilich naturgemäß dadurch aufgewogen, daß, wenn die Verheimlichung nicht gelingt, sie die stärkste Deklassierung des Betreffenden mit sich bringt. Auch hier ist die Parallele mit dem Diebstahl bezeichnend. Dienstboten stehlen sehr viel seltener, d.h. nur bei sehr viel größerer moralischer Verkommenheit, Geld, als Eßwaren oder eine sonstige Kleinigkeit. Die Erfahrungen an manchen zeigen, daß sie davor zurückschrecken, denselben Wert in Geld zu stehlen, den sie sich als eine Flasche Wein oder weiblichen Putzgegenstand mit ziemlich ruhigem Gewissen aneignen. Von dem ganz entsprechenden Standpunkt aus läßt unser Strafgesetzbuch die Entwendung geringer Mengen von Eß- und Genußwaren zum alsbaldigen Verbrauch nur als eine ganz leichte Übertretung gelten, während es den Diebstahl der gleichwertigen Geldsumme unter Umständen recht streng ahndet. Es wird offenbar vorausgesetzt, daß bei einem momentanen Bedürfnis die Aneignungsmöglichkeit seines unmittelbaren Gegenstandes einen so stärken Anreiz bildet, daß ihm zu unterliegen etwas allzu Menschliches ist, um hart bestraft zu werden. Je entfernter das Objekt von dieser unmittelbaren Funktion ist, auf einem je längeren Umweg erst es das Bedürfnis befriedigen kann, um so schwächer wirkt der Reiz und eine um so stärkere Immoralität beweist es, ihm nachzugeben. Deshalb ist nach dem Erkenntnis eines höchsten Gerichtshofes z.B. Feuerungsmaterial nicht unter die Genußmittel zu rechnen und der Diebstahl desselben nimmt an der Straferleichterung für den Diebstahl solcher nicht teil. Zweifellos ist unter Umständen Feuerung ein ebenso dringendes Bedürfnis und für die Selbsterhaltung ebenso erforderlich wie Brot. Allein seine Verwendung ist doch eine mittelbarere als die des Brotes, sie hat gleichsam mehr Zwischenstationen, und man kann deshalb annehmen, daß ihm gegenüber der in Versuchung Befindliche mehr Zeit zur Besinnung hat, die ihm die sinnliche Unmittelbarkeit des Reizes nicht läßt. Von solcher Gegenwärtigkeit des Genießens steht das Geld am weitesten ab, das Bedürfnis knüpft sich immer nur an das, was hinter ihm steht, so daß die von ihm ausstrahlende Versuchung sozusagen nicht als Naturtrieb auftritt und nicht die Kraft eines solchen als Entschuldigung des Unterliegens mit sich trägt. Deshalb erscheint, wie der Diebstahl. von Geld, so die Bestechlichkeit durch Geld gegenüber der durch einen momentan zu genießenden Wert, als das Zeichen der raffinierteren und gründlicher verdorbenen sittlichen Beschaffenheit, so daß die Heimlichkeit, die das Geldwesen ermöglicht, als eine Art [428] von Schutzvorrichtung für das Subjekt wirkt. Indem sie immerhin. einen Tribut an das Schamgefühl darstellt, gehört sie zu einem verbreiteten Typus: daß ein unsittliches Verhalten sich einen Beisatz sittlicher Elemente angliedert, nicht um sein Unsittlichkeitsquantum herabzusetzen, sondern gerade um es realisieren zu können. Freilich zeigt sich auch hier, wie die Verhältnisse des Geldes von einer gewissen Quantitätsgrenze an ihren qualitativen Charakter wechseln. Es gibt gigantische Bestechungen, die, jene Schutzvorrichtung ebenso zweckmäßig abändernd, auf die Heimlichkeit in demselben Maße zugunsten eines gleichsam offiziellen Charakters verzichten, in dem sie sie eben ihres Umfanges wegen technisch gar nicht aufrecht erhalten könnten. In den zwanzig Jahren zwischen der Zuerteilung der legislativen und administrativen Selbständigkeit an Irland und der Union mit England war den englischen Ministern das eigentlich unlösbare Problem gestellt, zwei verschiedene Staaten mit einer einheitlichen Politik zu leiten und zwei selbständige Legislaturen fortwährend in Harmonie zu erhalten. Sie fanden die Lösung in fortwährender Bestechung: alle die mannigfaltigen Tendenzen des irischen Parlaments wurden einfach dadurch, daß man die Stimmen kaufte, in die erwünschte Einheit gebunden. So konnte von Robert Walpole einer seiner wärmsten Verehrer sagen: »Er war selbst völlig unbestechlich; aber um seine politischen Absichten, weise und gerecht wie sie waren, zu erreichen, war er bereit ein ganzes Unterhaus zu bestechen, und wäre nicht davor zurückgeschreckt, ein ganzes Volk zu bestechen.« Ja, wie schon das reinste, seiner Sittlichkeit sich bewußte Gewissen des Bestechenden sogar mit der leidenschaftlichsten Verdammung der Bestechlichkeit zusammenbestehen kann, lehrt die Äußerung eines Florentiner Bischofs auf dem Höhepunkt des mittelalterlichen Kampfes gegen die Simonie: er möchte den päpstlichen Stuhl erkaufen, und wenn er ihn tausend Pfund kosten sollte, nur um die verfluchten Simonisten austreiben zu können! Und wie es gerade der Riesenmaßstab von Geldsummen ist, der der Bestechung – ähnlich wie der Prostitution – das Brandmal der Schamlosigkeit – und deshalb das der Heimlichkeit erspart, findet vielleicht sein schlagendstes Beispiel daran: das größte Finanzgeschäft der beginnenden Neuzeit war die Aufbringung der Mittel, die Karl V. zu den für seine Kaiserwahl nötigen Bestechungen brauchte!

Es kommt dazu, daß gerade die außerordentliche Höhe der Kaufsumme für Werte, die solchem Handel entzogen sein sollten, oft eine gewisse Garantie dafür gibt, daß das mit Ihm attakierte öffentliche Interesse keinen allzugroßen Schaden leidet. Daß englische Könige die großen Ämter verkauften, bewirkte doch mindestens, daß [429] die Käufer sich gut zu führen bestrebten: ein Mann, so heißt es, who had paid £ 10000 for the seals was not likely to forfeit them for the sake of a petty malversation which many rivals would be ready to detect. Wenn ich die Heimlichkeit der Bestechung oben als eine Schutzvorrichtung für das Subjekt bezeichnete, so ist, genau entsprechend, ihre Öffentlichkeit eine solche für die öffentlichen Interessen. Dies ist das Korrektiv, durch das diese gigantischen Korruptionen gewissermaßen legitim waren – sie ließen sich eben nicht verbergen und so konnte man sich sozusagen mit ihnen einrichten. Darum sind Bestechungen auch in einfachen Verhältnissen leichter erträglich. Von Aristides wird als etwas fast Unerhörtes hervorgehoben, daß er trotz seiner vielen diskretionären Gewalten arm gestorben ist. In den kleinen antiken Stadtstaaten erschütterte die Unehrlichkeit Einzelner noch nicht die Fundamente des Ganzen, weil sie nur zu einem sehr kleinen Teil geldwirtschaftliche und weil die Verhältnisse durchsichtig und unkompliziert waren, so daß sie leicht wieder ins Gleichgewicht zu bringen waren. Darum hat man mit Recht gesagt, daß sich das Schicksal Athens jeden Tag auf der Pnyx entschied. Bei den modernen hoch zusammengesetzten Verhältnissen des öffentlichen Lebens mit seinen tausend unterirdischen, überall hin ausstrahlenden, wesentlich geldwirtschaftlichen Kräften wirkt Beamtenbestechlichkeit sehr viel verderblicher.

In allem hier Erörterten handelte es sich um den Verkauf von Werten, die zwar personaler, aber doch nicht subjektiver Natur sind, durch deren Bewahrung die Persönlichkeit – im Gegensatz zu den Werten subjektiven Genießens – einen objektiven Wert an sich selbst empfindet. Daß der Komplex der Lebenskräfte, den man in die Ehe hineingibt, dabei der Richtung des eigenen Instinktes folge; daß die Frau sich nur da ganz hingebe, wo der Mann dies mit gleichwertigen Empfindungen erwidert; daß Worte und Taten der folgsame Ausdruck von Überzeugungen und Verpflichtungen sind – dies alles bedeutet nicht sowohl einen Wert, den wir haben, als einen, der wir sind. Indem man alles dies für Geld aufgibt, hat man sein Sein gegen ein Haben ausgetauscht. Gewiß sind beide Begriffe aufeinander zurückführbar. Denn alle Inhalte unseres Seins bieten sich uns als Besitz jenes an sich ganz inhaltlosen, rein formalen Zentrums in uns, das wir als unser gleichsam punktuelles Ich und als das habende Subjekt, gegenüber all seinen Qualitäten, Interessen, Gefühlen, als gehabten Objekten, empfinden; und andrerseits ist Besitz, wie wir sahen, ein Ausdehnen unserer Machtsphäre, ein Verfügenkönnen über Objekte, die eben damit in den Umkreis unseres Ich hineingezogen werden. Das Ich, unser Wollen und Fühlen, setzt sich in die Dinge hinein [430] fort, die es besitzt: von. der einen Seite gesehen hat es auch sein Innerlichstes, insoweit es nur ein einzelner, angebbarer Inhalt ist, doch schon außer sich, als ein objektives, seinem Zentralpunkt erst zugehöriges Haben, von der anderen her hat es auch sein Äußerlichstes, insoweit es wirklich sein Besitz ist, in sich; indem es die Dinge hat, sind sie Kompetenzen seines Seins, das ohne jedes einzelne dieser ein anderes wäre. Logisch und psychologisch betrachtet ist es also willkürlich, zwischen Sein und Haben einen Grenzstrich zu ziehen. Wenn wir diesen dennoch als sachlich berechtigt empfinden, so ist es, weil Sein und Haben, auf ihren Unterschied hin angesehen, keine theoretisch-objektiven, sondern Wertbegriffe sind. Es ist eine bestimmte Wertart und Wertmaß, die wir unseren Lebensinhalten zusprechen, wenn wir sie als unser Sein, eine andere, wenn wir sie als unser Haben bezeichnen. Denn deutet man von diesen Inhalten diejenigen, welche dem rätselhaften Ich-Mittelpunkt nahe liegen, als unser Sein, die entfernteren als unser Haben, so ist ihre Rangierung auf dieser – jede scharfe Abgrenzung offenbar ausschließenden – Reihe doch nur durch die Verschiedenheit der Wertgefühle herstellbar, von denen die einen und die anderen begleitet werden. Wenn wir an jenen Verkäufen das, was wir fortgeben, unserem Sein, und das, was wir bekommen, unserem Haben zurechnen, so ist das nur ein indirekter Ausdruck dafür, daß wir ein intensiveres, dauernderes, den ganzen Umkreis des Lebens berührendes Wertgefühl für ein unmittelbareres, dringlicheres, momentaneres vertauschen.

Ist nun der Verkauf personaler Werte eine Herabminderung des in diesem Sinn bestimmten Seins, das direkte Gegenteil des »Aufsichhaltens«, so kann man ein Persönlichkeitsideal nennen, an dem jene Verhaltungsweisen am entschiedensten meßbar werden: die Vornehmheit – und zwar deshalb so entschieden, weil dieser Wert für das Geldwesen überhaupt das radikalste Kriterium bedeutet; so daß, an ihm gemessen, Prostitution, Geldheirat, Bestechung die outrierten Zuspitzungen in einer Reihe sind, die schon mit den legitimsten Formen des Geldverkehrs beginnt. Für die Darstellung dieses Sachverhaltes handelt es sich zunächst um die Bestimmung des Vornehmheitsbegriffes selbst.

Die übliche Aufteilung unserer objektiven Schätzungsnormen in logische, ethische und ästhetische ist, auf unser wirkliches Urteilen hin angesehen, ganz unvollständig. Wir schätzen etwa, um ein sehr augenscheinliches Beispiel zu nennen, die scharfe Ausbildung der Individualität, die bloße Tatsache, daß eine Seele eine eigenartige, in sich geschlossene Form und Kraft besitzt; die Unvergleichbarkeit und Unverwechselbarkeit, mit der eine Person gleichsam nur ihre [431] eigene Idee darstellt, empfinden wir als wertvoll, und zwar oft im Gegensatz zu der ethischen und ästhetischen Minderwertigkeit des Inhaltes solcher Erscheinung. Aber nicht um bloße Vervollständigung jenes Systems handelt es sich, sondern darum, daß das systematische Abschließen als solches hier ebenso irrig ist, wie bei den fünf Sinnen oder den zwölf Kantischen Verstandeskategorien. Die Entwicklung unserer Art bildet fortwährend neue Möglichkeiten, die Welt sinnlich und intellektuell aufzunehmen, und ebenso fortwährend neue Kategorien, sie zu werten. Und wie wir so stetig neue wirksame Ideale formen, so bringt vertiefteres Bewußtsein immer weitere ans Licht, die bisher schon wirksame, aber unbewußte waren. Ich glaube nun, daß unter den Wertgefühlen, mit denen wir auf die Erscheinungen reagieren, sich auch eines findet, das man nur als die Wertung der »Vornehmheit« bezeichnen kann. Diese Kategorie zeigt ihre Selbständigkeit darin, daß sie sich den sonst verschiedenartigsten und verschiedenwertigsten Erscheinungen gegenüber einstellt: Gesinnungen wie Kunstwerke, Abstammung wie literarischen Stil, feinen bestimmt ausgebildeten Geschmack ebenso wie die ich zusagenden Gegenstände, ein Benehmen auf der Höhe gesellschaftlicher Kultur wie ein Tier edler Rasse – alles dies können wir als »vornehm« bezeichnen; und wenn auch gewisse Beziehungen dieses Wertes zu denen der Sittlichkeit und der Schönheit stattfinden, so bleibt er doch immer auf sich ruhen, da der gleiche Grad seiner mit den allermannigfaltigsten ethischen und ästhetischen Stufen vereint auftritt. Der soziale Sinn der Vornehmheit: die exzeptionelle Stellung gegenüber einer Majorität, der Abschluß der Einzelerscheinung in ihrem autonomen Bezirk, der durch das Eindringen irgendeines heterogenen Elementes sofort zerstört wäre – gibt offenbar den Typus für alle Anwendungen ihres Begriffes. Eine ganz besondere Art des Unterschiedes zwischen den Wesen bildet den äußeren Träger des Vornehmheitswertes: der Unterschied betont hier einerseits den positiven Ausschluß des Verwechseltwerdens, der Reduktion auf einen gleichen Nenner, des »Sichgemeinmachens«; andrerseits darf er doch nicht so hervortreten, um das Vornehme aus seinem Sich-selbst-Genügen, seiner Reserve und inneren Geschlossenheit herauszulocken und sein Wesen in eine Relation zu Anderen, und sei es auch nur die Relation des Unterschiedes, zu verlegen. Der vornehme Mensch ist der ganz Persönliche, der seine Persönlichkeit doch ganz reserviert. Die Vornehmheit repräsentiert eine ganz einzigartige Kombination von Unterschiedsgefühlen, die auf Vergleichung beruhen, und stolzem Ablehnen jeder Vergleichung überhaupt. Als ein völlig erschöpfendes Beispiel erscheint es mir, daß das Haus der Lords nicht nur von [432] jedem seiner Mitglieder als sein einziger Richter anerkannt wird, sondern im Jahre 1330 die Zumutung ausdrücklich ablehnt, über andere Leute als die Peers zu Gericht zu sitzen, – so daß also sogar ein Machtverhältnis zu Personen außerhalb des eigenen Ranges als Degradation erscheint! Je mehr nun das Geld die Interessen beherrscht und von sich aus Menschen und Dinge in Bewegung setzt, je mehr die letzteren um seinetwillen hergestellt und nur nach ihm geschätzt werden, desto weniger kann der so beschriebene Wert der Vornehmheit seine Verwirklichung an Menschen und Dingen finden. Mannigfache geschichtliche Erscheinungen legen diese negative Verbindung nahe. Die alten Aristokratien Ägyptens und Indiens perhorreszierten den Seeverkehr und hielten ihn mit der Reinheit der Kasten für unverträglich. Das Meer ist eine Vermittlung wie das Geld, es ist das ins Geographische gewandte Tauschmittel, gleichsam in sich völlig farblos und deshalb wie das Geld dem Ineinanderübergehen des Verschiedenartigsten dienstbar. Seeverkehr und Geldverkehr stehen in enger historischer Verbindung, die Reserve und scharf geformte Abgeschlossenheit der Aristokratie muß von beiden her ein Abschleifen und Nivellieren fürchten. Deshalb war auch dem venetianischen Adel zur guten Zeit der Aristokratie aller eigene Handel untersagt, und erst 1784 wurden die Adligen durch ein Gesetz ermächtigt, unter eigenem Namen Handel zu treiben. Vorher konnten sie dies nur als stille Teilnehmer an den Geschäften der cittadini, also nur wie aus der Ferne und unter einer Maske. In Theben gab es einmal ein Gesetz, daß nur, wer zehn Jahre lang allem Marktverkehr ferngeblieben war, zu Ämtern wählbar sein sollte; Augustus untersagte den Senatoren, sich an Zollpachtungen zu beteiligen und Rhederei zu treiben. Wenn Ranke das 14. und 15. deutsche Jahrhundert als die plebejischen unserer Geschichte bezeichnet, so bezieht sich das auf die damals aufkommenden geldwirtschaftlichen Zustände, deren Träger die der bisherigen Aristokratie antagonistischen Städte waren. Schon zu Beginn der Neuzeit empfand man in England, daß die Reichtumsunterschiede, die in der Stadt galten, durchaus keine so entschieden abgeschlossene Aristokratie schaffen konnten, wie die auf dem Lande geltenden Standesgrenzen. Der ärmste Lehrling konnte die höchste Zukunft erhoffen, wo diese nur im Geldbesitz lag, während eine völlig unbiegsame Linie die Landaristokratie von dem yeoman schied. Die unendliche quantitative Abstufbarkeit des Geldbesitzes läßt die Stufen ineinander übergehen und verwischt die Formbestimmtheit der vornehmen Klassen, die ohne Festigkeit der Grenzen nicht bestehen kann.

Dem Vornehmheitsideal ist wie dem ästhetischen, von dem ich [433] dies schon früher hervorhob, die Gleichgültigkeit gegen das Wieviel eigen. Vor dem abgeschlossenen Insichruhen des Wertes, den es dem an ihm teilhabenden Wesen gewährt, tritt die Quantitätsfrage ganz zurück; die rein qualitative Bedeutung, die jenes Ideal meint, wird dadurch verhältnismäßig wenig gehoben, daß mehr Exemplare auf diese Höhe gelangen. Das Entscheidende ist, daß sie dem Dasein überhaupt gelungen ist, und für sich allein der vollgültige Repräsentant davon zu sein, verleiht dem vor nehmen – ob menschlichen, ob untermenschlichen – Wesen seine spezifische Natur. In dem Augenblick aber, in dem die Dinge auf ihren Geldwert hin angesehen und gewertet sind, rücken sie aus dem Bereich dieser Kategorie fort, ihre Wertqualität ist in ihrem Wertquantum untergegangen und jenes Sich-selbst-gehören – das geschilderte Doppelverhältnis zu Anderen und zu sich selbst –, das wir von einem gewissen Grade an als Vornehmheit empfinden, hat seine Basis verloren. Das Wesen der Prostitution, das wir am Gelde erkannten, teilt sich den Gegenständen mit, die nur noch als seine Äquivalente funktionieren, ja, diesen vielleicht in noch fühlbarerem Maße, weil sie mehr zu verlieren haben, als das Geld es von vornherein hat. Jener äußerste Gegensatz der Vornehmheitskategorie, das Sich-gemein-machen mit Anderen, wird zum typischen Verhältnis der Dinge in der Geldwirtschaft, weil sie durch das Geld, wie durch eine Zentralstation, miteinander verbunden sind, alle mit gleicher spezifischer Schwere in dem fortwährend bewegten Geldstrom schwimmen, und so, lalle in derselben Ebene liegend, sich nur durch die Größe der Stücke unterscheiden, die sie von dieser decken.

Hier macht sich unvermeidlich die tragische Folge jeder Nivellierung geltend: daß sie das Hohe mehr herunterzieht, als sie das Niedrige erhöhen, kann. Bei dem Verhältnis von Personen untereinander liegt das auf der Hand. Wo ein seelischer Bezirk, insbesondere intellektueller Art, sich bildet, auf dem eine Mehrzahl von Menschen Verständigung und Gemeinsamkeit findet – da muß derselbe dem Niveau des Tiefststehenden erheblich näher liegen als dem des Höchststehenden. Denn immer ist es eher möglich, daß dieser herunter-, als daß jener heraufsteige. Der Umkreis von Gedanken, Kenntnissen, Willenskräften, Gefühlsnüancen, den die unvollkommenere Persönlichkeit mitbringt, wird von dem gedeckt, der der vollkommeneren eigen ist, aber nicht umgekehrt; jener also ist beiden, gemeinsam, dieser nicht; so daß, gewisse Ausnahmen vorbehalten, der Boden gemeinsamer Interessen und Aktionen von den besseren und den niederen Elementen nur unter Verzicht der ersteren auf ihre individuellen Vorzüge wird innegehalten werden können. Zu [434] diesem Resultat führt auch die weitere Tatsache, daß selbst für gleichmäßig hochstehende Persönlichkeiten das Niveau ihrer Gemeinsamkeit nicht so hoch liegen wird, wie das jedes Einzelnen für sich. Denn gerade die höchsten Ausbildungen, die jedem eigen sein mögen, pflegen nach ganz verschiedenen Seiten differenziert zu sein, und sie begegnen sich nur auf jenem tieferen generellen Niveau, über das hinweg die individuellen und gleich bedeutsamen Potenzen oft bis zur Unmöglichkeit jeder Verständigung überhaupt auseinanderführen. Was den Men schen gemeinsam ist – nach der biologischen Seite hin: die ältesten und deshalb sichersten Vererbungen – ist im allgemeinen das gröbere, undifferenzierte, ungeistigere Element ihres Wesens.

Dieses typische Verhältnis, durch das die Lebensinhalte ihre Gemeinsamkeit, ihre Dienste zur Verständigung und Einheitlichkeit, mit ihrer relativen Niedrigkeit bezahlen müssen; durch das der Einzelne, auf dies Gemeinsame sich reduzierend, auf seine individuelle Werthöhe verzichten muß, sei es, weil der andere tiefer steht als er, sei es, weil dieser, obgleich ebenso hoch entwickelt, seine Höhe nach einer anderen Richtung hin hat, – dieses Verhältnis zeigt seine Form an Dingen nicht weniger als an Personen. Nur daß, was in diesem Fall ein Prozeß an Wirklichkeiten ist, in jenem nicht eigentlich an den Dingen selbst, sondern an den Wertvorstellungen von ihnen vorgeht. Die Tatsache, daß der feinste und aparteste Gegenstand ebenso für Geld zu haben ist, wie der banalste und roheste, stiftet eine Beziehung zwischen ihnen, die ihrem qualitativen Inhalt fern liegt und die gelegentlich dem ersteren eine Trivialisierung und eine Abflachung der spezifischen Schätzung eintragen kann, während der zweite überhaupt nichts zu verlieren hat, aber auch nichts gewinnen kann. Daß der eine viel und der andere wenig Geld kostet, kann dies nicht immer ausgleichen, namentlich nicht bei generellen, über die Einzelvergleichung sich erhebenden Wertungen, und ebensowenig gelingt dies dem nicht abzuleugnenden psychologischen Vorkommnis, daß gerade an der Gemeinsamkeit des Geldnenners die individuellen Differenzen der Objekte sich um so schärfer abheben. Die herabstimmende Wirkung des Geldäquivalents tritt unzweideutig hervor, sobald man mit einem schönen und eigenartigen, aber käuflichen Objekt ein an sich ungefähr gleich bedeutsames vergleicht, das aber für Geld nicht zu haben ist; dieses hat von vornherein für unser Gefühl eine Reserve, ein Auf-sich-ruhen, ein Recht, nur an dem sachlichen. Ideal seiner selbst gemessen zu werden, kurz: eine Vornehmheit, die dem anderen versagt bleibt. Der Zug in seinem Bilde, daß [435] es für Geld zu haben ist, ist auch für das Beste und Erlesenste ein locus minoris resistentiae, an dem es sich der Zudringlichkeit des untergeordneten, das gleichsam eine Berührung mit ihm sucht, nicht erwehren kann. Denn so sehr das Geld, weil es für sich nichts ist, durch diese Möglichkeit ein Ungeheures Wertplus gewinnt, so erleiden umgekehrt unter sich gleichwertige, aber verschiedenartige Objekte durch ihre – wenn auch mittelbare oder ideelle – Austauschbarkeit eine Herabsetzung der Bedeutung ihrer Individualität. Immerhin ist dies wohl auch das tiefer gelegene Motiv, aus dem wir gewisse Dinge, etwas verächtlich, als »gangbare Münze« charakterisieren: Redensarten, Modi des Benehmens, musikalische Phrasen usw. Hierbei erscheint nun nicht die Gangbarkeit allein als der Vergleichungspunkt, der die Münze, das gangbarste Objekt überhaupt, als seinen Ausdruck herzuruft. Manchmal mindestens kommt noch das Austauschmoment hinzu. Es nimmt es gewissermaßen jeder an und gibt es wieder aus, ohne ein individuelles Interesse am Inhalt – wie beim Gelde. Auch hat es jeder in der Tasche, in Vorrat, es bedarf keiner Umformung, um in jeder Situation seinen Dienst zu tun. Indem es, gegeben oder empfangen, zu dem Einzelnen in Beziehung tritt, erhält es doch keine individuelle Färbung oder Hinzufügung, es geht nicht, wie andere Inhalte des Redens oder Tuns, in den Stil der Persönlichkeit ein, sondern geht unalteriert durch diese hindurch, wie Geld durch ein Portemonnaie. Die Nivellierung erscheint als Ursache wie als Wirkung der Austauschbarkeit der Dinge – wie gewisse Worte ohne weiteres ausgetauscht werden können, weil sie trivial sind, und trivial werden, weil man sie ohne weiteres auszutauschen pflegt. Die Lieblosigkeit und Frivolität, durch die sich die Behandlung der Gegenstände in der Gegenwart so sehr von früheren Zeiten unterscheidet, geht sicher zum Teil auf die gegenseitige Entindividualisierung und Abflachung, auf Grund des gemeinsamen Geldwertniveaus, zurück.

Die im Gelde ausgedrückte Tauschbarkeit aber muß unvermeidlich eine Rückwirkung auf die Beschaffenheit der Waren selbst haben, bzw. mit ihr in Wechselwirkung stehen. Die Herabsetzung des Interesses für die Individualität der Waren führt zu einer Herabsetzung dieser Individualität selbst. Wenn die beiden Seiten der Ware als solcher ihre Qualität und ihr Preis sind, so scheint es allerdings logisch unmöglich, daß das Interesse nur an einer dieser Seiten hafte: denn die Billigkeit ist ein leeres Wort, wenn sie nicht Niedrigkeit des Preises für eine relativ hohe Qualität bedeutet, und die Höhe der Qualität ist ein ökonomischer Reiz nur dann, wenn [436] ihr ein irgend angemessener Preis entspricht. Dennoch ist jenes begrifflich Unmögliche psychologisch wirklich und wirksam; das Interesse für die eine Seite kann so steigen, daß das logisch erforderte Gegenstück derselben ganz herabsinkt. Der Typus für den einen dieser Fälle ist der »Fünfzig-Pfennig-Bazar«. In ihm hat das Wertungsprinzip der modernen Geldwirtschaft seinen restlosen Ausdruck gefunden. Als das Zentrum des Interesses ist jetzt nicht mehr die Ware, sondern ihr Preis konstituiert – ein Prinzip, das früheren Zeiten nicht nur schamlos erschienen, sondern innerlich ganz unmöglich gewesen wäre. Es ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß die mittelalterliche Stadt trotz aller Fortschritte, die sie verkörperte, doch noch der ausgedehnten Kapitalwirtschaft ermangelte, und daß dies der Grund gewesen sei, das Ideal der Wirtschaft nicht sowohl in der Ausdehnung (die nur durch Billigkeit möglich ist), als vielmehr in der Güte des Gebotenen zu suchen. Daher die großen Leistungen des Kunstgewerbes, die rigorose Überwachung der Produktion, die strenge Lebensmittelpolizei usw. Das eben ist der eine äußerste Pol der Reihe, deren anderen das Schlagwort: »billig und schlecht« bezeichnet – eine Synthese, die nur dadurch möglich ist, daß das Bewußtsein durch die Billigkeit hypnotisiert ist und außer ihr überhaupt nichts wahrnimmt. Das Nivellement der Objekte auf die Ebene des Geldes setzt zuerst das subjektive Interesse an ihrer eigenartigen Höhe und Beschaffenheit herab und, als weitere Folge, diese letztere selbst; die Produktion der billigen Schundware ist gleichsam die Rache der Objekte dafür, daß sie sich durch ein bloßes indifferentes Mittel aus dem Brennpunkte des Interesses mußten verdrängen lassen.

Durch alles dies ist wohl hinreichend deutlich geworden, in wie radikalem Gegensatz das Geldwesen und seine Folgen zu den vorhin skizzierten Vornehmheitswerten stehen. Das Geldwesen zerstört am gründlichsten jenes Aufsichhalten, das die vornehme Persönlichkeit charakterisiert und das von gewissen Objekten und ihrem Gewertetwerden aufgenommen wird; es drängt den Dingen einen außer ihrer selbst liegenden Maßstab auf, wie gerade die Vornehmheit ihn ablehnt; indem es die Dinge in eine Reihe, in der bloß Quantitätsunterschiede gelten, einstellt, raubt es ihnen einerseits die absolute Differenz und Distanz des einen vom ändern, andrerseits das Recht, jedes Verhältnis überhaupt, jede Qualifikation durch die wie auch ausfallende Vergleichung mit anderen abzulehnen – also die beiden Bestimmungen, deren Vereinigung das eigentümliche Ideal der Vornehmheit schafft. Die Steigerung personaler Werte, die dieses Ideal bezeichnet, erscheint also selbst in seiner Projizierung in Dinge hinein [437] so weit aufgehoben, wie die Wirksamkeit des Geldes reicht, das die Dinge in jedem Sinne des Wortes »gemein« macht und sie damit schon dem Sprachgebrauch nach in den absoluten Gegensatz zum Vornehmen stellt. Gegen diesen Begriff gehalten tritt nun erst an der ganzen Breite käuflicher Lebensinhalte die Wirkung des Geldes hervor, die die Prostitution, die Geldheirat und die Bestechung in personal zugespitzter Form gezeigt haben.

[438]

II.

In dem Kapitel über individuelle Freiheit haben wir festgestellt, wie sehr die Umwandlung von naturalen Verpflichtungen in Geldleistungen dem Vorteil beider Parteien dienen kann, welche Steigerung seiner Freiheit und Würde insbesondere der Verpflichtete daraus zieht. Diese Bedeutung des Geldes für die personalen Werte muß nun aber durch eine Entwicklungsreihe von entgegengesetzter Richtung ergänzt werden.

Der günstige Erfolg jener Umwandlung hängt daran, daß der Verpflichtete bisher eine persönliche Kraft und individuelle Bestimmtheit in das Verhältnis eingesetzt hat, ohne ein entsprechendes Äquivalent zu erhalten. Was ihm die andere Partei bot, war rein sachlicher Natur; die Rechte, die er aus dem Verhältnis zog, waren relativ unpersönliche, die Pflichten, die es ihm auferlegte, ganz persönliche. Indem nun die Form der Geldleistung seine Pflichten entpersona lisierte, glich sich diese Unverhältnismäßigkeit aus. Ein ganz anderer Erfolg aber wird eintreten, wenn der Verpflichtete nicht mit einer sachlichen Gegenleistung glatt abgefunden wird, sondern wenn ihm aus dem Verhältnis ein Recht, ein Einfluß, eine personale Bedeutsamkeit zuwächst, und zwar gerade, weil er diese bestimmte personale Leistung in dasselbe hineingibt. Dann muß die durch die Geldform zu bewirkende Objektivierung der Beziehung ebenso ungünstig wirken, wie vorher günstig. Die Herabdrückung der Bundesgenossen Athens in eine direkte, größere oder geringere Abhängigkeit begann damit, daß ihr Tribut an Schiffen und Kriegsmannschaften in bloße Geldabgaben verwandelt wurde. Diese scheinbare Befreiung von ihrer mehr personalen Verpflichtung enthielt eben den Verzicht auf eigene politische Betätigung, auf die Bedeutung, die man nur auf den Einsatz einer spezifischen Leistung, auf die Entfaltung realer Kräfte hin beanspruchen darf. In jener Pflicht waren doch unmittelbare Rechte enthalten: die von ihnen selbst gelieferte Kriegsmacht konnte nicht so gegen ihre eigenen Interessen verwandt werden, wie es mit dem von ihnen gelieferten Geld möglich war. Die Naturallieferung besteht, kantisch zu reden, aus der Pflicht als ihrer Form [439] und dem speziellen Inhalt und Gegenstand als ihrer Materie. Diese Materie kann nun für sich gewisse Nebenwirkungen haben; sie kann z.B. als Arbeit der fronpflichtigen Bauern die Persönlichkeit und Bewegungsfreiheit derselben arg beschränken, sie kann aber auch als naturaler Beitrag zu den kriegerischen Unternehmungen eitler Vormacht diese zu einer gewissen Rücksicht auf die Beitragenden zwingen. Während die Pflicht als solche in beiden Fällen die gleiche ist, wird die Materie, deren Form sie bildet, sie in dem einen Fall für den Verpflichteten schwer, in dein anderen relativ günstig gestalten. Wenn nun Geldzahlung an die Stelle dieser naturalen Leistungen tritt, wird das materielle Moment eigentlich ausgeschaltet, es verliert jede folgenreiche Qualität, so daß sozusagen nur die reine ökonomische Pflicht in der abstraktesten Verwirklichung, die sie überhaupt finden kann, zurückbleibt. Diese Reduktion ihrer wird deshalb in dem ersten der obigen Fälle das Fortfallen einer Erschwerung, in dem zweiten das einer Erleichterung bedeuten, und der Leistende wird also in diesem ebenso herabgedrückt werden, wie er in jenem erhoben wurde. Wir finden deshalb die Umwandlung der personalen Dienstpflicht in eine Geldzahlung öfters als eine bewußte Politik, durch die die Machtstellung der Verpflichteten heruntergesetzt werden soll, z.B. bei Heinrich II. von England, der es einführte, daß die Ritter, anstatt ihm in die kontinentalen Kriege zu folgen, ihre Dienste mit Geld ablösen konnten. Viele mögen darauf eingetreten sein, weil es im Augenblick als eine Erleichterung und Befreiung des einzelnen erschien. Tatsächlich indes bewirkte es eine Entwaffnung der Feudalpartei, die der König am meisten zu fürchten hatte, und zwar gerade wegen derjenigen kriegerischen Qualitäten, auf die er selbst bis dahin angewiesen war. Da bei der Mannschaftsgestellung seitens der Bezirke und Städte kein derartiges individuelles Element mitwirkte, so hatte für sie sich uns oben das Umgekehrte ergeben: der Gewinn von Freiheit durch die Geldablösung jener Verpflichtung. Was uns all diese Erscheinungen hier so wichtig macht, ist, daß man aus ihnen den Zusammenhang ganz fundamentaler Lebensgefühle mit ganz äußerlichen Tatsachen ablesen kann. Darum ist auch hier die Erkenntnis wesentlich, daß die Bestimmungen, die das Geld jene Zusammenhänge vermitteln lassen, an ihm zwar am reinsten und prägnantesten, aber doch nicht an ihm allein hervortreten. Die historischen Konstellationen, die innerlich von diesem Sinne getragen werden, lassen sich in eine aufsteigende Reihe ordnen, in der jedes Glied, je nach den sonstigen Verhältnissen der Elemente, ebenso deren Freiheit wie deren Unterdrückung Raum gibt. Von der rein personalen Beziehung liegt das auf der Hand: [440] diese stellt sich sowohl als die Härte der persönlichen Unterworfenheit unter eine Person wie als die Würde freier Vereinigung dar. Beides ändert sich, sobald das Richtung gebende Element unpersönlichen Charakter trägt – sei es, daß diese Unpersönlichkeit die dingliche eines äußeren Objekts, sei es, daß sie die einer Mehrheit von Personen sei, daß die Subjektivität der einzelnen verschwindet. Das vorige Kapitel hat uns gezeigt, wie der Übergang hier als Befreiung wirkt, wie oft der Mensch die Unterworfenheit unter eine unpersönliche Kollektivität oder eine rein sachliche Organisation der unter eine Persönlichkeit vorzieht. Hier will ich nur erwähnen, daß sowohl Sklaven wie Fronbauern es relativ leicht zu haben pflegten, wenn sie dem Staate zugehörten, daß die Angestellten in den modernen Magazinen von ganz unpersönlicher Betriebsart in der Regel besser situiert sind, als in den kleinen Geschäften, wo der Besitzer sie persönlich ausbeutet. Umgekehrt, wo von der einen Seite sehr personale Werte eingesetzt werden, wird die Umbildung der anderen in unpersönliche Formen als Unwürdigkeit und Unfreiheit empfunden. Die aristokratische freie Hingebung bis zu den äußersten Opfern hat oft genug einem Gefühl von Demütigung und Deklassierung Platz gemacht, sobald ihr zwar geringere Opfer, aber als objektiv gesetzliche Pflicht zugemutet wurden. Noch im 16. Jahrhundert erfuhren die Fürsten in Frankreich, Deutschland, Schottland und den Niederlanden oft erheblichen Widerstand, wenn sie durch gelehrte Substitute oder Verwaltungskörper regieren ließen. Der Befehl wurde als etwas Persönliches empfunden, dem man auch nur aus persönlicher Hingebung Gehorsam leisten wollte, während es einem unindividuellen Kollegium gegenüber nur Unterwerfung schlechthin gab. Das äußerste Glied dieser Reihe bilden die auf das Geld, als das sachlichste aller praktischen Gebilde, gestellten Verhältnisse: je nach dem Ausgangspunkt und Inhalt hat sich uns die Geldleistung als der Träger der völligen Freiheit wie der völligen Unterdrückung gezeigt. Deshalb finden wir sie auch gelegentlich mit großer Entschiedenheit versagt. Als Peter IV. von Arragonien einmal die arragonesischen Stände um eine Geldgewährung anging, erwiderten sie ihm, das wäre doch bisher nicht üblich gewesen; seine christlichen Untertanen seien bereit, ihm mit ihrer Person zu dienen, aber Geld zu geben sei nur Sache der Juden und Mauren. Auch im angelsächsischen England hatte der König kein Recht direkter Besteuerung, es herrschte vielmehr das alte germanische Prinzip, daß das Gemeinwesen auf der persönlichen Leistung In Heer und Gericht ruhte. Als der König das Dänengeld erhebt, angeblich als Schutzgeld zur Abwehr neuer Einfälle, bezeichnet dies den Verfall des [441] Staates. Soweit es in ihrer Macht steht, lassen sich deshalb die Verpflichteten die Umwandlung des personalen Dienstes in Geldausgaben nur dann gefallen, wenn die Beibehaltung jenes für sie nicht die Bedeutung einer Teilnahme an der Machtsphäre der Berechtigten hat; so daß die verschiedenen Kreise derselben Gruppe sich nach diesem Gesichtspunkte manchmal scharf scheiden. Die Territorialherren im mittelalterlichen Deutschland, die zur Aushebung von Gemeinfreien und Hörigen zum Kriegsdienst berechtigt waren, erhoben später vielfach eine Steuer an Stelle dessen. Die Grundherren aber blieben von dieser frei, weil sie den Roßdienst selbst leisteten, also »mit ihrem Blute dienten«. Woher denn die alte Rechtsregel entsprang: »der Bauer verdient sein Gut mit dem Sack, der Ritter mit dem Pferd«. Wenn der moderne Staat wieder den persönlichen Kriegsdienst der Untertanen eingeführt hat, statt daß der Fürst nur Steuern erhebt und dafür ein Söldnerheer mietet, so ist dieser Ersatz der Geldablösung durch unmittelbaren Dienst der adäquate Ausdruck für die wiedergewachsene politische Bedeutung des einzelnen Bürgers. Wenn man deshalb gesagt hat, daß das allgemeine Stimmrecht das Korrrelat der allgemeinen Dienstpflicht sei, so ist dies schon aus dem Verhältnis der Geldleistung zur personalen Leistung begründbar.

Daß despotische Tendenzen so zur Reduktion aller Verpflichtungen auf Geldleistungen streben, läßt sich aus sehr prinzipiellen Zusammenhängen herleiten. Der Begriff des Zwanges wird meistens in ganz ungenauer und schlaffer Weise angewendet. Man pflegt zu sagen, daß jemand »gezwungen« sei, den zu seinem Handeln die Androhung oder Befürchtung einer sehr schmerzlichen Konsequenz für den Unterlassensfall, einer Strafe, eines Verlustes usw. bestimme. Tatsächlich liegt in allen solchen Fällen ein wirklicher Zwang niemals vor, denn wenn jemand gewillt ist, jene Konsequenzen auf sich zu nehmen, so steht ihm das Unterlassen der Handlung, die damit erzwungen werden soll, völlig frei. Wirklicher Zwang ist ausschließlich der, der unmittelbar durch physische Gewalt oder durch Suggestion ausgeübt wird. Z.B. meine Unterschrift zu geben, kann ich nur so wirklich gezwungen werden, daß jemand mit überlegener Kraft meine Hand ergreift, und die Schriftzüge mit ihr ausführt, oder etwa so, daß er es mir in der Hypnose suggeriert; aber keine Todesdrohung kann mich dazu zwingen. Es ist deshalb ganz ungenau, wenn man vom Staate sagt, er erzwinge die Befolgung seiner Gesetze. Er kann tatsächlich niemanden dazu zwingen, seiner Militärpflicht zu genügen oder das Leben und Eigentum andrer zu achten oder ein Zeugnis abzulegen, sobald der Betreffende nur bereit ist, es auf [442] die Strafen für die Gesetzesverletzung ankommen zu lassen; was der Staat in diesem Falle erzwingen kann, ist nur, daß der Sünder diese Strafen erdulde. Nur in Hinsicht auf eine einzige Gesetzeskategorie ist der Zwang zur positiven Erfüllung möglich: auf die Steuerpflicht. Die Erfüllung derselben (wie die der geldwerten privatrechtlichen Verpflichtungen) kann allerdings im strengsten Sinne des Wortes erzwungen werden, indem dem Pflichtigen der betreffende Wert mit Gewalt abgenommen wird. Und zwar erstreckt sich dieser Zwang wirklich nur auf Geldleistung, nicht einmal auf ökonomische Leistungen irgendeiner anderen Art. Wenn jemand zu einer bestimmten Naturallieferung verpflichtet ist, so kann er gerade dies Bestimmte, wenn er es eben unter keinen Umständen produzieren will, zu liefern niemals wirklich gezwungen werden; wohl aber kann irgend etwas anderes, was er besitzt, ihm weggenommen und zu Gelde gemacht werden. Denn jedes solche Objekt hat Geldwert und kann in dieser, wenn auch vielleicht in keiner einzigen anderen Beziehung für jenes eintreten. Die despotische Verfassung, die die Unbedingtheit des Zwanges den Untertanen gegenüber erstrebt, wird deshalb am zweckmäßigsten von ihnen gleich von vornherein nur Geldleistungen verlangen. Der Geldforderung gegenüber gibt es überhaupt denjenigen Widerstand nicht, den die Unmöglichkeit, anderweitige Leistungen absolut zu erzwingen, gelegentlich des Anspruchs auf solche erzeugen mag. Es ist deshalb von innerlicher und äußerlicher Nützlichkeit, ein Quantum von Forderungen, denen gegenüber jegliche Art von Widerstand zu befürchten ist, auf bloßes Geld zu reduzieren. Vielleicht ist dies einer der tiefgelegenen Gründe, weshalb wir im allgemeinen das despotische Regime oft mit einer Begünstigung der Geldwirtschaft verbunden sehen (die italienischen Despotien z.B. hatten die durchgängige Tendenz, die Domänen zu veräußern), und weshalb das Merkantilsystem mit seiner gesteigerten Wertung des Geldes in der Zeit der unumschränktesten Fürstenmacht ins Leben gerufen wurde. So ist von allen Forderungen die auf Geld gerichtete diejenige, deren Erfüllung am wenigsten in den guten Willen des Verpflichteten gestellt ist. Ihr gegenüber erlahmt die Freiheit, die allen anderen gegenüber besteht und deren Beweis und Bewährung nur davon abhängt, was man dafür auf sich zu nehmen willens ist. Auch widerspricht dem durchaus nicht die anderweitig so sehr hervorzuhebende Tatsache, daß die Umwandlung der Naturalleistung in Geldleistung eine Befreiung des Individuums zu bedeuten pflegt. Denn der kluge Despotismus wird immer diejenige Form für seine Forderung wählen, welche dem Untertanen möglichste Freiheit in seinen rein individuellen Beziehungen läßt. [443] Die furchtbaren Tyrannien der italienischen Renaissance – sind doch zugleich die Pflanzstätten der vollkommensten und freiesten Ausbildung des Individuums in seinen idealen und Privatinteressen geworden, und zu allen Zeiten – vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. – hat der politische Despotismus in einem ausschweifenden privaten Libertinismus seine Ergänzung gefunden. Der Despotismus wird um seines eigenen Vorteils willen seine Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm wesentlich ist, und Maß und Art desselben dadurch erträglich machen, daß er in allem übrigen möglichst große Freiheit gibt. Die Forderung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der denkbar zweckmäßigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein privaten Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung nach der politischen, die sie so oft vollbracht hat.

Neben diesem Typus von Fällen, in denen der Geldablösung gerade eine Herabdrückung des Verpflichteten entspricht, steht eine zweite Ergänzung der im vorigen Kapitel gewonnenen Resultate. Wir haben gesehen, welchen Fortschritt es für den Fronbauern bedeutete, wenn er seine Dienste durch Geldzinsung ablösen konnte. Der entgegengesetzte Erfolg tritt nun für ihn ein, sobald die Umsetzung des Verhältnisses in Geldform von der anderen Seite her geschieht, d.h. sobald der Grundherr ihm das Stück Land abkauft, das er bisher zu besseren oder schlechteren Rechten besessen hat. Die Verbote, die im 18. Jahrhundert und bis tief in das 19. hinein auf dem Gebiet des alten Deutschen Reiches gegen das Auskaufen des Bauern ergehen, haben zwar wesentlich fiskalische und ganz allgemein agrarpolitische Gründe; allein gelegentlich scheint doch das Gefühl mitgewirkt zu haben, daß dem Bauern ein Unrecht damit geschieht, wenn man ihm sein Land selbst gegen volle Entschädigung in Geld abnimmt. Man mag freilich die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld zunächst als eine Befreiung empfinden. Mit Hilfe des Geldes können wir den Wert des Objektes in jede beliebige Form gießen, während er vorher in diese eine gebannt war; mit dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns vorher der Gegenstand von den Bedingungen seiner Konservierung und Fruktifizierung abhängig machte. Die Verpflichtung gegen die Sache scheint sich so von der gegen eine Person gar nicht prinzipiell zu unterscheiden, denn nicht weniger streng bestimmt jene als diese unser Tun und Lassen, wenn wir die empfindlichsten Folgen vermeiden wollen: erst die Reduktion des ganzes Verhältnisses auf Geld – mögen wir es nun in einem Fall nehmen, im anderen geben – löst uns aus den Determinierungen, die uns von einem Außer-Uns gekommen sind. So geben die häufigen [444] Zugeldesetzungen des Bauern im 18. Jahrhundert ihm allerdings eine momentane Freiheit. Allein sie nehmen ihm das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren Wert gibt: das zuverlässige Objekt persönlicher Betätigung. In dem Lande steckte für den Bauern noch etwas ganz anderes als der bloße Vermögenswert: es war für ihn die Möglichkeit nützlichen Wirkens, ein Zentrum der Interessen, ein Richtung gebender Lebensinhalt, den er verlor, sobald er statt des Bodens nur seinen Wert in Geld besaß. Gerade die Reduktion seines Landbesitzes auf dessen bloßen Geldwert stößt ihn auf den Weg des Proletariertums. Eine andere Stufe der Agrarverhältnisse zeigt die gleiche Entwicklungsform. Auf Bauerngütern z.B. in Oldenburg herrscht vielfach noch das Heuermannsverhältnis; der Heuermann ist verpflichtet, dem Bauern eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahre Arbeit zu leisten, und zwar für einen geringeren Lohn als den der freien Tagelöhner; dafür erhält er vom Bauern Wohnung, Landpacht, Fuhren usw. zu einem billigeren Preise als dem ortsüblichen. Es ist also, wenigstens partiell, ein Austausch von Naturalwerten. Von diesem Verhältnis nun wird berichtet, es charakterisiere sich durch die soziale Gleichstellung zwischen dem Bauern und dem Heuerling: dieser habe nicht das Gefühl, ein durch seine weniger vermögende Lage zur Lohnarbeit gezwungener Mann zu sein; zugleich aber, daß die vordringende Geldwirtschaft dieses Verhältnis zerstöre, und daß die Umwandlung des naturalen Tausches der Dienste in eine glätte Bezahlung dieser den Heuermann deklassiere – wenngleich er auf diese Weise doch eine gewisse Freiheit des Schaltens mit seinem Arbeitsertrag gegenüber der Gebundenheit an vorherbestimmte naturale Empfänge gewinnen müßte. Das selbe Gebiet zeigt dieselbe Entwicklung noch an einer anderen Stelle. Solange die Drescher auf den Gütern durch einen bestimmten Anteil am Erdrusch gelohnt wurden, hatten sie ein lebhaftes persönliches Interesse am Gedeihen der Wirtschaft des Herrn. Die Dreschmaschine verdrängte diese Löhnungsart und der dafür eingeführte Geldlohn läßt es zu jenem persönlichen Bande zwischen Herrn und Arbeiter nicht kommen, aus dem der letztere ein Selbstgefühl und einen sittlichen Halt, ganz anders als aus dem erhöhten Geldeinkommen, gezogen hatte.

Damit zeigt sich an der Bedeutung, welche das Geld für den Gewinn individueller Freiheit hat, eine sehr folgenreiche Bestimmung des Freiheitsbegriffes. Die Freiheit scheint zunächst bloß negativen Charakter zu tragen; nur im Gegensatz zu einer Bindung hat sie ihren Sinn, sie ist immer Freiheit von etwas und erfüllt ihren Begriff, indem sie die Abwesenheit von Hindernissen ausspricht. Allein [445] in dieser negativen Bedeutung verharrt sie nicht; sie wäre ohne Sinn und Wert, wenn das Abstreifen der Bindung nicht sogleich durch einen Zuwachs an Besitz oder Macht ergänzt würde: wenn sie Freiheit von etwas ist, so ist sie doch zugleich Freiheit zu etwas. Erscheinungen der mannigfaltigsten Gebiete bestätigen das. Wo im politischen Leben eine Partei Freiheit verlangt oder erlangt, da handelt es sich eigentlich gar nicht um die Freiheit selbst, sondern um diejenigen positiven Gewinne, Machtsteigerungen, Ausbreitungen, die ihr bisher verschlossen waren. Die »Freiheit«, die die französische Revolution dem dritten Stande verschaffte, hatte ihre Bedeutung darin, daß ein vierter Stand da war, bzw. sich entwickelte, den jener nun »frei« für sich Arbeiten lassen konnte. Die Freiheit der Kirche bedeutet unmittelbar die Ausdehnung ihrer Machtsphäre; nach der Seite ihrer »Lehrfreiheit« z.B., daß der Staat Bürger erhält, welche von ihr geprägt sind und unter ihrer Suggestion stehen. An die Befreiung des untertänigen Bauern schloß sich in ganz Europa unmittelbar das Bestreben, ihn auch zum Eigentümer seiner Scholle zu machen – wie schon die altjüdischen Bestimmungen, die den Schuldsklaven nach einer gewissen Reihe von Jahren freizulassen gebieten, gleich hinzufügen, er solle nun auch gleich mit einem Besitz ausgestattet werden, möglichst sein früheres Grundstück zurückerhalten. Wo wirklich der rein negative Sinn der Freiheit wirksam wird, da gilt sie deshalb als Unvollkommenheit und Herabsetzung. Giordano Bruno, in seiner Begeisterung für das einheitlich-gesetzmäßige Leben des Kosmos, hält die Freiheit des Willens für einen Mangel, so daß nur der Mensch in seiner Unvollkommenheit sie besäße, Gott aber allein Notwendigkeit zukäme. Und nach diesem ganz abstrakten ein ganz konkretes Beispiel: das Land der preußischen Kossäten befand sich außerhalb der Flur, auf der die Bauernäcker im Gemenge lagen. Da diese letzteren nur nach gemeinsamer Regel bearbeitet werden konnten, so hat der Kossät viel mehr individuelle Freiheit; allein er steht außerhalb des Verbandes, er hat nicht die positive Freiheit, in Flursachen mit zu beschließen, sondern nur die negative, durch keinen Beschluß gebunden zu sein. Und dies begründet es, daß der Kossät es selbst bei bedeutendem Besitz nur zu einer gedrückten und wenig angesehenen Stellung bringt. Die Freiheit ist eben an sich eine leere Form, die erst mit und an einer Steigerung anderweitiger Lebensinhalte wirksam, lebendig, wertvoll wird. Wenn wir die Vorgänge, durch welche Freiheit gewonnen wird, zergliedern, so bemerken wir stets neben ihrer formalen, den reinen Begriff der Freiheit darstellenden Seite, eine materiell bestimmte, welche aber, indem sie jene zu positiver Bedeutung ergänzt, zugleich ihrerseits [446] eine gewisse Beschränkung enthält, eine Direktive, was nun mit der Freiheit positiv anzufangen wäre. Es würden sich nun alle Akte, mit denen Freiheit gewonnen wird, in eine Skala gliedern lassen, von dem Gesichtspunkt aus: wie erheblich ihr materieller Inhalt und Gewinn ist, im Verhältnis zu ihrem formalen und negativen Momente der Befreiung von bisherigen Bindungen. Bei dem jungen Manne, z.B., der, aus dem Zwange der Schule entlassen, in die studentische Freiheit eintritt, ist das letztere Moment das betoniere, und die neue Substanz des Lebens und Strebens, die dessen positive Seite bildet, zunächst sehr unbestimmt und vieldeutig; so daß der Student, weil die bloße Freiheit etwas ganz leeres und eigentlich unerträgliches ist, sich im Komment freiwillig einen Zwang stärkster Art erzeugt. Ganz anders liegt das Verhältnis bei einem Kaufmann, der von einer lästigen Handelsbeschränkung befreit wird; hier ist das neue Tun, um dessentwillen jene Befreiung wertvoll ist, seinem Inhalt und seiner Direktive nach sehr bestimmt, er bleibt gar nicht bei der bloßen Freiheit stehen, sondern weiß sofort, wozu er sie unvermeidlich zu benutzen hat. Bei einem Mädchen, die aus der einengenden Ordnung des Elternhauses heraustritt, um sich eine ökonomische Selbständigkeit zu gründen, hat die Freiheit einen ganz ändern positiven Sinn nach Quantität und Qualität, als wenn sie »gefreit« wird und die Führung eines eigenen Hauses sich an jene Befreiung als ihr Wesen und Zweck anschließt. Kurz jeder Befreiungsakt zeigt eine besondere Proportion zwischen der Betonung und Ausdehnung des damit überwundenen Zustandes und der des damit gewonnenen. Würde man eine solche Reihe je nach dem allmählich steigenden Übergewicht des einen Momentes über das andere wirklich konstruieren können, so würde die durch den Geldverkauf eines Objekts gewonnene Freiheit an einem Endpunkt derselben stehen – wenigstens dann, wenn das Objekt bisher den Lebensinhalt nach sich bestimmt hat. Wer sein Landgut gegen ein Haus in der Stadt vertauscht, der ist damit allerdings von den Mühseligkeiten und Sorgen der Landwirtschaft befreit; aber diese Freiheit bedeutet, daß er sich sogleich den Aufgaben und Chancen des städtischen Grundbesitzes zu widmen hat. Verkauft er aber sein Gut gegen Geld, so ist er nun wirklich frei, das negative Moment der Befreiung von den bisherigen Lasten ist das überwiegende, seine neu geschaffene Situation als Geldbesitzer enthält mir ein Minimum bestimmter Direktiven für die Zukunft. In der Befreiung vom Zwange des Objekts durch den Geldverkauf ist das positive Moment derselben auf seinen Grenzwert hinabgesunken; das Geld hat die Aufgabe gelöst, die Freiheit des Menschen nahezu in ihrem rein negativen Sinne zu verwirklichen.

[447]

So ordnet sich die ungeheure Gefahr, die die Zugeldesetzung für den. Bauern bedeutete, einem allgemeinen System der menschlichen Freiheit ein. Allerdings war es Freiheit, was er gewann; aber nur Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Freiheit zu allem – weil sie eben bloß negativ war –, tatsächlich aber eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und bestimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften, verführerischen Impuls Ausbreitung ohne Widerstand gestattete – entsprechend dem Schicksal des ungefesteten Menschen, der seine Götter dahingegeben hat und dessen so gewonnene »Freiheit« nur den Raum gibt, jeden beliebigen Augenblickswert zum Götzen aufwachsen zu lassen. Nicht anders ergeht es manchem Kaufmann, für den, von den Sorgen und Arbeiten seines Geschäftes belastet, der Verkauf desselben das ersehnteste Ziel ist. Wenn er dann aber endlich, mit dem Erlös dafür in der Hand, wirklich »frei« ist, so stellt sich oft genug jene typische Langeweile, Lebenszwecklosigkeit, innere Unruhe des Rentiers ein, die ihn zu den wunderlichsten und allem inneren und äußeren Sinne zuwiderlaufendsten Beschäftigungsversuchen treibt, damit er nur seiner »Freiheit« einen substanziellen Inhalt einbaue. Ganz so verhält es sich vielfach mit dem Beamten, der nur möglichst rasch eine Stufe erreichen will, deren Pension ihm ein »freies« Leben ermöglicht. So erscheint uns mitten in den Qualen und Ängsten der Welt oft der Zustand bloßer Ruhe als das absolute Ideal, bis der Genuß derselben uns sehr bald belehrt, daß die Ruhe vor bestimmten Dingen nur wertvoll, ja, nur erträglich ist, wenn sie zugleich die Ruhe zu bestimmten Dingen ist. Während sowohl der ausgekaufte Bauer wie der Rentier gewordene Kaufmann oder der pensionierte Beamte ihre Persönlichkeit aus dem Zwange befreit zu haben scheinen, den die spezifischen Bedingungen ihrer Besitztümer oder Positionen ihnen antaten, ist – in den hier vorausgesetzten Fällen – tatsächlich das Umgekehrte eingetreten: sie haben die positiven Inhalte ihres Ich für das Geld dahingegeben, das ihnen keine ebensolchen gewährt. Sehr bezeichnend erzählt ein französischer Reisender von den griechischen Bäuerinnen, die Stickereien fabrizieren und außerordentlich an ihren sehr mühseligen Arbeiten hängen: elles les donnent, elles les reprennent, elles regardent l'argent, puis leur ouvrage, puis l'argent: l'argent finit toujours par avoir raison, et elles s'en vont désolées de se voir si riches. Weil die Freiheit, die das Geld gibt, nur eine potenzielle, formale, negative ist, so bedeutet sein Eintausch gegen positive Lebensinhalte – wenn sich nicht sogleich andere von anderen Seiten her an die leergewordene Stelle schieben – den Verkauf [448] von Persönlichkeitswerten. Darum hat die preußische Gemeinheitsteilung im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts das Aufkommen eines unsteten, wurzellosen Tagelöhnerstandes sehr begünstigt. Die nationalen Wiesen- und Waldrechte waren eine Beihilfe für die Existenz des ärmeren Bauern, die das in abstracto ermittelte Äquivalent absolut nicht aufwog – in Geld ausbezahlt, war es sehr bald verloren, in Land war es zu klein, um selbständige Bewirtschaftung zu lohnen; so daß auch diese Landentschädigungen möglichst schnell zu Gelde gemacht wurden und den Weg zur Proletarisierung und Lockerung der Lebenssubstanz eher verbreiterten als einengten. – Ganz entsprechend dem Verhalten der griechischen Bäuerinnen berichten die Ethnologen von der außerordentlichen Schwierigkeit, bei Naturvölkern Gebrauchsgegenstände zu erstehen. Denn jeder derselben trägt – so hat man dies begründet – nach Ursprung und Bestimmung ausgesprochen individuelles Gepräge; die ungeheure Mühe, die auf Herstellung und Ausschmückung des Objekts verwendet wird, und sein Verbleiben im persönlichen Gebrauch läßt es zu einem Bestandstück der Person Selbst werden, von dem sich zu trennen, einem der Art nach gleichen Widerstand begegnet, wie von einem Körpergliede; so daß statt der Expansion des Ich – die die unendlichen »Möglichkeiten« des Geldbesitzes ebenso lockend wie undeutlich versprechen – eine Kontraktion desselben eintritt. Die Klarheit hierüber ist nicht ohne Belang für das Verständnis unserer Zeit. Seit es überhaupt Geld gibt, ist, im großen und ganzen, jedermann geneigter zu verkaufen als zu kaufen. Mit steigender Geldwirtschaft wird diese Geneigtheit immer stärker und ergreift immer mehr von denjenigen Objekten, welche gar nicht zum Verkauf hergestellt sind, sondern den Charakter ruhenden Besitzes tragen und vielmehr bestimmt scheinen, die Persönlichkeit an sich zu knüpfen, als sich in raschem Wechsel von ihr zu lösen: Geschäfte und Betriebe, Kunstwerke und Sammlungen, Grundbesitz, Rechte und Positionen allerhand Art. Indem alles dies immer kürzere Zeit in einer Hand bleibt, die Persönlichkeit immer schneller und öfter aus der spezifischen Bedingtheit solchen Besitzes heraustritt, wird freilich ein außerordentliches Gesamtmaß von Freiheit verwirklicht; allein weil nur das Geld mit seiner Unbestimmtheit und inneren Direktionslosigkeit die nächste Seite dieser Befreiungsvorgänge ist, so bleiben sie bei der Tatsache der Entwurzelung stehen und leiten oft genug zu keinem neuen Wurzelschlagen über. Ja, indem jene Besitze bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht mehr unter der Kategorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, kommt es von vornherein nicht zu jener innerlichen Bindung, [449] Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar eindeutig determinierende Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt gibt. So erklärt es sich, daß unsere Zeit, die, als ganze betrachtet, sicher mehr Freiheit besitzt als irgendeine frühere, dieser Freiheit doch so wenig froh wird. Das Geld ermöglicht nicht nur, uns von den Bindungen anderen gegenüber, sondern auch von denen, die aus unserem eigenen Besitz quellen, loszukaufen; es befreit uns, indem wir es geben und indem wir es nehmen. So gewinnen fortwährende Befreiungsprozesse einen außerordentlich breiten Raum im modernen Leben, auch an diesem Punkte den tieferen Zusammenhang der Geldwirtschaft mit den Tendenzen des Liberalismus enthüllend, freilich auch einen der Gründe aufweisend, weshalb die Freiheit des Liberalismus so manche Haltlosigkeit, Wirrnis und Unbefriedigung erzeugt hat.

Indem so viele Dinge aber, fortwährend durch Geld abgelöst, ihre Richtunggebende Bedeutung für uns verlieren, findet diese Veränderung unserer Beziehung zu ihnen eine praktische Reaktion. Wenn sich jene geldwirtschaftliche Unsicherheit und Treulosigkeit gegenüber den spezifischen Besitzen in dem so sehr modernen Gefühle rächt: daß die Hoffnung der Befriedigung, die sich an ein Erlangtes knüpft, im nächsten Augenblick schon darüber hinauswächst, daß der Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der Hand gleitet – so entspricht dem eine tiefe Sehnsucht, den Dingen eine neue Bedeutsamkeit, einen tieferen Sinn, einen Eigenwert zu verleihen. Die Leichtigkeit im Gewinn und Verlust der Besitze, die Flüchtigkeit ihres Bestandes, Genossenwerdens und Wechselns, kurz: die Folgen und Korrelationen des Geldes, haben sie ausgehöhlt und vergleichgültigt. Aber die lebhaften Erregungen in der Kunst, das Suchen nach neuen Stilen, nach Stil überhaupt, der Symbolismus, ja, die Theosophie, sind Symptome für das Verlangen nach einer neuen, tiefer empfindbaren Bedeutung der Dinge – sei es, daß jedes für sich wertvollere, seelenvollere Betonung erhalte, sei es, daß es diese durch die Stiftung eines Zusammenhanges, durch die Erlösung aus ihrer Atomisierung gewinne. Wenn der moderne Mensch frei ist – frei, weil er alles verkaufen, und frei, weil er alles kaufen kann – so sucht er nun, oft in problematischen Velleitäten, an den Objekten selber diejenige Kraft, Festigkeit, seelische Einheit, die er selbst durch das vermöge des Geldes veränderte Verhältnis zu ihnen verloren hat. Wenn wir früher sahen, daß durch das Geld der Mensch sich aus dem Befangensein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines Ich, Richtung und Bestimmtheit doch mit konkreten Besitztümern soweit solidarisch, daß das fortwährende Verkaufen und Wechseln derselben, ja, die bloße Tatsache der Verkaufsmöglichkeit [450] oft genug einen Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet.

Daß der Geldwert der Dinge nicht restlos das ersetzt, was wir an ihnen selbst besitzen, daß sie Seiten haben, die nicht in Geld ausdrückbar sind – darüber will die Geldwirtschaft mehr und mehr hinwegtäuschen. Wo es dennoch nicht zu verkennen ist, daß die in Geld erfolgende Schätzung und Hingabe sie der abschleifenden Banalität des täglichen Verkehrs nicht entziehen kann, da sucht man wenigstens manchmal eine Geldform dafür, die von der alltäglichen weit absteht. Die älteste italische Münze war das Kupferstück ohne bestimmte Form, das deshalb nicht gezählt, sondern gewogen wurde. Und nun wurde bis in die Kaiserzeit hinein, bei einem unvergleichlich verfeinerten Geldwesen, dieses formlose Kupferstück sowohl zu religiösen Spenden, wie als juristisches Symbol mit Vorliebe verwendet. Daß der neben dem Geldwert liegende Wert der Dinge sich dennoch Anerkennung erzwingt, liegt besonders nahe, wenn nicht eine Substanz, sondern eine persönlich ausgeübte Funktion verkauft wird, und wenn diese nicht nur in ihrer äußerlichen Verwirklichung, sondern auch ihrem Inhalte nach individuellen Charakter trägt. Die folgende Erscheinungsreihe mag das klar machen. Wo Geld und Leistungen ausgetauscht werden, da beansprucht zwar der Geldgeber nur das festgestellte Objekt, die sachlich umschriebene Leistung. Der sachlich Leistende dagegen verlangt, wünscht wenigstens, in vielen Fällen noch etwas mehr, außer dem Gelde. Wer in ein Konzert geht, ist zufrieden, wenn er für sein Geld die erwarteten Stücke in erwarteter Vollendung hört; der Künstler ist aber mit dem Gelde nicht zufrieden, er verlangt auch Beifall. Wer sich malen läßt, ist befriedigt, wenn er das hinreichend gelungene Porträt in Händen hat; der Maler aber nicht, wenn er den verabredeten Preis in Händen hat, sondern erst, wenn ihm noch dazu subjektive Anerkennung und übersubjektiver Ruhm zu teil wird. Der Minister verlangt nicht nur den Gehalt, sondern auch den Dank des Fürsten und der Nation, der Lehrer und der Geistliche nicht nur ihre Bezüge, sondern auch Pietät und Anhänglichkeit, ja, der bessere Kaufmann will nicht nur Geld für seine Ware, sondern auch, daß der Käufer zufrieden sei – und das keineswegs immer nur, damit er wiederkomme. Kurz, sehr viele Leistende beanspruchen außer dem Gelde, das sie objektiv als das zureichende Äquivalent ihrer Leistung anerkennen, doch noch eine persönliche Anerkennung, irgendein subjektives Bezeigen des Bezahlers, das jenseits seiner verabredeten Geldleistung steht und diese für das Gefühl des Empfangenden erst zur vollen Äquivalenz mit seiner Leistung ergänzt. Hier haben wir das genaue Gegenstück [451] der Erscheinung, die ich im dritten Kapitel als das Superadditum des Geldbesitzes beschrieb. Dort wuchs dem Geldgebenden außer dem präzisen Gegenwert seiner Aufwendung noch ein Mehr aus dem über jeden einzelnen Objektwert hinausgreifenden Charakter des Geldes zu. Aber eben seinem Wesen, das am meisten von allen empirischen Dingen, mit Jakob Böhme zu reden, Wurf und Gegenwurf miteinander verbindet, entspricht diese Ausgleichung: personale Darbietungen die gerade über ihr Geldäquivalent hinaus noch ein Plus fordern. Und wie dort nach der Seite des Geldes, so drückt sich hier nach der Seite der Leistung der Anspruch über den direkten Austausch hinaus in einer Sphäre aus, die die Persönlichkeit als der geometrische Ort ihrer Ansprüche umgibt und jenseits jedes einzelnen von diesen besteht. Der Saldo, der auf diese Weise bei dem Austausch von Geld und personaler Leistung zugunsten der letzteren bleibt, kann so sehr als das Überwiegende empfunden werden, daß die Annahme eines Geldäquivalentes schon die Leistung und damit die Person herabzusetzen scheint: als würde, was man an Geld erhält, jenem idealen Lohne abgeschrieben, von dem man sich doch keinen Abzug gefallen lassen will; so wissen wir von Lord Byron, daß er Verlegerhonorare nur mit den peinlichsten Empfindungen angenommen hat. Wo die gelderwerbende Tätigkeit schon als solche des Ansehens entbehrt, wie im klassischen Griechenland (weil man die soziale Bedeutung und Produktivität des Geldkapitals noch nicht kannte, dieses vielmehr nur der egoistischen Konsumtion dienstbar glaubte) – da steigert sich diese Deklassierung noch besonders angesichts persönlich-geistiger Leistungen: etwa, für Geld zu lehren und überhaupt geistig zu arbeiten, erschien als Entwürdigung der Person. Gegenüber allen aus dem Kern der Persönlichkeit quellenden Betätigungen ist es eine oberflächliche, die wirkliche Gefühlsweise gar nicht treffende Vorstellung, daß man »seinen Lohn dahin haben« könne. Kann man etwa die Aufopferungen der Liebe durch irgendein Tun, selbst ein gleich wertvolles, aus gleich starkem Gefühle fließendes, völlig vergelten? Es bleibt immer ein Verpflichtungsverhältnis des Ganzen der Persönlichkeiten bestehen, das vielleicht gegenseitig ist, aber sich der Aufrechnung auch durch die Gegenseitigkeit prinzipiell entzieht. Ebensowenig kann ein Vergehen, soweit es innerlicher Natur ist, durch die Strafe so gesühnt werden, als ob es nun ungeschehen wäre, wie etwa der äußerlich angerichtete Schaden es kann. Wenn der Schuldige nach erduldeter Strafe eine völlige Entsündigung fühlt, so entsteht dies nicht aus einem Quittsein mit der Sünde durch die gezahlte Strafe, sondern aus einer durch diese bewirkten innerlichen Umwandlung, die die [452] Wurzel der Sünde zerstört. Die bloße Strafe aber zeigt ihre Unfähigkeit, die Missetat wirklich zu begleichen, in dem weiterwirkenden Mißtrauen und der Deklassierung, die der Sünder trotz ihrer noch erfährt. Was ich früher ausführte: daß es zwischen qualitativ verschiedenen Elementen keine unmittelbare Äquivalenz wie zwischen Aktiven und Passiven eines Kontokorrents geben könne – das gewinnt seine gründlichste Bewährung an den Werten, in denen sich die individuelle Persönlichkeit verkörpert, und wird in dem Maße ungültiger, in dem die Werte, von dieser Wurzel gelöst, selbständigdinglichen Charakter annehmen, sich so ins Unendliche dem Geld nähernd, das der schlechthin inkommensurablen Persönlichkeit gegenüber das schlechthin Kommensurable, weil das absolut Sachliche ist. Es hat einerseits etwas Grauenhaftes, sich die tiefe gegenseitige Unangemessenheit der Dinge, Leistungen, psychischen Werte vorzustellen, die wir immerfort wie wirkliche Äquivalente gegeneinander einsetzen; andrerseits gibt gerade diese Unvergleichbarkeit von Lebenselementen, ihr Recht, von keinem angebbaren Äquivalent genau gedeckt zu werden, dem Leben doch einen unersetzlichen Reiz und Reichtum. Daß die personalen Werte durch das Geld, für das sie dargeboten werden, gar nicht ausgeglichen werden, mag einerseits, der Grund von unzähligen Ungerechtigkeiten und tragischen Situationen sein; aber andrerseits erhebt sich doch gerade daran das Bewußtsein von dem Werte des Persönlichen, der Stolz des individuellen Lebensinhaltes, sich durch keine Steigerung bloß quantitativer Werte aufgewogen zu wissen. Diese Inadäquatheit wird, wie wir es schon so oft als typisch erkannten, bei sehr hohen Summen als Gegenwerten gemildert, weil diese ihrerseits von jenem Superadditum umschwebt werden, von phantastischen, über die Zahlbestimmtheit hinausgreifenden Möglichkeiten, die, in ihrer Art, der in die Einzelleistung hineingegebenen und doch über jede Einzelleistung hinausreichenden Persönlichkeit korrespondieren. Deshalb mag man gewisse Objekte oder Leistungen für sehr vieles Geld wohl hingeben; aber wenn dies nicht erlangbar ist, so verschenkt man sie lieber, als daß man wenig Geld dafür nehme. Denn nur dies, aber nicht jenes deklassiert sie. Aus diesem Gefühlszusammenhang heraus müssen unter feiner empfindlichen Menschen Geschenke, die den Charakter persönlicher Huldigung haben, ihren Geldwert gleichsam unsichtbar machen: bei Blumen und Näschereien, die man einer fernerstehenden Dame allein zu schenken wagen darf, wirkt die rasche Vergänglichkeit wie eine Aufhebung jedes substanziellen Wertes.

Nun ist weder das Hinausragen der Leistung über ihr Geldäquivalent [453] immer von merkbarer Größe, noch, wenn es dies ist, immer so zum Ausdruck zu bringen, wie in den angeführten Fällen des Künstlers und des Arztes, des Beamten und des Gelehrten. Wenn die Leistung sehr unindividuell ist und die Persönlichkeit sich mit ihr nicht aus dem Durchschnitt heraushebt, wie etwa bei dem ungelernten Arbeiter, so fehlt der Punkt der Inkommensurabilität, das Hineinwachsen der mit nichts vergleichbaren Persönlichkeit in das Werk, die sich immer nur in einer irgendwie singulären Qualität zu erkennen geben kann. Andrerseits, ob der Leistende eine Begleichung jenes Saldo auf die angegebenen Arten erlangte hängt im Prinzip davon ab, ob seine soziale Stellung ihm überhaupt derartige ideale Anerkennungen zugänglich macht; wo sie wegen seiner allgemeinen Untergeordnetheit aufbleiben, erscheint er natürlich um so herabgewürdigter, je persönlicheres er für Geld und nur für Geld zu geben gezwungen ist. So wurden die mittelalterlichen Spielleute verachtet, mit der gelegentlichen Begründung, daß sie auf Bestellung Lustiges wie Trauriges sängen, ihre persönlichen Empfindungen damit prostituierten, daß sie »Geld für Ehre nahmen«. Um die Ausschließung jenes idealen Lohnes aufrechtzuerhalten, war es deshalb durchaus konsequent, daß man sie wenigstens in bezug auf den ökonomischen Lohn auch streng gewissenhaft behandelte: obgleich die Spielleute allenthalben schlechtes Recht hatten, so wurde ihnen doch, wie ich schon erwähnte, gerade in bezug auf Hab und Gut unparteilich Recht gemessen. Wo der eigentlich personale Wert schlechthin gegen Geld, ohne eine darüber hinausgehende ideelle Entschädigung, fortgegeben werden muß, da findet deshalb eine Lockerung, gleichsam ein Substanzverlust des individuellen Lebens statt. Das Gefühl der Tatsache, daß im Geldverkehr personale Werte für einen inadäquaten Gegenwert ausgetauscht werden, ist sicher einer der Gründe, aus denen in Kreisen von wirklich vornehmer und stolzer Gesinnung der Geldverkehr so oft perhorresziert und sein Gegenpol, die Landwirtschaft, als das allein Geziemende gepriesen worden ist. So war es zum Beispiel bei den Adligen der schottischen Hochlande, die bis zum achtzehnten Jahrhundert ein ganz isoliertes und rein autochthones Dasein führten, das aber ganz unter dem Ideal der denkbar höchsten persönlichen Freiheit stand. Denn so sehr das Geld diese fördern kann, wenn erst einmal ein eng gesponnener Verkehr die Menschen in sich verwebt und eingeschlungen hat, so stark muß man doch vom Standpunkt einer freien, auf sich gestellten und sich selbst genügenden Existenz ausempfinden, daß der Austausch von Besitz und Leistungen gegen Geld das Leben entpersonalisiert. Wenn die subjektiven und die objektiven Seiten des Lebens sich erst gesondert [454] haben, so kann freilich die Entpersonalisierung, die letzteren immer entschiedener ergreifend, der reinen Herausarbeitung der ersteren dienen; bei einer primitiveren und einheitlicheren Existenz muß es umgekehrt als eine Unverhältnismäßigkeit und ein Verlust gelten, wenn Besitz und Leistung, bisher nur persönlich genossen oder persönlich gewährt, bloß zum Element eines Geldverkehrs und zum Gegenstand seiner objektiven Gesetzmäßigkeiten werden. Bei dem Übergange der mittelalterlichen Grundherrschaft des Ritters zu der modernen Landwirtschaft ist zu konstatieren, daß seine Standesbegriffe sich zwar dahin erweitern: außer der Kriegstätigkeit sei doch auch Erwerbstätigkeit für ihn zulässig – aber dies sei eben nur der Betrieb der eigenen Güter; ein Erwerb, dessen Eigenart ihn nun den Kaufmann, den Händler womöglich noch mehr verachten ließ, als es vor seiner Wendung zum Ökonomischen der Fall war. Das spezifische Gefühl der Würdelosigkeit des Geldverkehrs tritt hier gerade deshalb so schroff hervor, weil die beiden Wirtschaftsarten jetzt nahe aneinander gerückt sind. Es ist eine der durchgehendsten soziologischen Erscheinungen, daß der Gegensatz zwischen zwei Elementen nie stärker hervortritt, als wenn derselbe sich von einem gemeinsamen Boden aus entwickelt: Sekten der gleichen Religion pflegen sich intensiver zu hassen als ganz verschiedene Religionsgemeinschaften, die Feindschaften kleiner benachbarter Stadtstaaten waren, die ganze bekannte Geschichte hindurch, leidenschaftlicher als die großer Staaten mit ihren räumlich und sachlich getrennten Interessengebieten, ja, man hat behauptet, daß der glühendste Haß, den es gibt, der zwischen Blutsverwandten wäre. Diese Steigerung des Antagonismus, der sich gleichsam von dem Hintergrund einer Gemeinsamkeit abhebt, scheint in manchen Fällen dann ein Maximum zu erreichen, wenn die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit in der Zunahme begriffen ist und damit die Gefahr droht, daß der Unterschied und Gegensatz überhaupt verwischt werde, an dessen Bestand wenigstens eine der Parteien lebhaft interessiert ist. Je mehr ein tiefer- und ein höherstehendes Element sich einander nähern, desto energischer wird das letztere die noch bestehenden Differenzpunkte betonen, desto höher sie werten. So entsteht der leidenschaftliche und aggressive Klassenhaß nicht dann, wenn die Klassen noch durch unüberbrückbare Klüfte geschieden sind, sondern erst in dem Augenblick, wo die niedere Klasse sich schon etwas erhoben hat, die höhere einen Teil ihres Prestige verloren hat und ein Nivellement beider diskutiert werden kann. So empfand der Grundherr in seinem Umwandlungsprozeß in den wirtschaftstreibenden Gutsbesitzer eine gesteigerte Notwendigkeit, sich von dem geldwirtschaftenden Kaufmann [455] abzuscheiden. Er trieb Wirtschaft, aber zunächst doch nur für den eigenen Bedarf, er gab doch nicht sein Eigen für Geld hin; und wenn er das tat, so war es doch schließlich nur das Produkt, er stellte sich doch nicht, wie der Kaufmann, mit der Unmittelbarkeit persönlicher Leistung in den Dienst des Geldgebers; wie es von einem ähnlichen Motiv aus – wenngleich unter dem wesentlichen Mitwirken anderer – dem spartanischen Vollbürger zwar gestattet war, Land zu besitzen, aber nicht, es selbst zu bebauen. Jenen Unterschied gegen andere Verkäufer zu betonen, war im Interesse der aristokratischen Stellung deshalb so wichtig, weil das Geldgeschäft demokratisch nivellierend wirkt; insbesondere wenn der sozial Höherstehende der Geldnehmer, der Tieferstehende der Empfänger der sachlichen Leistung ist, macht es die Parteien leicht miteinander »gemein«. Deshalb empfindet der Aristokrat das Geldgeschäft als deklassierend, während der Bauer, wenn er statt seiner Naturalleistungen dem Herrn in Geld zinst, dadurch ein Aufsteigen erfährt.

Das zeigt sich also auch an dem Geldverkauf personaler Werte als das Unvergleichliche des Geldes, daß es allen Entgegengesetztheiten historisch-psychologischer Möglichkeiten sich leihend, mit seiner eigenen Unentschiedenheit und Inhaltlosigkeit doch alle jene zu äußerster Entschiedenheitausbildet. In der so gesteigerten praktischen Welt erscheint das Geld, die verkörperte Relativität der Dinge, gleichsam als das Absolute, das alles Relative mit seinen Gegensätzen umschließt und trägt.

[456]

III.

Die Bedeutung des Geldäquivalents der Arbeit ist auf diesen Seiten so oft direkt und indirekt berührt, daß ich hier nur noch eine darauf bezügliche Prinzipienfrage abhandeln möchte: ob die Arbeit selbst etwa der Wert schlechthin ist, der also das Wertmoment in allen ökonomischen Einzelheiten ebenso in concreto bildet, wie dasselbe in abstracto durch das Geld ausgedrückt wird. Die Bemühungen, die Gesamtheit der wirtschaftlichen Werte aus einer einzigen Quelle abzuleiten und auf einen einzigen Ausdruck zu reduzieren – auf die Arbeit, die Kosten, den Nutzen usw. – wären sicher nicht aufgetreten, wenn nicht die Umsetzbarkeit aller jener Werte in Geld auf eine Einheit ihres Wesens hingedeutet und als Pfand für die Erkennbarkeit eben dieser Einheit gedient hätte. Der Begriff des »Arbeitsgeldes«, der in sozialistischen Plänen auftaucht, drückt diesen Zusammenhang aus. Geleistete Arbeit als der allein wertbildende Faktor gibt danach allein das Recht, die Arbeitsprodukte Anderer zu beanspruchen, und dafür weiß man eben keine andere Form, als daß man die Symbole und Anerkenntnisse eines bestimmten Arbeitsquantums als Geld bezeichnet. Das Geld muß also selbst da als Einheitsform der Werte konserviert werden, wo seine augenblickliche Beschaffenheit verworfen wird, weil deren Eigenleben es hindere, der adäquate Ausdruck der fundamentalen Wertpotenz zu sein. Wenn man selbst neben der Arbeit noch die Natur als Wertbildner zuläßt, da doch auch das aus ihr entnommene Material der Arbeit Wert besitzt, und so, wie man sagte, die Arbeit zwar der Vater, die Erde aber die Mutter des Reichtums ist – so muß der sozialistische Gedankengang dennoch am Arbeitsgeld münden; denn da die Schätze der Natur nicht mehr Privateigentum, sondern die gemeinsame, jedem a priori in gleicher Weise zugängige Grundlage des Wirtschaftens überhaupt sein sollen, so ist dasjenige, was jeder in den Tausch zu geben hat, schließlich doch nur seine Arbeit. Er kann freilich, wenn er mit Hilfe dieser ein wertvolles Naturprodukt [457] eingetauscht hat und dieses weiter vertauscht, dessen Stoffwert mit in Rechnung stellen; aber die Werthöhe desselben ist doch nur genau gleich dem Werte seiner Arbeit, für die er es erworben hat, und diese bildet also für das fragliche Naturprodukt das Maß seines Tauschwertes. Wenn die Arbeit so die letzte Instanz ist, auf die alle Wertbestimmung der Objekte zurückzugehen hat, so ist es eine Unangemessenheit und ein Umweg, sie ihrerseits erst an einem Objekte von fremder Provenienz, wie das jetzige Geld es ist, zu messen; vielmehr müßte man dann allerdings eine Möglichkeit suchen, die Arbeitseinheit ganz rein und unmittelbar in einem Symbol auszudrücken, das als Tausch- und Meßmittel, als Geld fungierte.

Ohne von den angedeuteten Vereinheitlichungen des Wertes eine als die allein legitime zu verkünden, möchte ich die Arbeitstheorie wenigstens für die philosophisch interessanteste halten. In der Arbeit gewinnen die Körperlichkeit und die Geistigkeit des Menschen, sein Intellekt und sein Wille, eine Einheitlichkeit, die diesen Potenzen versagt bleibt, solange man sie gleichsam in ruhendem Nebeneinander betrachtet; die Arbeit ist der einheitliche Strom, in dem sie sich wie Quellflüsse mischen, die Geschiedenheit ihres Wesens in der Ungeschiedenheit des Produktes auslöschend. Wäre sie wirklich der alleinige Träger des Wertes, so würde der letztere damit in den definitiven Einheitspunkt unserer praktischen Natur eingesenkt, und dieser würde sich den adäquatesten Ausdruck, den er in der äußeren Realität finden kann, erwählt haben. Im Hinblick auf diese Bedeutung der Arbeit erscheint es mir eine untergeordnete Frage, ob man nicht der Arbeit daraufhin den Wert abzusprechen habe, daß sie doch vielmehr die Werte erst erzeuge – wie die Maschine, die einen Stoff bearbeitet, doch die Form nicht selbst besitzt, die sie diesem erteilt. Gerade wenn man nur den Produkten menschlicher Arbeit Wert zuspreche, könne nicht sie selbst – die eine physiologische Funktion ist –, sondern nur die Arbeitskraft Wert haben. Denn diese allerdings werde vom Menschen erzeugt, nämlich durch die Unterhaltungsmittel, die ihrerseits menschlicher Arbeit entstammen. Daß sie sich dann in wirkliche Arbeit umsetzt, fordert ersichtlich nicht wiederum Arbeit, bedeutet also selbst keinen Wert; dieser vielmehr haftet nun erst wieder an den von solcher Arbeit bedingten Produkten. Ich halte dies indes für eine im wesentlichen terminologische Angelegenheit. Denn da die Arbeitskraft sicher kein Wert wäre, wenn sie latent bliebe und sich nicht in wirkliches Arbeiten umsetzte, sondern erst in diesem wertbildend wirkt, so kann man für alle Zwecke der Berechnung und des Ausdrucks die Arbeit einsetzen. Das wird auch nicht durch die Überlegung geändert, daß [458] die als Nahrung konsumierten Werte nicht Arbeit, sondern Arbeitskraft erzeugen und deshalb nur diese, als Trägerin jener aufgenommenen Werte, selbst ein Wert sein könne. Die Nahrungsmittel können schon deshalb nicht die zulängliche Ursache des vom Menschen verwirklichten Wertes sein, weil dieser letztere den in den ersteren investierten übersteigt, da es andernfalls nie zu einer Wertvermehrung kommen könnte. Die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeit ist nur für die Zwecke des Sozialismus wichtig, weil sie die Theorie anschaulich macht, daß der Arbeiter nur einen Teil der Werte erhält, die er erzeugt. Seine Arbeit produziert mehr Werte, als in seiner Arbeitskraft, in Form der Unterhaltsmittel, investiert sind; indem der Unternehmer die ganze Arbeitskraft um den Wert der letzteren kauft, profitiert er das ganze Mehr, um welches die schließlichen Arbeitsprodukte diesen Wert überragen. Aber selbst von diesem Standpunkt aus scheint mir, man könnte, statt der Arbeitskraft die Arbeit als Wert bezeichnend, innerhalb der letzteren die Quanten gegeneinander abgrenzen, deren Werte einerseits als Lohn zum Arbeiter zurückkehren, andrerseits den Gewinn des Unternehmers ausmachen. Ich gehe hierauf also nicht weiter ein, sondern untersuche im folgenden nur die nähere Bestimmung, unter welcher uns die Arbeitstheorie des Wertes so häufig entgegentritt: sie sucht einen Arbeitsbegriff, der für Muskelarbeit und geistige Arbeit gleichmäßig gilt, und mündet dabei tatsächlich auf der Muskelarbeit, als dem primären Werte oder Wertproduzenten, der als Maß jeglicher Arbeit überhaupt zu gelten habe. Es wäre irrig, hierin nur proletarischen Trotz und prinzipielle Entwürdigung geistiger Leistungen zu sehen. Vielmehr wirken dazu tiefere und verwickeltere Ursachen.

Von dem Anteil des Geistes an der Arbeit ist zunächst behauptet worden, daß er kein »Aufwand« sei, er fordere keinen Ersatz wegen Abnutzung und erhöhe deshalb die Kosten des Produktes nicht; so daß als Begründerin des Tauschwertes nur die Muskelarbeit übrigbleibe. Wenn man dem gegenüber hervorgehoben hat, daß auch die geistige Kraft erschöpfbar sei und ganz ebenso wie die körperliche durch Ernährung erhalten und ersetzt werden müßte, so ist dabei das Moment von Wahrheit übersehen, das jener Theorie, wenn auch nur als instinktives Gefühl, zum Grunde liegen mag. Der Anteil des Geistes an einem Arbeitsprodukt bedeutet nämlich zwei scharf zu unterscheidende Seiten desselben. Wenn ein Tischler einen Stuhl nach einem längst bekannten Modell herstellt, so geht das freilich nicht ohne einen Aufwand psychischer Tätigkeit ab, die Hand muß vom Bewußtsein geleitet werden. Allein dies ist keineswegs die ganze in dem Stuhl investierte Geistigkeit. Er wäre auch nicht herstellbar [459] ohne die geistige Tätigkeit desjenigen, der, vielleicht vor Generationen, das Modell dazu ersonnen hat; auch die hiermit verbrauchte psychische Kraft bildet eine praktische Bedingung dieses Stuhles. Nun aber besteht der Inhalt dieses zweiten geistigen Prozesses in einer Form weiter, in der er keinen psychischen Kraftaufwand mehr involviert: als Tradition, objektiv gewordener Gedanke, den jeder aufnehmen und nachdenken kann. In dieser Form wirkt er im Produktionsprozeß des jetzigen Tischlers, bildet den Inhalt der aktuellen geistigen Funktion, die freilich von dessen subjektiver Kraft getragen und vollzogen werden muß, und geht vermöge dieser letzteren in das Produkt, als dessen Form, ein. Die zweierlei psychischen Betätigungen, von denen ich erst sprach, sind ganz sicher der Abnutzung und der Notwendigkeit eines physiologischen Ersatzes unterworfen: sowohl die des Tischlers wie die des Erfinders des Stuhles. Aber das dritte geistige Moment, das offenbar für das jetzige Zustandekommen des Stuhles entscheidend wichtig ist, ist allerdings dem Verbrauchtwerden enthoben, und nach der Idee dieses Stuhles mögen Tausende von Exemplaren gearbeitet werden, sie selbst leidet dadurch keine Abnutzung, fordert keine Restaurierung und vermehrt also allerdings, obgleich sie den formgebenden, sachlich-geistigen Gehalt jedes einzelnen Stuhles dieser Art bildet, die Kosten desselben nicht. Unterscheidet man also mit der erforderlichen Schärfe zwischen dem objektiv-geistigen Inhalt in einem Produkt und der subjektiven geistigen Funktion, die nach der Norm jenes Inhaltes das Produkt herstellt, so sieht man das relative Recht jener Behauptung, daß der Geist nichts koste; freilich auch ihr relatives Unrecht, weil diese unentgeltliche und unvernutzbare Idee des Dinges sich nicht von selbst in Produkten verwirklicht, sondern nur vermittels eines Intellekts, dessen jetziges, jener Idee gemäßes Funktionieren organische Kraft fordert und zu dem Kostenwert des Produktes aus denselben Gründen beiträgt, wie die Muskelleistung es tut – wenngleich der durch einen so präformierten Inhalt gelenkte psychische Aufwand natürlich ein viel geringerer ist, als wenn er zugleich den Inhalt originell aufzubringen hat. Die Differenz zwischen beiden ist die Gratisleistung des Geistes. Und dieses ideell-inhaltliche Moment ist es, das den geistigen Besitz nach zwei Seiten hin so völlig von dem ökonomischen unterscheidet: er kann einem einerseits viel gründlicher, andrerseits viel weniger genommen werden, als dieser. Der einmal ausgesprochene Gedanke ist durch keine Macht der Welt wieder einzufangen, sein Inhalt ist unwiderruflich öffentliches Eigentum aller, die die psychische Kraft, ihn nachzudenken, aufwenden. Deshalb aber kann er einem auch, wenn dies einmal geschehen ist, durch keine Macht der Welt wieder [460] geraubt werden, der einmal gedachte Gedanke bleibt, als immer wieder reproduzierbarer Inhalt, der Persönlichkeit so unentreißbar verbunden, wie es im ökonomischen gar keine Analogie findet. Indem sich der geistige Prozeß aus seinem Inhalt, der diese überökonomische Bedeutung hat, und dem psychologischen Prozeß als solchem zusammensetzt, handelt es sich hier ersichtlich nur um den letzteren, um die Frage, welche Rolle der seelische Kraftverbrauch in der Wertbildung noch neben der Muskelarbeit spiele.

Daß die Bedeutung der geistigen Arbeit auf die der physischen reduziert werde, ist schließlich nur eine Seite der ganz allgemeinen Tendenz, eine Einheit des Arbeitsbegriffes herzustellen. Das Gemeinsame aller mannigfaltigen Arten der Arbeit – einer viel weiteren und abgestufteren Mannigfaltigkeit, als der bloße Gegensatz zwischen physischer und psychischer Arbeit zeigt – gilt es aufzufinden. Damit wäre theoretisch wie praktisch außerordentlich viel gewonnen, soviel wie entsprechend mit der Tatsache des Geldes; man hätte nun die generelle, qualitative Einheit, auf Grund deren alle Wertverhältnisse zwischen den Ergebnissen menschlicher Tätigkeit rein quantitativ, durch ein bloßes Mehr oder Weniger, auszudrücken wären. Auf allen Gebieten hat dies den wesentlichen Fortschritt der Erkenntnis bedeutet: daß die qualitative Abwägung der Objekte gegeneinander, die immer eine relativ unsichere und unexakte bleibt, in die allein unzweideutige quantitative übergeführt wird, indem eine durchgängige innere Einheit an ihnen festgestellt wird und diese nun, als überall dieselbe und selbstverständliche, in der Berechnung der relativen Bedeutungen der Einzelheiten keine Berücksichtigung mehr verlangt. Auf sozialistischer Seite ist dies offenbar eine bloße Fortsetzung und Konsequenz der Bestrebung, alle Werte überhaupt auf ökonomische, als ihren Ausgangspunkt und ihre Substanz zurückzuführen. Und auf dieser Bestrebung mußte sie unvermeidlich münden, wenn sie ihre Nivellierungstendenz zu Ende dachte. Denn auf dem Gebiete des ökonomischen kann man allenfalls eine Gleichheit der Individuen als möglich denken; auf allen anderen: intellektuellen, gefühlsmäßigen, charakterologischen, ästhetischen, ethischen usw. würde das Nivellement, selbst nur das der »Arbeitsmittel«, von vornherein aussichtslos sein. Will man es dennoch unternehmen, so bleibt nichts übrig, als diese Interessen und Qualitäten irgendwie auf jene, die allein eine annähernde Gleichmäßigkeit der Verteilung gestatten, zu reduzieren. Ich weiß wohl, daß der heutige wissenschaftliche Sozialismus die mechanisch-kommunistische Gleichmacherei von sich weist und nur eine Gleichheit der Arbeitsbedingungen herstellen will, von der aus die Verschiedenheit der Begabung, [461] Kraft und Bemühung auch zu einer Verschiedenheit der Stellung und des Genusses führen soll. Allein dem heutigen Zustand gegenüber, in dem Erbrecht, Klassenunterschiede, Akkumulation des Kapitals und alle möglichen Chancen der Konjunktur weit größere als den individuellen Betätigungsunterschieden entsprechende Abstände erzeugen – würde jenes nicht nur tatsächlich eine wesentliche Ausgleichung in jeder Hinsicht bedeuten, sondern die Ausgleichung auch der Besitz- und Genußmomente scheint mir auch heute noch für die Massen das eigentlich wirksame Agitationsmittel zu sein. Wenn der historische Materialismus zum wissenschaftlichen Beweisgrund der sozialistischen Lehre gemacht worden ist, so geht hier, wie so oft, der systematische Aufbau den umgekehrten Weg wie der schöpferische Gedankengang, und man hat nicht aus dem unabhängig festgestellten historischen Materialismus die sozialistische Theorie logisch gefolgert, sondern die praktisch feststehende sozialistisch-kommunistische Tendenz hat sich erst nachträglich den für sie allein möglichen Unterbau geschaffen, die ökonomischen Interessen als den Quellpunkt und Generalnenner aller anderen zu deklarieren. Ist dies aber einmal geschehen, so muß sich die gleiche Tendenz in das Gebiet des ökonomischen selbst fortsetzen und die Mannigfaltigkeit seiner Inhalte auf eine Einheit bringen, die über alles individuelle Leisten die Möglichkeit einer Gleichheit und äußerlich nachweisbaren Gerechtigkeit stellt.

Denn die Behauptung, der Wert aller wertvollen Objekte bestehe in der Arbeit, die sie gekostet haben, genügt für diesen Zweck noch nicht. Damit könnte sich nämlich noch immer die qualitative Verschiedenheit der Arbeit vereinigen, derart, daß ein geringeres Quantum höherer Arbeit einen gleichen oder höheren Wert bildete, wie ein erhebliches von niederer Arbeit. Hierdurch aber wäre eine ganz andere als die beabsichtigte Wertskala eingeführt. Die entscheidenden Eigenschaften der Feinheit, Geistigkeit, Schwierigkeit würden zwar auch dann immer noch mit und an der Arbeit produziert, realisierten sich nur als Attribute ihrer; allein das Wertmoment ruhte nun doch nicht mehr auf der Arbeit als Arbeit, sondern auf der nach einem ganz selbständigen Prinzip aufgebauten Ordnung der Qualitäten, für die die Arbeit als solche, die das Allgemeine aller Arbeitsqualitäten ist, nur der für sich noch irrelevante Träger wäre. Damit wäre die Arbeitstheorie in dasselbe Dilemma gebracht, dem die moral-philosophische Lehre unterlegen ist, daß die Produktion von Glücksgefühlen der alsolute ethische Wert sei. Ist nämlich die Handlung wirklich in dem Maße sittlich, in dem sie Glück zur Folge hat, so bedeutet es eine Durchbrechung des Prinzips und die Einführung [462] neuer definitiver Wertmomente, wenn das reinere, geistigere, vornehmere Glück als das wertvollere gepriesen wird. Denn dann wäre der Fall möglich, daß ein solches Glück, wenngleich quantitativ, d.h. als bloßes Glück, geringer als ein niedriges, sinnliches, selbstisches, dennoch diesem gegenüber das sittlich erstrebenswertere wäre. Die ethische Glückseligkeitstheorie ist deshalb nur dann konsequent, wenn alle ethischen Unterschiede sinnlichen und geistigen, epikureischen und asketischen, egoistischen und mitfühlenden Glückes im letzten Grunde, alle Begleit- und Folgeerscheinungen eingerechnet, bloße Maßunterschiede einer und derselben, qualitativ immer gleichen Glücksart sind. Ebenso muß die konsequente Arbeitstheorie es durchführen können, daß alle die unzweideutig empfundenen und nicht wegzudisputierenden Wertunterschiede zwischen zwei Leistungen, die als Arbeit extensiv und intensiv gleich erscheinen, im letzten Grunde nur bedeuten, daß in der einen mehr Arbeit verdichtet ist, als in der anderen, daß nur der erste und flüchtige Blick sie für gleiche Arbeitsquanten hält, der tiefer dringende aber ein tatsächliches Mehr oder Weniger von Arbeit als den Grund ihres Mehr oder Weniger von Wert entdeckt.

Tatsächlich ist diese Deutung nicht so unzulänglich, wie sie zuerst scheint. Man muß nur den Begriff der Arbeit weit genug fassen. Betrachtet man die Arbeit zunächst in der Beschränkung auf ihren individuellen Träger, so liegt auf der Hand, daß in jedem irgend »höheren« Arbeitsprodukt keineswegs nur diejenige Arbeitssumme investiert ist, die unmittelbar auf eben diese Leistung verwendet worden ist. Die ganzen vorhergegangenen Mühen vielmehr, ohne die die jetzige, relativ leichtere Herstellung unmöglich wäre, müssen in sie, als für sie erforderliche Arbeit, pro rata eingerechnet werden. Gewiß ist die »Arbeit« des Musikvirtuosen an einem Konzertabend oft im Verhältnis zu ihrer ökonomischen und idealen Einschätzung eine geringe; ganz anders aber steht es, wenn man die Mühen und die Dauer der Vorbereitung als Bedingung der unmittelbaren Leistung dem Arbeitsquantum derselben hinzurechnet. Und so bedeutet auch in unzähligen anderen Fällen höhere Arbeit eine Form von mehr Arbeit; nur daß diese nicht in der sinnlichen Wahrnehmbarkeit momentaner Anstrengung, sondern in der Kondensation und Aufspeicherung vorangegangener und die jetzige Leistung bedingender Anstrengungen gelegen ist: in der spielenden Leichtigkeit, mit der der Meister seine Aufgaben löst, kann unendlich viel mehr Arbeitsmühe verkörpert sein, als in dem Schweiß, den der Stümper schon um eines sehr viel niederen Ergebnisses willen vergießen muß. Nun aber kann diese Deutung der Qualitätsunterschiede der Arbeit [463] als quantitativer sich über die bloß persönlichen Vorbedingungen hinauserstrecken. Denn diese reichen offenbar nicht aus, um diejenigen Eigenschaften der Arbeit in der angegebenen Weise zu reduzieren, die ihre Höhe durch eine angeborene Begabung oder durch die Gunst dargebotener objektiver Vorbedingungen gewinnen. Hier muß man sich einer Vererbungshypothese bedienen, die freilich hier wie überall, wo sie insbesondere erworbene Eigenschaften einbezieht, nur eine ganz allgemeine Denkmöglichkeit darbietet. Wollen wir die verbreitete Erklärung des Instinkts akzeptieren, daß er aus den aufgehäuften Erfahrungen der Vorfahren besteht, die zu bestimmten zweckmäßigen Nerven- und Muskelkoordinationen geführt haben und in dieser Form den Nachkommen vererbt sind, derart, daß bei diesen die zweckmäßige Bewegung auf den entsprechenden Nervenreiz hin rein mechanisch und ohne eigener Erfahrung und Einübung zu bedürfen, erfolgt – wenn wir dies akzeptieren wollen, so kann man die angeborene spezielle Begabung als einen besonders günstigen Fall des Instinkts betrachten. Nämlich als denjenigen, in dem die Summierung solcher physisch verdichteten Erfahrungen ganz besonders entschieden nach einer Richtung hin und in einer solchen Lagerung der Elemente erfolgt ist, daß schon der leisesten Anregung ein fruchtbares Spiel bedeutsamer und zweckmäßiger Funktionen antwortet. Daß das Genie so viel weniger zu lernen braucht, wie der gewöhnliche Mensch zu der gleichartigen Leistung, daß es Dinge weiß, die es nicht erfahren hat – dieses Wunder scheint auf eine ausnahmsweise reiche und leicht ansprechende Koordination vererbter Energien hinzuweisen. Wenn man die hiermit angedeutete Vererbungsreihe weit genug zurückgliedert und sich klar macht, daß alle Erfahrungen und Fertigkeiten innerhalb derselben nur durch wirkliches Arbeiten und Ausüben gewonnen und weitergebildet werden konnten, so erscheint auch die individuelle Besonderheit der genialen Leistung als das kondensierte Resultat der Arbeit von Generationen. Der besonders »begabte« Mensch wäre demnach derjenige, in dem ein Maximum von Arbeit seiner Vorfahren in latenter und zur Weiterverwertung disponierter Form aufgehäuft ist; so daß der höhere Wert, den die Arbeit eines solchen durch ihre Qualität besitzt, im letzten Grunde auch auf ein quantitatives Mehr von Arbeit zurückgeht, das er freilich nicht persönlich zu leisten brauchte, sondern dem er nur durch die Eigenart seiner Organisation das Weiterwirken ermöglicht. Die Leistung wäre dann, die gleiche aktuelle Arbeitsmühe der Subjekte vorausgesetzt, in dem Maße eine verschieden hohe, in dem die Struktur ihres psychisch-physischen Systems eine verschieden große und mit verschiedener Leichtigkeit [464] wirkende Summe erarbeiteter Erfahrungen und Geschicklichkeiten der Vorfahren in sich birgt. Und wenn man die Wertgröße der Leistungen, statt durch das Quantum der erforderlichen Arbeit, in der gleichen Tendenz durch die zu ihrer Herstellung »gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit« ausgedrückt hat, so entzieht sich auch dies nicht der gleichen Deutung: der höhere Wert der durch besondere Begabung getragenen Leistungen bedeutete dann, daß die Gesellschaft immer eine gewisse längere Zeit hindurch leben und wirken muß, ehe sie wieder ein Genie hervorbringt; sie braucht den längeren Zeitraum, der den Wert der Leistung bedingt, in diesem Falle nicht zu deren unmittelbarer Produktion, sondern zur Produktion der – eben nur in relativ längeren Zwischenräumen auftretenden – Produzenten solcher Leistungen.

Die gleiche Reduktion kann auch in objektiver Wendung erfolgen. Die Höherwertung des Arbeitsergebnisses bei gleicher subjektiver Anstrengung, findet nicht nur als Erfolg eines persönlichen Talentes statt; sondern es gibt bestimmte Kategorien von Arbeiten, die von vornherein einen höheren Wert als andere repräsentieren, so daß die einzelne Leistung innerhalb jener weder größere Mühe noch größere Begabung als die innerhalb anderer zu enthalten braucht, um dennoch einen höheren Rang einzunehmen. Wir wissen sehr wohl, daß unzählige Arbeiten in den »höheren Berufen« an das Subjekt keinerlei höhere Ansprüche stellen, als solche, in den »niederen«; daß die Arbeiter in Bergwerken und Fabriken oft eine Umsicht, Entsagungsfähigkeit, Todesverachtung besitzen müssen, die den subjektiven Wert ihrer Leistung weit über den vieler Beamten- oder Gelehrtenberufe erhebt; daß die Leistung eines Akrobaten oder Jongleurs genau dieselbe Geduld, Geschicklichkeit und Begabung fordert, wie die manches Klaviervirtuosen, der seine manuelle Fertigkeit durch keinen Beisatz seelischer Vertiefung adelt. Und doch pflegt nicht nur die eine Kategorie von Arbeiten der anderen gegenüber tatsächlich viel höher entlohnt zu werden, sondern auch ein sozial vorurteilsloses Schätzungsgefühl wird in vielen Fällen denselben Weg gehen. Bei vollem Bewußtsein der gleichen oder höheren subjektiven Arbeit, die das eine Produkt erfordert, wird man dem anderen dennoch einen höheren Rang und Wert zusprechen, so daß es hier wenigstens scheint, als ob andere Momente als die des Arbeitsmaßes seine Schätzung bestimmten. Doch ist dieser Schein nicht unüberwindlich. Man kann nämlich die Arbeitsleistungen höherer Kulturen in eine Stufenreihe von dem Gesichtspunkt aus einstellen, welches Quantum Arbeit bereits in den objektiven, technischen Vorbedingungen aufgehäuft ist, auf Grund deren die einzelne Arbeit [465] überhaupt möglich ist. Damit es überhaupt höhere Stellungen in einer Beamtenhierarchie gebe, muß erstens eine unübersehbare Arbeit in der Verwaltung und der allgemeinen Kultur bereits geleistet sein, deren Geist und Ergebnis sich zu der Möglichkeit und Notwendigkeit solcher Stellungen verdichtet; und zweitens setzt jede einzelne Tätigkeit höherer Funktionäre die Vorarbeit vieler subalterner voraus, die sich in ihr konzentrieren; so daß die Qualität solcher Arbeit wirklich nur durch ein sehr hohes Quantum schon vollbrachter und in sie eingehender Arbeit zustande kommt. Ja, gegenüber der »unqualifizierten« beruht alle qualifizierte Arbeit als solche keineswegs nur auf der höheren Ausbildung des Arbeiters, sondern ebenso auch auf der höheren und komplizierteren Struktur der objektiven Arbeitsbedingungen, des Materials und der historisch-technischen Organisation. Damit auch der mittelmäßigste Klavierspieler möglich sei, bedarf es einer so alten und breiten Tradition, eines so unübersehbaren überindividuellen Bestandes technischer und artistischer Arbeitsprodukte, daß allerdings diese in ihr gesammelten Schätze seine Arbeit weit über die vielleicht subjektiv viel erheblichere des Seiltänzers oder Taschenspielers erheben. Und so im allgemeinen: was wir als die höheren Leistungen schätzen, nur nach der Kategorie des Berufes und ohne daß personale Momente ihre Höhe bewirkten, das sind diejenigen, die in dem Aufbau der Kultur die relativ abschließenden, am meisten von langer Hand vorbereiteten sind, die ein Maximum von Arbeit Vor- und Mitlebender als ihre technische Bedingung in sich aufnehmen – so un gerecht es auch sei, aus diesem, durch ganz überpersönliche Ursachen entstandenen Wert der objektiven Arbeitsleistung eine besonders hohe Entlohnung öder Schätzung für den zufälligen Träger derselben herzuleiten. Auch wird dieser Maßstab selbstverständlich nicht genau innegehalten. Wertungen von Leistungen und Produkten, die durch ihn begründet sind, werden auf andere, dieses Rechtsgrundes entbehrende, übertragen: sei es wegen äußerlich-formeller Ähnlichkeit, sei es wegen historischer Verknüpfung mit jenen, sei es, weil die Inhaber der betreffenden Berufe eine aus anderer Quelle fließende, soziale Macht zur Steigerung ihrer Schätzung benutzen. Ohne solche, aus der Komplikation des historischen Lebens folgende Zufälligkeiten abzurechnen, läßt sich aber überhaupt kein einziger prinzipieller Zusammenhang in sozialen Dingen behaupten. Im großen und ganzen kann, wie mir scheint, die Deutung aufrechterhalten werden: daß die verschiedene Wertung der Leistungsqualitäten, bei Gleichheit der subjektiven Arbeitsmühe, dennoch der Verschiedenheit der Arbeitsquanten entspricht, die in vermittelter Form in den betreffenden [466] Leistungen enthalten sind. So erst wäre der Gewinn für die theoretische Vereinheitlichung der ökonomischen Werte, auf den die Arbeitstheorie ausging, in vorläufige Sicherheit gebracht.

Damit ist aber nur der allgemeine Begriff der Arbeit maßgebend geworden und die Theorie beruht insoweit auf einer sehr künstlichen Abstraktion. Man könnte ihr vorwerfen, sie baue sich auf dem typischen Irrtum auf, daß die Arbeit zunächst und fundamental Arbeit überhaupt wäre, und dann erst, gewissermaßen als Bestimmungen zweiten Grades, ihre spezifischen Eigenschaften dazu träten, um sie zu dieser bestimmten zu machen. Als ob diejenigen Eigenschaften, auf die hin wir ein Handeln als Arbeit überhaupt bezeichnen, nicht mit seinen übrigen Bestimmungen eine vollkommene Einheit bildeten, als ob jene Scheidung und Rangordnung nicht auf einem ganz willkürlich gesetzten Grenzstrich beruhte! Gerade als ob der Mensch erst Mensch überhaupt wäre, und dann, in realer Scheidung davon, erst das bestimmte Individuum! Freilich ist auch dieser Irrtum begangen und zur Grundlage sozialer Theorien gemacht worden. Der Arbeitsbegriff, mit dem die ganze vorhergehende Erörterung rechnet, ist eigentlich nur negativ bestimmt: als dasjenige, was übrigbleibt, wenn man von allen Arten des Arbeitens alles wegläßt, was sie voneinander unterscheidet. Allein, was hier tatsächlich übrigbleibt, entspricht keineswegs, wie eine verlockende Analogie nahelegen könnte, dem physikalischen Begriff der Energie, die, in quantitativer Unveränderlichkeit, bald als Wärme, bald als Elektrizität, bald als mechanische Bewegung auftreten kann; hier ist aller dings ein mathematischer Ausdruck möglich, der das Gemeinsame aller dieser spezifischen Erscheinungen und sie als Äußerungen dieser einen Grundtatsache darstellt. Menschliche Arbeit aber, ganz im allgemeinen, gestattet keine derartig abstrakte, aber doch bestimmte Formulierung. Die Behauptung, daß alle Arbeit schlechthin Arbeit und nichts anderes wäre, bedeutet, als Grundlage für die Gleichwertigkeit derselben, etwas genau so Ungreifbares, abstrakt Leeres, wie jene Theorie: jeder Mensch sei eben Mensch und deshalb seien alle gleichwertig und zu den gleichen Rechten und Pflichten qualifiziert. Soll der Begriff der Arbeit also, dem in seiner bisher angenommenen Allgemeinheit mehr ein dunkles Gefühl als ein fester Inhalt seine Bedeutung geben konnte, eine solche wirklich erhalten, so bedarf es einer näheren Präzision des realen Vorganges, den man unter ihm verstehen kann.

Als dieses letzte, konkrete Element ist, worauf ich jetzt zurückkomme, die Muskelarbeit behauptet worden; und wir fragen nach dem Rechte dieser Behauptung, nachdem wir ihren Beweis aus der [467] Kostenlosigkeit der geistigen Arbeit oben in seiner Gültigkeit beschränkt haben. Ich will nun von vornherein gestehen: ich halte es nicht für schlechthin ausgeschlossen, daß einmal das mechanische Äquivalent auch der psychischen Tätigkeit gefunden werde. Freilich, die Bedeutung ihres Inhaltes, seine sachlich bestimmte Stelle in den logischen, ethischen, ästhetischen Zusammenhängen steht absolut jenseits aller physischen Bewegungen, ungefähr wie die Bedeutung eines Wortes, jenseits seines physiologisch-akustischen Sprachlautes steht. Aber die Kraft, die der Organismus für das Denken dieses Inhaltes als Gehirnvorgang aufwenden muß, ist prinzipiell ebenso berechenbar wie die für eine Muskelleistung erforderliche. Sollte dies eines Tages gelingen, so könnte man allerdings das Kraftmaß einer bestimmten Muskelleistung zur Maßeinheit machen, nach der auch der psychische Kraftverbrauch bestimmt wird, und die psychische Arbeit wäre nach dem, was daran wirklich Arbeit ist, auf gleichem Fuße mit der Muskelarbeit zu behandeln, ihre Produkte würden in eine bloß quantitative Wertabwägung mit denen der letzteren eintreten. Dies ist natürlich eine wissenschaftliche Utopie, die nur dartun kann, daß die Reduktion aller wirtschaftlich anrechenbaren Arbeit auf Muskelarbeit selbst für einen keineswegs dogmatisch-materialistischen Standpunkt nicht den prinzipiellen Widersinn zu enthalten braucht, mit dem der Dualismus von Geistigkeit und Körperlichkeit diesen Versuch zu schlagen schien.

In etwas konkreterer Weise scheint sich die folgende Vorstellung dem gleichen Ziele zu nähern. Ich gehe davon aus, daß unsere Unterhaltsmittel durch physische Arbeit produziert werden. Zwar ist keine Arbeit rein physisch, jede Handarbeit wird erst durch das irgendwie wirkende Bewußtsein zu einer zweckmäßigen Leistung, so daß auch diejenige, die der höheren geistigen Arbeit ihre Bedingungen bereitet, selbst schon einen Beisatz seelischer Art enthält. Allein diese psychische Leistung des Handarbeiters wird doch ihrerseits erst wieder durch Unterhaltsmittel ermöglicht; und zwar werden, je niedriger der Arbeiter steht, d.h. je geringfügiger das seelische Element seiner Arbeit im Verhältnis zu der Muskelleistung ist, auch seine Unterhaltsmittel (im weitesten Sinne) durch Arbeit von wesentlich physischem Charakter hergestellt werden – mit einer der modernsten Zeit angehörigen und im letzten Kapitel zu behandelnden Ausnahme. Da sich dies Verhältnis nun an je zwei Arbeiterkategorien wiederholt, so ergibt dies eine unendliche Reihe, aus welcher die psychische Arbeit zwar nie verschwinden kann, in der sie aber immer weiter zurückgeschoben wird. So ruhen die Unterhaltsmittel auch der höchsten Arbeiterkategorien auf einer Reihe von Arbeiten, in [468] denen der psychische Beisatz jedes Gliedes durch ein Glied von rein physischem Wert getragen wird, so daß jener sich auf der letzten Stufe dem Grenzwert Null nähert. Es läßt sich also denken, daß prinzipiell alle äußeren Bedingungen der geistigen Arbeit in Muskelarbeitsgrößen ausdrückbar sind. Könnte man nun die alte Theorie vom Kostenwert gelten lassen, so würde der Wert der geistigen Arbeit, insofern er den Kosten ihrer Produktion gleich ist, dem Werte gewisser Muskelleistungen gleich sein. Und nun wäre diese Theorie vielleicht in einer Modifikation haltbar: der Wert eines Produkts ist zwar nicht seinen Kosten gleichzusetzen, wohl aber könnten sich die Werte zweier Produkte zueinander verhalten, wie die ihrer Entstehungsbedingungen. Eine Psyche, durch Unterhaltsmittel ernährt und angeregt, wird Produkte hergeben, die den Wert jener von ihr verbrauchten Bedingungen um ein Vielfaches übersteigen mögen; darum könnte aber doch das Wertverhältnis je zweier Bedingungskomplexe gleich dem je zweier Produkte sein – wie die Werte zweier Bodenerzeugnisse, von denen jedes ein Vielfaches seines Samens ist, sich so verhalten können wie die Werte der Samen zueinander; denn der werterhöhende Faktor könnte, für den Durchschnitt der Menschen, eine Konstante sein. Wenn alle diese Voraussetzungen zuträfen, so wäre damit die Reduktion der geistigen Arbeiten auf physische in dem Sinne vollbracht, daß man zwar nicht die absolute, aber die relative Wertbedeutung jeder der ersteren durch bestimmte Verhältnisse der letzteren ausdrücken könnte.

Nun erscheint aber der Gedanke, daß die Werthöhen der geistigen Leistung sich proportional den Werten der Unterhaltsmittel verhalten sollten, völlig paradox, ja unsinnig. Dennoch lohnt es, die Punkte aufzusuchen, in denen sich die Wirklichkeit ihm wenigstens nähert, weil diese tief in die inneren und kulturellen Beziehungen geistiger Werte zu ihren wirtschaftlichen Bedingungen und Äquivalenten hinabreichen. Wir haben uns wohl vorzustellen, daß im Gehirn, als dem Gipfelpunkt der organischen Entwicklung, ein sehr großes Maß von Spannkräften aufgespeichert liegt. Das Gehirn ist offenbar imstande, eine große Kraftsumme abzugeben, woraus sich unter anderem die erstaunliche Leistungsfähigkeit schwacher Muskeln erklärt, die sie auf psychische Reize hin entfalten können. Auch die große Erschöpfung des ganzen Organismus nach geistigen Arbeiten oder Alterationen weist darauf hin, daß die psychische Tätigkeit, von der Seite ihres physischen Korrelats her angesehen, sehr viel organische Kraft verbraucht. Der Ersatz dieser Kraft ist nun nicht nur durch ein bloßes Mehr derjenigen Unterhaltsmittel, die der Muskelarbeiter braucht, zu erzielen; denn die Aufnahmefähigkeit [469] des Körpers ist in Hinsicht auf das Quantum von Ernährung ziemlich eng begrenzt und bei überwiegend geistiger Arbeit eher herunter- als heraufgesetzt. Deshalb kann der Kraftersatz ebenso wie die erforderliche nervöse Anregung bei geistiger Arbeit in der Regel nur durch eine Konzentrierung, Verfeinerung, individuelle Angepaßtheit des Lebensunterhaltes und der allgemeinen Lebensbedingungen geleistet werden. Zwei kulturhistorisch bedeutsame Momente werden hier wichtig. Unsere täglichen Nahrungsmittel sind in einer Periode erwählt und ausgebildet worden. In der die übrigen Lebensbedingungen von den heutigen der intellektuellen Stände sehr abwichen, in der Muskelarbeit und frische Luft gegenüber der Nervenanspannung und der sitzenden Lebensweise dominierten. Die zahllosen, direkten und indirekten Verdauungskrankheiten einerseits, das hastige Suchen nach konzentrierten und leicht assimilierbaren Nährmitteln andrerseits verkünden, daß die Anpassung zwischen unserer körperlichen Verfassung und unseren Nahrungsstoffen in weitem Umfang unterbrochen ist. Aus dieser ganz allgemeinen Beobachtung ist ersichtlich, mit wie großem Rechte für Menschen sehr differenzierter Berufe auch differenzierte Ernährung gefordert wird, und daß es nicht nur Sache der Zungenkultur, sondern der Volksgesundheit ist, dem höchstentwickelten Arbeiter die Mittel zu einer übernormalen, verfeinerten und durch persönliche Ansprüche bestimmten Ernährung zu gewähren. Wesentlicher aber und zugleich verborgener ist der Umstand, daß die geistige Arbeit ihre Vorbedingungen weit mehr in die Gesamtheit des Lebens hin erstreckt und von einer viel weiteren Peripherie mittelbarer Beziehungen umgeben ist, als die körperliche. Die Umsetzung der körperlichen Kraft in Arbeit kann sozusagen unmittelbar geschehen, während die geistigen Spannkräfte ihre volle Arbeit im allgemeinen nur leisten können, wenn, weit über ihr unmittelbar-aktuelles Milieu hinaus, das ganze komplizierte System der körperlich-geistigen Stimmungen, Eindrücke, Anregungen sich in einer bestimmten Organisiertheit, Tönung, Proportion von Ruhe und Bewegtheit befindet. Selbst unter denjenigen, die Geistes- und Muskelarbeit prinzipiell nivellieren wollen, ist es deshalb schon ein trivialer Satz, daß die höhere Entlohnung des geistigen Arbeiters durch die physiologischen Bedingungen seiner Tätigkeit gerechtfertigt werde.

In diesem Zusammenhang wird verständlich, daß der moderne geistige Mensch so viel mehr von seinem Milieu abhängig zu sein scheint, als der frühere Mensch, und zwar nicht in dem Sinn, daß er bildsamer, qualitativ bestimmbarer ist, sondern gerade so, daß die Entwicklung seiner spezifischen Kräfte, seiner innerlichen Produktivität, [470] seiner persönlichen Eigenart nicht ohne besonders günstige, ihm individuell angepaßte Lebensbedingungen möglich ist. Die unglaublich bescheidenen Verhältnisse, unter denen früher oft ein höchstes geistiges Leben sich entfaltete, wären für die überwiegende Mehrzahl der heutigen geistigen Arbeiter von vornherein erdrückend, diese würden in ihnen nicht die Begünstigungen und Anregungen finden, die sie – manchmal jeder anders als der andere – gerade für ihre individuelle Produktion brauchen. Das kann jedem Epikureismus völlig fern liegen, und geht, als reale Bedingung der Leistung, vielleicht einerseits aus der gewachsenen Reizbarkeit und Schwäche des Nervensystems, andrerseits aus der zugespitzten Individualisiertheit hervor, die auf jene einfachen, d.h. typisch-generellen Lebensreize nicht reagieren kann, sondern sich nur auf entsprechend individualisierte hin entfaltet. Wenn die neueste Zeit die historische Milieu-Theorie aufs entschiedenste durchgeführt hat, so dürften wohl auch hier reale Verhältnisse durch ihre Exaggerierung eines Elementes uns den Blick für dessen Wirksamkeit auch auf Stufen seiner geringeren Entwicklung geöffnet haben – gerade wie die in Wirklichkeit gestiegene Bedeutung der Massen im 19. Jahrhundert erst die Veranlassung geworden ist, sich ihrer Bedeutung auch in allen früheren Epochen wissenschaftlich bewußt zu werden. Insoweit diese Verhältnisse gelten, besteht also wirklich eine gewisse Proportion zwischen den Werten, die wir konsumieren, und denen, die wir produzieren, d.h. die letzteren, als geistige Leistungen, sind Funktionen der Muskelleistungen, die in den ersteren investiert sind.

Allein diese mögliche Reduktion geistiger auf Muskelarbeitswerte findet von verschiedenen Seiten her eine sehr frühe Grenze. Jene Proportion ist nämlich zunächst nicht umkehrbar. Zu bestimmten Leistungen gehören allerdings sehr erhebliche personale Aufwendungen, aber diese ihrerseits erzeugen keineswegs überall jene Leistungen: der Unbegabte, in noch so günstige und verfeinerte Lebensbedingungen versetzt, wird dennoch niemals dasjenige leisten, wozu ebendieselben den Begabten anregen. Die Reihe der Produkte könnte also nur dann eine stetige Funktion der Reihe der Aufwendungen sein, wenn die letzteren genau im Verhältnis der natürlichen personalen Begabungen erfolgten. Allein das Unmögliche selbst angenommen, daß die letzteren sich exakt feststellen ließen und eine ideale Anpassung, nach dieser Feststellung die Unterhaltsmittel genau bemessend, die Leistungshöhen zum Index der letzteren machen wollte, so würde dies Unternehmen seine Grenze immer an der Ungleichmäßigkeit der Unterhaltsbedingungen finden, die selbst zwischen den zu gleichen Leistungen qualifizierten Persönlichkeiten [471] besteht. Hier liegt eines der großen Hemmnisse sozialer Gerechtigkeit. So sicher nämlich im allgemeinen die höhere, geistige Leistung auch höhere Lebensbedingungen fordert, so sind doch die menschlichen Beanlagungen gerade in den Ansprüchen, die die Entfaltung ihrer höchsten Kräfte stellt, äußerst ungleichmäßig. Von zwei Naturen, die zu der objektiv gleichen Leistung befähigt sind, wird die eine zur Verwirklichung dieser Möglichkeit ein – der Höhe nach – ganz andres Milieu, ganz andre materielle Vorbedingungen, ganz andre Anregungen nötig haben, als die zweite. Diese Tatsache, die zwischen den Idealen der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Maximisierung der Leistungen eine unversöhnliche Disharmonie stiftet, ist noch keineswegs genügend beachtet. Die Verschiedenheit unserer physisch-psychischen Strukturen, der Verhältnisse zwischen zweckmäßigen und hemmenden Energien, der Wechselwirkungen zwischen Intellekt und Willenscharakter bewirkt, daß die Leistung, als Produkt der Persönlichkeit und ihrer Lebensbedingungen, in der ersteren einen höchst inkonstanten Faktor findet; so daß, um das gleiche Resultat zu ergeben, auch der andere Faktor entsprechend große Variierungen erleiden muß. Und zwar scheint es, als ob diese Abweichungen der Naturelle in bezug auf die Verwirklichungsbedingungen ihrer inneren Möglichkeiten um so erheblichere wären, je höher, komplizierter und geistiger das Leistungsgebiet ist. Die Personen, die überhaupt die Muskelkraft zu einer bestimmten Arbeit haben, werden für deren Ausführung so ziemlich der gleichen Ernährung und allgemeinen Lebenshaltung bedürfen; wo aber führende, gelehrte, künstlerische Tätigkeiten in Frage stehen, wird die oben bezeichnete Verschiedenheit zwischen denen, die schließlich alle das gleiche leisten könnten, bedeutsam hervortreten.

Die persönliche Begabung ist so variabler Art, daß die gleichen äußeren Umstände, auf sie einwirkend, die allerverschiedensten Endresultate zeitigen, und dadurch bei dem Vergleich von Individuum mit Individuum jede Wertproportion zwischen den materiellen Unterhaltsbedingungen und den darauf gebauten psychischen Leistungen völlig illusorisch wird. Nur wo große historische Epochen oder ganze Bevölkerungsklassen in ihrem Durchschnitt miteinander verglichen werden, mögen die relativen Höhen der physisch beschaffbaren Bedingungen dasselbe Verhältnis wie die der psychischen Leistungen zeigen. So kann man z.B. beobachten, daß bei sehr niedrigen Preisen der notwendigen Nahrungsmittel die Kultur im ganzen nur langsam fortschreitet, also die Luxusartikel, in denen eine erheblichere geistige Arbeit investiert ist, außerordentlich teuer sind; wogegen die Preiserhöhung jener ersteren mit einer Preiserniedrigung [472] und weiteren Verbreitung der letzteren Hand in Hand zu gehen pflegt. Für niedere Kulturen ist es charakteristisch, daß der unentbehrliche Unterhalt sehr billig, die höhere Lebenshaltung dagegen sehr teuer ist, wie etwa noch jetzt in Rußland im Verhältnis zu Zentraleuropa. Die Billigkeit von Brot, Fleisch und Wohnung läßt es einerseits zu dem Druck nicht kommen, der den Arbeiter zur Erkämpfung höherer Löhne zwingt, die Teuerung der Luxusartikel andrerseits rückt ihm diese ganz außer Sehweite und verhindert ihre Ausbreitung. Erst die Verteuerung des ursprünglich Billigen und die Verbilligung des ursprünglich Teuren – deren Zusammenhang ich schon oben hervorhob – bedeutet und bewirkt ein Aufsteigen der geistigen Betätigungen. Unter all der ungeheuren Inkommensurabilität im einzelnen verraten diese Proportionen dennoch eine allgemeine, in jenen Einzelheiten dennoch wirksame Beziehung von physischer und psychischer Arbeit, die das Wertmaß der letzteren durch die erstere auszudrücken wohl gestatten würde, wenn ihre Wirksamkeit nicht durch die soviel stärkere der individuellen Begabungsunterschiede übertönt würde.

Endlich gibt es einen dritten Standpunkt, von dem aus die Reduktion alles Arbeitswertes auf den Wert der Muskelarbeit ihres rohen und plebejischen Charakters entkleidet wird. Sehen wir nämlich genauer zu, woraufhin denn eigentlich die Muskelarbeit als Wert und Aufwand gilt, so ergibt sich, daß dies gar nicht die rein physische Kraftleistung ist. Ich meine damit nicht das schon Erwähnte, daß diese überhaupt ohne eine gewisse intellektuelle Dirigierung ganz nutzlos für die menschlichen Zwecke wäre, in welcher Hinsicht aber das psychische Element ein bloßer Wertbeisatz bleibt; der eigentliche Wert könnte dabei doch immer in dem rein Physischen bestehen, nur daß dasselbe, um die erforderliche Richtung zu bekommen, jenes Zusatzes bedürfte. Ich meine vielmehr, daß die physische Arbeit ihren ganzen Ton von Wert und Kostbarkeit nur durch den Aufwand von psychischer Energie erhält, der sie trägt. Wenn jene Arbeit, äußerlich angesehen, das Überwinden von Hemmnissen bedeutet, die Formung einer Materie, die dieser Formung nicht ohne weiteres gehorcht, sondern ihr zunächst Widerstand entgegensetzt – so zeigt die Innenseite der Arbeit dieselbe Gestalt. Die Arbeit ist eben Mühe, Last, Schwierigkeit; so daß, wo sie das nicht ist, betont zu werden pflegt, daß sie eben keine eigentliche Arbeit ist. Sie besteht, auf ihre Gefühlsbedeutung hin angesehen, in der fortwährenden Überwindung der Impulse zu Trägheit, Genuß, Erleichterung des Lebens – wobei es irrelevant ist, daß diese Impulse, wenn man sich ihnen wirklich ununterbrochen hingäbe, das Leben gleichfalls zu einer Last machen [473] würden, denn die Last der Nichtarbeit wird nur in den seltensten Ausnahmefällen empfunden, die der Arbeit aber nur in eben solchen nicht empfunden. Niemand pflegt daher Leid und Mühe der Arbeit auf sich zu nehmen, ohne etwas dafür einzutauschen. Was an der Arbeit eigentlich vergolten wird, der Rechtstitel, auf den hin man eine Vergeltung für sie fordert, ist der psychische Kraftaufwand, dessen es zum Aufsichnehmen und Überwinden der inneren Hemmungs- und Unlustgefühle bedarf.

Die Sprache deutet diesen Sachverhalt gut an, indem sie den äußerlich-ökonomischen ebenso wie den innerlich-moralischen Ertrag unseres Tuns gleichmäßig als Verdienst bezeichnet. Denn auch im letzteren Sinne tritt dieses doch erst ein, wenn der sittliche Impuls Hemmnisse der Versuchung, des Egoismus, der Sinnlichkeit überwunden hat, nicht, wenn die sittliche Handlung aus einem ganz selbstverständlichen, die Möglichkeit des Gegenteils von vornherein ausschließenden Triebe quillt; so daß, um den sittlichen Musterbildern nicht das sittliche Verdienst absprechen zu müssen, die Mythenbildung der Völker allenthalben ihre Religionsstifter eine »Versuchung« besiegen läßt und Tertullian sogar den Ruhm Gottes für größer hält, si laboravit. Wie sich der eigentlich moralische Wert an das überwundene Hemmnis entgegengesetzter Impulse knüpft, so der ökonomische. Wenn der Mensch seine Arbeit leistete, wie die Blume ihr Blühen oder der Vogel sein Singen, so würde sich kein entgeltbarer Wert mit ihr verknüpfen. Dieser liegt also nicht in ihrer äußeren Erscheinung, in dem sichtbaren Tun und Erfolg, sondern auch bei der Muskelarbeit in dem Willensaufwand, den Gefühlsreflexen, kurz, in den seelischen Bedingungen. Damit gewinnen wir die Ergänzung für die an das andere Ende der wirtschaftlichen Reihen sich anschließende fundamentale Erkenntnis: daß aller Wert und alle Bedeutung der Gegenstände und ihres Besitzes in den Gefühlen liegt, die sie hervorrufen, daß das Haben ihrer als ein bloß äußerliches Verhältnis gleichgültig und sinnlos wäre, wenn sich nicht innere Zustände, Affekte der Lust, der Erhöhung und Erweiterung des Ich, daran schlössen. So wird die Sichtbarkeit wirtschaftlicher Güter von beiden Seiten – des Leistenden wie des Genießenden – her durch psychische Vorgänge begrenzt, die allein es begründen, daß für die einzelne Leistung ein Gegenwert gefordert wie gewährt wird. Ebenso unwesentlich und beziehungslos, wie uns ein Besitzgegenstand ist, der nicht in eine psychische Erregung übergeht, wäre uns das eigne Tun, wenn es nicht aus einem inneren empfundenen Zustande hervorginge, dessen Unlust und Opfergefühl allein die Forderung eines Entgeltes und deren Maß in sich trägt. In Hinsicht des Wertes kann [474] man deshalb sagen, Muskelarbeit sei psychische Arbeit. Als Ausnahme hiervon könnten nur diejenigen Arbeiten gelten, die der Mensch als Konkurrent der Maschine oder des Tieres vollbringt; denn obwohl sich auch diese in bezug auf die innere Bemühung und psychische Kraftaufwendung wie alle anderen verhalten, so hat doch der, zu dessen Gunsten sie vollbracht werden, keine Veranlassung, für diese innere Leistung etwas zu vergüten, da der ihm allein wichtige äußere Effekt auch durch eine rein physische Potenz erreichbar ist und die kostspieligere Produktion nirgends vergolten wird, sobald eine billigere möglich ist. Aber mit einem ganz kleinen Schritt tiefer ist vielleicht auch diese Ausnahme in die Allbefaßtheit des Äußerlichen durch das Seelische zurückzuführen. Was an den Leistungen einer Maschine oder eines Tieres vergolten wird, ist doch die menschliche Leistung, die in Erfindung, Herstellung und Dirigierung der Maschine, in der Aufzucht und Abrichtung des Tieres steckt; so daß man: sagen kann: jene menschlichen Arbeiten werden nicht wie diese physisch-untermenschlichen vergolten, sondern, umgekehrt, diese werden gleichfalls mittelbar als psychisch-menschliche gewertet. Dies wäre nur eine ins Praktische hineinreichende Fortsetzung der Theorie, daß wir auch den Mechanismus der unbelebten Natur schließlich nach den Kraft- und Anstrengungsgefühlen deuten, die unsere Bewegungen begleiten. Wenn wir unser eignes Wesen der allgemeinen Naturordnung einfügen, um es in ihrem Zusammenhange zu verstehen, so ist dies nur so möglich, daß wir zuvor die Formen, Impulse und Gefühle unserer Geistigkeit in die allgemeine Natur hineintragen, das »Unterlegen« und das »Auslegen« unvermeidlich zu einem Akt verbindend. Wenn wir, dies Verhältnis zur Welt auf unsere praktische Frage ausdehnend, an der Leistung untermenschlicher Kräfte nur die Leistung menschlicher durch Gegenleistung aufwiegen, so fällt damit in der hier fraglichen Hinsicht der prinzipielle Grenzstrich zwischen denjenigen menschlichen Arbeiten, deren Entgelt sich auf ihr psychisches Fundament stützt, und denen, die wegen der Gleichheit ihres Effektes mit rein äußerlich-mechanischen diese Begründung ihres Entgeltes abzulehnen schienen. Man kann also jetzt ganz allgemein behaupten, daß nach der Seite des aufzuwiegenden Wertes hin der Unterschied zwischen geistiger und Muskelarbeit nicht der zwischen psychischer und materieller Natur sei, daß vielmehr auch bei der letzteren schließlich nur auf die Innenseite der Arbeit, auf die Unlust der Anstrengung, auf das Aufgebot an Willenskraft hin das Entgelt gefordert werde. Freilich ist diese Geistigkeit, die gleichsam das Ding-an-sich hinter der Erscheinung der Arbeit ist und den Binnenwert derselben bildet, keine intellektuelle, [475] sondern besteht in Gefühl und Willen; woraus dann folgt, daß derselbe dem der geistigen Arbeit nicht koordiniert ist, sondern auch diesen fundamentiert. Denn auch an ihm bringt ursprünglich nicht der objektive Inhalt des geistigen Prozesses, sein von der Persönlichkeit gelöstes Resultat, die Forderung des Entgeltes hervor, sondern die subjektive, vom Willen geleitete Funktion, die ihn trägt, die Arbeitsmühe, der Energieaufwand, dessen es für die Produktion jenes geistigen Inhaltes bedarf. Indem so als der Quellpunkt des Wertes nicht nur von selten des Aufnehmenden, sondern auch des Leistenden her sich ein Tun der Seele enthüllt, erhalten Muskelarbeit und »geistige« Arbeit einen gemeinsamen, – man könnte sagen: moralischen – wertbegründenden Unterbau, durch den die Reduktion des Arbeitswertes überhaupt auf Muskelarbeit ihr banausisches und brutal materialistisches Aussehn verliert. Das verhält sich ungefähr wie mit dem theoretischen Materialismus, der ein ganz neues und ernsthafter diskutables Wesen bekommt, wenn man betont, daß doch auch die Materie eine Vorstellung ist, kein Wesen, das, im absoluten Sinne außer uns, der Seele entgegengesetzt ist, sondern in seiner Erkennbarkeit durchaus bestimmt von den Formen und Voraussetzungen unserer geistigen Organisation. Von diesem Standpunkt, auf dem die Wesensverschiedenheit körperlicher und geistiger Erscheinungen statt der absoluten eine relative wird, ist das Verlangen, die Erklärung für die im engeren Sinn geistigen in der Reduktion auf die körperlichen zu suchen, sehr viel weniger unerträglich. Hier, wie in dem Falle des praktischen Wertes, muß das Äußere nur aus seiner Starrheit, Isolierung und Gegensätzlichkeit gegen das Innere erlöst werden, damit es sich als einfachster Ausdruck und Maßeinheit für die höheren »geistigen« Tatsachen auftun könne. Diese Reduktion mag gelingen oder nicht; aber mit ihrer Behauptung vertragen sich nun wenigstens prinzipiell die Forderungen der Methode und der fundamentalen Wertsetzungen.

Diese Ausführungen können nicht sowohl erweisen, daß das Äquivalent für die Arbeit sich ausschließlich an das Quantum der Muskeltätigkeit knüpft, als gewisse Bedenken beseitigen, die man dieser Verbindung vorzuhalten pflegt. Dennoch findet sie eine Schwierigkeit, die mir unüberwindlich scheint, und zwar die von dem ganz trivialen Einwand ausgehende, daß es doch auch wertlose, überflüssige Arbeit gebe. Denn die Widerlegung, unter der Arbeit als dem fundamentalen Werte verstehe man natürlich nur die zweckmäßige, durch ihr Ergebnis gerechtfertigte Arbeit, enthält ein Zugeständnis, das der ganzen Theorie verderblich ist. Wenn es nämlich wertvolle und wertlose Arbeit gibt, so gibt es zweifellos auch [476] Zwischenstufen, geleistete Arbeitsquanten, welche einige, aber nicht lauter Elemente von Zweck und Wert enthalten; der Wert des Produktes also, der der Voraussetzung nach durch die in ihm investierte Arbeit bestimmt wird, ist ein größerer oder geringerer, je nach der Zweckmäßigkeit dieser Arbeit. Das bedeutet: der Wert der Arbeit mißt sich nicht an ihrem Quantum, sondern an der Nützlichkeit ihres Ergebnisses! Und hier hilft nicht mehr die oben bezüglich der Qualität der Arbeit versuchte Methode: die höhere, feinere, geistigere Arbeit bedeute eben der niedrigeren gegenüber mehr Arbeit, eine Häufung und Verdichtung eben derselben allgemeinen »Arbeit«, von der die grobe und unqualifizierte Arbeit nur gleichsam eine größere Verdünnung, eine niedrigere Potenz darstelle. Denn dieser Unterschied der Arbeit war ein innerer, der die Nützlichkeitsfrage noch ganz beiseite ließ, indem die Nützlichkeit als der fraglichen Arbeit in immer gleichem Maße einwohnend dabei vorausgesetzt wurde: die Arbeit des Straßenkehrers ist für diese Überlegung nicht weniger »nützlich« als die des Violinspielers, und ihre geringere Schätzung stammt aus der inneren Quantität ihrer als bloßer Arbeit, aus der geringeren Kondensiertheit der Arbeitsenergien in ihr. Nun aber zeigt sich, daß diese Voraussetzung eine zu einfache war und daß die Verschiedenheit der äußeren Nützlichkeit nicht gestattet, die Wertungsunterschiede der Arbeit von ihren bloß inneren Bestimmungen abhängen zu lassen. Wenn man die unnütze Arbeit, oder richtiger: die Nützlichkeitsunterschiede der Arbeit aus der Welt schaffen und bewirken könnte, daß die Arbeit genau in demselben Maße mehr oder weniger nützlich sei, in dem sie mehr oder weniger konzentriert, kraftverbrauchend, mit einem Wort: mehr oder weniger Arbeitsquantität ist – so wäre damit zwar noch nicht die Muskelarbeit als der einzige Wertbildner erwiesen; wohl aber könnte dann die Arbeit überhaupt als Wertmaß der Objekte gelten, da dann deren anderer Faktor, die Nützlichkeit, immer derselbe wäre, also die Wertrelationen nicht mehr alterierte. Allein die Nützlichkeitsunterschiede bestehen eben, und es ist ein Trugschluß, wenn das ethisch vielleicht begründbare Postulat: aller Wert ist Arbeit – in den Satz umgekehrt wird: alle Arbeit ist Wert, d.h. gleicher Wert.

Hier zeigt sich nun der tiefe Zusammenhang der Arbeitswerttheorie mit dem Sozialismus; denn dieser erstrebt tatsächlich eine Verfassung der Gesellschaft, in der der Nützlichkeitswert der Objekte, im Verhältnis zu der darauf verwendeten Arbeitszeit, eine Konstante bildet. Im dritten Bande des »Kapital« führt Marx aus: die Bedingung alles Wertes, auch bei der Arbeitstheorie, sei der Gebrauchswert; allein das bedeute, daß auf jedes Produkt [477] gerade so viel Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit verwendet werden, wie im Verhältnis zu seiner Nützlichkeitsbedeutung auf dasselbe kommen. Es wird also sozusagen ein qualitativ einheitlicher Gesamtbedarf der Gesellschaft vorgestellt – dem Motto der Arbeitstheorie, Arbeit sei eben Arbeit und als solche gleichwertig, entspricht hier das weitere, Bedürfnis sei eben Bedürfnis und als solches gleich wichtig – und die Nützlichkeitsgleichheit aller Arbeiten wird nun erzielt, indem in jeder Produktionssphäre nur so viel Arbeit geleistet wird, daß genau der von ihr umschriebene Teil jenes Bedarfes gedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung wäre freilich keine Arbeit weniger nützlich als die andere. Denn wenn man z.B. heute Klavierspielen für eine weniger nützliche Arbeit als Lokomotivenbauen hält, so liegt das nur daran, daß mehr Zeit darauf verwandt wird, als dem wirklichen Bedürfnis danach entspricht. Wäre es auf das hiermit bezeichnete Maß eingeschränkt, so wäre es genau so wertvoll wie Lokomotivenbauen – gerade wie auch das letztere unnützlicher würde, wenn man mehr Zeit darauf verwendete, d.h. mehr Lokomotiven baute, als Bedarf danach ist. Mit anderen Worten: es gibt prinzipiell gar keine Gebrauchswertunterschiede; denn wenn ein Produkt momentan weniger Gebrauchswert hat als ein anderes (also die auf jenes verwandte Arbeit wertloser ist, als die dem letzteren geltende), so kann man einfach die Arbeit an seiner Kategorie, d.h. die Quantität seiner Produktion, so lange herabsetzen, bis das darauf gerichtete Bedürfnis ebenso stark ist, wie das auf den anderen Gegenstand gerichtete, d.h. bis die industrielle Reservearmeen völlig verschwunden ist. Nur unter dieser Bedingung kann die Arbeit das Wertmaß der Produkte getreu ausdrücken.

Das Wesen jedes Geldes nun ist seine unbedingte Fungibilität, die innere Gleichartigkeit, die jedes Stück durch jedes, nach quantitativen Abwägungen, ersetzbar macht. Damit es ein Arbeitsgeld gebe, muß der Arbeit diese Fungibilität verschafft werden, und dies kann nur auf die soeben geschilderte Weise geschehen: daß ihr der immer gleiche Nützlichkeitsgrad verschafft wird, und dies wiederum ist nur durch Reduktion der Arbeit für jede Produktionsgattung auf dasjenige Maß erzielbar, bei dem der Bedarf nach ihr genau so groß ist wie der nach jeder anderen. Dabei würde natürlich die tatsächliche Arbeitsstunde noch immer höher oder tiefer bewertet werden können; aber jetzt wäre man sicher, daß der höhere Wert, aus der höheren Nützlichkeit des Produktes abgeleitet, ein proportional konzentrierteres Arbeitsquantum pro Stunde anzeigt; oder umgekehrt: daß, sobald auf die Konzentrierung der Arbeit hin der Stunde ein höherer Wert zugesprochen wird, sie auch ein höheres Nützlichkeitsquantum [478] enthält. Dies aber setzt ersichtlich eine völlig rationalisierte und providenzielle Wirtschaftsordnung voraus, in der jede Arbeit planmäßig, unter absoluter Kenntnis des Bedarfs und des Arbeitserfordernisses für jedes Produkt erfolgt – also eine solche, wie sie der Sozialismus erstrebt. Die Annäherung an diesen völlig utopischen Zustand scheint nur so technisch möglich zu sein, daß überhaupt nur das unmittelbar Unentbehrliche, das ganz indiskutabel zum Leben Gehörige produziert wird; denn wo ausschließlich dies der Fall ist, ist allerdings jede Arbeit genau so nötig und nützlich wie die andere. Sobald man dagegen in die höheren Gebiete aufsteigt, auf denen einerseits Bedarf und Nützlichkeitsschätzung unvermeidlich individueller, andrerseits die Intensitäten der Arbeit schwerer festzustellen sind, wird keine Regulierung der Produktionsquanten bewirken können, daß das Verhältnis zwischen Bedarf und aufgewandter Arbeit überall das gleiche sei. So verschlingen sich an diesen Punkten alle Fäden der Erwägungen über den Sozialismus; an ihm wird klar, daß die Kulturgefährdung seitens des Arbeitsgeldes keineswegs eine so unmittelbare ist, wie man meistens urteilt; vielmehr, daß sie aus der technischen Schwierigkeit stammt, die Nützlichkeit der Dinge, als ihren Wertungsgrund, im Verhältnis zur Arbeit, als ihrem Wertträger, konstant zu erhalten – eine Schwierigkeit, die sich im Verhältnis der Kulturhöhe der Produkte steigert und deren Vermeidung freilich die Produktion zu den primitivsten, unentbehrlichsten, durchschnittlichsten Objekten herabsenken müßte.

Dieses Ergebnis des Arbeitsgeldes beleuchtet nun aufs schärfste das Wesen des Geldprinzips überhaupt. Die Bedeutung des Geldes ist, daß es eine Einheit des Wertes ist, die sich in die Vielheit der Werte kleidet; sonst würden die Quantitätsunterschiede des einheitlichen Geldes nicht als den Qualitätsunterschieden der Dinge äquivalent empfunden werden. Dadurch geschieht nun freilich diesen oft genug unrecht, wird namentlich den personalen Werten eine Gewalt angetan, die ihr Wesen verlöscht. Von dieser Verfassung des Geldes strebt das Arbeitsgeld hinweg, es will dem Gelde einen zwar immer noch abstrakten, aber doch dem konkreten Leben näherliegenden Begriff unterbauen; mit ihm soll ein eminent personaler, ja, man könnte sagen, der personale Wert zum Maßstab der Werte überhaupt werden. Und nun zeigt sich, daß es, weil es doch nun einmal die Eigenschaften alles Geldes besitzen soll: die Einheitlichkeit, die Fungibilität, die nirgends versagende Geltung – gerade der Differenzierung und personalen Ausbildung der Lebensinhalte bedrohlicher wäre, als das bisherige Geld! Wenn es die unvergleichliche Kraft des Geldes ist, sich um einer Folge willen der entgegengesetzten [479] nicht zu entziehen, wenn wir es einerseits der Herabdrückung, andrerseits der oft sogar exaggerierten Steigerung personaler Differenziertheit dienen sehen, so raubt ihm der Versuch, es konkreter, wenngleich noch immer äußerst allgemein zu gestalten, seine Stellung sozusagen über den Parteien, und stellt es auf die eine Seite der Alternative, mit Ausschluß der anderen. So sehr man am Arbeitsgeld die Tendenz, das Geld den personalen Werten wieder näherzurücken, anerkennen muß, so erweist jener Erfolg doch gerade, wie eng die Fremdheit gegen diese mit seinem Wesen verbunden ist.

 


 

[480]

Sechstes Kapitel.
Der Stil des Lebens.

I.

In diesen Untersuchungen ist öfters erwähnt worden, daß die seelische Energie, die die spezifischen Erscheinungen der Geldwirtschaft trägt, der Verstand ist, im Gegensatz zu denjenigen, die man im allgemeinen als Gefühl oder Gemüt bezeichnet und die in dem Leben der nicht geldwirtschaftlich bestimmten Perioden und Interessenprovinzen vorzugsweise zu Worte kommen. Dies ist zunächst die Folge des Mittelscharakters des Geldes. Alle Mittel als solche bedeuten, daß die Verhältnisse und Verkettungen der Wirklichkeit in unseren Willensprozeß aufgenommen werden. Sie sind nur durch ein objektives Bild tatsächlicher Kausalverknüpfungen möglich, und offenbar würde ein Geist, welcher die Gesamtheit dieser fehlerlos überschaute, für jeden Zweck von jedem Ausgangspunkt aus die geeignetsten Mittel geistig beherrschen. Aber dieser Intellekt, der die vollendete Möglichkeit der Mittel in sich bärge, würde darum noch nicht die geringste Wirklichkeit eines solchen produzieren, weil dazu die Setzung eines Zweckes gehört, im Verhältnis zu dem jene realen Energien und Verbindungen erst die Bedeutung von Mitteln erhalten und der seinerseits nur durch eine Willenstat kreiert werden kann. So wenig in der objektiven Welt, wenn kein Wille zu ihr hinzutritt, etwas Zweck ist, so wenig in der Intellektualität, die doch nur eine vollkommenere oder unvollkommenere Darstellung des Weltinhaltes ist. Und vom Willen hat man richtig gesagt, aber meistens falsch verstanden, daß er blind ist. Er ist es nämlich nicht in demselben Sinne, wie Hödhr oder der geblendete Cyklop, die aufs Geratewohl losstürmen; er wirkt nichts Unvernünftiges, im Sinne des Wertbegriffes Vernunft, sondern er kann überhaupt nichts wirken, wenn er nicht irgendeinen Inhalt erhält, der niemals in ihm selbst liegt; denn er ist nichts anderes als eine der psychologischen Formen (wie das [481] Sein, das Sollen, das Hoffen usw.), in denen Inhalte in uns leben, eine der – wahrscheinlich in begleiten den Muskel- oder sonstigen Gefühlen psychisch realisierten – Kategorien, in die wir den an sich bloß ideellen Gehalt der Welt fassen, damit er für uns eine praktische Bedeutung gewinne. So wenig also der Wille – der bloße, zu einer gewissen Selbständigkeit gesteigerte Name dieser Form – von sich aus irgendeinen bestimmten Inhalt erkürt, so wenig geht aus dem bloßen Bewußtsein der Weltinhalte, also aus der Intellektualität, irgendeine Zwecksetzung hervor. Vielmehr, zu der völligen Indifferenz jener und aus ihnen selbst nicht berechenbar, tritt an irgendeinem Punkte ihre Betonung durch den Willen. Ist dies erst einmal geschehen, so findet freilich rein logisch und durch die theoretische Sachlichkeit bestimmt, die Überleitung des Willens auf andere, mit jener ersten kausal verbundene Vorstellungen statt, die nun als »Mittel« zu jenem »Endzweck« gelten. Überall, wo der Intellekt uns führt, sind wir schlechthin abhängig, denn er führt uns nur durch die sachlichen Zusammenhänge der Dinge, er ist die Vermittlung, durch die das Wollen sich dem selbständigen Sein anpaßt. Fassen wir den Begriff der Mittelberechnung in voller Schärfe, so sind wir, in ihr verweilend, rein theoretische, absolut nicht-praktische Wesen. Das Wollen begleitet die Reihe unserer Überlegungen nur wie ein Orgelpunkt oder wie die allgemeine Voraussetzung eines Gebietes, in dessen inhaltliche Einzelheiten und Verhältnisse sie nicht eingreift, in das aber erst sie Leben und Wirklichkeit einströmen läßt.

Die Anzahl und Reihenlänge der Mittel, die den Inhalt unserer Tätigkeit bilden, entwickelt sich also proportional mit der Intellektualität, als dem subjektiven Repräsentanten der objektiven Welt Ordnung. Da nun jedes Mittel als solches völlig indifferent ist, so knüpfen sich alle Gefühlswerte im Praktischen an die Zwecke, an die Haltepunkte des Handelns, deren Erreichtheit nicht mehr in die Aktivität, sondern nur in die Rezeptivität unserer Seele ausstrahlt. Je mehr solcher Endstationen unser praktisches Leben enthält, desto stärker wird sich also die Gefühlsfunktion gegenüber der Intellektfunktion betätigen. Die Impulsivität und Hingegebenheit an den Affekt, die von Naturvölkern so vielfach berichtet wird, hängt sicher mit der Kürze ihrer teleologischen Reihen zusammen. Ihre Lebensarbeit hat nicht die Kohäsion der Elemente, die in höheren Kulturen durch den einheitlich das Leben durchziehenden »Beruf« geschaffen wird, sondern besteht aus einfachen Interessenreihen, die, wenn sie ihr Ziel überhaupt erreichen, es mit relativ wenig Mitteln tun; wozu besonders viel die Unmittelbarkeit der Bemühung um den Nahrungserwerb beiträgt, die dann in höheren Verhältnissen fast durchgehends [482] vielgliedrigen Zweckreihen Platz macht. Unter diesen Umständen ist Vorstellung und Genuß von Endzwecken ein relativ häufiger, das Bewußtsein der sachlichen Verknüpfungen und der Wirklichkeit, die Intellektualität, tritt seltener in Funktion, als die Gefühlsbegleitungen, die sowohl die unmittelbare Vorstellung wie den realen Eintritt der Endzwecke charakterisieren. Noch das Mittelalter hatte durch die ausgedehnte Produktion für den Selbstbedarf, durch die Art des Handwerksbetriebes, durch die Vielfachheit und Enge der Einungen, vor allem durch die Kirche eine viel größere Zahl definitiver Befriedigungspunkte des Zweckhandelns, als die Gegenwart, in der die Umwege und Vorbereitungen zu solchen ins Endlose wachsen, wo der Zweck der Stunde so viel häufiger über die Stunde hinaus, ja, über den Gesichtskreis des Individuums hinausliegt. Diese Verlängerung der Reihen bringt das Geld zunächst dadurch zustande, daß es ein gemeinsames, zentrales Interesse über sonst auseinanderliegenden schafft und sie dadurch in Verbindung bringt, so daß die eine zur Vorbereitung der anderen, ihr sachlich ganz fremden, werden kann (indem z.B. der Geldertrag der einen und damit sie als Ganzes zum Unternehmen der anderen dient). Das Wesentliche aber ist die allgemeine, nach ihrem Zustandekommen bereits früher besprochene Tatsache, daß das Geld allenthalben als Zweck empfunden wird und damit außerordentlich viele Dinge, die eigentlich den Charakter des Selbstzwecks haben, zu bloßen Mitteln herabdrückt. Indem nun aber das Geld selbst überall und zu allem Mittel ist, werden dadurch die Inhalte des Daseins in einen ungeheuren teleologischen Zusammenhang eingestellt, in dem keiner der erste und keiner der letzte ist. Und da das Geld alle Dinge mit unbarmherziger Objektivität mißt und ihr Wertmaß, das sich so herausstellt, ihre Verbindungen bestimmt – so ergibt sich ein Gewebe sachlicher und persönlicher Lebensinhalte, das sich an ununterbrochener Verknüpftheit und strenger Kausalität dem naturgesetzlichen Kosmos nähert und von dem alles durchflutenden Geldwert so zusammengehalten wird, wie die Natur von der alles belebenden Energie, die sich ebenso wie jener in tausend Formen kleidet, aber durch die Gleichmäßigkeit ihres eigentlichen Wesens und die Rückverwandelbarkeit jeder ihrer Umsetzungen jedes mit jedem in Verbindung setzt und jedes zur Bedingung eines jeden macht. Wie nun aus der Auffassung der natürlichen Prozesse alle Gefühlsbetonungen verschwunden und durch die eine objektive Intelligenz ersetzt worden sind, so scheiden die Gegenstände und Verknüpfungen unserer praktischen Welt, indem sie mehr und mehr zusammenhängende Reihen bilden, die Einmischungen des Gefühles aus, die sich nur an teleologischen Endpunkten einstellen, [483] und sind nur noch Objekte der Intelligenz, die wir an der Hand dieser benutzen. Die steigende Verwandlung aller Lebensbe standteile in Mittel, die gegenseitige Verbindung der sonst mit selbstgenügsamen Zwecken abgeschlossenen Reihen zu einem Komplex relativer Elemente ist nicht nur das praktische Gegenbild der wachsenden Kausalerkenntnis der Natur und der Verwandlung des Absoluten in ihr in Relativitäten; sondern, da alle Struktur von Mitteln – für unsere jetzige Betrachtung – eine von vorwärts betrachtete Kausalverbindung ist, so wird damit auch die praktische Welt mehr und mehr zu einem Problem für die Intelligenz; oder genauer: die vorstellungsmäßigen Elemente des Handelns wachsen objektiv und subjektiv zu berechenbaren, rationellen Verbindungen zusammen und schalten dadurch die gefühlsmäßigen Betonungen und Entscheidungen mehr und mehr aus, die sich nur an die Cäsuren des Lebensverlaufes, an die Endzwecke in ihm, anschließen.

Diese Beziehung zwischen der Bedeutung des Intellekts und der des Geldes für das Leben läßt die Epochen oder Interessengebiete, wo beides herrscht, zunächst negativ bestimmen: durch eine gewisse Charakterlosigkeit. Wenn Charakter immer bedeutet, daß Personen oder Dinge auf eine individuelle Daseinsart, im Unterschiede und unter Ausschluß von allen anderen, entschieden festgelegt sind, so weiß der Intellekt als solcher davon nichts: denn er ist der indifferente Spiegel der Wirklichkeit, in der alle Elemente gleich berechtigt sind, weil ihr Recht hier in nichts anderem als in ihrem Wirklichsein besteht. Gewiß sind auch die Intellektualitäten der Menschen charakteristisch unterschieden: allein genau angesehen, sind dies entweder Unterschiede des Grades: Tiefe oder Oberflächlichkeit, Weite oder Beschränktheit – oder solche, die durch den Beisatz anderer Seelenenergien, des Fühlens oder Wollens, entstehen. Der Intellekt, seinem reinen Begriff nach, ist absolut charakterlos, nicht im Sinne des Mangels einer eigentlich erforderlichen Qualität, sondern weil er ganz jenseits der auswählenden Einseitigkeit steht, die den Charakter ausmacht. Eben dies ist ersichtlich auch die Charakterlosigkeit des Geldes. Wie es an und für sich der mechanische Reflex der Wertverhältnisse der Dinge ist und allen Parteien sich gleichmäßig darbietet, so sind innerhalb des Geldgeschäftes alle Personen gleichwertig, nicht, weil jede, sondern weil keine etwas wert ist, sondern nur das Geld. Die Charakterlosigkeit aber des Intellekts wie des Geldes pflegt über diesen reinen, negativen Sinn hinauszuwachsen. Wir verlangen von allen Dingen – vielleicht nicht immer mit sachlichem Recht – Bestimmtheit des Charakters und verdenken es dem rein theoretischen Menschen, daß sein Alles [484] stehen ihn bewegt, alles zu verzeihen – eine Objektivität, die wohl einem Gotte, aber niemals einem Menschen zukäme, der sich damit in offenbaren Widerspruch sowohl gegen die Hinweisungen seiner Natur wie gegen seine Rolle in der Gesellschaft setze. So verdenken wir es der Geldwirtschaft, daß sie ihren zentralen Wert der elendesten Machination als ein völlig nachgiebiges Werkzeug zur Verfügung stellt; denn dadurch, daß sie es der hochsinnigsten Unternehmung nicht weniger leiht, wird dies nicht gut gemacht, sondern gerade nur das völlig zufällige Verhältnis zwischen der Reihe der Geldoperationen und der unserer höheren Wertbegriffe, die Sinnlosigkeit des einen, wenn man es am anderen mißt, in das hellste Licht gestellt. Die eigentümliche Abflachung des Gefühlslebens, die man der Jetztzeit gegenüber der einseitigen Stärke und Schroffheit früherer Epochen nachsagt; die Leichtigkeit intellektueller Verständigung, die selbst zwischen Menschen divergentester Natur und Position besteht – während selbst eine intellektuell so überragende und theoretisch so interessierte Persönlichkeit wie Dante noch sagt, gewissen theoretischer Gegnern dürfe man nicht mit Gründen, sondern nur mit dem Messer antworten; die Tendenz zur Versöhnlichkeit, aus der Gleichgültigkeit gegen die Grundfragen des Innenlebens quellend, die man zuhöchst als die nach dem Heil der Seele bezeichnen kann und die nicht durch den Verstand zu entscheiden sind – bis zu der Idee des Weltfriedens, die besonders in den liberalen Kreisen, den historischen Trägern des Intellektualismus und des Geldverkehrs gepflegt wird: alles dies entspringt als positive Folge jenem negativen Zuge der Charakterlosigkeit. An den Höhenpunkten des Geldverkehrs wird diese Farblosigkeit sozusagen zur Farbe von Berufsinhalten. In den modernen Großstädten gibt es eine große Anzahl von Berufen, die keine objektive Form und Entschiedenheit der Betätigung aufweisen: gewisse Kategorien von Agenten, Kommissionäre, all die unbestimmten Existenzen der Großstädte, die von den verschiedenartigsten, zufällig sich bietenden Gelegenheiten, etwas zu verdienen, leben. Bei diesen hat das ökonomische Leben, das Gewebe ihrer teleologischen Reihen überhaupt keinen sicher anzugebenden Inhalt, außer dem Geldverdienen, das Geld, das absolut Unfixierte, ist ihnen der feste Punkt, um den ihre Tätigkeit mit unbegrenzter Latitüde schwingt. Eine besondere Art von »unqualifizierter Arbeit« liegt hier vor, neben der die gewöhnlich so bezeichnete sich doch noch als qualifiziert herausstellt: nämlich dadurch, daß das Wesen der letzteren in der bloßen Muskelarbeit besteht, bei völligem Überwiegen des aufgewendeten Energiequantums über die Form seiner Äußerung, bekommt diese Arbeit der niedrigsten Arbeiter [485] doch eine spezifische Färbung, ohne die schon die bloßen, neuerdings in England gemachten Versuche, sie in Gewerkvereinen zu organisieren, nicht möglich wären. Sehr viel mehr entbehren jene, den divergentesten Verdienstgelegenheiten nachgehenden Existenzen jeder apriorischen Bestimmtheit ihres Lebensinhaltes – im Unterschiede vom Bankier, bei dem das Geld nicht nur der Endzweck, sondern auch das Material der Tätigkeit ist, als welches es durchaus besondere, festgelegte Direktiven, eigenartige Interessiertheiten, Züge eines bestimmten Berufscharakters zeitigen kann. Erst bei jenen problematischen Existenzen haben die Wege zu dem Endziel Geld jede sachliche Einheit oder Verwandtschaft abgestreift. Das Nivellement, das das Geldziel den einzelnen Betätigungen und Interessen bereitet, findet erst hier ein Minimum von Widerstand, die Bestimmtheit und Färbung, die der Persönlichkeit aus ihren ökonomischen Tätigkeiten kommen könnte, ist aufgehoben. Nun ist offenbar eine solche Existenz nur bei nicht gewöhnlicher Intellektualität von irgendwelchem Erfolge, ja Möglichkeit, und zwar in jener Form, die man als »Schlauheit« bezeichnet – womit man die Lösung der Klugheit von jeder Festgelegtheit durch die Normen der Sache oder der Idee und ihre vorbehaltlose Dienstbarkeit für das jeweilige persönliche Interesse meint. Zu diesen »Berufen« – denen gerade das »Berufensein«, d.h. die feste ideelle Linie zwischen der Person und einem Lebensinhalt fehlt – sind begreiflicherweise die überhaupt entwurzelten Menschen disponiert und ebenso begreiflich ruht auf ihnen der Verdacht der Unzuverlässigkeit; wie sogar schon in Indien gelegentlich der Name für Kommissionär, Vermittler, zugleich der Name für jemanden geworden ist who lives by cheating his fellow-creatures. Jene großstädtischen Existenzen, die nur auf irgendeine, völlig unpräjudizizierte Weise Geld verdienen wollen und dazu um so mehr des Intellekts als allgemeiner Funktion bedürfen, weil spezielle Sachkenntnis für sie nicht in Frage kommt – stellen ein Hauptkontingent zu jenem Typus unsichrer Persönlichkeiten, die man nicht recht greifen und »stellen« kann, weil ihre Beweglichkeit und Vielseitigkeit es ihnen erspart, sich sozusagen in irgendeiner Situation festzulegen. Daß das Geld und die Intellektualität den Zug der Unpräjudiziertheit oder Charakterlosigkeit gemeinsam haben, das ist die Voraussetzung dieser Erscheinungen, die auf einem anderen Boden als auf der Berührungsfläche jener beiden Mächte nicht wachsen könnten.

Gegen derartige Züge der Geldwirtschaft ist die Heftigkeit der modernen Wirtschaftskämpfe, in denen kein Pardon gegeben wird, doch nur eine scheinbare Gegeninstanz, da sie durch das unmittelbare Interesse am Gelde selbst entfesselt werden. Denn nicht nur, daß [486] diese in einer objektiven Sphäre vor sich gehen, in der die Persönlichkeit nicht sowohl als Charakter, sondern als Träger einer bestimmten sachlichen Wirt schaftspotenz wichtig ist und wo der todfeindliche Konkurrent von heute der Kartellgenosse von morgen ist; sondern vor allem: die Bestimmungen, die ein Gebiet innerhalb seiner erzeugt, können durchaus denen heterogen sein, die es außerhalb seiner gelegenen, aber von ihm beeinflußten, mitteilt. So kann eine Religion innerhalb ihrer Anhänger und ihrer Lehre die Friedfertigkeit selbst und doch sowohl den Ketzern wie den ihr benachbarten Lebensmächten gegenüber äußerst streitbar und grausam sein; so kann ein Mensch in Anderen Gefühle und Gedanken hervorrufen, die seinen eigenen Lebensinhalten völlig heterogen sind, so daß er gibt, was er selbst nicht hat; so mag eine Kunstrichtung ihrer eigenen Überzeugung und artistischen Idee nach völlig naturalistisch sein, in dem Verhältnis der Unmittelbarkeit und bloßen Reproduktion zur Natur stehend, während die Tatsache, daß es überhaupt eine so treue Hingabe an die Erscheinung des Wirklichen und eine künstlerische Bemühung um ihre Abspiegelung gibt, im System des Lebens ein absolut ideales Moment ist und sich, im Vergleich zu dessen anderen Bestandteilen, weit über alle naturalistische Wirklichkeit hinaushebt. So wenig die Schärfe theoretisch-logischer Kontroversen hindert, daß die Intellektualität doch ein Prinzip der Versöhnlichkeit ist – denn sobald der Streit aus dem Gegensatz der Gefühle oder der Wollungen oder der unbeweisbaren, nur gefühlsmäßig anerkennbaren Axiome in die theoretische Diskussion übergegangen ist, muß er prinzipiell beigelegt werden können –, so wenig hindern die Interessenkämpfe in der Geldwirtschaft, daß diese doch ein Prinzip der Indifferenz ist, die Gegnerschaften aus dem eigentlich Persönlichen heraushebt und ihnen einen Boden bietet, auf dem schließlich immer eine Verständigung möglich ist. Gewiß hat die rein verstandesmäßige Behandlung der Menschen und Dinge etwas Grausames; aber sie hat dies nicht als positiven Impuls, sondern als einfache Unberührtheit ihrer bloß logischen Konsequenz durch Rücksichten, Gutmütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend der rein geldmäßig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen pflegt, wenn man ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich einer bloßen Folgerichtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens, ohne irgendeinen bösen Willen, bewußt ist. Bei alledem ist festzuhalten, daß es sich nur um das Geld als Form der Wirtschaftsbewegungen handelt, denen darum doch aus anderweitigen, inhaltlichen Motiven noch ganz davon abweichende Züge kommen können. Man kann dieses Jenseits der Charakterbestimmtheiten, in das das Leben, unbeschadet [487] aller sonstigen, gegensatzverschärfenden Folgen der Intellektualität und der Geldwirtschaft, durch sie gestellt wird, als Objektivität des Lebensstiles bezeichnen. Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte, sondern er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen zugängige Art, auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufälligkeit des Subjektes bestimmtes Verhältnis gewinnen kann. Angenommen selbst, daß die gesamte objektive Wirklichkeit durch die Funktionen unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen Funktionen die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im spezifischen Sinne des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst auch durch anderweitige Kräfte belebt und dirigiert sei. Das glänzendste Beispiel für diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein objektivstes Verhalten zur Welt, jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als ein harmonisches Weiterklingen der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins gefordert, den Unberechenbarkeiten der Individualität nirgends gestattet, die logisch-mathematische Struktur der Welteinheit zu durchbrechen, die Funktion, die dieses Weltbild und seine Normen trägt, die rein intellektuelle; auf das bloße Verstehen der Dinge ist diese Weltanschauung selbst subjektiv aufgebaut, und es reicht zur Erfüllung ihrer Forderungen aus; diese Intellektualität selbst aber allerdings auf ein tief religiöses Fühlen gegründet, auf eine völlig über-theoretische Beziehung zum Grunde der Dinge, die nur nie in das Einzelne des in sich geschlossenen intellektuellen Prozesses eingreift. Im großen zeigt das indische Volk dieselbe Verbindung. Aus den ältesten wie aus modernen Zeiten wird berichtet, daß zwischen den kämpfenden Heeren indischer Staaten der Landmann ruhig sein Feld bebauen könne, ohne von einer feindlichen Partei belästigt zu werden; denn er sei »der gemeinsame Wohltäter von Freund und Feind«. Offenbar ist dies ein äußerstes Maß objektiver Behandlung der praktischen Dinge: die als natürlich erscheinenden subjektiven Impulse sind völlig zugunsten einer nur der sachlichen Bedeutung der Elemente entsprechenden Praxis ausgeschaltet, die Differenzierung des Verhaltens folgt nur noch einer objektiven Angemessenheit statt denen der persönlichen Leidenschaft. Aber dieses Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an scharfer Logik, grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer kahlen Verstandesmäßigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie seiner gesteigertsten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen anderen ebenso überlegen, wie es an ausstrahlender Wärme des eigentlichen Gemütslebens und an Willenskraft hinter sehr vielen zurückstand; es war ein bloßer Zuschauer und logischer Konstrukteur des Weltlaufs geworden – aber daß es das geworden war, das [488] ruhte dennoch auf letzten Entscheidungen des Gefühles, auf einer Unermeßlichkeit des Leidens, die zu einem metaphysisch-religiösen Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit auswuchs, weil der Einzelne mit ihm weder innerhalb der Gefühlsprovinz selbst, noch durch die Ableitungen einer energischen Lebenspraxis fertig werden konnte.

Eben diese Objektivität der Lebensverfassung geht auch von deren Beziehung zum Gelde aus. Ich habe in früherem Zusammenhang darauf hingewiesen, eine wie große Erhebung über die ursprüngliche undifferenzierte Subjektivität des Menschen schon der Handel darstellt. Noch heute gibt es Völker in Afrika und Mikronesien, die keinen anderen Besitzwechsel als in der Form des Raubes und des Geschenkes kennen. Wie aber dem höheren Menschen neben und über den subjektivistischen Antrieben von Egoismus und Altruismus – in deren Alternative die Ethik leider noch die menschlichen Motivierungen einzusperren pflegt – objektive Interessen erwachsen, ein Hingegebensein oder Verpflichtetsein, das gar nicht mit Verhältnissen von Subjekten, sondern mit sachlichen Angemessenheiten und Idealen zu tun hat: so entwickelt sich, jenseits der egoistischen Impulsivität des Raubes und der nicht geringeren altruistischen des Geschenkes, der Besitzwechsel nach der Norm objektiver Richtigkeit und Gerechtigkeit, der Tausch. Das Geld aber stellt das Moment der Objektivität der Tauschhandlungen gleichsam in reiner Abgelöstheit und selbständiger Verkörperung dar, da es von allen einseitigen Qualifikationen der tauschbaren Einzeldinge frei ist und deshalb von sich aus zu keiner wirtschaftlichen Subjektivität ein entschiedeneres Verhältnis hat als zu einer anderen – gerade wie das theoretische Gesetz die für sich seiende Objektivität des Naturgeschehens darstellt, der gegenüber jeder einzelne, von jenem bestimmte Fall als zufällig – das Seitenstück zu dem Subjektiven im Menschlichen – erscheint. Daß dennoch die verschiedenen Persönlichkeiten gerade zum Gelde die verschiedensten inneren Beziehungen haben, beweist gerade seine Jenseitigkeit von jeder subjektiven Einzelheit; es teilt diese mit den anderen großen historischen Potenzen, die weiten Seen gleichen, aus denen man von jeder Seite her und alles das schöpfen kann, was das mitgebrachte Gefäß nach Form und Umfang gestattet. Die Objektivität des gegenseitigen Verhaltens der Menschen – die freilich nur eine Formung eines ursprünglich von subjektiven Energien gelieferten Materiales ist, aber eine von schließlich selbständigem Bestande und Normgebung – gewinnt an den rein geldwirtschaftlichen Interessen ihre restloseste Ausprägung. Was gegen Geld fortgegeben wird, gelangt an denjenigen, der das meiste dafür gibt, gleichgültig, was und wer er sonst sei; wo andere [489] Äquivalente ins Spiel kommen, wo man um Ehre, um Dienstleistung, um Dankbarkeit sich eines Besitzes entäußerst, sieht man sich die Beschaffenheit der Person an, der man gibt. Und umgekehrt, wo ich selbst um Geld kaufe, ist es mir gleichgültig, von wem ich das kaufe, was mir erwünscht und den Preis wert ist; wo man aber um den Preis der Dienstleistung, der persönlichen Verpflichtung in innerlicher und äußerlicher Beziehung erwirbt, da prüft man genau, mit wem man zu tun hat, weil wir nichts anderes von uns als gerade nur Geld jedem Beliebigen geben mögen. Die Bemerkung auf den Kassenscheinen, daß der Wert derselben dem Einlieferer »ohne Legitimationsprüfung« ausgezahlt wird, ist bezeichnend für die absolute Objektivität, mit der in Geldsachen verfahren wird. Auf ihrem Gebiete findet sich selbst bei einem sehr viel leidenschaftlicheren Volke als den Indern doch ein Gegenstück zu jener Exemtion des Ackerbauers von den kriegerischen Bewegungen: bei einigen Indianern darf der Händler unbehelligt durch Stämme ziehen und Handel treiben, die mit dem seinigen auf dem Kriegsfuß stehen! Das Geld stellt Handlungen und Verhältnisse des Menschen so außerhalb des Menschen als Subjektes, wie das Seelenleben, soweit es rein intellektuell ist, aus der persönlichen Subjektivität in die Sphäre der Sachlichkeit, die es nun abspiegelt, eintritt. Damit ist ersichtlich ein Überlegenheitsverhältnis angelegt. Wie der, der das Geld hat, dem überlegen ist, der die Ware hat, so besitzt der intellektuelle Mensch als solcher eine gewisse Macht gegenüber dem, der mehr im Gefühle und Impulse lebt. Denn soviel wertvoller des letzteren Gesamtpersönlichkeit sein mag, so sehr seine Kräfte in letzter Instanz jenen überflügeln mögen – er ist einseitiger, engagierter, vorurteilsvoller als jener, er hat nicht den souveränen Blick und die ungebundenen Verwendungsmöglichkeiten über alle Mittel der Praxis wie der reine Verstandesmensch. Aus diesem Überlegenheitsmoment heraus, in dem das Geld und die Intellektualität durch ihre Objektivität gegenüber jedem singulären Lebensinhalt zusammentreffen, hat Comte in seinem Zukunftsstaat an die Spitze der weltlichen Regierung die Bankiers gestellt, da sie die Klasse der allgemeinsten und abstraktesten Funktionen bildeten. Und dieser Zusammenhang klingt schon bei den mittelalterlichen Gesellenverbänden an, in denen der Seckelmeister zugleich der Vorstand der Bruderschaft zu sein pflegt.

Diese Begründung der Korrelation zwischen Intellektualität und geldmäßiger Wirtschaft auf die Objektivität und charakterologische Unbestimmtheit, die beiden gemeinsam wären, begegnet nun aber einer sehr entschiedenen Gegeninstanz. Neben der unpersönlichen [490] Sachlichkeit nämlich, die der Intelligenz ihren Inhalten nach eigen ist, steht eine äußerst enge Beziehung, die sie gerade zur Individualität und zum ganzen Prinzip des Individualismus besitzt; das Geld seinerseits, so sehr es die impulsiv-subjektivistischen Verfahrungsweisen in überpersönliche und sachlich normierte überführt, ist dennoch die Pflanzstätte des wirtschaftlichen Individualismus und Egoismus. Hier liegen also offenbar Mehrdeutigkeiten und Verschlingungen der Begriffe vor, die klar auseinandergelegt werden müssen, um den durch sie bezeichenbaren Lebensstil zu verstehen. Jene Doppelrolle, die sowohl der Intellekt wie das Geld spielen, wird begreiflich, sobald man ihren Inhalt, den Sachgehalt ihres Wesens, von der Funktion unterscheidet, die diesen trägt, bzw. von der Verwendung, die von ihm gemacht wird. In dem ersteren Sinne hat der Intellekt einen nivellierten, ja, man möchte sagen: kommunistischen Charakter. Zunächst, weil es das Wesen seiner Inhalte ist, daß sie allgemein mitteilbar sind, und daß, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, jeder hinreichend vorgebildete Geist sich von ihnen muß überzeugen lassen können – wozu es auf den Gebieten des Willens und des Gefühles gar kein Analogen gibt. Auf diesen hängt jede Übertragung der gleichen inneren Konstellation von der mitgebrachten und jedem Zwange nur bedingt nachgiebigen Verfassung der individuellen Seele ab; ihr gegenüber gibt es keine Beweise, wie sie dem Intellekt, wenigstens prinzipiell, zu Gebote stehen, um die gleiche Überzeugung durch die Gesamtheit der Geister zu verbreiten. Die Belehrbarkeit, die ihm allein eigen ist, bedeutet, daß man sich auf einem mit Allen gemeinsamen Niveau befindet. Dazu kommt, daß die Inhalte der Intelligenz, von ganz zufälligen Komplikationen abgesehen, die eifersüchtige Ausschließlichkeit nicht kennen, die die praktischen Lebensinhalte so oft besitzen. Gewisse Gefühle, z.B. die mit dem Verhältnis zwischen einem Ich und einem Du verbundenen, würden ihr Wesen und ihren Wert völlig verlieren, wenn eine Mehrzahl sie genau so teilen dürfte; gewissen Willenszielen ist es unbedingt wesentlich, daß Andere von ihnen, sowohl dem Erstreben wie dem Erreichen nach, ausgeschlossen sind. Theoretische Vorstellungen dagegen gleichen, wie man wohl gesagt hat, der Fackel, deren Licht darum nicht geringer wird, daß beliebig viele andere an ihr entzündet werden; indem die potenzielle Unendlichkeit ihrer Verbreitung gar keinen Einfluß auf ihre Bedeutung hat, entzieht sie sie mehr als alle sonstigen Lebensinhalte dem Privatbesitz. Endlich bieten sie sich durch die Fixierung, über die sie verfügen, in einer Art dar, die von der Aufnahme ihres Inhaltes alle individuellen Zufälligkeiten, wenigstens prinzipiell, ausschließt. Wir haben [491] gar keine Möglichkeit, Gefühlsbewegungen und Willensenergien in so restloser und unzweideutiger Weise niederzulegen, daß jeder in jedem Augenblick darauf zurückgreifen und an der Hand des objektiven Gebildes den gleichen inneren Vorgang immer wieder erzeugen kann – wozu wir allein intellektuellen Inhalten gegenüber in der in Begriffen und ihrer logischen Verknüpfung sich bewegenden Sprache ein zulängliches, von der individuellen Disposition relativ unabhängiges Mittel besitzen. Nach ganz anderer Richtung aber entwickelt sich nun die Bedeutung des Intellektes, sobald die realen geschichtlichen Kräfte mit jenen abstrakten Sachlichkeiten und Möglichkeiten seines Inhaltes zu schalten beginnen. Zunächst ist es gerade die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis und ihre daraus folgende Eindringlichkeit und Unwiderstehlichkeit, die sie zu einer furchtbaren Waffe der irgend hervorragenderen Intelligenzen macht. Gegen einen überlegenen Willen können wenigstens die nicht suggestiblen Naturen sich wehren; einer überlegenen Logik aber kann man sich nur durch ein eigensinniges: Ich will nicht – entziehen, womit man sich denn doch als den schwächeren bekennt. Es kommt hinzu, daß zwar die großen Entscheidungen zwischen den Menschen von den überintellektuellen Energien ausgehen, der tägliche Kampf um das Sein und Haben aber durch das einzusetzende Maß von Klugheit entschieden zu werden pflegt. Die Macht der größeren Intelligenz beruht gerade auf dem kommunistischen Charakter ihrer Qualität: weil sie inhaltlich das Allgemeingültige und überall Wirksame und Anerkannte ist, gibt schon das bloße Quantum ihrer, das jemandem durch seine Anlage zugängig ist, ihm einen unbedingteren Vorsprung, als ein qualitativ individuellerer Besitz es könnte, der eben wegen seiner Individualität nicht überall verwendbar ist und nicht ebenso an jedem Punkte der praktischen Welt irgendein Herrschaftsgebiet findet. Hier wie sonst ist es gerade der Boden des gleichen Rechtes für Alle, der die individuellen Unterschiede zur vollen Entwicklung und Ausnutzung bringt. Gerade weil die bloß verstandesmäßige, auf die unbegründbaren Betonungen des Wollens und Fühlens verzichtende Vorstellung und Ordnung der menschlichen Verhältnisse keinen a priori gegebenen Unterschied zwischen den Individuen kennt, hat sie ebensowenig Grund, dem a posteriori hervortretenden irgend etwas von der Ausdehnung abzuschneiden, zu der er von sich aus gelangen kann – was durch den sozialen Pflicht-Willen wie durch die Gefühle von Liebe und Mitleid so oft geschieht. Darum ist die rationalistische Weltauffassung – die, unparteiisch wie das Geld, auch das sozialistische Lebensbild genährt hat – die Schule des neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens der [492] Individualität geworden. Für die gewöhnliche – nicht gerade vertiefte – Anschauung ist das Ich im Praktischen nicht weniger als im Theoretischen die selbstverständliche Grundlage und das unvermeidlich erste Interesse; alle Motive der Selbstlosigkeit er scheinen nicht als ebenso natürliche und autochthone, sondern als nachträgliche und gleichsam künstlich angepflanzte. Der Erfolg davon ist, daß das Handeln im selbstischen Interesse als das eigentlich und einfach »logische« gilt. Alle Hingabe und Aufopferung scheint aus den irrationalen Kräften des Gefühls und Willens zu fließen, so daß die bloßen Verstandesmenschen dieselbe als einen Beweis mangelnder Klugheit zu ironisieren oder als den Umweg eines versteckten Egoismus zu denunzieren pflegen. Gewiß ist dies schon deshalb irrig, weil auch der egoistische Wille eben Wille ist, so gut wie der altruistische, und so wenig wie dieser aus dem bloßen verstandesmäßigen Denken herausgepreßt werden kann; dieses vielmehr kann, wie wir sahen, immer nur die Mittel, für das eine wie für das andere, an die Hand geben, es steht dem praktischen Zweck, der diese auswählt und verwirklicht, völlig indifferent gegenüber. Allein da jene Verbindung der reinen Intellektualität mit dem praktischen Egoismus nun einmal eine verbreitete Vorstellung ist, so wird sie wohl, wenn auch nicht mit der angeblichen logischen Unmittelbarkeit, so doch auf irgendwelchen psychologischen Umwegen irgendeine Wirklichkeit haben. Aber nicht nur der eigentlich ethische Egoismus, sondern auch der soziale Individualismus erscheint als das notwendige Korrelat der Intellektualität. Aller Kollektivismus, der eine neue Lebenseinheit aus und über den Individuen schafft, scheint dem nüchternen Verstande etwas Mystisches, ihm Undurchdringliches zu enthalten, sobald er es eben nicht in die bloße Summe der Individuen auflösen kann – wie die Lebenseinheit des Organismus, soweit er ihn nicht als Mechanismus der Teile verstehen kann. Darum ist mit dem Rationalismus des 18. Jahrhunderts, der sich zur Revolution aufgipfelte, ein strenger Individualismus verbunden, und erst die Opposition gegen den ersteren, die von Herder über die Romantik führte, hat mit der Anerkennung der überindividuellen Gefühlspotenzen des Lebens auch die überindividuellen Kollektivitäten als Einheiten und historische Wirklichkeiten anerkannt. Die Allgemeingültigkeit der Intellektualität ihren Inhalten nachwirkt, indem sie für jede individuelle Intelligenz gilt, auf eine Atomisierung der Gesellschaft hin, sowohl vermittels ihrer wie von ihr aus gesehen erscheint jeder als ein In sich geschlossenes Element neben jedem anderen, ohne daß diese abstrakte Allgemeinheit irgendwie in die konkrete überginge, in der der Einzelne erst mit den anderen zusammen [493] eine Einheit bildete. Endlich hat die innere Zugängigkeit und Nachdenkbarkeit theoretischer Erkenntnisse, die sich niemandem so prinzipiell versagen können, wie gewisse Gefühle und Wollungen es tun, eine Konsequenz, die ihr praktisches Resultat direkt umkehrt. Zunächst bewirkt gerade jene allgemeine Zugängigkeit, daß Umstände ganz jenseits der personalen Qualifikation über die tatsächliche Ausnutzung derselben entscheiden: was zu dem ungeheuren Übergewicht des unintelligentesten »Gebildeten« über den klügsten Proletarier führt. Die scheinbare Gleichheit, mit der sich der Bildungsstoff jedem bietet, der ihn ergreifen will, ist in der Wirklichkeit ein blutiger Hohn, gerade wie andere Freiheiten liberalistischer Doktrinen, die den Einzelnen freilich an dem Gewinn von Gütern jeder Art nicht hindern, aber übersehen, daß nur der durch irgendwelche Umstände schon Begünstigte die Möglichkeit besitzt, sie sich anzueignen. Da nun die Inhalte der Bildung – trotz oder wegen ihres allgemeinen Sich-Darbietens – schließlich nur durch individuelle Aktivität angeeignet werden, so erzeugen sie die unangreifbarste, weil ungreifbarste Aristokratie, einen Unterschied zwischen Hoch und Niedrig, der nicht wie ein ökonomisch-sozialer durch ein Dekret oder eine Revolution auszulöschen ist, und auch nicht durch den guten Willen der Betreffenden; Jesus konnte dem reichen Jüngling wohl sagen: Schenke deinen Besitz den Armen, aber nicht: Gib deine Bildung den Niederen. Es gibt keinen Vorzug, der dem Tieferstehenden so unheimlich erschiene, dem gegenüber er sich so innerlich zurückgesetzt und wehrlos fühlte, wie der Vorzug der Bildung; weshalb denn Bestrebungen, die auf die praktische Gleichheit ausgingen, so oft und in so vielen Variationen die intellektuelle Bildung perhorreszierten: von Buddha, den Zynikern, dem Christentum in gewissen seiner Erscheinungen an bis zu Robespierres: nous n'avons pas besoin de savants. Wozu das sehr Wesentliche kommt, daß die Fixierung der Erkenntnisse durch Sprache und Schrift – abstrakt betrachtet, ein Träger ihres kommunistischen Wesens – eine Anhäufung und namentlich Verdichtung derselben ermöglicht, die die Kluft zwischen Hoch und Niedrig in dieser Hinsicht sich stetig erweitern läßt. Der intellektuell beanlagte oder material sorgenfreiere Mensch wird um so mehr Chancen haben, über die Masse hinauszuragen, je größer und zusammengedrängter der vorliegende Bildungsstoff ist. Wie dem Proletarier heute mancherlei früher versagte Komforts und Kulturgenüsse zugängig sind, zugleich aber – besonders wenn wir mehrere Jahrhunderte und Jahrtausende zurücksehen – die Kluft zwischen seiner Lebenshaltung und der der höheren Stände doch viel größer geworden ist: so bringt die allgemeine Erhöhung [494] des Erkenntnisniveaus durchaus keine allgemeine Nivellierung, sondern das Gegenteil davon hervor.

Ich habe dies so ausführlich erörtert, weil die Gegensätzlichkeit des Sinnes, die der Begriff der Intellektualität zeigt, am Gelde ihre genaue Analogie findet. Dem Verständnis des Geldes dient so nicht nur seine Wechselwirkung mit der Intellektualität, durch die ihre Formen sich gegenseitig anähnlichen, sondern vielleicht auch der damit gegebene Hinweis auf ein tiefer gelegenes, ihnen gemeinsames Prinzip, das die Gleichheit Ihrer Entwicklung trägt – etwa auf jene fundamentale Beschaffenheit oder Stimmung der historischen Elemente, die, indem sie die Formung derselben bewirkt, ihren Stil ausmacht. Wie sehr nun das Geld auf der Basis seiner prinzipiellen All-Zugänglichkeit und Objektivität dennoch der Ausbildung der Individualität und Subjektivität dient; wie gerade seine Immer- und Allgleichheit, sein qualitativ kommunistischer Charakter bewirkt, daß jeder quantitative Unterschied sogleich zu qualitativen Differenzen führt – ist in den vorangehenden Kapiteln beschrieben. Es zeigt sich aber auch hier in der mit keinem anderen Kulturfaktor vergleichbaren Ausbreitung seiner Macht, die die entgegengesetztesten Lebenstendenzen zu gleichen Rechten trägt, als die Verdichtung der rein formalen Kulturenergie, die jedem beliebigen Inhalt zugesetzt werden kann, um ihn in seiner eigenen Richtung zu steigern und zu immer reinerer Darstellung zu bringen. Ich hebe deshalb nur einige spezielle Analogien mit der Intellektualität hervor, des Inhalts, daß die Unpersönlichkeit und Allgemeingültigkeit seines abstrakten, sachlichen Wesens, sobald es auf seine Funktion und Verwendung ankommt, in den Dienst des Egoismus und der Differenzierung tritt. Der Charakter des Rationellen und Logischen, der sich am Egoismus herausstellte, haftet auch an der vollen und rücksichtslosen Ausnutzung des Geldbesitzes. Wir haben früher als das Bezeichnende des Geldes ändern Besitzen gegenüber festgestellt, daß es keinerlei Hinweis auf irgendeine bestimmte Verwendungsart und ebendeshalb keinerlei Hemmung in sich schließt, durch die ihm die eine Verwendung ferner oder schwieriger wäre als die andere; in jede, gerade fragliche, geht es restlos auf, ohne daß ein Verhältnis seiner Qualität zu der der realen Objekte spezifisch fördernd oder abbiegend wirkte – darin den logischen Formen selbst vergleichbar, die sich jedem beliebigen Inhalt, seiner Entwicklung oder Kombination gleichmäßig darbieten und eben dadurch freilich dem sachlich Unsinnigsten und Verderblichsten dieselbe Chance der Darstellung und formalen Richtigkeit wie dem Wertvollsten gewähren; und nicht weniger den Schematen des Rechtes analog, dem es oft genug an Schutzvorrichtungen [495] dagegen fehlt, daß das schwerste materielle Unrecht sich mit unangreifbarer formaler Gerechtigkeit ausstatte. Diese absolute Möglichkeit, die Kräfte des Geldes bis aufs Letzte auszunutzen, erscheint nun nicht nur als Rechtfertigung, sondern sozusagen als logisch-begriffliche Notwendigkeit, es auch wirklich zu tun. Da es in sich weder Direktiven noch Hemmungen enthält, so folgt es dem je stärksten subjektiven Impuls, – der auf den Gebieten der Geldverwendung überhaupt der egoistische zu sein pflegt. Jene Hemmungsvorstellungen: daß an einem bestimmten Gelde »Blut klebt« oder ein Fluch haftet, sind Sentimentalitäten, die mit der wachsenden Indifferenz des Geldes – indem es also immer mehr bloß Geld wird – ihre Bedeutung ganz einbüßen. Die rein negative Bestimmung, daß keinerlei Rücksicht sachlicher oder ethischer Art, wie sie sich aus ändern Besitzarten ergibt, die Verwendung des Geldes bestimmt, wächst ohne weiteres zur Rücksichtslosigkeit als einer ganz positiven Verhaltungsart aus. Seine Nachgiebigkeit, die aus seinem völligen Gelöstsein von singulären Interessen, Ursprüngen und Beziehungen folgt, enthält als anscheinend logische Konsequenz die Aufforderung, uns in den von ihm beherrschten Lebensprovinzen keinerlei Zwang anzutun. An seiner absoluten Sachlichkeit, die gerade aus dem Ausschluß jeder einseitigen Sachlichkeit hervorgeht, findet der Egoismus reinen Tisch vor, wie er ihn auch an der bloßen Intellektualität fand – aus keinem anderen Grunde, als weil diese Triebfeder die logisch einfachste und nächstliegende ist, so daß die rein formalen und indifferenten Lebensmächte an ihr ihre erste, gleichsam natürliche und wahlverwandte Erfüllung finden.

Es ist nicht nur, wie ich es oben berührte, die Rechtsform überhaupt, die sich mit der reinen Intellektualität und dem Geldverkehr darin trifft, daß sie alle sich dem sachlich und sittlich perversesten Inhalte nicht entziehen; sondern es ist vor allem das Prinzip der Rechtsgleichheit, in dem diese Diskrepanz zwischen der Form und dem realen Inhalt gipfelt. Alle drei: das Recht, die Intellektualität, das Geld, sind durch die Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigenheit charakterisiert, alle drei ziehen aus der konkreten Ganzheit der Lebensbewegungen einen abstrakten, allgemeinen Faktor heraus, der sich nach eigenen und selbständigen Normen entwickelt und von diesen aus in jene Gesamtheit der Interessen des Daseins eingreift und sie nach sich bestimmt. Indem alle drei also Inhalten, gegen die sie ihrem Wesen, nach gleichgültig sind, Formen und Richtungen vorzuschreiben mächtig sind, bringen sie unvermeidlich die Widersprüche, die uns hier beschäftigen, in die Totalität des Lebens hinein. Wo die Gleichheit die formalen Fundamente der Beziehungen [496] zwischen Menschen ergreift, wird sie zum Mittel, ihre individuellen Ungleichheiten zum schärfsten und folgenreichsten Ausdruck zu bringen, der Egoismus hat sich, indem er die Schranken der formalen Gleichheit einhält, mit inneren und äußeren Hindernissen abgefunden und besitzt nun gerade in der Allgemeingültigkeit jener Bestimmungen eine Waffe, die, weil sie jedem dient, auch gegen jeden dient. Die Formen der Rechtsgleichheit bezeichnen den Typus hierfür, den einerseits die Intellektualität in ihrer oben geschilderten Bedeutung, andrerseits das Geld wiederholt: seine allgemeine Zugängigkeit und Gültigkeit, sein potenzieller Kommunismus beseitigt sowohl für die Oben- wie für die Unten- wie für die Gleichstehenden gewisse Schranken, die aus der apriorischen, standesmäßigen Abgrenzung der Besitzarten gefolgt waren. So lange der Grundbesitz und die Berufe in den Händen bestimmter Klassen waren, brachten sie Verpflichtungen gegen die Tieferstehenden, Solidaritäten der Genossen, selbstverständliche Begehrlichkeitsgrenzen der Ausgeschlossenen mit sich, zu denen für einen »aufgeklärten« Rationalismus kein Grund mehr vorliegt, sobald jeder Besitz in einen Wert überführbar ist, von dessen unbegrenzter Erwerbung niemand prinzipiell fernzuhalten ist – womit natürlich die Frage nach der Gesamt-Zu- oder Abnahme des Egoismus im Lauf der Geschichte keineswegs entschieden ist.

Endlich erwähne ich das äußerst Charakteristische, daß auch jene Aufhäufung intellektueller Errungenschaften, die dem irgendwie Begünstigten einen unverhältnismäßigen und rapid wachsenden Vorsprung gönnt, in den Akkumulierungen des Geldkapitals ihre Analogie findet. Die Struktur der geldwirtschaftlichen Verhältnisse, die Art, wie das Geld Renten und Gewinn erzielt, bringt es mit sich, daß es von einer gewissen Höhe ab sich wie von selbst vermehrt, ohne durch verhältnismäßige Arbeit des Besitzers befruchtet zu werden. Dies entspricht der Struktur der Erkenntnisse in der Kulturwelt, die von einem bestimmten Punkte an einen immer geringeren Selbsterwerb des Einzelnen fordern, weil sich die Wissensinhalte in verdichteter und mit ihrer größeren Höhe immer konzentrierterer Form darbieten. Auf den Höhen der Bildung fordert jeder weitere Schritt oft im Verhältnis zu dem Tempo der Erwerbungen niederer Stufen ebenso viel weniger Mühe, wie er einen höheren Erkenntnisertrag liefert. Wie die Objektivität des Geldes ihm schließlich ein von personalen Energien relativ unabhängiges »Arbeiten« gestattet, dessen, sich Aufhäufende Erträge wie automatisch zu weiteren Aufhäufungen in steigenden Proportionen führen – so bewirkt das Objektivwerden der Erkenntnisse, die Lösung der Resultate der [497] Intelligenz von dem Prozesse der letzteren selbst, daß diese Resultate sich zu verdichteten Abstraktionen aufhäufen, und daß man sie, wenn man nur schon hoch genug steht, wie Früchte pflücken kann, die ihren Reifeprozeß ohne unser Zutun vollzogen haben.

Als Erfolg von alledem wird das Geld, das seinem immanenten Wesen und seinen begrifflichen Bestimmungen nach ein absolut demokratisches, nivelliertes, jede individuelle Sonderbeziehung ausschließendes Gebilde ist, gerade von den auf allgemeine Gleichheit ausgehenden Bestrebungen aufs entschiedenste verworfen – die gleiche Konsequenz aus den gleichen Voraussetzungen, wie wir sie der Intellektualität gegenüber beobachten konnten. Die Allgemeinheit im logisch-inhaltlichen Sinne und die im sozial-praktischen Sinne fallen in diesen beiden Provinzen auseinander. In anderem gehen sie oft genug zusammen: so hat man es als das Wesen der Kunst – gleichviel, ob erschöpfend oder nicht – bezeichnet, daß ihr In halt die typisch-allgemeinen Züge der Erscheinungen darstelle, damit aber auch an die typischen Seelenregungen der Gattung in uns appelliere, ihren prinzipiellen Anspruch auf allgemeine subjektiv Anerkennung auf die Ausschaltung alles Zufällig-Individuellen in ihrem Objekte gründe. So erheben sich die Gebilde der Religion ihrem Begriff nach über alle Besonderheit irdischer Gestaltung zum Absolut-Allgemeinen und gewinnen eben dadurch die Beziehung zu dem Allgemeinsten und alle Individuen Verbindenden in der Menschenwelt; sie erlösen uns von dem bloß Individuellen in uns, indem sie dieses durch die All-Einheit ihres Inhalts auf die fundamentalen, als die gemeinsamen Wurzeln alles Menschlichen empfundenen Züge zurückführen. Ebenso verhält sich die Moral im Sinne Kants. Die Handlungsweise, welche eine logische Verallgemeinerung verträgt, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, sei zugleich sittliches, für jeden Menschen ohne Ansehn der Person gültiges Gebot, das Kriterium: daß man sich die praktische Maxime als Naturgesetz denken könne, also ihre begriffliche, objektive Allgemeinheit, entscheidet über die Allgemeinheit für alle Subjekte, die sie als moralische Forderung besitzt. Im Gegensatz zu diesen Gebilden scheint das moderne Leben an anderen gerade eine Spannung zwischen der sachlich – inhaltlichen und der praktisch-personalen Allgemeinheit aufwachsen zu lassen. Gewisse Elemente gewinnen immer größere Allgemeinheit ihres Inhalts, ihre Bedeutung wird über immer mehr Einzelheiten und Beziehungen mächtig, ihr Begriff schließt, unmittelbar oder mittelbar, einen immer größeren Teil der Wirklichkeit ein; so das Recht, die Prozesse und Ergebnisse der Intellektualität, das Geld. Hand in Hand damit geht aber die Zuspitzung derselben zu [498] subjektiv differenzierten Lebensgestaltungen, die Ausnutzung ihrer ausgreifenden, allen Interessenstoff ergreifenden Bedeutung für die Praxis des Egoismus, die erschöpfende Entwicklung personaler Unterschiede an diesem nivellierten, allgemein zugängigen und gültigen, und deshalb jedem Sonderwillen gegenüber widerstandslosen Material. Die Wirrnis und das Gefühl geheimen Selbstwiderspruches, das den Stil der Gegenwart an so vielen Punkten charakterisiert, wird zum Teil auf dieser Unausgeglichenheit und Gegenbewegung beruhen, die zwischen dem Sachgehalt, der objektiven Bedeutung jener Gebiete und ihrer personalen Verwendung und. Ausgestaltung in Hinsicht auf Allgemeinheit und Gleichheit besteht. –

Ich komme in dem Stilbilde der Gegenwart auf einen letzten Zug, dessen Rationalistik den Einfluß des Geldwesens sichtbar macht. Die geistigen Funktionen, mit deren Hilfe sich die Neuzeit der Welt gegenüber abfindet und ihre inneren – individuellen und sozialen – Beziehungen regelt, kann man großenteils als rechnende bezeichnen. Ihr Erkenntnisideal ist, die Welt als ein großes Rechenexempel zu begreifen, die Vorgänge und qualitativen Bestimmtheiten der Dinge in einem System von Zahlen aufzufangen, und Kant glaubt in der Naturlehre nur soviel eigentliche Wissenschaft zu finden, wie in ihr Mathematik angewandt werden kann. Aber nicht nur die körperliche Welt gilt es mit Wägen und Messen geistig zu bezwingen; den Wert des Lebens selbst wollen Pessimismus wie Optimismus durch ein gegenseitiges Aufrechnen von Lust und Leid festsetzen, der zahlenmäßigen Fixierung beider Faktoren mindestens als ihrem Ideal zustrebend. In derselben Richtung liegt die vielfache Bestimmung des öffentlichen Lebens durch Majoritätsbeschlüsse. Die Majorisierung des Einzelnen durch die Tatsache, daß andere, von vornherein doch nur gleichberechtigte, anderer Meinung sind, ist keineswegs so selbstverständlich, wie sie uns heute erscheint; alte germanische Rechte kennen sie nicht: wer dem Beschluß der Gemeinde nicht zustimmt, ist auch nicht durch ihn gebunden; im Stammesrat der Irokesen, in den aragonesischen Cortes bis ins 16. Jahrhundert hinein, im polnischen Reichstag und anderen Gemeinschaften gab es keine Überstimmung; der nicht einstimmige Beschluß war ungültig. Das Prinzip, daß die Minorität sich zu fügen hat, bedeutet, daß der absolute oder qualitative Wert der individuellen Stimme auf eine Einheit von rein quantitativer Bedeutung reduziert ist. Die demokratische Nivellierung, der jeder für einen und keiner für mehr als einen gilt, ist das Korrelat oder die Voraussetzung dieses rechnenden Verfahrens, in dem das arithmetische Mehr oder Weniger unbenannter Einheiten [499] die innere Wirklichkeit einer Gruppe ausdrückt und ihre äußere lenkt. Dieses messende, wägende, rechnerisch exakte Wesen der Neuzeit ist die reinste Ausgestaltung ihres Intellektualismus, der freilich auch hier über der abstrakten Gleichheit die selbstsüchtigste Besonderung der Elemente wachsen läßt: denn mit feiner instinktiver Einsicht versteht die Sprache unter einem »berechneten« Menschen schlechthin einen, der im egoistischen Sinne berechnet ist. Gerade wie bei der Verwendung von »verständig« oder »vernünftig«, wird hier der scheinbar ganz unparteiische Formalismus des Begriffes in seiner Disposition, sich gerade mit einem bestimmten einseitigen Inhalt zu erfüllen, durchschaut.

Der hiermit charakterisierte zeitpsychologische Zug, der sich in so entschiedenen Gegensatz zu dem mehr impulsiven, auf das Ganze gehenden, gefühlsmäßigen Wesen früherer Epochen stellt, scheint mir in enger kausaler Verbindung mit der Geldwirtschaft zu stehen. Sie bewirkt von sich aus die Notwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im täglichen Verkehr. Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen, Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt. Eine viel größere Genauigkeit und Grenzbestimmtheit mußte in die Lebensinhalte durch das Eindringen der Geldschätzung kommen, die jeden Wert bis in seine Pfennigdifferenzen hinein bestimmen und spezifizieren lehrte. Wo die Dinge in ihrem unmittelbaren Verhältnisse zueinander gedacht werden – also nicht auf ihren Generalnenner Geld reduziert sind –, da findet viel mehr Abrundung, Setzen von Einheit gegen Einheit statt. Die Exaktheit, Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen des Lebens, die natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält mit der Ausbreitung des Geldwesens Schritt – freilich nicht zur Förderung des großen Stiles in der Lebensführung. Erst die Geldwirtschaft hat in das praktische Leben – und wer weiß, ob nicht auch in das theoretische – das Ideal zahlenmäßiger Berechenbarkeit gebracht. Auch von dieser Wirkung aus gesehen stellt sich das Geldwesen als bloße Steigerung und Sublimierung des wirtschaftlichen Wesens überhaupt dar. Über die Handelsgeschäfte zwischen dem englischen Volke und seinen Königen, in denen jenes, besonders im 13. und 14. Jahrhundert, diesen allerhand Rechte und Freiheiten abkaufte, bemerkt ein Historiker: »Dies ermöglichte für schwierige Fragen, die in der Theorie unlösbar waren, eine praktische Entscheidung. Der König hat Rechte als Herr seines Volkes, das Volk hat Rechte als freie Männer und als Stände des Reiches, das der König personifiziert. Die Feststellung der Rechte eines jeden, prinzipiell äußerst schwer, wurde in der [500] Praxis leicht, sobald sie auf eine Frage von Kauf und Verkauf zurückgeführt war.« Das heißt also, sobald ein qualitatives Verhältnis praktischer Elemente ganz von derjenigen Bedeutung seiner repräsentiert wird, die seine Behandlung als Handelsgeschäft zuläßt, gewinnt es eine Genauigkeit und Fixierungsmöglichkeit, die seinem direkten, den ganzen Umfang seiner Qualitäten einschließenden Ausdruck versagt bleibt. Hierzu bedarf es nun noch nicht unbedingt des Geldes, da derartige Transaktionen auch oft durch Hingabe naturaler Werte, z.B. von Wolle, abgeschlossen wurden. Es ist aber offenbar, daß, was hier das Handelsgeschäft überhaupt für die Präzisierung der Werte und Ansprüche leistete, durch das Geld in sehr viel schärferer und exakterer Weise geleistet werden kann. Auch nach dieser Seite hin darf man vielleicht sagen, daß sich das Geldgeschäft zum Handelsgeschäft überhaupt verhält, wie dieses zu der sonstigen, vor dem Tausch bestehenden Bestimmtheit oder Verhältnis der Dinge; es drückt sozusagen das reine Geschäft an der geschäftsmäßigen Behandlung der letzteren aus, wie die Logik die Begreiflichkeit an den begreiflichen Dingen darstellt. Und indem nun das abstrakte Gebilde, das den aus den Dingen herausgezogenen Wert ihrer ausmachte die Form arithmetischer Genauigkeit und damit die unbedingte rationale Bestimmtheit besitzt, muß dieser Charakter auf die Dinge selbst zurückstrahlen. Wenn es wahr ist, daß die jeweilige Kunst allmählich die Art bestimmt, wie wir die Natur sehen, wenn die spontane und subjektive Abstraktion aus der Wirklichkeit, die der Künstler vollzieht, das scheinbar so unmittelbare sinnliche Bild derselben für unser Bewußtsein formt – so wird wohl der Überbau der Geldrelationen über der qualitativen Wirklichkeit in noch viel eingreifenderer Weise das innere Bild derselben nach seinen Formen bestimmen. Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in das Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision, eine Sicherheit in der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzweideutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen – wie sie auf äußerlichem Gebiet durch die allgemeine Verbreitung der Taschenuhren bewirkt wird. Die Bestimmung der abstrakten Zeit durch die Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein Schema feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die praktisch-äußerliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit und Berechenbarkeit verleiht. Die rechnende Intellektualität, die in diesen Formen lebt, mag von ihnen wiederum einen Teil der Kräfte beziehen, mit denen sie das moderne Leben beherrscht. Wie in einen Brennpunkt werden alle diese Beziehungen [501] durch die negative Instanz gesammelt, daß der Typus von Geistern, welche der ökonomischen Betrachtung und Begründung der menschlichen Dinge am fernsten und feindlichsten gegenüberstehen würden: Goethe, Carlyle, Nietzsche – zugleich einerseits prinzipiell anti-intellektualistisch gestimmt sind, und andrerseits jene rechnerisch-exakte Naturdeutung völlig ablehnen, die wir als das theoretische Gegenbild des Geldwesens erkannten.

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II.

Wenn wir die Verfeinerungen, die vergeistigten Formen des Lebens, die Ergebnisse der inneren und äußeren Arbeit an ihm als Kultur bezeichnen, so ordnen wir diese Werte damit in eine Blickrichtung, in der sie durch ihre eigene und sachliche Bedeutung noch nicht ohne weiteres stehen. Inhalte der Kultur sind sie uns, insofern wir sie als gesteigerte Entfaltungen natürlicher Keime und Tendenzen ansehen, gesteigert über das Maß der Entwicklung, Fülle und Differenzierung hinaus, das ihrer bloßen Natur erreichbar wäre. Eine naturgegebene Energie oder Hinweisung – die freilich, nur dasein muß, um hinter der wirklichen Entwicklung zurückzubleiben – bildet die Voraussetzung für den Begriff der Kultur. Denn von diesem aus gesehen sind die Werte des Lebens eben kultivierte Natur, sie haben hier nicht die isolierte Bedeutung, die sich gleichsam von oben her an dem Ideal des Glücks, der Intelligenz, der Schönheit mißt, sondern sie erscheinen als Entwicklungen einer Grundlage, die wir Natur nennen und deren Kräfte und Ideengehalt sie überschreiten, insofern sie eben Kultur werden. Wenn deshalb ein veredeltes Gartenobst und eine Statue gleichermaßen Kulturprodukte sind, so deutet die Sprache doch jenes Verhältnis sehr fein an, indem sie den Obstbaum selbst kultiviert nennt, während der rohe Marmorblock keineswegs zur Statue »kultiviert« ist. Denn in dem ersteren Falle nimmt man eine natürliche Triebkraft und Angelegtheit des Baumes in der Richtung jener Früchte an, die durch intelligente Beeinflussung über ihre natürliche Grenze hinausgetrieben ist, während wir in dem Marmorblock keine entsprechende Tendenz auf die Statue hin voraussetzen; die in ihr verwirklichte Kultur bedeutet die Erhöhung und Verfeinerung gewisser menschlicher Energien, deren ursprüngliche Äußerungen wir als »natürliche« bezeichnen.

Nun scheint es zunächst selbstverständlich, daß unpersönliche Dinge nur gleichnisweise als kultiviert zu bezeichnen sind. Denn jene durch Willen und Intellekt bewirkte Entfaltung des Gegebenen über die Grenze seines bloß natürlichen Sich-Auslebens hinaus lassen [503] wir doch schließlich nur uns selbst oder solchen Dingen zukommen, deren Entwicklungen sich an unsere Impulse anschließen und rückwirkend unsere Gefühle anregen. Die materiellen Kulturgüter: Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher, in denen natürliche Stoffe zu ihnen zwar möglichen, durch ihre eigenen Kräfte aber nie verwirklichten Formen entwickelt werden, sind unser eigenes, durch Ideen entfaltetes Wollen und Fühlen, das die Entwicklungsmöglichkeiten der Dinge, soweit sie auf seinem Wege liegen. In sich einbezieht; und das verhält sich nicht anders als mit der Kultur, die das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst formt: Sprache, Sitte, Religion, Recht. Insofern diese Werte als kulturell angesehen werden, unterscheiden wir sie von den Ausbildungsstufen der in ihnen lebendigen Energien, die sie sozusagen von sich aus erreichen können und die für den Kultivierungsprozeß ebenso nur Material sind, wie Holz und Metall, Pflanzen und Elektrizität. Indem wir die Dinge kultivieren, d.h. ihr Wertmaß über das durch ihren natürlichen Mechanismus uns geleistete hinaussteigern, kultivieren wir uns selbst: es ist der gleiche, von uns ausgehende und in uns zurückkehrende Werterhöhungsprozeß, der die Natur außer uns oder die Natur in uns ergreift. Die bildende Kunst zeigt diesen Kulturbegriff am reinsten, weil in der größten Spannung der Gegensätze. Denn hier scheint zunächst die Formung des Gegenstandes sich jener Einfügung in den Prozeß unserer Subjektivität völlig zu entziehen. Das Kunstwerk deutet uns doch gerade den Sinn der Erscheinung selbst, liege ihm dieser nun in der Gestaltung der Räumlichkeit oder in den Beziehungen der Farben oder in der Seelenhaftigkeit, die so in wie hinter dem Sichtbaren lebt. Immer aber gilt es, den Dingen ihre Bedeutung und ihr Geheimnis abzuhören, um es in reinerer oder deutlicherer Gestalt, als zu der ihre natürliche Entwicklung es gebracht hat, darzustellen – nicht aber im Sinne chemischer oder physikalischer Technologie, die die Gesetzlichkeiten der Dinge erkundet, um sie in unsere, außerhalb ihrer selbst gelegenen Zweckreihen einzustellen; vielmehr, der artistische Prozeß ist abgeschlossen, sobald er den Gegenstand zu dessen eigenster Bedeutung entwickelt hat. Tatsächlich ist hiermit dem bloß artistischen Ideal auch genügt, denn für dieses ist die Vollendung des Kunstwerkes als solchen ein objektiver Wert, völlig unabhängig von seinem Erfolge für unser subjektives Fühlen: das Stichwort des l'art pour l'art bezeichnet treffend die Selbstgenügsamkeit der rein künstlerischen Tendenz. Anders aber vom Standpunkte des Kulturideals. Das Wesentliche dieses ist eben, daß es die Eigenwertigkeit der ästhetischen, wissenschaftlichen, sittlichen, eudämonistischen, ja [504] der religiösen Leistung aufhebt, um sie alle als Elemente oder Bausteine in die Entwicklung des menschlichen Wesens über seinen Naturzustand hinaus einzufügen; oder genauer: sie sind die Wegstrecken, die diese Entwicklung durchläuft. Freilich muß sie sich in jedem Augenblick auf einer dieser Strecken befinden; sie kann niemals ohne einen Inhalt rein formell und an sich selbst verlaufen; allein darum ist sie mit diesem Inhalt noch nicht identisch. Die Kulturinhalte bestehen aus jenen Gebilden, deren jedes einem autonomen Ideal untersteht, nun aber betrachtet unter dem Blickpunkt der von ihnen getragenen und durch sie hindurchbewegten Entwicklung unserer Kräfte oder unseres Seins über das Maß hinaus, das als das bloß natürliche gilt. Indem der Mensch die Objekte kultiviert, schafft er sie sich zum Bilde: insofern die transnaturale Entfaltung ihrer Energien als Kulturprozeß gilt, ist sie nur die Sichtbarkeit oder der Körper für die gleiche Entfaltung unserer Energien. – Freilich ist in der Entwicklung des einzelnen Lebensinhaltes die Grenze, an der seine Naturform in seine Kulturform übergeht, eine fließende und es wird sich über sie keine Einstimmigkeit erzielen lassen. Es meldet sich damit aber nur eine der allgemeinsten Schwierigkeiten des Denkens. Die Kategorien, unter die die einzelnen Erscheinungen gebracht werden, um damit der Erkenntnis, ihren Normen und Zusammenhängen, anzugehören, sind mit Entschiedenheit gegeneinander abgegrenzt, geben sich oft erst an diesem Gegensatz wechselseitig ihren Sinn, bilden Reihen mit diskontinuierlichen Stufen. Die Einzelheiten aber, deren Rangierung unter diese Begriffe gefordert wird, pflegen ihre Stellen hier durchaus nicht mit der entsprechenden Eindeutigkeit zu finden; vielmehr sind es oft quantitative Bestimmungen an ihnen, die über die Zugehörigkeit zu dem einen oder zu dem anderen Begriff entscheiden, so daß angesichts der Kontinuität alles Quantitativen, der immer möglichen Mitte zwischen zwei Maßen, deren jedes einer entschiedenen Kategorie entspricht, die singuläre Erscheinung bald der einen, bald der anderen zugeteilt werden kann, und so als eine Unbestimmtheit zwischen ihnen, ja als eine Mischung von Begriffen erscheint, die ihrem eigenen Sinn nach sich gegenseitig ausschließen. Die prinzipielle Sicherheit der Abgrenzung zwischen Natur und Kultur, mit der die eine gerade da beginnt, wo die andere aufhört, leidet also unter der Unsicherheit über die Einordnung der Einzelerscheinung so wenig, wie die Begriffe des Tages und der Nacht darum ineinander verschwimmen, weil man eine Dämmerstunde bald dem einen, bald der anderen zurechnen mag. Dieser Erörterung des allgemeinen Kulturbegriffs stelle ich nun [505] ein besonderes Verhältnis innerhalb der gegenwärtigen Kultur gegenüber. Vergleicht man dieselbe etwa mit der Zeit vor hundert Jahren, so kann man – viele individuelle Ausnahmen vorbehalten – doch wohl sagen: die Dinge, die unser Leben sachlich erfüllen und umgeben, Geräte, Verkehrsmittel, die Produkte der Wissenschaft, der Technik, der Kunst – sind unsäglich kultiviert; aber die Kultur der Individuen, wenigstens in den höheren Ständen, ist keineswegs in demselben Verhältnis vorgeschritten, ja vielfach sogar zurückgegangen. Dies ist ein kaum eines Einzelbeweises bedürftiges Verhältnis. Ich hebe darum nur weniges hervor. Die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten haben sich, im Deutschen wie im Französischen, seit hundert Jahren außerordentlich bereichert und nuanciert; nicht nur die Sprache Goethes ist uns geschenkt, sondern es ist noch eine große Anzahl von Feinheiten, Abtönungen, Individualisierungen des Ausdrucks hinzugekommen. Dennoch, wenn man das Sprechen und Schreiben der Einzelnen betrachtet, so wird es als ganzes immer inkorrekter, würdeloser und trivialer. Und inhaltlich: der Gesichtskreis, aus dem die Konversation ihre Gegenstände schöpft, hat sich objektiv, durch die vorgeschrittene Theorie und Praxis, in derselben Zeit erheblich erweitert; und doch scheint es, als ob die Unterhaltung, die gesellschaftliche wie auch die intimere und briefliche, jetzt viel flacher, uninteressanter und weniger ernsthaft wäre als am Ende des 18. Jahrhunderts. In diese Kategorie gehört es, daß die Maschine so viel geistvoller geworden ist als der Arbeiter. Wieviele Arbeiter, sogar unterhalb der eigentlichen Großindustrie, können heute die Maschine, an der sie zu tun haben, d.h. den in der Maschine investierten Geist verstehen? Nicht anders liegt es in der militärischen Kultur. Was der einzelne Soldat zu leisten hat, ist im wesentlichen seit lange unverändert geblieben, ja, in manchem durch die moderne Art der Kriegführung herabgesetzt. Dagegen sind nicht nur die materiellen Werkzeuge derselben, sondern vor allem die jenseits aller Individuen stehende Organisation des Heeres unerhört verfeinert und zu einem wahren Triumph objektiver Kultur geworden. Und auf das Gebiet des rein Geistigen hinsehend – so operieren auch die kenntnisreichsten und nachdenkendsten Menschen mit einer immer wachsenden Zahl von Vorstellungen, Begriffen, Sätzen, deren genauen Sinn und Inhalt sie nur ganz unvollständig kennen. Die ungeheure Ausdehnung des objektiv vorliegenden Wissensstoffes gestattet, ja erzwingt den Gebrauch von Ausdrücken, die eigentlich wie verschlossene Gefäße von Hand zu Hand gehen, ohne daß der tatsächlich darin verdichtete Gedankengehalt sich für den einzelnen Gebraucher entfaltete. Wie unser äußeres Leben von immer mehr [506] Gegenständen umgeben wird, deren objektiven, in ihrem Produktionsprozeß aufgewandten Geist wir nicht entfernt ausdenken, so ist unser geistiges Innen- und Verkehrsleben – was ich oben schon in anderem Zusammenhang hervorhob – von symbolisch gewordenen Gebilden erfüllt, in denen eine umfassende Geistigkeit aufgespeichert ist – während der individuelle Geist davon nur ein Minimum auszunutzen pflegt. Gewissermaßen faßt sich das Übergewicht, das die objektive über die subjektive Kultur im 19. Jahrhundert gewonnen hat, darin zusammen, daß das Erziehungsideal des 18. Jahrhunderts auf eine Bildung des Menschen, also einen persönlichen, inneren Wert ging, aber im 19. Jahrhundert durch den Begriff der »Bildung« im Sinn einer Summe objektiver Kenntnisse und Verhaltungsweisen verdrängt wurde. Diese Diskrepanz scheint sich stetig zu erweitern. Täglich und von allen Seiten her wird der Schatz der Sachkultur vermehrt, aber nur wie aus weiter Entfernung ihr folgend und in einer nur wenig zu steigernden Beschleunigung kann der individuelle Geist die Formel und Inhalte seiner Bildung erweitern.

Wie erklärt sich nun diese Erscheinung? Wenn alle Kultur der Dinge, wie wir sahen, nur eine Kultur der Menschen ist, so daß nur wir uns ausbilden, indem wir die Dinge ausbilden – was bedeutet jene Entwicklung, Ausgestaltung, Vergeistigung der Objekte, die sich wie aus deren eigenen Kräften und Normen heraus vollzieht und ohne daß sich einzelne Seelen darin oder daran entsprechend entfalteten? Hierin liegt eine Steigerung des rätselhaften Verhältnisses vor, das überhaupt zwischen dem Leben und den Lebensprodukten der Gesellschaft einerseits und den fragmentarischen Daseinsinhalten der Individuen andrerseits besteht. In Sprache und Sitte, politischer Verfassung und Religionslehren, Literatur und Technik ist die Arbeit unzähliger Generationen niedergelegt, als gegenständlich gewordener Geist, von dem jeder nimmt, so viel wie er will oder kann, den aber überhaupt kein Einzelner ausschöpfen könnte; zwischen dem Maß dieses Schatzes und dem des davon Genommenen bestehen die mannigfaltigsten und zufälligsten Verhältnisse, und die Geringfügigkeit oder Irrationalität der individuellen Anteile läßt den Gehalt und die Würde jenes Gattungsbesitzes so unberührt, wie irgendein körperliches Sein es von seinem einzelnen Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt. Wie sich der Inhalt und die Bedeutung eines vorliegenden Buches als solche indifferent zu seinem großen oder kleinen, verstehenden oder verständnislosen Leserkreise verhält, so steht auch jedes sonstige Kulturprodukt dem Kulturkreise gegenüber, zwar bereit, von jedem ergriffen zu werden, für diese Bereitheit aber immer nur eine sporadische Aufnahme findend. Diese [507] verdichtete Geistesarbeit der Kulturgemeinschaft verhält sich also zu ihrer Lebendigkeit in den individuellen Geistern wie die weite Fülle der Möglichkeit zu der Begrenzung der Wirklichkeit. Das Verständnis der Daseinsart solcher objektiven Geistesinhalte fordert ihre Einstellung in eine eigenartige Organisation unserer weltauffassenden Kategorien. Innerhalb dieser wird dann auch das diskrepante Verhältnis der objektiven Und der subjektiven Kultur, das unser eigentliches Problem bildet, seine Stelle finden.

Wenn der Platonische Mythus die Seele in ihrer Präexistenz das reine Wesen, die absolute Bedeutung der Dinge schauen läßt, so daß ihr späteres Wissen nur eine Erinnerung an jene Wahrheit sei, die gelegentlich sinnlicher Anregungen in ihr auftauche – so ist das nächste Motiv dafür freilich die Ratlosigkeit, wo denn unsere Erkenntnisse herstammen mögen, wenn man ihnen, wie Plato es tut, den Ursprung aus der Erfahrung verweigert. Allein über diese Gelegenheitsursache ihrer Entstehung hinweg ist in jener metaphysischen Spekulation ein erkenntnistheoretisches Verhalten unserer Seele tiefsinnig angedeutet. Mögen wir nämlich unser Erkennen als eine unmittelbare Wirkung äußerer Gegenstände ansehen, oder als einen rein inneren Vorgang, innerhalb dessen alles Außen eine immanente Form oder Verhältnis seelischer Elemente ist – immer empfinden wir unser Denken, insoweit es uns für wahr gilt, als die Erfüllung einer sachlichen Forderung, als das Nachzeichnen einer ideellen Vorzeichnung. Selbst wenn eine genaue Abspiegelung der Dinge, wie sie an sich sind, unser Vorstellen ausmachte, so würde die Einheit, Richtigkeit und Vollendung, der sich die Erkenntnis, ein Stück nach dem anderen erobernd, ins unendliche nähert, doch nicht den Gegenständen selbst zukommen. Vielmehr, das Ideal unseres Erkennens würde immer nur ihr Inhalt in der Form des Vorstellens sein, denn auch der äußerste Realismus will nicht die Dinge, sondern die Erkenntnis der Dinge gewinnen. Wenn wir die Summe von Bruchstücken, die in jedem gegebenen Augenblick unseren Wissensschatz ausmacht, also im Hinblick auf die Entwicklung bezeichnen, zu der dieser strebt und an der sich jedes gegenwärtige Stadium in seiner Bedeutung mißt – so können wir das auch nur durch die Voraussetzung, die jener Platonischen Lehre zum Grunde liegt: daß es ein ideales Reich der theoretischen Werte, des vollendeten intellektuellen Sinnes und Zusammenhanges gibt, das weder mit den Objekten zusammenfällt – da diese ja eben erst seine Objekte sind – noch mit dem jeweilig erreichten, psychologisch wirklichen Erkennen. Dieses letztere vielmehr bringt sich erst allmählich und immer unvollkommen mit jenem, das alle überhaupt mögliche Wahrheit einschließt, zur [508] Deckung, es ist wahr in dem Maße, in dem ihm das gelingt. Die Grundtatsache dieses Gefühles: daß unser Erkennen in jedem Augen blick der Teil eines nur ideell vorhandenen, aber uns zur psychischen Verwirklichung dargebotenen und sie fordernden Komplexes der Erkenntnisse ist – diese scheint für Plato bestanden zu haben; nur daß er sie als einen Abfall des wirklichen Erkennens von dem einstigen Besitze dieser Totalität ausdrückte, als ein Nicht-Mehr, was wir heute als ein Noch-Nicht auffassen müssen. Das Verhältnis selbst aber kann offenbar bei beiden Deutungen – wie sich ja die identische Summe sowohl durch Subtraktion Von Höherem, wie durch Addition von Niedrigerem herstellen läßt – als das ganz gleichgefühlte zum Grunde liegen. Die eigentümliche Daseinsart dieses Erkenntnisideals, das unseren wirklichen Erkenntnissen als Norm oder Totalität gegenübersteht, ist dieselbe, wie sie der Gesamtheit sittlicher Werte und Vorschriften, gegenüber dem tatsächlichen Handeln der Individuen, zukommt. Hier, auf dem ethischen Gebiet, ist uns das Bewußtsein geläufiger, daß unser Tun eine in sich gültige Norm vollständiger oder mangelhafter verwirklicht. Diese Norm, – welche übrigens ihrem Inhalte nach für jeden Menschen und für jede Epoche seines Lebens verschieden sein mag – ist weder in Raum und Zeit auffindbar, noch fällt sie mit dem ethischen Bewußtsein zusammen, das sich vielmehr als von ihr abhängig empfindet. Und so ist dies schließlich die Formel unseres Lebens überhaupt, von der banalen Praxis des Tages bis zu den höchsten Gipfeln der Geistigkeit: in allem Wirken haben wir eine Norm, einen Maßstab, eine ideell vorgebildete Totalität über uns, die eben durch dies Wirken in die Form der Realität übergeführt wird – womit nicht nur das Einfache und Allgemeine gemeint ist, daß jedes Wollen durch irgendein Ideal gelenkt wird. Sondern es steht ein bestimmter, mehr oder weniger deutlicher Charakter unseres Handelns in Frage, der sich nur so ausdrücken läßt, daß wir mit diesem Handeln, gleichviel ob es seinem Werte nach etwa sehr kontra-ideal ist, eine irgendwie vorgezeichnete Möglichkeit, gleichsam ein ideelles Programm erfüllen. Unsere praktische Existenz, unzulänglich und fragmentarisch, wie sie ist, erhält eine gewisse Bedeutsamkeit und Zusammenhang dadurch, daß sie sozusagen die Teilverwirklichung einer Ganzheit ist. Unser Handeln, ja unser gesamtes Sein, schönes wie häßliches, rechtes wie irrendes, großes wie kleinliches erscheint einem Schatze von Möglichkeiten entnommen, derart, daß es sich in jedem Augenblick zu seinem ideell bestimmten Inhalt verhält, wie das konkrete Einzelding zu seinem Begriff, der sein inneres Gesetz und logisches Wesen ausspricht, ohne in der Bedeutung dieses Inhalts von dem [509] Ob, Wie und Wieoft seiner Verwirklichungen abhängig zu sein. Wir können uns das Erkennen gar nicht anders denken, als daß es diejenigen Vorstellungen innerhalb des Bewußtseins verwirklichte, die an der gerade fraglichen Stelle sozusagen darauf gewartet haben. Daß wir unsere Erkenntnisse notwendige nennen, das heißt, daß sie ihrem Inhalte nach nur in einer Weise dasein können, das ist doch nur ein anderer Ausdruck für die Bewußtseinstatsache, daß wir sie als psychische Realisierungen jenes ideell bereits feststehenden Inhaltes empfinden. Diese eine Weise bedeutet indes keineswegs, daß es für alle Mannigfaltigkeit der Geister nur eine Wahrheit gibt. Vielmehr: wenn auf der einen Seite ein bestimmt angelegter Intellekt, auf der anderen eine bestimmte Objektivität gegeben ist, so ist damit dasjenige, was gerade für diesen Geist »Wahrheit« ist, sachlich präformiert, wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objektiv und unabhängig von allem, in diesem Geiste erfolgenden Bewußtwerden festzustehen. Die ganze unverbrüchliche Anweisung, die wir bestimmten Wissenstatsachen entnehmen, daß nun auch bestimmte andere angenommen werden müssen, bedeutet die Gelegenheitsursache, die jenes Wesen unserer Erkenntnisse sichtbar macht: jede einzelne dieser das Bewußtwerden von etwas, das innerhalb des sachlich determinierten Zusammenhanges der Erkenntnisinhalte bereits gültig und festgelegt ist. Von der psychologischen Seite endlich angesehen, gehört dies zu der Theorie, nach der alles Fürwahrhalten ein gewisses Gefühl ist, das Vorstellungsinhalte begleitet; was wir beweisen nennen, ist nichts als die Herbeiführung einer psychologischen Konstellation, auf die hin jenes Gefühl eintritt. Kein sinnliches Wahrnehmen oder logisches Folgen ist unmittelbar die Überzeugung von einer Wirklichkeit; sondern dies sind pur Bedingungen, die das übertheoretische Gefühl der Bejahung, der Zustimmung, oder wie man dieses eigentlich unbeschreibliche Wirklichkeitsgefühl nennen mag, hervorrufen. Dieses bildet das psychologische Vehikel zwischen den beiden erkenntnistheoretischen Kategorien: dem gültigen, durch seinen inneren Zusammenhang getragenen, jedem Element seine Stelle anweisenden inhaltlichen Sinn der Dinge und unserem Vorstellen ihrer, das ihre Wirklichkeit innerhalb eines Subjekts bedeutet.

Dieses allgemeine und grundlegende Verhältnis findet nun in dem zwischen dem vergegenständlichten Geist und Kultur und dem individuellen Subjekt eine Analogie in engeren Maßen. Wie wir unsere Lebensinhalte, erkenntnistheoretisch betrachtet, einem Reiche [510] des sachlich Geltenden entnehmen, so beziehen wir, historisch angesehen, ihren überwiegenden Teil aus jenem Vorrat aufgespeicherter Geistesarbeit der Gattung; auch hier liegen präformierte Inhalte vor, der Verwirklichung in individuellen Geistern sich darbietend, aber auch jenseits solcher ihre Bestimmtheit festhaltend, die doch auch hier keineswegs die eines materiellen Gegenstandes ist; denn selbst wenn der Geist an Materien gebunden ist, wie in Geräten, Kunstwerken, Büchern, so fällt er doch nie mit dem zusammen, was an diesen Dingen, sinnlich wahrnehmbar ist. Er wohnt Ihnen in einer nicht weiter definierbaren potenziellen Form ein, aus der heraus ihn das individuelle Bewußtsein aktualisieren kann. Die objektive Kultur ist die historische Darstellung oder – vollkommenere oder unvollkommenere – Verdichtung jener sachlich gültigen Wahrheit, von der unsere Erkenntnis eine Nachzeichnung ist. Wenn wir sagen dürfen, das Gravitationsgesetz habe gegolten, bevor Newton es aussprach, so ruht das Gesetz als solches doch nicht in den realen Materienmassen, da es nur die Art bedeutet, in der sich deren Verhältnisse in einem bestimmt organisierten Geist darstellen, und da die Gültigkeit dieses Gesetzes gar nicht davon abhängt, daß es in der Wirklichkeit Materie gibt. Insofern also liegt es weder in den objektiven Dingen selbst, noch in den subjektiven Geistern, sondern in jener Sphäre des objektiven Geistes, von der unser Wahrheitsbewußtsein einen Abschnitt nach dem ändern zur Wirklichkeit in ihm verdichtet. Wenn dies nun aber an dem fraglichen Gesetze durch Newton vollbracht ist, so ist es in den objektiven historischen Geist eingerückt und seine ideelle Bedeutung innerhalb dieses ist nun wieder von seiner Wiederholung in einzelnen Individuen prinzipiell unabhängig.

Indem wir diese Kategorie des objektiven Geistes als der historischen Darstellung des gültigen Geistesgehaltes der Dinge überhaupt gewinnen, zeigt sich, wieso der Kulturprozeß, den wir als eine subjektive Entwicklung erkannten – die Kultur der Dinge als eine Kultur der Menschen –, sich von seinem Inhalt trennen kann; dieser Inhalt nimmt, in jene Kategorie tretend, gleichsam einen anderen Aggregatzustand an, und damit ist die prinzipielle Grundlage für die Erscheinung geschaffen, die uns als gesonderte Entwicklung der sachlichen und der personalen Kultur entgegentrat. Mit der Vergegenständlichung des Geistes ist die Form gewonnen, die ein Konservieren und Aufhäufen der Bewußtseinsarbeit gestattet; sie ist die bedeutsamste und folgenreichste unter den historischen Kategorien der Menschheit. Denn sie macht zur geschichtlichen Tatsache, was als biologische so zweifelhaft ist: die Vererbung des Erworbenen. [511] Wenn man es als den Vorzug des Menschen den Tieren gegenüber bezeichnet hat, daß er Erbe und nicht bloß Nachkomme wäre, so ist die Vergegenständlichung des Geistes in Worten und Werken, Organisationen und Traditionen der Träger dieser Unterscheidung, die dem Menschen erst seine Welt, ja: eine Welt schenkt.

Ist dieser objektive Geist der geschichtlichen Gesellschaft nun ihr Kulturinhalt im weitesten Sinne, so mißt sich die praktische Kulturbedeutung seiner einzelnen Bestandteile dennoch an dem Umfang, in dem sie zu Entwicklungsmomenten der Individuen werden. Denn angenommen, jene Entdeckung Newtons stünde nur in einem Buch, von dem niemand weiß, so wäre sie zwar immer noch objektiv gewordener Geist und ein potenzieller Besitz der Gesellschaft, aber kein Kulturwert mehr. Da dieser extreme Fall in unzähligen Abstufungen auftreten kann, so ergibt sich unmittelbar, daß in einer größeren Gesellschaft immer nur ein gewisser Teil der objektiven Kulturwerte zu subjektiven werden wird. Betrachtet man die Gesellschaft als ein Ganzes, das heißt, ordnet man die in ihr überhaupt objektiv werdende Geistigkeit in einen zeitlich-sachlichen Komplex, so ist die gesamte Kulturentwicklung, für die man so einen einheitlichen Träger fingiert hat, reicher an Inhalten, als die jedes ihrer Elemente. Denn die Leistung jedes Elementes steigt in jenen Gesamtbesitz auf, aber dieser nicht zu jedem Element hinab. Der ganze Stil des Lebens einer Gemeinschaft hängt von dem Verhältnis ab, in dem die objektiv gewordene Kultur zu der Kultur der Subjekte steht. Auf die Bedeutung der numerischen Bestimmtheiten habe ich schon hingedeutet. In einem kleinen Kreise von niedriger Kultur wird jenes Verhältnis nahezu eines der Deckung sein, die objektiven Kulturmöglichkeiten werden die subjektiven Kulturwirklichkeiten nicht weit überragen. Eine Steigerung des Kulturniveaus – insbesondere, wenn es mit einer Vergrößerung des Kreises gleichzeitig ist – wird das Auseinanderfallen beider begünstigen: es war die unvergleichliche Situation Athens in seiner Blütezeit, daß es bei all seiner Kulturhöhe gerade dies – außer etwa in bezug auf die höchsten philosophischen Bewegungen – zu vermeiden wußte. Aber die Größe des Kreises macht an und für sich das Auseinandertreten des subjektiven und des objektiven Faktors noch nicht verständlich. Es gilt vielmehr jetzt, die konkreten, wirkenden Ursachen der letzteren Erscheinung aufzusuchen.

Will man diese und die Stärke ihres gegenwärtigen Auftretens in einen Begriff konzentrieren, so ist dieser: Arbeitsteilung, und zwar sowohl nach ihrer Bedeutung innerhalb der Produktion wie der Konsumtion. In ersterer Hinsicht ist oft genug hervorgehoben [512] worden, wie die Vollendung des Produkts auf Kosten der Entwicklung des Produzenten zustande kommt. Die Steigerung der physisch-psychischen Energien und Geschicklichkeiten, die sich bei einseitiger Tätigkeit einstellt, pflegt für die einheitliche Gesamtpersönlichkeit wenig Nutzen abzuwerfen: sie läßt diese sogar vielfach verkümmern, indem sie ihr ein für die harmonische Gestaltung des Ich unentbehrliches Kraftquantum entsaugt, oder sie entwickelt sich in anderen Fällen wenigstens wie in Abschnürung von dem Kern der Persönlichkeit, als eine Provinz mit uneingeschränkter Autonomie, deren Erträge nicht der Zentralstelle zufließen. Die Erfahrung scheint zu zeigen, daß die innere Ganzheit des Ich sich im wesentlichen in Wechselwirkung mit der Geschlossenheit und Abrundung der Lebensaufgabe herstellt.

Wie uns die Einheit eines Objekts überhaupt so zustande kommt, daß wir die Art, wie wir unser »Ich« fühlen, in das Objekt hineintragen, es nach unserem Bilde formen, in welchem die Vielheit der Bestimmungen zu der Einheit des »Ich« zusammenwächst – so wirkt, im psychologisch-praktischen Sinne, die Einheit des Objekts, das wir schaffen, und ihr Mangel auf die entsprechende Formung unserer Persönlichkeit. Wo unsere Kraft nicht ein Ganzes hervorbringt, an dem sie sich nach der ihr eigentümlichen Einheit ausleben kann, da fehlt es an der eigentlichen Beziehung zwischen beiden, die inneren Tendenzen der Leistung ziehen sie zu den anderweitigen, mit ihr erst eine Totalität bildenden Leistungen Anderer, auf den Produzenten aber weist sie nicht zurück. Infolge solcher, bei großer Spezialisierung eintretenden Inadäquatheit zwischen der Existenzform des Arbeiters und der seines Produktes löst sich das letztere besonders leicht und gründlich von dem ersteren ab, sein Sinn strömt ihm nicht von dessen Seele zu, sondern von seinem Zusammenhang mit anderswoher stammenden Produkten, es fehlt ihm wegen seines fragmentarischen Charakters das Wesen der Seelenhaftigkeit, das sonst dem Arbeitsprodukt, sobald es ganz als Werk eines Menschen erscheint, so leicht angefühlt wird. So kann es seine Bedeutsamkeit weder als Spiegelung einer Subjektivität noch in dem Reflex suchen, den es als Ausdruck der schaffenden Seele in diese zurückwirft, sondern kann sie ausschließlich als objektive Leistung, in seiner Wendung vom Subjekt weg, finden. Dieser Zusammenhang zeigt sich nicht minder an seinem äußersten Gegensatz, dem Kunstwerk. Dessen Wesen, widerstrebt völlig jener Aufteilung der Arbeit an eine Mehrzahl von Arbeitern, deren keiner für sich ein Ganzes leistet. Das Kunstwerk ist unter allem Menschenwerk die geschlossenste Einheit, die sich selbst genügendste Totalität – selbst den Staat nicht ausgenommen. [513] Denn so sehr dieser, unter besonderen Umständen, mit sich selbst auskommen mag, so saugt er doch seine Elemente nicht so vollständig in sich ein, daß nicht ein jedes noch ein Sonderleben mit Sonderinteressen führte: immer nur mit einem Teile der Persönlichkeit, deren andere sich anderen Zentren zuwenden, sind wir dem Staate verwachsen. Die Kunst dagegen beläßt keinem aufgenommenen Element eine Bedeutung außerhalb des Rahmens, in den sie es einstellt, das einzelne Kunstwerk vernichtet den Vielsinn der Worte und der Töne, der Farben und der Formen, um nur ihre ihm zugewandte Seite für das Bewußtsein bestehen zu lassen. Diese Geschlossenheit des Kunstwerks aber bedeutet, daß eine subjektive Seeleneinheit in ihm zum Ausdruck kommt; das Kunstwerk fordert nur einen Menschen, diesen aber ganz und seiner zentralsten Innerlichkeit nach: es vergilt dies dadurch, daß seine Form ihm der reinste Spiegel und Ausdruck des Subjekts zu sein gestattet. Die völlige Ablehnung der Arbeitsteilung ist so Ursache wie Symptom des Zusammenhanges, der zwischen der in sich fertigen Totalität des Werkes und der seelischen Einheit besteht. Umgekehrt, wo jene herrscht, bewirkt sie eine Inkommensurabilität der Leistung mit dem Leistenden, dieser erblickt sich nicht mehr in seinem Tun, das eine allem Persönlich-Seelischen so unähnliche Form darbietet und nur als eine ganz einseitig ausgebildete Partialität unseres Wesens erscheint, gleichgültig gegen die einheitliche Ganzheit desselben. Die stark arbeitsteilige, mit dem Bewußtsein dieses Charakters vollbrachte Leistung drängt also schon von sich aus in die Kategorie der Objektivität, die Betrachtung und Wirkung ihrer als einer rein sachlichen und anonymen wird für den Arbeitenden selbst immer plausibler, der sie nicht mehr in die Wurzel seines Gesamtlebenssystems hinabreichen fühlt.

Je vollständiger ein Ganzes aus subjektiven Beiträgen den Teil in sich einsaugt, je mehr es der Charakter jedes Teiles ist, wirklich nur als Teil dieses Ganzen zu gelten und zu wirken, desto objektiver ist das Ganze, desto mehr lebt es ein Leben jenseits aller Subjekte, die es produzierten. – Im ganzen entspricht jener Spezialisierung der Produktion eine Verbreiterung der Konsumtion: wie selbst der in seinem Geistesleben spezialisierteste, fachmäßig einseitigste Mensch der Gegenwart oben doch seine Zeitung liest, und damit eine so umfassende geistige Konsumtion übt, wie sie vor hundert Jahren auch dem in seiner geistigen Aktivität vielseitigsten und weitestausgreifenden Menschen nicht möglich war. Die Erweiterung der Konsumtion aber hängt an dem Wachsen der objektiven Kultur, denn je sachlicher, unpersönlicher ein Produkt ist, für desto mehr [514] Menschen ist es geeignet. Damit der Konsum des Einzelnen ein so breites Material finden könne, muß dieses sehr vielen Individuen zugängig und anziehend gemacht, kann nicht auf subjektive Differenziertheiten des Begehrens angelegt sein, während andrerseits gerade nur die äußerste Differenzierung der Produktion imstande ist, die Objekte so billig und massenhaft herzustellen, wie es der Umfang des Konsums fordert. So ist der letztere wiederum ein Band, das die Objektivität der Kultur mit ihrer Arbeitsteilung zusammenhängen läßt.

Endlich wirkt der Prozeß, den man als Trennung des Arbeiters von seinem Arbeitsmittel bezeichnet und der doch auch eine Arbeitsteilung ist, ersichtlich im gleichen Sinn. Indem es jetzt die Funktion des Kapitalisten ist, die Arbeitsmittel zu erwerben, zu organisieren, auszuteilen, haben diese letzteren für den Arbeiter eine ganz andere Objektivität, als sie für denjenigen haben müssen, der am eigenen Material und mit eigenen Werkzeugen arbeitet. Diese kapitalistische Differenzierung trennt die subjektiven und die objektiven Bedingungen der Arbeit gründlich voneinander – eine Trennung, zu der, als beide noch in einer Hand vereinigt waren, gar keine psychologische Veranlassung vorlag. Indem die Arbeit selbst und ihr unmittelbarer Gegenstand verschiedenen Personen zugehören, muß sich für das Bewußtsein des Arbeiters der objektive Charakter dieser Gegenstände außerordentlich scharf betonen, um so schärfer, als die Arbeit und ihre Materie doch andrerseits wieder eine Einheit sind und so gerade ihr nahes Aneinander ihre jetzigen Gegenrichtungen am fühlbarsten machen muß. Und das findet seine Fortsetzung und Gegenbild darin, daß außer dem Arbeitsmittel auch noch die Arbeit selbst sich von dem Arbeiter trennt: denn dies ist die Bedeutung der Erscheinung, die man damit bezeichnet, daß die Arbeitskraft eine Ware geworden ist. Wo der Arbeiter an eigenem Material schafft, verbleibt seine Arbeit innerhalb des Umkreises seiner Persönlichkeit, und erst das vollendete Werk verläßt denselben beim Verkauf. Mangels der Möglichkeit indes, seine Arbeit in dieser Weise zu verwerten, stellt er sie für einen Marktpreis in die Verfügung eines Anderen, trennt sich also von ihr von dem Augenblick an, wo sie ihre Quelle verläßt. Daß sie nun Charakter, Bewertungsweise, Entwicklungsschicksale mit allen Waren überhaupt teilt, das bedeutet eben, daß sie dem Arbeiter selbst gegenüber etwas Objektives geworden ist, etwas, das er nicht nur nicht mehr ist, sondern eigentlich auch nicht mehr hat. Denn sobald seine potenzielle Arbeitsmenge sich in wirkliches Arbeiten umsetzt, gehört nicht mehr sie, sondern ihr Geldäquivalent ihm, während sie selbst einem Anderen, [515] oder genauer: einer objektiven Arbeitsorganisation zugehört. Das Ware-Werden der Arbeit ist also auch nur eine Seite des weitausgreifenden Differenzierungsprozesses, der aus der Persönlichkeit ihre einzelnen Inhalte herauslöst, um sie ihr als Objekte, mit selbständiger Bestimmtheit und Bewegung, gegenüberzustellen. Schließlich zeigt sich das Ergebnis dieses Schicksals der Arbeitsmittel und Arbeitskraft an ihrem Produkt. Daß das Arbeitsprodukt der kapitalistischen Epoche ein Objekt mit entschiedenem Fürsichsein, eigenen Bewegungsgesetzen, dem herstellenden Subjekt selbst fremdem Charakter ist, wird da zur eindringlichsten Vorstellung werden, wo der Arbeiter genötigt ist, sein eigenes Arbeitsprodukt, wenn er es haben will, zu kaufen. – Dies ist nun ein allgemeines Schema der Entwicklung, das weit über den Lohnarbeiter hinaus gilt. Die ungeheure Arbeitsteilung z.B. in der Wissenschaft bewirkt es, daß nur äußerst wenige Forscher sich die Vorbedingungen ihrer Arbeit selbst beschaffen können; unzählige Tatsachen und Methoden muß man einfach als objektives Material von außen aufnehmen, ein geistiges Eigentum Anderer, an dem sich die eigene Arbeit vollzieht. Ich erinnere für das Gebiet der Technik daran, daß noch am Anfang des 19. Jahrhunderts, als besonders in der Textil- und Eisenindustrie die großartigsten Erfindungen rasch aufeinander folgten, die Erfinder nicht nur die Maschinen, die sie ersannen, eigenhändig und ohne Beihilfe anderer Maschinen herstellen, sondern meistens noch vorher die dazu erforderlichen Werkzeuge selbst ausdenken und anfertigen mußten. Den jetzigen Zustand in der Wissenschaft kann man als eine Trennung des Arbeiters von seinen Arbeitsmitteln im weiteren Sinne bezeichnen, und jedenfalls in dem hier fraglichen. Denn in dem eigentlichen Prozeß der wissenschaftlichen Produktion scheidet sich nun doch ein dem Produzenten gegenüber objektives Material von dem subjektiven Prozeß seiner Arbeit. Je undifferenzierter der Wissenschaftsbetrieb noch war, je mehr der Forscher alle Voraussetzungen und Materialien seiner Arbeit persönlich erarbeiten mußte, desto weniger bestand für ihn der Gegensatz seiner subjektiven Leistung und einer Welt objektiv feststehender wissenschaftlicher Gegebenheiten. Und auch hier erstreckt sich dieser in das Produkt der Arbeit hinein: auch das Ergebnis selbst, so sehr es als solches die Frucht subjektiven Bemühens ist, muß um so eher in die Kategorie einer objektiven, von dem Produzenten unabhängigen Tatsache aufsteigen, je mehr Arbeitsprodukte Anderer schon von vornherein in ihm zusammengebracht und wirksam sind. Darum sehen wir auch, daß in der Wissenschaft der geringsten Arbeitsteilung, der Philosophie – insbesondere in ihrem metaphysischen Sinne – einerseits das aufgenommene objektive [516] Material eine durchaus sekundäre Rolle spielt, andrerseits das Produkt sich am wenigsten von seinem subjektiven Ursprung gelöst hat, vielmehr ganz als Leistung dieser einen Persönlichkeit auftritt.

Wenn so die Arbeitsteilung – die ich hier in ihrem, weitesten Sinne, die Produktionsteilung wie die Arbeitszerlegung wie die Spezialisation einschließend verstehe – die schaffende Persönlichkeit von dem geschaffenen Werk abtrennt und dies letztere eine objektive Selbständigkeit gewinnen läßt, so stellt sich Verwandtes in dem Verhältnis der arbeitsteiligen Produktion zum Konsumenten ein. Hier handelt es sich um die Herleitung innerer Folgen aus allbekannten äußeren Tatsachen. Die Kundenarbeit, die das mittelalterliche Handwerk beherrschte und erst im: letzten Jahrhundert ihren rapidesten Rückgang erfahren hat, beließ dem Konsumenten ein persönliches Verhältnis zur Ware: da sie speziell für ihn bereitet war, sozusagen eine Wechselwirkung zwischen ihm und dem Produzenten darstellte, so gehörte sie, in einigermaßen ähnlicher Weise wie diesem, innerlich auch ihm zu. Wie man den schneidenden Gegensatz von Subjekt und Objekt in der Theorie dadurch versöhnt hat, daß man dieses in jenem als seine Vorstellung bestehen ließ, so kommt der gleiche Gegensatz in der Praxis nicht zur Entfaltung, solange das Objekt entweder nur durch ein Subjekt, oder um eines Subjektes willen entsteht. Indem die Arbeitsteilung die Kundenproduktion zerstört – schon weil der Abnehmer sich wohl mit einem Produzenten, aber nicht mit einem Dutzend Teilarbeiter in Verbindung setzen kann – verschwindet die subjektive Färbung des Produkts auch nach der Seite des Konsumenten hin, denn es entsteht nun unabhängig von ihm, die Ware ist nun eine objektive Gegebenheit, an die er von außen herantritt und die ihr Dasein und Sosein ihm gleichsam als etwas Autonomes gegenüberstellt. Der Unterschied z.B. zwischen dem modernen, auf die äußerste Spezialisierung gebauten Kleidermagazin und der Arbeit des Schneiders, den man ins Haus nahm, charakterisiert aufs schärfste die gewachsene Objektivität des wirtschaftlichen Kosmos, seine überpersönliche Selbständigkeit im Verhältnis zum konsumierenden Subjekt, mit dem er ursprünglich verwachsen war. Man hat hervorgehoben, daß mit der Zerspaltung der Arbeit in immer speziellere Teilleistungen die Tauschverhältnisse immer vielgliedriger, vermittelter werden und damit die Wirtschaft immer mehr Beziehungen und Obligationen enthalten müsse, die nicht unmittelbar gegenseitig sind. Es liegt auf der Hand, wie sehr der Gesamtcharakter des Verkehrs damit objektiviert ist, wie die Subjektivität sich brechen, in kühle Reserviertheit und anonyme [517] Objektivität übergehen muß, wenn zwischen den Produzenten und den, der sein Produkt aufnimmt, sich so und so viele Zwischeninstanzen schieben, die den einen ganz aus dem Blickkreise des anderen rücken.

Mit dieser dem Abnehmer gegenüber bestehenden Autonomie der Produktion hängt eine Erscheinung der Arbeitsteilung zusammen, die jetzt ebenso alltäglich, wie in ihrer Bedeutung wenig erkannt ist. Von den früheren Gestaltungen der Produktion her herrscht im ganzen die einfache Vorstellung, daß die niederen Schichten der Gesellschaft für die höheren arbeiten; daß die Pflanzen vom Boden, die Tiere von den Pflanzen, der Mensch von den Tieren lebt, das wiederhole sich, mit moralischem Recht oder Unrecht, im Bau der Gesellschaft: je höher die Individuen sozial und geistig stehen, desto mehr gründet sich ihre Existenz auf die Arbeit der tieferstehenden, die sie ihrerseits nicht mit Arbeit für diese, sondern nur mit Geld vergelten. Diese Vorstellung ist nun ganz unzutreffend, seit die Bedürfnisse der unteren Massen durch den Großbetrieb gedeckt werden, der unzählige wissenschaftliche, technische, organisatorische Energien oberster Stufen in seinen Dienst gestellt hat. Der große Chemiker, der in seinem Laboratorium über Darstellung der Teerfarben sinnt, arbeitet für die Bäuerin, die beim Krämer sich das bunteste Halstuch aussucht; wenn der Großkaufmann in weltumspannenden Spekulationen amerikanisches Getreide in Deutschland importiert, so ist er der Diener des ärmsten Proletariers; der Betrieb einer Baumwollspinnierei, in der Intelligenzen hohen Ranges tätig sind, ist von Abnehmern in der tiefsten sozialen Schicht abhängig. Diese Rückläufigkeit der Dienste, in der die niederen Klassen die Arbeit der höheren für sich kaufen, liegt jetzt schon in unzählbaren, unser ganzes Kulturleben bestimmenden Beispielen vor. Möglich aber ist diese Erscheinung nur durch die Objektivierung, die die Produktion sowohl dem produzierenden wie dem konsumierenden Subjekt gegenüber ergriffen hat und durch die sie jenseits der sozialen oder sonstigen Unterschiede dieser beiden steht. Dies Indienstnehmen der höchsten Kulturproduzenten seitens der niedrigststehenden Konsumenten bedeutet eben, daß kein Verhältnis zwischen ihnen besteht, sondern daß ein Objekt zwischen sie geschoben ist, an dessen einer Seite gleichsam die Einen arbeiten, während die Anderen von der anderen her es konsumieren, und das beide trennt, indem es sie verbindet. Die Grundtatsache selbst ist ersichtlich eine Arbeitsteilung: die Technik der Produktion ist so spezialisiert, daß die Handhabung ihrer verschiedenen Teile nicht nur an immer mehr, sondern auch an immer verschiedenere Personen übergeht – bis es eben schließlich [518] dahin kommt, daß ein Teil der Arbeit an den niedrigsten Bedürfnisartikeln von den höchststehenden Individuen geleistet wird, gerade wie umgekehrt, in ganz entsprechender Objektivierung, die maschinentechnische Arbeitszerlegung bewirkt, daß an den raffiniertesten Produkten der höchsten Kultur die rohesten Hände mitarbeiten (man denke etwa an eine heutige Druckerei im Unterschied gegen die Herstellung der Bücher vor Erfindung der Buchdruckerkunst!). An dieser Umkehrung des für typisch geltenden Verhältnisses zwischen oberen und tieferen Gesellschaftsschichten tritt also aufs klarste heraus: die Arbeitsteilung bewirkt, daß jene für diese arbeiten, die Form aber, in der dies allein geschehen kann, ist das völlige Objektivwerden der Produktionsleistung selbst, sowohl den einen wie den anderen als Subjekten gegenüber. Jene Umkehrung ist nichts als eine äußerste Konsequenz des Zusammenhanges, der zwischen der Arbeitsteilung und der Objektivierung der Kulturinhalte besteht.

Hat bisher die Arbeitsteilung als eine Spezialisierung der persönlichen Tätigkeiten gegolten, so wirkt die Spezialisierung der Gegenstände selbst nicht weniger dazu, sie in jene Distanz zu den Subjekten zu stellen, die als Selbständigkeit des Objekts erscheint, als Unfähigkeit des Subjekts, jenes sich zu assimilieren und seinem eigenen Rhythmus zu unterwerfen. Dies gilt zunächst für die Arbeitsmittel. Je mehr diese differenziert, aus einer Vielheit spezialisierter Teile zusammengesetzt sind, desto weniger kann die Persönlichkeit des Arbeitenden sich durch sie hindurch ausdrücken, desto weniger ist seine Hand im Produkte zu erkennen. Die Werkzeuge, mit denen die Kunst arbeitet, sind relativ ganz undifferenziert und geben deshalb der Persönlichkeit den weitesten Spielraum, sich mittels ihrer zu entfalten; sie stellen sich ihr nicht gegenüber wie die industrielle Maschine, die durch ihre spezialistische Komplikation selbst gleichsam die Form personaler Festigkeit und Umschriebenheit hat, so daß der Arbeiter sie nicht mehr wie jene, an sich unbestimmteren, mit seiner Persönlichkeit durchdringen kann. Die Werkzeuge des Bildhauers sind seit Jahrtausenden nicht aus ihrer völligen Unspezialisiertheit heraus weiter entwickelt worden, und wo dies bei einem Kunstmittel allerdings und so entschieden geschehen ist, wie bei dem Klavier, da ist sein Charakter auch ein sehr objektiver, der schon viel zu viel für sich ist und deshalb dem Ausdruck der Subjektivität eine viel härtere Schranke setzt, als z.B. die an sich technisch viel weniger differenzierte Geige. Der automatische Charakter der modernen Maschine ist der Erfolg einer weit getriebenen Zerlegung und Spezialisierung von Stoffen und Kräften, gerade wie [519] der gleiche Charakter einer ausgebildeten Staatsverwaltung sich nur auf Grund einer raffinierten Arbeitsteilung unter ihren Trägern erheben kann. Indem die Maschine aber zur Totalität wird, einen immer größeren Teil der Arbeit auf sich nimmt, steht sie ebenso dem Arbeiter als eine autonome Macht gegenüber, wie er ihr gegenüber nicht als individualisierte Persönlichkeit, sondern nur als Ausführer einer sachlich vorgeschriebenen Leistung wirkt. Man vergleiche etwa den Arbeiter in der Schuhfabrik mit dem Kundenschuhmacher, um zu sehen, wie sehr die Spezialisierung des Werkzeugs die Wirksamkeit der persönlichen Qualitäten, hoch- wie minderwertiger, lahmt, und Objekt und Subjekt als voneinander ihrem Wesen nach unabhängige Potenzen sich entwickeln läßt. Während das undifferenzierte Werkzeug wirklich eine bloße Fortsetzung des Armes ist, steigt überhaupt erst das spezialisierte in die reine Kategorie des Objektes auf. In sehr bezeichnender und auf der Hand liegender Weise vollzieht sich dieser Prozeß auch an den Kriegswerkzeugen; seinen Gipfel bildet dann das spezialisierteste und als Maschine vollkommenste, das Kriegsschiff: an ihm ist die Objektivierung so weit vorgeschritten, daß in einem modernen Seekrieg überhaupt kaum noch ein anderer Faktor entscheidet, als das bloße Zahlenverhältnis der Schiffe gleicher Qualität!

Der Objektivierungsprozeß der Kulturinhalte, der, von der Spezialisation dieser getragen, zwischen dem Subjekt und seinen Geschöpfen eine immer wachsende Fremdheit stiftet, steigt nun endlich in die Intimitäten des täglichen Lebens hinunter. Die Wohnungseinrichtungen, die Gegenstände, die uns zu Gebrauch und Zierde umgeben, waren noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, von den Bedürfnissen der unteren bis zu denen der Schichten der höchsten Bildung hinauf, von relativ großer Einfachheit und Dauerhaftigkeit. Hierdurch entstand jenes »Verwachsen« der Persönlichkeiten mit den Gegenständen ihrer Umgebung, das schon der mittleren Generation heute als eine Wunderlichkeit der Großeltern erscheint. Diesen Zustand hat die Differenzierung der Objekte nach drei verschiedenen Dimensionen hin, und immer mit dem gleichen Erfolge, unterbrochen. Zunächst ist es schon die bloße Vielheit sehr spezifisch gestalteter Gegenstände, die ein enges, sozusagen persönliches Verhältnis zu den einzelnen erschwert: wenige und einfache Gerätschaften sind der Persönlichkeit leichter assimilierbar, während eine Fülle von Mannigfaltigkeiten dem Ich gegenüber gleichsam Partei bildet; das findet seinen Ausdruck in der Klage der Hausfrauen, daß die Pflege der Wohnungsausstattung einen förmlichen Fetischdienst fordere und in dem gelegentlich hervorbrechenden Haß [520] tieferer und ernsterer Naturen gegen die zahllosen Einzelheiten, mit denen wir unser Leben behängen. Der erstere Fall ist deshalb kulturell so bezeichnend, weil die sorgende und erhaltende Tätigkeit der Hausfrau früher umfänglicher und anstrengender war als jetzt. Allein zu jenem Gefühl der Unfreiheit den Objekten gegenüber kam es nicht, weil sie der Persönlichkeit enger verbunden waren. Die wenigen, undifferenzierteren Gegenstände konnte diese eher mit sich durchdringen, sie setzten ihr nicht die Selbständigkeit entgegen wie ein Haufe spezialisierter Dinge. Diese erst, wenn wir ihnen dienen sollen, empfinden wir als eine feindliche Macht. Wie Freiheit nichts Negatives ist, sondern die positive Erstreckung des Ich über ihm nachgebende Objekte, so ist umgekehrt Objekt für uns nur dasjenige, woran unsere Freiheit erlahmt, das heißt wozu wir in Beziehung stehen, ohne es doch unserem Ich assimilieren zu können. Das Gefühl, von den Äußerlichkeiten erdrückt zu werden, mit denen das moderne Leben uns umgibt, ist nicht nur die Folge, sondern auch die Ursache davon, daß sie uns als autonome Objekte gegenübertreten. Das Peinliche ist, daß diese vielfachen umdrängenden Dinge uns im Grunde eben gleichgültig sind, und zwar aus den spezifisch geldwirtschaftlichen Gründen der unpersönlichen Genesis und der leichten Ersetzbarkeit. Daß die Großindustrie den sozialistischen Gedanken nährt, beruht nicht nur auf den Verhältnissen ihrer Arbeiter, sondern auch auf der objektiven Beschaffenheit ihrer Produkte: der moderne Mensch ist von lauter so unpersönlichen Dingen umgeben, daß ihm die Vorstellung einer überhaupt anti-individuellen Lebensordnung immer näher kommen muß – freilich auch die Opposition dagegen. Die Kulturobjekte erwachsen immer mehr zu einer in sich zusammenhängenden Welt, die an immer wenigeren Punkten auf die sujektive Seele mit ihrem Wollen und Fühlen hinuntergreift. Und dieser Zusammenhang wird von einer gewissen Selbstbeweglichkeit der Objekte getragen. Man hat hervorgehoben, daß der Kaufmann, der Handwerker, der Gelehrte heute weit weniger beweglich ist, als etwa in der Reformationszeit. Materielle wie geistige Objekte bewegen sich jetzt eben selbständig, ohne personalen Träger oder Transporteur. Dinge und Menschen sind auseinandergetreten. Der Gedanke, die Arbeitsmühe, die Geschicklichkeit haben durch ihre steigende Investierung in objektiven Gebilden, Büchern und Waren, die Möglichkeit einer Eigenbewegung erhalten, für die der moderne Fortschritt in Transportmitteln nur die Verwirklichung oder der Ausdruck ist. Durch ihre eigene impersonale Beweglichkeit erst vollendet sich die Differenzierung der Objekte vom Menschen zu selbstgenugsamem Zusammenschluß. Das restlose Beispiel für diesen mechanischen [521] Charakter der modernen Wirtschaft ist der Warenautomat; mit ihm wird nun auch aus dem Detailverkauf, in dem noch am längsten der Umsatz durch Beziehung von Person zu Person getragen worden ist, die menschliche Vermittelung völlig ausgeschaltet und das Geldäquivalent maschinenartig in die Ware umgesetzt. Auf anderer Stufe wird dasselbe Prinzip auch schon in dem Fünfzig-Pfennig-Bazar und ähnlichen Geschäften wirksam, in denen der wirtschaftspsychologische Prozeß nicht von der Ware zum Preise, sondern vom Preise zur Ware geht. Denn hier werden durch die apriorische Preisgleichheit sämtlicher Gegenstände vielerlei Überlegungen und Abwägungen des Käufers, vielerlei Bemühungen und Explikationen des Verkäufers wegfallen und so der wirtschaftliche Akt seine personalen Instanzen sehr schnell und gegen sie indifferent durchlaufen.

Auf den gleichen Erfolg wie diese Differenzierung im Nebeneinander führt die im Nacheinander. Der Wechsel der Mode unterbricht jenen inneren Aneignungs- und Einwurzelungsprozeß zwischen Subjekt und Objekt, der es zur Diskrepanz beider nicht kommen läßt. Die Mode ist eines jener gesellschaftlichen Gebilde, die den Reiz von Unterschied und Abwechslung mit dem von Gleichheit und Zusammenschluß in einer besonderen Proportion vereinen. Jede Mode ist ihrem Wesen nach Klassenmode, das heißt sie bezeichnet jedesmal eine Gesellschaftsschicht, die sich durch die Gleichheit ihrer Erscheinung ebensowohl nach innen einheitlich zusammenschließt, wie nach außen gegen andere Stände abschließt. Sobald nun die untere Schicht, die es der oberen nachzutun sucht, ihrerseits die Mode aufgenommen hat, wird sie von der letzteren verlassen, und eine neue kreiert. Deshalb hat es freilich wohl überall Moden gegeben, wo soziale Unterschiede sich einen Ausdruck in der Sichtbarkeit gesucht haben. Allein die soziale Bewegung seit hundert Jahren hat ihr ein ganz besonderes Tempo verliehen. Und zwar einerseits durch das Flüssigwerden der klassenmäßigen Schranken und das vielfache individuelle, manchmal auch ganze Gruppen umfassende Aufsteigen von einer Schicht in die höhere, andrerseits durch die Vorherrschaft des dritten Standes. Der erstere Umstand bewirkt, daß die Moden der in dieser Hinsicht führenden Schichten äußerst schnell wechseln müssen, denn das Nachdrängen der unteren, das der bestehenden Mode ihren Sinn und Reiz raubt, erfolgt jetzt sehr bald. Das zweite Moment wird dadurch wirksam, daß der Mittelstand und die städtische Bevölkerung, im Gegensatz zu dem Konservativismus der höchsten und der bäurischen Stände, der der eigentlichen Variabilität ist. Unruhige, nach Abwechslung drängende Klassen und Individuen [522] finden in der Mode, der Wechsel- und Gegensatzform des Lebens, das Tempo ihrer eigenen psychischen Bewegungen wieder. Wenn die heutigen Moden lange nicht so extravagant und kostspielig sind wie die früherer Jahrhunderte, dafür aber sehr viel kürzere Lebensdauer haben, so liegt dies daran, daß sie viel weitere Kreise in ihren Bann ziehen, daß es den Tieferstehenden jetzt sehr viel leichter gemacht werden muß, sie sich anzueignen, und daß ihr eigentlicher Sitz der wohlhabende Bürgerstand geworden ist. Der Erfolg dieses Umsichgreifens der Mode, sowohl in Hinsicht – der Breite wie ihres Tempos, ist, daß sie als eine selbständige Bewegung erscheint, als eine objektive, durch eigene Kräfte entwickelte Macht, die ihren Weg unabhängig von jedem Einzelnen geht. So lange die Moden – und es handelt sich hier keineswegs nur um Kleidermoden – noch relativ längere Zeit dauerten und relativ enge Kreise zusammenhielten, mochte es zu einem sozusagen persönlichen Verhältnis zwischen dem Subjekt und den einzelnen Inhalten der Mode kommen. Die Schnelligkeit ihres Wechsels – also ihre Differenzierung im Nacheinander – und der Umfang ihrer Verbreitung lösen diesen Konnex, und wie es mit manchen, anderen sozialen Palladien in der Neuzeit geht, so auch hier: die Mode ist weniger auf den Einzelnen, der Einzelne weniger auf die Mode angewiesen, ihre Inhalte entwickeln sich wie eine evolutionistische Welt für sich.

Wenn so die Differenzierung allverbreiteter Kulturinhalte nach den formalen Seiten des Neben- und Nacheinander sie zu einer selbständigen Objektivität zu gestalten hilft, so will ich nun, drittens, von den inhaltlich in diesem Sinne wirksamen Momenten ein einzelnes anführen. Ich meine die Vielheit der Stile, mit denen die täglich anschaubaren Objekte uns entgegentreten – vom Häuserbau bis zu Buchausstattungen, von Bildwerken bis zu Gartenanlagen und Zimmereinrichtungen, in denen Renaissance und Japonismus, Barock und Empire, Prärafaelitentum und realistische Zweckmäßigkeit sich nebeneinander anbauen. Dies ist der Erfolg der Ausbreitung unseres historischen Wissens, welche nun wieder in Wechselwirkung mit jener hervorgehobenen Variabilität des modernen Menschen steht. Zu allem historischen Verständnis gehört eine Biegsamkeit der Seele, eine Fähigkeit, sich in die von dem eigenen Zustand abweichendsten seelischen Verfassungen hineinzufühlen und sie in sich nachzuformen – denn alle Geschichte, mag sie noch so sehr von Sichtbarkeiten handeln, hat Sinn und Verstandenwerden nur als Geschichte zum Grunde liegender Interessen, Gefühle, Strebungen: selbst der historische Materialismus ist nichts als eine psychologische Hypothese. Damit einem der Inhalt der Geschichte zum Eigentum werde, [523] bedarf es deshalb einer Bildsamkeit, Nachbildsamkeit der auffassenden Seele, einer innerlichen Sublimierung der Variabilität. Die historisierenden Neigungen unseres Jahrhunderts, seine unvergleichliche Fähigkeit, das Fernliegendste – im zeitlichen wie im räumlichen Sinne – zu reproduzieren und lebendig zu machen, ist nur die Innenseite der allgemeinen Steigerung seiner Anpassungsfähigkeit und ausgreifenden Beweglichkeit. Daher die verwirrende Mannigfaltigkeit der Stile, die von unserer Kultur aufgenommen, dargestellt, nachgefühlt werden. Wenn nun jeder Stil wie eine Sprache für sich ist, die besondere Laute, besondere Flexionen, eine besondere Syntax hat, um das Leben auszudrücken, so tritt er unserem Bewußtsein offenbar so lange nicht als eine autonome Potenz, die ein eigenes Leben lebt, entgegen, als wir nur einen einzigen Stil kennen, in dem wir uns und unsere Umgebung gestalten. Niemand empfindet an seiner Muttersprache, solange er sie unbefangen redet, eine objektive Gesetzmäßigkeit, an die er sich wie an ein Jenseits seines Subjekts zu wenden hat, um von ihr die nach unabhängigen Normen geprägte Ausdrucksmöglichkeit für seine Innerlichkeit zu entlehnen. Vielmehr, Ausgedrücktes und Ausdruck sind in diesem Fall unmittelbar eines, und als ein selbständiges, uns gegenüberstehendes Sein empfinden wir nicht nur die Muttersprache, sondern die Sprache überhaupt erst, wenn wir fremde Sprachen kennen lernen. So werden Menschen eines ganz einheitlichen, ihr ganzes Leben umschließenden Stiles denselben auch in fragloser Einheit mit den Inhalten desselben vorstellen. Da sich alles, was sie bilden oder anschauen, ganz selbstverständlich in ihm ausdrückt, so liegt gar keine psychologische Veranlassung vor, ihn von den Stoffen dieses Bildens und Anschauens gedanklich zu trennen und als ein Gebilde eigener Provenienz dem Ich gegenüberzustellen. Erst eine Mehrheit der gebotenen Stile wird den einzelnen von seinem Inhalt lösen, derart, daß seiner Selbständigkeit und von uns unabhängigen Bedeutsamkeit unsere Freiheit, ihn oder einen anderen zu wählen, gegenübersteht. Durch die Differenzierung der Stile wird jeder einzelne und damit der Stil über haupt zu etwas Objektivem, dessen Gültigkeit vom Subjekte und dessen Interessen, Wirksamkeiten, Gefallen oder Mißfallen unabhängig ist. Daß die sämtlichen Anschauungsinhalte unseres Kulturlebens in eine Vielheit von Stilen auseinandergegangen sind, lost jenes ursprüngliche Verhältnis zu ihnen, in dem Subjekt und Objekt noch gleichsam ungeschieden ruhen, und stellt uns einer Welt nach eigenen Normen entwickelter Ausdrucksmöglichkeiten, der Formen, das Leben überhaupt auszudrücken, gegenüber, so daß eben diese Formen einerseits und unser Subjekt andrerseits wie zwei Parteien sind, zwischen denen [524] ein rein zufälliges Verhältnis von Berührungen, Harmonien und Disharmonien herrscht.

Dies ist also ungefähr der Umkreis, in dem Arbeitsteilung und Spezialisation, persönlichen wie sachlichen Sinnes, den großen Objektivationsprozeß der modernsten Kultur tragen. Aus all diesen Erscheinungen setzt sich das Gesamtbild zusammen, in dem der Kulturinhalt immer mehr und immer gewußter objektiver Geist wird, gegenüber nicht nur denen, die ihn aufnehmen, sondern auch denen, die ihn produzieren. In dem Maß, in dem diese Objektivation vorschreitet, wird die wunderliche Erscheinung begreiflicher, von der wir ausgingen: daß die kulturelle Steigerung der Individuen hinter der der Dinge – greifbarer wie funktioneller wie geistiger – merkbar zurückbleiben kann.

Daß gelegentlich auch das Umgekehrte stattfindet, beweist die gleiche gegenseitige Verselbständigung beider Formen des Geistes. In etwas versteckter und umgebildeter Art liegt dies etwa in folgender Erscheinung. Die bäuerliche Wirtschaft scheint in Norddeutschland nur bei einer Art Anerbenrecht auf die Dauer erhaltbar, d.h. nur dann, wenn einer der Erben den Hof übernimmt und die Miterben mit geringeren Quoten abfindet, als sie nach dem Verkaufswert desselben bekommen würden. Bei der Berechnung nach dem letzteren – der momentan den Ertragswert weit übersteigt – wird der Hof bei der Abfindung derart mit Hypotheken überlastet, daß nur ein ganz minderwertiger Betrieb möglich bleibt. Dennoch fordert das moderne, individualistische Rechtsbewußtsein diese mechanische, geldmäßige Gleichberechtigung aller Erben und gibt nicht einem einzelnen Kinde den Vorteil, der doch zugleich die Bedingung für den objektiv vollkommenen Betrieb wäre. Zweifellos sind hierdurch oft Kulturerhöhungen einzelner Subjekte erreicht worden, um den Preis, daß die Kultur des Objekts relativ zurückgeblieben ist. Mit großer Entschiedenheit tritt eine derartige Diskrepanz an eigentlichen sozialen Institutionen auf, deren Evolution ein schwerfälligeres und konservativeres Tempo zeigt, als die der Individuen. Unter dieses Schema gehören die Fälle, die dahin zusammengefaßt worden sind, daß die Produktionsverhältnisse, nachdem sie eine bestimmte Epoche über bestanden haben, von den Produktionskräften, die sie selbst entwickelten, überflügelt werden, so daß sie den letzteren keinen adäquaten Ausdruck und Verwendung mehr gestatten. Diese Kräfte sind zum großen Teil personalen Wesens: was die Persönlichkeiten zu leisten fähig oder zu wollen berechtigt sind, findet keinen Platz mehr in den objektiven Formen der Betriebe. Die erforderliche Umänderung dieser erfolgt immer erst, wenn die dahin drängenden Momente [525] sich zu Massen angehäuft haben; bis dahin bleibt die sachliche Organisierung der Produktion hinter der Entwicklung der individuellen wirtschaftlichen Energien zurück. Nach diesem Schema verlaufen viele Veranlassungen zur Frauenbewegung. Die Fortschritte der modernen industriellen Technik haben außerordentlich viele hauswirtschaftliche Tätigkeiten, die früher den Frauen oblagen, außerhalb des Hauses verlegt, wo ihre Objekte billiger und zweckmäßiger hergestellt werden. Dadurch ist nun sehr vielen Frauen der bürgerlichen Klasse der aktive Lebensinhalt genommen, ohne daß so rasch sich andere Tätigkeiten und Ziele an die leergewordene Stelle eingeschoben hätten; die vielfache »Unbefriedigtheit« der modernen Frauen, die Unverbrauchtheit ihrer Kräfte, die zurückschlagend jede mögliche Störung oder Zerstörung bewirken, ihr teils gesundes, teils krankhaftes Suchen nach Bewährungen außerhalb des Hauses – ist der Erfolg davon, daß die Technik in ihrer Objektivität einen eigenen und schnelleren Gang genommen hat, als die Entwicklungsmöglichkeiten der Personen. Aus einem entsprechenden Verhältnis soll der vielfach unbefriedigende Charakter moderner Ehen folgen. Die festgewordenen, die Individuen zwingenden Formen und Lebensgewohnheiten der Ehe stünden einer persönlichen Entwicklung der Kontrahenten, insbesondere der der Frau gegenüber, die weit über jene hinausgewachsen sei. Die Individuen wären jetzt auf eine Freiheit, ein Verständnis, eine Gleichheit der Rechte und Ausbildungen angelegt, für die das eheliche Leben, wie es nun einmal traditionell und objektiv gefestigt ist, keinen rechten Raum gäbe. Der objektive Geist der Ehe, so könnte man dies formulieren, sei hinter den subjektiven Geistern an Entwicklung zurückgeblieben. Nicht anders das Recht: von gewissen Grundtatsachen aus logisch entwickelt, in einem Kodex fester Gesetze niedergelegt, von einem besonderen Stande getragen, gewinnt es den anderweitigen, von den Personen empfundenen Verhältnissen und Bedürfnissen des Lebens gegenüber jene Starrheit, durch die es sich schließlich wie eine ewige Krankheit forterbt, Vernunft zum Unsinn, Wohltat zur Plage wird. Sobald die religiösen Impulse sich zu einem Schatz bestimmter Dogmen kristallisiert haben und diese arbeitsteilig durch eine, von den Gläubigen gesonderte, Körperschaft getragen werden, geht es der Religion nicht besser. Behält man diese relative Selbständigkeit des Lebens im Auge, mit der die objektiv gewordenen Kulturgebilde, der Niederschlag der geschichtlichen Elementarbewegungen, den Subjekten gegenüberstehen, so dürfte die Frage nach dem Fortschritt in der Geschichte viel von ihrer Ratlosigkeit verlieren. Daß sich Beweis und Gegenbeweis mit gleicher Plausibilität an jede Beantwortung derselben [526] knüpfen läßt, liegt vielleicht oft daran, daß beide gar nicht denselben Gegenstand haben. So kann man z.B. mit demselben Recht den Fortschritt wie die Unveränderlichkeit in der sittlichen Verfassung behaupten, wenn man einmal auf die festgewordenen Prinzipien, die Organisationen, die in das Bewußtsein der Gesamtheit aufgestiegenen Imperative hinsieht, das andere Mal auf das Verhältnis der Einzelpersonen zu diesen objektiven Idealen, die Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit, mit der sich das Subjekt in sittlicher Hinsicht benimmt. Fortschritte und Stagnation können so unmittelbar nebeneinander liegen, und zwar nicht nur in verschiedenen Provinzen des geschichtlichen Lebens, sondern in einer und derselben, je nachdem man die Evolution der Subjekte oder die der Gebilde ins Auge faßt, die zwar aus den Beiträgen der Individuen entstanden sind, aber ein eigenes, objektiv geistiges Leben gewonnen haben.

Nun sich neben die Möglichkeit, daß die Entwicklung des objektiven Geistes die des subjektiven überhole, die entgegengesetzte gestellt hat, blicke ich noch einmal auf die Bedeutung der Arbeitsteilung für die Verwirklichung der ersteren zurück. Jene doppelte Möglichkeit ergibt sich, kurz zusammengefaßt, auf folgende Weise. Daß der in Produktionen irgendwelcher Art vergegenständlichte Geist dem einzelnen Individuum überlegen ist, liegt an der Komplikation der Herstellungsweisen, die außerordentlich viel historische und sachliche Bedingungen, Vor- und Mitarbeiter voraussetzen. Dadurch kann das Produkt Energien, Qualitäten, Steigerungen in sich sammeln, die ganz außerhalb des einzelnen Produzenten liegen. Dies aber wird insbesondere in der spezifisch modernen Technik als Folge der Arbeitsteilung auftreten. Solange das Produkt im wesentlichen von einem einzelnen Produzenten oder durch eine wenig spezialisierte Kooperation hergestellt wurde, konnte der in ihm objektivierte Gehalt an Geist und Kraft den der Subjekte nicht erheblich übersteigen. Erst eine raffinierte Arbeitsteilung macht das einzelne Produkt zur Sammelstelle von Kräften, die aus einer sehr großen Anzahl von Individuen auserlesen sind; so daß es, als Einheit betrachtet und mit irgendwelchem Einzelindividuum verglichen, dieses jedenfalls nach einer ganzen Reihe von Seiten hinüberragen muß; und diese Aufhäufung von Eigenschaften und Vollkommenheiten an dem Objekt, das ihre Synthese bildet, geht ins unbegrenzte, während der Ausbau der Individualitäten für jeden gegebenen Zeitabschnitt an der Naturbestimmtheit derselben eine unverrückbare Schranke findet. Aber wenn die Tatsache, daß das objektive Werk einzelne Seiten sehr vieler Persönlichkeiten in sich einsaugt, ihm so eine objektiv überragende Entwicklungsmöglichkeit gewährt, so versagt sie ihm [527] doch auch Vollkommenheiten, die sich gerade nur durch die Synthese der Energien in einem Subjekt verwirklichen. Der Staat und zwar insbesondere der moderne ist hier das umfassendste Beispiel. Wenn nämlich der Rationalismus es als logisch widerspruchsvoll gebrandmarkt hat, daß der Monarch, der doch nur ein einzelner Mensch sei, über eine ungeheure Anzahl anderer Menschen herrsche, so ist dabei übersehen, daß die letzteren, insofern sie eben diesen Staat unter dem Monarchen bilden, gar nicht in demselben Sinn »Menschen« sind, wie dieser es ist. Sie geben vielmehr nur einen gewissen Bruchteil ihres Seins und ihrer Kräfte in den Staat hinein, mit anderen reichen sie in andere Kreise, die Gesamtheit ihrer Persönlichkeit wird überhaupt von keinem erfaßt. Diese aber setzt der Monarch in das Verhältnis ein, und also mehr als jeder einzelne seiner Untertanen für sich. So lange freilich das Regiment in dem Sinne unumschränkt ist, daß der Herrscher unmittelbar über die Personen in dem ganzen Umfang ihres Seins verfügen kann, mag jene Unverhältnismäßigkeit bestehen. Der moderne Rechtsstaat dagegen grenzt den Bezirk genau ab, mit dem die Personen in die Staatssphäre hineinfallen, er differenziert jene, um aus gewissen ausgesonderten Elementen ihrer sich selbst zu bilden. Je entschiedener diese Differenzierung ist, als ein desto objektiveres, von der Form individueller Seelenhaftigkeit gelöstes Gebilde steht der Staat dem Individuum gegenüber. Daß er so eine Synthese aus den differenzierten Elementen der Subjekte ist, macht ihn ersichtlich ebenso zu einem unter-persönlichen, wie zu einem über-persönlichen Wesen. Wie mit dem Staat aber verhält es sich mit allen Gebilden des objektiven Geistes, die durch Zusammenfügung differenzierter individueller Leistungen entstehen. Denn so sehr diese an sachlich-geistigem Gehalt und Entwickelbarkeit desselben jeden individuellen Intellekt übertreffen, so empfinden wir sie doch in demselben Maß, in dem die Differenziertheit und Anzahl der arbeitsteiligen Elemente zunimmt, als bloßen Mechanismus, dem die Seele fehlt. Aufs deutlichste tritt hier der Unterschied hervor, den man als den von Geist und Seele bezeichnen kann. Geist ist der objektive Inhalt dessen, was innerhalb der Seele in lebendiger Funktion bewußt wird; Seele ist gleichsam die Form, die der Geist, d.h. der logisch-begriffliche Inhalt des Denkens, für unsere Subjektivität, als unsere Subjektivität, annimmt. Der Geist in diesem Sinne ist deshalb nicht an die Gestaltung zur Einheit gebunden, ohne die es keine Seele gibt. Es ist, als ob die geistigen Inhalte irgendwie verstreut da wären und erst die Seele führte sie in sich einheitlich zusammen, ungefähr wie die unlebendigen Stoffe in den Organismus [528] und die Einheit seines Lebens einbezogen werden. Darin liegt die Größe wie die Grenze der Seele gegenüber den einzelnen, in ihrer selbständigen Gültigkeit und sachlichen Bedeutsamkeit betrachteten Inhalten ihres Bewußtsein. In so leuchtender Vollkommenheit und restlosem Sich-Selbst-Genügen auch Plato das Reich der Ideen zeichnen mag, die doch nichts anderes sind, als die von aller Zufälligkeit des Vorgestelltwerdens gelösten Sachinhalte des Denkens, und so unvollkommen, bedingt und dämmernd ihm die Seele des Menschen mit ihrer blassen, verwischten, kaum erhaschten Abspiegelung jener reinen Bedeutsamkeiten erscheinen mag – für uns ist jene plastische Klarheit und logische Formbestimmtheit nicht der einzige Wertmaßstab der Ideale und Wirklichkeiten. Uns ist die Form persönlicher Einheit, zu der das Bewußtsein den objektiven geistigen Sinn der Dinge zusammenführt, von unvergleichlichem Wert: hier erst gewinnen sie die Reibung aneinander, die Leben und Kraft ist, hier entwickeln sich erst jene dunklen Wärmestrahlen des Gemütes, für die die klare Perfektion rein sachlich bestimmter Ideen keinen Platz und kein Herz hat. So aber verhält es sich auch mit dem Geiste, der durch Vergegenständlichung unserer Intelligenz sich der Seele als Objekt gegenüberstellt. Und zwar wächst der Abstand zwischen beiden offenbar in demselben Maße, in dem der Gegenstand durch das arbeitsteilige Zusammenwirken einer wachsenden Anzahl von Persönlichkeiten entsteht; denn in eben diesem Maß wird es unmöglich, in das Werk die Einheit der Persönlichkeit hineinzuarbeiten, hineinzuleben, an welche sich für uns gerade der Wert, die Wärme, die Eigenart der Seele knüpft. Daß dem objektiven Geist durch die moderne Differenziertheit seines Zustandekommens eben diese Form der Seelenhaftigkeit fehlt – in engem Zusammenhang mit dem mechanischen Wesen unserer Kulturprodukte – das mag der letzte Grund der Feindseligkeit sein, mit der sehr individualistische und vertiefte Naturen jetzt so häufig dem »Fortschritt der Kultur« gegenüberstehen. Und zwar um so mehr, als diese, durch die Arbeitsteilung bestimmte Entwicklung der objektiven Kultur eine Seite oder Folge der allgemeinen Erscheinung ist, die man so auszudrücken pflegt: daß das Bedeutende in der gegenwärtigen Epoche nicht mehr durch die Individuen, sondern durch die Massen geschehe. Die Arbeitsteilung bewirkt in der Tat, daß der einzelne Gegenstand schon ein Produkt der Masse ist; die, unsere Arbeitsorganisation bestimmende, Zerlegung der Individuen in ihre einzelnen Energien und die Zusammenführung des so Herausdifferenzierten zu einem objektiven Kulturprodukt hat zur Folge, daß in diesem einzelnen um so weniger Seele ist, je mehr Seelen an seiner Herstellung beteiligt [529] waren. Die Pracht und Größe der modernen Kultur zeigt so einige Analogie mit jenem strahlenden Ideenreiche Platos, in dem der objektive Geist der Dinge in makelloser Vollendung wirklich ist, dem aber die Werte der eigentlichen, nicht in Sachlichkeiten auflösbaren Persönlichkeit fehlen – ein Mangel, den alles Bewußtsein des fragmentarischen, irrationalen, ephemeren Charakters der letzteren nicht unfühlbar machen kann. Ja, die personale Seelenhaftigkeit besitzt als bloße Form einen Wert, der sich neben aller Minderwertigkeit und Kontraidealität ihres jeweiligen Inhalts behauptet; sie bleibt als eine eigentümliche Bedeutsamkeit des Daseins, all seiner Objektivität gegenüber, selbst in den Fällen bestehen, von denen wir ausgingen und in denen die individuell-subjektive Kultur einen Rückschritt zeigt, während die objektive fortschreitet.

Für jede Kulturgemeinschaft ist offenbar das Verhältnis, in dem ihr objektiv gewordener Geist und seine Entwicklung zu den subjektiven Geistern steht, von äußerster Wichtigkeit, und zwar gerade nach der Seite ihres Lebensstiles hin: denn wenn der Stil die Bedeutung hat, eine beliebige Verschiedenheit von Inhalten sich formgleich ausdrücken zu lassen, so kann doch sicher die Relation zwischen objektivem und subjektivem Geist in bezug auf Quantität, Höhenmaß, Entwicklungstempo bei sehr verschiedenen Inhalten des kulturellen Geistes dennoch die gleiche sein. Gerade die allgemeine Art, wie das Leben sich abspielt, der Rahmen, den die soziale Kultur den Impulsen des Individuums darbietet, wird durch Fragen wie diese umschrieben: ob der Einzelne sein Innenleben in Nähe oder in Fremdheit zu der objektiven Kulturbewegung seiner Zeit weiß, ob er diese als eine überlegene, von der er gleichsam nur den Saum des Gewandes berühren kann, empfindet, oder seinen personalen Wert allem verdinglichten Geiste überlegen; ob innerhalb seines eigenen Geisteslebens die objektiven, historisch gegebenen Elemente eine Macht eigener Gesetzmäßigkeit sind, so daß diese und der eigentliche Kern seiner Persönlichkeit sich wie unabhängig voneinander entwickeln, oder ob die Seele sozusagen Herr im eigenen Hause ist oder wenigstens zwischen ihrem Innersten Leben und dem, was sie als Impersonale Inhalte in dasselbe aufnehmen muß, eine Harmonie in bezug auf Höhe, Sinn und Rhythmus herstellt. Diese abstrakten Formulierungen zeichnen doch das Schema für unzählige konkrete Interessen und Stimmungen des Tages und des Lebens und damit also das Maß, in dem die Beziehungen zwischen objektiver und subjektiver Kultur den Stil des Daseins bestimmen.

Wurde nun die gegenwärtige Gestaltung dieses Verhältnisses [530] von der Arbeitsteilung getragen, so ist sie auch ein Abkömmling der Geldwirtschaft. Und zwar einmal, weil die Zerlegung der Produktion in sehr viele Teilleistungen eine mit absoluter Genauigkeit und Zuverlässigkeit funktionierende Organisation fordert, wie sie, seit dem Aufhören der Sklavenarbeit, nur bei Geldentlohnung der Arbeiter herstellbar ist. Jede anders vermittelte Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeiter würde unberechenbarere Elemente enthalten, teils weil naturales Entgelt nicht so einfach beschaffbar und genau bestimmbar ist, teils weil nur das reine Geldverhältnis den bloß sachlichen und automatischen Charakter hat, ohne den sehr differenzierte und komplizierte Organisationen nicht auskommen. Und dann, weil der wesentliche Entstehungsgrund des Geldes überhaupt in dem Maße wirksamer wird, in dem die Produktion sich mehr spezialisiert. Denn es handelt sich doch im wirtschaftlichen Verkehr darum, daß der eine fortgibt, was der andere begehrt, wenn dieser andere dem ersteren dasselbe tut. Jene Sittenregel: den Menschen zu tun, wovon man wünscht, daß sie es einem tun – findet das umfassendste Beispiel ihrer formalen Verwirklichung an der Wirtschaft. Wenn nun ein Produzent für den Gegenstand A, den er in Tausch geben will, auch einen Abnehmer bereit findet, so wird der Gegenstand B, den dieser letztere dagegen zu geben imstande ist, jenem häufig gar nicht erwünscht sein. Daß so die Verschiedenheit der Begehrungen zwischen zwei Personen nicht immer mit der Verschiedenheit der Produkte zusammenfällt, die sie beide anzubieten haben, fordert bekanntlich die Einschiebung eines Tauschmittels; so daß, wenn die Besitzer von A und von B sich nicht über unmittelbaren Tausch einigen können, der erstere sein A gegen Geld fortgibt, für das er sich nun das ihm erwünschte C verschaffen kann, während der Besitzer von B das Geld für den Kauf von A dadurch beschafft, daß er mit seinem B einem Dritten gegenüber ebenso verfährt. Da es also die Verschiedenheit der Produkte, bzw. der auf sie gerichteten Begehrungen ist, um derentwillen es überhaupt zum Geld kommt, so wird seine Rolle ersichtlich um so größer und unentbehrlicher werden, je verschiedenartigere Gegenstände der Verkehr einschließt; oder, von der anderen Seite gesehen: zu einer erheblichen Spezifikation der Leistungen kann es überhaupt erst kommen, wenn man nicht mehr auf unmittelbaren Austausch angewiesen ist. Die Chance, daß der Abnehmer eines Produkts seinerseits gerade ein Objekt anzubieten habe, das jenem Produzenten genehm ist, sinkt in dem Maße, in dem die Spezifizierung der Produkte und die der menschlichen Wünsche steigt. Es ist nach dieser Richtung hin also gar kein neu eintretendes Moment, das die moderne Differenzierung an die Alleinherrschaft [531] des Geldes knüpft; Sondern die Verbindung zwischen beiden Kulturwerten findet schon in der Tiefe ihrer Wurzeln statt, und daß die Verhältnisse der Spezialisation, die ich schilderte, durch ihre Wechselwirkung mit der Geldwirtschaft eine völlige historische Einheit mit ihr bilden – das ist nur die graduelle Steigerung einer mit dem Wesen beider gegebenen Synthese.

Durch diese Vermittlung hindurch knüpft sich also der Stil des Lebens, insoweit er von dem Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Kultur abhängig ist, an den Geldverkehr. Und zwar wird hierbei das Wesen des letzteren völlig durch den Umstand enthüllt, daß er sowohl das Übergewicht des objektiven Geistes über den subjektiven, wie auch die Reserve, unabhängige Steigerung und Eigenentwicklung des letzteren trägt. Was die Kultur der Dinge zu einer so überlegenen Macht gegenüber der der Einzelpersonen werden läßt, das ist die Einheit und autonome Geschlossenheit, zu der jene in der Neuzeit aufgewachsen ist. Die Produktion, mit ihrer Technik und ihren Ergebnissen, erscheint wie ein Kosmos mit festen, sozusagen logischen Bestimmtheiten und Entwicklungen, der dem Individuum gegenübersteht, wie das Schicksal es der Unstätheit und Unregelmäßigkeit unseres Willens tut. Dieses formale Sich-selbst-gehören, dieser innere Zwang, der die Kulturinhalte zu einem Gegenbild des: Naturzusammenhanges einigt, wird erst durch das Geld wirklich: das Geld funktioniert einerseits als das Gelenksystem dieses Organismus; es macht seine Elemente gegeneinander verschiebbar, stellt ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit und Fortsetzbarkeit aller Impulse zwischen ihnen her. Es ist andrerseits dem Blute zu vergleichen, dessen kontinuierliche Strömung alle Verästelungen der Glieder durchdringt, und, alle gleichmäßig ernährend, die Einheit ihrer Funktionen trägt. Und was das zweite betrifft: so ermöglicht das Geld, indem es zwischen den Menschen und die Dinge tritt, jenem eine sozusagen abstrakte Existenz, ein Freisein von unmittelbaren Rücksichten auf die Dinge und von unmittelbarer Beziehung zu ihnen, ohne das es zu gewissen Entwicklungschancen unserer Innerlichkeit nicht käme; wenn der moderne Mensch unter günstigen Umständen eine Reserve des Subjektiven, eine Heimlichkeit und Abgeschlossenheit des persönlichsten Seins – hier nicht im sozialen, sondern in einem tieferen, metaphysischen Sinn – erringt, die etwas von dem religiösen Lebensstil früherer Zeiten ersetzt, so wird das dadurch bedingt, daß das Geld uns in immer steigendem Maße die unmittelbaren Berührungen mit den Dingen erspart, während es uns doch zugleich ihre Beherrschung. Und die Auswahl des uns Zusagenden unendlich erleichtert.

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Und deshalb mögen diese Gegenrichtungen, da sie nun einmal eingeschlagen sind, auch einem Ideal absolut reinlicher Scheidung zustreben: in dem aller Sachgehalt des Lebens immer sachlicher und unpersönlicher wird, damit der nicht zu verdinglichende Rest desselben um so persönlicher, ein um so unbestreitbareres Eigen des Ich werde. Ein bezeichnender Einzelfall dieser Bewegung ist die Schreibmaschine; das Schreiben, ein äußerlich-sachliches Tun, das doch in jedem Fall eine charakteristisch-individuelle Form trägt, wirft diese letztere nun zugunsten mechanischer Gleichförmigkeit ab. Damit ist aber nach der anderen Seite hin das Doppelte erreicht: einmal wirkt nun das Geschriebene seinem reinen Inhalte nach, ohne aus seiner Anschaulichkeit Unterstützung oder Störung zu ziehen, und dann entfällt der Verrat des Persönlichsten, den die Handschrift so oft begeht, und zwar vermöge der äußerlichsten und gleichgültigsten Mitteilungen nicht weniger als bei den intimsten. So sozialisierend also auch alle derartigen Mechanisierungen wirken, so steigern sie doch das verbleibende Privateigentum des geistigen Ich zu um so eifersüchtigerer Ausschließlichkeit. Freilich ist diese Vertreibung der subjektiven Seelenhaftigkeit aus allem Äußerlichen dem ästhetischen Lebensideal ebenso feindlich, wie sie dem der reinen Innerlichkeit günstig sein kann – eine Kombination, die ebenso die Verzweiflung rein ästhetisch gestimmter Persönlichkeiten an der Gegenwart erklärt, wie die leise Spannung, die zwischen derartigen Seelen und solchen, die nur auf das innere Heil gerichtet sind, jetzt in gleichsam unterirdischeren Formen – ganz anderen als zur Zeit Savonarolas – aufwächst. Indem das Geld ebenso Symbol wie Ursache der Vergleichgültigung und Veräußerlichung alles dessen ist, was sich überhaupt vergleichgültigen und veräußerlichen läßt, wird es doch auch zum Torhüter des Innerlichsten, das sich nun in eigensten Grenzen ausbauen kann.

Inwieweit dies nun freilich zu jener Verfeinerung, Besonderheit und Verinnerlichung des Subjekts führt, oder ob es umgekehrt die unterworfenen Objekte gerade durch die Leichtigkeit ihrer Erlangung zu Herrschern über den Menschen werden läßt – das hängt nicht mehr vom Gelde, sondern eben vom Menschen ab. Die Geldwirtschaft zeigt sich auch hier in ihrer formalen Beziehung zu sozialistischen Zuständen; denn was von diesen erwartet wird: die Erlösung von dem individuellen Kampf ums Dasein, die Sicherung der niedrigeren und die leichte Zugängigkeit der höheren Wirtschaftswerte – dürfte gleichfalls die differenzierende Wirkung üben, daß ein gewisser Bruchteil der Gesellschaft sich in eine bisher unerhörte und von allen Gedanken an das Irdische entfernteste Höhe der [533] Geistigkeit erhebt, während ein anderer Bruchteil gerade in einen ebenso unerhörten praktischen Materialismus versänke.

Im großen und ganzen wird das Geld wohl am wirksamsten an denjenigen Seiten unseres Lebens, deren Stil durch das Übergewicht der objektiven Kultur über die subjektive bestimmt wird. Daß es aber auch den umgekehrten Fall zu stützen sich nicht weigert, das stellt Art und Umfang seiner historischen Macht in das hellste Licht. Man könnte es höchstens nach mancher Richtung hin der Sprache vergleichen, die sich ebenfalls den divergentesten Richtungen des Denkens und Fühlens unterstützend, verdeutlichend, herausarbeitend leiht. Es gehört zu jenen Gewalten, deren Eigenart gerade in dem Mangel an Eigenart besteht, die aber dennoch das Leben sehr verschieden färben können, weil das bloß Formale, Funktionelle, Quantitative, das ihre Seinsart ist, auf qualitativ bestimmte Lebensinhalte und -richtungen trifft und diese zur weiteren Zeugung qualitativ neuer Bildungen bestimmt. Seine Bedeutung für den Stil des Lebens wird dadurch, daß es beiden möglichen Verhältnissen zwischen dem objektiven und dem subjektiven Geist zur Steigerung und Reife hilft, nicht aufgehoben, sondern gesteigert, nicht widerlegt, sondern erwiesen.

[534]

III.

Man macht sich selten klar, in welchem Umfang unsere Vorstellungen von den seelischen Prozessen bloß symbolische. Bedeutung besitzen. Die primitive Not des Lebens hat uns gezwungen, die räumliche Außenwelt zum ersten Objekt unserer Aufmerksamkeit zu machen; für ihre Inhalte und Verhältnisse gelten deshalb zunächst die Begriffe, durch die wir ein beobachtetes Dasein außerhalb des beobachtenden Subjekts vorstellen; sie ist der Typus des Objekts überhaupt und ihren Formen muß sich jede Vorstellung fügen, die für uns Objekt werden soll. Diese Forderung ergreift die Seele selbst, die sich zum Gegenstand ihrer eigenen Beobachtung macht. Vorher allerdings scheint sich noch die Beobachtung des Du einzustellen, ersichtlich das dringendste Erfordernis des Gemeinschaftslebens und der individuellen Selbstbehauptung. Allein da wir die Seele des Anderen niemals unmittelbar beobachten können, da er unserer Wahrnehmung niemals mehr als Eindrücke äußerer Sinne gewährt, so ist alle psychologische Kenntnis seiner ausschließlich eine Hineindeutung von Bewußtseinsvorgängen, die wir in unserer Seele wahrnehmen und auf jenen übertragen, wenn physische Eindrücke von ihm her uns dazu anregen – so wenig diese Übertragung, ausschließlich für ihren Zielpunkt interessiert, sich von ihrem Ausgangspunkt Rechenschaft ablegen mag. Sobald die Seele sich selbst zum Objekt ihres Vorstellens macht, kann sie es nur unter dem Bilde räumlicher Vorgänge. Wenn wir von Vorstellungen sprechen und ihrer Verbindung, von ihrem Aufsteigen in das Bewußtsein und ihrem Sinken unter die Schwelle desselben, von inneren Neigungen und Widerständen, von der Stimmung mit ihren Erhebungen und Tiefständen, so ist jeder dieser und unzähliger Ausdrücke des gleichen Gebietes ersichtlich äußerlichen Wahrnehmbarkeiten entnommen. Wir mögen davon durchdrungen sein, daß die Gesetzlichkeit unseres Seelenlebens völlig anderen Wesens ist, als die eines äußeren Mechanismus – vor allem, weil jenem die feste Umschriebenheit und sichere Wiedererkennbarkeit [535] der einzelnen Elemente fehlt – so stellen wir uns doch unvermeidlich die »Vorstellungen« als eine Art Wesen vor, die miteinander in die mechanischen Beziehungen des Verbindens und Trennens, des Hebens und Herabdrückens treten. Wir sind dabei überzeugt – und die Praxis gibt uns recht –, daß diese, nach dem Typus anschaulicher Vorgänge geschehende Deutung des Inneren die Wirklichkeit dieses letzteren gültig vertritt, gerade wie dem Astronomen die Rechnung auf dem Papiere die Bewegungen der Gestirne so erfolgreich repräsentiert, daß das Resultat jener durchaus das Bild darstellt, das von dem Resultat der realen Kräfte bewahrheitet wird.

Dieses Verhältnis aber wird nun auch rückläufig gültig, als Deutung des äußeren Geschehens nach den Inhalten des Innenlebens. Ich meine hier nicht, daß ja auch jenes von vornherein nur eine Welt von Vorstellungen ist, sondern, nachdem einmal auf dieser oder einer anderen erkenntnistheoretischen Basis ein relatives Außen einem relativen Innern gegenübergestellt ist, dienen die spezifischen Erscheinungen des letzteren dazu, das erstere zu einem verständlichen Bilde zu gestalten. So kommt wohl der einheitliche Gegenstand aus der Summe seiner Eigenschaften, die allein er uns doch darbietet, nur so zustande, daß wir ihm die Einheitsform unseres Ich leihen, an der wir im tiefsten erfahren, wie eine Fülle von Bestimmungen und Schicksalen an einer beharrenden Einheit haften kann. Nicht anders dürfte es sich, wie man oft betont hat, mit der Kraft und der Ursächlichkeit äußerer Dinge verhalten: die Gefühle der physisch-psychischen Spannung, des Impulses, der Willenshandlung projizieren wir in die Dinge hinein, und wenn wir hinter ihre unmittelbare Wahrnehmbarkeit jene deutenden Kategorien setzen, so orientieren wir uns eben in ihnen nach den Gefühlserfahrungen unserer Innerlichkeit. Und so stößt man vielleicht, sobald man unter jener ersten Symbolisierung des Innern durch das Körperhafte eine tiefere Schicht aufgräbt, auf den entgegengesetzten Zusammenhang. Wenn wir einen seelischen Vorgang als Verbindung von Vorstellungen bezeichnen, so war dies allerdings eine Erkenntnis seiner nach räumlichen Kategorien; aber diese Kategorie der Verbindung selbst hat vielleicht ihren Sinn und ihre Bedeutung in einem bloß innerlichen, gar nicht anschaulichen Vorgang. Was wir als in der Außenwelt verbunden, d.h. doch, irgendwie vereinheitlicht und ineinander seiend, bezeichnen, bleibt doch in der Außenwelt ewig nebeneinander, und mit seinem Verbundensein meinen wir etwas, was nur aus unserem Inneren, allem Äußeren unvergleichbar, in die Dinge hineingefühlt werden kann: jenes also das Symbol für das, was uns an diesen nicht [536] festzustellen und unmittelbar überhaupt nicht auszudrücken ist. So besteht ein Relativismus, gleichsam ein unendlicher Prozeß zwischen dem Inneren und dem Äußeren: eines, als das Symbol des anderen, dieses zur Vorstellbarkeit und Darstellbarkeit bringend, keines das erste, keines das zweite, sondern in ihrem Aufeinander-Angewiesen-sein die Einheit ihres, d.h. unseres Wesens verwirklichend.

Dieser gegenseitigen symbolisierenden Deutung sind die seelischen und die körperhaften Daseinsinhalte um so unbedenklicher zugängig, je einfacher sie sind. Bei den einfachen Prozessen der Verbindung, Verschmelzung, Reproduktion der Vorstellungen können wir noch einigermaßen die Idee einer allgemeinen Formgesetzlichkeit festhalten, die der inneren wie der äußeren. Welt ein analoges Verhalten vorschreibt und so die eine zur Stellvertretung der anderen geeignet macht. Bei komplizierteren und eigenartigeren seelischen Gebilden wird die Bezeichnung nach Analogien der räumlichen Anschaulichkeit immer diffiziler; immer dringender ist sie auf die Anwendbarkeit in einer Vielheit von Fällen angewiesen, um nicht zufällig und spielerisch zu erscheinen und um eine feste, wenn auch nur symbolische Beziehung zu der seelischen Wirklichkeit zu besitzen. Und von sich selbst ausgehend wird diese letztere den Weg in die Dinge, deren Sinn und Bedeutung nach sich interpretierend, um so schwerer und unsicherer finden, je spezieller oder zusammengesetzter die Vorgänge auf beiden Seiten sind; denn um so unwahrscheinlicher und schwerer herausfühlbar wird jene geheimnisvolle Formgleichheit innerer und äußerer Erscheinungen, die der Seele eine Brücke von den einen in die anderen baut. – Hiermit sollen Erwägungen eingeleitet werden, die eine Reihe mannigfaltiger innerer Kulturerscheinungen zusammenfassen und dadurch, daß diese alle die Deutung nach je einer und derselben anschaulichen Analogie gestatten, einleuchtend machen sollen, daß sie alle einem und demselben Stil des Lebens angehören.

Eines der häufigsten Bilder, unter denen man sich die Organisation der Lebensinhalte deutlich zu machen pflegt, ist ihre Anordnung zu einem Kreise, in dessen Zentrum das eigentliche Ich steht. Es gibt einen Modus des Verhältnisses zwischen diesem Ich und den Dingen, Menschen, Ideen, Interessen, den wir nur als Distanz zwischen beiden bezeichnen können. Was uns zum Objekt wird, das kann, inhaltlich ungeändert bleibend, nahe an das Zentrum heran- oder bis zur Peripherie unseres Blick- und Interessenkreises abrücken; aber dies bewirkt nicht etwa, daß unser inneres Verhältnis zu diesem Objekt sich ändere, sondern umgekehrt, wir können gewisse Verhältnisse des Ich zu seinen Inhalten nur durch das anschauliche [537] Symbol einer bestimmten oder sich ändernden Distanz zwischen beiden bezeichnen. Es ist von vornherein schon ein symbolischer Ausdruck für einen an sich unsagbaren Sachverhalt, wenn wir unser inneres Dasein in ein zentrales Ich und darumgelagerte Inhalte scheiden; und angesichts der ungeheueren Unterschiede der sinnlich-äußerlichen Eindrücke von den Dingen je nach ihrem Abstand von unseren Organen – Unterschiede, nicht nur der Deutlichkeit, sondern der Qualität und des ganzen Charakters der emfangenen Bilder – liegt es nahe, jene Symbolisierung dahin auszudehnen, daß die Verschiedenheit auch der innerlichsten Verhältnisse zu den Dingen als Verschiedenheit der Distanz zu ihnen gedeutet werde.

Von den Erscheinungen, die von hier aus gesehen eine einheitliche Reihe bilden, hebe ich zunächst die künstlerischen hervor. Die innere Bedeutsamkeit der Kunststile läßt sich als eine Folge der verschiedenen Distanz auslegen, die sie zwischen uns und den Dingen herstellen. Alle Kunst verändert die Blickweite, in die wir uns ursprünglich und natürlich zu der Wirklichkeit stellen. Sie bringt sie uns einerseits näher, zu ihrem eigentlichen und innersten Sinn setzt sie uns in ein unmittelbareres Verhältnis, hinter der kühlen Fremdheit der Außenwelt verrät sie uns die Beseeltheit des Seins, durch die es uns verwandt und verständlich ist. Daneben aber stiftet jede Kunst eine Entfernung von der Unmittelbarkeit der Dinge, sie läßt die Konkretheit der Reize zurücktreten und spannt einen Schleier zwischen uns und sie, gleich dem feinen bläulichen Duft, der sich um ferne Berge legt. An beide Seiten dieses Gegensatzes knüpfen sich gleich starke Reize; die Spannung zwischen ihnen, ihre Verteilung auf die Mannigfaltigkeit der Ansprüche an das Kunstwerk, gibt jedem Kunststil sein eigenes Gepräge. Ja, die bloße Tatsache des Stiles ist an sich schon einer der bedeutsamsten Fälle von Distanzierung. Der Stil in der Äußerung unserer inneren Vorgänge besagt, daß diese nicht mehr unmittelbar hervorsprudeln, sondern in dem Augenblick ihres Offenbarwerdens ein Gewand umtun. Der Stil, als generelle Formung des Individuellen, ist für dieses eine Hülle, die eine Schranke und Distanzierung gegen den anderen, der die Äußerung aufnimmt, errichtet. Diesem Lebensprinzip aller Kunst: uns den Dingen dadurch näher zu bringen, daß sie uns in eine Distanz von ihnen stellt – entzieht sich auch die naturalistische Kunst nicht, deren Sinn doch ausschließlich auf Überwindung der Distanz zwischen uns und der Wirklichkeit gerichtet scheint. Denn nur eine Selbsttäuschung kann den Naturalismus verkennen lassen, daß auch er ein Stil ist, d.h. daß auch er die Unmittelbarkeit des Eindrucks von ganz [538] bestimmten Voraussetzungen und Forderungen her gliedert, und umbildet – unwiderleglich durch die kunstgeschichtliche Entwicklung bewiesen, in der alles das, was eine Epoche für das wörtlich treue und genau realistische Bild der Wirklichkeit hielt, durch eine spätere als vorurteilsvoll und verfälscht erkannt worden ist, während sie nun erst die Dinge, wie sie wirklich sind, darstelle. Der künstlerische Realismus verfällt demselben Fehler wie der wissenschaftliche, wenn er meint, ohne ein Apriori auszukommen, ohne eine Form, die, aus den Anlagen und Bedürfnissen unserer Natur quellend, der sinnlichen Wirklichkeit Gewandung oder Umgestaltung zuwachsen läßt. Diese Umformung, die sie auf dem Wege in unser Bewußtsein erleidet, ist zwar eine Schranke zwischen uns und ihrem unmittelbaren Sein, aber zugleich die Bedingung, sie vorzustellen und darzustellen. Ja, in gewissem Sinn mag der Naturalismus eine ganz besondere Distanzierung den Dingen gegenüber bewirken. Wenn wir nämlich auf die Vorliebe achten, mit der er seine Gegenstände im allertäglichsten Leben, im Niedrigen und Banalen sucht. Denn da er eben zweifellos auch eine Stilisierung ist, so wird diese für ein feineres Empfinden – das im Kunstwerk die Kunst und nicht seinen, auch auf beliebig andere Weise darstellbaren Gegenstand sieht – um so fühlbarer, an je näherem, roherem, irdischerem Materiale sie sich vollzieht.

Im ganzen nun geht das ästhetische Interesse der letzten Zeit auf Vergrößerung der durch das Kunstwerden der Dinge geschaffenen Distanz gegen sie. Ich erinnere an den ungeheueren Reiz, den zeitlich und räumlich weit entfernte Kunststile für das Kunstgefühl der Gegenwart besitzen. Das Entfernte erregt sehr viele, lebhaft auf- und abschwingende Vorstellungen und genügt damit unserem vielseitigen Anregungsbedürfnis; doch klingt jede dieser fremden und fernen Vorstellungen wegen ihrer Beziehungslosigkeit zu unseren persönlichsten und unmittelbaren Interessen nur leise an und mutet deshalb geschwächten Nerven nur eine behagliche Anregung zu. Was wir den »historischen Geist« in unserer Zeit nennen, ist vielleicht nicht nur eine begünstigende Veranlassung dieser Erscheinung, sondern quillt mit ihr aus der gleichen Ursache. Und wechselwirkend macht er, mit der Fülle der inneren Beziehungen, die er uns zu räumlich und zeitlich weit abstehenden Interessen gewährt, uns immer empfindlicher gegen die Chocs und Wirrnisse, die uns aus der unmittelbaren Nähe und Berührung mit Menschen und Dingen kommen. Die Flucht in das Nicht-Gegenwärtige wird erleichtert, verlustloser, gewissermaßen legitimiert, wenn sie zu der Vorstellung und dem Genuß konkreter Wirklichkeiten führt – die aber eben weit entfernte, nur ganz [539] mittelbar zu fühlende sind. Daher nun auch der jetzt so lebhaft empfundene Reiz des Fragmentes, der bloßen Andeutung, des Aphorismus, des Symbols, der unentwickelten Kunststile. Alle diese Formen, die in allen Künsten heimisch sind, stellen uns in eine Distanz von dem Ganzen und Vollen der Dinge, sie sprechen zu uns »wie aus der Ferne«, die Wirklichkeit gibt sich in ihnen nicht mit gerader Sicherheit, sondern mit gleich zurückgezogenen Fingerspitzen. Das äußerste Raffinement unseres literarischen Stiles vermeidet die direkte Bezeichnung der Objekte, streift mit dem Worte nur eine abgelegene Ecke ihrer, faßt statt der Dinge nur die Schleier, die um die Dinge sind. Am entschiedensten beweisen wohl die symbolistischen Neigungen in bildenden und redenden Künsten eben dieses. Hier wird die Distanz, die die Kunst schon als solche zwischen uns und die Dinge stellt, noch um eine Station erweitert, indem die Vorstellungen, die den Inhalt des schließlich zu erregenden Seelenvorganges bilden, in dem Kunstwerke selbst überhaupt kein sinnliches Gegenbild mehr haben, sondern erst durch Wahrnehmbarkeiten ganz anderen Inhaltes zum Anklingen gebracht werden. In alledem zeigt sich ein Zug des Empfindens wirksam, dessen pathologische Ausartung die sogenannte »Berührungsangst« ist: die Furcht, in allzu nahe Berührung mit den Objekten zu kommen, ein Resultat der Hyperästhesie, der jede unmittelbare und energische Berührung ein Schmerz ist. Daher äußert sich auch die Feinsinnigkeit, Geistigkeit, differenzierte Empfindlichkeit so überwiegend vieler moderner Menschen im negativen Geschmack, d.h. in der leichten Verletzbarkeit durch Nicht-Zusagendes, in dem bestimmten Ausschließendes Unsympathischen, in der Repulsion durch Vieles, ja oft durch das Meiste des gebotenen Kreises von Reizen, während der positive Geschmack, das energische Ja-Sagen, das freudige und rückhaltlose Ergreifen des Gefallenden, kurz die aktiv aneignenden Energien große Fehlbeträge aufweisen.

Es erstreckt sich aber jene innere Tendenz, die wir unter dem Symbol der Distanz betrachten, weit über das ästhetische Gebiet hinaus. So muß der philosophische Materialismus, der die Wirklichkeit unmittelbar zu fassen glaubte, auch heute wieder vor subjektivistischen oder neu-kantischen Theorien zurückweichen, die die Dinge erst durch das Medium der Seele brechen oder destillieren lassen, ehe sie sie zu Erkenntnissen werden lassen. Der Subjektivismus der neueren Zeit hat dasselbe Grundmotiv, von dem uns die Kunst getragen schien: ein innigeres und wahreres Verhältnis zu den Dingen dadurch zu gewinnen, daß wir, uns in uns selbst zurückziehend, von ihnen abrücken, oder die immer bestehende Distanz [540] gegen sie nun bewußt anerkennen. Und wenn dieser Subjektivismus unvermeidlicher Weise mit dem stärkeren Selbstbewußtsein unserer Innerlichkeit diese auch häufiger betonen und besprechen läßt, so ist doch andrerseits mit ihm eine neue, tiefere, bewußtere Scham verbunden, eine zarte Scheu, das Letzte auszusprechen oder auch einem Verhältnis die naturalistische Form zu geben, die sein Innerstes Fundament fortwährend sichtbar machte. Und auf weiteren wissenschaftlichen Gebieten: innerhalb der ethischen Überlegungen tritt die platte Nützlichkeit als Wertmaßstab des Wollens immer weiter zurück, man sieht, daß dieser Charakter des Handelns eben nur dessen Beziehung zu dem Allernächstliegenden betrifft und daß es deshalb seine eigentümliche Direktive, die es über seine bloße Technik als Mittel heraushebe, von höher aufblickenden, oft religiösen, der sinnlichen Unmittelbarkeit kaum verwandten Prinzipien erhalten muß. Endlich: über der spezialistischen Detailarbeit erhebt sich von allen Seiten her der Ruf nach Zusammenfassung und Verallgemeinerung, also nach einer überschauenden Distanz von allen konkreten Einzelheiten, nach einem Fernbild, in dem alle Unruhe des Nahewirkenden aufgehoben und das bisher nur Greifbare nun auch begreifbar würde.

Diese Tendenz würde vielleicht nicht so wirksam und merkbar sein, wenn ihr nicht die entgegengesetzte zur Seite ginge. Das geistige Verhältnis zur Welt, das die moderne Wissenschaft stiftet, ist tatsächlich nach beiden Seiten hin auszudeuten. Gewiß sind schon allein durch Mikroskop und Teleskop unendliche Distanzen zwischen uns und den Dingen überwunden worden; aber sie sind doch für das Bewußtsein erst in dem Augenblick entstanden, in dem es sie auch überwand. Nimmt man hinzu, daß jedes gelöste Rätsel mehr als ein neues aufgibt und das Näher-Herankommen an die Dinge uns sehr oft erst zeigt, wie fern sie uns noch sind – so muß man sagen: die Zeiten der Mythologie, der ganz allgemeinen und oberflächlichen Kenntnisse, der Anthropomorphisierung der Natur lassen in subjektiver Hinsicht, nach der Seite des Gefühls und des, wie immer irrigen, Glaubens, eine geringere Distanz zwischen Menschen und Dingen bestehen, als die jetzige. Alle raffinierten Methoden, durch die wir in das Innere der Natur eindringen, ersetzen doch nur sehr langsam und stückweise ihre innig vertraute Nähe, die die Götter Griechenlands, die Deutung der Welt nach menschlichen Impulsen und Gefühlen, die Lenkung ihrer durch einen persönlich eingreifenden Gott, ihre teleologische Einstellung auf das Wohl des Menschen, der Seele gewährt haben. Wir können das also zunächst so bezeichnen, daß die Entwicklung auf eine Überwindung der Distanz in relativ äußerlicher [541] Hinsicht, auf eine Vergrößerung derselben in innerlicher Hinsicht ginge. Hier kann das Recht dieses symbolischen Ausdrucks sich wieder an seiner Anwendbarkeit auf einen ganz anderen Inhalt zeigen. Die Verhältnisse des modernen Menschen zu seinen Umgebungen entwickeln sich im ganzen so, daß er seinen nächsten Kreisen ferner rückt, um sich den ferneren mehr zu nähern. Die wachsende Lockerung des Familienzusammenhanges, das Gefühl unerträglicher Enge im Gebundensein an den nächsten Kreis, dem gegenüber Hingebung oft ebenso tragisch verläuft wie Befreiung, die steigende Betonung der Individualität, die sich gerade von der unmittelbaren Umgebung am schärfsten abhebt – diese ganze Distanzierung geht Hand in Hand mit der Knüpfung von Beziehungen zu dem Fernsten, mit dem Interessiert-sein für weit Entlegenes, mit der Gedankengemeinschaft mit Kreisen, deren Verbindungen alle räumliche Nähe ersetzen. Das Gesamtbild aus alledem bedeutet doch ein Distanznehmen in den eigentlich innerlichen Beziehungen, ein Distanzverringern in den mehr äußerlichen. Wie die kulturelle Entwicklung bewirkt, daß das früher unbewußt und instinktiv Geschehende später mit klarer Rechenschaft und zerlegendem Bewußtsein geschieht, während andrerseits vieles, wozu es sonst angespannter Aufmerksamkeit und bewußter Mühe bedurfte, zu mechanischer Gewöhnung und instinktmäßiger Selbstverständlichkeit wird – so wird hier, entsprechend, das Entfernteste näher, um den Preis, die Distanz zum Näheren zu erweitern.

Der Umfang und die Intensität der Rolle, die das Geld in diesem Doppelprozeß spielt, ist zunächst als Überwindung der Distanz sichtbar. Es bedarf keiner Ausführung, daß allein die Übersetzung der Werte in die Geldform jene Interessenverknüpfungen ermöglicht, die nach dem räumlichen Abstand der Interessenten überhaupt nicht mehr fragen; erst durch sie kann, um ein Beispiel aus hunderten zu nennen, ein deutscher Kapitalist, aber auch ein deutscher Arbeiter an einem spanischen Ministerwechsel, an dem Ertrage afrikanischer Goldfelder, an dem Ausgange einer südamerikanischen Revolution real beteiligt sein. Bedeutsamer aber erscheint mir das Geld als Träger der entgegengesetzten Tendenz. Jene Lockerung des Familienzusammenhanges geht doch von der wirtschaftlichen Sonderinteressiertheit der einzelnen Mitglieder aus, die nur in der Geldwirtschaft möglich ist. Sie bewirkt vor allem, daß die Existenz auf die ganz individuelle Begabung gestellt werden kann; denn nur die Geldform des Äquivalents gestattet die Verwertung sehr spezialisierter Leistungen, die ohne diese Umsetzung in einen allgemeinen Wert kaum zu gegenseitigem Austausch gelangen könnten. Indem sie nun weiter auch die individuelle Anknüpfung nach außen erleichtert, [542] den Eintritt in fremde Kreise, die nur nach der geldwerten Leistung oder dem Geldbeitrag ihrer Mitglieder fragen, – formt sie die Familie zum äußersten Gegensatz der Struktur, die der mehr kollektive Besitz, insbesondere als Grundeigentum, ihr verlieh. Dieser schuf eine Solidarität der Interessen, die sich soziologisch als eine Kontinuität im Zusammenhang der Familienmitglieder darstellte, während die Geldwirtschaft diesen eine gegenseitige Distanzierung ermöglicht, ja sogar aufdrängt. Über das Familienleben hinaus ruhen gewisse weitere Formen des modernen Daseins gerade auf der Distanzierung durch den Geldverkehr. Denn er legt eine Barriere zwischen die Personen, indem immer nur der eine von zwei Kontrahenten das bekommt, was er eigentlich will, was seine spezifischen Empfindungen auslöst, während der andere, der zunächst nur Geld bekommen hat, eben jenes erst bei einem Dritten suchen muß. Daß jeder von beiden mit einer ganz anderen Art von Interesse an die Transaktion herangeht, fügt dem Antagonismus, den schon die Entgegengesetztheit der Interessen von vornherein bewirkt, eine neue Fremdheit hinzu. In demselben Sinne wirkt die früher behandelte Tatsache, daß das Geld eine durchgängige Objektivierung des Verkehrs mit sich bringt, ein Ausschalten aller personalen Färbung und Richtung – im Verein mit der anderen, daß die Zahl der auf Geld gestellten Verhältnisse stetig zunimmt und die Bedeutung des Menschen für den Menschen mehr und mehr, wenn auch oft in sehr versteckter Form, auf geldmäßige Interessen zurückgeht. Auf diese Weise entsteht wie gesagt eine innere Schranke zwischen den Menschen, die aber allein die moderne Lebensform möglich macht. Denn das Aneinander-Gedrängtsein und das bunte Durcheinander des großstädtischen Verkehrs wären ohne jene psychologische Distanzierung einfach unerträglich. Daß man sich mit einer so ungeheuren Zahl von Menschen so nahe auf den Leib rückt, wie die jetzige Stadtkultur mit ihrem kommerziellen, fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde den modernen, sensibeln und nervösen Menschen; völlig verzweifeln lassen, wenn nicht jene Objektivierung des Verkehrscharakters eine innere Grenze und Reserve mit sich brächte. Die entweder offenbare oder in tausend Gestalten verkleidete Geldhaftigkeit der Beziehungen schiebt eine unsichtbare, funktionelle Distanz zwischen die Menschen, die ein innerer Schutz und Ausgleichung gegen die allzu gedrängte Nähe und Reibung unseres Kulturlebens ist.

Die gleiche Funktion des Geldes für den Lebensstil steigt nun noch tiefer in das Einzelsubjekt selbst hinab, als Distanzierung nicht gegen andere Personen, sondern gegen die Sachgehalte des Lebens. [543] Schon daß ein Vermögen heute aus Produktionsmitteln, statt wie in primitiven Epochen aus Konsumtionsmitteln besteht, ist eine enorme Distanzierung. Wie sich in die Herstellung der Kulturobjekte selbst immer mehr und mehr Stationen einschieben – indem das Produkt immer weiter vom Rohstoff abliegt –, so stellt die jetzige Art des Vermögensbesitzes den Eigentümer technisch und infolgedessen auch innerlich in eine viel weitere Entfernung von dem definitiven Zwecke alles Vermögens, als zu den Zeiten, wo Vermögen nur die Fülle unmittelbarer Konsumtionsmöglichkeiten bedeutete. Auf dem Gebiet der Produktion wird der gleiche innere Erfolg durch die Arbeitsteilung begünstigt, die durch das Geldwesen wechselwirkend bedingt ist. Je weniger jeder Einzelne ein Ganzes schafft, desto durchgehender erscheint sein Tun als bloßes Vorstadium, desto weiter scheint die Quelle seiner Wirksamkeiten von deren Mündung, dem Sinn und Zweck der Arbeit, abgerückt. Und nun unmittelbar: wie sich das Geld zwischen Mensch und Mensch schiebt, so zwischen Mensch und Ware. Seit der Geldwirtschaft stehen uns die Gegenstände des wirtschaftlichen Verkehrs nicht mehr unmittelbar gegenüber, unser Interesse an ihnen wird erst durch das Medium des Geldes gebrochen, ihre eigene sachliche Bedeutung rückt dem Bewußtsein ferner, weil ihr Geldwert diese aus ihrer Stelle in unseren Interessenzusammenhängen mehr oder weniger herausdrängt. Erinnern wir uns der früheren Ausmachungen, wie oft das Zweckbewußtsein auf der Stufe des Geldes halt macht, so zeigt sich, daß das Geld uns mit der Vergrößerung seiner Rolle in immer weitere psychische Distanz zu den Objekten stellt, oft in eine solche, daß ihr qualitatives Wesen uns davor ganz außer Sehweite rückt und die innere Berührung mit ihrem vollen, eigenen Sein durchbrochen wird. Und das gilt nicht nur für die Kulturobjekte. Unser ganzes Leben wird durch die Entfernung auch von der Natur gefärbt, die das geldwirtschaftliche und das davon abhängige städtische Leben erzwingt. Allerdings wird vielleicht erst durch sie die eigentlich ästhetische und romantische Empfindung der Natur möglich. Wer es nicht anders kennt, als in unmittelbarer Berührung mit der Natur zu leben, der mag ihre Reize wohl subjektiv genießen, aber ihm fehlt die Distanz zu ihr, aus der allein ein eigentlich ästhetisches Betrachten ihrer möglich ist, und durch die außerdem jene stille Trauer, jenes Gefühl sehnsüchtigen Fremdseins und verlorener Paradiese entsteht, wie sie das romantische Naturgefühl charakterisieren. Wenn der moderne Mensch seine höchsten Naturgenüsse in den Schneeregionen der Alpen und an der Nordsee zu finden pflegt, so ist das wohl nicht allein durch das gesteigerte Aufregungsbedürfnis zu erklären; sondern auch so, daß diese unzugängige, [544] uns eigentlich zurückstoßende Welt die äußerste Steigerung und Stilisierung dessen darstellt, was uns Natur überhaupt noch ist: ein seelisches Fernbild, das selbst in den Augenblicken körperlicher Nähe wie ein innerlich Unerreichbares, ein nie ganz eingelöstes Versprechen vor uns steht und selbst unsere leidenschaftlichste Hingabe mit einer leisen Abwehr und Fremdheit erwidert. Daß erst die moderne Zeit die Landschaftsmalerei ausgebildet hat – die, als Kunst, nur in einem Abstand vom Objekte und im Bruch der natürlichen Einheit mit ihm leben kann – und daß auch erst sie das romantische Naturgefühl kennt, das sind die Folgen jener Distanzierung von der Natur, jener eigentlich abstrakten Existenz, zu der das auf die Geldwirtschaft gebaute Stadtleben uns gebracht hat. Und dem widerspricht nicht, daß gerade der Geldbesitz uns die Flucht in die Natur gestattet. Denn gerade daß sie für den Stadtmenschen nur unter dieser Bedingung zu genießen ist, das schiebt – in wie vielen Umsetzungen und bloßen Nachklängen auch immer – zwischen ihn und sie jene Instanz ein, die nur verbindet, indem sie zugleich trennt.

Im weiteren Maße tritt diese Bedeutung des Geldwesens an seiner Steigerung, dem Kredite, hervor. Der Kredit spannt die Vorstellungsreihen noch mehr und mit einem entschiedeneren Bewußtsein ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die Zwischeninstanz des baren Geldes es für sich tut. Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer ist gleichsam aus der gradlinigen Verbindung ihrer hinaus und in einer weiten Distanz von ihnen festgelegt: die Tätigkeit des Einzelnen wie der Verkehr bekommt dadurch den Charakter der Langsichtigkeit und den der gesteigerten Symbolik. Indem der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke in perspektivischer Verkürzung zusammendrängt. Und wie uns das Geld von den Dingen entfernt, aber auch – in diesen gegensätzlichen Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend – sie uns näher bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnnis zu unserem Vermögensbestande. Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben worden, daß er ein Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde; manche Individuen ließen sich angesichts ihres Kassenbarbestandes leichter zu unnützen Ausgaben verleiten, als wenn sie denselben im Depot eines Dritten haben und erst durch eine Anweisung darüber verfügen müssen. Andrerseits aber scheint mir die Versuchung zum Leichtsinn gerade besonders verführerisch, wenn man das viele wegzugebende Geld nicht vor sich sieht, sondern [545] nur mit einem Federzug darüber verfügt. Die Form des Scheckverkehrs rückt uns einerseits durch den mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde, den wir immer erst in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab, andrerseits aber erleichtert sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen der technischen Bequemlichkeit, sondern auch psychologisch, weil das bare Geld uns seinen Wert sinnlicher vor Augen stellt und uns damit die Trennung von ihm erschwert.

Von den einschlägigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Verkehrs greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber sehr bezeichnend ist. Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann habe ihm einmal definiert: »ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen bare Zahlung kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der mich alle sechs Monate mit einem Scheck bezahlt«. Hier ist zunächst die Grundempfindung bemerkenswert: daß nicht ein Gentleman vorausgesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern daß derjenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist. Daß so der Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf zweierlei Empfindungsrichtungen zurück. Zunächst darauf, daß er Vertrauen fordert. Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren Wert nicht sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran einfach vorauszusetzen – weshalb denn auch, entsprechend, alles ostentative Hervorkehren des Reichtums so spezifisch unvornehm ist. Gewiß enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch verlangt, daß man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und zwar mit der Nuance, daß er, in der absoluten Sicherheit über sich selbst, dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen keine Risikoprämie dafür gewährt: aus eben dieser Grundempfindung heraus sagt das Schillersche Epigramm, daß adlige Naturen nicht mit dem, was sie tun, sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen. Es ist begreiflich, wie die bare, Zug Hin Zug erfolgende Zahlung für jenen Kaufmann etwas kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der wirtschaftlichen Reihe in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit eine Distanz zwischen ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens beherrscht. Es ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, daß das ursprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und voneinander abgerückt, nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht werden. Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wertausgleichung eine Distanz gesetzt, deren Pole durch den Glauben zusammengehalten werden; wie Religiosität um [546] so höher steht, eine je unermeßlichere Distanz sie – im Gegensatz zu allem Anthropomorphismus und allen sinnlichen Erweisen – zwischen Gott und der Einzelseele bestehen läßt, um gerade damit das äußerste Maß des Glaubens hervorzurufen, das jene Distanz überbrücke. Daß bei dem größeren Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das Vornehmheitsmoment beim Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran, daß er hier eine unpersönliche Organisation geworden ist und das Vertrauen den eigentlich persönlichen Charakter – ohne den die Kategorie der Vornehmheit nicht anwendbar ist – verloren hat: der Kredit Ist eine technische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten, psychologischen übertönen geworden. – Und zweitens: jene Aufhäufung der kleinen Schulden bis zu der schließlichen Bezahlung mit dem Scheck bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kaufmann, die fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei jedesmaligem barem Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung des Kaufmanns hat, äußerlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die Form eines Tributes, einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser, wenigstens in dem einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt. Indem nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von Person zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Scheckbank, wird diese Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die Distanz zwischen dem »Gentleman« und dem Krämer betont, die den Begriff des ersteren entstehen läßt und für die diese Art des Verkehrs allerdings der adäquate Ausdruck ist.

Ich begnüge mich mit diesem singulären Beispiel für die distanzierende Wirkung des Kredites auf den Lebensstil und schildere nur noch einen sehr allgemeinen, auf die Bedeutung des Geldes zurückweisenden Zug des letzteren. Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, durch die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen – als sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der Dinge. Dies hängt ersichtlich von dem hier oft hervorgehobenen Übergewicht ab, das mit gewachsener Kultur die Mittel über die Zwecke des Lebens gewinnen. Neben dem Gelde ist hierfür vielleicht der Militarismus das schlagendste Beispiel. Das stehende Heer ist bloße Vorbereitung, latente Energie, Eventualität, deren Definitivum und Zweck nicht nur jetzt verhältnismäßig selten eintritt, sondern auch mit allen Kräften zu vermeiden gesucht wird; ja, die äußerste Anspannung der militärischen Kräfte wird als das einzige Mittel gepriesen, ihre eigene Entladung zu verhindern. An [547] diesem teleologischen Gewebe haben wir also den Widersprach der Übertönung des Zwecks durch das Mittel zu absoluter Höhe gehoben: indem der wachsenden Bedeutung des Mittels eine gerade in demselben Maß wachsende Perhorreszierung und Verneinung seines Zwecks entspricht. Und dieses Gebilde durchdringt das Volksleben mehr und mehr, greift in den weitesten Umkreis personaler, innerpolitischer und Produktionsverhältnisse ein, gibt gewissen Altersstufen und gewissen sozialen Kreisen direkt und indirekt ihre Färbung! Weniger kraß, aber gefährlicher und schleichender tritt diese Richtung auf das Illusorisch-Werden der Endzwecke vermittels der Fortschritte und der Bewertung der Technik auf. Wenn die Leistungen derselben in Wirklichkeit zu demjenigen, worauf es im Leben eigentlich und schließlich ankommt, eben doch höchstens im Verhältnis von Mittel oder Werkzeug, sehr oft aber in gar keinem stehen – so hebe ich von den mancherlei Veranlassungen, diese Rolle der Technik zu verkennen, nur die Großartigkeit hervor, zu der sie sich in sich entwickelt hat. Es ist einer der verbreitetsten und fast unvermeidlichen menschlichen Züge, daß die Höhe, Größe und Vollendung, welche ein Gebiet innerhalb seiner Grenzen und unter den ihm eignen Voraussetzungen erlangt hat, mit der Bedeutsamkeit dieses Gebietes als ganzen verwechselt wird; der Reichtum und die Vollkommenheit der einzelnen Teile, das Maß, in dem das Gebiet sich seinem eignen immanenten Ideale nähert, gilt gar zu leicht als Wert und Würde desselben überhaupt und in seinem Verhältnis zu den anderen Lebensinhalten. Die Erkenntnis, daß etwas in seinem Genre und gemessen an den Forderungen seines Typus sehr hervorragend sei, während dieses Genre und Typus selbst weniges und niedriges bedeute – diese Erkenntnis setzt in jedem einzelnen Falle ein sehr geschärftes Denken und differenziertes Wertempfinden voraus. Wie häufig unterliegen wir der Versuchung, die Bedeutung der eignen Leistung dadurch zu exaggerieren, daß wir der ganzen Provinz, der sie angehört, übertriebene Bedeutung beilegen! – indem wir ihre relative Höhe auf jenes Ganze überfließen lassen und sie dadurch zu einer absoluten steigern. Wie oft verleitet der Besitz einer hervorragenden Einzelheit irgendeiner Wertart – von den Gegenständen der Sammelmanien anfangend bis zu den spezialistischen Kenntnissen eines wissenschaftlichen Sondergebietes – dazu, eben diese Wertart als ganze im Zusammenhange des Wertkosmos so hoch zu schätzen, wie jene Einzelheit es innerhalb ihrer verdient! Es ist, im Grunde genommen, immer der alte metaphysische Fehler: die Bestimmungen, welche die Elemente eines Ganzen untereinander, also relativerweise, aufzeigen, auf das Ganze zu übertragen – der Fehler, aus dem heraus [548] z.B. die Forderung ursächlicher Begründung, die für alle Teile der Welt und für deren Verhältnis untereinander gut, auch dem Ganzen der Welt gegenüber erhoben wird. Den Enthusiasten für die moderne Technik würde es wahrscheinlich sehr wunderlich vorkommen, daß ihr inneres Verhalten demselben Formfehler unterliegen soll, wie das der spekulierenden Metaphysiker. Und doch ist es so: die relative Höhe, welche die technischen Fortschritte der Gegenwart gegenüber den früheren Zuständen und unter vorausgesetzter Anerkennung gewisser Ziele erreicht haben, wächst ihnen zu einer absoluten Bedeutung dieser Ziele und also jener Fortschritte aus. Gewiß haben wir jetzt statt der Tranlampen Azetylen und elektrisches Licht; allein der Enthusiasmus über die Fortschritte der Beleuchtung vergißt manchmal, daß das Wesentliche doch nicht sie, sondern dasjenige ist, was sie besser sichtbar macht; der förmliche Rausch, in den die Triumphe von Telegraphie und Telephonie die Menschen versetzt haben, läßt sie oft übersehen, daß es doch wohl auf den Wert dessen ankommt, was man mitzuteilen hat, und daß dem gegenüber die Schnelligkeit oder Langsamkeit des Beförderungsmittels sehr oft eine Angelegenheit ist, die ihren jetzigen Rang nur durch Usurpation erlangen konnte. Und so auf unzähligen Gebieten.

Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine Zusammenfassung und Aufgipfelung in der Tatsache, daß die Peripherie des Lebens, die Dinge außerhalb seiner Geistigkeit, zu Herren über sein Zentrum geworden sind, über uns selbst. Es ist schon richtig, daß wir die Natur damit beherrschen, daß wir ihr dienen; aber in dem herkömmlichen Sinne doch nur für die Außenwerke des Lebens richtig. Sehen wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes Verfügenkönnen über die äußere Natur, das die Technik uns einträgt, den Preis, in ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in der Geistigkeit zu verzichten. Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deutlich an den Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre Objektivität und Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte Gegenteil dieser Vorzüge verrät. Daß wir die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher Begriff, da er irgendeinen Widerstand, ein teleologisches Moment in der Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene Gesetzmäßigkeit nicht abbiegt – während alle Vorstellungen von Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfensein nur darin Sinn haben, daß ein entgegenstehender Wille gebrochen ist. Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucksweise, daß die Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen unentrinnbaren Zwang auferlege. [549] Denn zunächst wirken Naturgesetze überhaupt nicht, da sie nur die Formeln für die allein möglichen Wirksamkeiten: der einzelnen Stoffe und Energien, sind. Die Naivität einer mißverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob die Naturgesetze als reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein Herrscher sein Reich, steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren Lenkung der irdischen Dinge durch den Finger Gottes. Und nicht weniger irreführend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen, dem das Naturgeschehen unterliegen soll. Unter diesen Kategorien empfindet nur die menschliche Seele das Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr Regungen entgegenstehen, die uns in andere Richtungen führen möchten. Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jenseits der Alternative von Freiheit und Zwang, und mit dem »Müssen« wird in das einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der nur für bewußte Seelen einen Sinn hat. Wären dies alles auch nur Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch alle oberflächlicher Denkenden auf anthropomorphistische Irrwege, und zeigt, daß die mythologische Denkweise auch innerhalb der naturwissenschaftlichen Weltanschauung ein Unterkommen findet. Jener Begriff einer Herrschaft des Menschen über die Natur erleichtert die selbstschmeichlerische Verblendung über unser Verhältnis zu ihr, die doch selbst auf dem Boden dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre. Der äußerlichen Objektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings die wachsende Herrschaft auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch gar nicht entschieden, daß der subjektive Reflex, die nach innen schlagende Bedeutung dieser historischen Tatsache nicht im entgegengesetzten Sinn verlaufen könne. Man lasse sich nicht durch das ungeheure Maß von Intelligenz beirren, vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervorgebracht sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft zur Herrscherin des Lebens zu machen, – zu verwirklichen scheint. Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der Natur in unser Leben hineinzieht, sind ebensoviele Fesseln, die uns binden und uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für die Hauptsache des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müßte. Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, daß die Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur abnehmen sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herabgedrückt hat, – so gilt es für feinere und umfassendere innerliche Beziehungen erst recht: der Satz, daß wir die Natur beherrschen, indem wir ihr dienen, hat den fürchterlichen Revers, daß wir ihr dienen, indem wir sie beherrschen. Es ist sehr mißverständlich, daß die Bedeutsamkeit und [550] geistige Potenz des modernen Lebens aus der Form des Individuums in die der Massen übergegangen wäre; viel eher ist sie in die Form der Sachen übergegangen, lebt sich aus in der unübersehbaren Fülle, wunderbaren Zweckmäßigkeit, komplizierten Feinheit der Maschinen, der Produkte, der überindividuellen Organisationen der jetzigen Kultur. Und entsprechend ist der »Sklavenaufstand«, der die Selbstherrlichkeit und den normgebenden Charakter des starken Einzelnen zu entthronen droht, nicht der Aufstand der Massen, sondern der der Sachen. Wie wir einerseits die Sklaven des Produktionsprozesses geworden sind, so andrerseits die Sklaven der Produkte: d.h., was uns die Natur vermöge der Technik von außen liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend Zerstreuungen, tausend Bedürfnisse äußerlicher Art über das Sich-Selbst-Gehören, über die geistige Zentripetalität des Lebens Herr geworden. Damit hat das Dominieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern den Sitz der Zwecke überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke zusammenlaufen, weil sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm entspringen können. So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen ihn und sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteiglichkeit von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten, Genießbarkeiten geschoben.

Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem zentralen und definitiven Sinne, wüßte ich übrigens keine Zeit, der dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen. Vielmehr, da der Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel gestellt ist, so ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem, Widerstreit der Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die die Mittel stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit, für sich Kraft und Bewußtsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm, sondern einem ändern gelten. Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die Dauer versöhnter Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen. Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit gerade darauf ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, der psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften sich die Lebensstile mit am charakteristischsten unterscheiden. Für die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein Überwiegen des klaren, intelligenten Bewußtseins – als Ursache wie als Folge – bedeutet, habe ich hervorgehoben, daß die Geistigkeit und Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein dumpfes Gefühl von Spannung und [551] unorientierter Sehnsucht rächt; als ein Gefühl, als läge der ganze Sinn unserer Existenz in einer so weiten Ferne, daß wir ihn gar nicht lokalisieren können und so immer in Gefahr sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen – und dann wieder, als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der Hand würden wir ihn greifen, wenn nicht immer gerade ein Geringes von Mut, von Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte. Ich glaube, daß diese heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen unter der Schwelle des Bewußtseins, das den jetzigen Menschen vom Sozialismus zu Nietzsche, von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu Schopenhauer und wieder zurückjagt – nicht nur der äußeren Hast und Aufgeregtheit des modernen Lebens entstammt, sondern daß umgekehrt diese vielfach der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten Zustandes ist. Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu, in immer neuen Anregungen, Sensationen, äußeren Aktivitäten eine momentane Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seinerseits in die wirre Halt- und Ratlosigkeit, die sich bald als Tumult der Großstadt, bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Konkurrenz, bald als die spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Gebieten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen offenbart. Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens ergibt sich als einfacher Schluß aus den Prämissen, die alle Erörterungen dieses Buches festgestellt haben. Es genügt also die bloße Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld steht einmal in einer Reihe mit all den Mitteln und Werkzeugen der Kultur, die sich vor die innerlichen und Endzwecke schieben und diese schließlich überdecken und verdrängen. Bei ihm treten, teils wegen der Leidenschaft seines Begehrtwerdens, teils wegen seiner eigenen Leerheit und bloßen Durchgangscharakters die Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Verschiebung am auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die graduell höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der Distanzierung zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und restloser als die anderen technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in keiner anderen Weise; auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes, sondern nur als der vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich auch unterhalb seiner in einer Stufenfolge von Erscheinungen darstellen. Nach einer anderen Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits dieser ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst zustande kommen. Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als die allgemeinste Technik des äußeren Lebens, ohne die die einzelnen [552] Techniken unserer Kultur unentstanden geblieben wären. Also auch nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit seiner Funktionen, durch deren Vereinigung es die Form der größten und tiefsten Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: daß es einerseits in den Reihen der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter Gleichen steht, und daß es andrerseits über ihnen steht, als zusammenfassende, alles Einzelne tragende und durchdringende Macht. So ist die Religion eine Macht im Leben, neben seinen ändern Interessen und oft gegen sie, einer der Faktoren, deren Gesamtheit das Leben ausmacht, und andrerseits die Einheit und der Träger des ganzen Daseins selbst – einerseits ein Glied des Lebensorganismus, andrerseits diesem gegenüberstehend, indem sie ihn in der Selbstgenügsamkeit ihrer Höhe und Innerlichkeit ausdrückt. –

Ich komme nun zu einer zweiten Stilbestimmtheit des Lebens, die nicht, wie die Distanzierung, durch eine räumliche, sondern durch eine zeitliche Analogie bezeichnet wird; und zwar, da die Zeit inneres und äußeres Geschehen gleichmäßig umfaßt, wird die Wirklichkeit damit unmittelbarer und mit geringerer Inanspruchnahme der Symbolik als in dem früheren Falle charakterisiert. Es handelt sich um den Rhythmus, in dem die Lebensinhalte auftreten und zurücktreten, um die Frage, inwieweit die verschiedenen Kulturepochen überhaupt die Rhythmik in dem Abrollen derselben begünstigen oder zerstören, und ob das Geld nicht nur in seinen eigenen Bewegungen daran teil hat, sondern auch jenes Herrschen oder Sinken der Periodik des Lebens von sich aus beeinflußt. Auf den Rhythmus von Hebung und Senkung ist unser Leben in all seinen Reihen eingestellt; die Wellenbewegung, die wir in der äußeren Natur unmittelbar und als die zugrunde liegende Form so vieler Erscheinungen erkennen, beherrscht auch die Seele im weitesten Kreise. Der Wechsel von Tag und Nacht, der unsere ganze Lebensform bestimmt, zeichnet uns die Rhythmik als allgemeines Schema vor; wir können nicht zwei, dem Sinne nach koordinierte Begriffe aussprechen, ohne daß psychologisch der eine den Akzent der Hebung, der andere den der Senkung erhielte: so ist z.B. »Wahrheit und Dichtung« etwas ganz anderes als »Dichtung und Wahrheit«. Und wo von drei Elementen das dritte dem zweiten koordiniert sein soll, ist auch dies psychologisch nicht vollkommen zu realisieren, sondern die Wellenform des Seelischen strebt dem dritten einen dem ersten ähnlichen Akzent zu geben: z.B. ist das Versmaß — ñ ñ gar nicht völlig korrekt auszusprechen, sondern unvermeidlich wird die dritte Silbe schon wieder etwas stärker als die zweite betont. Die Einteilung der Tätigkeitsreihen, im großen wie im kleinen, in rhythmisch wiederholte Perioden dient [553] zunächst der Kraftersparnis. Durch den Wechsel innerhalb der einzelnen Periode werden die Tätigkeitsträger, physischer oder psychischer Art, ab wechselnd geschont, während zugleich die Regelmäßigkeit des Turnus eine Gewöhnung an den ganzen Bewegungskomplex schafft, deren allmähliches Festerwerden jede Wiederholung erleichtert. Der Rhythmus genügt gleichzeitig den Grundbedürfnissen nach Mannigfaltigkeit und nach Gleichmäßigkeit, nach Abwechslung und nach Stabilität: indem jede Periode für sich aus differenten Elementen, Hebung und Senkung, quantitativen oder qualitativen Mannigfaltigkeiten besteht, die regelmäßige Wiederholung ihrer aber Beruhigung, Uniformität, Einheitlichkeit im Charakter der Reihe bewirkt. An der Einfachheit oder der Komplikation der Rhythmik, der Länge oder Kürze ihrer einzelnen Perioden, ihrer Regelmäßigkeit, ihren Unterbrechungen, oder auch ihrem Ausbleiben finden die individuellen und die sozialen, die sachlichen und die historischen Lebensreihen gleichsam ihre abstrakte Schematik. Innerhalb der hier fraglichen Kulturentwicklungen begegnen zunächst eine Reihe von Erscheinungen, die in früheren Stadien rhythmisch, in späteren aber kontinuierlich oder unregelmäßig verlaufen. Vielleicht die auffallendste: der Mensch hat keine bestimmte Paarungszeit mehr, wie sie fast bei allen Tieren besteht, bei denen sich sexuelle Erregtheit und Gleichgültigkeit scharf gegeneinander absetzen; unkultivierte Völker weisen mindestens noch Reste dieser Periodik auf. Die Verschiedenheit in der Brunstzeit der Tiere hängt wesentlich daran, daß die Geburten zu derjenigen Jahreszeit erfolgen müssen, in der Nahrungs- und klimatische Verhältnisse für das Aufbringen der Jungen am günstigsten sind; tatsächlich werden auch bei einigen der sehr rohen Australneger, die keine Haustiere haben und deshalb regelmäßigen Hungersnöten unterliegen, nur zu einer bestimmten Zeit des Jahres Kinder geboren. Der Kulturmensch hat sich durch seine Verfügung über Nahrung und Wetterschutz hiervon unabhängig gemacht, so daß er in dieser Hinsicht seinen individuellen Impulsen und nicht mehr allgemein, also notwendig rhythmisch, bestimmten, folgt: die oben genannten Gegensätze der Sexualität sind bei ihm in ein mehr oder weniger fluktuierendes Kontinuum übergegangen. Immerhin ist festgestellt, daß die noch beobachtbare Periodizität des Geburtenmaximums und -minimums in wesentlich Ackerbau treibenden Gegenden entschiedener ist als in industriellen, auf dem Lande entschiedener als in Städten. Weiter: das Kind unterliegt einem unbezwinglichen Rhythmus von Schlafen und Wachen, von Betätigungslust und Abgespanntheit, und annähernd ist das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten – während für den Stadtmenschen [554] diese Regelmäßigkeit der Bedürfnisse (nicht nur ihrer Befriedigungen!) längst durchbrochen ist. Und wenn es wahr ist, daß die Frauen die undifferenziertere, der Natur noch unmittelbarer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so könnte die Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als Bestätigung dafür dienen. Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder dem Jagdertrag, weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden Händlers oder von dem periodischen Markte abhängig ist, da muß sich das Leben nach sehr vielen Richtungen hin in einem Rhythmus von Expansion und Kontraktion bewegen. Für manche Hirtenvölker, die sogar schon höher stehen wie jene Australneger, z.B. manche Afrikaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an Weideland fehlt, doch eine jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot. Und selbst wo nicht eine eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch die primitive Wirtschaft für den Selbstbedarf in bezug auf die Konsumtion wenigstens jenes wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen der Gegensätze ineinander, von Mangel zu Überfluß, von Überfluß zu Mangel. Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich. Nicht nur sorgt sie dafür, daß das ganze Jahr über alle erforderlichen Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Konsumtion herab: denn jetzt kann der zeitweilige Überfluß zu Gelde gemacht und sein Genuß dadurch gleichmäßig und kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt werden. Ich erwähne hier endlich, ganz jenseits aller Wirtschaft und nur als charakteristisches Symbol dieser Entwicklung, daß auch in der Musik das rhythmische Element das zuerst ausgeprägte und gerade auf ihren primitivsten Stufen äußerst hervortretende ist. Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie der dortigen Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht, die chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich ein ohrenzerreißender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmäßigkeit besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisender: »Dann kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen Takt miteinander halten.« Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten bringen einen Laut zur Bezauberung der Weibchen hervor, der in einem und demselben, scharf rhythmisch wiederholten Ton besteht – im Unterschied gegen die höher entwickelten Vögel, in deren Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie zurücktritt. Und auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, daß neuerdings die Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur bei Wagner, sondern auch bei [555] gewissen Gegnern von ihm, die in ihren Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korintherbrief und den Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel von Hebung und Senkung macht ausgeglichneren oder unregelmäßigeren Formen Platz. Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirtschaftliche und allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von einer durchgängigen Vergleichmäßigung ergriffen, seit man für Geld alles zu jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der, voll der Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer transindividuellen Periodizität unterwürfe. Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirtschaftsordnung gerade ihr den regelmäßigen Wechsel zwischen Überproduktion und Krisen vorwerfen, so wollen sie damit doch gerade das noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das in eine Kontinuität der Produktion wie des Absatzes überzuführen sei. Ich erinnere an die Ausdehnung des Transportwesens, das von der Periodizität der Fahrpost zu den zwischen den wichtigsten Punkten fast ununterbrochen laufenden Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon fortschreitet, die die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine Zeitbestimmtheit binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung, die den Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Literatur, die uns, unabhängig von dem eigenen organischen Wechsel des Denkprozesses zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es gerade wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt. Kurz, wenn die Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit überwindet, so bedeutet dies, daß die Bestimmtheit zeitlicher Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Tun und Genießen bildet, sondern daß dieses nur noch von dem Verhältnis zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Bedingungen ihrer Betätigung abhängt. Also: die generell dargebotenen Bedingungen sind vom Rhythmus befreit, sind ausgeglichener, um der Individualität Freiheit und mögliche Unregelmäßigkeit zu verschaffen; in diese Differenzierung sind die Elemente von Gleichmäßigkeit und Verschiedenheit, die im Rhythmus vereint sind, auseinandergegangen.

Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die verführerisch einfache Formel zu bannen, daß er von der Rhythmik seiner Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung derselben weiterschritte. Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte der Entwicklung, deren Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeichnungen fordert. Ich untersuche deshalb zunächst [556] die psychologisch-historische Bedeutung jener Rhythmik, wobei ich ihr rein physiologisch veranlaßtes Auftreten, das nur die Periodik der äußeren Natur wiederholt, außer acht lasse.

Man kann den Rhythmus als die auf die Zeit übertragene Symmetrie bezeichnen, wie die Symmetrie als Rhythmus im Raum. Wenn man rhythmische Bewegungen in Linien zeichnet, so werden diese symmetrisch; und umgekehrt: die Betrachtung des Symmetrischen ist ein rhythmisches Vorstellen. Beides sind nur verschiedene Formen desselben Grundmotives. Wie in den Künsten des Ohres der Rhythmus, so ist in denen des Auges die Symmetrie der Anfang aller Gestaltung des Materiales. Um überhaupt in die Dinge Idee, Sinn, Harmonie zu bringen, muß man sie zunächst symmetrisch gestalten, die Teile des Ganzen untereinander ausgleichen, sie ebenmäßig um einen Mittelpunkt herum ordnen. Die formgebende Macht des Menschen gegenüber der Zufälligkeit und Wirrnis der bloß natürlichen Gestaltung wird damit auf die schnellste, sichtbarste und unmittelbarste Art versinnlicht. Die Symmetrie ist der erste Kraftbeweis des Rationalismus, mit dem er uns von der Sinnlosigkeit der Dinge und ihrem einfachen Hinnehmen erlöst. Deshalb sind auch die Sprachen unkultivierter Völker oft viel symmetrischer gebaut, als die Kultursprachen, und sogar die soziale Struktur zeigt z.B. in den »Hundertschaften«, die das Organisationsprinzip der verschiedensten Völker niederer Stufe bilden, die symmetrische Einteilung als einen ersten Versuch der Intelligenz, die Massen in eine überschaubare und lenkbare Form zu bringen. Die symmetrische Anordnung ist, wie gesagt, durchaus rationalistischen Wesens, sie erleichtert die Beherrschung des Vielen und der Vielen von einem Punkte aus. Die Anstöße setzen sich länger, widerstandsloser, berechenbarer durch ein symmetrisch angeordnetes Medium fort, als wenn der innere Bau und die Grenzen der Teile unregelmäßig und fluktuierend sind. Wenn Dinge und Menschen unter das Joch des Systems gebeugt – d.h. symmetrisch angeordnet – sind, so wird der Verstand am schnellsten mit ihnen fertig. Daher hat sowohl der Despotismus wie der Sozialismus besonders starke Neigungen zu symmetrischen Konstruktionen der Gesellschaft, beide, weil es sich für sie um eine starke Zentralisierung der letzteren handelt, um derentwillen die Individualität der Elemente, die Ungleichmäßigkeit ihrer Formen und Verhältnisse zur Symmetrie nivelliert werden muß. In äußerlichem Symbol: Ludwig XIV. soll seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um Türen und Fenster symmetrisch zu haben. Und ebenso konstruieren sozialistische Utopien die lokalen Einzelheiten ihrer Idealstädte oder -staaten immer nach dem Prinzip der Symmetrie: entweder in Kreisform oder in [557] quadratischer Form werden die Ortschaften oder Gebäude angeordnet. In Campanellas Sonnenstaat ist der Plan der Reichshauptstadt mathematisch abgezirkelt, ebenso wie die Tageseinteilung der Bürger und die Abstufung ihrer Rechte und Pflichten. Rabelais Orden der Thelemiten lehrt, in Opposition zu Morus, einen so absoluten Individualismus, daß es in diesem Utopien keine Uhr geben darf, sondern alles nach Bedürfnis und Gelegenheit geschehen soll; aber der Stil der unbedingten Ausgerechnetheit und Rationalisierung des Lebens verlockt ihn doch, die Gebäulichkeiten seines Idealstaates genau symmetrisch anzuordnen: ein Riesenbau in Form eines Sechsecks, in jeder Ecke ein Turm, sechzig Schritt im Durchmesser. Die »Bauhütte« der mittelalterlichen Baugenossenschaften mit ihrer strengen, abgezirkelten, Alles normierenden Lebensweise und Verfassung war möglichst in quadratischer Form gebaut. Dieser allgemeine Zug sozialistischer Pläne zeugt nur in roher Form für die tiefe Anziehungskraft, die der Gedanke der harmonischen, innerlich ausgeglichenen, allen Widerstand der irrationalen Individualität überwindenden Organisation des menschlichen Tuns ausübt. Die symmetrisch-rhythmische Gestaltung bietet sich so als die erste und einfachste dar, mit der der Verstand den Stoff des Lebens gleichsam stilisiert, beherrschbar und assimilierbar macht, als das erste Schema, vermöge dessen er sich in die Dinge hineinbilden kann. Aber eben damit ist auch die Grenze für Sinn und Recht dieses Lebensstiles angedeutet. Denn nach zwei Seiten hin wirkt er vergewaltigend: einmal auf das Subjekt, dessen Impulse und Bedürfnisse doch nicht in prästabilierter, sondern jedesmal nur glücklich-zufälliger Harmonie mit jenem feststehenden Schema auftreten; und nicht weniger der äußeren Wirklichkeit gegenüber, deren Kräfte und Verhältnisse zu uns sich nur gewaltsam in einen so einfachen Rahmen fassen lassen. Unter richtiger Verteilung auf die verschiedenen Geltungsgebiete kann man dies, mit nur scheinbarer Paradoxie, so aussprechen: die Natur ist nicht so symmetrisch wie die Seele es fordert, und die Seele nicht so symmetrisch, wie die Natur es fordert. Alle Gewalttätigkeiten und Inadäquatheiten, die die Systematik gegenüber der Wirklichkeit mit sich bringt, kommen auch der Rhythmisierung und Symmetrie in der Gestaltung der Lebensinhalte zu. Wie es am Einzelmenschen zwar eine erhebliche Kraft verrät, wenn er Personen und Dinge sich assimiliert, indem er ihnen die Form und das Gesetz seines Wesens aufzwingt, wie aber der noch größere Mensch den Dingen in ihrer Eigenart gerecht wird und sie gerade mit dieser und gemäß ihrer in den Kreis seiner Zwecke und seiner Macht hineinzieht – so ist es zwar schon eine Höhe des Menschlichen, [558] die theoretische und praktische Welt in ein Schema von uns aus zu zwingen; größer aber ist es, die eigenen Gesetze und Forderungen der Dinge anerkennend und ihnen folgsam, sie erst so in unser Wesen und Wirken einzubauen. Denn das beweist nicht nur eine sehr viel größere Expansionsfähigkeit und Bildsamkeit des letzteren, sondern es kann auch den Reichtum und die Möglichkeiten der Dinge viel gründlicher ausschöpfen. Deshalb sehen wir zwar auf manchen Gebieten den Rhythmus als das spätere, das rationalistisch-systematische Prinzip als die nicht zu überwindende Entwicklungsstufe, andere aber lassen diese der Gestaltung von Fall zu Fall Platz machen und lösen die Vorbestimmtheit des mitgebrachten Schemas in die wechselnden Ansprüche der Sache selbst auf. So sehen wir z.B. daß erst in höheren Kulturverhältnissen die Einrichtung regelmäßiger Mahlzeiten den Tag im allgemeinen rhythmisch gliedert; eine Mehrzahl fester täglicher Mahlzeiten scheint bei keinem Naturvolk vorzukommen. Im Gegensatz dazu haben wir freilich schon oben bemerkt, daß in bezug auf das Ganze der Ernährung Naturvölker oft einen regelmäßigen Rhythmus von Entbehrungsperioden und Zeiten schwelgerischen Verjubelns haben, den die höhere Wirtschaftstechnik völlig beseitigt hat. Allein jene Gleichmäßigkeit täglicher Mahlzeiten erreicht ihre große Stabilität zwar auf sehr hohen, vielleicht aber doch nicht auf den allerhöchsten Stufen der sozialen und geistigen Skala. In der obersten Gesellschaftsschicht erleidet dieselbe durch den Beruf, die Geselligkeit und komplizierte Rücksichten vielerlei Art wieder manchen Abbruch, und zu eben demselben werden den Künstler und den Gelehrten die wechselnden Anforderungen der Sache wie der Stimmungen des Tages veranlassen. Dies weist schon darauf hin, wie sehr der Rhythmus der Mahlzeiten – und sein Gegenteil – dem der Arbeit entspricht. Auch hier lassen verschiedene Reihen ganz verschiedene Verhältnisse erkennen. Der Naturmensch arbeitet genau so unregelmäßig, wie er ißt. Auf gewaltige Kraftanstrengungen, zu denen die Not oder Laune ihn treibt, folgen Zeiten absoluter Faulheit, beides ganz zufällig und prinziplos abwechselnd. Wahrscheinlich mit Recht hat man, wenigstens für die nördlicheren Länder, mit dem pflugmäßigen Ackerbau erst eine feste Ordnung der Tätigkeiten, einen sinnvollen Rhythmus von Anspannung und Abspannung der Kräfte beginnen lassen. Diese Rhythmik erreicht ihren äußersten Grad etwa bei der höheren Fabrikarbeit und bei der Arbeit in Bureaus jeder Art. Auf den Gipfeln der kulturellen Tätigkeit, der wissenschaftlichen, politischen, künstlerischen, kommerziellen, pflegt sie wieder stark herabzusinken; so daß sogar, wenn wir etwa von einem Schriftsteller hören, daß er täglich [559] zu gleicher Minute die Feder in die Hand nimmt und sie zu gleicher wieder fortlegt, dieser stationäre Rhythmus der Produktion uns gegen ihre Inspiration und innere Bedeutung mißtrauisch macht. Aber auch innerhalb des Lohnarbeitertums führt die Entwicklung, wenn auch aus ganz anderen Motiven, zu Ungleichmäßigkeit und Unberechenbarkeit als der späteren Stufe. Bei dem Aufkommen der englischen Großindustrie litten die Arbeiter außerordentlich darunter, daß jede Absatzstockung den Betrieb eines Großunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler kleiner gestört hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen pflegte. Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat gearbeitet, jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren die Löhne jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte jeder Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung. Unter diesen Umständen, so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor, unter dem alten System weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des neuen mit der größeren Unregelmäßigkeit der Beschäftigung überhaupt zu bezahlen. So hat der Kapitalismus und die entsprechende wirtschaftliche Individualisierung, mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes – darum auch meist ihre Inhalte! – zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel zufälligeren Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte bestanden, wo die größere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch den sonstigen Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren Rhythmus verlieh. Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben neuere Untersuchungen nachgewiesen, daß derselbe früher, insbesondere bei dem primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vorkommenden Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Charakter besessen, denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung der Werkzeuge und der Individualisierung der Arbeit, wieder eingebüßt habe. Nun enthält zwar gerade der moderne Fabrikbetrieb wieder stark rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter an die Strenge gleichmäßig wiederholter Bewegungen binden, haben sie eine ganz andere subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik. Denn diese folgte den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer Energetik, die jetzige aber entweder unmittelbar der rücksichtslos objektiven Maschinenbewegung oder dem Zwange für den einzelnen Arbeiter, als Glied einer Gruppe von Arbeitern, deren jeder nur einen kleinen Teilprozeß verrichtet, mit den anderen Schritt zu halten. Vielleicht erzeugte dies eine Abstumpfung des Gefühls für den Rhythmus überhaupt, die die folgende Erscheinung deuten könnte. Die alten Gesellenschaften kämpften wie die heutigen Gewerkvereine um kürzere Arbeitszeit. Aber während die Gesellenschaften die Arbeit [560] von 5 oder 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends akzeptierten, also eigentlich für den ganzen Tag bis zur Schlafenszeit und dafür energisch auf einen ganz freien Tag drangen – kommt es heute auf Kürzung der täglichen Arbeitszeit an. Die Periode, in der der regelmäßige Wechsel von Arbeit und Erholung stattfindet, ist also für den modernen Arbeiter kürzer geworden. Bei den älteren Arbeitern war das rhythmische Gefühl weit und ausdauernd genug, um sich an der Wochenperiode zu befriedigen. Jetzt aber bedarf dieses – was vielleicht Folge, vielleicht Ausdruck gesunkener Nervenkraft ist – häufigerer Reizung, die Alternierung muß rascher erfolgen, um zu jenem subjektiv erwünschten Erfolge zu kommen.

Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema. Es zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe: aus der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich bewegt haben muß, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sachlichen und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmischen und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, anschmiegt. Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der zweiten zur dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen. Noch im 16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so großartigen Geldverkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, außerhalb der regelmäßigen Wechselmessen eine erheblichere Geldsumme aufzutreiben; die Verbreitung dieser Möglichkeit auf jeden beliebigen Augenblick, in dem der Einzelne Geld bedarf, bezeichnet den Übergang zu der vollen Entwicklung der Geldwirtschaft. Immerhin ist es für die Fluktuation zwischen rhythmischer und unrhythmischer Gestaltung des Geldwesens und für das Empfinden derselben bezeichnend, daß von den an die mittelalterliche Schwierigkeit und Irrationalität des Geldverkehrs Gewöhnten der Antwerpener Verkehr eine »unaufhörliche Messe« genannt wurde. Ferner: solange der einzelne Geschäftsmann alle Zahlungen unmittelbar aus seiner Kasse leistet, bzw. in dieselbe einnimmt, muß er zu den Zeiten, wo regelmäßig größere Summen fällig werden, einen erheblichen Barbestand beschaffen, und andrerseits in den Zeiten überwiegender Eingänge dieselben sogleich zweckmäßig unterzubringen wissen. Die Konzentrierung des Geldverkehrs in den großen Banken enthebt ihn dieses periodischen Zwanges zur Anhäufung und. Drainierung; denn nun werden, indem er und seine Geschäftsfreunde mit derselben Girobank arbeiten, Aktiva und Passiva einfach durch buchmäßige Übertragung saldiert, so daß der Kaufmann nur noch eines relativ geringfügigen [561] und immer gleichbleibenden Kassenbestandes für die täglichen Ausgaben bedarf, während die Bank selbst, weil die Ein- und Ausgänge von den verschiedenen Seiten sich im ganzen paralysieren, einen relativ viel kleineren Barbestand, als sonst der individuelle Kaufmann, zu halten braucht. Endlich ein letztes Beispiel. Der mehr oder weniger periodische Wechsel von Not und Plethora in Zeiten unentwickelter Geldkultur bewirkt einen entsprechend periodischen Wechsel des Zinsfußes zwischen großer Billigkeit und schwindelhafter Höhe. Die Vervollkommnung der Geldwirtschaft hat nun diese Schwankungen derartig ausgeglichen, daß der Zinsfuß, mit früheren Zeiten verglichen, kaum noch aus seiner Stabilität weicht und daß eine Änderung des englischen Bankdiskonts um ein Prozent schon als ein Ereignis von großer Bedeutsamkeit gilt; wodurch denn der Einzelne in seinen Dispositionen außerordentlich beweglicher und von der Bedingtheit durch Schwankungen befreit wird, die oberhalb seiner liegen und deren Rhythmus die Erfordernisse seines eigenen Geschäftsgebahrens in eine ihnen oft genug widerstrebende Formung zwang.

Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den Daseinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar. Das Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen, und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen kann, sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegensatz nicht immer, wie in den bisherigen Beispielen, durch Einstellung in Entwicklungsgänge versöhnbar ist, sondern die dauernden Charaktere von Individuen und Gruppen abschließend bezeichnet. Die systematische Lebensform ist nicht nur, wie ich schon hervorhob, die Technik zentralistischer Tendenzen, mögen sie despotischer oder sozialistischer Art sein, sondern sie gewinnt außerdem einen Reiz für sich: die innere Ausgeglichenheit und äußere Geschlossenheit, die Harmonie der Teile und Berechenbarkeit ihrer Schicksale verleiht allen symmetrisch-systematischen Organisationen eine Anziehung, deren Wirkungen weit über alle Politik hinaus an unzähligen öffentlichen und privaten Interessen gestaltende Macht übt. Mit ihr sollen die individuellen Zufälligkeiten des Daseins eine Einheit und Durchsichtigkeit erhalten, die sie zum Kunstwerk macht. Es handelt sich um den gleichen ästhetischen Reiz, wie ihn die Maschine auszuüben vermag. Die absolute Zweckmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Bewegungen, die äußerste Verminderung der Widerstände und Reibungen, das harmonische Ineinandergreifen der kleinsten und der größten Bestandteile: das verleiht der Maschine selbst bei oberflächlicher [562] Betrachtung eine eigenartige Schönheit, die die Organisation der Fabrik in erweitertem Maße wiederholt und die der sozialistische Staat im allerweitesten wiederholen soll. Aber diesem Reize liegt, wie allem Ästhetischen, eine letztinstanzliche Richtung und Bedeutsamkeit des Lebens zum Grunde, eine elementare Beschaffenheit der Seele, von der auch die ästhetische Anziehung oder Bewährung nur eine Erscheinung an äußerem Stoffe ist; wir haben jene nicht eigentlich, wie wir ihre Ausgestaltungen im Material des Lebens: ästhetische, sittliche, soziale, intellektuelle, eudämonistische, haben, sondern wir sind sie. Diese äußersten Entscheidungen der menschlichen Naturen sind mit Worten nicht zu bezeichnen, sondern sie sind nur aus jenen einzelnen Darstellungen ihrer als deren letzte Triebkräfte und Direktiven herauszufühlen. Darum ist der Reiz der entgegengesetzten Lebensform ebenso indiskutabel, in dessen Empfinden sich die aristokratischen und die individualistischen Tendenzen – in welcher Provinz unserer Interessen sie auch auftreten mögen – begegnen. Die historischen Aristokratien vermeiden gern die Systematik, die generelle Formung, die den Einzelnen in ein ihm äußeres Schema einstellt, jedes Gebilde – politischer, sozialer, sachlicher, personaler Art – soll sich gemäß der echt aristokratischen Empfindung als eigenartiges in sich zusammenschließen und bewähren. Der aristokratische Liberalismus des englischen Lebens findet deshalb in der Asymmetrie, in der Befreiung des individuellen Falles von der Präjudizierung durch sein Pendant, den typischsten und gleichsam organischsten Ausdruck seiner Innersten Motive. Ganz direkt hebt Macaulay, der begeisterte Liberale, dies als die eigentliche Stärke des englischen Verfassungslebens hervor. »Wir denken,« so sagt er, »gar nicht an die Symmetrie, aber sehr an die Zweckmäßigkeit; wir entfernen niemals eine Anomalie, bloß weil sie eine Anomalie ist; wir stellen keine Normen von weiterem Umfang auf, als es der besondere Fall, um den es sich gerade handelt, erfordert. Das sind die Regeln, die im ganzen, vom König Johann bis zur Königin Viktoria, die Erwägungen unserer 250 Parlamente geleitet haben.« Hier wird also das Ideal der Symmetrie und logischen Abrundung, die allem Einzelnen von einem Punkte aus seinen Sinn gibt, zugunsten jenes anderen verworfen, das jedes Element sich nach seinen eigenen Bedingungen unabhängig ausleben und so natürlich das Ganze eine regellose und unausgeglichene Erscheinung darbieten läßt. Und es ist ersichtlich, wie tief in die persönlichen Lebensstile dieser Gegensatz heruntersteigt. Auf der einen Seite die Systematisierung des Lebens: seine einzelnen Provinzen harmonisch um einen Mittelpunkt geordnet, alle Interessen sorgfältig abgestuft und jeder Inhalt eines [563] solchen nur soweit zugelassen, wie das ganze System es vorzeichnet; die einzelnen Betätigungen regelmäßig abwechselnd, zwischen Aktivitäten und Pausen ein festgestellter Turnus, kurz, im Nebeneinander wie im Nacheinander eine Rhythmik, die weder der unberechenbaren Fluktuation der Bedürfnisse, Kraftentladungen und Stimmungen, noch dem Zufall äußerer Anregungen, Situationen und Chancen Rechnung trägt – dafür aber eine Existenzform eintauscht, die ihrer selbst dadurch völlig sicher ist, daß sie überhaupt nichts in das Leben hineinzulassen strebt, was ihr nicht gemäß ist oder was sie nicht zu ihrem System passend umarbeiten kann. Auf der anderen Seite: die Formung des Lebens von Fall zu Fall, die innere Gegebenheit jedes Augenblickes mit den koinzidierenden Gegebenheiten der Außenwelt in das möglichst günstige Verhältnis gesetzt, eine ununterbrochene Bereitheit zum Empfinden und Handeln zugleich mit einem steten Hinhören auf das Eigenleben der Dinge, um ihren Darbietungen und Forderungen, wann immer sie eintreten, gerecht zu werden. Damit ist freilich die Berechenbarkeit und sichere Abgewogenheit des Lebens preisgegeben, sein Stil im engeren Sinne, das Leben wird nicht von Ideen beherrscht, die in ihrer Anwendung auf sein Material sich immer zu einer Systematik und festen Rhythmik ausbreiten, sondern von seinen individuellen Elementen aus wird es gestaltet, unbekümmert um die Symmetrie seines Gesamtbildes, die hier nur als Zwang, aber nicht als Reiz empfunden würde. – Es ist das Wesen der Symmetrie, daß jedes Element eines Ganzen nur mit der Rücksicht auf ein anderes und auf ein gemeinsames Zentrum seine Stellung, sein Recht, seinen Sinn erhält; wogegen, sobald jedes Element nur sich selbst gehorcht und sich nur um seiner selbst willen und aus sich selbst entwickelt, das Ganze unvermeidlich unsymmetrisch und zufällig ausfallen wird. Gerade angesichts seines ästhetischen Reflexes zeigt dieser Widerstreit sich als das grundlegende Motiv aller Prozesse, die zwischen einem sozialen Ganzen – politischer, religiöser, familiärer, wirtschaftlicher, geselliger und sonstiger Art – und seinen Individuen spielen. Das Individuum begehrt, ein geschlossenes Ganzes zu sein, eine Gestaltung mit eigenem Zentrum, von dem aus alle Elemente seines Seins und Tuns einen einheitlichen, aufeinander bezüglichen Sinn erhalten. Soll dagegen das überindividuelle Ganze in sich abgerundet sein, soll es mit selbstgenugsamer Bedeutsamkeit eine eigene objektive Idee verwirklichen – so kann es jene Abrundung seiner Glieder nicht zulassen – man kann keinen Baum aus Bäumen erwachsen lassen, sondern nur aus Zellen, kein Gemälde aus Gemälden, sondern aus Pinselstrichen, deren keiner für sich Fertigkeit, Eigenleben, ästhetischen Sinn besitzt. Die Totalität des Ganzen – so [564] sehr sie nur in gewissen Aktionen Einzelner, ja vielleicht innerhalb jedes Einzelnen praktische Wirklichkeit gewinnt – steht in einem ewigen Kampfe gegen die Totalität des Individuums. Das ästhetische Bild desselben ist deshalb so besonders nachdrücklich, weil sich gerade der Reiz der Schönheit immer nur an ein Ganzes knüpft – habe es unmittelbare, habe es durch Phantasie ergänzte Anschaulichkeit, wie das Fragment; es ist der ganze Sinn der Kunst, aus einem zufälligen Bruchstück der Wirklichkeit, dessen Unselbständigkeit durch tausend Fäden mit dieser verbunden ist, eine in sich ruhende Totalität, einen jedes Außerhalbseiner unbedürftigen Mikrokosmos zu gestalten. Der typische Konflikt zwischen dem Individuum und dem überindividuellen Sein ist darstellbar als das unvereinbare Streben beider, zu einem ästhetisch befriedigenden Bilde zu werden.

Das Geld scheint zunächst nur der Ausprägung einer dieser Gegensatzformen zu dienen. Denn es selbst ist absolut formlos, es enthält in sich nicht den geringsten Hinweis auf eine regelmäßige Hebung und Senkung der Lebensinhalte, es bietet sich jeden Augenblick mit der gleichen Frische und Wirksamkeit dar, es nivelliert durch seine Fernwirkungen wie durch seine Reduktion der Dinge auf ein und dasselbe Wertmaß unzählige Schwankungen, gegenseitige Ablösungen von Distanz und Annäherung, Schwingung und Stillstand, die dem Individuum sonst allgemeingültige Abwechslungen in seinen Betätigungs- und Empfindungsmöglichkeiten auferlegten. Es ist sehr bezeichnend, daß man das kursierende Geld flüssig nennt: wie einer Flüssigkeit fehlen ihm die inneren Grenzen, und nimmt es die äußeren widerstandslos von der festen Fassung an, die sich ihm jeweilig bietet. So ist es das durchgreifendste, weil für sich völlig indifferente Mittel für die Überführung eines uns überindividuell zwingenden Rhythmus von Lebensbedingungen in eine Ausgeglichenheit und Schwankungslosigkeit derselben, die unseren persönlichen Kräften und Interessen eine freiere, einerseits individuellere, andrerseits reiner sachliche Bewährung gestattet. Dennoch: gerade dieses an sich wesenlose Wesen des Geldes ermöglicht, daß es sich auch der Systematik und Rhythmik des Lebens leihe, wo das Entwicklungsstadium der Verhältnisse oder die Tendenz der Persönlichkeit darauf hindrängt. Während wir gesehen haben, daß zwischen liberaler Verfassung und Geldwirtschaft eine enge Korrelation besteht, war doch nicht weniger bemerkbar, daß der Despotismus im Gelde eine unvergleichlich zweckmäßige Technik findet, ein Mittel, die räumlich fernsten Punkte seiner Herrschaft an sich zu binden, die bei Naturalwirtschaft immer zu Abschnürung und Verselbständigung neigen. Und während die individualistische Sozialform Englands an der Ausbildung [565] des Geldwesens groß geworden ist, zeigt sich dasselbe nicht nur in dem Sinn als Vorläufer sozialistischer Formen, daß es durch einen dialektischen Prozeß in diese als in seine Negation umschlage, sondern ganz direkt geben, wie wir an manchen Stellen sahen, spezifisch geldwirtschaftliche Verhältnisse die Skizze oder den Typus der vom Sozialismus erstrebten ab.

Hier ordnet sich das Geld einer uns schon früher wichtig gewordenen Kategorie von Lebensmächten ein, deren sehr eigenartiges Schema es ist, daß sie ihrem Wesen und ursprünglichen Sinne nach sich über die Gegensätze erheben, in die die betreffende Interessenprovinz auseinandergeht, als die ungeteilte Indifferenz derselben jenseits ihrer stehen – dann oder zugleich aber in den Gegensatz der Einzelheiten hinuntersteigen: sie werden Partei, wo sie soeben Unbeteiligte oder Richter gewesen waren. So zunächst die Religion, die der Mensch braucht, um die Entzweiung zwischen seinen Bedürfnissen und deren Befriedigung, zwischen seinem Sollen und seiner Praxis, zwischen seinem Idealbild der Welt und der Wirklichkeit zu versöhnen. Hat er sie aber einmal geschaffen, so bleibt sie nicht in der Höhe, die sie in ihren höchsten Augenblicken erreicht, sondern steigt selbst auf den Kampfplatz hinunter, wird eine Seite im Dualismus des Daseins, den sie eben noch in sich vereinheitlichte. Die Religion steht einerseits dem, was wir als unser ganzes Leben empfinden, als äquivalente Macht gegenüber, sie ist eine Totalität jenseits aller Relativitäten unserer sonstigen Menschlichkeit; und andrerseits steht sie doch wieder im Leben, als eines seiner Elemente und erst in der Wechselwirkung mit allen anderen die Ganzheit desselben ausmachend. So ist sie ein ganzer Organismus und zugleich ein Glied, ein Teil des Daseins und zugleich das Dasein selbst auf einer höheren, verinnerlichten Stufe. Die gleiche Form zeigt das Verhalten des Staates. Sicher ist es dessen Sinn, über den Parteien und den Konflikten ihrer Interessen zu stehen, und dieser abstrakten Höhe verdankt er seine Macht, seine Unberührbarkeit, seine Stellung als letzte Instanz der Gesellschaft. Mit alledem nun ausgerüstet, pflegt er dennoch in jenen Streit der partikularen Gesellschaftsmächte einzutreten, die Partei der einen gegen gewisse andere zu ergreifen, die, obgleich von ihm in seinem weiteren Sinne mitumfaßt, ihm in seinem engeren Sinne wie Macht zu Macht gegenüberstehen. Das ist die Doppelstellung oberster Instanzen, die sich innerhalb der Metaphysik wiederholt, wenn sie etwa der Gesamtheit des Seins geistiges Wesen zuschreibt, das Absolute, das alle Erscheinungen trägt oder ausmacht, für eine geistige Substanz erklärt. Aber dieses Absolute muß sie zugleich als ein Relatives anerkennen. [566] Denn in der Wirklichkeit steht dem Geiste nicht nur eine Körperlichkeit gegenüber, so daß er in diesem Gegensatz erst sein eigenes Wesen findet, sondern es begegnen geistige Erscheinungen unterwertiger Art, Böses, Träges, Feindseliges; und eine derartige Metaphysik wird solches nicht als dem Geiste zugehörig betrachten, der ihr die absolute Substanz des Seins ist. Sondern dieser wird als Partei, Ausgleichung, spezifischer Wert allem ungeistigeren und unvollkommenen Sein entgegengestellt, das er doch andrerseits, da er das Absolute ist, soeben noch mitumfaßt hat. Am durchgreifendsten wird diese Doppelexistenz am Begriff des Ich wirksam. Das Ich, dessen Vorstellung die Welt ist, steht jedem einzelnen Inhalt derselben in gleich beherrschender Höhe gegenüber, jenseits aller Qualitäten, Unterschiede und Konflikte, die nur innerhalb seiner, sozusagen als Privatangelegenheiten seiner Inhalte untereinander, stattfinden. Aber unser tatsächliches Lebensgefühl läßt das Ich nicht in dieser Höhe stehen, es identifiziert es mit gewissen seiner Inhalte mehr als mit anderen – gerade wie die Religiosität Gott an bestimmten Stellen besonders eingreifen sieht, während er doch an allen anderen nicht weniger wirksam sein müßte –, das Ich wird zu einem einzelnen Inhalte seiner selbst, es differenziert sich, freundlich oder feindlich, sich hoch oder niedrig abmessend, gegen die übrige Welt und ihre Partikularitäten, während der Sinn seiner es doch oberhalb aller dieser gestellt hatte. Dies also ist der Formtypus, in dem das Verhältnis des Geldes zu seinem Herrschaftsgebiete sich mit jenen, inhaltlich ihm so fremden Mächten begegnet. Auch sein Wesen liegt in der abstrakten Höhe, mit: der es sich über alle Einzelinteressen und Stilgestaltungen des Lebens erhebt; es gewinnt seine Bedeutung in und aus den Bewegungen, den Konflikten, den Ausgleichungen aller dieser, ein parteiloses Allgemeines, das in sich nicht den geringsten Anhaltspunkt für oder gegen den Dienst eines spezifischen Interesses enthält. Und nun, ausgerüstet mit all der unvergleichlichen Fernwirksamkeit, Konzentriertheit der Kraft, Überall-Eindringlichkeit, wie sie gerade die Folge seiner Entfernung von allem Partikularen und Einseitigen ist, begibt es sich in den Dienst der partikularen Begehrung oder Lebensgestaltung. Und hier tritt, innerhalb der betonten allgemeinen Gleichheit mit Gebilden wie Religion, Staat, metaphysischer Geistigkeit des Seins – ein merkwürdiger Unterschied gegen diese hervor. Sie alle, wenn sie sich auf das Niveau der singulären Interessen und Standpunkte hinabbegeben, treten im Konflikt je zweier entschieden auf die Seite des einen, dem Gegner aber entgegen; sie verbünden oder identifizieren sich mit einer der spezifischen Differenzen, deren Indifferenz [567] sie darstellten, und schließen nun die je andere von sich aus. Das Geld aber stellt sich fast jeder Tendenz in dem Umkreis, für den es gilt, gleichmäßig zur Verfügung, es lebt jedenfalls nicht in der Form des Antagonismus gegen anderes, die jene anderen Mächte annehmen, sobald sie sich aus ihrem allgemeinen Sinne in einen partikularen umsetzen. Das Geld bewahrt wirklich das Umfassende, das seinen allgemeinen Sinn ausmacht, auch in der Gleichmäßigkeit, mit der es sich den Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr allgemeines Verhältnis zum Gelde für die Ausgestaltung ihrer Unterschiede und das Ausfechten ihrer Konflikte benutzen. Die Objektivität des Geldes ist praktisch kein Jenseits der Gegensätze, das dann nur von einem dieser illegitim gegen den anderen ausgenutzt würde; sondern diese Objektivität bedeutet von vornherein den Dienst beider Seiten des Gegensatzes.

Aber damit fällt das Geld nicht etwa in die breite Kategorie, der die Luft angehört, die die sonst Unterschiedensten doch Unterschiedslos atmen, oder die Waffen, deren Gleichartigkeit sich nicht der Benutzung durch alle Parteien verweigert. Das Geld ist zwar das umfassendste Beispiel auch für diese Tatsache: daß auch die radikalster. Unterschiede und Gegnerschaften in der Menschenwelt immer noch für Gleichheiten und Gemeinsamkeiten Raum geben – aber es ist doch noch mehr. Jener Typus unparteiischer Dinge bleibt den inneren Tendenzen, denen sie dienen, etwas schlechthin Äußerliches. Dagegen, so fremd das Geld auch seinem abstrakten Wesen nach allen Innerlichkeiten und Qualitäten gegenübersteht, so zeigt es, als der ökonomische Extrakt des Wertkosmos in dessen ganzer Ausdehnung, doch sehr häufig die geheimnisvolle Fähigkeit, dem ganz spezifischen Wesen und Tendenz jeder von zwei entgegengesetzten Einseitigkeiten zu dienen; die eine entnimmt dem allgemeinen Wertreservoir, das es darstellt, gerade die Kräfte, die Ausdrucksmittel, die Verbindungs- oder Verselbständigungsmöglichkeiten, die ihrer Eigenart angepaßt sind, während es der inhaltlich entgegengesetzten nicht weniger biegsame und schmiegsame, nicht weniger gerade ihrer Innerlichkeit entgegenkommende Hilfen bietet. Das ist die Bedeutung des Geldes für den Stil des Lebens, daß es gerade vermöge seines Jenseits aller Einseitigkeit einer jeden solchen wie ein eigenes Glied ihrer zuwachsen kann. Es ist das Symbol, im Engen und Empirischen, der unsagbaren Einheit des Seins, aus der der Welt in ihrer ganzen Breite und all ihren Unterschieden ihre Energie und Wirklichkeit strömt. Denn so wird die Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare Struktur der Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: daß die Inhalte der Welt, einen bloß geistigen [568] Zusammenhang bildend, in bloßer Ideellität bestehen und nun – natürlich nicht in zeitlichem Prozeß – über sie das Sein kommt; wie man es ausgedrückt hat: daß das Was sein Daß gewinnt. Niemand wüßte zu sagen, was dieses Sein denn eigentlich ist, das den wirklichen Gegenstand von dem qualitativ nicht von ihm unterschiedenen, aber bloß gültigen, bloß logischen Sachgehalt unterscheidet. Und dieses Sein, so leer und abstrakt sein reiner Begriff ist, erscheint als der warme Strom des Lebens, der sich in die Schemata der Dingbegriffe ergießt, der sie gleichsam aufblühen und ihr Wesen entfalten läßt, gleichviel wie unterschieden oder einander feindselig ihr Inhalt und ihr Verhalten sei. Aber es ist ihnen doch nichts äußerliches oder fremdes, sondern ihr eigenes Wesen ist es, das das Sein aufnimmt und in wirksame Wirklichkeit entwickelt. Dieser Kraft des Seins nähert sich von allem Äußerlich-Praktischen – für das jede Analogie mit dem Absoluten immer nur unvollständig gelten kann – das Geld am meisten. Wie jene steht es seinem Begriffe nach ganz außerhalb der Dinge und deshalb gegen ihre Unterschiede völlig gleichgültig, so daß jedes einzelne es ganz in sich aufnehmen und mit ihm gerade sein spezifisches Wesen zur vollkommensten Darstellung und Wirksamkeit bringen kann. Seine Bedeutung für die Entwicklung der Lebensstile, die man als den rhythmischen und den individuell-sachlichen bezeichnen kann, habe ich deshalb herausgehoben, weil die unvergleichliche Tiefe ihres Gegensatzes den Typus dieser Wirksamkeit des Geldes sehr rein hervorleuchten läßt. –

Endlich gibt es eine dritte Beeinflussung, durch die das Geld den Inhalten des Lebens ihre Form und Ordnung bestimmen hilft; sie betrifft das Tempo des Verlaufs derselben, in dem sich die verschiedenen historischen Epochen, die Zonen der gleichzeitigen Welt, die Individuen desselben Kreises unterscheiden. Unsere innere Welt ist gleichsam nach zwei Dimensionen ausgedehnt, deren Maße über das Lebenstempo bestimmen. Je tiefer die Unterschiede zwischen den Vorstellungsinhalten – selbst bei gleicher Zahl der Vorstellungen – in einer Zeiteinheit sind, desto mehr lebt man, eine desto größere Lebensstrecke gleichsam wird zurückgelegt. Was wir als das Tempo des Lebens empfinden, ist das Produkt aus der Summe und der Tiefe seiner Veränderungen. Die Bedeutung, die dem Gelde für die Herstellung des Lebenstempos einer gegebenen Epoche zukommt, mag zunächst aus den Folgen hervorleuchten, die eben die Veränderung der Geldverhältnisse für die Veränderung jenes Tempos aufweisen.

Man hat behauptet, daß die Vermehrung des Geldquantums, sei [569] es durch Metallimporte, oder durch Verschlechterung des Geldes, durch positive Handelsbilanzen oder durch Papiergeldausgabe, den inneren Status des Landes ganz ungeändert lassen müßte. Denn wenn man von den wenigen Personen absehe, deren Einkommen in nicht vermehrbaren festen Bezügen besteht, so sei zwar bei Geldvermehrung jede Ware oder Leistung mehr Geld wert, als vorher, allein da jedermann sowohl Konsument wie Produzent sei, so nehme er als letzterer nur soviel mehr ein, wie er als ersterer mehr ausgebe, und alles bleibe beim Alten. Selbst wenn eine solche proportionale Preissteigerung der objektive Effekt der Geldvermehrung wäre, so würde sie dennoch sehr wesentliche psychologische Veränderungserscheinungen mit sich bringen. Man entschließt sich nicht leicht, einen über dem bisherigen und gewohnten liegenden Preis für eine Ware anzulegen, selbst wenn das eigene Einkommen inzwischen gestiegen ist; und man läßt sich andrerseits durch gewachsenes Einkommen leicht zu allerhand Aufwendungen bestimmen, ohne zu bedenken, daß jenes Plus durch die Preissteigerung der täglichen Bedürfnisse ausgeglichen wird. Die bloße Vermehrung des Geldquantums, das man auf einmal in der Hand hat, vermehrt, ganz unabhängig von allen Überlegungen ihrer bloßen Relativität, die Versuchung zum Geldausgeben und bewirkt damit einen gesteigerten Warenumsatz, also eine Vermehrung, Beschleunigung und Vermannigfaltigung der ökonomischen Vorstellungen. Jener Grundzug unseres Wesens: das Relative psychologisch zum Absoluten auswachsen zu lassen – nimmt der Beziehung zwischen einem Objekte und einem bestimmten Geldquantum ihren fließenden Charakter und verfestigt sie zu sachlicher, dauernder Angemessenheit. Dadurch entsteht nun, sobald das eine Glied des Verhältnisses sich ändert, eine Erschütterung und Desorientierung. Die Alterierung in den Aktiven und den Passiven gleicht sich in ihren psychologischen Wirkungen keineswegs unmittelbar aus, von jeder Seite her wird das Bewußtsein der ökonomischen Prozesse in der bisherigen Stetigkeit seines Verlaufs unterbrochen, der Unterschied gegen den vorigen Stand macht sich auf jeder gesondert geltend. Solange die neue Anpassung nicht vollzogen ist, wird die gleichmäßige Vermehrung des Geldes zu fortwährenden Differenzgefühlen und psychischen Chocs Veranlassung geben, so die Unterschiede, das Sich-Gegeneinander-Absetzen innerhalb der ablaufenden Vorstellungen vertiefen und damit das Tempo des Lebens beschleunigen. Deshalb ist es mindestens mißverständlich, wenn man aus der dauernden Steigerung der Einkommen auf eine »Konsolidierung der Gesellschaft« geschlossen hat. Gerade vermöge der Vermehrung des Geldeinkommens ergreift die [570] unteren Stände eine Erregtheit, die, je nach dem Parteistandpunkt, als Begehrlichkeit und Neuerungssucht, oder als gesunde Entwicklung und Schwungkraft gedeutet wird, aber bei größerer Stabilität des Einkommens und der Preise – die zugleich Stabilität der sozialen Abstände bedeutet – jedenfalls ausbleibt.

Die beschleunigenden Wirkungen der Geldvermehrung auf den Ablauf der ökonomisch-psychischen Prozesse verraten sich am ehesten in den Entwicklungen schlechten Papiergeldes – gerade wie manche Seiten der normalen Physiologie durch pathologische und Entartungsfälle ihre hellste Beleuchtung empfangen. Der unorganische und unfundamentierte Geldzufluß bewirkt zunächst ein sprunghaftes und der inneren Regulierung entbehrendes Steigen aller Preise. Die erste Geldplethora reicht aber immer nur aus, um den Ansprüchen gewisser Warenkategorien zu genügen. Deshalb zieht jede Ausgabe von unsolidem Papiergeld die zweite nach sich, und die zweite noch weitere. »Jeder Vorwand – so wird über Rhode-Island vom Anfang des 18. Jahrhunderts berichtet – diente zu weiterer Vermehrung der Noten. Und wenn das Papiergeld alle Münze aus dem Lande getrieben hatte, war die Knappheit des Silbers ein neuer Grund weiterer Emissionen.« Das ist das Tragische solcher Operationen, daß die zweite Emission nötig ist, um den Ansprüchen zu genügen, die aus der ersten folgen. Das wird sich um so umfassender geltend machen, je mehr das Geld selbst das unmittelbare Zentrum der Bewegungen ist: die Preisrevolutionen infolge von Papiergeldüberschwemmungen führen zu Spekulationen, die zu ihrer Abwicklung immer gewachsene Geldvorräte erfordern. Man kann sagen, daß die Tempo-Beschleunigung des sozialen Lebens durch Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo es sich um Geld seiner reinen Funktionsbedeutung nach, ohne irgendeinen Substanzwert, handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen Tempos findet hier gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil sie jetzt sogar rein immanent beginnt, d.h. sich in erster Instanz in der Beschleunigung der Geldfabrikation selbst offenbart. Es ist für diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren wirtschaftliches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem Anwachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt. Über Nordamerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: »Man kann nicht erwarten, daß ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen Gewinnen, so durchdrungen davon, daß sich Reichtum aus Nichts oder wenigstens aus sehr wenig machen läßt – sich die Selbstbeschränkungen auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren der Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren.« [571] Die Beschleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen ausgehen. So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen Papiergeldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege. Das massenhaft fabrizierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert kursiert hatte, erlitt die fürchterlichsten Einbußen. Dadurch konnte heute arm sein, wer gestern noch reich war; und umgekehrt, wer dauernde Werte für geliehenes Geld erworben hatte, zahlte seine Schuld in inzwischen entwertetem Gelde zurück und wurde dadurch reich. Dies machte es nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine wirtschaftlichen Operationen mit größter Beschleunigung abzuwickeln, Abschlüsse auf lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen – sondern jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden Unterschiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen innerhalb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen anderen Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden. Man hat deshalb geradezu dem schlechteren – neben dem besseren – Geld eine Nützlichkeit zugesprochen: es sei richtig, Schulden mit schlechterem Gelde abzahlen zu lassen, weil in der Regel die Schuldner die aktiven wirtschaftlichen Produzenten seien, die Gläubiger dagegen passive Konsumenten, denen der Verkehr sehr viel weniger Leben als jenen verdanke. Anfangs des 18. Jahrhunderts wurde in Konnektikut, anfangs des 19. in England das ungedeckte Papiergeld zwar nicht zum gesetzlichen Umlaufsmittel gemacht, aber jeder Gläubiger war gezwungen, es als Schuldzahlung anzunehmen. Daß nach unverhältnismäßiger Papierausgabe dann die Krisis das wirtschaftliche Leben in demselben Verhältnis retardiert und erstarren läßt, beweist gerade die spezifische Bedeutung des Geldes für sein Tempo. Auch hier entspricht seine Rolle für den objektiven Verlauf der Wirtschaft der des Vermittlers für die subjektive Seite derselben: denn es ist mit Recht bemerkt worden, daß die Vermehrung der Tauschmittel über das Bedürfnis hinaus den Tausch verlangsamt, gerade wie die Vermehrung der Makler zwar bis zu einem gewissen Punkte verkehrserleichternd, über diesen hinaus aber verkehrserschwerend wirke. Ganz prinzipiell angesehen, ist das Geld freilich um so beweglicher, je schlechter es ist, denn jeder wird es so schnell wie möglich loszuwerden suchen. Der naheliegende Einwurf: daß zu einem Handel doch zwei gehören, und daß die Leichtigkeit des Weggebens schlechten Geldes durch die Bedenklichkeit, es anzunehmen, paralysiert werde – ist nicht ganz zutreffend, weil schlechtes Geld immerhin [572] besser ist als gar keines (was man entsprechend von schlechter Ware nicht immer sagen kann). Von der Abneigung des Warenbesitzers gegen das schlechte Geld muß also seine Neigung für Geld überhaupt abgezogen werden; so daß die Neigung des Käufers und die Abneigung des Verkäufers, das schlechte Geld gegen Ware zu tauschen, sich nicht ganz die Wage halten, sondern die letztere, als die schwächere, die durch die erstere nahegelegte Zirkulationsbeschleunigung nicht entsprechend hemmen kann. Andrerseits wird der Besitzer eines schlechten oder nur unter bestimmten Umständen wertvollen Geldes an der Aufrechterhaltung des Zustandes, unter dem sein Besitz Wert hat, lebhaft interessiert sein. Als die fürstlichen Schulden von der Mitte des 16. Jahrhunderts an so gestiegen waren, daß es allenthalben Staatsbankrotte gab, und in Frankreich das Mittel der Rentenverkäufe bis zum Extrem ausgenutzt wurde, hob man zur Verteidigung derselben – denn sie waren außerordentlich unsicher – hervor, daß dadurch die Anhänglichkeit der Bürger als Rentenbesitzer an den König, und ihr Interesse, ihn zu erhalten, sehr gestärkt würden. Es ist bezeichnend, daß das Wort Partisan ursprünglich einen Geldmann bezeichnet, der an einer Anleihe der Krone (parti) beteiligt war, dann aber durch die Interessensolidarität zwischen solchen Bankiers und dem Finanzminister, unter Mazarin und Fouquet, die Bedeutung: unbedingter Anhänger – erwarb und seitdem behielt. Gerade bei größter Unsolidität des französischen Finanzwesens also fand dies statt, während bei der Besserung unter Sully die Partisans in den Hintergrund getreten waren. Und später betonte Mirabeau bei Einführung der Assignaten, daß überall, wo ein Stück davon sich befände, auch der Wunsch nach der Beständigkeit ihres Kredites bestehen müßte: Vous compterez un défenseur nécessaire à vos mesures, un créancier interessé à vos succès. So schafft ein derartiges Geld eine besondere Parteiung, und, auf dem Grunde einer neuen Beharrungstendenz, eine neue Lebhaftigkeit der Gegensätze. –

Solche Erfolge der vermehrten Umlaufsmittel treten nun aber tatsächlich in um so höherem Maße ein, als die bisherige Voraussetzung: daß die Verbilligung des Geldes jeden als Konsumenten und Produzenten gleichmäßig trifft – eine viel zu einfache ist. In Wirklichkeit ergeben sich viel kompliziertere und bewegtere Erscheinungen. Zunächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die Verteuerung einiger Waren und läßt die anderen vorerst auf dem alten Niveau. Man hat gemeint feststellen zu können, daß es eine bestimmte und langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen Waren seit dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerikanischen Metalles, gestiegen sind. Die Geldmehrung [573] innerhalb eines Landes trifft zunächst immer nur bestimmte Kreise, die den Strom abfangen. Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise steigen, um welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren, während andere Waren, deren Preis durch die große Masse bestimmt wird, noch unverändert billig bleiben. Das allmähliche Eindringen der Geldvermehrung in weitere Kreise führt zu Ausgleichungsbestrebungen, das bisherige Preisverhältnis der Waren untereinander wird aus seiner Beständigkeit geworfen, das Budget des einzelnen Hauses muß durch die Ungleichmäßigkeit, mit der die Höhen der einzelnen Posten sich ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren – kurz, die Tatsache, daß jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise die Preise der Waren ungleichmäßig beeinflußt, muß eine erregende Wirkung auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben, fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben. Offenbar wird dieser – teils beschleunigende, teils lähmende – Einfluß nicht nur von der Ungleichmäßigkeit der Preise, sondern auch von Ungleichmäßigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen: das heißt also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fortwährend schwankenden Gelde. Über die Zeit vor der großen englischen Münzumprägung von 1570 wird berichtet: »Wären alle Schillinge auf den Wert von Groats herabgesetzt worden, so hätte sich der Verkehr verhältnismäßig leicht daran anpassen können. Was aber jede Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, daß ein Schilling 12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 4!«

Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht es, daß von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und Berufe in ganz besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz besonders leiden. In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, unwissend und hilflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den Leuten, die ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nennwert taten, und denen, die von ihm Geld zu bekommen hatten und es nach Gewicht forderten. Ebenso war es später in Indien bei jeder neuen Verdünnung des Geldes: wenn der Landmann seine Ernte verkaufte, wußte er nie, ob das erhaltene Geld ihm dienen würde, wenn er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen bitte. Man hat längst beobachtet, daß eine allgemeine Erhöhung der Preise sich dem Arbeitslohn am spätesten mitteilt. Je widerstandsloser eine [574] wirtschaftliche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert die Geldvermehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als Einnahmesteigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln dieser Schicht schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat. Dadurch entstehen Chocs Und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen Differenzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des Bewußtseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten Umlaufsmittel, zur Bewahrung des Status quo ante – sowohl was das Verhältnis der Schichten zueinander, wie was die Lebenshaltung der einzelnen betrifft – jetzt nicht mehr konservatives oder defensives Beharren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist. Dies ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des Geldquantums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft, Spaltungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das Bewußtsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines Verlaufes finden muß. Es liegt übrigens auf der Hand, daß ein erheblicher Geldabfluß ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen, hervorrufen muß. Darin aber zeigt sich das enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des Lebens, daß ebenso seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre ungleichmäßige Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die sich psychisch als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des Vorstellungsverlaufes spiegeln. – Diese Bedeutung der Änderungen des Geldstandes ist nur ein Phänomen oder eine Akkumulierung der Bedeutung des Geldes für das Verhältnis der Dinge, d.h. ihrer seelischen Äquivalente. Das Geld hat eine neue Gleichung zwischen den Dingen gestiftet. Man vergleicht sie sonst untereinander nach ihrem direkten Nutzungs-, ihrem ästhetischen, ethischen, Arbeits-, eudämonistischen Wert, nach hundert Beziehungen der Quantität und Qualität; und ihre Gleichheit in einer dieser Beziehungen kann unter vollständiger Ungleichheit in anderer bestehen. Ihr Geldwert nun schafft eine Gleichung und Vergleichung zwischen ihnen, die keineswegs eine stetige Funktion der anderen aber doch immer der Ausdruck irgendwelcher, aus jenen entstandener bzw. kombinierter Wertgedanken ist. Jeder Wertgesichtspunkt, von dem aus die Dinge eine Rangierung, jenseits der sonstigen und diese durchquerend gewinnen, ist zugleich eine Lebendigkeit mehr in ihrem Verhältnis, eine Anregung zu vorher ungekannten Kombinationen und Verdrängungen, Verwandtschafts- und Differenzstiftungen – denn unsere Seele ist wie in einer dauernden Bestrebung, Ungleiches gegeneinander auszugleichen, dem Gleichen Unterschiede [575] aufzudrängen. Indem das Geld nun in einem Umfang, wie kein anderer Wertgesichtspunkt, den Dingen Gleichheiten und Ungleichheiten verleiht, erregt es unzählige Bemühungen, diese mit den Rangierungen aus den anderen Werten heraus im Sinne jener zweifachen Tendenzen zu verbinden.

Abgesehen nun von den Folgen der Veränderungen des Geldbestandes, die das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der Veränderungen jenes er scheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der Lebensinhalte noch in einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor. Es ist diesem nämlich eigentümlich, daß er zur Konzentration an verhältnismäßig wenigen Plätzen drängt. In bezug auf lokale Diffusion kann man eine Skala der ökonomischen Objekte aufstellen, von der ich hier nur ganz im Rohen einige der charakteristischsten Stufen andeute. Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammenrückung seiner Gebietsteile widersteht; er schließt sich unabwendbar dem ursprünglichen Außereinander des Raumes an. Die industrielle Produktion ist schon komprimierbarer: der Fabrikbetrieb stellt eine räumliche Kondensierung gegenüber dem Handwerk und der Hausindustrie dar, das moderne Industriezentrum ist ein gewerblicher Mikrokosmos, in den jede in der Welt vorhandene Gattung von Rohstoffen strömt, um zu Formen gestaltet zu werden, deren Ursprünge weltweit auseinanderliegen. Das äußerste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte. Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller bestimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaßen in jedem Augenblick der Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es gestattet auch umgekehrt, die größte Wertsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen – bis zu dem 10-Millio nen-Dollar-Scheck, den Jay Gould einmal ausstellte. Der Komprimierbarkeit der Werte vermöge des Geldes, und des Geldes vermöge seiner immer abstrakteren Formen entspricht nun die der Geldgeschäfte. In dem Maß, in dem die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld gestellt wird, schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in großen Knotenpunkten des Geldverkehrs vor. Von jeher war die Stadt im Unterschied vom Lande der Sitz der Geldwirtschaft; dies Verhältnis wiederholt sich zwischen Klein- und Großstädten, so daß ein englischer Historiker sagen konnte, London habe, in seiner ganzen Geschichte, niemals als das Herz von England gehandelt, manchmal als sein Gehirn, aber immer als sein Geldbeutel; und schon am Ende der römischen Republik heißt es, jeder Pfennig, der in Gallien ausgegeben werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in Rom. An [576] dieser Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse beider Parteien: der Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der zusammenströmenden Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuß halb so hoch als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil sie das Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen, aber des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür zu finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, daß Kontraktionen des Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden, als an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie. Indem das Geld diese, seinem Wesen als Tendenz innewohnende Zentralisierung gefunden hat, hat es das Präliminarstadium überwunden, in dem es sich nur in den Händen zerstreuter Einzelpersonen akkumulierte. Gerade der durch das Geld ausgeübten Übermacht Einzelner hat die Zentralisierung des Geldverkehrs an den Börsen entgegengewirkt; so sehr die Börsen von Lyon und Antwerpen im 16. Jahrhundert einzelnen Geldmagnaten enorme Gewinne ermöglichten, so war doch mit ihnen die Macht des Geldes in einem Zentralgebilde objektiviert, dessen Kräfte und Normen auch dem mächtigsten Einzelnen überlegen waren und es verhinderten, daß je wieder ein einzelnes Haus den Gang der Weltgeschichte so bestimmte, wie die Fugger es noch konnten. Der tiefere Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in dem Relativitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die Wertverhältnisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits jedes bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden Wert besitzt, als das irgendeiner anderen Ware, sondern mehr als jede andere ausschließlich durch Vergleichung mit dem angebotenen Gesamtquantum überhaupt eine Bedeutung erhält – so wird seine maximale Konzentrierung auf einen Punkt, das fortwährende Gegeneinanderhalten möglichst großer Summen, die Ausgleichung eines überwiegenden Teiles von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner größeren Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen. Ein Scheffel Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so isolierten Platze, so große Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise. Ein Geldquantum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit anderen Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und gerechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur »alles nach Golde« – die Menschen wie die Dinge – sondern das Geld drängt auch seinerseits nach »Allem«, es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen möglichen Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen. Und der gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux vieler Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach [577] Geld. In Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münztausch und Warenzoll zu profitieren. Durch diese zwangsweise Konzentrierung des Handelsverkehrs eines größeren Territoriums an einem Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr gesteigert, der Gebrauch des Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen Notwendigkeit. Wo nur immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld verhältnismäßig stärker erfordert werden. Denn wegen seiner an sich indifferenten Natur Ist es die geeignetste Brücke und Verständigungsmittel zwischen vielen und verschiedenen Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spärlicher werden die Gebiete, auf denen andere als Geldinteressen die Basis ihres Verkehrs bilden können.

Aus all diesem ergibt sich, in wie hohem Maße das Geld die Steigerung des Lebenstempos bezeichnet, wie es sich an der Zahl und Mannigfaltigkeit der einströmenden und einander ablösenden Eindrücke und Anregungen mißt. Die Tendenz des Geldes, zusammenzufließen und sich, wenn auch nicht in der Hand eines Einzelnen, so doch in lokal engbegrenzten Zentren zu akkumulieren, die Interessen der Individuen und damit sie selbst an solchen zusammenzuführen, sie auf einem gemeinsamen Boden in Berührung zu bringen, und so – wie es auch in der von ihm dargestellten Wertform liegt – das Mannigfaltigste in den kleinsten Umfang zu konzentrieren – diese Tendenz und Fähigkeit des Geldes hat den psychischen Erfolg, die Buntheit und Fülle des Lebens, das heißt also sein Tempo zu steigern. Schon sonst ist der Zusammenhang davon betont worden, daß mit dem aufkommenden Kapitalismus in Deutschland – als im 15. Jahrhundert einerseits der Welthandel, andrerseits die Finanzzentren mit dem raschen Umsatz billigen Geldes entstanden – zuerst der moderne Begriff der Zeit durchdrang, als eines durch Brauchbarkeit und Knappheit bestimmten Wertes. Damals begannen die Turmuhren die Viertelstunden zu schlagen, und Sebastian Franck, der mit am frühesten, wenn auch mit am pessimistischsten, die revolutionierende Bedeutung des Geldes eingesehen hat, nennt auch zuerst die Zeit ein teures Gut. Das entschiedenste Symbol für diese ganzen Korrelationen ist die Börse. Hier haben die ökonomischen Werte und Interessen, vollständig auf ihren Geldausdruck reduziert, ihre und ihrer Träger engste lokale Vereinigung erreicht, um damit ihre rascheste Ausgleichung, Verteilung, Abwägung zu gewinnen. Diese doppelte Kondensiertheit: der Werte in die Geldform und des Geldverkehrs in die Börsenform – ermöglicht es, daß die Werte in der kürzesten Zeit durch die größte Zahl von Händen [578] hindurchgejagt werden: an der New Yorker Börse wird jährlich der fünffache Betrag der Baumwollernte in Spekulationen in Baumwolle umgesetzt, und schon 1887 verkaufte diese Börse fünfzigmal das Erträgnis des Jahres in Petroleum: die Häufigkeit der Umsätze steigt in dem Maße, in dem der Kurs eines Wertes schwankt – ja, die Kursschwankungen waren es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst ein regelmäßiges Börsengeschäft in den »Königsbriefen«, den fürstlichen Schuldverschreibungen, entwickelten. Denn mit ihnen, die von dem wechselnden Kredit z.B. der französischen Krone ausgingen, war ein ganz anderer Anstoß zu Kauf und Verkauf gegeben, als bei Stabilität des Wertes bestanden hatte. Die Möglichkeit, die das Geld gewährt, jeden Schätzungswechsel unbedingt nachgiebig auszudrücken, muß diesen selbst unendlich steigern, ja vielfach erzeugen. Und davon ist es nun sowohl Ursache wie Wirkung, daß die Börse, das Zentrum des Geldverkehrs und gleichsam der geometrische Ort all jener Schätzungswechsel, zugleich der Punkt der größten konstitutionellen Aufgeregtheit des Wirtschaftslebens ist: ihr sanguinisch-cholerisches Schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus, ihre nervöse Reaktion auf Ponderabilien und Imponderabilien, die Schnelligkeit, mit der jedes den Stand verändernde Moment ergriffen, aber auch wieder vor dem nächsten vergessen wird – alles dies stellt eine extreme Steigerung des Lebenstempos dar, eine fieberhafte Bewegtheit und Zusammendrängung seiner Modifikationen, in der der spezifische Einfluß des Geldes auf den Ablauf des psychischen Lebens seine auffälligste Sichtbarkeit gewinnt.

Endlich muß die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine Lebenstempo unmittelbar und in demselben Maße steigern, in dem das Geld das allgemeine Interessenzentrum wird. Die Rundheit der Münzen, infolge deren sie »rollen müssen«, symbolisiert den Rhythmus der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt: selbst wo die Münze ursprünglich eckig war, muß der Gebrauch zunächst die Ecken abgeschliffen und sie der Rundung angenähert haben; physikalische Notwendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die ihm dienlichste Werkzeugsform verschafft. Vor hundert Jahren gab es in den Nilländern sogar vielfach Kugelgeld, aus Glas, Holz, Achat – durch die Verschiedenheit der Stoffe beweisend, daß seine Form der Grund der ihm nachgesagten Beliebtheit war. So ist es doch mehr als ein zufälliges Zusammentreffen der Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen gegenüber das Prinzip der »Abrundung« auftaucht, und zwar erst mit steigender Geldwirtschaft. Die Abrundung ist ein relativ moderner Begriff. Die primitivste Form der Anweisungen auf das [579] englische Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, ungleichmäßige Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten. Erst im 18. Jahrhundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt, welche bestimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten. Es ist überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei großen Beträgen, auf Abrundung sah. Fälle wie die, daß die Fugger 1530 für den Kaiser Ferdinand 275333 fl. und 20 kr. auszuzahlen übernahmen und daß ihnen 1577 Kaiser Maximilian II. 220674 fl. schuldete, sind nicht selten. Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang. Das Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden ließ sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig große Stücke zerlegen. Erst die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, daß schließlich eine feste Einheit von 500 Pfund Vlämisch der allein gehandelte Teilbetrag und »eine Aktie« schlechthin wurde. Noch heute sind es die Plätze des größeren Geldverkehrs, in denen auch der Kleinhandel sich nach runden Summen vollzieht, während die Preise an abgelegenen Orten dem Großstädter merkwürdig wenig abgerundet vorkommen. Die schon oben hervorgehobene Entwicklung von unbehilflich großen zu zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe Bedeutung für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung, was schon die physikalische Analogie nahelegt. Das Bedürfnis, das Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des Verkehrs überhaupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung, daß eine Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer Ausgabe 57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871 dagegen nur 37 Tage! Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unterschied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen Bewegungen ausmacht. Man denke z.B. an den Charakter der Steuerleistungen in Hinsicht auf äußere und innere Schwankungen, je nachdem sie von dem einen oder von dem anderen Objekt erhoben werden. Im angelsächsischen und normannischen England galten alle Auflagen ausschließlich dem Landbesitz; im 12. Jahrhundert schritt man dazu, Pachtzinse und Viehbesitz zu belasten; bald nachher wurden bestimmte Teile des beweglichen Eigentums (der 4., 7., 13. Teil) als Steuer erhoben. So wurden die Steuerobjekte immer beweglicher, bis schließlich das Geldeinkommen als das eigentliche Fundament der Besteuerung auftritt. Damit erhält diese einen bis dahin unerhörten Grad von Beweglichkeit und Nüanzierung und bewirkt, bei größerer Sicherheit des Gesamterträgnisses, doch eine sehr viel größere Variabilität und jährliche Schwankung [580] in der Leistung des Einzelnen. – Aus dieser unmittelbaren Bedeutung und Betonung vom Boden oder vom Geld für das Tempo des Lebens erklärt sich einerseits der große Wert, den sehr konservative Völker auf den Ackerbau legen. Die Chinesen sind überzeugt, daß nur dieser die Ruhe und Beständigkeit der Staaten sichert, und wohl aus diesem Zusammenhange heraus haben sie auf den Verkauf von Ländereien einen ungeheueren Stempel gesetzt; so daß die meisten Landkäufe dort nur privatim und unter Verzicht auf die grundbuchliche Eintragung vollzogen werden. Wo indes jene durch das Geld getragene Beschleunigung des wirtschaftlichen Lebens sich durchgesetzt hat, da sucht sie nun, andrerseits, die ihr widerstrebende Form des Grundbesitzes dennoch nach sich zu rhythmisieren. Im 18. Jahrhundert gab der pennsylvanische Staat Hypotheken auf Privatländereien und ließ die einzelnen Abschnitte derselben als Papiergeld kursieren: Franklin schrieb darüber, diese Scheine seien in Wirklichkeit gemünztes Land. Entsprechend ist bei uns von konservativer Seite hervorgehoben worden, daß die Hypothekengesetzgebung der letzten Jahrzehnte auf eine Verflüssigung des Grundbesitzes hinarbeite und diesen in eine Art Papiergeld verwandle, das man in beliebig vielen Anteilsscheinen weggeben könne; so daß, wie auch Waldeck sich ausdrückte, der Grundbesitz nur dazusein scheine, um subhastiert zu werden. Bezeichnend genug mobilisiert das moderne lieben seine Inhalte auch im äußerlichsten Sinne und an manchen Punkten außerhalb der allbekannten. Das Mittelalter und noch die Renaissance hatte das, was uns jetzt »Mobilien« in engster Bedeutung sind, wenig im Gebrauch. Schränke, Kredenzen, Sitzbänke waren in die Täfelung eingebaut, Tische und Stühle so schwer, daß sie oft unbeweglich waren, die kleinen, hin und her zu schiebenden Einrichtungsgegenstände fehlten fast ganz. Seitdem erst sind die Möbel gleichsam mobil geworden wie das Kapital. Und endlich exemplifizie re ich diese flacht der geldwirtschaftlichen Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu unterwerfen, an einer Rechtsbestimmung. Es ist ein alter juristischer Grundsatz, daß ein Gegenstand, der seinem rechtmäßigen Eigentümer entfremdet worden ist, diesem unter allen Umständen zurückgegeben werden muß, selbst wenn der augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben hat. Nur in bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie nach modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie von einer dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder zugunsten des Bestohlenen abgenommen werden. Ersichtlich wird diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs gefordert, der ohne dieselbe außerordentlich erschwert, beunruhigt, unterbrochen sein würde. Nun [581] hat man aber neuerdings diesen Erlaß der Restitution auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des Handelsgesetzbuches stehen. Das bedeutet also: die Zirkulationsbeschleunigung im Warenverkehr nähert jede Ware dem Charakter des bloßen Geldes an, läßt sie nur als Geldwert funktionieren und unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen, welche das Geld zum Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muß! –

Wenn man den Beitrag zur Bestimmung des Lebenstempos charakterisieren will, den das Geld durch seinen eigenen Charakter und abgesehen von seinen zuerst besprochenen technischen Folgen liefert, so könnte man es mit folgender Überlegung. Die genauere Analyse des Beharrungs- und Veränderungsbegriffes zeigt einen doppelten Gegensatz in der Art, wie er sich verwirklicht. Sehen wir die Welt auf ihre Substanz hin an, so münden wir leicht auf der Idee eines hen kai pan, eines unveränderlichen Seins, das durch den Ausschluß jeder Vermehrung oder Verminderung den Dingen den Charakter eines absoluten Beharrens erteilt. Sieht man andrerseits auf die Formung dieser Substanz, so ist in ihr die Beharrung absolut aufgehoben, unaufhörlich setzt sich eine Form in die andere um und die Welt bietet das Schauspiel eines Perpetuum mobile. Dies ist der kosmologische, oft genug ins Metaphysische hinaus gedeutete Doppelaspekt des Seienden. Innerhalb einer tiefer gelegenen Empirie indes verteilt sich der Gegensatz zwischen Beharrung und Bewegung in anderer Weise. Wenn wir nämlich das Weltbild, wie es sich unmittelbar darbietet, betrachten, so sind es gerade gewisse Formen, die eine Zeit hindurch beharren, während die realen Elemente, die sie zusammensetzen, in fortwährender Bewegung befindlich sind. So beharrt der Regenbogen bei fortwährender Lageveränderung der Wasserteilchen, die organische Form bei stetem Austausch der sie erbauenden Stoffe, ja, an jedem unorganischen Ding, das eine Weile als solches besteht, beharrt doch nur das Verhältnis und die Wechselwirkung seiner kleinsten Teile, während diese selbst in unaufhörlichen molekularen Bewegungen, unserem Auge entzogen, begriffen sind. Hier ist also die Realität selbst in rastlosem Flusse, und während wir diesen, sozusagen wegen mangelnder Sehschärfe, nicht unmittelbar konstatieren können, verfestigen sich die Formen und Konstellationen der Bewegungen zu der Erscheinung des dauernden Objektes.

Neben diesen, beiden Gegensätzen in der Anwendung des Beharrungs- und Bewegungsbegriffes auf die vorgestellte Welt steht ein dritter. Die Beharrung kann nämlich einen Sinn haben, der sie jenseits jeder noch so ausgedehnten Zeitdauer stellt. Der einfachste, [582] aber für uns hier zureichende Fall derselben ist das Naturgesetz. Die Gültigkeit des Naturgesetzes beruht darin, daß aus einer gewissen Konstellation von Elementen eine bestimmte Wirkung sachlich notwendig erfolgt. Diese Notwendigkeit ist also ganz unabhängig davon, wann ihre Bedingungen sich in der Wirklichkeit etwa einstellen; einmal oder millionenmal, jetzt oder in hunderttausend Jahren; die Gültigkeit des Gesetzes ist eine ewige im Sinne der Zeitlosigkeit; es schließt seinem Wesen und Begriffe nach jegliche Veränderung oder Bewegung von sich aus. Dafür ist es hier unwesentlich, daß wir keinem einzelnen Naturgesetz diese unbedingte Gültigkeit mit unbedingter Sicherheit zusprechen dürfen: und zwar nicht nur wegen der unvermeidlichen Korrigierbarkeit unseres Erkennens überhaupt, das die oft wiederholte, aber zufällige Kombination der Erscheinungen durch kein unfehlbares Kriterium von dem wirklichen gesetzlichen Zusammenhang unterscheiden kann; sondern vor allem, weil jedes Naturgesetz doch nur für eine bestimmte geistige Verfassung gilt, während für eine andere eine abweichende Formulierung desselben Sachverhaltes Wahrheit bedeuten würde. Da nun aber der menschliche Geist einer, wie auch langsamen und unmerkbaren Entwicklung unterliegt, so kann es kein, in einem gegebenen Augenblick gültiges Gesetz geben, das der Umwandlung im Laufe der Zeiten entzogen wäre. Allein dieser Wechsel betrifft nur den jeweils erkennbaren Inhalt der Naturgesetzlichkeit, nicht den Sinn und Begriff derselben; die Idee des Gesetzes, die über jeder einzelnen ihrer unvollkommenen Verwirklichungen steht, aus der diese aber doch ihr ganzes Recht und Bedeutung ziehen – beruht in jenem Jenseits aller Bewegung, jenem Gelten, das von allen Gegebenheiten, weil sie veränderlich sind, unabhängig ist. Zu dieser eigentümlichen absoluten Form des Beharrens muß es ein Seitenstück in einer entsprechenden Form der Bewegung geben. Wie sich das Beharren über jede noch so weite Zeitstrecke hinaussteigern läßt, bis in der ewigen Gültigkeit des Naturgesetzes oder der mathematischen Formel jede Beziehung auf einen gestimmten Zeitmoment schlechthin ausgelöscht ist: so läßt sich die Veränderung und Bewegung als eine so absolute denken, daß überhaupt ein bestimmtes Zeitmaß derselben nicht mehr besteht; geht alle Bewegung zwischen einem Hier und einem Dort vor sich, so ist bei dieser absoluten Veränderung – der species aeternitatis mit umgekehrtem Vorzeichen – das Hier vollkommen verschwunden. Haben jene zeitlosen Objekte ihre Gültigkeit in der Form des Beharrens, so diese in der Form des Übergangs, der Nicht-Dauer. Es ist mir nun kein Zweifel, daß auch dieses Gegensatzpaar weit genug ist, um ein Weltbild darein zu fassen. Wenn man, [583] einerseits, alle Gesetze kennte, die die Wirklichkeit beherrschen, so würde diese letztere durch den Komplex jener tatsächlich auf ihren absoluten Gehalt, ihre zeitlos ewige Bedeutung zurückgeführt sein – wenngleich sich die Wirklichkeit selbst daraus noch nicht konstruieren ließe, weil das Gesetz als solches, seinem ideellen Inhalt nach, sich gegen jeden einzelnen Fall seiner Verwirklichung ganz gleichgültig verhält. Gerade weil aber der Inhalt der Wirklichkeit restlos in den Gesetzen aufgeht, die unaufhörlich Wirkungen aus Ursachen hervortreiben und, was soeben Wirkung war, im gleichen Augenblick schon als Ursache wirken lassen – gerade deshalb kann man nun, andrerseits, die Wirklichkeit, die konkrete, historische, erfahrbare Erscheinung der Welt in jenem absoluten Flusse erblicken, auf den Heraklits symbolische Äußerungen hindeuten. Bringt man das Weltbild auf diesen Gegensatz, so ist alles überhaupt Dauernde, über den Moment Hinausweisende aus der Wirklichkeit herausgezogen und in jenem ideellen Reich der bloßen Gesetze gesammelt; in der Wirklichkeit selbst dauern die Dinge überhaupt keine Zeit, durch die Rastlosigkeit, mit der sie sich in jedem Moment der Anwendung eines Gesetzes darbieten, wird jede Form schon im Augenblick ihres Entstehens wieder aufgelöst, sie lebt sozusagen nur in ihrem Zerstörtwerden, jede Verfestigung ihrer zu dauernden – wenn auch noch so kurz dauernden – Dingen ist eine unvollkommene Auffassung, die den Bewegungen der Wirklichkeit nicht in deren eigenem Tempo zu folgen vermag. So ist es das schlechthin Dauernde und das schlechthin Nicht-Dauernde, in die und deren Einheit das Ganze des Seins ohne Rest aufgeht.

Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun gibt es sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des Geldes liegt darin, daß es fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach. Die Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, besteht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus; es lebt in kontinuierlicher Selbstentäußerung aus jedem gegebenen Punkt heraus und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes Fürsichseins.

Aber vielleicht bietet es jener entgegengesetzten Art, die Wirklichkeit zu formulieren, sich nicht weniger als Symbol dar. Das einzelne Geldquantum freilich ist seinem Wesen nach in unablässiger Bewegung; aber gerade nur, weil der von ihm dargestellte Wert sich zu den einzelnen Wertgegenständen verhält, wie das allgemeine Gesetz [584] zu den konkreten Gestaltungen, in denen es sich verwirklicht. Wenn das Gesetz, selbst jenseits aller Bewegungen stehend, doch deren Form und Grund darstellt, so ist der abstrakte Vermögenswert, der nicht in Einzelwerte auseinandergegangen ist und als dessen Träger das Geld subsistiert, gleichsam die Seele und Bestimmung der wirtschaftlichen Bewegungen. Während es als greifbare Einzelheit das flüchtigste Ding der äußerlich-praktischen Welt ist, ist es seinem Inhalte nach das beständigste, es steht als der Indifferenz- und Ausgleichungspunkt zwischen all ihren sonstigen Inhalten, sein ideeller Sinn ist, wie der des Gesetzes, allen. Dingen ihr Maß zu geben, ohne sich selbst an ihnen zu messen, ein Sinn, dessen totale Realisierung freilich erst einer unendlichen Entwicklung gelänge. Es drückt das Verhältnis aus, das zwischen den wirtschaftlichen Gütern besteht und bleibt der Strömung dieser gegenüber so stabil, wie eine Zahlenproportion es gegenüber den vielfachen und wechselnden Gegenständen tut, deren Verhältnis sie angibt, und wie die Formel des Gravitationsgesetzes gegenüber den Materienmassen und ihren unendlich mannigfaltigen Bewegungen. Wie der allgemeine Begriff, in seiner logischen Gültigkeit von der Zahl und Modifikation seiner Verwirklichungen unabhängig, sozusagen das Gesetz eben dieser angibt, so ist das Geld – d.h. derjenige innere Sinn, durch den das einzelne Metall- oder Papierstück zum Gelde wird – der Allgemeinbegriff der Dinge, insofern sie wirtschaftlich sind. Sie brauchen nicht wirtschaftlich zu sein; wenn sie es aber sollen, so können sie es nur so, daß sie sich dem Gesetz des Wert-Werdens fügen, das im Gelde verdichtet ist.

Die Beobachtung, daß dieses eine Gebilde an jenen beiden Grundformen, die Wirklichkeit auszudrücken, gleichmäßig teil hat, gibt auf ihren Zusammenhang Anweisung: ihr Sinn ist tatsächlich ein relativer, d.h. jede findet ihre logische und psychologische Möglichkeit, die Welt zu deuten, an der anderer. Nur weil die Realität sich in absoluter Bewegtheit befindet, hat es einen Sinn, ihr gegenüber das ideelle System zeitlos gültiger Gesetzlichkeiten zu behaupten; umgekehrt: nur weil diese bestehen, ist jener Strom des Daseins überhaupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein unqualifizierbares Chaos auseinanderzufallen. Die allgemeine Relativität der Welt, auf den ersten Blick nur auf der einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht in Wirklichkeit auch die andere in sich ein und zeigt sich als Herrscherin, wo sie eben nur Partei zu sein schien – wie das Geld über seine Bedeutung als einzelner Wirtschaftswert die höhere baut: den abstrakten Wirtschaftswert überhaupt darzustellen, und beide [585] Funktionen in unlösliche Korrelation, in der keine die erste ist, verschlingt.

Indem hier nun ein Gebilde der historischen Welt das sachliche Verhalten der Dinge symbolisiert, stiftet es zwischen jener und diesem eine besondere Verbindung. Je mehr das Leben der Gesellschaft ein geldwirtschaftliches wird, desto wirksamer und deutlicher prägt sich in dem bewußten Leben der relativistische Charakter des Seins aus, da das Geld nichts anderes ist, als die in einem Sondergebilde verkörperte Relativität der wirtschaftlichen Gegenstände, die ihren Wert bedeutet. Und wie die absolutistische Weltansicht eine bestimmte intellektuelle Entwicklungsstufe darstellte, in Korrelation mit der entsprechenden praktischen, ökonomischen, gefühlsmäßigen Gestaltung der menschlichen Dinge, – so scheint die relativistische das augenblickliche Anpassungsverhältnis unseres Intellekts auszudrücken oder, vielleicht richtiger: zu sein, bestätigt durch das Gegenbild des sozialen und des subjektiven Lebens, das in dem Gelde ebenso den real wirksamen Träger wie das abspiegelnde Symbol seiner Formen und Bewegungen gefunden hat.